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Verkehrtes Ich

von

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Kapitel 7

Die Katastrophe folgte kurz vor Sonnenaufgang. Reila lag nicht in unserem Bett. Ich hatte mich am Abend allein hingelegt. Sie blieb wohl den ganzen Abend und Nacht bei ihrem Grafen. Deshalb dachte ich zuerst auch, dass sie es war, als die Tür krachend aufflog. Mit Entsetzen fuhr ich hoch: „Was?“ schlaftrunken blickte ich auf die Tür. Doch statt Reila standen da vier Männer. Zwei kamen bewaffnet auf mich zu. Der Dritte brüllte: „Fräulein Leira. Sie sind angeklagt wegen Hochverrat! Bis zur Anhörung werden sie in einer Kerkerzelle verlegt. Leisten sie keinen Widerstand!“ Ich leistete keinen Widerstand.

Meine Verwirrtheit war größer, als meine Angst. Ich war zum Teil noch im Schlaf. Die Männer taten mir weh. Sie zerrten mich aus dem Bett, drückten alles andere als sanft meine Unterarme auf den Rücken. Ich wehrte mich nicht und verstand auch nicht, wieso sie dennoch so brutal zugriffen und zogen. Ich stand nur unsicher auf meinen Beinen. Sie fesselten mir die Hände hinter meinen Rücken und zogen diese leicht hoch. Mein Oberkörper kippte nach vorn. „Stehen bleiben!“, befahl mir einer. Doch ich verlor beinahe wegen der beiden Männer mein Gleichgewicht. ‚Wie solle ich so stehen bleiben?‘, hätte ich ihn am liebsten angefahren. Doch das schien mir nicht wirklich praktisch. Aber so wirklich konnte ich auch keinen klaren Gedanken fassen.

Hatte der Graf uns verraten?

Grausam und brutal wurde ich in den Kerker geschoben. Nackte Füße, nur Kleidchen für die Nacht an und darunter das blaue Medaillon. Ich wurde glücklicherweise nicht durchsucht. Als wir die Gittertür erreichten, öffnete der vierte Mann diese und löste danach meine Handfesseln. Hart wurde ich in die kleine stinkende Zelle hineingestoßen.

Ich massierte meine Handgelenke. Rote Striemen zeichneten sich ab von der Fesselung. Aber nicht nur das. Ich glaubte, sie hatten mir auch meine linke Schulter ausgekugelt, denn die schmerzte noch am meisten. Nett und vorsichtig waren sie auf keinen Fall. Im Gegenteil: Es schien, als hätten sie Spaß daran gehabt mir wehzutun. Ich seufzte. Irgendwie wusste ich vorher, dass ich im Kerker landen würde. Doch wusste ich nicht, wieso. War es Reila, die mich nur verriet, um bei ihrem Liebsten zu bleiben? Oder war es der Graf, weil er Reila bei sich behalten wollte? So konnte er zumindest sicher sein, dass sie bei ihm bleiben würde. Oder gar Dondie? Nein, wieso sollte er? Ich wusste es nicht und war ratlos.

Ich ließ den Blick herumwandern. Es war eine verdammt kleine Zelle. Kein Heu, nur der kalte Steinboden. Ich murrte. Ich hatte nicht mal eine Hose oder Schuhe an. Das gab mit Sicherheit eine dicke Erkältung. Es gab ein Fenster mit drei Gitterstäben. Die Tür hatte ebenfalls Gitterstäbe. Rundherum nur Stein. Nichts anderes als kalter, grauer STEIN! Das war das Schlimmste! Ich fing an abzuwägen, ob nicht eine Streckbank schöner gewesen wäre als diese Zelle. Zumindest sehenswerter!

Es war zudem auch kalt und ich fing an zu frieren. Immer wieder drehten sich meine Gedanken. Wie war das nur gekommen?

Ich verlor mein Zeitgefühl und konnte nicht mehr sagen, wie lang ich da hockte, bis ich Reila hörte. Sie zeterte und spie. Man hörte ebenfalls die Wachleute schreien. Sie musste sich heftig gewehrt haben, denn es dauerte bestimmt zwanzig Minuten, die sie brauchten, bis sie vor der Kerkerzellentür angekommen waren. „Ihr Feiglinge! Mit mehreren Männern ein armes, schwaches Mädchen!“, fauchte sie, als die Kerkertür aufging. Sie versuchten sie zu fünft in die Zelle zu schieben, denn sie wehrte sich noch immer mit Händen und Füßen. Es ging aber dann doch relativ schnell, da lag sie auf dem kalten Boden und noch schneller war die Tür wieder zu. Hastig erhob sie sich. Und versuchte nach ihnen zu treten: „Wenn ich euch einzeln erwische! Gnade Gott!!!“

Sie bebte vor Zorn. „Knapp“, meinte ich nur. Sie funkelte mich voller Wut und Zorn an. „Weißt du, was die getan haben?“ Ich schaute sie von oben bis unten an. Sie war noch knapper gekleidet als ich. Lediglich ein Dessous hatte sie an. Ich pfiff. Es war ein blaues, leicht durchsichtiges Kleidchen, dass am Beinanfang aufhörte. Nur die knappe Begrenzung um die Brust war mit Stickereien undurchsichtig gemacht. Ich glaubte, das Türkis und Blau abwechselnde Muster sollten Blumen darstellen. An ihren Beinen rann eine milchige und doch klare Flüssigkeit hinunter.

Ja, ich sah ziemlich genau, wobei die Wachen sie gestört hatten. Ich musste kichern. Sie trat voller Wucht erneut gegen die Tür. „Konnten sie dir nicht mal eine Unterhose geben?“, fragte ich sie. Doch ihr Zorn wurde dadurch nur noch größer. Wenn Blicke töten könnten… Ich prustete los. Irgendwie konnte ich das nicht glauben. War es das, was so witzig war an dieser Situation? Wie waren wir nur da rein geraten?

Sie ging auf und ab. Hier und da grummelte sie etwas, aber nur unverständliches Zeug.

Ich konnte irgendwie verstehen, dass sie wütend war. Aber sie sollte Ruhe bewahren. Wir wurden – wenn ich mich recht entsann – der Spionage angeklagt. Das konnte nur unser Todesurteil bedeuten. Wir mussten fliehen. Allerdings - ich schaute zu Reila - in dem Aufzug ging das nicht. Da wäre jeder Mann direkt zu einem Tier geworden. Was mich eh wunderte, dass die Soldaten sie zu mir brachten. Hatten sie keine Angst, dass wir zusammen fliehen könnten? Obwohl, wir hatten ja bei unserer Überrumpelung nichts dabei. Weswegen schien eine Flucht auch unmöglich. Die Tür konnten wir nicht öffnen. Und selbst wenn, stellte sich die Frage, was wir tun sollten? In Nachthemd und … Na ja, Reilas Aufzug eben... Das konnte nicht gut gehen. Aber hier sitzen und sterben wollte ich auch nicht. Draußen war es noch dunkel. Perfekte Tageszeit um abzuhauen.

„Ich will zu Custos!“, schrie Reila. Ich seufzte. „Wie denn?“ Sie funkelte mich wieder an. Ich stand auf und flüsterte ihr ins Ohr: „Wir müssen irgendwie fliehen, sonst werden wir umgebracht!“ Sie grummelte leise und doch mir verständlich: „Das weiß ich doch. Aber wir können Custos nur retten, wenn wir alle in einer Zelle sind. Und wir brauchen doch die blaue Kette. Hattest du nicht selbst gesagt, dass sie uns helfen wird.“ Ich grinste sie an und deutete sacht unter mein Nachthemd. Sie schaute mich freudig erschrocken an. „Dann fehlt nur noch Custos. Wir müssen in seine Zelle verlegt werden!“

Da war es mit meiner Geduld über ihrer Verliebtheit vorüber: „Der ist Graf! Der ist in keiner Zelle!“ Sie widersprach wütend: „Doch! Sie haben uns beide abgeführt! Der König selbst war da und hatte ihn angeklagt. Mich haben die Soldaten von ihm getrennt. Er ging so mit und wurde in eine Zelle gesteckt. Der König meinte, er hätte unser Gespräch mit angehört und, dass er nie gedacht hätte, dass grade Custos ihn hintergehen und anlügen würde. Ich hab Custos noch lachen gehört. Er meinte, er würde den König nie hintergehen. Und wenn er das Gespräch bis zum Ende gehört hätte, wüsste er es auch. Mehr konnte ich nicht hören.“, sie murmelte noch etwas, was ich nicht mehr verstand.

„Dann ist er nicht in Gefahr. Wir aber schon! Weil wir vom Feindesland kommen.“ Sie schaute mich traurig an: „Er würde mich nie sterben lassen!“ Ich seufzte: „Wenn es um sein Leben geht, schon. Du kannst ihm nicht vertrauen! Wir müssen hier weg!“ Sie zuckte zusammen. Leise Tränen flossen über ihr Gesicht. „Er würde nie…“, stammelte sie bei dem Versuch dagegen die anzukämpfen.

Ich schaute sie wissend an. Er würde. Da war ich mir sicher. Sie schniefte noch einmal, dann fasste sie sich: „Na gut, dann hol ich uns hier raus. Wir finden den Prinzen, bringen ihn her und beweisen unsere Unschuld als Spione!“ Sie fingerte an ihrem BH herum. Dann plötzlich zog sie vorsichtig einen der Bügel heraus. „Die Teile sind sehr spitz!“, erklärte sie und fing an damit an, bei den Gitterstäben des Fensters herum zu kratzen. Ich schaute sie verwundert an.

Der Mörtel war wirklich nicht mehr sehr fest. Es dauerte nicht lang, da hatte sie schon die erste Gitterstange herausgezogen. Lautlos legte sie diese auf dem Boden. Wie gut sie das hinbekam. Ich wusste gar nicht, dass sie das konnte. Es ging zur zweiten Stange. Schnell drehte ich mich zur Gittertür und schaute hinaus. Es war niemand zu sehen. Da lag auch schon die zweite Stange auf dem Boden und sie bearbeitete die Dritte, während ich weiter Wache hielt.

„Woher kannst du das?“, flüsterte ich neugierig. „Sei Still! Achte lieber darauf, dass uns niemand bei der Flucht sieht!“, zischte sie mich an. Ich schluckte. Darauf war ich nicht vorbereitet.

Sie klopfte mir sacht auf die Schulter. Ich drehte mich um. „Ist da einer?“, flüsterte sie. Ich schüttelte den Kopf. Sie grinste mich an und deutete stolz auf das nun offene Fenster. „Komm!“, befahl sie und fing an durch das Fenster zu klettern. Die Kerkerzelle lag eine halbe Etage tiefer als das Erdgeschoss. Als wir hinauskletterten, krochen wir direkt auf den Boden herum. Reila bedeutete mir ihr zu folgen.

Wir robbten an der Mauer entlang bis zu einer Schießscharte. Da standen wir auf und versteckten uns darin. Ich merkte, wie mein Körper vor Aufregung bebte, während Reila ganz kühl und ruhig war. Sie schaute angestrengt hin und her.

Wir sahen auf Anhieb zwei Wachen am Haupttor und eine auf der Mauer, die nach außen sahen und uns somit alle den Rücken zukehrten. Ein Vierter gähnte am Eingangstor zum Gebäude.

Es war absolut Glückssache gewesen, dass er uns nicht kriechen sah, weil er der einzige war, der nicht mit dem Rücken zu uns stand. Er stand seitlich von uns. Wenn er sich umsähe, in dem Moment, wo wir weglaufen würden, würde er uns direkt sehen. Dieser Wächter stand nur zwei Meter entfernt.

Ich schaute Reila fragend an. Sie überlegte noch, blickte immer wieder angestrengt um sich und verschwand dann wieder kurz in der Schießscharte: „Wir müssen uns beeilen, bevor unser Verschwinden auffällt!“, flüsterte ich. Reila nickte: „Wir müssen die eine Wache an der Eingangstür ausschalten.“ Ich schaute sie entsetzt an: „Wie denn? Willst du sie töten?“ „Wenn es sein muss!“ Mein Gewissen meldete sich. Ich schüttelte den Kopf: „Nein. Lass sie uns ablenken.“

Ich spürte ihre weit aufgerissenen Augen, wie sie mich forschend ansahen. Und vernahm ein Schlucken. Noch bevor sie fragen konnte, kam ich ihr zuvor: „Wir müssen seinen Blick in die andere Richtung lenken und dann schnell laufen!“

Sie nickte.

Da ein Ton. Ich lächelte, sofort ging die Wache in die Richtung von uns weg: „Hallo! Wer ist da?!“, brüllte er. Wir flitzten leise in die andere Richtung und bogen um eine Ecke. So waren wir für die Wache nicht mehr zu sehen. Nur für wie lange, stellte sich die Frage. Ich nahm Reilas Fuß und stützte sie, sodass sie auf die Mauer hinaufkam. Ich ging einen Schritt zurück, nahm Anlauf und sprang. Meine Hände bekamen die Kante der Mauer zu fassen. Ich zog mich hoch. Reila zog an meinen Nachthemd, was nicht sehr hilfreich war, denn sie zog nur das Nachthemd nach oben. Sodass es mich fast entkleidet und einen Blick auf meine Schenkel zu ließ. Ich schaute sie böse an. Sie ließ los und sprang auf der anderen Seite der Mauer hinunter. Ich zog meine Beine über die Mauer und ließ mich ebenfalls zu Boden fallen. Schnell liefen wir in den Wald.

Noch nie war ich so glücklich, dass der Palast von hinten nur mit einer hohen Mauer umgeben war. Wir keuchten schon. Es war eine längere Strecke. Doch, als wir hinter einen Baum ankamen, konnten wir nichts vernehmen, dass auf eine Entdeckung unserer Flucht hindeuten würde.

Das Einzige, was wir hörten, war das Zwitschern von Vögeln und das Rauschen von Blättern.

Da fing Reila an zu kichern und ließ sich am Baum herunter rutschen.

Ich schaute sie verwundert an. Sie nahm die Hand und ließ sich sogar nun ganz auf dem Boden nieder und lachte immer lauter. „Reila!“, fauchte ich sie leise an: „Wenn sie uns hören?!“ Sie schaute mich vergnügt an: „Ja. Entschuldige. Nur…“, mehr konnte man nicht verstehen vor kichern.

„Wir müssen tiefer in den Wald.“, erklärte ich ihr und zog an ihrer Hand so, dass sie aufstand. Sie hörte einfach nicht auf zu kichern und am ganzen Körper zu beben. Was war nur los mit ihr?

Wir plagten uns stundenlang durch das Gestrüpp des Waldes. Es reichte zwar nur bis zu den Knien, aber ich war barfuß und das nicht mehr gewohnt. Jeder Schritt tat weh, wenn sich Steinchen in die Haut bohrten. Und die Dornen und Stachel ritzten mich und stachen in meine Unterschenkel. Reila dagegen hüpfte vergnügt voran. Ihr schien das nichts auszumachen. Bei einem See blieben wir stehen und ließen uns auf der Wiese nieder. Das erste Mal, dass ich seit unserer Flucht tief durchatmen konnte. Reila beruhigte sich langsam wieder. „Sie werden erst ab morgen früh nach uns suchen.“, erklärte sie noch immer lächelnd. Mir dagegen war gar nicht nach lächeln zu Mute. Mein Magen verkrampfte sich. Das würde nicht gut ausgehen.



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