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Verkehrtes Ich

von

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Reila war die ganze Zeit unten in der Schänke bis diese schloss. Sie hielt sich, soweit wie es ging, bedeckt und versteckte meist ihr Gesicht in der Kapuze ihres Umhanges. Dauernd schaute sie sich mit verschlagenem Blick kurz um, als ob sie verfolgt werden würde. Irgendwann seufzte ich genervt. „Was hast du?“, fragte ich sie zuversichtlich. Doch sie antwortete nur pampig: „Nichts!“

Sie brachte mich fast auf die Palme damit. Als wir etwas zu trinken serviert bekamen, schaute der Wirt uns verwirrt an. „Hat sie was?“, fragte er vorsorglich. Ich schüttelte den Kopf: „Nur ein wenig Verfolgungswahn…“ Irritiert musterte er Reila noch und ging dann weiter. „Möchtest du lieber ins Zimmer gehen?“, fragte ich sie fürsorglich, doch sie schien es, wie einen Schlag ins Gesicht, aufzufassen. „Wieso das denn? Ganz bestimmt nicht! Ich verstehe eh nicht, wieso wir hier sind! Wir hätten gar nicht erst in dieses Kaff gehen sollen!!“ Sie stand plötzlich rasch auf und ging schnellen Schrittes zur Tür hinaus. „Reila!“, rief ich, schmiss paar Münzen auf den Tisch und rannte ihr hinterher.

Sie stand draußen und atmete schwer. „Reila? Wir müssen nur eine Nacht hier bleiben. Das Zimmer ist bezahlt und wir können es abschließen. Morgen früh reisen wir direkt weiter!“

Sie schaute mir in die Augen. Ihre Augen schwammen in Tränen. „Es hat kein Fenster!“ „Wie?“, verdutzt stand ich da.

„Die Zimmer – Sie haben keine Fenster!“ Ich nickte. „Ich wusste nicht, dass das ein Problem sein würde. Aber es gibt eines mit Fenster. Ich spreche mit dem Wirt, dass wir in dieses Zimmer wechseln können. Mach dir also keine Sorgen.“, versöhnlich versuchte ich sie anzulächeln. Denn irgendwie musste ich mich ja gut mit ihr stellen. Sonst, so glaubte ich, würde es mit ihr unerträglich werden.

Dagegen war der Wirt nur schwer herum zu kriegen. Er schien ziemlich misstrauisch gegenüber Reila. Doch ich schaffte es, das Zimmer dennoch zu bekommen, auch wenn meine Geldbörse dafür so gut wie leer war. Reila wurde dann tatsächlich ruhiger. Ob es DAS Wert war?

Ich schaute in meine Tasche, als wir allein im Zimmer waren. Die Schänke hatte mittlerweile geschlossen. „Du bekommst das Geld zurück! Sobald ich auch Geld habe.“, sprach sie eintönig, während sie am Fenster stand und hinaus starrte. Sie legte sich nicht einmal hin. Sie stand die ganze Nacht nur da am Fenster und schaute hinaus.

Schon am frühen Morgen gingen wir wieder aus der Stadt hinaus. „Wir hätten direkt woanders hingehen sollen!“, zeterte Reila. Ohne Danke, ohne nichts. „Au ja! Nachtquartier mitten im Freien.“, rief ich sarkastisch. „Was ist so schlimm daran?“, frug sie mich ruhig. Ich biss mich wieder auf die Unterlippe und ging den Trampelpfad entlang, wie einst vor langer Zeit.
 

*Vergangenheit

Ich rannte so schnell es ging den Pfad entlang. Anfangs zögerte ich noch. Doch, als ich an den Wachen vorbei war, beflügelte mein Entschluss meinen Lauf. Meine Beine waren so geschwind, wie es nur ging. Doch waren sie keinen Schnee gewöhnt. Die Kälte trieb meine Füße an, aber nach einiger Zeit lähmte sie diese auch.

Und dann: Rutsch, der Länge nach lag ich im Schnee. In einer Biegung war ich ausgerutscht.

Es war kalt. Die Ledersachen hielten einfach keine Wärme im Körper und ließen die Kälte sofort durch. Im Dorf war es immer viel wärmer gewesen. Niemals hatte ich je so eine Kälte erlebt.

Ich wurde langsam unsicher und fing an meiner Entscheidung zu zweifeln. War es wirklich eine gute Idee gewesen? Schnell stand ich wieder auf und versuchte die Kälte und meine Gedanken von mir zu schütteln. Ich wollte es unbedingt schaffen!

Sofort rannte ich weiter, doch es wurde nur kälter und kälter. Und dann ging der Weg auch noch durch den Wald. Durch den Vollmond und den Schnee war es nicht mal wirklich dunkel, aber von hier und dort kamen düstere Laute. Wolfsgebrüll!

Die Angst beflügelte meine Füße, so dass ich noch schneller rannte und betete, dass der Wald bald wieder aufhören würde. Plötzlich sah ich das Ende des Waldes. Wie sehr freute ich mich. Doch am Ende stand ein Wolf, der mich anstarrte und anfing die Zähne knurrend zu zeigen. Ich kreischte vor Angst und war wie gelähmt.
 

*Gegenwart*

„Waren wir gestern nicht schon hier?“, frug Reila. „Wir sind gestern von einem anderen Trampelpfad auf diesen gekommen. Wir gehen den jetzt aber weiter, durch den Wald bis zur Hauptstadt des Landes!“, erklärte ich.

„Und was machen wir da?“ Ich musste kichern. „Was wohl? Wir suchen uns Arbeit.“ „In der Hauptstadt???“ Ich seufzte, ließ es aber dabei. „Wir müssen irgendwie die Zeit absitzen. Und ohne Arbeit sind wir so gut wie tot.“

So kamen wir in den Wald. Tagsüber war es ein schöner Anblick. Der Schnee lag auf den Bäumen und hier und dort flitzten Eichhörnchen über die Äste und den Boden. Es war kein großes Waldstück. Nicht mal zwei Stunden musste man da durch laufen.

Reila blühte auf. Ab und an zeigte sie auf ein Eichhörnchen und quietschte richtig fröhlich auf. Kurz vor Ende des Waldes lag ein Stein in Kreuzform. Er war eher ungeschickt geformt gewesen. Ich blieb traurig mit gesenkten Schultern davor stehen. Reila wunderte sich: „Nur hier ein Grabstein? Das wundert mich nun doch. Hast du den Toten gekannt?“ Ich seufzte und erinnerte mich weiter:
 

*Vergangenheit*

„Bleib stehen!“, schrie jemand. Schnelle Schritte hörte ich aus dem Wald. Doch genauso schnell fanden meine Beine sich und ich rannte weg – den Weg zurück. Der Wolf raste in dem Moment auf mich zu. Ich fiel hin. Panikartig drehte ich mich um und sah nur eine Lanze zwischen mir und den Wolf vorbeifliegen.

Der Wolf blieb stehen und blickte knurrend in die Richtung. Aus dem Wald trat ein älterer, kräftig gebauter Mann heraus. Viel kräftiger, als die dicken Wachen, und vor allem dünner und athletischer! „Ein Waldhüter!“, hauchte ich. Er nickte mir wohlwollend zu. „Du brauchst keine Angst zu haben!“, sprach er fürsorglich. „Aber renne bitte nicht weiter – sondern warte dort ruhig.“

Der Wolf tappte angriffslustig weiter nach vorne. Er knurrte den Waldhüter an. Dann ein Satz. Mit voller Wucht sprang das Tier wütend auf den Mann. Ich kreischte erneut. Der Waldhüter prallte gegen den monströsen Wolf und stieß ihn zurück. Das wütende Tier drehte sich wieder herum und rannte auf mich los. Der Waldhüter sprang nach, griff blitzschnell zu und bekam es grade nur noch an den Hinterpfoten zu fassen. Hastig riss er den Wolf zurück. Das Tier schnellte herum und biss ihn in den Arm. Er schrie auf. Schnell ließ er seine andere Hand los und fasste den Kopf des Wolfes und drehte ihm das Genick ab. Nur ein kurzes Aufheulen, dann war Stille. Das Tier bewegte sich nicht mehr.

„Was?“, konnte ich nur heraus stammeln. „Alles in Ordnung?“, fragte der Waldhüter mich fürsorglich. Zitternd zeigte mein Zeigefinger auf die klaffende Wunde an seinem Arm.

Der Waldhüter lachte auf. „Ha ha ha ha ha. Das ist eine Kleinigkeit. Ich hatte schon viele schlimmere Wunden!“ Er streichelte mir über den Kopf. „Nur Mut. Wir gehen am besten wieder zurück ins Dorf. Es ist schon sehr spät.“ Er stand auf und packte meine Hand.

„Nein!“, kreischte ich. „Ich will Kriegerin werden!!! Ich muss in die nächste Stadt!!“ Hastig versuchte ich meine Hand zurückzubekommen. Er schaute auf mich herab. Ließ dann aber los: „Dir ist klar, wenn du jetzt nicht mit mir zurückgehst, wirst du heute Nacht nicht wieder ins Dorf können. Ich muss zurück, sonst schließen sie die Tore nicht.“ Ich nickte hastig und selbstsicher den Kopf. Er seufzte: „Wie eine Kriegerin… Dann lass uns schnell den Wolf begraben.“ Ich hatte mich zwar darüber gewundert, aber es war wohl Sitte, einen Kadaver unter der Erde zu beseitigen. „Das muss so sein“, hatte mich der Waldhüter aufgeklärt.

Während er ein Grab aushob, suchte ich so etwas wie einen Grabstein. Ich versuchte mit dem Dolch der Wache aus einem Stein ein Kreuz zu formen. Kräftig schlug ich mit dem Dolch drauf ein. Ein Kreuz sollte es doch werden. Der Waldhüter war schnell mit dem Graben und legte den Wolf hinein. Schon bald wurde die ausgehobene Erde wieder auf das Grab geschüttet. Stolz präsentierte ich den Stein, der fast wie ein Kreuz aussah. Er lächelte und zeigte auf das Grab. Ich legte ihn darauf. „Möge er in Frieden ruhen. Ich muss nun wieder ins Dorf. Da vorne ist der Wald ja zu ende. Nun renne, damit du bald ankommst.“ Ich sah zu dem Waldhüter, er stand da und lächelte, sogar noch, als ich am Ende des Waldes war und weiter rannte. Immer weiter und irgendwann konnte ich ihn nicht mehr erkennen. Doch ich war mir sicher, dass er noch da stand.
 

*Gegenwart*

„Ja. Ein Wolf und ein Waldhüter liegen dort“, erklärte ich knapp. Ich war dem Waldhüter nie wieder begegnet und wusste, dass er an der schrecklichen Wunde gestorben war, die ihm der Wolf zugefügt hatte. Und jedes Mal, wenn ich an diesem Kreuz vorbeikam, wurde ich schmerzlich daran erinnert. Wir gingen weiter, aus dem Wald hinaus, bis wir auf dem befestigten Weg waren. „Dort hinten bei den Türmen kannst du unsere Hauptstadt sehen.“, ich zeigte auf die Stadt in der Ferne. Reila murmelte irgendwas. Als ich sie ansah, lächelte sie wieder. Wir zogen in Ruhe weiter. Ganz gemütlich schlenderten wir den Weg durch weite Wiesen und an Anwesen entlang. Links und rechts waren Höfe mit Tieren auf den Weiden.

„Hier sieht es aber nicht nach Krieg aus!“, stellte meine Mitreisende fest. Ich schüttelte den Kopf: „Das wirkt nur so. Die Steuern sind immens und viele Tiere wurden vom Adel schon eingezogen!“ „Ach so?“ Die Weiden waren üppig, aber vom Müller wusste ich, dass es nur das Land war, dem es gut ging, nicht dem Volk. Der Krieg zog alle Ressourcen, die das Land hatte, an sich. Das Land war reich gesegnet, aber durch den Krieg wurde es immer ärmer. Die Menschen trauten sich kaum noch etwas zu. Viele Männer und älteren Söhne waren an die Front gegangen und waren sogar teilweise eingezogen worden, um dem Treiben ein schnelles Ende zu geben. Doch dadurch ließen sie die Frauen und Kinder allein und es dauerte Monate. Noch immer war kein Ende in Sicht.

Den Stadteingang schützte ein Eisentor, welches abends geschlossen und morgens geöffnet wurde. Wachen liefen ständig in der Stadt herum. Ihren Augen entging wenig, was innerhalb der Stadt geschah.

In der Stadt war viele Menschen unterwegs. Auf dem Markt herrschte ein regelrechtes Getümmel. Man konnte kaum aneinander vorbeigehen. Quer durcheinander priesen die Marktschreier ihre Ware an. Man verstand kaum sein eigenes Wort. Die Kinder rasten an einem vorbei, ohne auch nur an andere zu denken.

Wir gingen zu einer Wand, an der viele Zettel hingen. „Was ist das?“, fragte Reila. Ich kicherte: „Unser Arbeitsamt. Wer einen Job zu vergeben hat, schreibt einen Zettel und hängt den hier auf und wer Arbeit sucht, liest die Zettel durch und nimmt sie herunter!“ Verwirrt und zweifelnd schaute sie mich an. „Sehr schlechtes System.“, bemerkte Reila zögernd. Ich lachte herzhaft. „Ja! Es ist ein verdammt schlechtes System!“
 

*Vergangenheit*

Als ich in der Stadt ankam, war ich überwältigt. Noch nie hatte ich so viele Leute auf einmal gesehen. Einige mit knallbunten Kleidern und einige gekleidet in schlichtes Braun oder in Grautönen. Dazu noch die verschiedensten Klamotten. Kurze Röcke – lange Röcke, kurze Hosen, Rüstungen. Bis dahin hatte ich immer nur Lederrüstungen gesehen, noch nie welche aus Metall, die fast jeder dritte Mann trug. Aber sogar diese waren in den verschiedensten Formen und Farben gehalten: Dunkelgrau, Hellgrau, weiß, Gold, Kupferfarbig, mit Juwelen bestückt oder bemalt, und vieles mehr.

Ich sollte einen alten Krieger finden. „Ältester“, erinnerte ich mich. So sagte der Obmann. Doch überall die neuen Gerüche, die neuen Sachen, sie lenkten ab. Es dauerte eine Weile bis ich mich an meine „Mission“ wieder erinnerte. Als ich ankam, hatten wir schon frühen Vormittag und als ich den Brunnen in mitten des Marktes fand, war es früher Abend.

Ich traute mich nicht an ihn heran. Es war ein wirklich alter Mann. Er trug ein weißes Gewand. Es war lang. Unter der Kapuze schauten zwei müde Augen heraus, umgeben von weißem Haar. Dazu trug er einen langen Bart. Er erblickte mich schnell. Schüchtern und leicht eingeschüchtert stand ich zwei Meter von ihm entfernt. Er winkte mich an sich heran. Kleinlaut ging ich vor und murmelte etwas.

Der Älteste lächelte und meinte: „Wenn du möchtest, dass dich jemand versteht, musst du lauter reden.“ Ich schaute ihn verzweifelt an. Es dauerte eine Weile, bis sich mein Mut fand und stotterte: „Der Obmann sagte wenn ich Krieger werden will, müsste ich bei dir vorsprechen.“ Er lachte: „Ja, das muss man! Denn ich entscheide, wer sich Krieger nennen darf und wer nicht.“

Er stellte mir ein paar moralische Fragen, die ich allesamt richtig zu beantworten schien. Denn er stellte nach jeder Antwort eine Neue. Dann kicherte er amüsiert: „Schwörst du deine Kraft und das Wesen des Kriegers nur zum Wohle unseres Volkes einzusetzen? Und die Schwächeren zu beschützen? Doch rate ich dir vorher: niemals leichtfertig zu schwören!“ Den letzten Satz sprach er mit einer großen Ernsthaftigkeit. Ich überlegte und wog ab. Krieger sein, würde heißen: so stark wie der Waldhüter. Aber nochmals nachts im Wald sein? Das machte mir eher Angst.

Als er mich so angestrengt nachdenken sah, lachte er auf: „Ich sehe schon! Du bist schon jetzt ein Krieger. Denn ein Krieger überlegt wohl, was er tut. Nur, wenn jemand um Hilfe brüllt, hilft er ohne darüber nachzudenken, ob er es überhaupt schaffen würde.“ Da erhellte mein doch müdes Gemüt „Ich schwöre!“

Er nickte wissend „Der Obmann hat ein gutes Gespür für Krieger.“

Er reichte mir eine Lanze und einen Dolch. „Beim Schuster bekommst du beim Vorzeigen des Medaillons…“ Er hielt ein Medaillon hoch „… ein paar Schuhe und einen Rucksack. Alles Andere musst du dir leider allein dazuverdienen. Nur Waffen, Ledersachen und Schuhe werden aus der Kriegskasse bezahlt, außer du dienst an der Front. Arbeit findest du an der Wand da.“ Er zeigte zu einer Wand, die voller Zettel hing. Wohlwollend lächelte er, als er fragte: „Kannst du lesen? Wenn nicht, frag jemanden. Viele hier können lesen und irgendwann hast du es von allein gelernt. Und nun auf zum Schuster, deine Füße sind schon rot-blau.“, erklärte er und gab mir einen leichten Klaps auf den Po.

Ich lief los, einen Schuster zu suchen. Bald hatte ich einen gefunden. Die Aushängeschilder halfen mir sehr dabei.

Als ich Schuhe bekam, betrachtete ich erst mal stolz die neuen Lederschuhe an meinen Füßen, dankte dem Schuster und lief zurück zum Ältesten. Bei ihm stand ein Waldhüter. Nicht der vom letzten Abend. Dieser hatte nur dieselbe Uniform an, war sogar viel jünger. Sie schienen sich zu unterhalten. Ich wollte nicht stören und blieb deshalb ungefähr zwei Meter von ihnen entfernt stehen.

Den Waldhüter hörte ich sagen: „Er lag auf einem toten Wolf in einem Grab mit dem Zettel in der Hand.“ Der Mann reichte dem Ältesten einen Zettel. „Wir haben seinen letzten Wunsch erfüllt. Nur tragisch, dass er an der Bisswunde gestorben ist. Er hätte es noch bis zum Dorf schaffen können. Aber er schien irgendwas noch mit letzter Kraft zu beschützen.“ Eine bedrückte Miene durchzog die Mundwinkel des Ältesten. „Hm... Wohl das Mädchen… Sie sollte es nicht erfahren.“ „Jawohl.“, da drehte sich der Waldhüter um. Er und der Älteste erblickten mich. Sie schauten mit direkt in die Augen. Fassungslos und kreidebleich war ich schon zu Boden gesunken. Tränen kullerten aus meinen Augen herunter und wie betäubt hauchte ich: „Er starb um mich zu retten?“
 

*Gegenwart*

Reila sah einen Zettel nach dem Anderen an. „Und? Schon etwas gefunden?“, fragte ich. Sie lachte: „Du Dummerchen! Wie denn? Ich kann doch nicht lesen!“ Erschrocken wanderte mein Blick zu ihr. „Nicht? Wieso nicht?“ Sie zuckte mit der Schulter: „Habe ich eben nie gelernt.“ Ich ließ es, wie immer, dabei. Da entdeckte ich einen Auftrag, der gut klang und las ihn laut vor: „Hier: Habe Familienamulett verloren. Zahle dreißig Silber“ Ich zeigte Reila den Zettel, die missmutig drauf schaute. „Und?“, fragte sie. Ich grinste sie an. „Das suchen wir jetzt. Das Bild darauf müsstest sogar du verstehen. Und vier Augen sehen mehr als zwei.“

„Steht da denn wo?“, ihre ablehnende Laune war fast ansteckend. „Würde er es wissen, stände es hier. Hier steht nur: Hatte es, als ich in die Stadt kam, noch.“ „Vielleicht hat sich ja ein Dieb bereichert.“ Ich kicherte. „Bestimmt nicht. Ich würde eher davon ausgehen, dass es in der Nähe des Glücksbrunnens ist. Dort schauen viele ins Wasser und so manche haben dort schon irgendwas verloren.“

Wir waren dahin gegangen. Reila bewunderte sogar, wie gut ich mich hier auskannte. „Weißt du? Jeder kehrt immer wieder zum Stadtplatz zurück.“, erklärte ich ihr. Wir untersuchten den Brunnen. „Ursprünglich wurde er angelegt um die Stadt mit Wasser zu versorgen, doch seit gut hundert Jahren nutzte ihn dafür niemand mehr. Also beschloss der Stadthalter damals diesen zuzupflastern, weil wohl vorher einige Kinder hineingefallen und darin ertrunken waren. Seitdem werfen manche ein paar Taler mit einem Wunsch hinein. Mit der Zeit wurde er zur Attraktion und man hatte ihn geschmückt. Zumal, wieso auch immer, das Gerücht, er würde Wünsche erfüllen und zu Glück verhelfen, kursierte.“, erklärte ich.

Als wir das Amulett in einer Spalte des Glücksbrunnens fanden, fragte Reila mich plötzlich apathisch: „Hast du dir hier mal was gewünscht?“ Ich schaute sie an. Betrübt und nachdenklich schaute sie ins Wasser. „Reila? Wünsche gehen eh nie in Erfüllung. Das Leben ist einsam und trostlos. Es verbirgt nichts, wofür es sich irgendwie zu leben lohnt. Nur der Lebensweg. Und die Hoffnung stirbt zuletzt! Und ich bin irgendwie ein Dauerpechvogel! Es wäre also nur verlorenes Geld.“, verkündete ich, sie anlächelnd, meine Meinung. Sie schaute mich entsetzt an: „Glaubst du überhaupt an irgendwas? Oder ist das alles für dich nur dummes Zeug. Gibt es nur die Dinge, die du anfassen kannst?“

Aufgebraust schaute sie mich wütend an. Ich biss mich auf die Unterlippe und ging in Richtung des Gasthauses, das auf dem Auftragszettel angegeben war. „He! Antworte mir!“, sie riss mich am Arm herum. Meine Unterlippe blutete schon. „Ich…“, meinte ich ruhig und gelassen: „Glaube nur an das Wesen der Menschen. Alle töten, wovor sie Angst haben. Nur selten gibt es welche, die das erforschen. Und diese werden logischerweise gelyncht. Das ist das Wesen der Menschheit. Des eigenen Nutzen wegen.“

Sie prustete los: „Ja klar! Und was bist du dann? Ein Samariter?“ Ich verstand sie nicht. „Ich kenne dich! Das ist nicht DEIN Wesen. Sonst hättest du mich auch getötet! Der Hexenmeister konnte es nicht. Du aber jederzeit! Und du hast auch Angst vor mir!“

Nur wenige Zentimeter trennten unsere Gesichter. Ihre funkelnden Augen starrten ernst in die Meinigen. Sie hauchte gefährlich: „Das kannst du nicht glauben, denn so bist du nicht. Und das weißt du. Und genau DAS macht dir doch Angst!“ Ich biss mich wieder auf die Unterlippe. „Ich weiß.“, sprach Reila plötzlich ablehnend, ließ mich los und ging einen Schritt zurück: „Ich verstehe das alles nicht.“

Wir erhielten den Finderlohn für das Amulett und waren wieder einmal vor der Wand um Arbeit zu suchen. Wobei nur ich suchte, da Reila ja angeblich nicht lesen konnte.

Lange Zeit hat keiner von uns gesprochen, bis Reila auf einmal feststellte: „Wir sollten irgendwo unterkommen. Es wird schon dunkel.“ „Es reicht nicht für eine Unterkunft mit Fenster.“, bemerkte ich. Sie schaute verblüfft auf mich: „Dann gehen wir in eine ohne Fenster.“ Sie zuckte mit der Schulter. Ich fühlte mich betrogen und funkelte sie an: „Auf einmal?“ Sie schaute weg und sprach entschuldigend: „Bei der Letzten war es was anderes. Hier ist es kein Problem. Frag bitte nicht nach.“ Ich nickte und ließ es dabei. Doch genau dann fand ich den richtigen Zettel: „Suche zwei Leute für Scheunen-Reparatur. Übernachtung, während einer zügigen Reparatur, in der Scheune erlaubt.“

Reila jubelte: „Das hört sich doch perfekt an. Kannst du reparieren?“ Ich nickte erfreut und wir zogen los, um den Auftrag anzunehmen, denn es war nicht sehr weit. Nur fünf Höfe entfernt, das war grade mal sechzig Minuten Fußweg. 



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Wunderbeerchen
2018-10-02T18:50:00+00:00 02.10.2018 20:50
Oh nein der arme Wolf und der arme Waldwächter... aber das war damals zu der Zeit eben so...
Zwischenzeitlich habe ich wirklich gedacht ich wäre in einem Mittelalter Videospiel :) Ich kenne ein paar Rollenspiele für Konsolen, wo man auch auf die gleich Weise Arbeit finden kann :) und musste da die ganze zeit dran denken :D
immer schön spannend gehalten und immer wenn man meint die Antwort auf eine Frage gefunden zu haben kommen ein paar neue auf :D Bin gespannt wie es weitergeht :) bis zum nächsten mal
LG Wunderbeerche
Antwort von:  Sains
05.10.2018 04:35
Die Weise von "Arbeitsfindung" hab ich mir eher vom REWE abgeguckt. Da gibt es ja immer ein Bord am Eingang, wo man "Suche" und "Biete" Zettel hintun kann XD Bei uns steht manchmal: "Suche jemanden zum Rasenmähen" Oder "Suche Job zum Babysitten"....
Aber eins muss ich gestehen... Antworten auf alles wird es nicht geben^^
Es ist ja aus Leiras Sicht geschrieben. Und auf manches gibt es eben keine Antworten ;( Arme Leira....


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