Stranger von KiraNear ================================================================================ Kapitel 1: Stranger ------------------- Langsam schiebst du dich durch den dünnen Gang, darauf achtend, dass dein Rucksack an keinem abstehenden Stein hängen bleibt. Orangerote Wände, auf beiden Seiten und mehrere Meter hoch, bestehend aus Salzstein. Doch genau diese Wände sind dein Ziel, nur deshalb hast du dich für fünf Stunden in einen Flieger und einen alten, klapprigen Bus gesetzt und deine kleine Heimatstadt hinter dir gelassen. Oft genug hast du dir Bilder angesehen, ob nun in einem veralteten Reiseführer in der Bücherei oder im Internet. Umso mehr Bilder du betrachtet hast, desto größer wurde in dir der Wunsch, eines Tages dorthin zu fahren und eigene Fotos von den beeindruckenden, unförmigen Wänden zu schießen. So hast du dir immer wieder ein wenig Geld zur Seite gelegt, bis du dir den Flug über das halbe Land leisten konntest, mit einer anschließenden Fahrt im restaurierungsbedürftigen Bus. Nun stehst du hier, beindruckt von der wahren Schönheit, die keine Kamera der Welt einfangen könnte und dein Gefühl sagt dir, dass sich die lange Reise bereits jetzt gelohnt hat. Wie auch die Tatsache, dass du von deinen Eltern erst vor kurzem eine neue Kamera bekommen hast, mit der du bereits einige zufriedenstellende Bilder machen konntest. Du spielst sogar mit dem Gedanken, das eine oder andere Foto als Poster ausdrucken und im Wohnzimmer aufzuhängen. Doch noch kommt es für dich noch nicht in Frage, diesen Ort bereits wieder zu verlassen, zu neugierig gehst du immer tiefer und tiefer in den Canyon.   Ein sanfter Wind streicht dir durchs Haar und du bist dankbar für den Regen, der am gestrigen Tag die nähere Landschaft abkühlen konnte. Auch wenn sich der Weg im Canyon zum größten Teil im Schatten befindet, so dringt auch hier das warme Bergklima herein. 71,6 Grad Fahrenheit zeigt dir eine App – eine annehmbare Temperatur für einen schönen, sonnigen Junitag. Natürlich ist das Handy nicht in der Lage, die Temperatur exakt wie ein richtiges Thermometer zu messen. Doch auf die wenigen Grad Unterschied, die meist nur um ein paar Nachkommastellen nach oben oder unten abwichen, kommt es deiner Meinung nach auch nicht mehr an. Zumal sich die gefühlte Temperatur auch noch einmal von der tatsächlichen unterscheidet. Je weiter du in den Canyon vorrückst, desto schlechter wurde dein Handyempfang. Schließlich verschwindet der Empfangsbalken vollständig, doch auch das hält dich, deine Neugierde und auch deinen Forscherdrang nicht auf.   Immer tiefer und tiefer führt dich dein Weg, hier und da kann man vereinzelte Fußabdrucke erkennen, die meisten von ihnen hatten jedoch einen Pfad gebildet, welchem du nun folgst. Steil, kurvig und in jeder Ecke einzigartig- immer mehr und mehr füllt sich der Speicher deiner kleinen Kamera. Hier und da gibt es Abzweigungen, Weggabelungen und kleine Nebenpfade; kleine Kopien des großen Hauptpfads. Doch keiner dieser Pfade füttert deinen Wissensdurst, im Gegensatz zu vielen anderen Besuchern, die dort ebenfalls kleine Wege in den Boden getreten hatten. Stattdessen zwängst du dich durch einen unbedeutenden, dunklen und gekrümmten Weg, teilweise schleifst du deinen Rucksack seitlich neben dir her und ziehst deinen Kopf ein, um dich nicht an den tiefen Decken zu verletzen. Immer mehr wurde dir klar, warum sich wohl die meisten Menschen dagegen entschieden hatten, diesem kleinen Weg zu folgen. Doch genau das weckt deine Ungeduld in dir, bis du dich am Ende nur noch langsam zwischen den Wänden entlang schieben kannst. Es dauert ein paar lange Minuten, bis sich der Spalt vor dir öffnet und wieder etwas breiter wird. Einige Kurven und noch mehr Zeit später bist du sogar in der Lage, den Weg normal weiter zu gehen.   Staunend betrachtest du den rot-orangefarbenen Sand, der sich auf deine Kleidung, deine Hände und dein Gesicht absetzt. Sachte klopfst du ihn dir runter. Diesen Ort hat offensichtlich noch kein Mensch vor mir betreten, fährt dir durch den Kopf. Vorsichtig, um keine wilden Tiere zu verschrecken oder keinen Unfall zu bauen, siehst du dich um. Dabei nimmst du jedes Detail auf, sowohl mit deinen Augen, als auch mit deiner Kamera. Dankbar denkst du an den Vorabend zurück, an welchem du sie noch einmal aufgeladen hast, wie auch an die Ersatzspeicherkarte im Rucksack. Als hättest du es im Gespür gehabt, dass du sie möglicherweise brauchen wirst. Die Wände fühlen sich kühl an, nur wenige Bereiche in Bodennähe werden von den herabscheinenden Sonnenstrahlen erwärmt. Immer breiter werden die Gänge, man könnte auch mit mehreren Personen nebeneinander laufen, ohne dass sich jemand über Platzprobleme beschweren müsste. Das müssen mindestens 19 Fuß sein, betrachtest du eine der breiteren Stellen, bevor du deinen Weg fortsetzt. Ein seltsames Gefühl breitet sich über deinen Nacken aus und wandert den Rücken herunter. Kaum hast du den engen Gang hinter dich gelassen, kommt dir die Gegend seltsam ruhig vor. Während du in dem vorherigen Teil einzelne Tiergeräusche, wie das Zwitschern eines Vogels oder das Geräusch einer kleinen Wüstenmaus hören konntest, herrscht hier nun absolute Stille. Beinahe eine gespenstische Stille. Dein Gefühl sagt dir, dass du hier nicht sein solltest. Dass niemand hier sein sollte und gerade das regt deine Neugierde noch mehr an. Irgendwas ist hier … falsch. Ich kann es nicht genau festlegen, was. Aber irgendwas stimmt hier doch nicht.   Dein Verdacht verschärft sich, als du die ersten Löcher in den Canyon-Wänden entdeckst. Viele davon waren kreuz und quer über die Wände verteilt. Manche sind gerade einmal einen halben Meter über dem Boden, andere weit oben, fast an der Spitze und der Rest dazwischen. Auch ihre Formen passten nicht zueinander. Dünne, kleine, große, schiefe … fasziniert siehst du dir diese seltsamen Löcher an. Für einen Moment überlegt du dir, ob du dir eines der unteren Löcher näher ansehen solltest, belässt es jedoch mit einem schüchternen Blick mit deiner Taschenlampe. Weder kannst du ein schlafendes Tier darin entdecken, noch etwas anderes. Ob das hier wohl ein Kunstprojekt sein soll? Aber warum all diese Löcher? Ob sie alle natürlichen Ursprungs sind? Oder doch von Menschenhand geschaffen? Immerhin sehen diese Löcher so humanoid aus. Vielleicht gehört es auch zu einem verlassenen Filmset. Auf jeden Fall muss ich Ryan davon erzählen … der wird mir das nie glauben. Neugierig, aber auch mit Unbehagen, fotografierst du die seltsamen Löcher aus allen erdenklichen Ecken und Winkeln. Ob diese seltsamen Löcher der Grund dafür sind, dass es hier so mausetot ist? Verschreckt das die Tiere, die hierherkommen? Lange betrachtest du die wenigen Gänge, die von deinem jetzigen Aufenthaltsort wegführen und entscheidest dich dafür, einem von ihnen zu folgen. Auch hier war die Wand mit den tiefen und dunklen Löchern verziert und du kneifst dir nicht nur einmal in die Wange, um dich aus einem eventuell seltsamen Traum zu wecken. Es kam dir vor, als wärst du in einer anderen Dimension gelandet. Oder in einer alternativen Wirklichkeit. Der Realist in dir jedoch sagt dir, dass das hier lediglich eine Gegend ist, in die bisher wohl noch kein oder wenige Menschen vorgedrungen waren. Dass es für die seltsamen Löcher einen Grund geben muss. Die wenigen, die bereits einmal hier gewesen waren, waren vermutlich zu verschreckt oder verstört, um darüber zu berichten. Wenn bereits jemand an diesem Ort gewesen war. Unsicher blickst du dich um. Was dich hier wohl erwarten würde? Trotzdem setzt du deine Tour durch die unbekannte Fremde durch, wenn du hier schon einmal bist, dann möchtest du auch alles sehen.     Noch immer betrachtest du die Löcher mit einer Mischung aus Abscheu und Faszination. Bis dir schließlich ein Licht aufgeht, was dich die ganze Zeit an ihrem Anblick stört. Wer oder was auch immer diese Löcher verursacht hat, hatte absolut keinen Sinn für Symmetrie. Auch hier bemerkst du all die seltsamen Löcher und dein Gefühl sagt dir, je weiter du dem Pfad folgst, desto unförmiger sehen sie aus. Gerade zu grotesk, als wären sie der stumme Aufschrei eines Kunststudenten. Ein Aufschrei nach Menschlichkeit? Du kannst es nicht sagen. Dass die Löcher merkwürdig aussehen, darüber bist du dir dagegen sehr sicher. Bei einen von ihnen konntest du sogar erkennen, dass es zwei Köpfe besaß. Ebenfalls fallen dir auch die kleinen, merkwürdigen Türme auf, die hier und dort im Gestein steckten. An ihrer Spitze thront ein roter, rubinförmiger Stein, welcher in der Sonne rot glitzert. Was sich dagegen in den Türmen befindet, ist dir nach wie vor ein Rätsel. Sie sind intakt, aber wurden offenbar schon lange nicht mehr benutzt. Wofür? Hat man hiermit die Löcher gebohrt? Waren diese Beine dafür da, dass sie in die Wände entlang klettern konnten? Aber wer macht sowas? Warum bohrt man seltsame Löcher und vertuscht es anschließend? Sehr merkwürdig… Langsam bekommst du das Gefühl, dass du an diesem Ort nicht sein solltest. Dass du hier nicht erwünscht bist. Dennoch kannst du dich nicht stoppen, du musst immer weiter gehen. Wenn ich schon mal hier bin, dann kann ich mich ja noch ein wenig umsehen. Es war ja ein Versehen, dass ich hier gelandet bin. Zur Not werde ich mich schon irgendwie erklären können … wenn überhaupt. Hier war offenbar schon lange keiner mehr, hier auf jemanden zu stoßen wäre schon ein ziemlicher Zufall. Vorsichtig lauscht du in den sachten Wind, doch noch immer überträgt er kein Geräusch. Selbst nach wenigen Minuten stellst du fest, dass du nach wie vor alleine an diesem seltsamen Ort bist. Obwohl du darüber ein wenig erleichtert bist, bist du dir uneinig, ob das nun ein gutes Zeichen ist oder nicht. Viele Theorien darüber, wie die Löcher in den Wänden entstanden sein könnten, fahren dir durch den Kopf, bis du schließlich auf eine Weggabelung triffst. Der eine Weg führt hinauf auf eine höhere Ebene, vermutlich sogar bis auf die Spitze des Canyons. Oder zumindest einen höher gelegenen Teil. Der andere Weg dagegen führt immer tiefer in den Canyon selbst hinein. Da es dort offenbar nur sehr wenig Spalten zwischen dem Gestein gibt, gelangt nur sehr wenig Sonnenlicht hinein und dir fällt es nicht schwer, die entsprechende kühle, schattige Temperatur in diesem Gang vorzustellen. Doch das reizt dich nicht, selbst bei diesen Temperaturen nicht. Die Vorstellung, diesen seltsamen Teil des Canyons auch aus einer höheren Perspektive fotografieren zu können und zwar ganz ohne Drohne, lässt dich dagegen vor Freude fast schreien. Was du am Ende lieber bleiben lässt, dazu ist dir die Gegend dann zu unheimlich und was auch immer sich hier möglicherweise befindet, es muss nicht wissen, dass es längst nicht mehr alleine ist. So entscheidest du dich, den Weg hinauf zu folgen und kaum, dass du in mehr und mehr Sonnenlicht getaucht wirst, bist du um deine Sonnenbrille froh. Geblendet setzt du sie dir auf und machst weitere Fotos von den Wänden, dieses Mal frontal. Auch bist du froh, dass du eine Digitalkamera dabei hast, denn so konntest du erkennen, ob die Fotos gelungen sind oder ob du sie erneut, mit einer anderen Einstellung, schießen musst. Doch das Gegenteil war der Fall und so setzt du frohen Mutes deinen Weg fort.   Kaum hast du die „Decke“ des Canyons erreicht, weht dir ein frischer, angenehmer Wind um die Nase. Erst jetzt stellst du fest, wie kalt es noch vor wenigen Minuten in den Canyonspalten ist, kaum hatte die Sonne dich komplett in ihre warmen Strahlen gehüllt. Erfreut und voller Neugier siehst du dich um, bereit ein paar Fotos zu schießen. Doch anstatt ein paar weitere Erinnerungen für die Ewigkeit auf die Karte zu bannen, lässt du deine Kamera sinken. Für einen kurzen Moment musst du schlucken, auch wenn du dir nicht erklären kannst warum. Dort, am Rand des Canyonrand, sitzt eine ziemlich große Person mit langen, beigefarbenen Haaren. Ob es daran liegt, dass du an diesem Ort nicht damit gerechnet hattest, tatsächlich auf jemand anderen zu treffen, das konntest du auch später nicht wirklich sagen. Oder ob du einfach nur niemanden treffen wolltest. Ob dieser Person dieser seltsame Ort gehört? Oder ob sie nur ein neugieriger Tourist ist wie ich? War er oder sie schon länger hier? Bestimmt weiß der Fremde schon längst, dass ich hier bin. Oder vielleicht auch nicht, dann hätte er ja auf mich reagiert. Vielleicht hört er ja auch gerade Musik und hat mich deshalb nicht gehört. Unsicher, wie du nun reagieren sollst, haderst du mit dir herum. Sollst du nun die fremde Person dort am Rand ansprechen oder nicht? Oder sollst du sie lieber in Ruhe lassen? Doch noch während du überlegst, was die beste Antwort auf diese Fragen wären, dreht der Fremde seinen Kopf dezent in deine Richtung und seine Stimme verrät dir, dass der Fremde wohl in Wirklichkeit eine Fremde ist. „Sag mal, wie lange willst du da noch herumstehen und so tun, als hätte ich dich nicht bemerkt?“ Erschrocken über die Direktheit und Härte in der Stimme bleibst du stehen. Sorgfältig durchforstest du dein Gedächtnis, ob du irgendeinen verdächtigen Laut von dir gegeben hast, kommst allerdings zu dem Schluss, dass du dich relativ ruhig verhalten hast. Gleichzeitig wunderst du dich über die einschüchternde Wirkung, die diese Stimme auf dich hat. Ob vor dir die Anführerin einer Bande sitzt? Oder es ist einfach nur eine Wanderin mit sehr viel Selbstbewusstsein … Was auch immer sie war, du willst es herausfinden.   Du willst es gerade aussprechen, ihr neugierige Fragen stellen, als sie dir ein weiteres Mal zuvorkommt. „Jetzt sag schon, was willst du hier?“ Die Ungeduld in der Stimme der Fremden treibt dich weiter in ihre Richtung und das Bedürfnis, dich ihr zu erklären, wächst weiter an. Räuspernd beginnst du dich zu entschuldigen, auch wenn du den Grund dafür nicht erkennst. „Ich … ich bin gerade dabei, die Gegend zu erforschen und bin auf diese seltsamen Löcher in der Wand gestoßen. Da ich gesehen habe, dass es auch einen Weg auf den Canyon gibt, dachte ich, es wäre ziemlich praktisch, wenn ich auch von oben ein paar Bilder davon schießen könnte.“ Wie um einen Beweis vorzulegen, hebst du deine Kamera hoch. Der Kopf der Fremden dreht sich noch weiter zu dir und du kannst ein orange-gelbes Auge erkennen, welches dich voller Abscheu betrachtet. Doch dann lockert sich der Blick und die Fremde beginnt zu kichern. „Seltsame Löcher…“ Amüsiert unterdrückt sie ein Lachen. „Ihr Menschen seit wirklich einfältig, nur, dass ihr euch nun ein wenig zivilisierter benehmt. Aber ja, einmal ein einfältiges Volk, immer ein einfältiges Volk. Ein Wunder, dass es deine Spezies bis heute überlebt hat.“ Verwirrt über ihre Worte, betrachtest du die Fremde näher und die fällt auf, dass sie mehr als seltsam aussieht, jetzt, wo du mehr zu Gesicht bekommst, als ihre langen, ungebändigten Haare. Ihre orangefarbene Körperfarbe, die rote Hand und die seltsame Kleidung, die sie trägt. „Wer oder was bist du?“, fragst du offen, mit einem leichten Ziehen in der Magengegend. „Weißt du etwas über diese Löcher? Kannst du mir bitte etwas dazu sagen? Ich verspreche, dass ich es keinem weitererzählen werde, Geheimnisse sind bei mir gut aufgehoben.“  Verächtlich beginnt die Fremde zu schnauben, doch das Grinsen in ihrem Gesicht bleibt. „Ihr Menschen seid wirklich armselig … natürlich weiß ich etwas über diese Löcher, aber ich wüsste nicht, warum es dich etwas angehen sollte. Und auch, wer ich bin, hat dich nicht zu interessieren.“ Du wartest noch ein paar Sekunden, für den Fall, dass die Fremde noch etwas sagen möchte, doch diese schweigt wieder vor sich hin. Seufzend willst du die Sache auf sich ruhen lassen und die Fotos schießen, der Grund, weshalb du überhaupt aufs „Dach“ gegangen bist.   „Macht es dir was aus, wenn ich mich ein wenig hier her setze?“, fragst du die fremde Person, wartest jedoch keine Antwort ab und setzt dich wenige Meter neben ihr an den Rand. Die Fremde bekommt dies zwar mit, rührt sich allerdings nicht von der Stelle. Stattdessen beobachtet sie dich aus den Augenwinkeln, wie du die mysteriösen Löcher in der Wand fotografierst und gleichzeitig darauf achtest, nicht über den Rand in den Canyon zu fallen. „Sag mal, was machst du eigentlich, Mensch?“, fragt sie dich nach einer kleinen Weile. Du hast gerade an den Einstellungen herumgespielt und möchtest es nun mit einem anderen Lichtfilter versuchen. „Nun ja, ich habe versucht, ein paar Fotos von diesen wunderschönen, aber auch merkwürdigen Löchern in den Wänden zu machen. Wenn du mir schon nicht verraten möchtest, was sie sind, dann möchte ich wenigstens ein paar Bilder davon machen und mir meine eigene Theorie aufstellen können.“ Mit der Reaktion, die nun von der Fremden kommt, hättest du nicht gerechnet. Du dachtest, sie würde wieder mit den Schultern zucken und wieder schweigen. Stattdessen begann sie laut zu lachen, stand auf und winkt dich zu ihr heran. „Sag mir, meinst du das etwa wirklich ernst? Denkst du wirklich, dass diese Löcher dort unten einen tieferen Sinn haben? Nein, vergiss es, egal, wie sehr du dieses kleine fleischige Ding in deinem Kopf, dass ihr Menschen Gehirne nennt, anstrengst, du wirst die Bedeutung nie verstehen. Und meinst du das wirklich, dass du diese … Löcher dort unten wirklich als wunderschön betrachtest? Kann es sein, dass du noch nie in deinem Leben Perfektion gesehen hast?“   Verwundert über die Frage, drehst du dich um und versuchst, deine Reaktion zu unterdrücken. Das Gesicht der Fremden sieht genauso kunterbunt aus wie ihr Arm, überhaupt scheint ihr gesamter Körper mit orangenen Tönen gefärbt zu sein. Ihre Kleidung besteht, soweit du es beurteilen kannst, aus einem praktischen Ganzkörperanzug, welcher komplett aus rot-braunen Farbtönen besteht. Lediglich die gelbe Raute auf Brusthöhe sticht heraus. Doch nicht nur das ist auf auffällig: Dort, wo andere Frauen ihre Brüste haben, ist bei ihr nichts zu sehen. Keine Anzeichen einer menschlichen Brust, stattdessen glich es dem Oberkörper eines Mannes. Am markantesten sind jedoch die roten Streifen in ihrem Gesicht wie auch der diamantförmige Stein, welcher sich an der gleichen Stelle befindet wie bei anderen Menschen die Nase. Um nicht unhöflich zu wirken, blickst du von ihr weg. Doch im gleichen Moment geht dir ein Licht auf und du beginnst, sie ein weiteres Mal anzustarren.   „Du … du bist kein Mensch, richtig? Du bist eine dieser Gems! Ich habe darüber in meinem Geschichtsbuch gelesen, vor vielen tausend Jahren haben Gems und Menschen zusammen gegeneinander gekämpft, nur warum, das stand leider nicht drin.“ Erneut lacht die fremde Gemfrau auf, nur mit dem Unterschied, dass es dieses Mal ein wenig verbittert klingt. „Soso, in euren Aufzeichnen steht also etwas von unserem Krieg damals? Aber man hat die Details weggelassen? Typisch Menschen, ihr kämpft, aber ihr wisst nicht, wofür ihr kämpft. Setzt eure sinnlosen kurzen Leben ein, ohne zu wissen, was ihr mit dem Einsatz bewirkt. Wenn du wüsstest, wie erbärmlich das ist. Ich liebe den Kampf, aber selbst ich weiß, wofür ich kämpfe.“ Ihr Blick verfinstert sich immer weiter und du befürchtest schon, etwas falsches gesagt zu haben, als sich ihre Stimmung lockert und sie ein weiteres Mal zu grinsen beginnt. Siegessicher hebt sie ihren Arm und ballt ihre Faust, präsentiert dir dabei ihren stark trainierten Bizeps. „Aber ja, ich bin ein Gem, das hast du gut erkannt. Komm mit. Wenn du schon von diesen erbärmlichen Löchern beeindruckt bist, dann wird dir das hier gefallen. Aber dass du mir ja nicht das Bewusstsein verlierst …“, sagt sie noch, bevor sie aufsteht und sich auf den Weg macht. Unsicher darüber, was dich erwarten könnte, beginnst du ihr zu folgen. Nach ein paar mehreren Metern bleibt ihr schließlich stehen. „Hier, das ist ein richtiges Exitloch. Die anderen, die du bisher gesehen hast, sind ein Witz. Aber das hier, das ist Perfektion!“ Voller Stolz deutet sie auf ein gigantisches Loch in einer der Wände. Zwar besitzt es wie die anderen einen humanoiden Umriss, war jedoch deutlich größer, gerader und glatter als die Löcher um es herum. Als wäre ihm ein Riese entstiegen. „Du musst wissen, wir Gems wachsen in Gestein wie solchem heran und wenn unsere Zeit zu Kämpfen gekommen ist, dann springen wir aus diesen Wänden heraus. Die anderen sind alle fehlerhaft, sie kamen fehlerhaft heraus und werden immer fehlerhaft bleiben. Bis auf mich. Ich … ich kam aus diesem Loch heraus.“ Ein weiteres Mal deutet sie auf das gigantische Loch und ein seltsames Gefühl breitet sich in deiner Brust aus. Fühlt sich so Respekt an? Angst? Bewunderung? Du findest keine Antwort darauf und beschließt, einfach nur zu schweigen und zuzuhören. Was die Fremde natürlich mitbekommt. Zufrieden verschränkt sie ihre äußerst kräftigen Arme und betrachtet dich mit einer Mischung aus Belustigung und Verachtung. „Ha, da fehlen dir wohl die Worte. Natürlich, ich kann es verstehen, immerhin stehst du vor der perfekten Kriegerin, der ultimativen Quarz-Kämpferin!“   Ohne es laut zugeben zu müssen, musst du es ihr eingestehen: Die fremde Gem beeindruckt dich. Gleichzeitig fragst du dich, wie sie im Gegensatz zu den anderen in der Lage war, so ein großes Loch in die Wand zu reißen. „Du bist eine Quartz-Gem? Darf ich fragen, was für eine genau du bist? Ich habe zwar einen Verdacht, aber ich bin mir nicht sicher, ob ich damit richtig liege …“ Die Fremde betrachtet dich für ein paar kurze Augenblicke und in dir steigen Zweifel auf, ob diese Frage nicht unangebracht ist. Entgegen deiner Befürchtung aber wendet sie ihr Gesicht von dir ab und verzieht ihre Miene zu einem fiesen Grinsen. Erneut hebt sie ihre geballte Faust und wenn du nicht wüsstest, dass sie kein Mensch wäre, würdest du befürchten, dass ihr jeden Augenblick eine Ader am Handrücken platzen würde. Wenn sie Adern in ihrem Körper hätte. „Ich bin dazu geschaffen worden, die widerlichen und lächerlichen Crystal Gems in den Erdboden zu stampfen und ihnen zu zeigen, wohin sie wirklich gehören“, dabei lachte sie auf. Ihr Lachen jagt dir einen Schauer über den Rücken, aber es machte dich auf eine seltsame Art und Weise neugierig. Selbst, wenn es eigentlich nicht die Antwort war, die du dir erhofft hast. In der Hoffnung, dass du damit den Bogen nicht überspannst, befragst du sie zu den Crystal Gems. Ein verachtetes Schnauben darauf ist ihre erste Reaktion. „Du willst wissen, was die Crystal Gems sind? Eine Bande feiger Ratten, das sind sie. Sie meiden den offenen Kampf und kämpfen niemals fair oder ehrenhaft. Ständig kämpfen sie zu zweit, einfach, weil sie keine wahre Ehre oder keinen Anstand im Leibe haben. Ich liebe den offenen Kampf, Gem gegen Gem, aber das was die machen, ist krank. Krank und feige.“ Vieles von dem, was sie sagt, macht für dich wenig Sinn, aber du hältst es für den Moment für das Beste, nicht zu widersprechen.   „Das klingt wirklich nicht sehr fair, wenn sie zu mehreren gegen dich kämpfen.“, erwiderst du langsam. „Auch wenn du sehr stark aussiehst, du solltest wenigstens noch eine Kämpferin auf deiner Seite haben, damit es ausgeglichen ist.“   Erst betrachtet die Fremde dich, dann setzt sie ein weiteres Mal zum Lächeln an. Wieder bist du dir unsicher, ob das ein gutes oder ein schlechtes Zeichen sein soll. „Danke für das Kompliment. Eigentlich müsste ich mit ihnen alleine klarkommen, aber einen Kampfpartner zu haben, wäre bei diesen unfairen Parodien von einem Gem gar nicht mal so übel. Dann könnten sie ihre eigenen bittere Methode schlucken und sehen, wie wundervoll sie doch ist.“ Für einen kurzen Augenblick befürchtest du, dass sie dich als potenziellen Kampfpartner in Betracht ziehen könnte, doch als sie nichts in der Richtung erwähnt, atmest du auf. Was sie noch lauter lachen lässt. „Du glaubst doch nicht im Ernst, dass ich jemand wie dich als Kampfpartner akzeptieren würde? Mach dich nicht lächerlich, du bist nur ein Mensch. Selbst wenn ich mit dir fusionieren könnte, irgendwo ist auch mal eine Grenze. So nötig habe ich das Ganze nun auch nicht, dass ich mich zu solchen Dingen herablassen würde.“ Dabei blickt sie in die Ferne, ihre Augen glänzen vor Stolz und Vorfreude. „Nein, nein, ich habe da einen weitaus geeigneteren Kandidaten, mehrere sogar. Das dürfte diese unnützen Gems unter Druck setzen, dann machen sie einen Fehler und werden von mir zerbrochen. Herrlicher Gedanke, dann bekommen die Verräter am Ende doch noch die Behandlung, die ihnen zusteht. Die sie sich durch ihre Aktionen verdient haben.“ Ein Glück, dass sie mich nicht als ihren Feind betrachtet, kommt es dir augenblicklich und du wischt dir nervös den Schweiß von der Stirn. Auch wenn sich die Temperatur um dich herum kaum verändert hat, kommt dir die Gegend unerträglich warm vor.   „Für einen Menschen bist du gar nicht mal so dumm, wie du aussiehst“, sagt die Fremde, ohne ihren Blick von der Ferne abzuwenden. Ich habe zwar immer noch keine Ahnung, was für ein Gem du bist oder wie du heißt, aber ich schätze mal, das kann ich wohl als Kompliment betrachten. Während die Fremde weiterhin in die Ferne starrt, beschließt du, noch ein allerletztes Foto dieses Ausflugs zu schießen. Wer weiß, ob und wann du wieder einen echten Gem treffen würdest. So positionierst du dich seitlich von ihr, entfernst dich vorsichtig ein paar Meter und fotografierst sie mit ihrem abnorm großen Loch im Hintergrund. Was ihr natürlich nicht entgeht. „Wenn du schon eine Momentaufnahme von mir machst, dann solltest du mich auch richtig gut erwischen. Das ist es doch, wofür deine kleine Maschine da ist, nicht wahr? Primitiv, aber was will man von der Erdentechnologie auch erwarten. Immerhin ist dieser ganze verdammte Planet klein und primitiv.“ Aber du kommst doch auch von der Erde, oder nicht? Da du dir keinen großen Ärger einhandeln möchtest, schluckst du deine Worte lieber herunter und wartest darauf, dass die Fremde sich in die richtige Pose stellt. Die Arme in die Höhe gestreckt, spannt sie ein weiteres Mal ihre Oberarmmuskel an, ganz so, als wäre sie die gemgewordene Version des griechischen Helden Herkules. Zufrieden grinst sie in deine Richtung, mit beiden Beinen fest auf dem Boden und den Armen in der Luft. So gemein sie und ihre Wortwahl sind, sie eignet sich perfekt als Fotomodel in einer solchen Kulisse. Offenbar ist sie nicht nur eine perfekte Kämpferin, sondern auch ein perfektes Motiv. 20 Minuten und viele beeindruckende Posen später hast du schließlich genug Bilder im Kasten. Höflich bedankst du dich dafür, doch die Fremde winkt ab. „Gut, dann ist deine Momentaufnahmen-Sammlung ja jetzt komplett und vollkommen. Es war klug von dir, denn so eine Gem wie mich bekommt man nur sehr selten zu sehen.“ Dem ist deiner Meinung nach nichts hinzuzufügen, was keinen Ärger verursachen würde und so schweigst du die Fremde an. Welche sich mit einem leichten Funkeln in den Augen umdreht und beginnt, den Canyon entlang weiterzugehen. Doch im Gegensatz zu vorhin verspürst du absolut nicht das Bedürfnis, ihr zu folgen.   „Warte, bevor du gehst!“, versuchst du ihr noch hinterher zu rufen. „Beantworte mir bitte noch diese Frage: Was für eine Art von Quarz Gem bist du eigentlich?“ Sie stoppt, dreht sich um und antwortet mit einer klaren, wie auch stolzen Stimme: „Ich bin eine Jasper. Nein, nicht irgendeine Jasper. Die beste Jasper, die dieser verfluchte Brocken hervorgebracht hat.“ Eine Jasper also … vermutlich eine rote“, lautet deine Erkenntnis. Dass die Namen ihrer Gems nicht nur ihre Art beschreibt, sondern auch ihren Rufnamen darstellt, hast du ebenfalls aus dem Geschichtsbuch erfahren. Um sie nicht groß weiter aufzuhalten, rufst du ihr nur ein lautes „Dankeschön!“ hinterher, unsicher, ob sie es gehört hat. Doch sie stampft unaufhaltsam immer weiter und weiter, mit einem klaren Ziel vor Augen. Du folgst ihr mit deinem Blick, bis sie kleiner und schließlich komplett aus deiner Sicht verschwindet. Das war auch das Zeichen für dich, ebenfalls den Canyon zu verlassen. Zuhause wird mir das niemand glauben … zum Glück habe ich die Fotos, denkst du zufrieden und machst dich auf den Rückweg, hinaus aus dem Canyon und hinein in den sommerlichen Abendhimmel. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)