Seelenschatten von Labrynna ================================================================================ Kapitel 5: Überraschung in Nibelheim ------------------------------------ Tatsächlich dauerte die Reise nach Nibelheim jedoch länger als gedacht, da der Buggy eine Panne hatte. Also war die Gruppe gezwungen gewesen, einen außerplanmäßigen Zwischenstopp einzulegen. Aerith war noch immer völlig verblüfft von dem beeindruckenden Zufall, dass ihr Wagen ausgerechnet in nächster Nähe zu Reds Heimatdorf stehengeblieben war. Während die Truppe darauf gewartet hatte, dass die überaus freundlichen und hilfsbereiten Dorfbewohner die Reparatur des Buggys abschlossen, hatte sie nicht nur erfahren, dass Reds richtiger Name Nanaki lautete, sondern auch dessen Großvater kennen gelernt. Bugenhagen, der nicht blutsverwandt war mit seinem vierbeinigen Enkel, erforschte schon seit geraumer Zeit den Planeten und den in dessen Tiefe fließenden, alles umspannenden Lebensstrom. Die Erkenntnis, die der greise Wissenschaftler dabei erlangt hatte, war erschreckend und Wasser auf den Mühlen der Shinra-Gegner. Die Mako-Reaktoren, die der Konzern überall errichtet hatte, schöpften Energie aus dem Lebensstrom ab und hungerten den Planeten damit langsam von innen heraus aus. Wenn sich nicht schnell etwas an dieser Situation änderte, so Bugenhagens Prognose, würde der Planet schon bald sterben. Aerith dachte noch immer über diese düstere Zukunftsvision nach, als in der Ferne Nibelheim als grauer Schemen am Horizont sichtbar wurde. Sie glaubte nicht daran, dass jemand die Leitung der ShinraInc zum Umdenken bringen konnte. Dafür erschien ihr Rufus, der junge Präsident des Konzerns, zu machthungrig. Für ihn war die Firma, die sein Vater aus dem Nichts aufgebaut hatte, nichts anderes als ein willkommenes Mittel, um nach der Weltherrschaft zu greifen. Dennoch musste der Planet irgendwie zu retten sein! Aerith wollte sich einmal vorstellen, was geschehen würde, würde Bugenhagens Prognose grausame Realität. Deswegen zermarterte sie sich angestrengt das Hirn und suchte nach einem Lösungsansatz, während die Gruppe Nibelheim immer näher kam. Ob es wohl das makoreiche, geheiligte Land aus den alten Legenden wirklich gab? Vielleicht könnte der Planet vor dem sicheren Verfall gerettet werden, wenn Aerith diesen Ort finden konnte. Hart schluckend gestand die junge Frau sich jedoch ein, dass sie die Stimme des Planeten, die sie laut der Legenden zum geheiligten Land führen sollte, nur noch schwach hören konnte. Ob dies an dem schwachen Zustand des Planeten oder ihrer jahrelangen Ignoranz ihrer Cetra-Fähigkeiten lag, vermochte sie nicht zu sagen. Ein schlechtes Gewissen ließ ihre Magenwände brennen und Aerith legte sich schützend die Arme um den Oberkörper. Sollte sie womöglich am Sterben des Planeten mitschuldsein, weil sie egoistisch gewesen war und ihre Wurzeln verleugnet hatte, um ein einigermaßen normales Leben führen zu können? Jetzt erst wurde ihr klar, dass sie als Letzte der Cetra dem Planeten gegenüber eine besondere Verantwortung hatte. Mit einem traurigen Ausdruck in den Augen, kramte Aerith eine blassgrüne Kugel hervor, deren gläsern wirkende Oberfläche im Licht der Vormittagssonne blitzte. Es handelte sich hierbei um die sogenannte „weiße Materia“, eine Art Zauberkugel, die jedoch keinerlei Wirkung zu haben schien. Vielleicht war die uralte Materia im Laufe der Jahre beschädigt worden und inzwischen völlig unbrauchbar, doch das kümmerte Aerith nicht. Für sie stellte die wie poliert wirkende, etwa faustgroße Kugel eine letzte Verbindung zu ihrer leiblichen Mutter dar, die ihr die Materia vererbt hatte. Obwohl Aerith ihre Adoptivmutter von ganzem Herzen liebte und sie beim Tod ihrer biologischen Mutter zu jung gewesen war, um sich noch deutlich an sie erinnern zu können, wünschte sie sich in diesem Moment nichts sehnlicher als dass ihre Mutter noch am Leben wäre. Der Druck, die letzte Cetra zu sein, lastete schwer auf den schmalen Schultern der jungen Frau und sie fühlte sich so einsam wie noch nie zuvor. Als die Gruppe schließlich Nibelheim erreichte, vergaß Aerith jedoch augenblicklich ihre Grübelei. Doch anders als erwartet, richteten sich ihre Gedanken nicht auf Zack und die Frage, was wohl mit ihm geschehen sein mochte. Stattdessen nahmen Tifa und Cloud ihre gesamte Aufmerksamkeit in Anspruch. Die Beiden erbleichten beim Anblick der Stadt plötzlich und während Cloud den Buggy noch schlingernd zum Stehen brachte, sprang Tifa bereits aus dem Wagen und rannte in Richtung Zentrum. „Was ist denn los?“ Cait Sith blickte sich irritiert in den friedlich vor ihnen liegenden Straßen um und kratzte sich nachdenklich hinter dem rechten Ohr. Doch anstatt zu antworten, hastete auch Cloud scheinbar mit demselben Ziel davon. Der Rest der Gruppe sah sich verwirrt an und folgte den Ausreißern dann mit einigem Abstand. Als die Anderen zu ihnen aufschlossen, stand Cloud mit versteinerter Miene unter einer etwas baufällig aussehenden Windmühle, die auf dem zentralen Platz errichtet worden war, und starrte düster auf das ihm gegenüber gelegene Haus. Tifas haselnussbraune Augen schwammen in Tränen und sie schüttelte unablässig mit dem Kopf, wobei sie immer wieder murmelte: „Das kann nicht sein… Das kann einfach nicht sein!“ Während Aerith ihre aufgelöste Freundin in den Arm nahm, wiederholte Barrett Cait Siths Frage von zuvor: „Was zur Hölle ist hier eigentlich los?!“ Mit einem letzten, schmerzerfüllten Blick auf das schmale, zweistöckige Haus vor ihm wandte Cloud sich seinen Begleitern zu. „Wie ihr vermutlich wisst“, hob er zu einer Erklärung an, „stammen Tifa und ich gebürtig aus dieser Stadt.“ Allgemeines Kopfnicken machte die Runde, nur Cait Sith zuckte mit den Schultern. Nicht darauf achtend fuhr Cloud fort: „Wir haben unsere Kindheit hier gemeinsam verbracht, doch seit einem Vorfall vor ungefähr fünf Jahren waren wir nicht mehr hier. Damals hat Sephiroth nahezu die ganze Stadt abgebrannt.“ „Und jetzt steht alles wieder!“ Tifa zog schniefend die Nase hoch und lehnte sich schutzsuchend gegen Aerith. „Na und? Hattet ihr etwa erwartet, dass sie die Stadt verwüstet lassen würden, anstatt sie wieder aufzubauen?“ Yuffie machte ein Gesicht, das irgendwo zwischen Amüsement und Missbilligung lag. Cloud warf ihr einen erzürnten Blick zu und grollte: „Es hat nicht nur ein Wiederaufbau stattgefunden! Jedes einzelne Haus sieht hundertprozentig genauso aus wie vor dem Feuer! Man könnte fast meinen es sei nie etwas gewesen.“ „Das ist so gruselig…“ Tifa schüttelte erneut den Kopf, wobei ihr eine lange, seidige Haarsträhne in die Stirn fiel und die geweiteten Augen in dem blassen Gesicht sie ungewöhnlich jung aussehen ließen. Aerith drückte ihre Freundin sacht und versuchte, sich den Schock vorzustellen, wenn man in seine Heimatstadt zurückkehrte und sie gänzlich unversehrt vorfand so als hätte man sich die Verwüstung lediglich eingebildet. Gleichzeitig ärgerte sie sich darüber, dass sie an das Nibelheim-Desaster, von dem Cloud und Tifa bereits früher berichtet hatten, überhaupt nicht mehr gedacht hatte. Sollte Zack hier tatsächlich Spuren hinterlassen haben, waren diese vermutlich der Feuersbrunst oder spätestens dem Wiederaufbau zum Opfer gefallen. Doch plötzlich fiel Aerith auf, was Cloud noch gesagt hatte. Nibelheim war vor fünf Jahren verwüstet worden?! Bislang hatte Cloud kein Wort über den Zeitpunkt der Katastrophe verloren und Aerith selbst hatte nie danach gefragt. Doch nun wurde ihr klar, dass Nibelheim genau zu der Zeit abgebrannt sein musste, als Zack dort gewesen war. Was jedoch noch wichtiger war: Cloud und Tifa hatten sich damals ebenfalls in ihrer Heimatstadt aufgehalten. Womöglich hatte einer von Beiden Zack gesehen und waren sich dessen nur nicht bewusst, da sie keinen Namen zu dem Gesicht hatten. Aerith nahm sich vor, in einem günstigen Moment genauer nachzufragen, als Cloud seinen Blick entschlossen auf die Tür des einzigen Nibelheimer Ladens richtete und verkündete: „Die Sache stinkt doch zum Himmel! Ich geh jetzt da rein und frage, warum sie diese bizarre Kopie erschaffen haben!“ Während Cloud mit langen Schritten auf den Laden zu marschierte, gab Red, der neben ihm lief, zu bedenken: „Vielleicht wollten die Bewohner nur so tun als wäre nie etwas gewesen, um nicht permanent an das Geschehene erinnert zu werden.“ Der ansonsten eher unterkühlte Blonde stieß schnaubend Luft aus und knurrte aufgebracht: „Tifa hat an jenem Abend ihren Vater durch Sephiroths Hand verloren und meine Mutter ist wie unzählige andere Menschen im Feuer umgekommen. Glaubst du wirklich, dass man so etwas vergisst, bloß indem man so tut als wäre nichts gewesen?“ Red machte ob des harschen, erregten Tons ein konsterniertes Gesicht, doch Cloud achtete gar nicht darauf. Stattdessen drückte er die Klinke herunter und riss schwungvoll die Tür auf. Der Verkäufer hinter dem Tresen blickte erschrocken hoch, fand seine geschäftige Miene jedoch schnell und fragte: „Was kann ich für Sie tun?“ Sein einschmeichelnder Ton wäre nur durch einen Bückling zu überbieten gewesen. Davon gänzlich unbeeindruckt stützte Cloud die Hände auf den Verkaufstresen, lehnte sich leicht vor und musterte den dadurch verunsichert wirkenden Mann dahinter eingehend. Aerith, die sich von brennender Neugierde getrieben ebenfalls in den Laden begeben hatte, sondierte unterdessen geistesabwesend die feilgebotenen Waren. „Ich habe eine Frage, die vielleicht etwas merkwürdig klingt“, begann Cloud, wobei seine hellen, wachen Augen jede kleinste Regung im Gesicht seines Gegenübers registrierten. „Wenn ich Ihnen damit helfen kann, werde ich sie Ihnen selbstredend beantworten – sofern es mir möglich ist.“ Der Blick des Verkäufers zuckte kurz zu der neben einem überfüllten Regal stehenden Aerith herüber, was ihm ein latent panisches Aussehen verlieh. „Wie lange arbeiten Sie hier schon?“ Der Mann hinter dem Tresen blinzelte irritiert, antwortete jedoch zügig: „Schon mein halbes Leben lang. Der Laden gehört schon seit Generationen meiner Familie.“ Obwohl Aerith Clouds Gesicht nicht sehen konnte, bemerkte sie sein Stutzen. Mit zusammengezogenen Augenbrauen besah sich der verwirrte Blonde erneut eingehend das Gesicht seines Gegenübers. Cloud hatte schon als Kind die Fähigkeit besessen, sich körperliche Merkmale seiner Mitmenschen unauslöschlich einzuprägen. Er war sich absolut sicher, dass er den anderen Mann, der keinerlei Ähnlichkeit mit dem Ladenbetreiber von früher hatte, noch nie zuvor gesehen hatte. Dennoch fragte er weiter: „Also waren Sie auch zur Zeit des großen Feuers hier?“ Nun war es an dem Verkäufer zu stutzen. Kopfschüttelnd antwortete er: „Feuer? Ich verstehe Sie nicht. Hier hat es noch nie gebrannt.“ Aerith sog überrascht Luft ein und stellte eine Potion, die sie zuvor in den Händen gehalten hatte, zurück ins Regal. Zu ihrem Erstaunen insistierte Cloud jedoch nicht, sondern nickte nur und stürmte wortlos mit düsterem Gesichtsausdruck aus dem Laden. Langsam und ein wenig verwirrt folgte Aerith ihm hinaus. Der Rest der Gruppe wartete an der einsturzgefährdet aussehenden Windmühle. Tifa stand in der Mitte und machte einen aufgeregten Eindruck. Als sie Cloud erblickte, hastete sie auf ihn zu und raunte leise mit einer Stimme, der man ihre Erregung deutlich anhören konnte: „Alle sind weg! Absolut jeder, der früher hier gelebt hat, ist verschwunden!“ Dann nahmen ihre leuchtenden Augen einen wütenden Ausdruck an, als sie erbost zischte: „Aber weißt du, was das Schlimmste ist? Die neuen Bewohner meines Elternhauses behaupten, sie hätten schon immer dort gelebt!“ Cloud nickte und rieb ihr tröstend über den nackten Oberarm, bevor er murmelte: „Nicht nur sie…“ Dann wandte er sich der gesamten Truppe zu und verkündete: „Ich bin mir sicher, dies alles hier ist das Werk Shinras. Es soll vertuscht werden, dass Sephiroth – dieses leuchtende Bild eines Vorzeigehelden – durchgedreht ist und ihm Wahn Nibelheim zerstört hat!“ Tifa verlor das letzte bisschen Farbe im Gesicht, als ihr bei diesen Worten ein Gedanke kam. „Aber Sephiroth hat damals nicht alle Bürger Nibelheims getötet. So lange es Zeugen für seine Taten gibt, wäre ein Vertuschungsversuch von Anfang an zum Scheitern verurteilt. Du glaubst doch nicht, das…“ Sie brach ab und biss sich auf die Unterlippe. Mit einem traurigen Gesicht nickte Cloud und sagte: „Ich weiß, der Gedanke, dass womöglich Menschen sterben mussten, nur damit die ShinraInc ihr Gesicht wahren kann, ist ungeheuerlich. Doch diese Teufel sind zu allem fähig…“ Dann deutete er auf ein riesiges Haus, das am Stadtrand auf einem Hügel errichtet worden war. „Lasst uns in der alten Shinra-Villa nachsehen, ob wir Aufzeichnungen darüber finden, was mit den Überlebenden von damals geschehen ist.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)