Auf der anderen Seite des Lichts von Labrynna ================================================================================ Kapitel 1: Das Ende einer Kindheit ---------------------------------- Der Gestank, der vom Fluss herüberwehte, war kaum auszuhalten. Es roch nach verwesenden Leichen und Morast, sodass sich jeder, der in die Nähe des Gewässers kam, gezwungen sah, durch den Mund zu atmen. Dennoch hockte ein kleiner Junge von vielleicht fünf Jahren auf der ausgedörrten Fläche des Ufersaums und warf zum wiederholten Male seine Angelschnur aus. Mit verbissener Miene suchte der Junge die Oberfläche des nur gemächlich fließenden Flusses nach einer Bewegung, einem Anzeichen von Leben ab. Irgendwo musste es doch noch Fische geben – zumindest einen einzigen! Ein hochgewachsener Mann mittleren Alters schlurfte mit schleppenden Schritten auf den angelnden Jungen zu. Das aschfahle Gesicht des Mannes war von tiefen Sorgenfalten zerfurcht und sein Körper so ausgemergelt, dass die athletische Figur von einst nur noch mit Mühe zu erkennen war. Anstatt aufzublicken starrte der Junge auch dann noch auf den Fluss, als der Mann an ihn herantrat und ebenfalls aufs Wasser hinabsah. Einige Herzschläge lang verweilten die Beiden schweigend und unbewegt, doch dann legte der Mann dem Jungen sanft die Hand auf die Schulter und blickte ihn resigniert an. „Lass es gut sein, Link. Das hat doch keinen Sinn.“ Der Junge riss den Kopf herum, sodass sein braunes, von wenigen blonden Strähnen durchzogenes Haar durch die Luft wirbelte wie der Rocksaum einer Tänzerin. „Aber Vater! Was sollen wir denn dann essen?!“ Seine knöchernen Schultern zuckend versuchte der Mann sich an einem aufmunternden Lächeln, das das Meeresblau seiner Augen jedoch nicht erreichte. „Deine Mutter und ich werden uns schon etwas einfallen lassen. Jetzt komm, bevor dich die Steppenreiter holen.“ Link warf einen letzten, trotzig wirkenden Blick auf seine Angelrute und seufzte dann resigniert auf. Er versuchte schon seit dem Morgengrauen, einen Fisch zu fangen und inzwischen ging die schwarze Sonne schon wieder unter. Vermutlich hatte sein Vater Recht und sein Unterfangen war von Anfang an zum Scheitern verurteilt gewesen… Die Flüsse waren offenbar ein für alle Mal leer gefischt. Wenn er noch länger hierbleiben und sich mit fruchtlosen Fangversuchen plagen würde, würde er vermutlich wirklich nur ein Opfer der Steppenreiter. Ein Frösteln ging durch den schmalen Körper des Kindes, als es die dargebotene Hand seines Vaters ergriff und an seine letzte Begegnung mit den gefürchteten Reitern dachte. Früher hatte Link die Geschichten über sie für Ammenmärchen gehalten, die Eltern ihren Sprösslingen erzählten, damit sie rechtzeitig zum Abendessen daheim waren. Doch vor etwa einem Vierteljahr hatte er feststellen müssen, dass er sich damit furchtbar geirrt hatte. Damals hatte er sich auf der Jagd nach essbaren Kleintieren zu weit von seiner Heimatstadt entfernt, sodass die Sonne bereits untergegangen gewesen war, bevor er das Stadttor hatte erreichen können. Plötzlich hatte es so ausgesehen als stünde der Horizont in Flammen und die Erde hatte zu beben begonnen. Und dann hatte Link sie gesehen… Riesige Skelette, die auf halbverwesten Kadavern von Schlachtrössern über die weite Ebene geprescht waren. Link hatte sich beinah übergeben müssen, als er beobachtet hatte wie einer der Steppenreiter eine junge Frau, die ebenfalls noch auf Nahrungssuche gewesen war, erwischt und ihr den Kopf von den Schultern gerissen hatte, um ihr Blut zu trinken. Dass er selbst mit dem Leben davon gekommen war, hatte Link seinem Vater zu verdanken. Dieser hatte sich den Monstern tapfer in den Weg gestellt und seinen einzigen Sohn schwertschwingend verteidigt, bis dieser durch das Stadttor geschlüpft war und sich so in Sicherheit gebracht hatte. Die schwere Beinverletzung, die Links Vater sich dabei zugezogen hatte, ließ ihn noch immer leicht humpeln. Während er seiner Mutter weinend dabei zugesehen hatte wie sie die ausgefranste Oberschenkelwunde verarztet hatte, hatte Link sich geschworen, nie wieder so unvorsichtig und hilflos zu sein! Seitdem trainierte er so oft er Zeit fand mit einem kleinen Holzschwert, das er an seinen Gürtel gebunden stets bei sich trug. Während er nun Hand in Hand mit seinem Vater zurück nach Hyrule-Stadt ging, ließ er seinen Blick über das weite Ödland, das er seine Heimat nannte, schweifen. Jegliches Gras, das es hier vielleicht einmal gegeben haben mochte, war vollständig verdorrt, sodass nichts anderes übrig geblieben war als roter Sand. Die stinkenden Flüsse, die dieses karge Land durchzogen, waren so verschmutzt, dass ihr Wasser grünlich schimmerte. Vor allem im violetten Licht der untergehenden Sonne wirkte die Färbung der Gewässer besonders ungesund. Link betrachtete den toten, kaum Wärme spendenden Himmelskörper, der hinter den zerklüfteten Gebirgsausläufern im Osten verschwand. Irgendwie erinnerte ihn die erloschene Sonne seiner Welt jedes Mal an die dunklen, leeren Augenhöhlen eines Totenschädels. Schaudernd wandte der Junge sich wieder ab und ließ sich von seinem Vater über die marode Brücke ins Innere von Hyrule-Stadt führen. Bald schon würde die Zugbrücke hochgezogen, um die Steppenreiter und all die anderen Monster, die dieses Land bevölkerten, auszuschließen. Link fragte sich, wie lange es wohl noch dauern würde, bis eine der bereits sehr einsturzgefährdet wirkenden Stadtmauern unter einer Monsterattacke fallen würde. Auf dem zentralen Platz der Stadt begegneten die Beiden einigen anderen Bewohnern, doch anstatt höflich zu grüßen, beäugten sich die Passanten mit gegenseitiger Skepsis. Wer es geschafft hatte, ein wenig Nahrung zu sammeln, umfasste sein Päckchen noch fester und eilte schleunigst auf sein Heim zu. Wer bislang leer ausgegangen war, stierte jeden Entgegenkommenden hungrig an und schien zu überlegen, wie er ihm die Tagesausbeute abjagen konnte. Es kam nicht selten vor, ein solcher Kampf ums Essen tödlich endete. Gedankenversunken betrachtete Link die rostroten Flecken auf der gepflasterten Straße, stumme Zeugen solcher Auseinandersetzungen, und fragte: „Wieso hassen uns die Göttinnen so sehr?“ Der Junge erinnerte sich daran, dass sein Vater ihm vor einiger Zeit die Geschichte über die Schöpfung der Welt erzählt hatte. Nayru, Farore und Din hatten zum Anbeginn der Zeit das Licht- und das Schattenreich geschaffen. Während das Lichtreich vor Leben nur so übersprudelte und den Luxus immerwährenden Friedens genoss, herrschten im Schattenreich Hunger, Krieg und Tod. Seit einigen tausend Jahren gab es zudem noch die Mittelwelt, die von den Göttinnen als eine Art Grenzgebiet entworfen worden war. Dort vermischten sich das Gute und das Böse zu einem harmonischen Ganzen, sodass die Bewohner dieser Welt zwar Leid und Entbehrungen kannten, jedoch trotzdem weitestgehend ein ruhiges Leben führen konnten. Sein Vater schüttelte müde den Kopf und bog in eine Seitengasse ab. „Ich weiß nicht, ob die Göttinnen uns hassen, Link. Wo es Licht gibt, muss es nun mal auch Schatten geben. Und je heller das Licht, desto dunkler der Schatten… In diesem Leben hatten wir Pech, mein Sohn, aber ich glaube fest daran, dass wir in der Mittelwelt wiedergeboren werden – so wie unsere Doppelgänger heute.“ Im ersten Moment war Link verwirrt, dass sein Vater nicht in der Lichtwelt leben wollte, doch dann fiel ihm wieder ein, dass seine Mutter ihm mal erzählt hatte, Lichtwesen würden ewig leben. Vermutlich konnte man deswegen auch nicht als Reinkarnation in der Lichtwelt landen. Da sich seine anfängliche Verwirrung diesbezüglich von selbst gelegt hatte, fragte der Junge: „Doppelgänger?“ Dabei zog er leicht am Arm seines Vaters, um ihn daran zu erinnern, dass er Mühe hatte, mit dessen ausgreifenden Schritten mitzuhalten. Mit einem milden Lächeln verringerte dieser sein Tempo damit sein noch kurzbeiniger Sohn nicht neben ihm herrennen musste. Dann erklärte er in ruhigem Ton: „Es heißt, dass jedes Lebewesen in jeder Welt ein Gegenstück hat damit das Gleichgewicht gewahrt wird. Es gibt also noch zwei Links. Einen in der Licht- und einen in der Mittelwelt.“ Überrascht riss der Junge die Augen auf. „Es gibt mich dreimal?“ „Ja.“ „Und dich und Mutter auch?“ „Ja, uns ebenfalls.“ Unwillkürlich musste Link daran denken, seinen Gegenstücken zu begegnen. Ob sie zusammen spielen könnten, wenn sie sich träfen? Wäre es dann als hätte er plötzlich zwei Brüder? Als wäre er auf einmal ein Drilling? Und könnten sie dann alle zu ihren Eltern in die Lichtwelt ziehen, wo er nie wieder würde hungern müssen? Plötzlich stahl sich ein breites Grinsen auf Links Gesicht. Das klang herrlich! Er hatte sich immer Geschwister gewünscht – und wenn es Essen im Überfluss gäbe, müsste er sich nicht einmal Gedanken darum machen, dass er seine Mahlzeiten würde teilen müssen. „Ich will die anderen Links unbedingt mal kennen lernen!“, verkündete er mit einer Euphorie wie nur Kinder sie entwickeln können. Bei der Begeisterung in seiner Stimme legte sich ein dunkler Schatten über die Augen seines Vaters, der ein mitfühlendes Gesicht zog. „Das geht leider nicht.“ „Warum nicht?“ Link sah mit einem enttäuschten Hundeblick zu seinem Vater auf, der vor ihrem Haus stehen blieb und sich etwas verlegen im Nacken kratzte. „Niemand kann zwischen den Welten wechseln. Dieses Privileg besitzen nur die Göttinnen allein.“ Die Mundwinkel nach unten ziehend hakte Link nach: „Wirklich niemand?“ Er wollte nicht wahrhaben, dass sein schöner, kindlicher Plan zerplatzen sollte wie eine Seifenblase. Sein Vater starrte über ihn hinweg in die Ferne und murmelte: „Es gibt Legenden über sieben Lichtwesen, die in der Mittelwelt leben. Doch Geschichten besagen auch, dass dieser Wechsel nur ein einmaliges Geschenk der Göttinnen war. Angeblich können die Lichtwesen niemals in ihre Heimat zurück.“ Link ließ traurig den Kopf hängen, doch sein Vater sprach mit nachdenklicher Stimme weiter: „Allerdings soll auch einem Dämonenfürsten der Wechsel in die Mittelwelt gelungen sein.“ Wie an unsichtbaren Fäden gezogen, riss Link den Kopf wieder hoch und starrte seinen Vater aus großen Augen an. „Ja? Wirklich?“ Der ausgelaugt wirkende Mann nickte mit einem grimmigen Gesichtsausdruck. „Ja. Ganon, der Prinz der Schweinedämonen, soll vor hunderten von Jahren einen Weg gefunden haben. Doch niemand weiß, welche Art von Magie er dafür eingesetzt hat.“ Das Herz schlug Link bis zum Hals und er sah aus funkelnden Augen zu seinem noch immer gedankenversunken erscheinenden Vater auf. Es gab also doch eine Möglichkeit! Der Knabe schwor sich, dass er eines Tages herausfinden würde, wie Ganon den Weltenwechsel vollzogen hatte. Dann würde er zusammen mit seinen Eltern dieser Hölle entfliehen und in der Mittelwelt ein neues, sorgenfreies Leben beginnen. Obwohl er keine Ahnung hatte, wo er mit seinen Nachforschungen beginnen sollte, hätte Link am liebsten sofort losgelegt. Doch sein Vater kehrte schließlich aus den fernen Landen seiner Gedanken zurück und deutete mit dem Kinn in Richtung Haus. „Wir sollten nicht hier draußen rumstehen und uns den Kopf über solche Nichtigkeiten zerbrechen. Deine Mutter ist sicher schon krank vor Sorge, wo wir bleiben.“ Link nickte und folgte seinem Vater durch den ausgetrockneten, trostlosen Vorgarten zur Haustür, während ein Teil seines Geistes sich bereits mit der Frage beschäftigte, wo er mit der Suche nach Antworten anfangen wollte. Kaum dass die Beiden über die Schwelle getreten waren, erhob sich eine dürre, blonde Frau aus ihrem Sessel vor der Feuerstelle und seufzte erleichtert auf: „Link! Arn! Da seid ihr ja endlich!“ Links Vater eilte mit wenigen, langen Schritten zu seiner zerbrechlich wirkenden Frau herüber und schloss sie in die Arme. „Tut mir leid, Medila. Es ist spät geworden, ich weiß.“ „Ich dachte schon, die Steppenreiter hätten euch geholt!“ Medila löste sich von ihrem Gatten, ging in die Knie und hielt die Arme für ihren Sohn auf, der sich ihr sogleich um den Hals warf. „Tut mir leid, Mutter, aber ich konnte dir keinen Fisch fangen!“ Über Links Schulter hinweg suchte Medila Arns Blick, der genauso hoffnungslos war wie der ihre. Wie sollten sie ihre kleine Familie nur ernähren? Arn und sie waren schon jetzt am Rande des Hungertods, da sie zugunsten ihres Sohnes immer wieder auf Essen verzichtet hatten. Trotz ihrer Verzweiflung bewerkstelligte Medila es irgendwie, ihrer Stimme einen sanften und beruhigenden Klang zu verleihen: „Das macht doch nichts, mein Schatz. Ich bin dir dankbar, dass du es überhaupt versucht hast. Ich werde schon etwas anderes auftreiben, das wir heute essen können.“ Link klammerte sich noch fester an den abgemagerten Oberkörper seiner Mutter und legte seine Stirn auf ihr Schlüsselbein. Arn wandte mit einem schmerzverzerrten Gesichtsausdruck den Blick ab und starrte in die glimmenden Überreste des fast erloschenen Feuers im Kamin. Seine Familie war am Ende. Es gab keine Fische mehr in den Flüssen und sämtliche Wildtiere schienen weitergezogen zu sein. Das Einzige, was es hier reichlich gab, waren Dämonen – doch ihr Fleisch war giftig. Den Bewohnern Hyrules blieb nur noch eine Chance: Sie mussten ebenfalls in die Ferne aufbrechen, den Tieren hinterher. Arn zweifelte jedoch daran, ob er und seine ausgehungerte Frau eine solche Reise überleben würden. Doch was würde dann aus Link? Was sollte er bloß tun?! Medila drückte ihren Sohn noch einmal und freute sich, das sein Körper trotz der schlimmen Situation nicht zu knochig war. Es erfüllte sie immer wieder mit Stolz, wenn sie daran dachte, dass Arn und sie es bislang geschafft hatten, einen wohlgenährten Jungen großzuziehen. Dann schluckte sie die Tränen, die in ihrer Kehle brannten, herunter, löste sich sanft von Link und stand auf. „Ich schau mal in der Küche, was ich uns zaubern kann. Geh du doch so lange hoch in dein Zimmer und spiel ein wenig. Ich ruf dich, wenn das Essen fertig ist.“ Link nickte und eilte wortlos die knarrende Holztreppe nach oben. In letzter Zeit verhielten seine Eltern sich merkwürdig, fand er. Ihr Lächeln hatte seit einigen Wochen etwas Fratzenhaftes und ihr Lachen klang gekünstelt. Was war nur los? Die Sorge um seine Eltern vertrieb Links Grübeleien bezüglich Ganons Weltenwechsel und er schlich sich in das Schlafzimmer von Arn und Medila, anstatt in seines zu gehen und mit seinen Holzsoldaten zu spielen. Als er seiner Mutter vor ein paar Monaten beim Wäschezusammenlegen geholfen hatte, war ihm aufgefallen, dass eine der Bodendielen ein Loch hatte, durch das man in die Küche blicken konnte. Dieses Wissen wollte er nun ausnutzen. Das Ohr auf das hohle Astauge gepresst, rollte Link sich auf dem Boden zusammen und lauschte. Zunächst hörte er außer dem Rauschen seines eigenen Blutes und einem komischen, ein wenig nach Schluckauf klingenden Seufzen nichts, doch dann drang die tränenbrüchige Stimme seiner Mutter an seine Ohren: „Was sollen wir nur tun, Arn? Wir haben absolut nichts zu essen!“ Link riss überrascht die Augen auf. Es gab nichts mehr zu essen? Gar nichts?! Bei diesen Worten wurde ihm schlagartig klar, was das seltsame Geräusch eben gewesen war: seine Mutter hatte schluchzend geweint. Haltsuchend zog der Junge die Beine noch näher vor die Brust und schlag sich die Arme um die Knie. Die Zukunft tat sich plötzlich als tiefschwarzer, alles verschlingender Schlund vor ihm auf. Die einzige Möglichkeit, diesem Albtraum zu entkommen, war, einen Weg in die Mittelwelt zu finden. Er musste so schnell wie möglich herausbekommen, wie Ganon es damals geschafft hatte – sonst wäre es für seine Familie zu spät. Von unten klang das Geräusch raschelndes Stoffes an Links Ohren, als sein Vater seine Frau noch fester umarmte. „Ich weiß, Medila, ich weiß…“ Die Trostlosigkeit in Arns Stimme brachte Links Herz dazu, sich schmerzhaft zusammenzuziehen. Sein Vater durfte nicht aufgeben! Er fand doch immer einen Weg… Eiskristalle bildeten sich unter Links Haut und bohrten ihre scharfen Kanten so tief in sein Fleisch, dass jeder Atemzug schmerzte. Am liebsten wäre er nach unten gestürmt und hätte sich seiner Mutter wieder in den Arm geworfen. Doch die Angst vor der Zukunft lähmte seine Glieder, sodass ihm nichts anderes übrig blieb als wie paralysiert liegen zu bleiben. „Ich sehe nur einen einzigen Ausweg.“ Links Ohrmuschel zuckte und er jubelte stumm in sich hinein. Sein Vater hatte also doch eine Idee! Doch warum klang er so leblos und traurig? Einen Ausweg zu haben war doch etwas Gutes! „Verrat ihn mir, Arn.“ Gespannt wie ein Flitzebogen presste Link sich noch fester auf das Dielenloch, um nicht eine Silbe zu verpassen. Unten stieß sein Vater einen langgezogenen Seufzer aus, bevor er seine Gattin warnte: „Du wirst mich dafür hassen.“ Erneut erklang das Rascheln von Stoff, bevor Medila etwas entgegnete. Der schrille Klang ihrer Stimme ließ Link vermuten, dass seine Mutter eine Ahnung hatte, was im Kopf seines Vaters vor sich ging: „Was hast du vor?!“ Es entstand eine lange Pause, während der von unten nur das schwere Atmen der beiden Ehepartner zu hören war. Link kaute vor Anspannung auf der Unterlippe, ohne das aus den vielen kleinen Wunden sickernde Blut zu schmecken. Als Arn schließlich wieder das Wort ergriff, hätte Link beinah einen Satz gemacht, so sehr stand der Junge unter Strom. „Wenn wir uns weiterhin darauf konzentrieren, Link durchzufüttern, bedeutet das unser Ende…“ „Was hast du vor?!“ Medila klang hysterisch und schien sich nur mit Müh und Not beherrschen zu können, ihren Mann anzuschreien. „Sollen wir ihn etwa aussetzen und sich selbst überlassen?!“ Link hatte plötzlich das Gefühl, an dem Kloß in seiner Kehle ersticken zu müssen und die Welt um ihn herum drehte sich auf einmal viel zu schnell. Er war der Grund, weshalb seine Eltern es so schwer hatten? Sein Vater wollte ihn im Stich lassen? Der vollkommen überforderte Junge wusste nicht einmal mehr, welche der beiden Erkenntnisse er schlimmer und erschreckender fand. Sich nicht fassen lassen wollende Gedanken wirbelten so laut durch seinen Geist, dass er fast verpasst hätte wie sein Vater sagte: „Nein, ich will ihn nicht aussetzen. Nur die Göttinnen allein wissen, was dann mit ihm passieren würde. Womöglich würde ein Dämon ihn erwischen und–“ „Was. Hast. Du. Vor?!“ Inzwischen war überdeutlich zu hören, dass Medila am liebsten geschrien hätte. Arn holte ein letztes Mal tief Luft und erklärte endlich: „Wenn wir so weitermachen wie bisher, haben wir keinerlei Überlebenschancen. Doch wenn wir verhungern, ist Link völlig auf sich allein gestellt – und damit ebenfalls dem Tod geweiht. Ich fürchte, unsere einzige Möglichkeit ist es, zu kaltblütigen Mördern zu werden.“ Bei diesen Worten schoss Link augenblicklich Gallensaft in die Kehle und er rollte sich herum, um sich zu erbrechen. Hustend und röchelnd würgte er grünweißlichen Schaum aus seinem leeren Magen hervor und spuckte ihn neben das Bett seiner Eltern. Sein Vater wollte ihn umbringen?! Link konnte es nicht fassen… und doch machten die Aussagen seines Vaters für ihn keinen anderen Sinn. Er war ein Klotz am Bein, den es loszuwerden galt… Während Link sich im ersten Stock weinend erbrach, starrte Medila ihren Mann in der Küche sprachlos an. Arn sprach unterdessen mit gedämpfter Stimme weiter: „Du und Link, ihr müsst damit nichts zu tun haben. Ich allein werde mir die Hände schmutzig machen.“ Langsam ließ Medila die Hand, die sie sich vor den Mund geschlagen hatte, wieder sinken und schüttelte benommen den Kopf. Nur allmählich begriff sie, was ihr Mann ihr sagen wollte und dass er Recht hatte. „Nein. Du musst diese Bürde nicht allein tragen.“ Überrascht riss Arn die Augen auf und starrte seine Frau verwundert an. Er hatte damit gerechnet, dass sie ihn anschreien und verdammen würde. Darauf, dass sie ihn unterstützen wollen würde, hätte er im Traum nicht gehofft. Unter seinen verblüfften Blicken drückte Medila den Rücken durch und straffte ihre knöchernen Schultern, bevor sie in feierlichem Ton verkündete: „Ich liebe Link und dich mehr als alles andere auf der Welt. Und wenn ich zur Mörderin werden muss, um euch zu retten, dann ist das eben so. Ich werde nicht davonlaufen.“ Mit Tränen in den Augen wollte Arn seine Gattin in die Arme schließen, als von oben ein lautes Krachen an ihre Ohren drang. Alarmiert legten die Eltern ihre Köpfe in den Nacken und keuchten den Namen ihres Sohnes, bevor sie zur Treppe hinüber stürzten. Link, dem beim Aufstehen die Knie eingeknickt waren, rieb sich die schmerzende Stirn. Bei dem Versuch, seinen Sturz noch irgendwie aufzufangen, war er von der Kommode seiner Mutter abgerutscht und mit dem Stirnbein auf einen danebenstehenden, als stummer Diener fungierenden Stuhl geknallt. Der Junge versuchte angestrengt, die flirrenden Glühpunkte, die in seinem Sichtfeld tanzten, wegzublinzeln, als er die Schritte hörte. Er wirbelte herum und wich beim Anblick seiner Eltern so weit zurück wie er konnte. „Link, Schätzchen, was ist passiert?“ Medila streckte eine Hand nach ihrem Sohn aus, doch dieser fauchte sie an: „Bleib weg! Ich weiß, was ihr vorhabt!“ Ein verletzter Ausdruck schlich sich in die Augen seiner Mutter und sie blieb wie angewurzelt mitten im Raum stehen. „Von was redest du?“ Arn trat neben sie und bedachte Link ebenfalls mit einem ratlosen Blick. „Hattest du einen Albtraum?“, versuchte der verwirrte Vater sein Glück. Mit wild schlagendem Herzen ließ Link instinktiv seine Hand über die Wand hinter sich wandern und brüllte: „Macht euch keine Mühe! Ich weiß, dass ihr mich nur in eine Falle locken wollt.“ Seine Eltern sahen sich hilflos an. Was war bloß in ihren ansonsten so sanftmütigen Sohn gefahren? Links Finger strichen noch immer unbemerkt über die mit Lehm und Kalk bestrichene Wand. Der Junge wusste nicht, nach was er tastete, bis er es zu fassen bekam. Doch dann umfasste er es so entschlossen als wäre es das Selbstverständlichste der Welt. Medila stieß einen kleinen Schrei aus und Arn riss völlig verdattert die Augen auf, als Link das Schwert seines Vaters aus seiner Scheide zog. Obwohl die Klinge der Waffe fast so lang wie Link groß war, hielt der Knabe sie erstaunlich ruhig vor sich. Wieder aus seiner Paralyse erwachend sagte Arn: „Leg das Schwert weg, Junge. Du verletzt dich noch.“ Als der Mann einen Schritt auf seinen Sohn zumachte, knurrte dieser ihn wütend an: „Komm ja nicht näher!“ „Werd doch bitte wieder vernünftig!“ Der flehende Ton seiner Mutter ging Link ans Herz und das Schwert in seinen Händen begann zu zittern. Doch dann dachte er wieder an das belauschte Gespräch zwischen seinen Eltern und packte das Heft noch fester. „Nein! Geht einfach weg und lasst mich alleine!“ Medila knetete vor Verzweiflung ihre Hände und sah ihren Mann hilfesuchend an. Dieser presste die Lippen aufeinander und sagte in strengem Ton: „Das reicht jetzt. Gib mir das Schwert, Link!“ Doch kaum dass Arn an seinen Sohn herangetreten war, riss dieser in Todesangst die Klinge nach oben wie er es so oft mit seinem Holzschwert geübt hatte. Die scharfe Schneide glitt problemlos durch Arns Bauchdecke, bis sie gegen das Brustbein stieß. Bevor Link realisieren konnte, was er dort tat, kippte der Junge sein Handgelenk so wie sein Vater es ihm in einer Trainingslektion gezeigt hatte und rammte Arn die Schwertspitze mitten ins Herz. Medila kreischte bei diesem Anblick laut auf und brach die Augen verdrehend zusammen, als auch ihr geschwächtes Herz vor Schock stehenblieb. Purpurnes Blut rann in breiten Bahnen über den Griff des Schwertes auf Links Hand und Unterarm. Als dem Jungen endlich klar wurde, dass er soeben seinen eigenen Vater erstochen hatte, ließ er schlagartig das Schwertheft los als hätte er sich verbrannt. Arns Leiche fiel zuerst auf die Knie und stürzte dann wie ein nasser Sack zur Seite. Der dumpfe Aufprall hallte übernatürlich laut in den Ohren des Jungen wider. Dieser wich immer wieder „Nein… Nein…“ stammelnd an die Wand zurück, an der er schließlich zu Boden rutschte und hysterisch zu weinen begann. Link hatte keine Ahnung, wie lange er dort gekauert und geschluchzt hatte, doch als er endlich wieder aufstand erhellte nicht nur der inzwischen aufgegangene Mond den Raum. Auch Link selbst schien sich grundlegend verändert zu haben. Alles Kindliche schien mit seinen unzähligen Tränen aus ihm herausgewaschen worden zu sein. Das einstmals offene, verletzlich wirkende Gesicht war zu einer ausdruckslosen Maske verhärtet und seine gesamte Körperhaltung drückte plötzlich einen nie dagewesenen Kampfeswillen aus. Über die Leichen seiner Eltern hinwegsteigend, trat Link an den zersprungenen Spiegel seiner Mutter heran und sah sich selbst ins Gesicht. In seinen Augen schien ein Funke zu glimmen, den er noch nie zuvor wahrgenommen hatte. Für einen Moment fragte der Knabe sich, was dieses neue Funkeln in seinen Iriden wohl sein mochte. Doch er verwarf den Gedanken schnell wieder. Derartige Details waren auf einmal irrelevant für ihn… Dann bückte er sich zu dem toten Körper seines Vaters hinab und tauchte zwei Finger in die noch nicht vollständig durchgetrocknete Blutlache. Sein Spiegelbild anstarrend verpasste der Junge sich mit dem Blut seines Vaters eine gruselige Kriegsbemalung, bevor er das tödlich scharfe Schwert wieder an sich nahm. Anschließend wandte er sich ein letztes Mal dem Spiegel zu und sagte zu sich selbst als würde er einen Schwur ablegen: „Link starb an diesem Tag zusammen mit seinen Eltern. Ab heute trage ich den Namen Dark. Ich werde der furchtbarste Krieger werden, den die Schattenwelt je gesehen hat. Und ich werde einen Weg finden, die Göttinnen für ihren Frevel zur Rechenschaft zu ziehen. Sie werden dafür büßen, dass sie die Schattenwelt und ihre Bewohner den Dämonen überlassen haben!“ Mit einem letzten Blick auf die Leichen seiner Eltern fügte der Junge leise flüsternd an: „Und ich werde einen Weg finden, mir mein Leben zurückzuholen – so wie es hätte sein sollen, wenn die Göttinnen gerecht wären!“ Dann schnallte er sich das Schwert seines Vaters um und verließ sein Elternhaus, um niemals mehr zurückzukehren. Kapitel 2: Rachegott -------------------- Dark eilte mit ausgreifenden Schritten die Gasse entlang als hätte er ein festes Ziel, das er schnellstmöglich zu erreichen gedachte. Doch als er am zentralen Stadtplatz ankam, wurde ihm bewusst, dass er keine Ahnung hatte, wohin er nun gehen wollte. Mit grüblerischem Gesichtsausdruck setzte sich der Junge auf einen Kübel, in dem früher vielleicht einmal Blumen geblüht hatten. Die abgenagten Knochen, die auf dem vertrockneten Humus lagen, bezeugten, dass das kleine Steinrondell inzwischen als Abfalleimer anstatt als Blumenbeet genutzt wurde. Dark zupfte sich gedankenversunken mit Daumen und Zeigefinger an der Unterlippe und starrte ins Nichts. Was sollte er nun tun? Wohin sollte er gehen? Wenn er völlig auf sich allein gestellt überleben wollte, brauchte er einen Plan. Für einen Moment drängte sich ihm die Frage auf, was Arn in einer solchen Situation wohl getan hätte. Doch Dark schob diesen Gedanken und den damit verbundenen Schmerz so schnell er konnte beiseite. Er war nicht mehr Link. Dark hatte nie Eltern gehabt, die er vermissen musste. Anstatt von einer Frau geboren worden zu sein, war er als Rachegott aus der Trauer und dem Zorn eines toten Kindes emporgestiegen. Sein Vater war der Tod und das Leid seine Mutter. Während er sich selbst in Rage dachte, bemerkte Dark wie eine unbekannte Energie durch seinen Körper strömte. Jeder Muskel, jede einzelne Faser schien zu summen und vor Kraft zu strotzen. Er fühlte sich unbesiegbar! Doch als sein Magen sich laut knurrend bemerkbar machte, verpuffte der Zauber seiner anfeuernden Worte so schnell wie er gekommen war. Die Lippen hart aufeinander gepresst, legte der Junge sich eine Hand auf den schmerzenden Bauch. Es war schon über einen Tag her, dass er zuletzt etwas gegessen hatte – und das war auch nur eine dünne Suppe aus Wurzelknollen und Baumrinde gewesen. So viel stand fest: Bevor er sich irgendwohin auf den Weg machen konnte, musste er zu allererst etwas Essbares auftreiben. Also rutschte Dark von dem Blumenkübel herunter und begann, ziellos durch die engen Gassen der Stadt zu schleichen. Vielleicht hatte er ja Glück und konnte zumindest eine Ratte erwischen, die genau wie er auf Nahrungssuche war. Nach mehreren Stunden erfolgloser Jagd gab Dark schließlich auf. Sein schmerzender Magen knurrte wie ein wildes Tier und dem Jungen wurde allmählich ein wenig flau. Wenn er nicht bald etwas zwischen die Zähne bekam, glaubte er, die Besinnung verlieren zu müssen. Auf seinem Weg zurück zum Stadtzentrum kam ihm jedoch eine zündende Idee. Sofort schlug er einen kleinen Haken und wandte seine Schritte zum nördlichen Ende der Stadt. Dort stand auf einem kleinen Hügel das Anwesen der reichsten Familie weit und breit. Angeblich war es einem ihrer Vorfahren gelungen, einen Dämonenprinzen gefangen zu nehmen. Seitdem, so hieß es, versorgte die Mutter der Geisel, eine der Dämonenfürstinnen höchstpersönlich, die Familie mit Nahrung. Es gab allerdings andere Stimmen, die behaupteten, die talentierten und skrupellosen Krieger würden sich schlicht und ergreifend Sklaven halten, die tagtäglich genügend Essen herbeischaffen mussten. Dark wusste nicht, welche der beiden Geschichten die Wahrheit war. Für ihn zählte nur, dass die gute Überwachung des Hauses dafür sprach, dass es dort tatsächlich Essen zu holen gab. Er wusste, schon viele Bewohner Hyrule-Stadts hatten versucht, in das Anwesen einzubrechen. In den meisten Fällen waren die Eindringlinge zurückgeschlagen oder gar getötet worden. Eigentlich hätte das Dark entmutigen müssen – er war schließlich nur ein Kind und einem ausgebildeten Krieger nicht gewachsen. Doch in Wahrheit zog der Junge gerade aus seinem kindlichen Körper Hoffnung. Mit etwas Glück war er klein und schmal genug, um mit den Schatten verschmelzen und so ungesehen ins Haus einbrechen zu können. Während er sich vorsichtig anschlich, dachte er an all die Leckereien, die sich womöglich in der Villa befanden, und ihm lief das Wasser im Mund zusammen. Ob sie Rehkeulen oder Fasanenbraten hatten? Als er sich an den Geschmack des zarten Fleisches erinnerte, knurrte sein Magen so laut, dass Dark erschrocken zusammenfuhr. Den Kopf über sich selbst schüttelnd, verscheuchte der Knabe die Gedanken an schmackhafte Nahrungsmittel so gut er konnte. Er durfte sich nicht ablenken lassen! Sich dicht an die das Anwesen eingrenzende Mauer gedrückt, näherte Dark sich vorsichtig dem Tor, durch das man in den parkähnlichen Vorgarten gelangte. Wie überall waren auch hier sämtliche Pflanzen verdorrt und hatten nichts außer kargem Ödland hinterlassen. Kurz bevor er das schmiedeeiserne Tor erreicht hatte, huschte Dark zu der verkrüppelten Leiche eines Baumes herüber. Die Bewohner Hyrule-Stadts hatten auf ihrer verzweifelten Suche nach Nahrung inzwischen jedes Bisschen Rinde vom Stamm gezogen, sodass er nun als breite Stange rohen Holzes in den Nachthimmel ragte. Die nackten Zweige sahen für Dark aus wie die bleichen Knochenfinger von Skeletten, die nach den schwach glimmenden Sternen am Firmament zu greifen schienen. Schaudernd wandte der Junge den Blick ab und sah aus dem schützenden Schatten des toten Baumes zu dem Eisentor herüber. Dort standen zwei Wachen, die sich gelangweilt gegen den Torbogen lehnten und sich unterhielten. Obwohl die Nacht sehr ruhig war, konnte Dark kein Wort des Gesagten verstehen. Er hörte lediglich das leise Murmeln zweier flüsternder Stimmen. Die eisenbeschlagenen Scheiden ihrer langen Schwerter glänzten im Mondlicht wie mit Silber überzogen. Dark schätzte den Abstand zwischen den Torstäben weit genug, um sich hindurchzwängen zu können. Doch wie sollte er die beiden Männer davor loswerden? Während Dark noch über eine List grübelte, kam ihm der Zufall zur Hilfe. Vom Stadtzentrum her hinkte ein ausgehungert wirkender Mann auf die Wachen zu und hielt bettelnd die Hände auf. Sogleich trat der größere der beiden Wachmänner an den Hungernden heran und drückte ihm die Arme zurück an den Körper. „Verschwinde! Hier gibt es für dich nichts zu holen.“ Die Stimme der Wache war ein bedrohliches Knurren, das verriet, dass sie nicht lange fackeln würde, bevor sie zur Waffe greifen würde. Doch der Bettler ließ sich davon nicht abschrecken: „Aber ich habe zuhause Frau und Kinder! Wir verhungern ohne Hilfe!“ Ungefragt schlich sich das Bild eines hausierenden Arns vor Darks innere Auge. Hatte sein Vater es ebenfalls mit Betteln versucht, bevor er sich zu dem drastischen Schritt, seinen eigenen Sohn zu schlachten, entschieden hatte? Hatte er an genau derselben Stelle gestanden und war auf dieselbe rüde Art abgewiesen worden? Obwohl er sich schnell daran erinnerte, dass er mit Links Eltern nichts zu tun hatte, loderte ein animalischer, alles verschlingender Zorn in Dark auf. Er würde diese egoistischen Essenshorter für ihre Kaltherzigkeit bestrafen! Während er beobachtete, wie die Wache den Bettler grob zurückstieß, ballte der Knabe die Hände so fest zu Fäusten, dass seine gesamten Unterarme zu zittern begannen. Rachsucht rollte wie Feuerwalzen durch seine Adern und heißkalte Schauer rieselten sein Rückgrat entlang. Zum ersten Mal in seinem Leben verstand Dark, was sich hinter dem Begriff «Hass» wirklich verbarg: Tödliche, blind machende Wut, die jede Faser des Körpers erfasste und Denken nahezu unmöglich machte. Dennoch bewerkstelligte der Junge es irgendwie, seinen Groll für den Moment zur Seite zu schieben und geduldig auf seine Chance zu warten. Je länger er zusah wie die Wache versuchte, den Bettler zu vertreiben, desto tiefer grub sich der Hass in die verhärteten Überreste seines Herzens. Zu seinem eigenen Erstaunen wurde Dark immer entspannte, je mehr der Zorn ein Teil von ihm wurde. Es war eine eiskalte Ruhe, die sich seiner bemächtigte und seinen Verstand so scharf wie eine Rasierklinge arbeiten ließ. „Jetzt verschwinde endlich oder wir prügeln dich fort!“ Der zweite Wachmann trat neben seinen Kollegen und funkelte erbost auf den ausgehungerten Mann vor sich herab. Das war die Gelegenheit, auf die Dark gewartet hatte! Als wäre er nicht mehr als ein Schatten huschte der Knabe ungesehen hinter den beiden Wachen entlang zum Tor und schlüpfte zwischen den Gitterstäben hindurch. So schnell er konnte, hastete er zu einem in der Nähe aufgestapelten Geröllhaufen und sah sich aus der Deckung heraus um. Wenige Meter vor der Haustür brannte ein Lagerfeuer auf dem Vorhof. Drei Wachen saßen ums Feuer herum und spielten Karten, während mindestens zwei weitere über das Gelände patrouillierten. Der Mond wanderte allmählich in seinen Zenit, während Dark sich das Muster der Wachgänge einprägte und nach einem Schlupfloch suchte. „Wenn ich mich immer dicht an der Mauer halte, müsste ich es zur Hintertür schaffen. Vielleicht habe ich dort mehr Glück und es sitzen keine Wachen direkt davor.“ Dark kaute grübelnd auf der Unterlippe und zuckte dann mit den Schultern. Indem er hier rumstand und Löcher in die Luft guckte, fand er es sicher nicht heraus. Auf den leisen Sohlen einer Katze schlich sich der Junge immer näher an sein Ziel heran, bis er schließlich die Hintertür entdeckte. Schnelle Blicke in alle Himmelsrichtungen verrieten ihm, dass tatsächlich keine Wache in der Nähe war und Dark jubelte stumm in sich hinein. Offenbar waren die Wachen so von sich überzeugt, dass sie nicht glaubten, dass es jemand bis hierher schaffen könnte, und patrouillierten deswegen nur sporadisch im hinteren Teil des Gartens. So geschwind wie ein Wiesel huschte Dark zum Eingang und drehte den Türknopf. Verschlossen. Einen unterdrückten Knurrlaut ausstoßend, gestand Dark sich ein, dass er damit hätte rechnen müssen. Für einen Moment erwog er, einfach ein Fenster einzuschlagen, verwarf den Gedanken jedoch gleich wieder. Das Klirren des Glases hätte sofort sämtliche Wachen auf den Plan gerufen. Während er unschlüssig auf dem Türabsatz stand und überlegte, was er nun tun sollte, ließ er seinen Blick schweifen. Als er ganz in der Nähe einen breiten, unbewachten Riss in der Mauer entdeckte, riss er überrascht die Augen auf. Wenn er das vorher gewusst hätte, hätte er sich eine Menge Mühen ersparen können! Er legte die neue Erkenntnis in einer Schublade seines Unterbewusstseins ab und wandte seine Aufmerksamkeit dann wieder der verschlossenen Tür zu. „Vielleicht kann ich das Schloss einfach aufhebeln?“ Sobald ihm dieser Gedanke in den Sinn kam, zog Dark das noch immer blutbefleckte Schwert Arns aus seiner Scheide und schob die Klinge zwischen Türblatt und -rahmen. Dann drückte er immer wieder gegen das Schwertheft, wobei er jedes Mal ein wenig mehr Kraft gebrauchte. Zu Darks großer Freude gab das Schloss nach einigen Versuchen tatsächlich nach und sprang auf. Mit einem selbstgefälligen Grinsen schob der Junge seine Waffe zurück in ihre Schutzhülle und machte sich den gedanklichen Vermerk, die Klinge so bald wie möglich zu reinigen. Dann schlüpfte er geschwind in die Dunkelheit der nun offenstehenden Villa. Die Waschküche, die er als erstes betrat, wurde nur durch den silbrigen Schein des Mondes erhellt und Dark brauchte einen Augenblick, bevor er sich orientiert hatte. Dann zog er schnell die Tür so weit wie möglich zu und klemmte einen in der Nähe stehenden Stuhl unter den Knauf, um sie am erneuten Aufschwingen zu hindern. Auf diese Weise, so hoffte der Knabe, würde einer patrouillierenden Wache nicht auffallen, dass das Schloss beschädigt war. Erst nachdem er sich vergewissert hatte, dass die Tür geschlossen bleiben würde, machte er sich auf die Suche nach der Vorratskammer. Es war vollkommen still im Haus und die weitläufigen Räume wurden nur vereinzelt durch in kunstvoll verzierten Gläsern befindliche Wachskerzen erhellt. Offenbar lagen die Bewohner alle friedlich in ihren Betten. Dennoch gab Dark sich größte Mühe, keinen einzigen Mucks zu machen, während er durch den Flur schlich und in jeden Raum linste. Als er endlich die Vorratskammer entdeckte, hatte Dark das Gefühl, ihn träfe der Schlag, und ihm schossen heiße Tränen der Wut in die Augen. Während die Menschen in der Stadt Hunger litten, waren die Regale hier bis zum Bersten gefüllt mit Trockenfleisch, Dörrobst und anderen haltbaren Nahrungsmitteln. Im ersten Moment wurde dem Jungen vor Zorn so übel, dass er glaubte, sich an Ort und Stelle erbrechen zu müssen. Doch dann kehrte die eiskalte Ruhe zurück und er erinnerte sich daran, dass er dringend etwas essen und Vorräte mitnehmen musste, wenn er die nächste Zeit überleben wollte. Also ließ er sich im Schneidersitz auf dem Boden nieder und begann langsam zu essen. Nachdem er sich gesättigt hatte, machte Dark sich auf die Suche nach etwas, in dem er weitere Nahrungsmittel transportieren und mitnehmen konnte. In der Waschküche fand er schließlich ein Bettlaken, aus dem er sich eine Art Tasche bastelten konnte. So schnell wie es ihm möglich war, ohne beim Laufen Geräusche zu machen, eilte der Knabe zurück zur Vorratskammer, wo er das Laken auf dem Boden ausbreitete. Dann warf er so viel langhaltbares Essen wie möglich in die Mitte des Tuchs, das er anschließend darum wickelte und sich wie eine Schlinge um den Oberkörper band. Damit hatte sich sein Anliegen, das ihn in dieses Haus geführt hatte, eigentlich erschöpft. Doch anstatt fix zu verschwinden, stieg Dark langsam die breite Treppe zu den Wohnräumen hinauf. Auf vier Schlafzimmer verteilt, fand er die gesamte Familie in ihren Betten. Das Geräusch seiner Schritte wurde von dicken Teppichen geschluckt, als Dark bedächtig an die erste Schlafstätte herantrat und mit harter, fast unbewegter Miene auf die schlummernden Eltern herabblickte. Während er mit scheinbar ausdruckslosen Augen die Gesichter der beiden Wohlgenährten abtastete, sah er unwillkürlich das Bild der ausgezehrten Körper Arns und Medilas vor sich. Sofort loderte Feuer in seinen Adern und er zog ohne nachzudenken sein Schwert. Einen augenaufschlaglangen Moment schien er zu zögern, doch dann rammte Dark seine Waffe bis zum Heft in die Brust des schlafenden Mannes. Von dem harten Stoß aus ihren Träumen gerissen, schlug die daneben liegende Frau blinzelnd die Augen auf. Bevor sie registrieren konnte, was sie sah, hatte Dark ihr jedoch bereits die Kehle durchtrennt. Das Blut, das wie ein scharlachroter Wasserfall aus der Wunde schoss, nahm der Knabe gar nicht wirklich wahr. Stattdessen wunderte sich der entrückte Geist des Jungen darüber, dass der Kehlschnitt wie ein zahnloser, lächerlich weit grinsender Mund anmutete. Ohne einen Gedanken der Reue oder des Bedauerns wandte Dark sich von dem besudelten Bett ab und ging in das angrenzende Schlafzimmer herüber, wo er den ältesten Sohn genauso lautlos tötete wie dessen Eltern. Auf diese Weise richtete er die ganze Familie. Selbst vor dem selig schlummernden Mädchen, das kaum älter war als er selbst, machte er nicht Halt. In seinen Augen hatten sie sich alle schuldig gemacht, indem sie im Luxus geschwelgt hatten, während die Menschen in der Stadt hatten darben müssen. Seine Kleidung war blutgetränkt und die langen Strähnen seines Ponys verklebt, als Darks Rachedurst langsam abebbte und er sich anschickte wieder aus dem Haus zu schleichen. Zu gerne hätte er die Wachen ebenfalls zur Rechenschaft gezogen, doch er war sich sicher, dass er in einem offenen Kampf unterliegen musste. Dafür fehlte es seinem kindlichen Körper noch an Kraft. Außerdem drängte sich ihm der Gedanke auf, dass die Wachmänner womöglich nur deswegen für die reiche Familie arbeiteten, weil dies das Überleben ihrer eigenen Angehörigen sicherte. Vielleicht waren sie die Sklaven, von denen in den Geschichten die Rede war. Deswegen eilte Dark noch einmal in die Waschküche und schnappte sich ein weiteres Laken, anstatt sich schwertschwingend auf eine der Wachen zu stürzen. Genau wie das erste Tuch füllte er dieses in der Vorratskammer mit so viel Essen wie möglich. Dann knotete er das Bettlaken zu und schleppte es nach draußen. Sich das Bündel vor den Bauch haltend, huschte der Junge so schnell wie möglich zu dem zuvor entdeckten Mauerriss herüber. Von da aus schlug er einen Umweg zum Stadtzentrum ein, um nicht doch noch von den Wachen entdeckt und geschnappt zu werden. Doch das war nicht der einzige Grund, weshalb der Junge einen extra weiten Weg wählte. Wann immer er an einem Wohnhaus vorbeikam, warf er ein wenig Essen in den Vorgarten. Den verbliebenen Rest verstreute er auf dem zentralen Platz, wo ihn sicherlich schon bald jemand finden würde. Als Dark grinste, blitzten seine Zähne wie die bedrohlichen Fänge eines Wolfes zwischen dem angetrockneten Blut in seinem Gesicht hervor. Er fühlte sich berauscht und hatte das Gefühl, auf Wolken zu gehen. Zwar konnte er geschehenes Unrecht nicht wieder gutmachen, doch es kam ihm vor als hätte er den Bewohnern Hyrule-Stadts zumindest ein wenig Gerechtigkeit zurückgebracht. Bei dem Gedanken schoben sich die Mundwinkel des Jungen noch weiter nach oben. Er gefiel sich in seiner Rolle als gnadenloser Rächer. Trunken vor Euphorie ging Dark beschwingten Schrittes in Richtung Stadttor. Schon bald würde die Zugbrücke heruntergelassen werden und er könnte endlich seine verhasste Heimatstadt verlassen. Während er sich in der Nähe des Tores in eine geschützte Hausnische kauerte und den untergehenden Mond betrachtete, entschied der Knabe endlich, wohin ihn seine Reise führen würde: Er wollte zum unwirtlichsten und kärgsten Gebiet der bekannten Welt, der westlichen Todeswüste. Wenn er es schaffte, dort zu überleben, würde er mit gestähltem Körper und Geist zurückkehren und einen Weg suchen, sich an den Göttinnen für all sein erlittenes Leid rächen. Er wollte Gerechtigkeit! Kapitel 3: Die Geheimnisse des Schattens ---------------------------------------- Dass Dark die ersten Monate seines neuen Lebens überstand, war einzig und allein seiner Cleverness zu verdanken. Er reiste nur am Tage und suchte sich jeden Abend noch vor Sonnenuntergang ein Versteck, in dem er sich vor den Steppenreitern und den unzähligen anderen Dämonen verschanzen konnte. Dennoch erlaubte der Knabe sich nie, in erholsamen Tiefschlaf abzudriften. Stattdessen hielt er sich stets in einem halbwachen Dämmerzustand und lauschte dösend in die Dunkelheit, um mögliche Gefahren rechtzeitig ausmachen zu können. Die größte Schwierigkeit stellte jedoch die Wasserversorgung dar. Da die Flüsse nur noch vergammeltes Brachwasser führten, war die einzige Möglichkeit an Trinkwasser zu kommen das Sammeln von Tau oder Regen. Daher stand Dark jeden Morgen auf, sobald der erste Sonnenstrahl über das Gebirge im Osten hinweg ins Tal fiel und die in der Steppe marodierenden Monster vertrieb. Doch obwohl der Junge gierig jeden Tautropfen aufleckte, den er finden konnte, reichte es nicht. Schon nach wenigen Tagen bemerkte Dark mit anhaltendem Schwindel und flirrender Sicht erste Anzeichen einer ernsthaften Dehydrierung. Dennoch trieb er sich unbarmherzig weiter in Richtung Wüste. Nach etwa einer Woche war Dark sich sicher, dass er verdursten würde, wenn es nicht bald regnen und ihm eine Möglichkeit einfallen würde, den Regen aufzufangen. Doch als er eines Abends eine Ratte fing, die sich an seinen Vorräten zu schaffen machte, entdeckte der Knabe eine weitere Möglichkeit, seinem Körper zumindest ein wenig Flüssigkeit zuzuführen. Da er Angst hatte, ein Feuer könnte ihn an die Dämonen verraten und er seine Essensvorräte so lange strecken wollte wie möglich, zog er dem kleinen Nagetier umständlich mit seinem Schwert das Fell ab und biss angewidert die Nase rümpfend in das rohe Fleisch. Zunächst hätte er die glibberige Masse am liebsten wieder ausgespuckt, mahnte sich dann jedoch selbst, dass er nicht zimperlich sein durfte, wenn er in der Wildnis überleben wollte. Während er mit seinem Würgereiz kämpfend kaute, bemerkte er, dass das in den Zellen eingeschlossene Wasser und Blut dem in seiner Kehle brennenden Durst ein wenig entgegen wirkten. An diesem Abend beschloss Dark, seine haltbaren Vorräte für Notfälle aufzubewahren und sich stattdessen so gut wie möglich von dem rohen Fleisch kleiner Tiere zu ernähren. Auf diese Weise sicherte sich der Knabe knapp, aber erfolgreich das Leben. Bis er endlich an der Todeswüste angelangte, waren bereits viele Monde ins Land gegangen und Dark war aus seiner inzwischen zerlumpten Kleidung beinah herausgewachsen. Sein überschulterlanggewachsenes Haar war dreckig und verfilzt und der einstmals wohlgenährte Körper, auf den Medila so stolz gewesen war, war auf Grund der entbehrungsreichen Reise deutlich abgemagert. Dennoch empfand der Junge nichts außer Triumph, dass er sein Ziel ohne fremde Hilfe erreicht hatte. Nun musste er nur noch einen geeigneten Unterschlupf suchen, bevor er sich dem ultimativen Überlebenstest unterziehen konnte: jahrelanges Hausen in der unwirtlichsten und tödlichsten Gegend der Welt! Eine ganze Weile irrte Dark ziellos durch die schier endlose Gerölllandschaft, bis er in einem Felsausläufer des nahen Gebirges eine Höhle entdeckte, die er für geeignet hielt. Seine neue Unterkunft war in etwa so groß wie der Bau eines großen Bären und durch den Eingangswinkel von außen nur schwer einsehbar. Voller Enthusiasmus suchte der Knabe sich Gesteinsplatten und Felsbrocken, aus denen er sich ein improvisiertes Bett sowie einen Tisch mit Hocker baute. Nun fehlten nur noch die Felle irgendwelcher Beutetiere, um die Schlafstätte etwas gemütlicher und wärmender zu machen. Dark hatte jedoch keinerlei Zweifel daran, dass er das Fehlende schon bald auftreiben würde. Er hatte es bereits bis hierher geschafft – was sollte ihn jetzt noch aufhalten? Doch nach über einer Woche musste der Junge sich noch immer ohne jegliche Polsterungsmöglichkeit auf der kalten, harten Steinplatte seines Bettes ausstrecken. Generell ging es ihm schlechter als jemals zuvor. Zwar war es auf Grund des desolaten Zustands der toten Sonne in der Wüste nicht viel heißer als in den anderen Teilen des Landes, doch während in der Steppe zumindest vereinzelte, ohne viel Wasser auskommende Pflanzen standen, die Tiere anlockten, schien es in der Todeswüste gar kein Leben zu geben. Nur selten gelang es Dark eine kleine Eidechse zu fangen und sie noch an Ort und Stelle zu verschlingen. Seine mitgebrachten Vorräte waren inzwischen aufgebraucht und jede seiner Zellen schrie nach Wasser. Dementsprechend glaubte Dark zunächst zu halluzinieren, als er ein Geräusch in der Nähe des Höhleneingangs hörte. Sich auf die Seite rollend dachte der Junge zurück an die Zeit, in der er noch Link geheißen und mit seinen Eltern zusammen gelebt hatte. Warum nur hatten die Göttinnen ihnen solch ein Schicksal aufbürden müssen? Was gab ihnen das Recht dazu, derartig leichtfertig mit den Seelen Unschuldiger umzugehen?! Gerade als er glaubte, die angestaute Wut in seinem Innern herausschreien zu müssen, hörte er wieder ein Geräusch – ganz nah dieses Mal. Reflexartig griff Dark nach seinem Schwert und wirbelte herum, nur um einem hochgewachsenen, breitschultrigen Mann in die Augen zu sehen. Obwohl die braunen Iriden des Fremden amüsiert funkelten, anstatt bedrohlich begehrlich zu glitzern, fiel Dark schlagartig eine Geschichte ein, die Medila ihm einst erzählt hatte. Angeblich streiften wilde Vagabunden durchs Land, die Kindern unaussprechliche Dinge antaten und sich zunächst auf andere Weise an ihrem Fleisch vergingen, bevor sie sie schließlich töteten und verspeisten. Sofort riss Dark sein Schwert aus der Scheide und richtete die Spitze auf die Kehle des noch immer unbewegt dastehenden Mannes. Vor Angst zitterten seine Hände jedoch so sehr, dass er die Klinge nicht ruhig halten konnte. Als der Fremde sich schließlich doch bewegte, wich Dark mit rasendem Herzen an die Wand zurück. Was immer dieser Verrückte mit ihm vorhatte – er würde sich nicht kampflos ergeben! Doch zu seiner Überraschung griff der Mann gar nicht nach ihm, sondern hob die Arme betont langsam zu einem Zeichen des Friedens in die Luft. Verunsichert packte Dark das Schwertheft noch fester. War das eine Falle? Wollte der Fremde ihn in Sicherheit wiegen und dann zuschlagen, sobald er die Waffe senkte? „Hab keine Angst. Ich will dir nichts tun, Kleiner.“ Die Stimme des Mannes war dunkel und ein wenig rau, so als hätte ihr Besitzer sie schon lange nicht mehr gebraucht. Dark versuchte, den Kloß, der ihm die Kehle verstopfte, herunterzuschlucken und rief: „Was willst du von mir?!“ Der Fremde zuckte seine muskulös wirkenden Schultern. „Eigentlich gar nichts. Ich war nur neugierig.“ „Auf was?“ So langsam fand Dark die Festigkeit seiner Stimme wieder. Sein Gegenüber warf ihm ein verschmitztes Grinsen zu, das einen halb abgeschlagenen Schneidezahn entblößte. „Naja, es kommt nicht oft vor, dass man ein Kind völlig auf sich allein gestellt durch die Wüste irren sieht.“ Überrascht blinzelte Dark den Fremden an: „W-Woher weißt du…?“ Dieser lachte angesichts des verwirrten Gesichtsausdrucks des Jungen laut auf. Sein tief aus der Brust kommendes Lachen klang melodisch und ehrlich. Dann gab er mit einem Zwinkern zu: „Ich beobachte dich schon eine Weile.“ Dark war so überrumpelt, dass er beinah sein Schwert fallen ließ. Er war beobachtet worden?! Dabei hatte er sich doch solche Mühe gegeben, immer aufmerksam zu sein! „Wie lange schon?“ Dark hörte selbst, wie flach und tonlos seine Stimme war. Der Fremde wiegte den Kopf hin und her als überlegte er. „Seit ungefähr zwei Wochen spüre ich dich immer mal wieder auf.“ „Aber warum?!“ Vor Entgeisterung verließ sämtliche Kraft den Körper des Jungen und er senkte sein schweres Schwert, bis seine Hände auf seinem Schoß lagen. Glücklicherweise schien der Eindringling keinen Profit aus seiner Nachlässigkeit ziehen zu wollen. Stattdessen ließ der Fremde sich auf Darks Hocker nieder, was auf Grund seiner Körpergröße ein wenig lächerlich aussah. Als würde ein Bär versuchen, es sich auf einem Zaunpfosten bequem zu machen. „Wie gesagt: Man sieht nicht oft Kinder, die alleine durch die Wüste ziehen. Anfangs dachte ich, du hättest dich womöglich verlaufen. Doch dann fiel mir auf, dass du nach etwas zu suchen schienst. Das hat meine Neugierde geweckt. Und nun scheinst du dich hier sesshaft gemacht zu haben…“ Der Mann ließ seinen Blick durch Darks Höhle schweifen, bevor er den Jungen fixierte und mit erstaunlich sanfter Stimme fragte: „Hast du aufgegeben, den Weg nach Hause zu finden? Soll ich dich heimbringen?“ Die Worte «nach Hause» brannten wie Peitschenhiebe auf Darks Herzen. Trotzig schob der Knabe das Kinn vor und schnappte: „Das hier ist mein Zuhause!“ Zunächst riss der Fremde überrascht die Augen auf, doch dann schien das Baumrindenbraun seiner Iriden zu schmelzen und ein wehmütiges Lächeln schlich sich auf sein Gesicht. „Verstehe. Du hast deine Heimat verloren, hm?“ Mit den Tränen kämpfend blaffte der Junge: „Was geht dich das an?!“ Der Fremde kratzte sich nachdenklich im Nacken und murmelte: „Ich sehe schon, du willst meine Hilfe nicht. Nun gut. Da kann man nichts machen. Ich wünsche dir trotzdem viel Glück für dein weiteres Überleben – du wirst es brauchen.“ Mit diesen Worten zog er seinen Mundschutz, der zuvor lose um seinen Hals gebaumelt war, hoch, bis nur noch seine Augen zu sehen waren. Dieser Anblick stieß eine Erinnerung Darks an und der Junge rief aufgeregt: „Warte! Du bist ein Assassine, nicht wahr?“ Der Fremde, der sich bereits abgewandt hatte, entgegnete über die Schulter hinweg: „Und wenn es so wäre? Würdest du dich dann von mir nach Hause bringen lassen?“ „Nein.“ Dark stieg von seinem Bett herunter und lief auf den Mann vor sich zu. Arn hatte ihm einst erzählt, dass Assassinen nicht nur gefürchtete, skrupellose Mörder waren, die scheinbar aus dem Nichts auftauchten, zielsicher töteten und ungesehen wieder verschwanden, sondern auch geschickte Überlebenskünstler. Dark trat vor den Fremden und sah ihm mit festem Blick in die Augen. „Wenn du wirklich ein Assassine bist, will ich, dass du mich ausbildest.“ Einige Herzschläge lang starrte der Mann den vollkommen ernst wirkenden Jungen vor sich an, dann brach er in schallendes Gelächter aus. „Weshalb sollte ich so etwas tun? Weißt du, wie viel Arbeit es ist, jemanden auszubilden? Du wärst mir für viele Jahre ein Klotz am Bein!“ Ohne mit der Wimper zu zucken, hielt Dark dagegen: „Eines Tages wirst du alt werden. Dann wirst du froh sein, wenn du einen jungen Mann wie mich an deiner Seite hast, der dich unterstützt und durchfüttert.“ Hinter seinem Mundschutz schien der Assassine zu grinsen, als er sich wieder zu dem Jungen umdrehte und sagte: „Eines muss man dir lassen, Kleiner. Du kannst gut argumentieren.“ Die Schultern straffend entgegnete Dark selbstgefällig: „Das ist nicht mein einziges Talent.“ Zaghaft nickend räumte der Mann ein: „Ich muss zugeben, ich war überrascht, dass du mich kommen gehört hast. Und im Umgang mit dem Schwert scheinst du ebenfalls nicht völlig unfähig zu sein – wenn du nicht gerade vor Angst schlotterst.“ An seine Panik von zuvor erinnert, presste Dark verstimmt die Lippen aufeinander und fragte in regelrecht herrischem Tonfall: „Bildest du mich nun aus oder nicht?“ Der Assassine musterte ihn daraufhin so intensiv, dass Dark sich schon beinah unsittlich berührt fühlte und sich unwohl fühlend mit den Schultern kreiste, um das Gewicht der fremden Blicke abzuschütteln. Die Augen auf die trockenen, rissigen Lippen des Knaben geheftet, murmelte der Meuchelmörder: „Ich werde dir wohl als allererstes beibringen müssen, Fährten zu lesen und dir das Wissen der Tiere zu eigen zu machen. Du musst dich selbstständig verpflegen können, wenn du mein Schüler sein willst.“ Darks Augen begannen zu leuchten als würden sie von hinten mit einer Kerze beschienen. „Ist das ein Ja?“ Der Assassine nickte bedächtig und hielt dem Jungen anschließend eine behandschuhte Hand entgegen: „Man nennt mich Shadow, der todbringende Schatten.“ Von einem Ohr zum anderen grinsend schlug der Knabe ein und stellte sich ebenfalls vor: „Ich bin Dark.“ Shadow lachte leise in sich hinein. „Na, wenn das mal kein passender Name für einen angehenden Assassinen ist.“ Dann löste er einen Trinkschlauch und ein kleines Ledersäckchen von seinem Gürtel und legte beides auf den Steintisch, bevor er sich wieder an Dark wandte: „Das sollte reichen, bis ich morgen Früh zurückkomme. Dann werde ich dir beibringen wie man Wasser aufspürt. Aber denk dran: Trink in kleinen Schlucken, sonst wird dir übel.“ Mit diesen Worten wirbelte Shadow um die eigene Achse und verließ mit langen Schritten die Höhle, während Dark sich mit Tränen in den Augen über die Gaben des Assassinen hermachte. „Siehst du das da oben?“ Shadow deutete auf einen dunklen Schatten, der sich weit oben in einem Felsspalt niederließ. Dark blinzelte angestrengt gegen die Sonne und unterdrückte ein Gähnen. Er hatte noch selig geschlummert, als sein Ausbilder noch vor der Morgendämmerung in seine Höhle gekommen und ihn unsanft geweckt hatte. Zunächst hatte Dark ihn wütend anknurren wollen, hatte sich dann jedoch eines Besseren besonnen. Der Assassine war nicht nur seine einzige Chance, langfristig zu überleben, er konnte ihm auch kämpfen beibringen, was für Darks geplanten Rachefeldzug gegen die Göttinnen nur von Vorteil sein konnte. Also hatte sich der Junge ohne zu murren auf die Beine gehievt und war zu Shadow herüber geschlurft, der ihn mit zweifelnden Blicken gemessen hatte. „Was denn?“ Dark hatte sich gähnend über die Brust gekratzt und zu dem Mann vor sich hoch geschaut. Dieser hatte ihn plötzlich grob an den Haaren gepackt und noch näher zu sich gezogen. Sofort war Panik in Dark explodiert. War er womöglich doch einem Kinderschänder in die Hände gefallen?! Anstatt die Hände des Mannes an seinen intimsten Stellen zu fühlen, hatte der Junge jedoch nur ein schmerzhaftes Reißen an seiner Kopfhaut gespürt, bevor die verfilzte Matte seines Schopfes neben ihm zu Boden gefallen war. Shadow hatte ihn daraufhin wieder losgelassen und ein langes Messer zurück in seinen Gürtel gesteckt, bevor er Dark gemahnt hatte: „Sorg in Zukunft dafür, dass deine Haare in einem guten Zustand sind. Sonst bleibst du noch an einem Dornenbusch hängen und wirst von wilden Wölfen gefressen.“ Dark hatte zaghaft seine nicht einmal mehr kinnlangen Strähnen befühlt und genickt. Daraufhin hatte Shadow nachgesetzt: „Außerdem darf ein Assassine niemals aussehen wie ein Wilder. Wir dürfen nicht auffallen, wenn wir uns unters Volk mischen. Merk dir das.“ Mit diesen Worten hatte er Dark ein Leinenbündel in die Hand gedrückt und hinzugefügt: „Deswegen habe ich dir neue Kleider mitgebracht. Diese Lumpen fallen dir ja beinah vom Leib!“ Zu seiner Überraschung passten die grobe Lederhose und das langärmelige Hemd wie angegossen, sodass Dark nun nicht den rauen Stein direkt an der Haut spüren musste, als er an den Rand des als Aussichtsplattform fungierenden Felsen robbte und auszumachen versuchte, um was es sich bei dem ominösen Schatten handelte. „Ist… Ist das ein Adler?“, stieß der Junge verblüfft aus, als er den großen Vogel endlich erkannte. Shadow nickte und fragte: „Weißt du, was das zu bedeuten hat?“ „Dass es Geflügel zum Abendessen gibt?“ Dark lief das Wasser im Mund zusammen, als er an marinierte Hähnchenkeulen dachte und sich fragte, ob Adler wohl wie Huhn schmeckte. Doch Shadow verpasste ihm einen leichten Schlag in den Nacken und tadelte: „Nur ein Dummkopf würde in der Todeswüste einen Adler jagen.“ Dann tippte er dem Knaben gegen die Stirn und sagte in eindringlichem Ton: „Du musst deinen Verstand mehr benutzen. Also los, streng dich an und denk nach. Und dann versuch noch mal, meine Frage richtig zu beantworten.“ Dark starrte in das wettergegerbte Gesicht seines Ausbilders und fragte sich, wieso es falsch wäre, den Adler zu jagen. Während sein Blick langsam wieder zu dem imposanten Vogel zurückwanderte, erinnerte sich der Junge daran, dass er heute eigentlich lernen sollte, wie man in der Wüste Wasser finden konnte. Was hatte der Adler damit zu tun? Der Knabe zog grübelnd die Unterlippe zwischen die Zähne und versuchte zu ignorieren, dass sein Begleiter ihn unentwegt kritisch ansah. „Aber natürlich!“ Als ihm die Erleuchtung kam, hätte Dark beinah laut aufgelacht. Es war so simpel! Shadow blickte ihn abwartend an und gab ihm mit einer knappen Handbewegung zu verstehen, dass er auf die Antwort wartete. Stolz auf sich selbst verkündete Dark in getragenem Ton: „Adler ernähren sich von Fischen, die im Wasser leben. Wenn wir dem Adler zu seinen Jagdgründen folgen, finden wir nicht nur Wasser, das sauber genug ist, dass Fische darin leben können. Wir können uns auch ein paar Fische zum Abendessen fangen!“ Dark strahlte seinen Ausbilder lobheischend an, doch dieser nickte nur und stellte ihm gleich die nächste Aufgabe: „Und woher weißt du, dass dieser Adler schon bald wieder auf Futtersuche gehen und kein Nickerchen halten wird?“ „Ääääh…“ Dark starrte Shadow ratlos an, der daraufhin aufseufzte und murrte: „Du musst lernen, genauer hinzusehen!“ Er deutete mit gespreizten Fingern auf seine graubraunen Augen. „Diese hier sind deine schärfste Waffe und deine beste Verteidigung, merk dir das. Und lerne vor allem, sie zu nutzen.“ Verunsichert nickend wandte Dark seine Aufmerksamkeit wieder dem Adler zu. Was konnte Shadow bloß meinen? Der Junge blinzelte angestrengt gegen die Sonne und versuchte, mehr Details in der schwarzen Schattenmasse auszumachen. Irgendetwas an der Form des Vogels sah komisch aus. Vor Konzentration brach Dark der Schweiß aus, doch das bemerkte der Knabe kaum. Bückte der Vogel sich etwa immer wieder? Ein Lächeln schwang in Shadows Stimme mit, als er seinem Schüler gut zuredete: „Ich glaube, du hast es. Was glaubst du zu sehen?“ „Der Adler hat Küken. Er wird den ganzen Tag zwischen seinem Horst und der Wasserquelle hin und her fliegen, um seine Nachkommen zu versorgen.“ „Sehr gut.“ Shadow zerzauste Dark in einer väterlichen Geste das kurzgeschnittene Haar, was diesen ruckartig zurückweichen ließ. So sehr er darauf brannte, von dem Assassinen ausgebildet zu werden, so wenig wollte er eine emotionale Bindung zu ihm aufbauen. Früher oder später, das hatte Dark an seinem letzten Tag als Link gelernt, wurde man selbst von den Menschen verraten, die man liebte. Es war besser, allein zu bleiben und Abstand zu wahren. Shadow hob angesichts der eigentümlichen Reaktion seines Schülers die Augenbrauen, kommentierte sie jedoch nicht. Stattdessen hievte er sich auf die Beine und deutete auf den Adler. „Er wird gleich wieder losfliegen. Mach dich auf einen harten Fußmarsch gefasst. Es wird nicht leicht werden, mit ihm mitzuhalten.“ Dark stand schwungvoll auf und brummte so leise, dass der neben ihm stehende Mann ihn nicht verstand: „Was im Leben ist schon einfach?“ Dann ließ er sich vorsichtig von dem erhöhten Felsen herabrutschen und folgte dem Vogel bis zu seinen Jagdgründen. Shadow lief die ganze Zeit ein wenig hinter ihm und überlegte, was seinem Schüler wohl zugestoßen sein mochte, dass er sich derartig verschlossen hatte. Etwa eine Stunde später waren jedoch sämtliche Grübeleien vergessen, als sie eine kleine Oase erreichten und Dark sich mit einem verzückten „Wasser! Wir haben wirklich Wasser gefunden!“ kopfüber ins kühle Nass stürzte. Shadow hockte sich ans Ufer und beobachtete den Jungen wie er mit kindlicher Freude herumplanschte. Vielleicht war ja doch noch nicht alles für ihn verloren… Die nächsten Lektionen verliefen ähnlich erfolgreich und Dark erwies sich als talentierter Fährtenleser. Doch als Shadow ihn das Bogenschießen lehren wollte, um die Jagdaussichten des Jungen zu verbessern, gerieten die Beiden schon bei der Waffenherstellung das erste Mal an einander… Shadow hatte Dark auf die Suche nach einem langen, etwa zwei bis drei Finger breiten, elastischen Zweig geschickt, aber jedes Holzstück, das der Knabe fand, war ausgetrocknet und brüchig. Vom fruchtlosen Suchen entnervt, brachte Dark seinem Ausbilder schließlich irgendeinen Zweig, der in etwa die richtigen Maße zu haben schien. Shadow drehte das Mitbringsel zwischen den Fingern und seufzte nach einer kurzen Weile tief auf. Dann holte er aus und zerschlug den Stab auf Darks Schulter. Der Junge ging in die Knie und starrte mit zornbrennenden Augen zu seinem Meister hinauf. „Aua! Spinnst du?! Was sollte das?“ Der Assassine zuckte gelangweilt wirkend mit den Schultern und strich heraus: „Du hast mir nicht zugehört. Du solltest mir einen elastischen, aber dennoch festen Zweig bringen. Stattdessen hast du mir Brennholz angeschleppt.“ Noch immer erzürnt darüber, geschlagen worden zu sein, fauchte Dark: „Und wo soll ich so etwas finden? Wir sind hier immerhin in einer verdammten Wüste! Hier ist alles trocken!“ Von der Wut, die sein Schüler ausstrahlte, unbeeindruckt, klopfte Shadow Dark mit dem Fingerknöchel auf den Scheitel und forderte: „Streng deinen Kopf an. Du wirst nie lernen, auf dich allein gestellt zu überleben, wenn du nicht endlich anfängst, mitzudenken.“ „Ich hab auch ohne dich überlebt und mich ganz allein von Hyrule-Stadt bis hierher durchgeschlagen! Also tu nicht so als wäre ich ein zurückgebliebener Schwachsinniger!“ Wieder zuckte Shadow nur mit den Schultern, was Dark vor Wut beinah platzen ließ, und sagte: „Dann beweis mir, dass du’s drauf hast. Bring mir ein Stück Holz, aus dem wir einen Bogen für dich bauen können.“ „Und wie ich’s dir beweisen werde!“ Dark wirbelte zornentbrannt herum und marschierte mit stampfenden Schritten davon, während Shadow ihm seufzend hinterher sah. Der Junge musste dringend lernen, sein Temperament zu zügeln, wenn er ein guter Assassine werden wollte… Erst als er wutschnaubend den Gipfel des nächsten Berges erklommen hatte, hielt Dark inne und blickte zurück, um sich zu vergewissern, dass sein Ausbilder ihn nicht mehr sehen konnte. Dann ließ er sich auf einem Stück Geröll nieder und dachte angestrengt nach. Er nahm seinem Meister den Schlag zwar noch immer übel, doch Shadow hatte leider Recht, was die Sache mit dem Überleben anging. Widerwillig gestand der Junge sich ein, dass er auch die ersten Monate nur mit Mühe und vor allem dank des ergaunerten Essens überlebt hatte. Er brauchte Shadow! Also würde er ihm diesen dämlichen, geforderten Zweig bringen! Die Frage war nur, wo sollte er Holz von dieser speziellen Beschaffenheit auftun? Als er in der Nähe die Welpen eines Wüstenfuchses entdeckte, die aus ihrem Bau gekrochen waren und sich spielerisch balgten, kam Dark schließlich eine Idee. Vielleicht konnte er in der Nähe der Oase Holz finden, das noch nicht völlig ausgetrocknet war. Mit neuem Mut schwang der Knabe sich wieder auf die Füße und eilte zu dem Wasserloch, das er zusammen mit Shadow vor einigen Tagen entdeckt hatte. Inzwischen war er so oft hier gewesen, um seinen Trinkschlauch aufzufüllen, dass er glaubte, es selbst im Halbschlaf wiederfinden zu können. Nach einigem Suchen entdeckte Dark tatsächlich einen Zweig, der den Anforderungen seines Meisters zu entsprechen schien. Offenbar war er schon vor einiger Zeit von einem der hier wachsenden Eukalyptusbäume abgebrochen, jedoch noch nicht vollständig durchgetrocknet. Während Dark zu seiner Höhle, wo Shadow auf ihn wartete, zurückkehrte, stritten verschiedene Gefühle in seinem Inneren. Einerseits war er stolz, die schwierige Aufgabe allem Anschein nach doch noch gelöst zu haben. Andererseits hatte er ein wenig Angst davor, wieder geschlagen zu werden, sollte der Zweig nicht so gut sein wie er glaubte. Bei der Erinnerung an den ersten Hieb brodelte der Zorn wieder in ihm hoch und er biss mit mahlenden Kiefern die Zähne zusammen. Als Dark schließlich zurückkehrte, saß Shadow im Schneidersitz neben einem kleinen Lagerfeuer und briet mehrere kleine Vögel und eine Ratte. Der Junge warf in einer trotzigen Geste den Zweig vor ihm auf den Boden und blaffte: „Da. Soll ich schon mal die Schulter freimachen, damit du seine Elastizität an mir testen kannst?“ Shadow sah ihn ein wenig verblüfft an. Er hatte noch nie einen Knaben mit so viel Stolz und Kampfeswillen getroffen. Der Assassine wusste nicht recht, ob er von Dark beeindruckt sein oder sich wegen der harten, beinah undurchdringlich wirkenden Schale seines Schülers Sorgen machen sollte. Womöglich zog er gerade seinen eigenen Tod groß… Doch dann musste Shadow wieder an Darks ausgelassene, typisch kindliche Freude, als sie die Oase entdeckt hatten, denken und schob die düsteren Vorahnungen schnell beiseite. Unter den brennenden Blicken des Jungen hob der Mann das mitgebrachte Stück Holz auf und prüfte es auf seine Beschaffenheit, bevor er schließlich nickte. „Das ist gut. Du hast deine Aufgabe erfüllt. Jetzt setz dich zu mir und iss.“ Bei dem Lob bröckelte Darks Fassade aus Zorn und Selbstbeherrschung in Sekundenschnelle von ihm ab und er schlug klatschend die Hände zusammen. „Dann können wir jetzt einen Bogen bauen?“ Shadow zog einen Vogelspieß aus dem Feuer und schüttelte den Kopf. „Nein. Dieser Zweig soll dir nur dafür dienen, ein ungefähres Gefühl fürs Schießen zu bekommen, bevor du lernst, mit einem Bogen umzugehen. Dafür bringe ich dir in einigen Tagen eine Übungswaffe mit.“ Dem Jungen klappte vor Überraschung der Mund auf und er stammelte: „A-Aber… Ich dachte, wir wollten einen Bogen für mich bauen!“ Shadow lächelte zu ihm hoch, bevor er in seinen Bratvogel biss und kauend erklärte: „Das werden wir auch noch. Aber erst, wenn du älter und so gut wie ausgewachsen bist. Der Bau eines Bogens dauert geraume Zeit, aber es lohnt sich. Wenn man es gut macht, bekommt man eine Waffe, die ein Leben lang hält. Deswegen sollten wir warten, bis du deine maximale Körpergröße erreicht hast. Es wäre Verschwendung, so viel Arbeit in einen Bogen zu stecken, den du dann nur ein paar Jahre verwenden kannst.“ Von der Argumentation seines Meisters überzeugt, ließ Dark sich neben seinem Ausbilder auf den Boden sinken und schnappte sich ebenfalls einen gebratenen Vogel. Die Beiden aßen für eine Weile schweigend, bis Dark schließlich wieder das Wort ergriff: „Shadow?“ „Hm-mh?“ Der Assassine kratzte sich mit einem dünnen Knöchelchen Fleischreste aus den Zahnzwischenräumen. „Warum hast du mich geschlagen?“ Seine Zahnpflege einstellend lächelte Shadow seinen Schüler warm an und erklärte: „Damit du in Zukunft nie wieder vergisst, dass du dir Mühe geben sollst. Du hast viele Talente, aber wenn du dich nicht anstrengst, wirst du für immer mittelklassig bleiben.“ Dark öffnete den Mund, um zu protestieren, schloss ihn dann jedoch wieder, ohne einen Ton gesagt zu haben. Shadow hatte Recht. Bei seinem ersten Versuch, die Aufgabe zu erfüllen, hatte Dark zu schnell aufgegeben. Er war nicht bereit gewesen, ernsthaft zu arbeiten und hatte dafür bestraft werden müssen, weil er gelogen und behauptet hatte, alles versucht zu haben. Das letzte bisschen Fleisch von seiner gebratenen Ratte nagend, gab Dark sich selbst das Versprechen, in Zukunft stets sein Bestes zu geben – wie anstrengend es auch sein mochte. In den nächsten Wochen lernte Dark neben dem Bogenschießen allerlei Tricks, die fürs Überleben in der Wildnis nützlich waren. So zeigte Shadow ihm wie man Fallen stellte und mit Hilfe von Tierhäuten Regenwasser auffangen konnte. Zusätzlich unterrichtete der Assassine seinen Schüler im Schwertkampf. Während Dark sich vor allem im Kampf als sehr geschickt erwies, hatte er mit anderen Lektionen ernsthafte Schwierigkeiten. Sich unbemerkt an ein Opfer heranzuschleichen fiel ihm genauso schwer wie mit der Umgebung zu verschmelzen. „In der Natur kommen alle Farben überall vor. Du musst in der Lage sein, das Terrain mit einem Blick zu erfassen und ein geeignetes Versteck auszumachen, wo deine Kleidung mit der Landschaft verblendet“, erklärte Shadow zum wiederholten Male. Dark nickte latent gereizt und ergänzte: „Die Augen sind die schärfste Waffe und beste Verteidigung eines Assassinen… Ich weiß!“ Der Junge stieß schnaubend Luft aus der Nase aus, sodass sich seine Nüstern blähten. „Was, wenn meine Augen einfach nicht gut genug sind?“ Shadow schenkte ihm ein aufmunterndes Lächeln. „Natürlich sind sie das. Das hast du schon oft genug bewiesen. Du musst nur lernen, sie richtig einzusetzen. Aber das kommt mit der Übung. Also los, versuchen wir es noch einmal.“ Sobald sein Meister ihm den Rücken zukehrt hatte, rannte Dark so geräuschlos wie möglich davon und suchte sich ein möglichst gutes Versteck. Doch nur wenige Augenblicke nachdem Shadow sich wieder umgedreht hatte, bohrte sich ein Wurfmesser neben Darks Kopf in den Fels. „Zu schlecht!“, rief sein Ausbilder zu ihm herüber und wandte sich erneut um. Alle anderen Versuche des Tages verliefen ähnlich erfolglos und Dark ließ beim Abendmahl frustriert die Schultern hängen. „Ich werde das nie lernen!“ Der Junge stützte mit einem missmutigen Gesichtsausdruck die Ellbogen auf die Knie und legte sich das Kinn auf die Hände. Shadow zog einen Spieß aus dem Feuer und betrachtete nachdenklich die aufgespießte Schlange. Als er antwortete, hörte man seiner Stimme deutlich an, dass er in Gedanken mehr mit der Frage beschäftigt war, ob sein Essen gar war, als mit dem Gespräch: „Natürlich wirst du das. Es fällt mir bereits jetzt schwerer, dich ausfindig zu machen als am Anfang. Sowas braucht Zeit. Erwarte nicht zu viel von dir.“ „Wirklich?!“ Dark strahlte seinen Ausbilder aufgeregt an. Dieser hob endlich den Blick von seinem Essen und nickte. „Eines Tages wirst du das Unsichtbarmachen meistern, daran habe ich gar keinen Zweifel. Und wenn es so weit ist, bist du bereit für die nächste Lektion. Allerdings werden wir für diesen Teil deiner Ausbildung die Wüste verlassen müssen.“ Es dauerte allerdings noch fast ein Jahr, bis Shadow endlich das Zeichen zum Aufbruch gab und Dark mit zu einem kleinen Dorf in der Hylia-Steppe nahm. Der Junge wunderte sich zunächst darüber, warum er nicht in der Wüste weiterlernen konnte, doch als Shadow die nächste Lektion ernsthaft beginnen ließ, wurde es dem Knaben schnell klar. „Was fällt dir an diesem Mann besonderes auf?“ Die Beiden hatten auf einem Hügel in der Nähe der Ortschaft Stellung bezogen und beobachteten Passanten. Shadow deutete nun auf einen Mann mittleren Alters, der auf Nahrungssuche umherstreifte. Dark konzentrierte sich auf das Bewegungsmuster des Fremden und mutmaßte: „Er zieht den linken Fuß leicht nach.“ „Korrekt“, lobte sein Meister und hakte nach: „Was bedeutet das?“ Der Junge zuckte mit den Schultern. „Keine Ahnung. Vielleicht ist es ein Geburtsfehler oder das Resultat einer Verletzung.“ Shadow schüttelte den Kopf und erinnerte seinen Schüler: „Wir sind keine Ärzte, Dark. Das Warum ist uns egal. Für uns zählt nur, dass wir solche kleinen Schwächen zu unserem Vorteil nutzen können.“ Der Knabe nickte und verbesserte sich: „Richtig. Also, ähm… Er wird Schwierigkeiten haben, Attacken abzuwehren, die von links kommen. Deswegen sollte man ihn am besten über die Flanke angreifen.“ „Sehr gut!“ Shadow lächelte den Jungen neben sich an. Es war erstaunlich, wie schnell der Kleine lernte. „Und was ist mit dieser Frau dort drüben?“ Dark musste sich ein wenig den Hals verdrehen, um die gezeigte Person betrachten zu können. Nach nur einem schnellen Blick stellte er fest: „So steif wie sie geht, hat sie’s im Rücken. Angriff von hinten, am besten von einer erhöhten Stelle aus, um ihr ins Kreuz springen zu können.“ Shadow versuchte, das stolze Funkeln in seinen Augen zu verbergen, als er seinen Schüler lobte: „Wenn du so weitermachst, gibt es bald nichts mehr, das ich dir noch beibringen könnte.“ „Oh doch, da gibt es sicher noch eine Menge. Ich will der beste Kämpfer werden, den das Schattenreich je gesehen hat!“ Das Feuer in Darks Augen ließ Shadows Magen krampfen und erinnerte ihn wieder daran, dass sein Schüler manchmal etwas Unheimliches hatte. Wenn der Zorn in Dark aufflackerte, war Shadow sich sicher, dass sein Schüler in einem Wutanfall die gesamte Welt in Schutt und Asche legen und lachend zwischen Leichen und Trümmern stehen konnte, während um ihn herum züngelnde Flammen jeden Rest Leben verschlangen… Um sich selbst von den düsteren Phantasien abzulenken, entschied Shadow: „Es ist schon spät. Komm, lass uns runter ins Dorf gehen und eine Schänke suchen.“ Für einen Moment zögerte Dark. Abgesehen von seinem Meister hatte er seit der letzten Nacht in seiner Heimatstadt keinerlei Kontakt mehr zu irgendwelchen Menschen gehabt – und auch nicht vermisst. Wann immer er eine Person sah, drängte sich ihm unwillkürlich die Frage auf, welche Abgründe sich hinter ihrer Fassade auftaten. Doch dann nickte der Knabe schließlich. Shadow predigte ihm schon seit geraumer Zeit, dass er Selbstbeherrschung üben müsse. Ein Besuch in einem Wirtshaus erschien ihm hierfür als eine passende Gelegenheit. Die Schänke war kaum mehr als ein einsturzgefährdet aussehender Schuppen, in den jemand mehrere Tische und Stühle gequetscht hatte. Die abgestandene Luft stank nach Rauch, Schweiß und Alkohol. Dark rümpfte angewidert die Nase und folgte seinem Ausbilder, der am Tresen zwei Bier bestellte und sich in eine dunkle Nische verzog. Kaum dass die beiden Platz genommen hatten, knallte die üppige Wirtin zwei Bierhumpen auf das fleckenübersäte Holz des Tisches und hielt gierig die Hand auf. Dark blinzelte überrascht, als Shadow ein paar Rubine aus der Hosentasche zog und bezahlte. Der Junge hatte nicht erwartet, dass es in diesem heruntergekommenen Land tatsächlich noch eine Währung gab. Eine Weile saßen Schüler und Meister schweigend zusammen und beobachteten die anderen Gäste. Immer wieder an seinem dünnen Bier nippend, versuchte Dark die vorangegangene Lektion fortzusetzen und die Anwesenden auf Schwachstellen zu durchleuchten, bis Shadow in seine Gedanken platzte: „Warum willst du eigentlich Assassine werden?“ Der Junge zog eine Augenbraue in die Höhe und warf seinem Ausbilder einen Seitenblick zu. „Wieso willst du das plötzlich wissen?“ „Einfach nur so. Ich möchte dich besser kennen lernen. Nachdem wir schon so viel Zeit miteinander verbracht haben, dachte ich, dies wäre ein guter Zeitpunkt.“ An Darks Gesicht war deutlich abzulesen wie er sich immer mehr verschloss und in sich selbst zurückzog. „Meine Beweggründe gehen dich nichts an.“ Doch Shadow ließ nicht locker: „Du sagst, du wollest der allerbeste Kämpfer werden. Das klingt nach einer ziemlich starken Motivation.“ „Lass mich damit in Ruhe, alter Mann!“ Dark funkelte seinen Meister über den Tisch hinweg erbost an und umklammerte seinen Bierkrug so fest, dass seine Fingerknöchel weiß hervortraten. Zu seiner Überraschung verfiel sein Lehrer tatsächlich in Schweigen. Erst nach einigen Minuten ergriff Shadow wieder das Wort: „Hast du dich nie gefragt, warum ich Assassine geworden bin?“ Erfreut über die Möglichkeit, nicht mehr über sich sprechen zu müssen, entgegnete Dark: „Eigentlich nicht. Aber sag’s mir. Warum?“ Shadows Blick schweifte zu dem dreckigen Fenster herüber, schienen jedoch nichts zu sehen. „Um meine Tochter zu ernähren“, erklärte er mit tonloser Stimme. „Nachdem ein Dämon meine Frau getötet hatte, habe ich es alleine nicht mehr geschafft. Ich brauchte jemanden, der ihr ein Dach über dem Kopf gibt und sie versorgt, wenn ich auf Nahrungssuche bin. Aber niemand nimmt in diesen schweren Zeiten ohne Gegenleistung das Kind eines anderen auf…“ Shadow hatte mit allem von Mitgefühl bis Indifferenz gerechnet, doch als Dark leise lachte, schnellte sein Kopf überrascht herum. „Was ist daran bitte komisch?!“ Der Junge verzog die Lippen zu einem überheblich wirkenden Grinsen. Offenbar stieg ihm das Bier allmählich zu Kopf. Doch als er sprach, klang er vollkommen nüchtern: „Dass du jetzt offenbar Mitleid erwartest. Dabei bist du selbst schuld an deiner Misere.“ Die Augenbrauen fragend in die Höhe gezogen entgegnete Shadow: „Ach ja?“ Dark nickte und machte ein düsteres Gesicht: „Ein Kind in diese von den Göttinnen verdammte Welt zu setzen, ist ein Frevel. Wir wären alle besser dran, wenn wir alleine blieben und aufhörten, uns fortzupflanzen.“ Nun war es Shadow, der lachen musste. Seinen Bierhumpen an die Lippen gehoben schmunzelte er: „So denkst du nur, bis es dich erwischt und du dich das erste Mal verliebst. Dann willst du das Mädchen deiner Träume plötzlich permanent um dich haben, ihm nah sein und die innigste Vereinigung von allen mit ihm eingehen. Glaub mir, Dark, das geht schneller als du denkst.“ Der Knabe runzelte die Stirn, entgegnete jedoch nichts. Sollte Shadow ruhig glauben, dass er wie alle anderen war. Doch er wusste es besser… Sein Herz war in dem Moment, in dem er seinen Vater erstochen hatte, erkaltet und zu Stein geworden. Er würde niemals lieben können. Kapitel 4: Ein Lichtstrahl im Dunkel ------------------------------------ Die Jahre gingen ins Land und Dark wuchs während seiner Ausbildung zu einem kräftigen, geschickten Jüngling heran. Dennoch hielt Shadow ihn noch immer von der praktischen Ausübung seiner Kenntnisse zurück und ließ seinen allmählich immer frustrierter werdenden Lehrling stattdessen stetig komplizierter werdende Techniken und den Umgang mit neuen Waffen lernen. Dark war bereits fünfzehn Jahre alt und im waffenlosen Kampf geschult sowie mit der Handhabung von Schwert, Bogen, Wurfmessern und Peitsche vertraut, als er schließlich offen rebellierte. „Warum nimmst du mich nie mit auf eine deiner Missionen?“ Shadow begutachtete gerade sein Kurzschwert, das Dark für ihn hatte reinigen und pflegen sollen, und entgegnete ohne aufzuschauen: „Wieso bist du so versessen darauf?“ Dark stieß ein genervtes Schnauben aus, so als wäre die Frage seines Meisters das Lächerlichste der Welt. „Kannst du dir das nicht denken? Ich trainiere seit Jahren Tag ein, Tag aus. Ich hab die Schnauze voll davon, immer nur in dieser Höhle zu hocken und zu üben. Ich will endlich sehen, zu was ich in der Lage bin!“ Frustriert verpasste Dark dem Hocker, den er damals als Kind in seine Wohnhöhle geschleppt hatte, einen Tritt und verzog leicht das Gesicht, als er sich den großen Zeh schmerzhaft anstieß. Shadow seufzte tief auf und legte sein Schwert auf den Tisch, um mit undurchdringlicher, bekümmert wirkender Miene zu seinem Schüler herunter zu schauen. Obwohl Dark in den letzten Jahren ordentlich in die Höhe geschossen war, überragte sein Ausbilder ihn noch immer um einige Zentimeter – und würde dies wohl auch immer. Als der alte Assassine nach einem langen Augenblick antwortete, klang seine Stimme nachdenklich: „Bist du dir wirklich sicher, dass du das willst? Möchtest du nicht vielleicht doch lieber in irgendein Dorf ziehen, eine Familie gründen und ein möglichst ruhiges Leben führen? Als wir letztes Jahr in Kakariko waren, haben sich viele Mädchen nach dir umgedreht. Ich bin überzeugt, es würde dir nicht schwerfallen, ein gutes Weib zu finden.“ Überrascht riss Dark die Augen auf und starrte seinen Meister verständnislos an. „Weshalb sollte ich so etwas Lächerliches wollen? Ich will keine Familie. Das hab ich dir schon oft gesagt. Lass mich endlich mit diesem Schwachsinn in Ruhe.“ Zarte Flammen des Zorns leckten an der Innenseite seines Brustkorbs nach oben, als Dark an die vielen Male dachte, die sein Ausbilder bereits versucht hatte, eine emotionale Bindung zu ihm herzustellen und die Rolle seines Vaters zu übernehmen. Dark achtete Shadow als Lehrer, Kämpfer, Strategen und Überlebenskünstler. Als Mensch war ihm sein Meister jedoch vollkommen gleichgültig. Shadows Miene verdunkelte sich noch ein wenig mehr als er mit Resignation in der Stimme sagte: „Du warst diesbezüglich sehr deutlich, ja. Aber ich glaube dir nicht. Ich bin mir sicher, unter diesem Panzer aus Zynismus, Wut und Gleichgültigkeit steckt in Wirklichkeit ein kleiner, verletzter Junge, der sich nichts anderes wünscht als geliebt und behütet zu werden.“ Bei diesen Worten schnellte Dark herum und baute sich reflexartig vor seinem Meister auf. Dieser ließ sich davon jedoch nicht beeindrucken und begegnete dem brennenden Blick seines Schülers mit vollkommenem Gleichmut. Die Hände zu Fäusten geballt presste Dark zwischen den Zähnen hervor: „Du irrst dich, alter Mann!“ Dann rückte er wieder ein Stück von Shadow ab und spottete: „Für jemanden, der sich so sehr auf seine Augen verlässt, verguckst du dich in diesem Fall ganz schön. Offenbar lässt deine Sehkraft allmählich nach. Es wird also Zeit, dass du anfängst, mich auf deine Missionen mitzunehmen, damit ich möglichst bald in deine Fußstapfen treten kann.“ Shadow ignorierte den Seitenhieb, gab aber dennoch nach: „Du willst unbedingt mit? Fein. Meistere die letzte Lektion und ich werde dich das nächste Mal mitnehmen.“ Die Augen des Jünglings leuchteten freudig auf. „Was soll ich tun?“ Das Adrenalin, das durch seine Adern gepumpt wurde, ließ ihn nervös von einem Fuß auf den anderen treten. Shadow nahm sein Schwert wieder an sich und schickte sich an, die Höhle zu verlassen. Im Gehen erklärte er: „Gar nichts. Ich werde in zwei Tagen wiederkommen. Bis dahin wirst du weder schlafen noch essen noch trinken. Wenn ich wieder hier bin, tragen wir einen Kampf aus. Schaffst du es, mich dabei zu treffen, werde ich dich auf die nächste Mission mitnehmen. Gelingt dir kein Treffer, bist du noch nicht so weit.“ Dark stieß einen Laut des Unglaubens aus und hastete seinem Meister hinterher. „Warte! Wieso darf ich nicht essen, trinken und schlafen?!“ Shadow blieb stehen und blickte seinem Schüler fest in die Augen. „Ein Assassine muss immer voll bei der Sache sein, egal wie widrig die Umstände sein mögen. Ich will sehen wie du kämpfst, wenn du erschöpft bist.“ Mit diesen Worten setzte er sich wieder in Bewegung und ließ den völlig verdattert dreinblickenden Jüngling einfach stehen. Auf einem Hügel, von dem aus man den Höhleneingang gerade noch einsehen konnte, wandte Shadow sich noch einmal um und sah zurück. Tief aufseufzend betrachtete er das Antlitz seines Schülers vor seinem geistigen Auge. „Nicht ich bin derjenige, der sich irrt, Dark. Du bist es. Ich hoffe und bete zu den Göttinnen, dass es dir bewusst wird, bevor es für dich zu spät ist…“ Mit schwerem Herzen riss Shadow sich los und marschierte in sein Heimatdorf zurück. Die folgenden Tage zogen sich für Dark hin wie eine Ewigkeit. Am liebsten hätte er ein wenig trainiert, um sich die Zeit zu vertreiben, doch er fürchtete, dass er von schweißtreibenden Aktivitäten unnötig viel Durst bekommen würde. Außerdem wollte er seine Kräfte so gut wie möglich schonen, um seinem Meister im Kampf nicht vollends unterlegen zu sein. Also hockte er sich vor seiner Höhle in den Schatten und beobachtete Ameisen, die in großen Gruppen umherwuselten und Nahrung zu ihrem in der Nähe errichteten Bau schleppten. Vor Langeweile versuchte der Jüngling, individuelle Eigenschaften der einzelnen Insekten zu entdecken, und gab denjenigen Ameisen, die er zu identifizieren glaubte, Namen. Dennoch verstrich die Zeit gnadenlos langsam. Als Dark einen Blick auf den Sonnenstand warf, hätte er am liebsten laut aufgestöhnt. Die tote Sonne hatte es kaum bis zu ihrem Zenit geschafft – ihm standen also noch anderthalb quälend lange Tage bevor. Aus purer Verzweiflung fertigte Dark sich aus einem gründlich gereinigten Knochen seiner letzten Mahlzeit eine Nadel und schnappte sich eines seiner Hemden, das am Ärmel einen langen Riss hatte. Normalerweise nähte und flickte Shadows Tochter seine Kleider, doch dieses Mal hatte der Assassine vergessen, das kaputte Hemd mitzunehmen. Unter normalen Umständen hätte Dark sich darüber vermutlich geärgert, nun kam es ihm sogar gelegen. Wenn er auch in Zukunft alleine zurechtkommen wollte, musste er lernen, seine Kleidung selbst herzustellen und auszubessern. Da er nicht wusste, was er als Faden verwenden sollte, trennte Dark kurzerhand die Naht eines alten Hemdes auf, aus dem er schon eine Weile herausgewachsen war. Den Faden vorsichtig aus dem Stoff zu ziehen, stellte keine Herausforderung dar. Doch als der Jüngling mit dem Nähen beginnen wollte, musste er feststellen, dass er etwas Wichtiges vergessen hatte. Wie zog man den Faden mit der Nadel durch den Stoff? Dark betrachtete stirnrunzelnd seine Knochennadel und versuchte, sich an früher zu erinnern. Als Link hatte er oft auf dem Boden neben Medilas Füßen gespielt, während sie genäht hatte. Wie hatte sie das Problem gelöst? Wie hatte ihre Nadel ausgesehen? Dark hatte das Gefühl, ihm würde der Kopf zerspringen, als er sich damit abmühte, die lang verdrängten Bilder seines früheren Lebens aus der fest verschlossenen Kiste seiner Erinnerungen hervorzuziehen. Bevor sie zu nähen begonnen hatte, hatte Medila stets etwas mit dem Faden gemacht. Aber was? Wie unter Schmerzen stöhnend kniff Dark die Augen zusammen und legte die Stirn auf die angezogenen Knie. Er wollte das Gesicht von Links Mutter nicht vor sich sehen, wollte nicht den schwachen Hauch der kindlichen Gefühle spüren, die wie Nebelschwaden aus der Erinnerungskiste strömten, wann immer er den Deckel anhob. Als er plötzlich glaubte, Medilas süßlichen Duft in der Nase zu haben, hätte der Jüngling am liebsten aufgeschrien. In einem Anfall ohnmächtigen Zorns sprang er auf die Füße und trat das zu flickende Hemd so weit von sich wie er konnte. Verfluchter Shadow! Er und sein ständiges Gelaber über Familie und Geborgenheit waren schuld daran, dass Dark sich auf einmal so aufgewühlt fühlte! Von blinder Zerstörungswut gepackt begann Dark auf den friedlich patrouillierenden Ameisen herum zu stampfen. Anschließend sprang er mit beiden Beinen in ihren Bau und hüpfte mit Tränen in den Augen darauf herum, bis der fast kniehohe Hügel dem Erdboden gleichgemacht war. Die unzähligen Bisse der winzigen Soldaten, die tapfer ihr Heim zu verteidigen versuchten, nahm der Jüngling gar nicht wahr. Sein gesamter Körper zitterte und bebte unter der Last seines unbändigen Hasses und der schmerzhaften Erinnerungen. Warum nur hatten die Göttinnen seinen Eltern und ihm dieses ungnädige Schicksal auferlegen müssen?! Nur langsam ließ die heftige Zornesattacke, die sich des Jünglings bemächtigt hatte, nach und sein Herzschlag normalisierte sich allmählich wieder. Damit verbunden kehrte jedoch auch sein Körpergefühl zurück und Dark zuckte wie spastisch unter den Bissen der wütenden Ameisen. So schnell er konnte, riss er sich seine Kleider vom Leib und bemühte sich, die winzigen Angreifer abzustreifen. Bis ihm das gelungen war, war sein Körper bereits von unzähligen, schwach rosafarbenen Bissmahlen übersät. Missmutig schnappte er sich seine Kleider und schlug sie an der Felswand neben seiner Höhle aus, bevor er sich wieder anzog. Dann sammelte er Nadel, Faden und das weggetretene Hemd wieder auf und suchte sich einen Schattenplatz, der möglichst weit weg war von dem eingestampften Ameisenhügel. Als er sich die Nadel nun ein weiteres Mal ansah, kam ihm endlich die Erleuchtung: er hatte die Öse vergessen! Schnell bohrte er mit einem spitzen Stein eine Öffnung in den hinteren Teil des Knochens, leckte den Faden an, um die Fasern zu bündeln, und pfriemelte ihn durch das neuentstandene Loch. Dann zog er das Hemd auf seinen Schoß und begann, den beschädigten Ärmel zu reparieren. Die Sonne ging bereits unter, als Dark sein Werk betrachtete und für gut befand. Die Naht war zwar etwas grob, was vor allem auf die Dicke der improvisierten Nadel zurückzuführen war, doch alles in allem war das Ergebnis für einen ersten Versuch zufriedenstellend. Von sich selbst begeistert packte Dark seine Utensilien wieder zusammen und verstaute sie in dem Schrank, den er vor einigen Jahren zusammen mit Shadow geschreinert hatte. Dann wandte er sich seinem inzwischen mit Tierfellen und Daunen gepolsterten Bett zu und erstarrte. Er durfte ja gar nicht schlafen! Was sollte er während der Nacht bloß tun? Eine Weile stand Dark unschlüssig vor seinem Bett, bevor er sich davor auf den Boden setzte. Shadow hatte ihm nicht verboten, ein wenig zu dösen… Also schloss er die Augen und entspannte sich so gut er konnte. Als er kurz davor war, einzunicken, stand er auf und lief ein wenig vor seiner Höhle auf und ab, um von der kühlen Nachtluft den nach ihm greifenden Schlaf zu vertreiben. Auf diese Weise trickste er sich bis zum nächsten Vormittag. Allmählich wurde der Durst schwer erträglich und in seinem Magen rumorte es vor Hunger. Doch Dark biss tapfer die Zähne zusammen und versuchte, sich mit dem Schnitzen kleiner Tierfiguren vom Drängen seines Körpers abzulenken. Er hatte schon über die Hälfte der Zeit geschafft, da konnte er nicht aufgeben! Außerdem wollte er unbedingt, dass Shadow ihn auf seine nächste Mission mitnahm! Als seine Kehle gegen Abend so ausgetrocknet war, dass ihm die Zunge am Gaumen klebte, überlegte Dark für einen Moment, warum er nicht einfach schummelte. Sein Meister würde es niemals erfahren, wenn er zum Wasserloch herüberlaufen und einen Schluck trinken würde… Obwohl jede Faser seines Körpers auf die Umsetzung dieses Plans drängte, verwarf Dark den Gedanken schnell wieder. Vermutlich war Shadow irgendwo dort draußen und beobachtete ihn. Die Wahrnehmung des Jünglings war zwar durch das lange Training geschärft, doch er hatte keinen Zweifel daran, dass sein Meister ihm noch immer überlegen war. Die zweite Nacht erwies sich als noch schlimmer als die erste. Obwohl Schlafmangel und Durst Darks Glieder bleiern und schwer machten, war an erholsames Dösen kaum zu denken. Der Magen des Jünglings knurrte wie ein tollwütiger Hund und zog sich schmerzhaft zusammen, so als wolle er sich selbst verdauen. Dark rollte stöhnend auf seinem Bett herum, bis er schließlich wieder aufstand und die Schnitzarbeit des Vortags wieder aufnahm. Der Mond war hell genug, um sich dabei nicht zu verletzten. Dennoch arbeitete Dark deutlich langsamer und behutsamer als zuvor. Eine Schnittwunde an der Hand hätte seine Chancen gegen Shadow deutlich geschmälert. Das Erste, was Shadow erblickte, als er am nächsten Morgen zur Höhle zurückkehrte, war die Armee kleiner Holztiere, die den Eingang zu bewachen schienen. Seinen Schüler, der in einer Felsspalte kauerte und noch immer frenetisch schnitzte, entdeckte er erst auf den zweiten Blick. Mit einem amüsierten Funkeln in den Augen trat Shadow an ihn heran und sagte: „Wie ich sehe, hast du eine neue Leidenschaft gefunden.“ Dark zuckte ohne aufzublicken mit den Schultern und verpasste einem jagenden Adler die letzten Details. „Mit irgendetwas musste ich mich ja beschäftigen.“ Dann stellte er die Holzskulptur neben sich und sah endlich zu seinem Meister hoch. Unter seinen wasserblauen Augen hatten sich dunkle Schatten gebildet und seine Gesichtshaut wirkte leicht gräulich. Dennoch machte der Jüngling einen entschlossenen Eindruck, als er sich auf die Füße hievte und aufs Innere der Höhle deutete. „Ich hole eben mein Schwert. Dann kann’s losgehen.“ Shadow nickte und sah seinem Schüler grübelnd hinterher. Irgendwie hatte er gehofft, Dark würde sich während der zwei entbehrungsreichen Tage umbesinnen. Stattdessen erschien er überzeugter denn je. Nur wenige Augenblicke nachdem er in der Dunkelheit der Höhle verschwunden war, tauchte Dark mit seiner Waffe auf dem Rücken wieder im Höhleneingang auf. Mit einer Bewegung des Kopfes bedeutete Shadow dem Jüngling stumm, ihm zu folgen, und führte ihn zu einer flachen Ebene. Dort zog er seine Klinge und forderte: „Also gut. Zeig mir, was du in den letzten Jahren gelernt hast. Greif mich an.“ Dark riss sein Schwert aus der Scheide und stürzte sich auf seinen Meister, der ohne Probleme auswich. Schlafmangel und die Entbehrungen der letzten zwei Tage machten die Bewegungen des Jünglings langsamer als normal und verzögerten seine Reaktionszeit, was ihn vornüber stürzen ließ, als Shadow ihm mit einer leichten Drehung des Handgelenks den Schwertknauf zwischen die Schulterblätter stieß. Hustend und Staub spuckend rappelte Dark sich wieder auf und versuchte sein Glück erneut – jedoch auch dieses Mal ohne Erfolg. Immer wieder fiel der Jüngling in den Dreck, sei es, weil er von seinem Ausbilder umgeworfen wurde oder weil er über die eigenen, bleischweren Füße stolperte. Die Erschöpfung stand Dark bereits ins Gesicht geschrieben, als Shadow spottete: „Das ist alles, was du bei mir gelernt hast? Du enttäuschst mich. Ich hatte gedacht, ich sei ein besserer Lehrer…“ Sich mit dem Handrücken Blut von der aufgeplatzten Lippe wischend, fauchte Dark zurück: „Das war noch lange nicht alles!“ Der Hohn seines Meisters feuerte den stetig in ihm glimmenden Funken des Zorns an, bis die Flammen seiner unbändigen Wut jede Zelle seines Körpers erfassten. Sich an seinen Hass auf sein Schicksal und die Göttinnen klammernd, genoss der Jüngling das Gefühl der unendlichen Kraft, die plötzlich durch seinen Körper zu pulsieren schien. Von seinem Rachedurst beflügelt warf er sich ein weiteres Mal nach vorn und ließ sein Schwert durch die Luft zischen – nur um wieder ins Leere zu schlagen. Shadow hatte sich leichtfüßig unter der Attacke hinweggeduckt und sah seinen Schüler nun tadelnd an. „Wut ist gut, um die Müdigkeit aus deinen Gliedern zu vertreiben. Solange du dir diesen Brennstoff im Inneren bewahrst, wirst du stets eine letzte Kraftreserve haben.“ Bei den Worten seines Meisters musste Dark daran denken, wie er vor vielen Jahren das erste Mal die Macht seines Hasses auf sein Schicksal gespürt hatte. Damals hatte er in Hyrule-Stadt auf einem Blumenkübel gesessen und sich unbesiegbar gefühlt, obwohl er in dieser auswegloserscheinenden Situation völlig auf sich allein gestellt gewesen war. Dark war so sehr in der Welt seiner Erinnerungen, dass er fast verpasst hätte, dass Shadow weitersprach: „Aber du darfst dich von deinem Zorn nicht beherrschen lassen. Wenn du nur blind um dich schlägst, erreichst du gar nichts – im Gegenteil. Damit machst du dich für einen geübten Kämpfer zu einem leichten Ziel, weil du so leicht in eine Falle zu locken bist. Lerne, deine Wut zu kanalisieren. Mache sie dir Untertan, anstatt dich von ihr vereinnahmen zu lassen.“ Nickend erinnerte Dark sich daran wie er damals vor dem Anwesen der reichen Familie gestanden und so heftig gehasst hatte wie zu keinem anderen Zeitpunkt seines Lebens. Obwohl sein Zorn sich in dieser Nacht durch jede Faser seines Seins gefressen hatte, hatte er sich nicht davon blenden lassen. Wie hatte er das gemacht? Tief ein- und ausatmend zwang Dark sich, den eisigen Panzer der tödlichen Ruhe von damals um seine Seele zu legen. Fast augenblicklich schienen sich all seine Sinne zu schärfen und der Jüngling begriff, was er im bisherigen Verlauf des Kampfes falsch gemacht hatte: Er hatte zu sehr auf seine Kampftechniken vertraut und hatte den Rest seines erlernten Wissens vernachlässigt. Seine Schwerthand lockernd nahm Dark seinen Meister in den Blick und musterte ihn genau. Shadow war groß und breit gebaut, was ihm eine beeindruckende Reichweite und Kraft verlieh. Doch die Masse seines Körpers war gleichzeitig auch seine Schwäche. Wenn es um Schnelligkeit und Wendigkeit ging, war Dark seinem Ausbilder deutlich überlegen. Mit einem wölfischen Grinsen wandte der Jüngling sich zum seinem Meister um und tat so als wolle er einen weiteren Frontalangriff starten. Doch im letzten Moment ließ Dark sich unter dem zur Abwehr erhobenen Arm seines Lehrers hindurch rutschen, sprang hinter ihm wieder auf die Füße, wirbelte herum und legte Shadow die scharfe Klinge seines Schwertes an die Kehle, bevor dieser hatte reagieren können. Der erfahrene Assassine hielt überrascht die Luft an und verkrampfte sich instinktiv, während Dark ihm leise und düster ins Ohr lachte. „Ich würde sagen, das zählt als Treffer. Ich würde die Attacke nur sehr ungern ernsthaft durchziehen. Kehlschnitte sind immer eine solche Sauerei, findest du nicht?“ Obwohl er sich einredete, dass sein Schüler dieses Wissen sicherlich nur aus der Jagd auf Tiere bezog, lief es Shadow eiskalt den Rücken herunter und er musste sich räuspern, bevor er antwortete: „Ja, ich denke, du hast dir deinen Platz an meiner Seite redlich verdient. Sobald ich einen neuen Auftrag habe, werde ich dich informieren.“ Bis Shadow mit einer neuen Mission betreut wurde, vergingen allerdings noch einige Wochen, in denen Dark mit neuem Eifer trainierte. Er freute sich wahnsinnig darauf, seine wahre Stärke testen zu können. Als sein Meister ihm endlich mitteilte, dass sie am nächsten Morgen zu seinem ersten Auftrag aufbrechen würden, hätte Dark vor Glück am liebsten Purzelbäume geschlagen. „Wo geht’s hin? Wer ist das Ziel?“ Gespannt wie ein Flitzebogen starrte Dark seinen Ausbilder an, der angesichts seiner Begeisterung eine sorgenvolle Miene aufsetzte. „Oh, ihr Göttinnen, lasst ihn in seiner Euphorie nichts Unüberlegtes tun“, flehte Shadow stumm. Dann deutete er in Richtung der nahen Berge und erklärte seinem Schüler: „Auftraggeber ist der Älteste meines Heimatortes. Das Dorf wird seit geraumer Zeit nachts von Dämonenschergen heimgesucht, die auch noch unser letztes verbliebenes Vieh rauben wollen. Deswegen ziehen wir ins Gebirge und suchen das Dämonennest, um die Monster auszurotten.“ Überrascht riss Dark die Augen auf. „Wir töten Dämonen?!“ Shadow blickte nicht minder verblüfft zu ihm zurück. „Sicher. Was dachtest du denn?“ Eiseskälte breitete sich vom Nacken ausgehend im gesamten Körper des Mannes aus, als ihm bewusst wurde, dass sein Schüler fest davon überzeugt gewesen war, seine Aufgabe bestünde im Töten von Menschen – und dennoch darauf gedrängt hatte, endlich mitkommen zu dürfen. Wie korrupt war Darks Seele wirklich? Allmählich zweifelte Shadow daran, dass der Jüngling noch zu retten war… „Ich… äh… naja…“ Dark stammelte wie ein beim Stehlen erwischter Lausbube und hatte zumindest den Anstand, rot anzulaufen. Nach mehreren fruchtlosen Versuchen, einen Satz zu formulieren, schnitt Shadow ihm schließlich das Wort ab: „Es kommt schon mal vor, dass mich jemand um den Mord an einem Mitbürger bittet. Solche Aufträge lehne ich jedoch stets ab. Es steht mir nicht zu, über Leben und Tod zu richten.“ „Hm-mh.“ Dark starrte verlegen auf seine Stiefelspitzen und kam sich plötzlich furchtbar lächerlich vor. Warum hatte er nicht vorher daran gedacht, dass das Ziel ein Dämon sein konnte? Es war nicht so, dass er sich darauf gefreut hatte, einen Menschen zu töten – ein Kampf mit einem Monster kam ihm als Messlatte für seine Fähigkeiten genauso gelegen. Er hatte nur nie in Betracht gezogen, dass Assassinen womöglich auch noch andere Aufgaben hatten. Shadow wandte sich leicht ab, so als könnte er den Anblick seines Schülers plötzlich nicht mehr ertragen, und sprach weiter: „Die Meisten beauftragen mich aber zum Glück nur mit dem Töten von Dämonen und bezahlen mich dafür, dass ich die Monster für sie vertreibe. In der Regel bezahlen sie mich dafür mit Essen, manchmal auch mit Rubinen – je nachdem wie knapp die Nahrung in ihrer Region ist.“ Endlich fand Dark seine Stimme wieder und frotzelte: „Du bist ein echter Wohltäter, was?“ Der Blick, den er dafür erntete, war so vernichtend, dass der Jüngling zusammenzuckte als wäre er geohrfeigt worden. „Dein Zynismus wird dir auch noch vergehen, wenn du endlich verstehst, auf was es im Leben wirklich ankommt. Die Welt ist nicht dein Feind, Dark. Du machst sie nur dazu, indem du allem und jedem ablehnend begegnest. Ich hatte so gehofft, ich könnte… Ach, vergiss es.“ Shadow machte eine unwirsche Handgeste und winkte ab. Er fühlte sich plötzlich alt und müde. „Sei einfach morgen Früh bei Sonnenaufgang zum Abmarsch bereit.“ Während er seinem zum Ausgang strebenden Meister hinterher sah, stritten widersprüchliche Gefühle in Darks Innerem miteinander. Aus ihm selbst nicht ganz klaren Gründen war der Gedanke, Shadow würde wütend auf ihn seine Höhle verlassen, erschreckend. Er wollte irgendetwas sagen, um die Wogen zwischen ihnen zu glätten, doch seine Kehle war wie zugeschnürt. Der Teil von ihm, der vor Angst vor weiteren Verletzungen zu Stein erstarrt war, mühte sich nach Kräften, den Riss im Eispanzer um Darks Herz wieder zu flicken. Doch die Erinnerungen an all die Wärme, die Shadow dem Jüngling in den vergangenen Jahren hatte zukommen lassen, stemmten sich stur dagegen. Dark streckte einen Arm nach seinem Meister aus und öffnete den Mund, um eine Entschuldigung hervor zu würgen, doch zu spät… Shadow hatte Darks Wohnhöhle bereits verlassen und strebte mit langen Schritten in Richtung seines Heimatdorfes davon. Ein bitterer Geschmack machte sich auf Darks Zunge breit und er fühlte sich im Stich gelassen. Wie konnte Shadow so einfach gehen?! Der einsame Wolf in Dark jaulte laut auf und trieb den verängstigten Jungen aus Darks Innerstem, den Shadow mit seinen Worten hervorgelockt hatte, zurück in sein Eisgefängnis. Innerhalb von Sekunden hatte sich Darks Gesicht, das in den letzten Minuten von aufgewühlten Emotionen zerfurcht gewesen war, wieder zu der altbekannten Maske aus Indifferenz verhärtet, die er seit Jahren zur Schau trug. Sollte Shadow doch gehen. Er brauchte ihn nicht mehr! Während der Jüngling mit präzisen, kraftvollen Bewegungen seinen Beutel packte, nagte jedoch das Gefühl an ihm, dass der Schutzpanzer seines Herzens irreparable Schäden davon getragen hatte. Als Shadow Dark am nächsten Morgen abholte, war die Stimmung noch immer gedrückt. Das änderte sich auch während der vier Tage, die die Beiden durchs Gebirge wanderten, nicht. Shadow hüllte sich in eine Wolke undurchdringlichen Schweigens und Dark war nun, wo sich die Eisbarriere um sein Herz wieder geschlossen hatte, viel zu stolz, um von sich aus das Gespräch zu suchen oder sich gar zu entschuldigen. So waren die ersten Worte, die Meister und Schüler wieder mit einander wechselten, rein geschäftlicher Natur: „Sieht so aus als wären wir am Ziel.“ Shadow deutete auf einen Haufen abgenagter, zum Teil kaputt gebissener Tierknochen. „Halte von nun an ständig die Augen offen und bemüh dich, so unauffällig wie möglich zu sein.“ Dark nickte und zog ein Wurfmesser aus seinem Gürtel. Der erste Dämon, dem sie begegneten, stellte keinerlei Herausforderung dar. Dark hatte ihn mit seinem Messer ausgeschaltet, bevor er die beiden Assassinen hatte entdecken können. Auch der Zweite fand ein schnelles Ende, als sich Shadows Peitsche um seinen Hals legte und ihm den Kopf vom Rumpf trennte. Trotz der Spannungen zwischen ihnen arbeiteten sich die beiden Monsterjäger wie ein lange eingespieltes Team durch das Dämonennest. Sie verständigten sich problemlos mit ihrer eigenen Zeichensprache, gaben sich gegenseitig Rückendeckung und spielten ihre jeweiligen Stärken geschickt gegen ihre chancenlosen Gegner aus. Doch dann begann auf einmal der Boden zu beben und ein Grollen wie von Donner hallte durch die Dämonenhöhle. Shadow riss erschrocken den Kopf herum und zog hastig sein Schwert aus dem Kadaver eines Monsters, bevor er Dark mit blassem Gesicht zurief: „Lauf, Dark! Renn um dein Leben!“ „Warum?“ Der Jüngling wischte eines seiner Wurfmesser an seiner blutbefleckten Lederhose ab und sah seinen Meister verständnislos an. Lautete ihr Auftrag nicht, alle Monster zu töten? Weshalb sollte er davonlaufen, wenn ganz offensichtlich mindestens eines von ihnen noch lebte? Anstatt zu antworten, packte Shadow seinen störrischen Schüler am Ellbogen und zog ihn hinter sich her. Dabei warf er immer wieder panische Blicke über die Schulter hinweg an Dark vorbei nach hinten. Das Verhalten seines Lehrers ließ Darks Innerstes krampfen und erste Wut darüber, über die Gestalt der Gefahr im Unklaren gelassen zu werden, perlte von seinem Bauch ausgehend durch die Blutbahn des Jünglings. Wenige Meter hinter dem Höhlenausgang riss Dark sich schließlich los. „Was ist los, verdammt noch mal?!“ Shadow umfasste sein Handgelenk und versuchte, Dark weiter den Gebirgspfad herabzerren. Als dieser sich stur weigerte und die Hacken in den Untergrund bohrte, erklärte Shadow atemlos: „Was du vorhin gehört hast, war ein Dämonenfürst. Einem solchen Kampf bist du noch nicht gewachsen. Wir brauchen Verstärkung.“ Dark klappte der Mund auf, doch bevor etwas entgegnen konnte, schob sich eine grotesk hässliche Gestalt durch den Höhleneingang. Das Wesen überragte den Jüngling um mindestens zwei Köpfe, hatte einen stierartigen Schädel mit einem mit rasiermesserscharfen Zähnen versehenen Maul, lange, klauenförmige Hände und Fledermausflügel. Bei diesem Anblick stieß Dark ein leises Keuchen aus und taumelte ein paar Schritte zurück. Shadow fluchte unterdrückt und stellte sich vor seinen Schüler, den er anwies: „Versteck dich in dieser Felsspalte – und was immer passiert, misch dich nicht in den Kampf ein. Ich kann mich nicht konzentrieren, wenn ich nebenbei auch noch auf dich aufpassen muss.“ „Aber–“ „Keine Widerrede!“ Der angespannte Ton seines Meisters ließ Dark sämtliche Einwände herunterschlucken und er tat zähneknirschend wie ihm geheißen. Der Dämonenfürst knurrte grollend und bewegte sich langsam auf Shadow zu, der seine Peitsche von ihrem Haken an seinem Gürtel nahm. Das eisenbeschwerte Leder zischte schnalzend durch die Luft und schnitt tiefe Wunden in den schuppenübersäten Körper des Monsters. Dieses hieb seinerseits mit seinen Klauen nach Shadow, der sich geschickt unter der Attacke hinwegduckte und dem Dämon ein Messer ins Auge warf. Das schmerzerfüllte Fauchen schien den ganzen Berg erzittern zu lassen, doch der Assassine ließ sich davon nicht beeindrucken. Er schlug mit seiner Peitsche, die sich um den Unterarm des Monsters wickelte, zu und zog. Die Lederschnur fraß sich tief ins Fleisch des Dämons und trennte ihm schließlich die Hälfte des Arms ab. Dark kaute angespannt auf der Unterlippe und fieberte mit seinem Meister mit. Es sah alles danach aus, dass Shadow den Kampf gewinnen würde, doch dann rutschte der Assassine auf ein paar losen Steinen aus und fiel rücklinks auf den Weg. Der angeschlagene Dämonenfürst stürzte sich sofort auf ihn und schickte sich an, dem am Boden liegenden Mann mit seiner verbliebenen Klaue die Brust zu zerfetzen. „NEIN!!!“ Der Schrei brach aus Dark heraus, noch bevor er wirklich verarbeitet hatte, was seine Augen sahen. Reflexartig sprang er aus seiner Deckung hervor, zog sein Schwert und schmiss sich zwischen seinen Lehrer und den Dämon. Zwar gelang es Dark, dem Dämonenfürsten seine Klinge ins Herz zu stoßen, doch dieser versenkte seine Klaue tief im Brustkorb des Jünglings, bevor er sein Leben aushauchte. „Hgnnh…“ Dark bemühte sich, auf den Füßen zu bleiben, aber die Dunkelheit, die sich von den Rändern seines Sichtfelds aus immer weiter ausbreitete, zog ihn wie mit Bleigewichten zu Boden. Shadow starrte mit geweiteten Augen zu seinem Schützling herüber und erwachte endlich aus seiner Schockstarre, als Dark vor ihm zusammenbrach. So schnell er konnte, krabbelte Shadow zu seinem Schüler herüber und zog ihn auf seinen Schoß. Aus Darks Mundwinkel rann Blut und seine Augen wirkten seltsam bewölkt. Der Anblick schnürte dem gestandenen Assassinen die Kehle zu und ließ ihm Tränen über die Wangen laufen. „Du dummer Junge! Ich hatte dir gesagt, du sollest nicht aus deinem Versteck kommen!“ Dark hatte Schwierigkeiten, seinen Blick zu fokussieren und über Shadows Antlitz legte sich immer wieder ein Bild aus der Vergangenheit. Arns Gesicht vor Augen flüsterte Dark: „Es… es tut mir… leid… V-Vater...“ Dann rollte sein Kopf herum und Ohnmacht zog ihn in ihren dunklen Abgrund herab. Während Dark über das düstere Meer der Bewusstlosigkeit trieb, drang immer wieder eine liebliche Stimme an sein Ohr und machte ihm Mut. Zu gerne hätte er die Augen aufgeschlagen und den Besitzer der Stimme angesehen, doch seine Lider waren wie zugenäht. Also ließ er sich wieder von den Wellen fortspülen, bis sein Geist in tiefen Schlummer fiel. Als er schließlich doch wieder zu sich kam, hatte er hämmernde Kopfschmerzen und seine Zunge klebte an seinem sich geschwollen anfühlenden Gaumen. Obwohl die Vorhänge des unbekannten Zimmers zugezogen waren, musste Dark heftig blinzeln, um die ungewohnte Helligkeit zu ertragen. Wo war er? Wie war er hierhergekommen? Ein heftiger Schmerz schien ihm die ganze Seite zu zerreißen, als er sich aufsetzen wollte, und er sank stöhnend zurück in die Kissen. Während er sich noch damit abmühte, die letzten Momente vor seinem Bewusstseinsverlust zu rekapitulieren, wurde vorsichtig die Tür zu seinem Zimmer geöffnet. Trotz der Schmerzen versuchte Dark, sich in eine aufrechte Position zu hieven, um den Eindringling betrachten zu können. Bevor ihm dies gelingen konnte, erklang jedoch von der Tür her das Geräusch von splitterndem Porzellan und die liebliche Stimme aus seinen Träumen: „Vater! Vater! Er ist endlich wieder zu sich gekommen!“ Nur wenige Augenblicke später erschien Shadow neben Darks Bett und drückte den Jüngling zurück in die Kissen. „Langsam, langsam“, mahnte er mit sanfter Stimme. „Du reißt dir sonst die Wunde wieder auf.“ Behutsam befühlte Dark seinen Oberkörper und bemerkte erst jetzt, dass dieser dick bandagiert war. „W-Was ist passiert?“ Bei dem rauen Klang seiner eigenen Stimme zuckte Dark leicht zusammen. Shadow ließ sich auf einen neben dem Bett stehenden Schemel nieder und erklärte: „Du hast mir das Leben gerettet. Erinnerst du dich an den Dämonenfürsten?“ Dark nickte, wobei sich seine Kehle anfühlte wie mit kleinen Messern gespickt. „Du wurdest bei deiner Rettungsaktion schwer verletzt, aber ich konnte dich in mein Heimatdorf schaffen. Meine Tochter hat dich gepflegt, während du ohnmächtig warst.“ „Wie lange war ich weg?“ „Du hast fast fünf Tage am Stück geschlafen.“ Dark wollte sich gerade dafür bedanken, dass sein Meister ihn bis zu seinem Dorf getragen und hatte versorgen lassen, als Schritte auf dem Flur zu hören waren und Shadow mit amüsiertem Unterton in der Stimme rief: „Komm ruhig rein und sag deinem Patienten Hallo.“ Die Tür schwang langsam auf und Dark vergaß schlagartig, was er hatte sagen wollen. Vor seiner Zimmerschwelle stand eine bildhübsche, junge Frau mit langen, blonden Haaren, strahlenden, dunkelblauen Augen und einem bezaubernden, schüchternen Lächeln. Dark hatte in seinem ganzen Leben noch nie etwas Schöneres gesehen. Kapitel 5: Der schwarze Stern ----------------------------- Shadows Tochter trat aus dem hell erleuchteten Raum in Darks schummeriges Krankenzimmer und der Zauber verflog. Zwar war die junge Frau noch immer unbestreitbar hübsch, doch nun wirkte sie nicht mehr wie von innen heraus beleuchtet. Dark blinzelte irritiert und fragte sich, was so eben mit ihm passiert war. Er hasste die Göttinnen von ganzem Herzen und trotzdem hatte er bei dem ersten Blick auf die Tochter seines Lehrmeisters gedacht: „Eine Göttin!“ Er war wie gebannt gewesen von ihrer überirdisch perfekt wirkenden Schönheit. Während die junge Frau nun gemäßigten Schrittes auf sein Bett zuhielt, fielen Dark jedoch immer mehr Details auf, die den Schein der Perfektion zerstörten. An ihrer linken Augenbraue hatte sie eine lange Narbe, die sich fast bis zu ihrem Augenwinkel herabzog, ihre Gesichtszüge waren leicht asymmetrisch und eine vorwitzige Strähne fiel ihr immer wieder vor die Augen. Da die Maid beide Hände mit einem Tablett gefüllt hatte, pustete sie sich die lästigen Haare jedes Mal mit einem aufwärtsgerichteten Schnauben aus der Stirn, nur um diese Prozedur wenige Sekunden später zu wiederholen. Diese Kleinigkeiten nahmen der jungen Frau zwar die Perfektion, Dark konnte jedoch nicht umhin, zu bemerken, dass sie sie gleichzeitig auch sehr liebenswert machten. Insbesondere die eigenwillige Haarsträhne weckte in dem Jüngling den innigen Wunsch, aufzustehen und sie seiner Besucherin aus der Stirn zu streichen. Ob sich ihre Haare wohl genauso seidig und ihre Haut genauso zart anfühlten wie sie aussahen? Dark zuckte innerlich zusammen. Was dachte er denn da?! Eine unbekannte Form der Nervosität wollte sich in seinem Brustkorb breitmachen, doch Dark schob das Gefühl bestimmt zur Seite. Er konnte sich nicht erklären, warum er auf diese dem Mädchenalter kaum entwachsene Frau vollkommen anders reagierte als auf jedes andere Wesen, das er in seinem bisherigen Leben getroffen hatte – aber das war ihm völlig egal. Wichtig war nur, dass er wusste, wie er damit umgehen sollte. Es erforderte nur wenig Konzentration und von seinem zugefrorenen Herzen ausgehend breitete sich eine dicke Frostschicht über dem unbekannten Gefühl aus. Er würde nicht noch mehr Menschen an sich heranlassen! Es reichte schon völlig, dass er offenbar eine stärkere emotionale Bindung zu Shadow aufgebaut hatte als ihm bewusst gewesen war… Diese Verbindung konnte er sich allerdings noch mit dem Gedanken daran, dass sie seinen Meister und ihn als Team besser funktionieren ließ, schönreden. Er erinnerte sich noch gut daran, dass Shadow ihm in einer ihrer unzähligen Auseinandersetzungen darüber, ob Emotionen vor- oder nachteilig für einen Kämpfer waren, von einer antiken Elitesoldatengruppe erzählt hatte, deren Mitglieder untereinander alle Liebhaber gewesen sein und ihre besondere Stärke aus ihren Gefühlen für einander gezogen haben sollten. Inzwischen war Shadows Tochter an das Bett herangetreten und hatte das Tablett auf einer danebenstehenden Kommode abgestellt. Shadow legte ihr einen Arm um die Hüfte und zog sie näher an sich heran, bevor er mit unverhohlenem Stolz in der Stimme sagte: „Darf ich vorstellen? Das ist meine Tochter, Zelda.“ Dark verzog seine Lippen zu einem, wie er hoffte, einigermaßen freundlichen Lächeln und nickte. Das unbekannte Gefühl von zuvor klopfte gegen die es einschließende Eisdecke und der Jüngling wünschte sich seine neue Bekannte ganz weit weg. Er war zu müde und zu kraftlos, um das Eis in seinem Inneren wuchern zu lassen und gleichzeitig höflich zu sein. Plötzlich wollte er nur noch schlafen. Doch Zelda setzte sich neben ihn auf die Bettkante und ließ damit Darks Puls in die Höhe schnellen. Was wollte sie? Warum kam sie ihm so nah? Am liebsten wäre Dark aufgesprungen und geflüchtet, aber das Bett stand auf seiner Seite an einer Wand, sodass er keinen Ausweg hatte. Zu allem Überfluss machte seine Verletzung aufstehen unmöglich. Latent panisch krallte Dark die Finger in seine Decke. Er fühlte sich wie ein wildes Tier in einer Falle. Als würde sie seine merkwürdige Reaktion gar nicht bemerken, schenkte Zelda ihm ein liebliches Lächeln und sagte: „Es ist schön zu sehen, dass du endlich wieder wach bist, Dark. Ich habe dir ein wenig Suppe gebracht, damit du schnell wieder zu Kräften kommst.“ Erst jetzt bemerkte der Jüngling den würzigen Duft, der von der Kommode zu ihm herübertrieb, und sein Magen knurrte wie ein hungriger Wolf. Während Dark bei der prompten Reaktion seines Körpers rot anlief, lachte Zelda leise in sich hinein. Dann wandte sie sich an ihren Vater, der seinen Schüler ebenfalls mit einem breiten Grinsen bedachte: „Du kannst ruhig schon wieder rausgehen. Ich kümmere mich um Dark.“ Leichte Sorge mischte sich in die strahlenden Augen des Mannes: „Aber–“ Dark winkte ab, bevor Shadow seinen Einwand formulieren konnte. „Geh. Wir können später reden. Jetzt will ich erst mal etwas essen und danach weiterschlafen. Ich bin müde.“ Shadow betrachtete die dunklen Ringe unter den Augen seines Schützlings und nickte. Was Dark brauchte, war in erster Linie Ruhe. Seine Dankbarkeit und Freude darüber, dass sein Schüler offenbar doch zu positiven Gefühlen und emotionalen Bindungen in der Lage war, konnte Shadow ihm auch dann noch zeigen, wenn Dark wieder auf dem Damm sein würde. Also schob der Assassine seinen Schemel zurück und stand auf. „Ich werde auf die Jagd gehen. Gegen Abend bin ich bestimmt wieder zurück.“ Mit diesen Worten nickte Shadow den beiden Jugendlichen zu und strebte zur Tür. Obwohl Dark froh war, einen Besucher weniger zu haben, wünschte er sich seinen Meister fast augenblicklich zurück. Alleine mit Zelda im Zimmer zu sein, schien das eigentümliche Gefühl, das unter der Eisschicht in seinem Inneren rumorte, zu stärken. Schüchtern musterte der Jüngling die Maid neben sich. Die störrische Strähne hing noch immer in Zeldas Stirn und pendelte leicht hin und her, während die junge Frau ihrem Vater hinterherwinkte. Das tiefe Blau von Zeldas Augen erinnerte Dark an den Himmel über der Wüste, kurz vor der Morgendämmerung. Als sich die junge Frau wieder ihm zuwandte, blickte Dark so schnell er konnte weg, obwohl er sich selbst nicht erklären konnte, warum ihm sein Interesse an ihrem Gesicht auf einmal peinlich war. Statt Darks plötzliches Weggucken zu kommentieren, schob Zelda ihm fachmännisch wirkend einen Arm unter den Rücken und sagte: „Dann helfe ich dir mal beim Aufrichten, damit du ein wenig Suppe trinken kannst.“ Die Schmerzen waren beinah unerträglich und Dark fühlte sich als stecke eine scharfkantige Säge in seinem Brustkorb, die bei jeder Bewegung durch Knochen und Fleisch schnitt, doch mit Zeldas Hilfe schaffte er es schließlich, sich aufzurichten. Als Dark sich endlich aufgesetzt hatte, stand ihm der Schweiß in dicken Tropfen auf der Stirn und er keuchte wie nach einem langen Lauf. Zelda lächelte ihn milde an als wollte sie ihn stumm für seine Leistung loben. Dann griff sie zur Kommode neben sich und schnappte sich die dampfende Suppenschüssel. Dark nahm die ihm gereichte Schüssel dankbar entgegen, doch seine Finger zitterten vor Anstrengung so sehr, dass Zelda schützend ihre freie Hand auf seine legte, um ihm beim Trinken zu helfen. Obwohl sich alles in Dark gegen so viel Körperkontakt sträubte, ließ er seine Besucherin gewähren. Andernfalls hätte er die Tonschüssel vermutlich fallen gelassen und sich an der heißen Brühe verbrannt. Die Suppe schmeckte salzig und nach Kräutern, war jedoch enttäuschend dünn. Als hätte sie seine Gedanken gelesen, sagte Zelda: „Tut mir leid, dass ich dir nur eine Gemüsebrühe kochen konnte. Vater war nicht mehr jagen, seit er dich hierher gebracht hat. Unsere Fleischvorräte sind leider völlig aufgebraucht. Aber heute Abend kann ich dir bestimmt etwas Stärkenderes bringen.“ Dark schlürfte den letzten Rest Suppe und fragte: „Hatte Shadow eine Mission?“ Irgendwie störte ihn der Gedanke daran, dass sein Meister ohne ihn Aufträge erledigt haben könnte. Es gab ihm ein Gefühl der Nutzlosigkeit. Zelda schüttelte jedoch den Kopf und stellte die leere Schüssel wieder auf dem Tablett ab, bevor sie Dark dabei half, sich wieder hinzulegen. „Nein. Vater wollte hier sein, wenn du aufwachst. Er hat sich sehr große Sorgen um dich gemacht, weißt du?“ Eine neue Schmerzwelle rollte durch seinen Körper, als Dark mit den Schultern zuckte. „Sicher. Ich bin für ihn so etwas wie eine Wertanlage. Er hat viel Zeit und vermutlich auch Geld in mich investiert.“ Zu seiner Überraschung lachte Zelda bei diesen Worten auf. „Vater hat mir schon erzählt, dass du ein ziemlich schroffer Typ mit einer harten Schale bist.“ Dark zog eine Augenbraue in die Höhe und bedachte die Tochter seines Ausbilders mit einem undurchschaubaren Blick. „Ach ja?“ Von seinem düsteren Gesichtsausdruck völlig unberührt nickte diese. „Ja. Aber er hat mir auch erzählt, dass du einen weichen Kern hast.“ „Da irrt er sich“, schnappte Dark reflexartig, was Zelda verblüfft aus der Wäsche gucken ließ. Doch nach nur wenigen Sekunden schlich sich ein listiges Grinsen auf ihre Züge und sie murmelte mit vor Sarkasmus triefender Stimme: „Sicher. Deswegen hast du auch dein Leben riskiert, um meinen Vater zu retten… Weil du durch und durch kalt und emotionslos bist…“ Bevor Dark etwas entgegnen konnte, stand Zelda auf und schnappte sich das Tablett. „Ich bring eben das Geschirr zurück in die Küche und fege dann die Scherben vor der Tür zusammen. Danach hast du erst mal wieder deine Ruhe. Ich komm später mit dem Abendessen zurück. Versuch in der Zwischenzeit ein wenig zu schlafen, du harter Kerl, du…“ Zeldas Amüsement brannte auf Darks Seele wie Brennnesseln auf der Haut. Mit hochroten Wangen warf der Jüngling sich trotz seiner schmerzenden Verletzung auf seinem Bett herum, bis er Zelda den Rücken zugekehrt hatte. Was erlaubte sich diese impertinente Person, sich auf seine Kosten zu amüsieren?! Als Zelda am Abend zurückkam, war Dark noch immer zutiefst beleidigt. Er ließ sich zwar von der jungen Frau aufhelfen und beim Trinken seiner Geflügelbrühe unterstützen, doch er sprach kein einziges Wort. Zelda unternahm einige fruchtlose Anläufe zu einem Gespräch, indem sie ihm den neuesten Klatsch aus dem Dorf erzählte. Angesichts der eisigen Mauer des Schweigens, mit der sie konfrontiert wurde, verstummte sie jedoch recht bald. Dennoch schien sie an Darks plötzlicher Stummheit keinen Anstoß zu nehmen. Sie kam noch immer mit einem Lächeln in sein Zimmer und verhielt sich ihm gegenüber völlig unbeschwert. Tatsächlich schien es sie eher zu amüsieren, dass sie bei ihm offenbar einen empfindlichen Nerv getroffen hatte. Shadow kam täglich, um seinen Schüler zu besuchen. Obwohl Dark sich bemühte, diese Gefühle zu unterdrücken, freute der Jüngling sich auf die Besuche seines Meisters. Einerseits fand er gegen seinen Willen Gefallen an Shadows Sorge, andererseits hatte der Assassine immer eine interessante Geschichte zu erzählen, die Darks Langeweile zumindest für kurze Zeit vertrieb. In den ersten Tagen hatte Dark noch sehr viel geschlafen, doch allmählich kehrten das Leben und damit eine innere Unruhe in seinen geschwächten Körper zurück. Je mehr Zeit verging, desto stärker wurde Darks Drang nach irgendeiner Form von Aktivität. Shadow engagierte eine alte Dame aus dem Dorf, damit sie Dark das Lesen beibrachte, doch das half nur wenig gegen die zunehmende Frustration des Jünglings. Er sehnte sich nach Bewegung und Training! Außerdem fühlte er sich in dem engen Raum furchtbar eingesperrt. Er vermisste das Gefühl von Sonne auf seiner Haut und Wind in seinen Haaren. Nach etwa zwei Wochen hielt Dark es nicht mehr aus und er schwang trotz seiner protestierenden Seite die Füße aus dem Bett. Seine Beine fühlten sich nach der langen Zeit des Nichtgebrauchs wackelig und schwach an und seine noch immer nicht vollständig verheilte Wunde schmerzte bei jedem Schritt. Dennoch schleppte Dark sich stur weiter, bis er über die Schwelle der Haustür schritt. Die Abendluft roch nach trockener Erde und Feuer. Der Jüngling sog die frische Luft mit geschlossenen Augen tief in seine Lungen und genoss das Streicheln einer sanften Windböe. Erst danach hob er blinzelnd die Lider wieder und sah sich im Dorf um. Auf dem zentralen Platz, unweit von Shadows Haus, war ein Lagerfeuer entzündet worden. Das Knacken und Knistern des trockenen Holzes klang in Darks Ohren wie ein wohlvertrautes Kinderlied. Um das Feuer herum standen einige Leute, die Dark nicht kannte, und unterhielten sich, während ein kapitaler Hirsch an einem Spieß über den Flammen briet. Offenbar hatte Shadow oder ein anderer Jäger des Dorfes großes Jagdglück gehabt und wollte dieses nun mit seinen Nachbarn teilen. Während Dark noch überlegte, warum die Bewohner hier so viel freundlicher zueinander waren als in Hyrule-Stadt, entdeckte er Zelda, die mit ein paar kleinen Kindern spielte. Ihr langes Haar fiel ihr in einem goldenen Wasserfall den Rücken herab und ihre Augen funkelten wie Edelsteine in ihrem durchs Umhertoben erhitzen Gesicht. Wie in dem Moment, in dem er ihrer zum ersten Mal ansichtig geworden war, hatte Dark den Eindruck, von ihr ginge ein strahlendes Licht aus. Als sie ihn bemerkte, blieb Zelda wie angewurzelt stehen und starrte mit einem zwischen Schock, Verblüffung und Freude schwankenden Gesichtsausdruck zu ihm herüber. Bevor sein Verstand begreifen konnte, was sein Körper tat, hob Dark eine Hand und winkte der jungen Frau zu. Er fühlte sich wie hypnotisiert von ihrem Anblick. Doch als ihm endlich bewusst wurde, was er machte, hätte er sich am liebsten in den Hintern getreten. Sie hatte sich lustig über ihn gemacht und sich noch immer nicht dafür entschuldigt! Wie konnte er unter diesen Umständen seinen Stolz vergessen und einen Schritt auf sie zu machen?! Mit einem Seufzen gestand Dark sich ein, dass er Zelda trotz all seiner Gegenwehr irgendwie ins Herz geschlossen hatte. Ihre ruhige, sanfte Art, sich um ihn zu kümmern, erinnerte ihn vage an die lang verdrängten Tage seiner Kindheit. Wenn sie in seiner Nähe war, spürte er in seinem Innern eine Wärme, die er mit dem Gefühl des nach-Hause-Kommens verband. Den Blick auf die zurückwinkende Zelda gerichtet, beschloss Dark, dass es für ihn Zeit war, das Dorf wieder zu verlassen. Sobald seine Seite einigermaßen verheilt wäre, würde er in seine Höhle zurückkehren und die Tochter seines Meisters so schnell wie möglich wieder vergessen. Das Lächeln, das sich wie von selbst auf seine Lippen geschlichen hatte, verriet ihm, dass er sich besser gestern als heute von ihr verabschieden sollte. Eines der Kinder deutete auf einen Punkt zwischen zwei der umstehenden Häuser und zog Zelda an der Hand. Die junge Frau schenkte Dark ein letztes Lächeln, bevor sie sich umwandte und sich von dem kleinen Jungen zu der gezeigten Stelle ziehen ließ. Ihr langer Rock wirbelte ihr bei jedem Schritt um die Knöchel wie von der Meeresströmung bewegte Unterwasserpflanzen. Dark sah ihr hinterher und fragte sich, wie Zelda es bloß geschafft hatte, völlig unbemerkt durch den schützenden Eispanzer an sein Herz zu gelangen. Plötzlich tauchte Shadow neben ihm auf und platzte in Darks Gedanken: „Sie ist wirklich schön, nicht wahr?“ Dark presste die Kiefer aufeinander und stieß genervt Luft aus der Nase aus. Natürlich hatte Shadow bemerkt, wie er Zelda ansah… „Ja“, gab der Jüngling ein wenig widerwillig zu. „Ich nenne sie meinen schwarzen Stern.“ Shadow lächelte vor Stolz so breit, dass Dark glaubte, ihm müssten die Mundwinkel einreißen. „Warum das?“ „Weil sie schön und strahlend ist wie ein Stern.“ „Aber warum schwarzer Stern?“ Dark verschränkte die Arme vor der Brust. Schwarz war die letzte Farbe, die er mit Zelda assoziiert hätte. Seiner Meinung nach passte alles Helle viel besser zu ihr als etwas Dunkles. Shadow lachte leise in sich hinein. „Das wirst du irgendwann von selbst herausfinden.“ Dann fügte er ernster an: „Ihr müsstet ungefähr im selben Alter sein. Ich fände es schön, wenn ihr euch anfreunden würdet.“ Dark stieß einen grunzenden Laut aus und neckte seinen Lehrer: „Wieso? Bist du so wild auf Enkelkinder?“ Wider Erwarten verpasste Shadow ihm dafür keinen leichten Klaps in den Nacken, sondern zog nur ein düsteres Gesicht und sagte: „Sieh dich um Dark, was fällt dir auf?“ Der Jüngling ließ seinen Blick schweifen, doch bevor er etwas entgegnen konnte, fuhr Shadow fort: „In diesem Dorf leben hauptsächlich Alte und Kinder. Die meisten der jungen Leute sind bei der Nahrungssuche oder Dämonenangriffen ums Leben gekommen. Da die Alten mit den Kindern oft überfordert sind, übernimmt Zelda mehr Verantwortung als sie sollte. Ich bin wirklich stolz auf meine Tochter, aber ich wünsche mir oft, sie müsste nicht so erwachsen sein.“ Shadow stieß einen langgezogenen Seufzer aus und bedachte Dark mit einem nachdenklichen Seitenblick. „Bei dir ist es ähnlich. Ich weiß noch immer nicht, was dir zugestoßen ist, bevor ich dich traf, aber du wurdest ebenfalls viel zu jäh aus deiner Kindheit gerissen. Ich hoffe einfach, dass ihr euch ein wenig mehr wie Jugendliche verhalten könnt, wenn ihr einen Freund in eurem Alter habt.“ Dark zuckte mit den Schultern. „Zu doof, dass ich für Freundschaften nicht geeignet bin… Mir fehlt einfach das Interesse.“ Shadow rollte mit den Augen und schüttelte den Kopf. „Ich dachte, diese Phase hätten wir hinter uns… Aber gut, spiel meinetwegen weiterhin den Unnahbaren.“ Mit diesen Worten ging Shadow in Richtung Lagerfeuer davon und ließ Dark stehen, der sich plötzlich reichlich unwohl fühlte in seiner Haut. Irgendwie war es früher einfacher gewesen, den einsamen Wolf zu mimen… Während die Dorfbewohner sich um das Feuer scharrten, miteinander lachten und sich unterhielten, ließ Dark sich auf einer Bank vor Shadows Haus nieder und fragte sich, woher das plötzlich aufwallende Gefühl des Ausgeschlossenseins kam. Er wusste genau, alleine war er besser dran – dann konnte niemand ihn verraten und enttäuschen. Dennoch bohrte sich bei jedem Blick auf die feiernde Menge der scharfe Dolch des Neides in sein Herz. Wieso hatte er auf einmal das Bedürfnis, dazuzugehören? Gerade als er überlegte, ob er besser wieder reingehen sollte, kam Zelda mit einem Teller in der Hand auf ihn zu. „Hast du etwas dagegen, wenn ich dir ein wenig Gesellschaft leiste?“ Ihre weißen Zähne, die bei ihrem Lächeln zwischen ihren Lippen hervorblitzten, wirkten in dem grauen Licht der Dämmerung noch strahlender als normal. Dark schüttelte schüchtern mit dem Kopf und die Tochter seines Lehrmeisters nahm neben ihm Platz. Dann reichte sie ihm den Teller und sagte: „Hier, ich hab dir ein paar der besten Teile gesichert.“ Auf der Porzellanplatte stapelten sich einige Stücke Wildbret und etwa eine Hand voll verschiedener Trockenfrüchte. Darks Mundwinkel zuckten zu einem angedeuteten Lächeln in die Höhe, als der Jüngling seiner Sitznachbarin dankbar zunickte. Dann wollte er sich ein Stück Fleisch in den Mund stecken, aber Zelda legte ihm eine Hand auf den Unterarm und sagte: „Warte. Du musst es kombinieren.“ Mit diesen Worten wickelte sich einen Fleischstreifen um eine der Früchte und hielt Dark die eigenwillig Roulade vors Gesicht, damit er abbeißen konnte. Im ersten Moment zögerte Dark, weil es ihm komisch vorkam, sich von jemandem füttern zu lassen. Doch dann gab er sich einen Ruck und probierte, Zeldas Kreation. Der kräftige Geschmack des über dem offenen Feuer gebratenen Hirsches vermischte sich auf seiner Zunge mit der süß-säuerlichen Note der Frucht. Dark rollte mit den Augen und stöhnte leise auf. „Mmmh! Das ist gut!“ Zelda schenkte ihm ein erfreutes Grinsen, bevor sie ihn aufzog: „Du redest ja wieder mit mir.“ Schlagartig verdüsterte sich Darks Gesicht und er blaffte: „Wenn du mich nur ärgern willst, überleg ich mir das noch mal!“ Zu seiner Überraschung setzte Zelda nicht mit einem neckenden Spruch nach, sondern sagte: „Ich habe nicht die Absicht, dich zu verletzen. Hatte ich nie.“ „Ach nein?“ Die junge Frau schüttelte mit dem Kopf, sodass die Strähnen ihres langen Haares sanfte Wellen in der Luft schlugen. „Ich wollte dich nur aus der Reserve locken. Ich dachte, so fällt dir am ehesten auf, dass mein Vater Recht hat und du nicht so unterkühlt bist wie du tust.“ Dark klappte der Mund auf und er starrte seine Sitznachbarin stumm an. Er war so perplex, dass er trotz seines ihn stets begleitenden Zynismus nicht wusste, was er sagen sollte. „Tut mir leid, wenn ich dir damit zu nah getreten bin.“ Zelda schenkte ihm ein entschuldigendes Lächeln, das er nach einem langen Blickkontakt mit einem schiefen Grinsen quittierte. „Schon gut. Da du mir diese herrliche Wild-Frucht-Kombination gezeigt hast, kann ich dir dieses eine Mal noch verzeihen, denke ich.“ Zeldas Lachen klang in Darks Ohren wie Musik. Die beiden Jugendlichen saßen eine Weile schweigend neben einander, während Dark aß. Am Lagerfeuer hatte irgendjemand eine Fidel hervorgeholt und spielte nun alte Volksweisen. Dark stellte seinen leeren Teller neben sich auf den Boden und blickte Zelda von der Seite her an. „Wie kommt es eigentlich, dass die Menschen hier so nett zu einander sind? Da, wo ich herkomme, gab es so etwas wie eine Gemeinschaft nicht. Dort war sich jeder selbst der Nächste.“ Ein versonnenes Lächeln stahl sich auf Zeldas Lippen und sie sah zum Feuer herüber. „Das haben wir unserem Ältesten zu verdanken. Er hat unsere Familien vor einigen Jahrzehnten zusammengeführt und uns davon überzeugt, dass wir eine höhere Überlebenswahrscheinlichkeit haben, wenn wir uns zusammentun. Einer allein hat Dämonenscharen nur wenig entgegenzusetzen, aber gemeinsam sind wir stark.“ Ihre Mundwinkel verzogen sich noch ein wenig weiter nach oben, als sie hinzufügte: „Seit unser Ältester sich immer mehr zurückzieht, übernimmt mein Vater die Rolle unseres Anführers. Er ist unser aller Rückgrat.“ Dark riss seinen Blick von Zeldas Profil los und schaute ebenfalls zum Lagerfeuer herüber. Shadows massige Gestalt war im Kreis der Feiernden deutlich auszumachen, obwohl Dark nichts weiter sah als schattenartige Umrisse. Während er die Silhouette seines Meisters beim Gestikulieren beobachtete, gab Dark geistesabwesend zu: „Dein Vater ist eine bewundernswerte Person. Ein Vorbild.“ Zelda riss den Kopf herum und sah ihren Banknachbarn verblüfft an. Dieser zog fragend eine Augenbraue in die Höhe. „Was ist?“ „Nichts. Ich hatte nur nicht erwartet, so etwas aus deinem Mund zu hören.“ Dark stieß ein kleines Schnauben aus, als er in sich hineinlachte. „Ich auch nicht.“ „Weiß mein Vater, dass du so über ihn denkst?“ Zelda nestelte an einer Falte ihres langen Rocks und blickte zu Shadow herüber, der gerade mit einem lauten Brüllen lachende Kinder ums Lagerfeuer trieb als wäre er ein gefährliches Monster. Dark schüttelte den Kopf. „Nein, ich glaube nicht.“ „Du solltest es ihm sagen.“ „Warum?“ Zelda setzte sich ein wenig um, um ihren Banknachbarn besser ansehen zu können. Ihre Augen wirkten riesig in den schlechten Lichtverhältnissen und Dark hatte Mühe, sich nicht in ihrem Nachthimmelblau zu verlieren. „Ich denke, es würde ihn freuen, wenn er wüsste, dass du ihn so siehst. Du bedeutest meinem Vater sehr viel, weißt du? Ich glaube, er sieht in dir eine Art Sohn, einen Ersatz für den Bruder, den ich vielleicht bekommen hätte, wenn die Dämonen meine Mutter damals nicht getötet hätten.“ Bei diesen Worten stritten widersprüchliche Gefühle in Darks Innerem mit einander. Einerseits freute es ihn, dass er Shadow etwas bedeutete. Andererseits widerstrebte es ihm zutiefst, nur ein Ersatz zu sein. Er wollte um seinetwillen gemocht werden, nicht weil er eine Lücke füllte. Sofort breitete sich sein inneres Eis wieder aus und er biss die Zähne so fest zusammen, dass seine Kiefermuskulatur deutlich zu sehen war. Dark war so sehr von seinem inneren Konflikt vereinnahmt, dass er Zeldas weitere Worte beinah überhört hätte: „Seit er dich gefunden hat, erzählt mein Vater ständig von dir. ‚Heute hab ich Dark das Fährtenlesen beigebracht – es ist verblüffend, wie talentiert der Junge ist‘, ‚Heute war ich mit Dark in einer Schänke, aber er hatte so schlechte Laune, dass sich nicht mal die Dirnen in seine Nähe getraut haben, obwohl er so ein hübscher Bursche ist‘, ‚Eines Tages wird Dark ein geschickterer Kämpfer sein als ich‘ und so weiter.“ Zelda lachte über ihren Versuch, Shadows Stimme zu imitieren. „Manchmal bin ich ein bisschen neidisch auf dich, weil mein Vater dermaßen stolz auf dich ist.“ Perplex sah Dark zu seinem Meister herüber, der sich inzwischen von den Kindern hatte erlegen lassen und einige vorwitzige Rabauken auf sich herumturnen ließ. Er hätte nie gedacht, dass Shadow so über ihn sprach. Nicht, nachdem er sich seinem Lehrer gegenüber stets so kalt und abweisend verhalten hatte. Augenblicklich breitete sich eine wohlige Wärme in ihm aus, die das Eis in seinem Inneren zurückdrängte. „Dein Vater wünscht sich, dass wir Freunde werden. Wusstest du das?“, wechselte Dark das Thema, um den Fokus von seinem Verhältnis zu Shadow abzulenken, bevor sein inneres Chaos ihn überfordern konnte. Seit der Dämonenfürst Shadow töten wollte, hatte Dark sein schon immer sehr fragiles, inneres Gleichgewicht vollends verloren. Er fühlte sich wund und verwirrt und zu allem Überfluss funktionierte sein eisiger Schutzpanzer nicht mehr richtig. Aus irgendwelchen Gründen konnte er weder seinen Meister noch dessen Tochter von seinem Inneren fernhalten. Während Dark sich damit abmühte, wieder Ordnung in seinen Gefühlshaushalt zu bringen, nickte Zelda. „Er macht sich Sorgen um mich, weil er denkt, ich übernähme zu viel Verantwortung. Und um dich sorgt er sich ebenfalls, weil er dich für einsam hält. Er glaubt, dass dir in deiner Vergangenheit etwas Schreckliches zugestoßen ist, weswegen du die Menschen nun von dir fernhältst.“ Dark zuckte mit den Schultern und starrte ins Nichts, während Arns Stimme in seinem Geist widerhallte: Wenn wir uns weiterhin darauf konzentrieren, Link durchzufüttern, bedeutet das unser Ende… Ich fürchte, unsere einzige Möglichkeit ist es, zu kaltblütigen Mördern zu werden. Er erwartete, dass Zelda ihn nach den Gründen für seine Isolation fragen würde, doch sie überraschte ihn. Anstatt zu versuchen, ihm seine Geheimnisse zu entlocken, legte die junge Frau ihm eine Hand auf den Unterarm und lächelte ihn warm an, als er zu ihr herübersah. „Die Einsamkeit mag uns zwar vor weiteren Enttäuschungen schützen, aber sie beraubt uns auch vieler schöner Momente. Ich weiß, dass es nicht leicht ist, alte Gewohnheiten abzulegen. Aber ich möchte, dass du weißt, dass ich jeder Zeit für dich da bin, solltest du eines Tages beschließen, dein Einzelgängertum ablegen zu wollen.“ Mit diesen Worten stand Zelda auf und ging zu ihrem Vater herüber, um ihm mit der aufgedrehten Rasselbande behilflich zu sein. Dark blieb allein auf der Bank zurück und sah ihr nachdenklich hinterher. Obwohl er noch immer als Einziger abseits saß, während der Rest des Dorfes feierte, fühlte er sich plötzlich nicht mehr ausgeschlossen. In den folgenden Wochen verbrachten Dark und Zelda sehr viel Zeit miteinander. Tagsüber saßen die Beiden häufig vor Shadows Haus und gingen gemeinsam ihren eigenen Aktivitäten nach. Während Dark kleine Tierfiguren schnitzte oder Waffen und Rüstungsteile für die Dorfbewohner reinigte, erledigte Zelda Handarbeiten oder las Dark und den Kindern des Dorfes vor. Abends machten die Zwei kleine Spaziergänge durchs Dorf. Zelda erzählte dabei Geschichten aus ihrer Kindheit oder Anekdoten aus ihrem Alltag. Dark hingegen hörte in der Regel nur zu und schwieg sich über seine eigene Vergangenheit aus. Wie von Shadow gewünscht, wuchs mit der Zeit eine echte Freundschaft zwischen den beiden Jugendlichen. Dennoch schlug Dark Shadows Angebot, in seinem Haus zu bleiben, aus und kehrte nach seiner Genesung in seine Wohnhöhle zurück. Hier fühlte er sich trotz allem mehr zuhause und war vor allem sein eigener Herr. Auch wenn er sich in den vergangenen Wochen stetig immer weiter geöffnet hatte, überforderte ihn die Dorfgemeinde und er war froh, in die Ruhe der Wüste heimzukehren. Doch schon der erste Morgen endete jäh. Dark schlummerte selig, als er plötzlich keine Luft mehr bekam. Wie ein erstickender Fisch nach Atem schnappend, riss er die Augen auf, nur um Zelda über sich zu sehen. Kichernd ließ sie seine Nase los und richtete sich wieder auf. „Für einen Assassinen sind deine Sicherheitsvorkehrungen bemitleidenswert schlecht“, tadelte sie scherzhaft, während Dark sie ungläubig anblinzelte. Was machte sie hier? Wie hatte sie ihn gefunden? Und wie sah sie überhaupt aus?! Ihr Haar, das ihr ansonsten locker über die Schultern fiel, hatte sie zu einem Zopf geflochten, sodass ihr Gesicht nur von den kürzeren, vorderen Strähnen eingerahmt wurde. Anstatt wie sonst Kleider oder Röcke zu tragen, hatte sie ihren schlanken Körper an diesem Morgen in eine Lederhose und ein enganliegendes Hemd gehüllt. Um ihre Hüften wand sich ein breiter Gürtel mit vielen Haken und Ösen. Er sah genauso aus wie die Gürtel, die auch Shadow und Dark trugen, wenn sie sich auf eine Mission begaben. Und war das, was hinter ihrer Schulter aufblitzte, tatsächlich ein Schwertheft?! Während Dark noch mit seiner Verblüffung kämpfte, ließ Zelda sich auf seinem Hocker nieder und schlug die Beine übereinander. Als der Jüngling endlich seine Stimme wiederfand, platzte er heraus: „Was machst du hier?!“ Bei dem schroffen Klang seiner Worte zuckte er innerlich zusammen. Er freute sich, dass Zelda hier war. Er konnte sich nur keinen Reim darauf machen, warum. Und wie… „Ich wollte sehen, für welche Luxusherberge du Vaters Gastfreundschaft ausgeschlagen hast.“ Zelda sah sich demonstrativ in der Höhle um. „Ich muss sagen, das hier ist enttäuschend.“ Dark riss überrascht die Augen auf, während seine Verwirrung unbekannte Ausmaße annahm. Zelda war ihm – wie auch immer – hierher gefolgt, um seine Wohnsituation zu beurteilen?! Kopfschüttelnd beschloss Dark, dass er diese Erklärung nicht verstand und deswegen nicht weiter darüber nachdenken wollte. Daher fragte er nur: „Und wie hast du mich gefunden?“ Ob Shadow seiner Tochter verraten hatte, wo die Höhle seines Schülers war? Zelda lachte wieder und neckte ihn: „Na, wie wohl, Dummerchen? Du bist nicht der Einzige, den mein Vater unterrichtet hat. Deine Spuren zu lesen, war alles andere als schwer für mich.“ „Dein Vater hat dich ebenfalls ausgebildet?“ Dark schwang die Beine aus dem Bett und betrachtete seine Freundin mit ganz neuen Augen. Warum war ihm noch nie aufgefallen, wie athletisch ihr Körperbau war? Zelda nickte. „Manchmal darf ich ihn sogar auf leichte Missionen begleiten.“ Bei diesen Worten durchzuckte Dark Erkenntnis und er dachte: „Deswegen nennt er sie seinen schwarzen Stern… Weil sie genau wie wir ein Assassine ist, eine Kämpferin aus den Schatten.“ Zelda verzog unterdessen das Gesicht zu einem Ausdruck, der zwischen Missbilligung und Dankbarkeit schwankte. „Ich könnte auch schwerere Aufträge erledigen, aber Vater hat Angst, dass mir dabei etwas passieren könnte. Deswegen lässt er mich nicht.“ „Vielleicht überschätzt du dich auch nur und Shadow gibt dir genau die richtigen Aufträge.“ In Darks Augen blitzte der Schalk und er grinste seine Freundin durchtrieben an. Als sie den Mund öffnete, um zu protestieren, schnitt Dark ihr das Wort ab: „Hast du Lust herauszufinden, wer von uns der bessere Schüler deines Vaters ist?“ Zelda verzog ihre Lippen zu einem breiten Lächeln und warf Dark schnell sein Schwert zu. „Zieh dich warm an! Du wirst eine vernichtende Niederlage erleben, mein Lieber.“ Wenig später bezogen die beiden auf der gleichen Ebene Stellung, auf der Dark bereits gegen Shadow gekämpft hatte. Der Jüngling zog seine Waffe und ließ den Griff gekonnt um seine Finger wirbeln, bevor er ihn fest umfasste. „Dann zeig mir mal, was du drauf hast, Frau Super-Assassine!“ Zelda grinste mit gezückter Klinge zu ihm herüber. „Noch spottest du, aber das wird dir bald vergehen!“ Dann sprang sie auf ihn zu, doch Dark wich ihrer Attacke geschickt aus. Schnell wirbelte der Jüngling zu einem Konter herum, nur um ins Leere zu schlagen. Zelda war bereits aus der Gefahrenzone zurückgewichen, bevor er sein Schwert hatte heben können. Sie war flink, das musste er ihr lassen. Aber er hatte die größere Reichweite. Minutenlang wogte der Kampf hin und her, ohne dass sich ein Favorit herauskristallisierte. Doch dann gelang es Dark, Zelda gegen eine Felswand zu treiben und ihr so den Fluchtweg abzuschneiden. Die Schwerter der Beiden krachten gegeneinander und ihre Klingen rieben mit einem metallischen Kreischen übereinander. „Jetzt hab ich dich. Kräftemäßig bist du mir unterlegen, Kleines.“ Dark grinste zu der schwer atmenden Zelda herunter, die zu seiner Überraschung breit grinste. „Das mag sein. Aber wenn es um Gerissenheit geht, kannst du nicht mit mir mithalten.“ Mit diesen Worten zwinkerte sie ihm mit einem koketten Augenaufschlag zu, was ihn irritiert blinzeln ließ. Dann hakte sie einen Fuß in seine Kniekehlen und zog ihm die Beine weg. Dark stürzte wie ein gefällter Baum zu Boden und schlug hart auf. Sofort meldete sich seine Seitenverletzung wieder und ließ ein unangenehmes Stechen durch seinen Brustkorb schießen. Trotzdem wollte Dark sich so schnell wie möglich wieder aufrappeln, doch noch bevor er auf die Knie kommen konnte, schob sich Zeldas Schwertspitze an seiner Halsseite herab und seine Freundin kniete sich über ihn. „Tja, wie’s aussieht habe ich gewonnen.“ Das breite Grinsen war ihrer Stimme deutlich anzuhören. „Das war unfair!“, protestierte Dark, als Zelda ihn endlich aufstehen ließ. Die junge Frau zuckte gleichmütig mit den Schultern. „Im Krieg und in der Liebe ist alles erlaubt.“ Dark stieß einen grunzenden Laut aus der Nase aus, als er in sich hineinlachte. „Das war schon Krieg für dich?“ „Nein.“ Ein engelhaftes, hintergründiges Lächeln stahl sich auf Zeldas Lippen und Dark vergaß schlagartig, dass er hatte nachfragen wollen, wie sie ihre Bemerkung dann gemeint hatte. Sein Kopf fühlte sich plötzlich an als wäre er mit Watte gefüllt und Dark konnte nicht anders als dümmlich zurück zu grinsen. Mit einem verschmitzten Gesichtsausdruck klopfte Zelda ihm auf die Schulter, wobei eine Wolke rötlichen Sandstaubs aufgewirbelt wurde, und sagte: „Ich muss jetzt leider zurück ins Dorf, um den Alten mit den Kindern zu helfen. Aber ich könnte heute Abend zurück sein, wenn du möchtest.“ Woher kam bloß dieses seltsame Gefühl der Wärme und Leichtigkeit, das sich bei diesem Gedanken in Dark ausbreitete? Mit einem Lächeln und funkelnden Augen nickte der Jüngling seiner Freundin zu. „Gerne. Ich werde mich dann mal auf die Jagd machen und mich um unser Abendessen kümmern.“ Zelda knuffte Dark spielerisch gegen sein Kinn und verabschiedete sich: „Dann bis später, Verlierer.“ Während er ihr hinterher sah wie sie sich mit schnellen Schritten entfernte, fragte Dark sich, warum sich seine Mundwinkel automatisch nach oben bogen, wenn Zelda so mit ihm sprach. Jedem anderen wäre er vermutlich an die Gurgel gegangen, wenn er die Dreistigkeit besessen hätte, ihn einen Verlierer zu nennen… Als Zelda am Abend zurückkehrte, prasselte ein kleines Lagerfeuer vor Darks Höhle. Der Jüngling selbst befand sich offenbar im Inneren und pfiff vergnügt vor sich hin. Lächelnd hielt Zelda für einen Moment inne und lauschte auf die schrägen Töne, die bis zu ihr herüber drangen. Der Dark, den sie vor einigen Wochen kennen gelernt hatte, hätte niemals im Leben vor sich hin gepfiffen. Doch nach anfänglichen Schwierigkeiten war er immer mehr aufgetaut, bis er ihr schließlich erste Blicke auf seine verletzte Seele gewährt hatte. Hinter seiner Fassade des abgebrühten, schroffen Einzelgängers war Dark in Wirklichkeit ein sensibler, geradezu feingeistiger junger Mann. Anfangs hatte seine düstere Ausstrahlung Zeldas Neugierde geweckt, doch ins Herz geschlossen hatte sie ihn erst, als sie die Schönheit seines Inneren erkannt hatte. Nun konnte sie verstehen, was ihr Vater von Anfang an in ihm gesehen hatte. Dark trat eine Schüssel Früchte tragend aus der Höhle und Zelda stockte für einen Moment der Atem. Sein mittellanges Haar hatte er zu einem Zopf zusammengebunden, was seine Kinnpartie markanter wirken ließ. Doch was Zelda wirklich ins Staunen versetzte, war etwas anderes: Während der Zeit im Dorf war Dark ein schütterer Vollbart gewachsen, doch nun hatte er sich wieder rasiert. Die glatten Wangen ließen ihn jünger, sanfter und offener erscheinen. Zelda hatte ganz vergessen, wie gut er ohne Gesichtsbehaarung aussah… Mit einem wild klopfenden Herzen setzte sich die junge Frau wieder in Bewegung. Dark entdeckte sie nur Sekunden später und winkte ihr lächelnd zu. Als sie direkt vor ihm stand, grinste Zelda zu ihm hoch und zog ihn dann etwas ungelenk in ihre Arme. Zunächst erstarrte Dark bei der überraschenden Berührung, doch er entspannte sich schnell wieder und erwiderte die Umarmung. Erst als die beiden sich nach einem langen Moment wieder voneinander lösten, begrüßte Zelda ihren Freund: „Hallo. Da bin ich.“ Darks Mundwinkel schoben sich so weit nach oben, dass Zelda glaubte, sie müssten reißen. „Freut mich. Dann können wir ja essen. Es gibt Fisch und Datteln.“ Während des Essens erzählte Zelda von ihrem Tag im Dorf und Dark berichtete von einem riesigen Adler, den er beim Fischen gesehen hatte. In den nächsten Tagen wollte er sich aufmachen, um herauszufinden, ob der majestätische Vogel Küken hatte. Vielleicht, so meinte Dark, ließ sich einer der jungen Vögel zum Jagen abrichten. Auch nach dem Essen saßen die beiden Jugendlichen noch lange zusammen – selbst dann noch, als ihnen der Gesprächsstoff ausging. Zelda hatte ihren Kopf gegen Darks Schulter gebettet und beobachtete fasziniert die Flammen des Lagerfeuers. Schon als Kind hatte sie den züngelnden Tanz des brennenden Elements als seltsam schön empfunden. Er hatte etwas Unheimliches, weil Feuer alles zerstören konnte, war aber gleichzeitig von perfekter Eleganz. Dark betrachtete unterdessen die Sterne und deutete ab und zu auf eine Gruppe der leuchtenden Punkte, wenn er eine geometrische Figur oder ein Fabelwesen ausgemacht hatte. Der Mond näherte sich bereits seinem Zenit, als Zelda ihre vom langen Sitzen steifen Glieder streckte und murrte: „Ich sollte wohl langsam nach Hause.“ Dark nickte und wandte den Kopf, um seine Freundin anzusehen. Doch statt ihr eine gute Heimreise zu wünschen, beugte er sich vor und legte seine Lippen auf Zeldas. Die junge Frau keuchte überrumpelt auf und der Jüngling blickte ebenso überrascht, so als wüsste er selbst nicht, warum er das gerade getan hatte. Doch dann nahm Dark Zeldas Gesicht in beide Hände und küsste sie mit mehr Nachdruck. Die junge Frau schlang ihm die Arme um den Nacken, krallte ihre Finger in die losen Strähnen seines Nackenhaares und erwiderte den Kuss mit immer mehr Leidenschaft. Einige Stunden später lag Zelda mit dem Kopf auf Darks unbekleideter Brust und lauschte seinem gleichmäßigen Herzschlag, während er gedankenverloren mit dem Finger Muster auf ihre Hüfte malte. „Jetzt muss ich wohl zur alten Hexe.“ Ihre Stimme klang irgendwie schlaftrunken, obwohl Zelda sich hellwach fühlte. „Warum?“ Das Lächeln, das auf Darks Lippen lag, war deutlich zu hören. „Weiß nicht. Aber die Alten im Dorf sagen immer, wenn eine Frau mit einem Mann zusammen war, aber kein Kind empfangen will, soll sie anschließend zur Hexe gehen.“ Dark zog überrascht die Augenbrauen in die Höhe. Babys entstanden auf diese Weise? Plötzlich konnte er verstehen, warum trotz der widrigen Umstände noch immer Kinder im Schattenreich geboren wurden… „Was ist das eigentlich?“, wechselte Zelda das Thema und deutete auf einen Gegenstand, den Dark mit viel Mühe neben seinem Bett an den Fels genagelt hatte. Der Jüngling folgte ihrem Fingerzeig mit den Augen und ein melancholischer Schatten huschte über sein Gesicht. „Das hab ich schon ganz lange“, setzte er zu einer Erklärung an. „Mein Vater hat mir das Holzschwert mal geschenkt, nachdem ich nur knapp einer Dämonenattacke entgangen war und danach unbedingt kämpfen lernen wollte, um nie wieder hilflos zu sein.“ Zelda zitterte leicht an seiner Seite, als sie sich einen jungen Dark vorstellte, der von Monstern angegriffen wurde. Doch Dark war zu sehr mit seiner eigenen Überraschung beschäftigt, um dies zu bemerken. Hatte er nach all den Jahren tatsächlich an Arn wieder als seinen Vater gedacht?! Sich noch enger an ihn schmiegend murrte Zelda: „Ich weiß so gut wie gar nichts über deine Vergangenheit.“ Ein tiefer Seufzer ließ Darks Brust sich heben und ruckartig wieder senken, bevor Dark stockend zu erzählen begann: „Ich bin in Hyrule-Stadt geboren und aufgewachsen. Meine Eltern waren liebevolle Menschen, die stets versucht haben, alle Sorgen von mir fernzuhalten. Doch dann sind sie… durch einen tragischen Unfall ums Leben gekommen und ich habe angefangen, die Göttinnen für all das Leid, das sie in der Schattenwelt geschehen lassen, zu hassen. Ich wollte Rache. Deswegen bin ich in die Wüste gegangen, um mich für dieses Vorhaben zu stählen. Das ist auch der Grund, weshalb ich bei deinem Vater in die Lehre gegangen bin.“ Den Kopf tief in den Nacken gelegt, um ihrem Freund ins Gesicht blicken zu können, fragte Zelda: „Willst du immer noch Rache?“ Dark starrte für einen Moment ins Nichts und grinste die junge Frau in seinen Armen dann an. „Nein. Ich denke nicht. Ich glaube, ich habe ein Glück gefunden, dass mich mit den Göttinnen wieder versöhnen kann.“ Das Lächeln, das sich daraufhin auf Zeldas Lippen stahl, schien Darks Herz vor Freude platzen zu lassen. Seiner Freundin eine Strähne aus der Stirn streichend sagte er: „Ich verrate dir ein Geheimnis. Dark ist nicht der Name, den meine Eltern mir gaben. Eigentlich heiße ich Link.“ „Warum hast du dich umbenannt?“ „Weil ich gehofft habe, die Schmerzen der Vergangenheit hinter mir lassen zu können, wenn ich eine andere Person werde.“ „Und? Hat es funktioniert?“ „Nie besonders gut.“ Der Jüngling war verblüfft. So ehrlich war er seit Ewigkeiten nicht mehr zu sich selbst gewesen. Zeldas Brüste strichen über seinen Brustkorb, als die junge Frau sich auf den Ellbogen stützte. „Dark?“ „Ja?“ „Darf ich dich Link nennen? Ich mag den Mann hinter der Fassade viel lieber als die Maskerade.“ Darks Mundwinkel zuckten leicht, bevor er zaghaft nickte. Allmählich war es wohl an der Zeit, den alten Groll abzulegen. „Ja, darfst du“, setzte Link selbstbewusster nach und lächelte seine Freundin breit an, bevor er sie auf die Stirn küsste. Es fühlte sich gut an, wieder er selbst zu sein. Kapitel 6: Supernova -------------------- Trotz seiner veränderten Beziehung zu Zelda zog Link nicht ins Dorf. Er besuchte die Ortschaft zwar jeden Tag, um für die Bewohner kleinere Arbeiten zu erledigen und sich mit Shadow über ausstehende Missionen auszutauschen, kehrte aber jeden Abend zu seiner Höhle zurück. Zelda begleitete ihn dabei regelmäßig, auch wenn dies bedeutete, dass sie am nächsten Morgen sehr früh aufstehen musste, um rechtzeitig für ihre täglichen Pflichten wieder im Dorf zu sein. Shadow, der schnell bemerkt hatte, was vor sich ging, kommentierte die Liebe zwischen seiner Tochter und seinem Schüler nicht – selbst dann nicht, wenn Link während eines Auftrags, der die beiden Assassinen zwang, sich weiter als einen Tagesmarsch von ihrer Heimat zu entfernen, kaum stillsitzen konnte. Auf diese Weise gingen die Jahre ins Land. Link blühte nicht zuletzt wegen seines neuentdeckten Liebesglücks und der stetigen Zuwendung seines Meisters immer mehr auf und wurde allmählich zu einem umgänglichen, jungen Mann mit ausgeprägtem Verantwortungsbewusstsein. Dennoch waren ihm die langen Jahre der Einsamkeit noch immer anzumerken. Vor allem unter fremden Menschen fühlte er sich unsicher und unwohl und er war sich absolut sicher, niemals in ein Dorf zu ziehen, bis Zelda ihm kurz vor seinem achtzehnten Geburtstag eine vollkommen unerwartete Frage stellte: „Wann wirst du eigentlich bei meinem Vater offiziell um meine Hand anhalten?“ Die junge Frau saß auf einer Steinbank, die Link erst kurz zuvor vor dem Eingang zu seiner Höhle errichtet hatte, und nähte an einem Wams aus edlem Samt, das Link bei den Feierlichkeiten zu seinem Eintritt ins Erwachsenenalter am nächsten Tag tragen sollte. Ohne aufzublicken bemerkte Zelda wie ihr Freund, der vor ihr kniete und versuchte, ein Lagerfeuer zu entzünden, sich versteifte. „Öh… ähm… öhm…“, stammelte Link, während er krampfhaft auf das trockene Holz vor sich starrte, um seine Freundin nicht ansehen zu müssen. Diese seufzte tief auf und sagte: „Darüber hast du noch nie nachgedacht, oder?“ Obwohl sie es wie eine Frage formulierte, war es eigentlich eine Feststellung. Sie kannte Link nun seit fast drei Jahren, er konnte ihr nichts mehr vormachen. Link legte die Holzstücke auf den Boden und setzte sich neben Zelda, wo er seine langen Beine ausstreckte und auf seine Hände starrte, um ihrem Blick noch immer ausweichen zu können. „Es ist nicht so, dass ich dich nicht heiraten will“, setzte er schließlich an, „ich hab nur Angst vor dem, was danach kommt.“ „Wieso?“ Zelda ließ ihre Näharbeit ruhen und legte den Kopf schief, um ihrem Freund zumindest ein wenig ins Gesicht sehen zu können, auch wenn er seine langen Ponysträhnen wie einen Vorhang zwischen ihnen hängen ließ. Als versuche er, ein unangenehmes Gewicht abzuschütteln, kreiste Link mit den Schultern. „Wenn Leute heiraten, bekommen sie kurz darauf auch Kinder. Aber es erscheint mir falsch, neues Leben in diese Welt zu setzen. Ich meine… Sieh dich doch um! Schau dir deine Vergangenheit an oder meine. Guck dir die Kinder im Dorf an. Zeig mir einen einzigen Menschen, der eine glückliche Kindheit hatte; der nicht Hunger, Verlust und Leid erleben musste.“ Zelda setzte sich ein wenig um, bis sie schräg auf der Bank saß, und legte ihrem Freund einen Finger unters Kinn, um ihn sanft zu zwingen, sie anzusehen. Die blauen Augen, derer sie ansichtig wurde, spiegelten all die Schmerzen und Entbehrungen, die er in seinem Leben hatte erdulden müssen. Mit einem warmen Lächeln, das seine düsteren Erinnerungen vertreiben sollte, antwortete sie: „Wir müssen keine Kinder bekommen, wenn du das nicht möchtest. Ich kann weiterhin die Tricks der alten Hexe anwenden. Ich will dich nur endlich meinen Mann nennen dürfen. Ich möchte ganz offiziell zu dir gehören.“ Sie zog Links Gesicht am Kinn zu ihrem heran und hauchte ihm einen Kuss auf die Lippen. „Ich liebe dich.“ Endlich huschte ein Lächeln über Links Züge und er legte Zelda eine seiner großen, rauen Hände auf die Wange, um ihr mit dem Daumen übers Jochbein zu streichen, während sein Blick sich mit dem ihren verwob. Dann küsste er sie auf die Stirn und zog sie in seine Arme. „In Ordnung. Ich werde Shadow morgen nach den Feierlichkeiten fragen.“ Für einen Moment schmiegte Zelda sich dankbar noch dichter an ihn und genoss das Geräusch seines gleichmäßig schlagenden Herzens unter ihrem Ohr, bevor sie ihre Handarbeit wieder aufnahm. „Dann mach ich mal dein Wams fertig, damit du morgen so umwerfend gut aussiehst, dass Vater dir nichts abschlagen kann.“ Link schwang sich lachend wieder auf die Füße, um zu seinen Holzscheiten zurückzukehren und entgegnete: „Dafür brauch ich keine edlen Kleider. Ich sehe immer fabulös aus!“ Zelda rollte genervt tuend mit den Augen, lächelte jedoch in sich herein. Sie liebte es, wenn Link scherzte. Dann wirkte er für einen Moment als hätte er die Schattenseiten seines Lebens vergessen. Die junge Frau hoffte inständig, dass sie ihrem Freund dabei behilflich sein konnte, irgendwann das Gewicht der Vergangenheit endgültig abschütteln zu können. Die Festivitäten rund um seine Volljährigkeitszeremonie überraschten Link. Überall waren kleine Lagerfeuer verteilt, über denen sich Spieße mit verschiedenen Braten drehten. Offenbar waren alle Jäger des Dorfes ausgezogen, um für ein opulentes Festmahl zu sorgen. So wie es aussah, waren sogar ein paar der wenigen verbliebenen Hühner geschlachtet worden. Auch die Bewohner hatten sich ordentlich herausgeputzt und trugen ihre besten Gewänder zur Schau. Sobald sie Link erblickten, grüßten sie ihn überschwänglich, während der junge Mann verlegen an seinem Samtwams zupfte und schüchtern zurücklächelte. Warum wurde seinetwegen ein solcher Aufriss veranstaltet?! Als stünden ihm seine Gedanken auf die Stirn geschrieben, beantwortete ihm plötzlich eine von hinten kommende Stimme seine unausgesprochene Frage: „Es gibt so selten einen Anlass zu feiern, dass die Menschen hier es ein wenig übertreiben, wenn es mal einen Grund gibt.“ Link wandte sich mit einem Lächeln um und blieb mit offenem Mund stehen. Vor ihm stand Zelda und war schöner als er sie je gesehen hatte. Ihr athletischer Körper steckte in einem enganliegenden, schwarzen Seidenkleid mit Glockenrock und irgendjemand hatte sich die Mühe gemacht, ihr unzählige, kleine Glasperlen in das kunstvoll hochgesteckte Haar zu flechten. Die vielen Feuer ringsum ließen ihre Frisur blitzen und blinken als hätten sich vom Himmel gefallene Sterne in den blonden Locken verfangen. „Was hast du?“ Die junge Frau zog fragend die Augenbrauen hoch und musterte ihren Freund besorgt. „Du siehst aus als hättest du einen Geist gesehen.“ Link schüttelte leicht den Kopf, so als würde er aus einer Trance erwachen und müsste die letzten Nebelschwaden aus seinem Geist vertreiben. Dann nahm er Zeldas Gesicht in beide Hände, küsste sie sanft und flüsterte gegen ihre Lippen: „Mir geht es gut. Ich war nur mal wieder von deiner Schönheit geblendet.“ Rot anlaufend wand Zelda sich aus der Umarmung ihres Freundes und sagte: „Mein Vater sucht dich.“ Sie wusste selbst nicht, warum, aber es machte sie jedes Mal verlegen, wenn Link sie schön nannte. Dieser nickte nun und nahm ihre Hand. „Na, dann bring mich doch am besten gleich zu ihm.“ Shadow stand auf dem zentralen Dorfplatz und unterhielt sich mit einem kleinen, runzeligen Mann, den Link als den Dorfältesten identifizierte. Der Alte sollte, so erinnerte Link sich dunkel, die Zeremonie leiten und ihm die Kanäle für seine Stahlkreolen, die Insignien seines Erwachsenenstatus, stechen. Allein bei dem Gedanken daran pochten die Ohrläppchen des jungen Mannes und seine langen Ohrmuscheln schienen vollständig in Flammen zu stehen. Als sie an ihren Vater und den Ältesten herantraten, wollte Zelda ihre Hand aus Links lösen, dieser hielt sie jedoch weiterhin fest. Ein wenig überrascht sah die junge Frau zu ihrem Freund hoch. Die Beiden hatten sich nie wirklich Mühe gegeben, ihre Beziehung geheim zu halten, doch bislang waren sie in Anwesenheit anderer zumindest körperlich ein wenig auf Abstand gegangen. Offenbar gedachte Link wirklich, ihre Beziehung offiziell zu machen. Lächelnd drückte Zelda seine Hand und atmete innerlich auf. Sie hatte zwar nie an der Ernsthaftigkeit seiner Worte gezweifelt, aber dieses nonverbale Zeichen seiner Aufrichtigkeit bedeutete ihr trotzdem mehr als sie sich eingestehen wollte. Shadows Mundwinkel zuckten beim Anblick ihrer umschlungenen Hände kaum merklich nach oben, bevor er sich an seinen Schüler wandte: „Ah, da ist er ja, unser Mann des Tages.“ „Du hattest mich gesucht?“ „Ja. Ich wollte dir den Ablauf des Abends erklären.“ Als Link daraufhin das Gesicht verzog, lachte Shadow laut auf. „Keine Angst. Es wird nicht viele Formalitäten geben. Sobald die Sonne ganz untergegangen ist, werden sich die Bewohner hier auf dem Dorfplatz einfinden. Dann werde ich eine kurze Ansprache halten und Fidias“, Shadow deutete auf den Dorfältesten, der Link leicht zunickte, „wird dir deine Kreolen in die Ohren stechen.“ Der Alte grinste und entblößte dabei eine löchrige Reihe schiefer Zähne. „Wenn du es schaffst, dabei nicht zu schreien, hast du den Test bestanden und darfst dich fortan einen Erwachsenen nennen.“ Links verwirrter Gesichtsausdruck ließ Shadow und Fidias lachen, während Zelda ein Kichern unterdrückte und ihrem Freund zuraunte: „Entspann dich. Das war ein Scherz. Es gibt keinen Test.“ Breit grinsend klatschte Shadow einmal in die Hände. „Und dann kommt der beste Teil des Ganzen: die Feier! Dann essen, trinken und tanzen wir, bis zum Umfallen!“ Link nickte ein wenig zögerlich. Er wusste, dass sein Meister eine begeisterte Reaktion oder einen zotigen Spruch erwartete. Stattdessen kamen jedoch ganz andere Worte aus seinem Mund: „Es gibt da etwas, das ich dich fragen wollte, Shadow.“ Zelda warf ihrem Freund, dessen Handflächen plötzlich schwitzten, einen schnellen Seitenblick zu. Würde er es wirklich jetzt schon tun? Fidias hob überrascht die buschigen Augenbrauen und Shadow grinste wie ein Honigkuchenpferd, was Link ziemlich verwirrte. Worüber amüsierte sein Lehrer sich so? „Ich…“, setzte Link mit brüchiger Stimme an, bevor er sich räusperte und einen weiteren Anlauf wagte. „Ich wollte dich fragen, ob du etwas dagegen… ob du mir deinen Segen gibst, Zelda zu heiraten. Ja. Shadow, ich möchte deine To–“, versuchte Link seinen Satz zu komplettieren, doch Fidias unterbrach ihn mit einem lauten Stöhnen des Unmuts. Fast zeitgleich schnippte Shadow mit den Fingern, deutete auf den Alten neben sich und triumphierte lachend: „Ich hab dir gesagt, dass er’s heute tut. Du schuldest mir ein Huhn!“ Link und Zelda wechselten verwirrte Blicke, bevor die junge Frau fragte: „Von was redet ihr Beide da?“ Während Shadow so breit grinste, dass seine Backenzähne zu sehen waren, antwortete Fidias mit brummigem Gesichtsausdruck: „Ich hab mit deinem Vater gewettet, wann Link endlich um deine Hand anhält.“ Den beiden Verliebten klappten die Kinnladen herunter, doch Shadow setzte sogar noch einen drauf: „Tatsächlich hat fast das ganze Dorf gewettet, dass ihr so schnell wie möglich heiratet wollt, sobald unser Kleiner endlich alt genug ist, ein Familienoberhaupt zu werden. Deswegen auch der ganze Rummel. Die Meisten hoffen, heute eine Hochzeit feiern zu können und nicht nur eine Volljährigkeit.“ Link starrte mit noch immer offen stehendem Mund seine Freundin an, die abwehrend die Hände erhob. „Ich schwöre dir, ich wusste von nichts!“ Ihren Vater und die überneugierigen Dorfbewohner stumm verfluchend schickte Zelda ein nonverbales Stoßgebet zu den Göttinnen. Hoffentlich bekam Link ihr gestriges Gespräch nicht in den falschen Hals und glaubte, sie habe ihn in eine Falle locken wollen. Für einen langen Moment, während dem sämtliche Blicke auf ihm lagen, sagte Link nichts. Doch dann verzogen sich seine Lippen zu einem Lächeln und er sah Zelda mit einem verliebten Ausdruck in die Augen, bevor er sich wieder an Shadow und Fidias wandte. „Eigentlich hatte ich nicht vorgehabt, so schnell zu heiraten, aber egal. Wozu aufschieben, was man sich wünscht?“ In einer Geste der Resignation warf er die Hände in die Luft und zog anschließend Zelda in seinen Arm. „Lasst uns eine Hochzeit feiern.“ Während die junge Frau sich an ihn schmiegte, nickte ihr Vater begeistert. Er liebte Link wie einen Sohn und konnte sich keine bessere Wahl seiner Tochter vorstellen. Fidias stützte sich auf seinen Gehstock und schickte sich an, zu gehen. „Ich werde dann mal alles vorbereiten, was man für eine Trauung braucht.“ Shadow nickte und machte die Verblüffung der beiden jungen Leute perfekt: „Und ich werde schon mal Zeldas Sachen in euer neues Heim schaffen.“ „Neues Heim?!“ Link hatte das Gefühl, den Anschluss zu verlieren. Von was redete sein Meister da? Auch Zelda riss überrascht die Augen auf. „Ich fürchte, ich kann dir nicht folgen, Vater…“ „Ihr kennt die leerstehende Hütte am Dorfrand?“ Die beiden Verliebten nickten zögernd. Wann genau hatte man ihnen die Planung ihres Lebens aus der Hand genommen? „Wir dachten uns, das wäre der perfekte Ort für euch, eine Familie zu gründen. Als Eheleute könnt ihr nicht mehr unter meinem Dach leben – ihr braucht etwas Eigenes. Und ihr könnt auch nicht in Links Höhle leben, wie die Tiere.“ „Ey!“ Der junge Mann protestierte halbherzig. Er stimmte seinem Meister zwar zu, dass die Höhle kein Ort war, um eine Familie zu gründen, doch er verbat sich, dass man ihm unterstellte, den Großteil seines Lebens wie ein Tier gehaust zu haben. Die Höhle hatte immerhin Möbel! Als hätte er Links Einwand gar nicht gehört, fuhr Shadow unbeirrt fort: „Die Hütte erschien uns als passender Ort für euch. Dort wärt ihr nicht zu weit weg, aber gleichzeitig weit genug außerhalb, dass Link keinen Koller kriegt.“ „Klingt ja als hättet ihr an alles gedacht…“ Zelda zog nachdenklich die Unterlippe zwischen die Zähne. Ihr gefiel der Gedanke an ein eigenes Heim und die Hütte schien wirklich perfekt zu sein. Link hätte viel Rückzugsraum und sie selbst hätte es nicht weit bis ins Innere des Dorfes, um mit den Alten und Kindern zu helfen. Außerdem war die Hütte groß genug, um früher oder später ein Kinderzimmer einzurichten, sollte Link seine Meinung irgendwann ändern. Doch Zelda fürchtete, ihrem Freund könnte es sehr sauer aufstoßen, dass Shadow und die anderen hinter seinem Rücken für ihn entschieden hatten. Tatsächlich hatte ein Teil von Link das dringende Bedürfnis, das Angebot aus Trotz abzulehnen. Als er einen Blick in Zeldas hoffnungsvolle Augen warf, schluckte er seinen Widerwillen jedoch herunter und nickte seinem Schwiegervater in spe zu. „Wir werden dir tragen helfen. Dann können wir uns unser neues Zuhause gleich von innen ansehen.“ Das kleine Häuschen stand auf einem Hügel, sodass man von dort aus das ganze Dorf überblicken konnte. Früher hatte die alte Hexe hier gelebt, seit ihr das Gehen immer mehr Probleme machte, war sie jedoch zu ihrer im Dorfzentrum wohnenden Schwester gezogen. Link schleppte eine Kleidertruhe den Weg hinauf und ließ sich von Shadow die Haustür aufhalten. Von außen machte die Hütte nicht viel her, doch ihr Inneres versetzte den jungen Mann in Staunen. Durch die Fronttür trat man in einen großzügigen Wohnbereich mit einer in den Boden eingelassenen Feuerstelle. Direkt neben dem Eingang befand sich eine Treppe, über die man zu den Schlafräumen im ersten Stock gelangte, und auf der gegenüberliegenden Seite führte eine weitere Tür zu einem kleinen Garten und den noch leerstehenden Hühnerställen. Was Link jedoch wirklich verblüffte, war das Mobiliar. Mit offenstehendem Mund strich er über die kunstvolle Schnitzerei des schweren Esstischs und drehte sich fassungslos zu Shadow um. „Ich hab diesen Tisch erst letzten Monat für den Bäcker verziert. Er meinte, er wolle etwas Besonderes haben, das er irgendwann seinem Enkel vererben kann…“ Shadow trat grinsend an ihn heran und zuckte mit den Achseln. „Sieh es als Hochzeitsgeschenk.“ „Aber er hat mich für die Arbeit bezahlt!“ „Und du hast ihm schon oft etwas zu Essen gebracht, ohne eine Gegenleistung zu verlangen.“ Der Assassine legte seinem Schüler eine Hand auf die Schulter. „Du hast es vielleicht selbst nicht gemerkt, aber du hast viel Gutes für die Dorfbewohner getan. Sie freuen sich, dass sie dir und Zelda auf diese Weise ein wenig zurückgeben können. Denk nicht zu viel darüber nach und freu dich einfach.“ Link nickte und wandte sich ruckartig ab, als ihm Tränen der Dankbarkeit in die Augen stiegen. Dann fasste er seine Truhe fester und stieg schnell die Treppe nach oben. Das kleinere Zimmer neben dem Treppenabsatz war noch unmöbliert und schien als Kinderzimmer gedacht zu sein. Ein Schauer lief Link über den Rücken, als er daran dachte, dass das ganze Dorf erwartete, dass Zelda und er Kinder bekamen. Sicher, es wäre bestimmt faszinierend, ein Baby großzuziehen und zu sehen, zu was sich Zeldas und seine Anlagen vermischt hatten. Doch wie konnte man vor einem Kind verantworten, dass man ihm ein Leben in dieser kargen Welt zumutete? Als er die Tür zu dem großen Schlafzimmer aufstieß, entdeckte Link Zelda, die gerade dabei war, das breite Bett neu zu beziehen. Bei seinem Anblick ließ sie sofort von ihrer Arbeit ab und legte ihm von hinten die Arme um die Hüften. Eine Wange gegen seinen Rücken gelehnt, fragte sie: „Alles in Ordnung mit dir? Du siehst ziemlich mitgenommen aus.“ Link stellte die schwere Kleidertruhe auf einem Tisch neben sich ab und legte seine Hände auf Zeldas, bevor er nickte. „Ich fühle mich ziemlich überrumpelt, das ist alles.“ „Ja, es kam alles sehr schnell. Wenn ich gewusst hätte, was mein Vater und die anderen planten, hätte ich dich nie gedrängelt.“ Link drehte sich vorsichtig in der Umarmung seiner Freundin, sodass er sie ansehen konnte, und lächelte zu ihr herunter. „Ist schon gut. Ich weiß, dass du keine Hintergedanken hattest.“ Bevor Zelda etwas entgegnen konnte, rief Shadow von unten: „Hey, ihr zwei Turteltäubchen, es wird Zeit. Links Typ wird auf dem Dorfplatz verlangt!“ Link stupste Zeldas Nasenspitze mit seiner an. „Ich muss los. Sonst komm ich noch zu spät zur Verstümmelung meiner Ohren.“ Zelda lachte und schlug ihm spielerisch gegen den Oberarm. „Dummkopf.“ Die Beleidigung mit einem Grinsen quittierend löste Link sich aus der Umarmung und schickte sich an, den Raum zu verlassen. Zelda blickte an sich herunter und murmelte: „Eigentlich sollte ich die Zeit der Zeremonie nutzen, um mich für die Trauung herauszuputzen. Aber das hier sind bereits meine edelsten Kleider…“ Link, der den Raum schon fast verlassen hatte, drehte sich im Türrahmen noch einmal zu ihr um. „Du bist perfekt so wie du bist.“ Dann streckte er ihr einen Arm entgegen und sagte: „Vergiss Traditionen und Etikette. Ich würde dich selbst in Lumpen heiraten. Komm mit und halt mir die Hand, wenn Fidias mir Löcher in die Ohrläppchen bohrt. So alt und zittrig wie er ist, wird er dafür bestimmt einige Anläufe brauchen…“ Beim Anblick der Grimasse, die ihr Freund bei diesem Gedanken zog, musste Zelda unwillkürlich lachen und sie ergriff die ihr dargebotene Hand. Ihre Finger mit Links verschränkend nickte sie. „Ich bin an deiner Seite.“ „Immer?“ Links Blick hatte eine Intensität, die Zelda eine Gänsehaut über den Körper jagte. Dennoch antwortete sie ohne zu zögern: „Immer.“ Wenig später fanden Link und Zelda sich neben einem niedrigen Podest wieder, das einige Dorfbewohner auf dem zentralen Platz errichtet hatten. Hinter dem bühnenartigen Gebilde prasselte das größte Lagerfeuer des Dorfes, sodass Shadow und Fidias von hinten in rotgoldenes, flackerndes Licht gehüllt waren. Über ihre Gesichter tanzten lange, unförmige Schatten, die ihnen ein erhabenes, aber auch irgendwie bedrohliches Aussehen verliehen. Die Dörfler hatten sich inzwischen vollzählig auf dem Platz versammelt und sahen erwartungsvoll zu ihren Anführern auf. Shadow trat an den Rand des Podests und hielt Link die Hand hin, um ihn hochzuziehen. Dieser atmete noch einmal tief durch und ließ sich unnötigerweise auf hochhelfen, bevor er sich umwandte und Zelda neben sich hob. Normalerweise durften bei einer Volljährigkeitszeremonie nur die Dorfältesten und der ins Erwachsenenalter Übertretende auf der Bühne stehen. Angesichts von Links ungewöhnlichem Schachzug ging ein Tuscheln und Raunen durch die Reihen und die beinah greifbare Vorfreude schien die Luft zum Vibrieren zu bringen. Die Dorfbewohner wussten nur zu gut, was Zeldas Anwesenheit zu bedeuten hatte… Shadow führte Link, der allen Traditionen zum Trotz die Hand seiner Freundin stur festhielt, neben Fidias, der die jungen Leute mit einem erhabenen Nicken grüßte. Link und Zelda erwiderten den Gruß, bevor Shadow sich an das Publikum wandte: „Liebe Dorfgemeinde, wir sind heute hier zusammengekommen, um Links Eintreten ins Erwachsenenalter zu feiern und ihm die Insignien seines neuen Status zu verleihen. Link hat in der Vergangenheit schon häufig bewiesen, dass er ein wertvolles Mitglied unserer Gemeinde ist, auf das wir uns stets verlassen können. Deswegen freuen wir uns ganz besonders, ihn in den Reihen unserer Stimmberechtigten begrüßen zu dürfen. Ab heute darf er offiziell über die Zukunft des Dorfes mitentscheiden.“ Shadow machte eine Pause und Link stellte sich innerlich bereits auf das Durchstechen seiner Ohrläppchen ein. Er war sich sicher, den Schmerz mit stoischer Ruhe ertragen zu können – er hatte schon ganz andere Verletzungen weggesteckt. Die Worte, die nach der kurzen Kunstpause aus dem Mund seines Meisters kamen, erwischten den jungen Mann jedoch kalt: „Von nun an gilt Link zudem als vollwertiger Assassine. Er ist nicht länger mein Schüler“, Shadow wandte sich mit einem Lächeln an Link, der zu nichts anderem in der Lage war als ihn völlig überrumpelt anzustarren. Dass sich in seinem Verhältnis zu seinem Lehrer ebenfalls etwas ändern würde, hatte Link niemand gesagt! Shadow legte ihm eine Hand auf die Schulter und beendete seine Rede: „Ab dem heutigen Tage wird Link mein Partner, mein Nachfolger und mein Schwiegersohn sein.“ Tosender Applaus brandete auf und Zelda drückte sanft Links Hand. Der junge Mann war etwas blass um die Nase geworden und sah vollkommen überfordert aus. Zelda konnte es ihm nicht verdenken. An diesem Abend war so viel passiert, hatte sich so viel Neues ergeben, dass auch sie selbst sich wie berauscht fühlte. Sie glaubte fast, wenn Link nicht ihre Hand umklammert gehalten hätte, hätte sie vor lauter neuen Eindrücken nicht mehr die Kraft gefunden, aufrecht zu stehen. Fidias trat an Link und Shadow heran und reichte Letzterem einen kleinen Gegenstand, der im Feuerschein aufblitzte. „Eigentlich wäre es meine Aufgabe, dir die Ohren zu durchstechen“, setzte der Älteste zu einer Erklärung an, „doch ich fürchte, ich habe nicht mehr die dafür erforderliche Kraft in den Armen. Deswegen wird Shadow dir die Kanäle stechen, bevor ich dir deine Kreolen anlege.“ Link hatte kaum Zeit zu nicken, bevor Shadow sein Ohr packte und mit der ihm soeben ausgehändigten, dicken Nadel ein Loch hineinbohrte. Dank der Stärke des Assassinen und der Schärfe der Nadelspitze war der Kanal schnell gestochen. Link biss die Zähne fest zusammen, um nicht versehentlich einen Schmerzenslaut von sich zu geben, und nahm das kleine Leinentuch entgegen, das Fidias ihm reichte, um die Blutung zu stoppen. Shadow widmete sich unterdessen Links zweitem Ohr. Beim Anblick des Blutes wurde Zelda ein wenig flau im Magen, obwohl sie genau wusste, dass die Verletzungen minimal waren und ihr Freund nicht übermäßig litt. Innerlich den Kopf über sich selbst schüttelnd drückte sie einen zweiten Leinenfetzen auf Links rechtes Ohr, um ihm zumindest auf diese Weise ein wenig behilflich zu sein. Sobald die Blutung aufgehört hatte, trat Fidias vor Link und forderte: „Beug dich zu mir herunter, mein Junge.“ Der junge Mann tat wie ihm geheißen und kniff leicht die Augen zu, als der Älteste seine noch immer ein wenig schmerzenden Ohren berührte und ihm seine Kreolen anlegte. Der dunkle Stahl der kleinen Ringe war poliert worden und funkelte im flackernden Licht des Feuers als würde er aus flüssigen Rubinen bestehen. Fidias klopfte Link auf die Schultern, um ihm zu verstehen zu geben, dass er sich wieder aufrichten durfte. Dann sagte der Alte laut genug damit der ganze Platz ihn hören konnte: „Damit ist es offiziell. Von nun an bist du ein Erwachsener.“ Erneut erklang das Geräusch vieler klatschender Hände, doch Shadow bat mit einer Geste um Stille. Als wieder ein wenig Ruhe eingekehrt war, rief er: „Dies ist nicht das Einzige, was wir heute feiern werden!“ Vereinzelte Jubelrufe ließen Link und Zelda lächelnde Blicke wechseln. Es war schön, dass sie anderen Menschen mit ihrer Liebe Freude bereiten konnten. Mit einem Arm auf die Beiden deutend sprach Shadow weiter: „Denn meine Tochter und Link werden sich – wie ich es vorhin schon angedeutet habe – heute Abend vermählen. Seid unsere Gäste und feiert mit uns, bis der Morgen kommt!“ Von lautem Jubel und donnerndem Applaus begleitet, schob Shadow die beiden Brautleute vor Fidias, der geduldig wartete, bis die Dörfler wieder verstummten. Link strich mit dem Daumen zärtlich über Zeldas Handrücken, was ihr ein strahlendes Lächeln auf die Lippen zauberte. Seit geraumer Zeit hatte sie immer wieder von diesem Moment geträumt und nun war er plötzlich da. Irgendwie fühlte sich auf einmal alles unwirklich an… Um sich davon zu überzeugen, dass sie nicht träumte, kniff sich die junge Frau verstohlen in den Oberschenkel und betrachtete ihren Freund von der Seite. Links Puls pochte gut sichtbar in seiner Kehlgrube, doch der Blick, den er ihr aus den Augenwinkeln zuwarf, war fest und so voller Liebe, dass Zeldas Herz vor Glück einen Satz machte. Sobald wieder Stille auf dem Platz eingekehrt war, nahm Fidias die umschlungenen Hände der beiden Brautläute in seine und fragte ohne große Umschweife: „Seid ihr euch sicher, dass ihr euch das Eheversprechen geben und Verantwortung für einander übernehmen wollt?“ Ohne den Hauch eines Zögerns nickte Link und erwiderte mit fester Stimme: „Ja!“ Zeldas Mundwinkel schoben sich bei seiner Reaktion noch weiter nach oben, obwohl sie gedacht hatte, bereits das Maximum erreicht zu haben. Dann nickte sie ebenfalls und bestätigte: „Ja, ich bin mir sicher.“ Fidias schlang einen in Duftwasser getränkten Strick um ihre Hände. Zelda erinnerte sich, dass eine der alten Frauen ihr mal erzählt hatte, die Kräuter, aus denen dieses spezielle Parfum gewonnen wurde, sollten böse Geister fernhalten und Fruchtbarkeit bringen. Mit einem kleinen Stich im Herzen dachte sie daran, dass sie zumindest Letzteres wohl erst mal nicht brauchten… „Kniet euch hin.“ Fidias hatte den Strick verknotet und schnappte sich nun eine Schüssel mit roter Farbe und einen Pinsel, die auf einem kleinen Schemel in der Nähe gelegen hatten. Dann legte er seine kühlen Finger auf Links Stirn und zwang den jungen Mann sanft, den Kopf schräg in den Nacken zu legen. Mit flinken Pinselstrichen schrieb er Link die Wörter «Schutz», «Sorge», «Zusammenhalt» und «Liebe» auf die linke Halsseite, sodass sich die Lettern wie eine blutige Inschrift über seine Halssehne bis zum Schlüsselbein herabzogen. Dasselbe wiederholte der Alte bei Zelda. Dann legte er seine Hände auf den zuvor geknüpften Knoten und sagte: „Der Strick wird gelöst werden und die Farbe verblassen. Doch ihr dürft niemals vergessen, für was diese Symbole stehen. Ihr seid nun für den Rest eurer Leben miteinander verbunden. Möget ihr euch gegenseitig beschützen, umsorgen und stets zusammenhalten. Und möge eure Liebe ewig währen.“ Mit diesen Worten durchtrennte er den Knoten und wies die frisch gebackenen Eheleute an, wieder aufzustehen. Shadow wischte sich verstohlen über die Augen und bemühte sich vergebens, den Kloß in seiner Kehle herunter zu schlucken. Als Link und Zelda sich ihrem Publikum wieder zuwandten, war der Jubel ohrenbetäubend laut. Doch die Beiden sahen nur den jeweils anderen. Keiner von ihnen hatte sich in seinem bisherigen Leben so glücklich gefühlt wie in diesem Augenblick. Link zog seine Braut fest in seine Arme und flüsterte: „Danke, dass du damals an mich geglaubt hast, obwohl ich solch ein Ekel war. Du lässt mich innerlich zur Ruhe kommen. Ich liebe dich.“ Bei diesem Bekenntnis schossen Zelda die Tränen in die Augen und sie suchte verzweifelt nach Worten, die ihren Gefühlen gerecht würden. Bevor sie antworten konnte, presste Link jedoch seine Lippen auf ihre und küsste sie mit überraschender Leidenschaft. Die Dorfbewohner reagierten mit lautem Grölen und Gejohle, das erst recht angeheizt wurde, als Link anschließend eine Faust gen Himmel reckte und forderte: „Lasst uns feiern wie wir noch nie im Leben gefeiert haben!“ Wie erwartet wurde es ein rauschendes Fest, von dem die Dörfler noch Monate später sprachen. Für Link und Zelda waren die ersten Tage nach der Heirat jedoch deutlich einprägsamer. Das Zusammenleben stellte das Paar vor ganz neue Herausforderungen, die manchmal sogar zu kleineren Streitigkeiten führten. Gemeinsam konnten die Beiden allerdings jedes auftauchende Problem lösen. Mit der Zeit wurde aus der zarten Jugendliebe, die die Zwei verband, eine richtige Ehe mit einem gemeinsamen Alltag. Doch anstatt sich vom alltäglichen Trott gelangweilt auseinanderzuentwickeln, schien die Routine Link und Zelda nur noch näher zusammenzubringen. So kam es auch, dass Link seine Frau eines Morgens gründlich überraschte: Seit der Hochzeit war etwa ein halbes Jahr vergangen und die Beiden räkelten sich noch im Bett, um den Tagesanbruch ein wenig heraus zu zögern. Link schmiegte sich von hinten an Zeldas Rücken und schlang die Arme um sie. Sie wandte den Kopf, um ihren Mann zu küssen und erinnerte ihn halbherzig: „Du musst aufstehen, Liebster. Mein Vater wartet sicher schon auf dich.“ Link stieß einen unartikulierten Laut des Unwillens aus und vergrub sein Gesicht in Zeldas Haar. „Nur noch ein paar Minuten.“ Zelda verwob ihre Finger mit seinen und fragte: „Wohin müsst ihr eigentlich dieses Mal?“ Da er gegen ihren Nacken sprach, klang Links Stimme gedämpft, als er antwortete: „In die Nähe von Garo. Im Gebirge sind ein paar Vogeldämonen aufgetaucht. Gegen Abend bin ich wieder hier.“ Zelda drückte glücklich seine Hand. „Das freut mich.“ Eigentlich dachte die junge Frau, das Thema sei damit beendet und ihr Mann würde innerhalb der nächsten Minute aufstehen und sich ankleiden. Stattdessen fügte Link jedoch an: „Ich werde nur noch Aufträge annehmen, die in der Nähe sind.“ „Warum?“ Zelda blinzelte irritiert. Anfangs hatten sie einige Auseinandersetzungen gehabt, weil Link überbehütend gewesen war und sie nicht mal für einen Tag hatte allein lassen wollen. Sie hatte ihn erst in einigen hitzigen Diskussionen daran erinnern müssen, dass sie sehr gut in der Lage dazu war, auf sich selbst aufzupassen. Als Link aufseufzte, kitzelte sein warmer Atem ihre Haut. „Ich…“, setzte er an, räusperte sich und versuchte es erneut. „Ich habe darüber nachgedacht, was ich über das Kinderbekommen gesagt habe.“ Überrascht warf Zelda sich in seinem Arm herum, bis sie ihm ins Gesicht sehen konnte. „Ja?“ Am liebsten hätte sie sich für die unverhohlene Anspannung in ihrer Stimme in den Hintern getreten. Doch warum sollte sie ihrem Mann etwas vormachen? Link wusste, dass sie sich ein Kind von ihm wünschte. Obwohl seine Augen auf Zelda gerichtet waren, schien Link durch seine Frau hindurch zu sehen. Generell wirkte er als fechte er einen schweren inneren Kampf aus, als er sagte: „Ich halte es im Prinzip immer noch für einen Frevel, Leben in diese Welt zu setzen, aber…“ „Aber?“ Zelda nestelte vor Anspannung am Saum ihrer Bettdecke und sah mit wild schlagendem Herzen zu ihrem Mann herüber. Dieser seufzte erneut und würgte den Rest des Satzes in einem hervor, sodass er wirkte wie ein Knäul aus einem einzigen, langen Wort: „… kaum ein Ehepaar hat so gute Voraussetzungen wie wir. Unser Kind würde in einer Gemeinde aufwachsen, es hätte Freunde und dank deines Vaters, der anderen Jäger und mir haben wir verhältnismäßig viel Essen. Und da wir Beide kämpfen können, ist die Wahrscheinlichkeit, dass einer von uns bei einer Dämonenattacke stirbt deutlich geringer als bei anderen Eltern.“ Link schlug für einen Moment die Augen nieder, bevor sich sein Blick in Zeldas bohrte. „Was ich sagen möchte ist: Ich würde gern ein Kind mit dir bekommen.“ Zelda hatte das Gefühl, ihr Innerstes müsste vor Glück zerspringen. Anstatt ihrem Mann zu antworten, schlang sie ihre Arme um seinen Nacken, zog ihn auf sich und küsste ihn stürmisch. Es brachte ihren Vater schon nicht um, wenn er ausnahmsweise ein wenig länger auf seinen Partner warten musste… Dieser ließ sich von Links Unpünktlichkeit tatsächlich nicht tangieren, konnte dessen Entschluss, nur noch Tagesmissionen anzunehmen, jedoch nicht akzeptieren. Nur Tage nachdem Link ihn darüber in Kenntnis gesetzt hatte, tauchte Shadow unangekündigt im Haus der jungen Eheleute auf und platzte in ihr Abendessen. Während Zelda sich bemühte, aus den zur Verfügung stehenden Zutaten eine zusätzliche Portion zu zaubern und Link für Shadow eindeckte, redete dieser auf seinen ehemaligen Schüler ein: „Ich brauche dich, Link. Alleine ist die Mission eine Nummer zu groß für mich.“ „Dann schlag sie aus.“ Link stellte eine dritte Schüssel auf den Tisch und drehte sich zu seinem Schwiegervater um. „Zelda und ich planen Kinder. Ich will nicht mehr tage- oder gar wochenlang durchs Land streifen. Ich will hier sein.“ „Das verstehe ich ja. Aber noch ist sie nicht schwanger, oder?“, hielt Shadow dagegen. „Ich verspreche dir, es wird der letzte ferne Auftrag sein, mit dem ich dich belästige. Einer der Dorfjungen ist sehr geschickt mit dem Schwert. Ich werde ihn ausbilden mir zukünftig von ihm helfen lassen. Aber im Moment brauche ich dich noch.“ Link warf einen hilfesuchenden Blick zu seiner Frau, die mit grübelnder Miene neben der Kochstelle stand. Er wollte seinem ehemaligen Meister gegenüber nicht undankbar erscheinen, aber er hatte Zelda versprochen, keine langen Missionen mehr anzunehmen. Als Zelda auch nur ratlos mit den Schultern zuckte, hätte Link am liebsten laut aufgeschrien. Er fühlte sich wie in einer Zwickmühle, so als könnte er sich nur falsch entscheiden. „Ich weiß nicht“, antwortete er schließlich und ließ sich auf einen Stuhl fallen. „Was ist mit den Meldungen, dass hier in der Gegend immer mehr Dämonen gesichtet werden? Ich denke, wir sollten beide hierbleiben, um das Dorf notfalls gegen einen Angriff verteidigen zu können.“ Shadow grinste verstehend und legte seinem Schwiegersohn in einer väterlichen Geste eine Hand auf die Schulter. „Ich weiß, was in dir vor sich geht. Ich war auch mal frisch verheiratet. Aber Zelda kann auf sich selbst aufpassen. Nicht wahr, mein schwarzer Stern?“ Die junge Frau lächelte ein wenig verkniffen zu den beiden Männern herüber. Obwohl sie sich selbst nicht erklären konnte, warum, hatte sie irgendwie ein schlechtes Gefühl bei der Sache… Dennoch nickte sie und sagte: „Sicher. Ich komm klar.“ Link zog die Unterlippe zwischen die Zähne und musterte sie intensiv, während Shadow zu ihr herüberging und sie in den Arm nahm. „Das ist mein Mädchen.“ „Bist du dir sicher?“ Links Zweifel waren seiner Stimme deutlich anzuhören. Zelda lächelte ein wenig breiter und lehnte sich an Shadow. „Ja, ich bin mir absolut sicher. Begleite meinen Vater und bring ihn mir gesund und munter zurück.“ Der alte Assassine nickte, um die Worte seiner Tochter zu bestärken. Für einen langen Moment sah es so aus als wolle er widersprechen, doch dann stieß Link mit einem resignierenden Seufzer Luft aus und gab nach: „Fein. Ich werde dich begleiten. Aber es ist das allerletzte Mal!“ Shadow nickte wieder. „Hoch und heilig versprochen.“ Als Shadow die beiden nach dem Essen wieder verließ, standen Link und Zelda noch eine Weile im Türrahmen und blickten ihm nach. „Das gefällt mir nicht“, eröffnete Link mit grimmigem Gesichtsausdruck das Gespräch. Zelda lehnte sich gegen ihn und legte ihren Kopf gegen seine Schulter. „Ich weiß. Mir auch nicht. Aber ich denke, das ist nur unsere Enttäuschung, weil doch nicht alles läuft wie geplant und wir uns noch mal für längere Zeit trennen müssen.“ Den Blick auf die Stelle geheftet, an der Shadow endgültig von der Dunkelheit der Nacht verschluckt worden war, brummte Link: „Ich hoffe, du hast Recht…“ Aller Befürchtungen und dunkler Vorahnungen zum Trotz verlief die Mission jedoch reibungslos. Weder Shadow noch Link wurden verletzt, sodass sie sich vergnügt auf den Heimweg machen konnten. Als sie nur noch etwa eine Stunde Fußmarsch von ihrem Dorf entfernt waren, fragte Link: „Wieso nimmst du diese Aufträge eigentlich noch an? Mit deinen Fähigkeiten im Fährtenlesen brauchst du die Bezahlungen überhaupt nicht, um zu überleben.“ Shadow lächelte versonnen und antwortete: „Darum geht es mir auch gar nicht. Es ist vielmehr so, dass ich ein schlechtes Gewissen hätte, wenn ich jemandem meine Hilfe verweigern würde. Ich hoffe, anderen Familien auf diese Weise vor dem Leid bewahren zu können, das meiner eigenen widerfahren ist.“ Seinem ehemaligen Meister freundschaftlich gegen den Oberarm knuffend, sagte Link: „Du bist wirklich ein verdammter Gutmensch. Ich persönlich möchte lieber für meine eigene Familie da sein.“ Shadow grinste daraufhin und legte seinem Schwiegersohn einen Arm um die Schultern. „Nichts anderes wünsche ich mir für meine Zelda.“ Link wollte gerade zu einer Entgegnung ansetzen, als am Horizont Rauchsäulen sichtbar wurden. Sofort zog sich alles in dem jungen Mann zusammen und seine Alarmglocken begannen laut zu schrillen. Ohne darauf zu achten, ob Shadow ihm folgte, rannte er die vor ihm liegende Hügelkuppe hinauf, nur um oben abrupt stehen zu bleiben. „Nein… Nein, das darf nicht sein…“ Mit Tränen in den Augen starrte Link auf sein völlig zerstörtes Heimatdorf herab. Bereits von hier oben war zu sehen, dass während seiner Abwesenheit eine Horde Dämonen angegriffen hatte. Eine solche Zerstörungswut konnte nicht von Menschenhand kommen. Mit sinkender Hoffnung ließ Link seinen Blick zu seinem Haus huschen, doch genau wie alle anderen Gebäude des Dorfes war es beinah bis auf die Grundmauern abgebrannt. Überall auf den Wegen lagen dunkle Schatten, die Link als Leichen identifizierte. Obwohl es keinerlei Anzeichen von Leben gab, klammerte Link sich mit aller Kraft an die Hoffnung, Zelda könnte überlebt haben. Sie war stark und konnte kämpfen. Sie hatte es ganz sicher geschafft… In dem Moment, in dem Shadow zu ihm aufschloss, erwachte Link wieder aus seiner Paralyse und er stürzte blindlings den Hügel herunter. Shadows Einwand, sie sollten sich für den Fall, dass die Dämonen noch im Dorf sein könnten, zuerst einen Plan überlegen, überhörte er völlig. Atemlos hetzte Link zwischen den noch immer schwelenden Ruinen seiner Heimat umher. Irgendwo hier musste Zelda doch sein. Vielleicht war sie verletzt worden und hatte irgendwo Schutz suchen müssen? Doch als Link den zentralen Platz erreichte, erlosch sämtliche Hoffnung. Zelda lag auf dem Rücken, von den Leichen kleiner Kinder umringt und das Schwert noch in der Hand, und hatte einen erstaunten Ausdruck im Gesicht. Heftige Schluchzer schüttelten Link durch wie Schluckauf, während er sich langsam neben seine tote Frau kniete und ihr blutbeflecktes Gesicht mit zitternden Fingern berührte. Direkt unter ihrer Kehle, dort wo vor etwa einem halben Jahr die Schriftzeichen ihrer Trauung aufgepinselt gewesen waren, klaffte nun eine ausgefranzte Wunde, die aussah wie von Klauen gerissen. Link zog ihren kalten, leblosen Leib auf seinen Schoß und weinte wie er es noch nie zuvor in seinem Leben getan hatte. Er hatte das Gefühl, von innen heraus zu zerbrechen. Die scharfkantigen Splitter seiner Seele schienen tief in sein Fleisch zu bohren und ihn innerlich verbluten zu lassen. Er war sich sicher, so musste es sich anfühlen zu sterben… „Oh, Zelda…“ Als Shadows Stimme in seinem Rücken erklang, kehrte plötzlich Leben in den jungen Mann zurück und er riss mit einem wahnsinnigen Glänzen in den Augen den Kopf herum. „Das ist allein deine Schuld!“ Zeldas Leichnam sanft ablegend hievte er sich auf die Füße und ging langsam auf seinen Schwiegervater zu. Seine gesamte Körperhaltung drückte dabei deutlich Aggression und Wut aus. „Wenn du nicht darauf bestanden hättest, dass ich dich begleite, wäre ich hier gewesen, um sie zu beschützen!“ „Link, ich…“, setzte Shadow mit unendlicher Trauer in der Stimme an, doch sein Schwiegersohn machte plötzlich einen Satz auf ihn zu und warf ihn gegen die wohl einzige noch stehende Wand des Dorfes. Den Unterarm auf Shadows Kehlkopf gedrückt wiederholte der junge Mann zischend: „Es ist deine Schuld!“ „Link…“, versuchte Shadow erneut, jedoch ohne Erfolg. Die einzige Reaktion, die er dafür erntete, war, dass der junge Mann noch mehr Druck ausübte. „Nenn mich nicht so!“ Für einen Moment wunderte Shadow sich über diese komische Forderung, doch dann schoss ihm ein heiß brennender Schmerz durch den Bauch, als sein Schwiegersohn ihm in einem Anfall alles vernebelnder Wut immer wieder eines seiner Wurfmesser in den Magen rammte. Der Wahnsinn ließ erst von Link ab, als Shadow schon längst tot war. Als hätte er sich plötzlich verbrannt, wich Link schlagartig zurück. Er ließ sein Messer fallen und taumelte einige Schritte rückwärts, während der Leichnam seines ehemaligen Meisters langsam an der Wand zu Boden rutschte. Ätzender Magensaft brannte in Links Kehle und brachte ihn dazu, sich heftig zu übergeben, bevor er sich wie ein Häufchen Elend neben Zeldas Leiche zusammenkauerte und weinte, bis er keine Tränen mehr hatte. Er fühlte sich plötzlich leer und hohl, so als hätte er alles, was ihn ausmachte, ausgeheult. Während im Westen allmählich die Sonne unterging, breitete sich die altbekannte, tröstliche Eisdecke über das wunde Innere des jungen Mannes aus und verschloss die klaffenden Wunden in seinem Herzen. Als er schließlich wieder aufstand, hatte er seine frühere, kalte Ruhe zurück, die seinen Verstand blitzschnell arbeiten ließ und nahezu jede Emotion im Keim erstickte. Dark war zurück und er sann stärker auf Rache als je zuvor. Kapitel 7: Ein folgenreiches Angebot ------------------------------------ Sobald sich die Eisschicht über seiner Seele vollständig geschlossen hatte und seine Tränen versiegt waren, machte Dark sich auf die Suche nach Brennholz. Er wollte einen Scheiterhaufen für Zelda errichten, um seiner Frau die letzte Ehre zu erweisen. Zudem war ihm der Gedanke daran, ihr schöner Körper könnte von Ratten und anderen Aasfressern angefressen und abgenagt werden, unerträglich. Wann immer sich dieses Bild vor sein inneres Auge schob, wurde sein Hals zu eng und er glaubte, an seiner eigenen Phantasie ersticken zu müssen. Zwar fühlte er seine Trauer und seinen Schmerz dank der alles in ihm einschließenden Frostschicht nicht mehr bewusst, doch seinen Körper konnte er nicht so leicht belügen wie seinen Geist. Der Mond wanderte langsam über den sternenübersäten Himmel, während Dark Ast um Ast auf den Dorfplatz schleppte. Obwohl ihm der Schweiß schon bald in breiten Bahnen über den Körper lief, arbeitete der junge Mann weiterhin wie ein Besessener ohne Pause. Wann immer er ein Holzstück auf den stetig wachsenden Haufen gelegt hatte, wandte er sich sogleich wieder um und eilte auf der Suche nach noch mehr Brennholz in die Wüste zurück. Der Morgen graute bereits, als Dark den Scheiterhaufen endlich für groß genug befand. Dennoch war er mit seiner Arbeit noch immer nicht zufrieden. Je länger er darüber nachdachte, desto weniger gefiel ihm die Idee, Zelda auf dem Dorfplatz zu verbrennen. Dieser Ort wirkte so unpersönlich… Also machte Dark sich daran, jeden einzelnen Ast, jedes einzelne Holzstück den kleinen Hügel hinauf zu den Ruinen seines Heimes zu schleppen. Er hatte beschlossen, Zelda solle zuhause bestattet werden. Dort, wo sie und Link so viele schöne gemeinsame Stunden verbracht hatten. Ihr Körper sollte gemeinsam mit Darks Erinnerungen an Links unerfüllbar bleibende Zukunftsträume in Flammen gehen. Nachdem er alles Holz endlich zu den Resten seines Hauses geschleppt hatte, schichtete Dark das Brennmaterial in mühevoller Kleinarbeit so auf, dass daraus eine Art Bett entstand. Erst dann lief er zum Dorfplatz zurück, um Zelda zu holen. Seit ihre Seele ihren Leib verlassen hatte, schien sich das Gewicht ihres Körpers gleichzeitig vermehrt und verringert zu haben. Zu Lebzeiten hatte sie nie wie ein nasser Sack in Darks Armen gelegen, doch ihr Lachen und das Funkeln ihrer Augen hatten sie mehr Raum einnehmen lassen als ihr Leichnam es konnte. Für einen Moment verharrte Dark mit zweifelndem Gesichtsausdruck vor Shadows totem Körper. Der Assassine hatte ihn immer gut behandelt und ihm vieles ermöglicht, für das er dankbar sein sollte. Wenn Dark ehrlich zu sich selbst war, musste er sich eingestehen, dass Shadow wie ein Vater für ihn gewesen war. Dennoch konnte Dark sich nicht dazu durchringen, auch Shadows Leiche zu bestatten. Für ihn war sein ehemaliger Meister ein Verräter und hatte damit jedes Anrecht auf ein würdevolles Ende verwirkt. In Darks Augen war Shadow allein verantwortlich für Zeldas Tod und all den Kummer und das Leid, das dieser in Dark auslöste. Der junge Mann hasste seinen ehemaligen Lehrer auf einmal mit derselben Intensität mit der er seine Frau geliebt und Shadow bewundert hatte. Zwar merkte eine Stimme in seinem Inneren zaghaft an, dass Zelda über die Behandlung ihres Vaters sicherlich sehr erbost wäre, doch Dark schob den Gedanken bestimmt zur Seite. Zelda war tot. Sie hatte keine Meinung mehr. Sie bemerkte auch nicht mehr, was um sie herum passierte. Alles, was Dark jetzt noch vermeintlich für sie tat, machte er in Wahrheit für sich, um zumindest ein winziges bisschen Seelenfrieden zurückzubekommen. An den Überresten seines Hauses angekommen, legte Dark Zeldas Körper auf dem Scheiterhaufen ab. Dabei war er so sanft und vorsichtig, dass man hätte meinen können, er trüge seine Frau lediglich ins Bett, statt zu ihrer letzten Ruhestätte. Nachdem er sie abgelegt hatte, betrachtete Dark sein Werk mit grübelnder Miene. Irgendetwas war noch nicht perfekt… Als er schließlich ausgemacht hatte, was ihn störte, zog er Zelda ihre Schwertscheide vom Rücken und löste zärtlich das Heft ihres Schwertes aus ihren allmählich wieder beweglich werdenden Fingern. Dann streifte er sich seine eigene Waffe ab, legte sie auf Zeldas Oberkörper und drapierte ihre Hände über dem Griff. Sie war eine Kämpferin gewesen – also sollte sie auch wie eine mit einer Klinge in der Hand bestattet werden. Doch in einem plötzlichen Anfall von Sentimentalität wollte Dark, dass seine Frau ein Andenken an ihn mit ins Jenseits nahm. Außerdem wollte er ein Erinnerungsstück an sie zurückbehalten. Mit einem Gefühl von Enge im Brustkorb betrachtete Dark den schwarzen Stern aus Onyx-Stein, der im Heft von Zeldas Schwert eingelassen worden war. Der Griff der edlen Waffe war genau wie ihre Schneide über und über mit Dämonenblut besudelt. Zelda musste den Monstern einen harten Kampf geliefert haben, bevor es ihnen gelungen war, sie zu überraschen und zu töten. Vielleicht hatte eines der Kinder, die sie offenbar hatte beschützen wollen, Zelda für einen kurzen Augenblick abgelenkt und so ihr Schicksal besiegelt. Dark hatte das Gefühl, eine krallenbewehrte Hand griffe nach seinem Herzen. Wäre er doch bloß hier gewesen, um Zelda den Rücken frei zu halten… Das Gefühl von Enge breitete sich in Darks gesamten Körper aus und der junge Mann schob Zeldas Schwert schnell in seine Scheide, bevor die Verzweiflung ihn wieder übermannen konnte. Das Eis in seinem Inneren hielt die meisten Gefühle fern, doch das Blut, das unablässig aus seinem gebrochenen Herzen tropfte, fand selbst die feinsten Risse dieser Schutzschicht und füllte Darks Geist mit Schmerz und erstickender Trostlosigkeit. Ohne Zelda erschien Dark alles so sinnlos… Nachdem er sich Zeldas Schwert umgeschnallt hatte, legte Dark seiner toten Frau eine Hand auf den Bauch, wo nun niemals sein Kind heranwachsen würde, und küsste ein letztes Mal ihre kalten, unbewegten Lippen. Obwohl er sich sicher gewesen war, keine Tränen mehr zu haben, fiel eine einzelne Träne aus seinem Augenwinkel auf Zeldas Gesicht, wo sie die Wange der jungen Frau herablief. Es sah fast so aus als weine die Tote selbst über ihren Verlust oder darüber, ihren Mann mit zertrümmertem Herzen zurücklassen zu müssen. Seinen Kopf über derart kitschige Gedanken schüttelnd, richtete Dark sich wieder auf und entzündete den Scheiterhaufen. Mit lautem Knistern und Knacken züngelten die Flammen in den blauen Mittagshimmel hinauf und hüllten Zelda in ihren orangeroten Schleier. Während Dark beobachtete, wie der Körper seiner geliebten Frau allmählich zu Asche verbrannte, erweckte er nach außen einen vollkommen stoischen Eindruck. Seine Augen blieben trocken und kein einziger Gesichtsmuskel zuckte. Sein Gesicht war zu einer unbewegten Maske völliger Indifferenz gefroren. Doch in seinem Inneren tobte ein rasender Schmerz. Jede Zelle, jede Faser seines Wesens schrie und jaulte angesichts der Qualen, die sein geschundenes Herz litt. Am liebsten hätte er sich zu Zelda gelegt, um mit ihr gemeinsam zu verbrennen. Aber es gab da noch etwas, das er erledigen musste, bevor er sich den Luxus des eigenen Ablebens erlauben konnte… Einen letzten Blick auf die glimmenden Überreste des Scheiterhaufens werfend, wandte Dark sich endlich zum Gehen. Es war an der Zeit, sein Dorf wieder zu verlassen und sich dem Einzigen zu widmen, das ihn zum Weitermachen antrieb. Es war Zeit, drei Göttinnen zu erschlagen! Darks Weg führte ihn nach Kakariko, eine kleine Ortschaft in der Nähe von Hyrule-Stadt. Dark erinnerte sich daran, dass Shadow ihm während einer Mission in Kakariko erzählt hatte, hier befände sich die größte und älteste Bibliothek des Schattenreichs. Der junge Mann hoffte, dort irgendwelche Hinweise darauf zu finden, wie es Ganon einst gelungen war, in die Mittelwelt zu gelangen. Von dort aus musste es einen Weg in die Lichtwelt, das Reich der Göttinnen, geben. Während Dark durch die karge Steppe marschierte, die zwischen der Wüste und Kakariko gelegen war, erinnerte er sich daran, wie er derselben Route als Kind in entgegengesetzter Richtung gefolgt war. Damals hatte er Hunger und Durst gelitten und war nur knapp mit dem Leben davon gekommen. Heute war es für ihn dank seiner bei Shadow erlernten Fähigkeiten keine große Herausforderung mehr, genügend Nahrung und Wasser zu finden. Doch dies war nicht der einzige Unterschied zu seiner Reise als Kind. Damals war Dark aus Angst vor Dämonen nur bei Tag gereist und hatte über Nacht stets Schutz gesucht. Sein Geist war in dieser Zeit erfüllt gewesen von Zorn über die Ungerechtigkeit des Schicksals, Schmerz über seinen Verlust und Sorge, was nun aus ihm werden sollte. Gleichzeitig hatte er aber auch ein wenig Vorfreude auf ein selbstbestimmtes, abenteuerreiches Leben und Neugierde auf all die unbekannten Dinge, die ihm tagtäglich begegnet waren, verspürt. Nun war sein Geist völlig taub. Dark fühlte nichts, abgesehen von einer allgegenwärtigen Leere. Selbst die Trauer über Zeldas Ableben war immer mehr verblasst, je weiter sich das Eis in seinem Inneren ausgebreitet hatte, bis nur noch ein Schatten der schier unmenschlichen Herzensqualen zurückgeblieben war. Der Tod seiner Eltern hatte Dark damals seine kindliche Unbedarftheit und seinen naiven Glauben an immerwährende Sicherheit genommen. Doch der Verlust seiner Frau hatte ihn offenbar noch härter getroffen. Er schien Dark sämtlicher Menschlichkeit beraubt zu haben. Es war als hätte Zeldas Tod alles an Dark, das zu Empfindungen fähig war, aus ihm herausgerissen. Von den dabei entstandenen Löchern in seiner Seele breitete sich absolute Gleichgültigkeit in dem jungen Mann aus. Es war ihm egal, ob er sich womöglich in tödliche Gefahr begab, wenn er nachts durch die Steppe zog. Genauso wenig berührte es ihn, wenn ein gefangenes Tier verletzt in seiner Falle zappelte und vor Schmerzen quiekte. Dark fühlte nichts. Absolut nichts. Selbst sein Hass gegenüber Shadow und seine gegen die Göttinnen gewandte Rachsucht, die ihn als einziges weiter vorantrieb, waren inzwischen kaum mehr als Erinnerungen an einstmals starke Gefühle. Sein inneres Eis hatten sie erreicht und unter einer dicken Frostschicht eingeschlossen, sodass sie Darks Bewusstsein nur noch selten erreichten. Er war innerlich tot. Als er in Kakariko ankam, verschaffte Dark sich als erstes einen Überblick über die Ortschaft. Es war schon einige Jahre her, seit er mit Shadow zuletzt hier gewesen war. In dieser Zeit war Kakariko deutlich gewachsen, weshalb Dark sich nun ein wenig orientierungslos fühlte. Da er trotz einigem Suchen die Bibliothek nicht wiederfinden konnte, kehrte er zunächst in eine Schänke ein, um sich nach dem Weg zu erkundigen. Sobald er durch die Tür trat, rief ihm der Wirt bereits entgegen: „Falls du nach etwas zu Essen suchst, bist du hier falsch, Freundchen. Ich kann dir nicht mal eine magere Ratte anbieten.“ Dark schüttelte den Kopf und setzte sich an den Tresen. „Deswegen bin ich nicht hier.“ Der Wirt putzte einen Tonkrug trocken und warf seinem Gast einen neugierigen Blick zu. „Was kann ich dann für dich tun? Du siehst ein wenig mitgenommen aus. Willst du deinen Liebeskummer in einem Bier ertränken, mein Freund?“ Als bei diesen Worten für den Bruchteil einer Sekunde ein Schatten über Darks Gesicht huschte, lief dem Schenk ein eisiger Schauer über den Rücken. Irgendetwas an diesem jungen Mann war seltsam… Der Wirt konnte nicht genau ausmachen, was Dark von anderen Männern unterschied, doch er ging instinktiv in eine Verteidigungshaltung. Eine innere Stimme sagte ihm, dass sein Gast trotz der äußerlichen Ruhe gefährlicher war als die betrunkenen Raufbolde, mit denen er sonst zu tun hatte. Zur Überraschung des Wirts entgegnete Dark jedoch mit einer Stimme, die genauso leer und ausdruckslos war wie sein Gesicht: „Ich suche nach der Bibliothek und wollte fragen, ob du mir sagen kannst, wo ich sie finde.“ Verblüfft fischte der Schenk einen weiteren Krug aus dem mit schmierigem Spülwasser gefüllten Trog und begann, ihn mit seinem schmutzigen Tuch trocken zu reiben. „Es muss ewig her sein, dass jemand in die Bibliothek wollte“, staunte der Wirt. „Die meisten Leute haben andere Sorgen als Lesestoff…“ „Ist ja wirklich interessant“, unterbrach Dark betont gelangweilt den Redeschwall des Wirts, bevor dieser richtig in Fahrt kommen konnte. „Aber wenn ich ehrlich sein soll, kümmern mich andere Menschen nicht mehr als der Dreck unter meinen Fingernägeln. Also sag mir einfach nur, ob du mir helfen kannst oder nicht.“ Der junge Mann lehnte sich leicht über die Theke und warf dem Schenk einen stechenden Blick aus zu Schlitzen verengten Augen zu. Auf diese Weise machte er ohne großen Aufwand einen sehr bedrohlichen Eindruck. Der Wirt schluckte hart und stellte seinen Krug mit zitternden Fingern ab. Wieso nur ließ er sich von seinem Gast derartig einschüchtern? Er war schon mit deutlich kräftigeren Trunkenbolden fertig geworden… Dennoch hatte Dark etwas an sich, dass dem Schenk das Gefühl gab, so leicht zu zertreten zu sein wie eine Kakerlake. „Die Bibliothek ist in dem großen Gebäude auf dem östlichen Hügel“, setzte er an, „aber ich fürchte, du wirst nicht mehr einfach so dort hereinspazieren können.“ „Ach so?“ Dark zog fragend die Augenbrauen in die Höhe, während der Wirt eifrig nickte. „Seit die Mauern von Hyrule-Stadt gefallen sind und die Stadt immer wieder von Dämonen heimgesucht wird, ziehen die Menschen in Scharen hierher. Die Bibliothek wird nun als Wohnhaus genutzt.“ Dark zog grübelnd die Unterlippe zwischen die Zähne. „Was ist aus den Büchern geworden?“ Der Schenk zuckte mit den Schultern und fühlte sich dabei reichlich unwohl. Irgendetwas sagte ihm, dass man Dark besser nicht verärgerte oder enttäuschte. „Das weiß ich nicht. Ich habe nie gesehen, dass sie verbrannt oder weggeschafft worden wären. Deswegen nehme ich an, dass sie immer noch im Haus sind – vielleicht im Keller oder so.“ „Danke. Dann werde ich mich dort mal umsehen.“ Dark ließ sich von seinem Stuhl rutschen, griff in seine Hemdtasche und warf dem verdatterten Wirt ein paar Rubine zu. Der Schenk starrte dem jungen Mann, der die Gaststätte bereits verlassen wollte, vollkommen perplex hinterher, als ihm plötzlich ein Gedanke durch den Kopf schoss: „Du bist Link, nicht wahr? Arns Sohn?“ Dark erstarrte in der Bewegung und der Wirt beeilte sich, zu erklären: „Ich habe bis vor einigen Monaten eine Schänke in Hyrule-Stadt betrieben. Dein Vater kam oft, um nach Essen zu betteln. Dabei hat er immer wieder von dir erzählt. Die Ähnlichkeit ist wirklich verblüffend! Ich hab immer gedacht, du hättest den Überfall damals ebenfalls nicht überlebt…“ Der Wirt wollte noch sagen, wie glücklich Arn und Medila sein müssten, wenn sie sehen könnten, dass aus ihrem kleinen Jungen ein kräftiger, gesunder Mann geworden war, doch Dark schnitt ihm mit eisiger Stimme das Wort ab: „Falls dir dein jämmerliches Leben lieb ist, sprichst du nie wieder über dieses Thema. Wenn du mich noch einmal Link nennst oder meine Eltern erwähnst, schlitze ich dir persönlich die Kehle auf.“ Mit diesen Worten trat Dark ins Freie und ließ den Wirt irritiert und starr vor Angst zurück. Zu Darks Erstaunen sah das Gebäude, in dem die Bibliothek untergebracht sein sollte, von außen tatsächlich eher wie ein Wohnhaus als wie eine Bücherei aus. Deswegen hatte der junge Mann sie auf seinem ersten Rundgang durch Kakariko nicht erkannt. Als Dark nun zielstrebig auf die Eingangstür zuhielt, saßen vier Männer unterschiedlichen Alters davor und putzten ihre Waffen. Während der Jüngste von ihnen kaum dem Knabenalter entwachsen war, zeigten sich bei dem Ältesten bereits die ersten grauen Strähnen im vollen, dunklen Haar. Bei Darks Anblick stand der Zweitjüngste auf, warf sich in die Brust und versperrte dem Neuankömmling den Weg. „Hey, Fremder, wo willst du hin?“ Seiner Stimme war deutlich anzuhören, dass er sich nicht wirklich für Darks Ziel interessierte. Er wollte dem Unbekannten vielmehr zu verstehen geben, dass er schleunigst umkehren sollte. Dieser blieb in einer betont lässigen Pose stehen und deutete auf den Eingang der Bibliothek. „Wonach sieht’s denn aus? Ich will da rein.“ Die anderen Männer, die die in der Luft liegende Spannung spürten, stellten ihre Putztätigkeiten nun ebenfalls ein und blickten zwischen den beiden Stehenden hin und her. Dabei verrieten ihre Gesichtsausdrücke deutlich, dass sie der Meinung waren, von Dark ginge trotz seiner gut sichtbaren Bewaffnung keine ernstzunehmende Bedrohung aus. Ihre Überzahl gab ihnen Sicherheit. Der Zweitälteste strich wie zufällig über die Klinge seines Schwertes und sah unter seinen Wimpern hinweg zu Dark hoch. „Und was willst du in unserem Haus?“ „Euer Wohnbereich ist mir völlig egal“, setzte dieser zu einer Erklärung an. „Ich interessiere mich für die Bibliothek, die bis vor kurzem in eurem Haus war.“ Angesichts dieser unerwarteten Antwort stutzten die vier Männer und der Älteste stieß einen grunzenden Laut des Amüsements aus. „Das ist wohl die bescheuertste und gleichzeitig kreativste Ausrede eines Räubers, die ich je gehört habe!“ Der etwas Jüngere rümpfte die Nase und schüttelte den Kopf. „Mag sein. Aber damit kommt der Kerl trotzdem nicht durch. Hörst du, Fremder? Zieh Leine, bevor du’s bereust. Wir teilen unser Essen ganz sicher nicht mit einem dahergelaufenen Rattengesicht wie dir!“ Dark seufzte theatralisch auf und verzog das Gesicht zu einem Ausdruck der Langeweile. „Alles klar… Spitzt mal die Öhrchen, ihr Hampelmänner: Ihr habt die Wahl – ihr könnt es auf die leichte oder harte Art haben. Aber egal, für was ihr euch entscheidet, ich werde jetzt durch diese Tür treten. Ich rate euch in eurem Interesse, versucht nicht, mich aufzuhalten. Ihr würdet es teuer zu stehen kommen. Ich habe nämlich absolut kein Problem damit, euch zu töten, solltet ihr mir im Weg stehen. Verstanden?“ Die drei älteren Männer brachen in schallendes Gelächter aus, nur der Jüngste blickte verunsichert zu Dark herüber. Die eisige Ruhe des Fremden machte dem Jüngling Angst. So selbstbewusst verhielt sich nur, wer keinen Zweifel an der eigenen Überlegenheit hatte. „Vielleicht sollten wir ihn in den Keller begleiten“, gab der junge Mann zu bedenken – doch zu spät. In diesem Moment machte Dark einen Schritt nach vorn und der Zweitjüngste stach mit seiner Lanze nach ihm. Als hätte er mit dieser Attacke gerechnet, stieß Dark sich kräftig vom Boden ab und katapultierte sich hoch in die Luft. Sekunden später landete er leichtfüßig auf der Waffe seines Angreifers als wäre er eine Katze, die über einen Zaun balancierte. „Wie…?!“ Der Lanzenträger und seine Kumpane rissen vor Überraschung die Augen weit auf. Dark verzog die Lippen zu einem halbseitigen, ironischen Grinsen und flötete in scheinbar vergnügtem Ton: „Berufsgeheimnis.“ Dann langte er nach vorn, durchtrennte seinem noch immer völlig perplexen Gegner die Kehle und brachte sich mit einem Rückwärtssalto aus der Gefahrenzone, bevor die anderen Männer reagieren konnten. Bereits im Sprung schleuderte Dark zwei Wurfmesser auf die heranstürzenden, ältesten Mitglieder der Gruppe. Noch bevor der junge Assassine in kniender Position auf dem Boden landete, hatte er drei der vier Männer vor der Bibliothek getötet, ohne dass diese eine ernsthafte Chance auf Gegenwehr gehabt hatten. Sich aufrichtend warf Dark dem Jüngsten, der so heftig zitterte, dass er sein Schwert kaum noch festhalten konnte, einen Blick über die Schulter hinweg zu. Der Gleichmut, der in den blauen Iriden des Assassinen geschrieben stand, jagte dem Jüngling eisige Schauer über den Rücken. Dieser Fremde tötete mit erschreckender Präzision und verzog dabei nicht einmal eine Miene… Offenbar tangierte ihn das Töten von Menschen nicht mehr als das Zertreten von Ungeziefer. „Steck das Schwert weg und verschwinde, Kleiner. Spiel nicht den Tapferen – das glaubt dir eh niemand.“ Dark sammelte seine Messer wieder ein und wischte ihre Klingen an seiner Lederhose ab. Dabei wandte er dem Jüngling völlig unbedarft den Rücken zu, so als wäre er sich absolut sicher, dass von dem jungen Mann keinerlei Gefahr ausging. Dieser nahm all seinen Mut zusammen, schluckte den Kloß in seiner Kehle herunter und fragte mit noch stimmenbruchgeplagter Stimme: „Wieso verschonst du mich?“ Dark wedelte mit der Hand zwischen sich und dem Bibliothekseingang herum. „Weil du mir nicht im Weg stehst.“ „Das ist der einzige Grund?!“ Dem Jüngling stand vor Verblüffung der Mund offen. Irgendwie hatte er mit einer tiefgreifenderen Begründung, wie eine noch vor ihm liegende Zukunft voller Möglichkeiten, gerechnet. Dark stieß schnaubend Luft aus der Nase aus und drehte sich langsam zu dem jungen Mann um. „Ich töte nicht aus Spaß. Meine Gründe mögen nicht für jeden nachvollziehbar sein, aber sie sind vorhanden.“ Als der Jüngling den Mund auftat, um etwas zu entgegnen, verengte Dark die Augen zu Schlitzen und fügte grimmig an: „Wenn du einen Todeswunsch hast, geh mir ruhig weiter auf die Nerven. Das wäre für mich Anlass genug, dich von deinem Leben zu befreien.“ Ein paar Herzschläge lang starrte der Jüngling sein Gegenüber fassungslos an. Dieser Kerl war vollkommen verrückt! Dann wirbelte der junge Mann herum und rannte wie von der Tarantel gestochen davon. „Feigling…“ Dark schüttelte den Kopf über den Fliehenden und wandte sich wieder der Bibliothek zu. Als wären die Leichen am Boden nicht mehr als Laubhaufen trampelte der junge Mann über sie hinweg zur Tür herüber und trat endlich ein. Der vorherigen Bemerkung des Jünglings hatte Dark entnehmen können, dass die Bücher tatsächlich in den Keller geschafft worden waren – so wie es der Wirt bereits vermutet hatte. Also hielt Dark sich gar nicht mit dem Erdgeschoss auf und stieg stattdessen die Treppe ins Kellergewölbe herab. Hier waren lange Regalreihen aufgebaut worden, die bis zum Bersten angefüllt waren mit dicken Wälzern und Schriftrollen. Die Luft roch nach Papier, Staub und ganz leicht nach feuchtem Stein. Von der schieren Anzahl der Bücher überfordert, drehte Dark sich langsam um die eigene Achse und fragte sich, wo er mit der Suche beginnen sollte. Es gab keinerlei Beschriftung, die eine thematische Unterteilung der Schriftstücke erkennen ließ. Auf gut Glück zog Dark zwei nebeneinanderstehende Bücher aus dem Regal und stöhnte innerlich auf. Während der erste Foliant eine Sammlung beliebter Volkssagen enthielt, beschäftigte sich der andere Band mit mathematischem Fortgeschrittenenwissen. Offenbar waren die Bücher vollkommen unsortiert in die Regale geräumt worden. Das bedeutete, dass Dark auf seiner Suche nach Hinweisen jedes Einzelne begutachten musste… Genervt trat der junge Mann gegen den Fuß eines Büchergestells und zuckte heftig zusammen, als hinter ihm ein gespenstisches Lachen erklang. Mit wild hämmerndem Herzen wirbelte Dark herum, doch hinter ihm schien sich nichts anderes zu befinden als leere Gänge und Schatten. Spielte ihm sein übermüdeter Geist einen Streich? Hatte er sich das Gelächter lediglich eingebildet? Nein, er war sich ganz sicher, dass er tatsächlich etwas gehört hatte. Er war nicht so allein wie er glaubte. Eine Hand an seinem Schwertheft, schlich Dark vorsichtig durch die Regalreihen. Dabei späte er konzentriert um jede Ecke und sezierte die Schatten mit seinen Blicken. Er war sich sicher, er würde die andere anwesende Person finden und notfalls unschädlich machen können. Doch egal wie aufmerksam er auch suchte, er fand niemanden. Allmählich wurde die Angelegenheit unheimlich und Dark erinnerte sich schaudernd an die Geschichten von verfluchten Häusern, die er im Dorf gehört hatte. Kein Fest war vollständig gewesen ohne eine Erzählung über alte Gemäuer, in denen es spukte. Angeblich fanden manche Menschen nach ihrem Tod den Weg ins Jenseits nicht und neideten den Lebenden ihre vielen Möglichkeiten. Man sagte, es gäbe sogar Gespenster, die vor Zorn über ihr zu frühes Ableben töteten. Dark schluckte. Wie sollte man etwas töten, das schon lange tot war und noch dazu über keinen materiellen Körper verfügte? Gerade als Dark überlegte, ob er vielleicht lieber woanders nach Hinweisen suchen sollte, begann ein Schatten vor ihm zu wabern und sich zu bewegen. Mit kreisrunden Augen beobachtete Dark wie der Schatten wuchs und sich ausdehnte, bis er die Konturen eines sehr großen, breitschultrigen Mannes angenommen hatte. Für den Bruchteil einer Sekunde glaubte Dark daran, Shadows Geist habe ihn bis hierher verfolgt und wolle nun Rache für sein jähes, brutales Ende. Doch dann materialisierte sich der Körper des Schattenmannes und Dark registrierte, dass er keinerlei Ähnlichkeit mit dem toten Assassinen hatte. Während Shadow langes, dunkelblondes Haar und dunkelblaue Augen gehabt hatte, glühten Haare und Iriden des Fremden in einem flammenden Rot. Den Rest seines Gesichts verbarg der Schattenmann hinter einer Maske, die aussah wie ein bleicher Totenschädel. „Das, was du suchst, wirst du hier nicht finden.“ Die Stimme des Fremden war tief und klang gleichzeitig ein wenig wie das Knistern von verbrennendem Pergament. Dark umklammerte instinktiv den Griff eines Wurfmessers und fragte: „Ach ja? Woher willst du wissen, was ich suche?“ In diesem Moment war der junge Mann fast froh über die Leere in seinem Inneren. Wäre ihm nicht alles egal gewesen, hätte er es sicherlich nicht geschafft, ruhig und gefasst zu klingen. Der Maskierte lachte leise in sich hinein. „Ich beobachte dich schon eine Weile.“ Dark runzelte die Stirn und entgegnete mit vor Zynismus triefender Stimme: „Mir war gar nicht bewusst, dass mein Leben spannend genug ist, dass es sich lohnt, mich zu verfolgen.“ Als hätte er die spitze Bemerkung gar nicht gehört, sprach der Fremde weiter: „Du suchst einen Weg in die Mittelwelt. Ich kann dir dabei helfen, wenn du im Gegenzug etwas für meinen Meister tust.“ Dark, der das Gefühl hatte, dass man ihn übers Ohr hauen wollte, winkte ab. „Nicht interessiert.“ Der Maskierte legte den Kopf schief und sah sein Gegenüber mit intensivem Blick an. „Sicher? Du könntest deine Eltern wiedersehen.“ „Ich bin kein Kind mehr.“ Die Arme vor der Brust verschränkend, lehnte Dark sich kaum merklich zurück. Unter den forschenden Blicken des Fremden fühlte er sich irgendwie nackt, so als könnte der Unbekannte bis hinab in die bestgehüteten Regionen seiner Seel sehen. „Und was ist mit deiner Frau?“ Die Stimme des Schattenmanns hatte einen beiläufigen Plauderton angenommen, doch die Worte verfehlten ihre Wirkung dennoch nicht. Sie schlugen kleine Kerben in Darks Eispanzer und sandten tiefe Risse durch die frostige Schutzschicht. „Was soll mit ihr sein?“ Dark bekam nur noch ein Flüstern über die Lippen. Imaginären Dreck unter seinen Fingernägeln entfernend antwortete der Maskierte: „Wenn du meinem Meister bei der Beseitigung eines Problems hilfst, könntest du sie wiedersehen.“ „Was?! Wie?“ Dark hatte das Gefühl, sein Kopf bestünde plötzlich nur noch aus Watte. Milliarden von Gedanken schossen durch seinen Geist, blockierten sich gegenseitig und schubsten sich weg, bevor der junge Mann auch nur einen von ihnen zu fassen bekommen konnte. Er konnte Zelda wiedersehen? Der Fremde schien hinter seiner gruseligen Maskerade zu grinsen, als er fragte: „Du weißt, dass es bis auf wenige Ausnahmen zu jedem von uns Gegenstücke in der Mittel- und der Lichtwelt gibt?“ Dark nickte noch immer völlig benommen. „Dann ist es dir vielleicht auch nicht neu, dass unsere Gegenstücke uns nicht nur optisch, sondern auch charakterlich ähneln“, fuhr der Schattenmann fort, um von Dark unterbrochen zu werden: „Warte, warte, warte! Du meinst, ich könnte die Zelda der Mittelwelt treffen, wenn ich deinem Meister einen Gefallen tue?“ „Ganz genau.“ Irgendwo ganz tief in Dark schlug eine Tür ins Schloss und seine Mimik verdunkelte sich schlagartig. „Sag deinem Meister, er soll sich selbst um sein Problem kümmern. Ich habe kein Interesse an billigen Kopien. Die Zelda der Mittelwelt mag zwar vielleicht aussehen und sich so verhalten wie meine Frau, aber sie ist trotzdem nicht dieselbe!“ Mit diesen Worten wollte Dark sich abwenden, doch der Maskierte ließ nicht locker: „Sie ist nicht dieselbe, das stimmt. Aber sie ist ihr so ähnlich, dass du keinen Unterschied merken wirst, das garantiere ich dir. Überleg es dir noch mal. Was ist besser? Dich alleine mit deinem Liebeskummer grämen oder mein Angebot anzunehmen und mit dem besten Ersatz, den du finden kannst, noch einmal neu anzufangen. Denk daran: Mit dieser Zelda könntest du endlich das Kind bekommen, das du dir so sehr wünscht.“ Dark verharrte in der Bewegung und zögerte, während die Tür in seinem Inneren langsam wieder aufschwang. Er wusste, die andere Zelda wäre kein wirklicher Ersatz für seine Frau. Dennoch verzerrte sich alles in ihm danach, sich dieser Illusion hinzugeben. Wenn er es sich nur genug wünschte, würde er mit ihrer Doppelgängerin an seiner Seite vielleicht irgendwann daran glauben können, seine Frau nie verloren zu haben. Oder? Er bekäme die Chance, sein Leben noch mal ganz neu anzufangen und all die Träume zu leben, die er als Link zusammen mit Zelda geschmiedet hatte. Er könnte ein Vater werden und sein Kind aufwachsen sehen, ohne sich Sorgen darum machen zu müssen, ob er auch morgen noch genügend Nahrung beschaffen konnte. Die Risse seines Schutzpanzers gruben sich immer tiefer in Darks inneres Eis. Es fühlte sich an als würde er von innen heraus zu Scherben zerfallen. Mit tonloser Stimme gab er zu bedenken: „Die Mittelwelt-Zelda kennt mich doch gar nicht und hat ihr eigenes Leben, vielleicht sogar einen Mann und Kinder. Wie soll sie mir da meine Frau ersetzen?“ Der Maskierte trat näher an Dark heran, beugte sich leicht zu ihm herunter und verkündete in siegessicherem Ton: „Hier überlappen sich die Interessen meines Meisters mit deinen. Die Zelda der Mittelwelt ist mit deinem Doppelgänger, dem Herrn der Zeiten, liiert. Töte ihn für meinen Meister, dann kannst du seinen Platz an ihrer Seite einnehmen. Das Schönste daran ist, dass du dich auf diese Weise auch noch an den Göttinnen rächen kannst, indem du den von ihnen erwählten Helden vernichtest. Du würdest zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen.“ Dark wandte sich langsam wieder zu dem Schattenmann um und sah ihm aus beinah kindlich-verletzlich wirkenden Augen ins verhüllte Gesicht. Eigentlich wollte Dark das Angebot ausschlagen und erklären, dass er kein Interesse daran hatte, das Leben eines anderen zu führen. Stattdessen schlug er jedoch in die ihm dargebotene Hand ein und sagte: „Wenn dein Meister mich hereinlegen will und ich Zelda nicht zurückbekomme, werde ich ihn eigenhändig töten.“ „Keine Bange. Sobald du den Herrn der Zeiten beseitigt hast, gehört die Prinzessin dir.“ Der Maskierte schien erneut zu grinsen und Dark horchte bei dem Wort «Prinzessin» auf, sagte jedoch nichts dazu. Die Schultern straffend forderte er stattdessen: „Dann erklär mir, wie ich in die Mittelwelt gelange.“ Kapitel 8: Reise in eine andere Welt ------------------------------------ Der Maskierte stieß einen keckernden Laut aus, der entfernt an ein unterdrücktes Lachen erinnerte, und seine roten Augen leuchteten merklich auf. Bei diesem Anblick begann Darks Magen zu brennen und der junge Mann fragte sich, auf was er sich soeben eingelassen hatte. Von dem Schattenmann ging eine unbestreitbar böse Aura aus. Dark kannte so etwas bislang nur von Dämonenfürsten. Arbeitete der Fremde etwa für den Anführer eines mächtigen Dämonengeschlechts? Aber wieso sollte Dark dann für seinen Auftraggeber einen Bewohner der Mittelwelt töten? Planten die Monster etwa, auch die anderen Welten zu übernehmen? Die Fragen wirbelten wie trockenes Herbstlaub durch Darks Geist und verstärkten seinen Eindruck, den Kontakt zu sich selbst zu verlieren. Dark fühlte sich vor lauter Gedanken in seinem Kopf wie betrunken. Doch bevor Dark Zeit finden konnte, sich ein wenig zu ordnen, sagte der Maskierte: „Um in die Mittelwelt zu gelangen, wirst du dich deiner Vergangenheit stellen müssen.“ Dark runzelte die Stirn und machte ein ratloses Gesicht. „Wie meinst du das?“ Die Augen des Fremden funkelten, so als empfände er diebische Freude dabei, Darks Verwirrung zu verstärken und ihn auf die Folter zu spannen. Dennoch antwortete er prompt: „Der Zugang zur Mittelwelt befindet sich in einer Kirche in Hyrule-Stadt. Da kommst du doch her, nicht wahr? Erinnerst du dich an die Zitadelle?“ Es war als täte sich ein Loch in Darks Brust auf, von dem ausgehend sich ein namenloses Entsetzen in jeder Faser des jungen Mannes breitmachte. Dark erinnerte sich noch sehr gut an das verfallene Kirchengebäude, obwohl er seit über einem Jahrzehnt nicht mehr in seiner Heimatstadt gewesen war. Früher war er tagtäglich daran vorbei gelaufen, weil die schon fast zur Ruine verkommene Zitadelle in direkter Nachbarschaft seines Elternhauses stand. Da er seiner Stimme nicht traute, nickte Dark lediglich zur Antwort. Der Maskierte fuhr daraufhin fort: „Im hinteren Teil der Kirche gibt es ein Portal. Der Schlüssel ist das im Stein steckende Schwert – du musst es nur herausziehen.“ Dark starrte sein Gegenüber verblüfft an. „Wenn es so einfach ist, in die Mittelwelt zu gelangen – warum flieht niemand aus diesem Albtraum?!“ Der Fremde stieß wieder sein keckerndes Lachen aus. „Es klingt simpler als es ist. Früher war das Portal hinter einer massiven Steinbarriere verschlossen. Um diese öffnen zu können, brauchte man drei Relikte der Göttinnen und nur ein von ihnen Auserwählter war in dazu in der Lage, das Schwert aus dem Fels zu ziehen.“ Bevor Dark nachfragen konnte, warum sich der Schattenmann unter diesen Umständen derartig sicher war, dass er das Portal würde öffnen können, fuhr dieser fort: „Meinem Meister ist es jedoch gelungen, die Barriere einzureißen und das Schwert zu… korrumpieren. Nun kann es nur noch von einem Auserwählten meines Meisters berührt werden.“ Der Maskierte seufzte auf und fügte in nachdenklichem Ton an: „Leider hat dieser Zauber meinen Meister so viel Magie gekostet, dass er bei der Öffnung des Übergangs von der Mittel- zur Lichtwelt auf die Hilfe dieser lästigen Schmeißfliege angewiesen war…“ Der Schattenmann schüttelte bedauernd den Kopf und Erkenntnis durchzuckte Dark. Vor Überraschung platzte er ohne nachzudenken heraus: „Dein Meister ist Ganon, der Prinz der Schweinedämonen!“ Der Fremde nickte und erklärte: „Ich bin sein Schatten.“ „Wieso bist du dann hier und nicht an Ganons Seite? Ist dein Meister wegen des Herrn der Zeiten so verzweifelt, dass er seinen engsten Vertrauten ausschicken musste, um jemanden zu finden, der es mit dem Auserwählten der Göttinnen aufnehmen kann?“ Dark konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. Die Vorstellung, dass der als so mächtig gerühmte Ganon ihn um Hilfe bekniete, war zu amüsant. Zu Darks Überraschung schien sich der Maskierte persönlich von der Frage unangenehm berührt zu fühlen. Er wirkte regelrecht verlegen, als er antwortete: „Mein Meister könnte diese Made jederzeit zerstampfen, aber er ist zu beschäftigt, um sich selbst um den Störenfried zu kümmern. Ich wurde nach einem… Fehltritt zurück in die Schattenwelt geschickt, um dich zu suchen und für unsere Sache zu gewinnen. Allmählich verliert mein Meister nämlich die Geduld mit dieser von den Göttinnen erwählten Kakerlake. Um sich für all den Ärger, den der Wurm verursacht hat, zu rächen, will mein Meister ihn vor seiner Vernichtung zusätzlich seelisch leiden sehen.“ Der Schattenmann schien seine Selbstsicherheit wiedergefunden zu haben und fügte maliziös an, so als wollte er sich für das Gefühl des peinlich-berührt-Seins an Dark rächen: „Deswegen will Ganon ausgerechnet dich auf diese schwertschwingende Nervensäge ansetzten – du eignest dich dafür nämlich besonders gut. Ich bin mir sicher, der Herr der Zeiten wird eher davonlaufen als gegen dich zu kämpfen. Um das eigene Spiegelbild zu verletzen, braucht es schon einiges an Kaltschnäuzigkeit. Dafür braucht es jemanden, der skrupellos genug ist, seinen eigenen Schwiegervater abzustechen. Denkst du nicht auch?“ Bei diesen Worten verdüsterte sich Darks Miene schlagartig und er ballte unwillkürlich die Hände zu Fäusten. Wie konnte es sich dieser Wichtigtuer erlauben, über ihn zu urteilen?! Als ob ein Dämonenhandlanger auch nur den Hauch einer Ahnung von menschlichen Emotionen hatte… Doch anstatt blind auf den Schattenmann loszugehen, gab Dark ihm in sarkastischen Ton zu verstehen, dass er bestens verstanden hatte, was der Maskierte mit der Umschreibung «Fehltritt» hatte verschleiern wollen: „Muss für den Schatten eines mächtigen Dämonenprinzen ganz schön peinlich sein, gegen ein schwaches Menschlein verloren zu haben. Kein Wunder, dass du in Ungnade gefallen und verbannt worden bist.“ Für einen langen Moment starrten die beiden Männer sich stumm an. Die Luft zwischen ihnen knisterte vor Spannung und die angriffslustige Haltung der Beiden verriet deutlich, dass eine einzige falsche Bewegung zwangsläufig zu einem Kampf führen würde. Es war außerdem klar, dass der Ausgang dieses Blickduells über die zukünftigen Dominanzverhältnisse entscheiden würde. Der Maskierte war schließlich derjenige, der nachgab und den Blick senkte. Dark straffte die Schultern und unterdrückte ein Grinsen. Er würde niemals den Kopf vor irgendjemandem beugen – dafür war er viel zu stolz. Vor die Wahl gestellt, Hinrichtung oder Unterwerfung, hätte er sich jederzeit für den Tod entschieden. Reichlich zerknirscht klingend fragte der Schattenmann: „Wollen wir uns dann auf den Weg machen?“ „Wieso ‚wir‘? Ich finde den Weg auch ohne dich.“ Dark genoss es sichtlich, den Fremden auf die unterlegene Position gedrängt zu haben, und gedachte, den Abstand zwischen ihnen noch zu vergrößern. Doch der Maskierte machte ihm einen Strich durch die Rechnung: „Ich weiß, du bevorzugst es, allein zu arbeiten, aber du wirst meine Hilfe brauchen, um das Schwert aus dem Fels zu ziehen. Ich werde dich also begleiten müssen.“ „Na, meinetwegen…“ Dark zuckte mit den Schultern und wandte sich zum Gehen. „Dann lass uns aufhören, zu trödeln.“ Den Großteil des Weges nach Hyrule-Stadt brachten die beiden Männer schweigend hinter sich. Irgendwann hielt Dark die Neugierde jedoch nicht mehr aus und fragte: „Wie kommt es eigentlich, dass du so menschlich aussiehst? Ich hätte erwartet, dass der Schatten eines Schweinedämons mehr Ähnlichkeit mit einem dieser Schweinewesen als mit einem Menschen hat.“ Der Maskierte warf einen Seitenblick auf den neben ihm laufenden, kleineren Mann und erklärte: „Das liegt daran, dass ich der Schatten der menschlichen Form meines Meisters bin.“ „Ganon kann seine Gestalt ändern?!“ Dark riss überrascht die Augen auf. Er hatte noch nie von einem Dämon mit derartigen Fähigkeiten gehört. „Nicht direkt“, antwortete der Schattenmann. „Es hat etwas mit seinem Wechsel in die Mittelwelt zu tun.“ Dark schnaubte genervt. Seit er Ganons Schatten getroffen hatte, war er von einem Zustand der Verwirrung in den nächsten geraten. Allmählich kam er sich dumm und unwissend vor. Glücklicherweise sprach der Maskierte weiter: „Es gibt zwei Möglichkeiten, das Portal zum Übergang zwischen den Welten zu öffnen: Entweder man nutzt den Schlüssel, den die Göttinnen zurückgelassen haben–“ „Du meinst das Schwert im Fels?“, unterbrach Dark in dem Versuch, trotz der Fülle an neuen Informationen dem Gesagten zu folgen. Ganons Schatten nickte. „Ja. Entweder man zieht das Schwert aus dem Stein oder man öffnet den Weg mit Hilfe von Magie. Mein Meister hat damals versucht, das Schwert mit einem Zauber zu belegen, der es ihm ermöglichen würde, die heilige Klinge aus dem Fels zu ziehen. Doch das ist ihm leider nur zum Teil gelungen.“ „Also hat er Magie angewandt, um in die Mittelwelt zu gelangen“, schlussfolgerte Dark. „Genau. Doch da diese Möglichkeit eigentlich den Göttinnen selbst vorbehalten ist, hat sie etwas unangenehme Nebenwirkungen.“ „Welche?“ Dark blieb vor der Zugbrücke von Hyrule-Stadt stehen und drehte sich zu seinem Begleiter um. „Die Göttinnen haben keinen materiellen Körper. Deswegen ist ihr Zauber nicht darauf ausgelegt, einen Leib in eine andere Welt zu transferieren. Da Ganon als Grundlage für seinen Zauberspruch den der Göttinnen verwenden musste, verlor mein Meister seinen Körper, als er in die Mittelwelt hinüberging. Es ist ihm zwar möglich, einen Körper zu materialisieren, der seinem verlorenen Leib ähnelt, aber dies kostet viel Magie. Aus diesem Grund hat mein Meister sich im Körper eines Mittelweltbewohners eingenistet und dessen Seele unterworfen, um den Leib alleine kontrollieren zu können.“ Vor lauter Neuem schwirrte Dark der Kopf. „Das macht Ganon ja so gut wie unbesiegbar! Wenn man den Körper bekämpft, stirbt nur der eigentliche Besitzer des Leibes und Ganon sucht sich einen anderen Wirtskörper.“ Der Schattenmann schien hinter seiner Maskerade zu grinsen, als er mit unverhohlenem Stolz in der Stimme sagte: „Ganz genau. Mein Meister ist nicht aufzuhalten.“ Ein kalter Schauer rieselte Dark das Rückgrat herab und er fragte sich zum wiederholten Male, wie groß der Schaden war, den er aus purem Egoismus heraus anzurichten gedachte. Doch was kümmerte ihn das Schicksal der Welt, solange er Zelda zurückbekam? Dennoch fragte er: „Was genau sind eigentlich Ganons Ziele?“ Den Blick auf Hyrule-Stadt gerichtet antwortete der Schattenmann: „Er will über die drei Welten herrschen und sie zu einer verschmelzen. Seine Beweggründe sind den deinen gar nicht so unähnlich. Mein Meister kann ebenfalls nicht akzeptieren, dass das Lichtreich im Überfluss schwelgt, während die Bewohner des Schattenreichs darben und täglich um ihr Überleben kämpfen müssen.“ „Aber werden die anderen Welten nicht bald genauso karg und unfruchtbar wie das Schattenreich sein, wenn Ganon die Dämonen in ihnen wüten lässt?“ Dark dachte mit Schrecken daran, womöglich doch nicht vor dem Elend der Schattenwelt davonlaufen zu können. Der Maskierte zuckte mit den Schultern und traf Darks eigentliche Sorge auf den Kopf: „Vielleicht. Aber du kannst dir sicher sein, dass Ganon für seine Gefolgsmänner sorgt. Beseitige den Herrn der Zeiten für meinen Meister und deiner Familie wird es niemals wieder an irgendetwas mangeln.“ Das reichte Dark. Der Rest der Welt konnte seinetwegen untergehen, solange Zelda und er ein gutes Leben führen konnten. Er war den Göttinnen nichts schuldig. Sie hatten sich nie um sein Wohl gekümmert, also brauchte er sich auch nicht um ihre Schöpfung scheren. Mit einem knappen Kopfnicken in Richtung seines Begleiters setzte Dark sich wieder in Bewegung, überquerte die Brücke und betrat zum ersten Mal nach dreizehn Jahren wieder seine Heimatstadt. Hyrule-Stadt bot einen deprimierenden Anblick. Die meisten Gebäude waren bei einem der unzähligen Dämonenangriffe, von denen Dark bereits in Kakariko gehört hatte, zerstört worden, sodass die Ruinen der einstmals prächtigen Häuserreihen wie die halbvermoderten, abgebrochenen Zähne im Mund einer alten Vettel wirkten. Alles war von einer Aura des Todes und des Verfalls umweht. Dark blickte eher zufällig im Vorbeigehen in eine Seitengasse und verzog latent angewidert das Gesicht. Auf dem Kopfsteinpflaster lag das Skelett eines Kleinkindes. Die tiefen Furchen auf den Gebeinen verrieten, dass etwas Großes mit mächtigen Zähnen die Knochen gründlich abgenagt hatte. Hätte Dark sich nicht wie betäubt gefühlt, hätte ihn dieser Anblick sicherlich würgen lassen. So wandte er nur den Blick ab und ging weiter als wäre ein solcher Fund das Alltäglichste der Welt. Tatsächlich war der Anblick von Skeletten und Leichenteilen in Hyrule-Stadt keine Seltenheit, seit die Stadtmauern gefallen waren und die Dämonen ungehindert eindringen konnten. Dark und sein Begleiter waren jedoch blind für den allgegenwärtigen Tod, der ihnen in Form von Kadavern und Gebeinen aus Vorgärten und Häuserecken entgegenstarrte. Die beiden Männer blendeten ihre Umgebung einfach aus und marschierten zielstrebig in Richtung der Zitadelle auf der Ostseite der Stadt. Zu Darks Überraschung hatte die Kirche die Monsterangriffe nahezu unbeschadet überstanden, sodass sie noch immer aussah wie in seiner Kindheit. Doch der junge Mann hatte kaum Augen für das Gebäude vor ihm. Sein Blick wurde immer wieder wie magisch von einem in der Nähe stehenden Haus angezogen, das ebenfalls von den Dämonen verschont worden war. Als bemerkte er Darks Starren überhaupt nicht, betrat der Schattenmann den Kirchenvorhof und sagte: „Dann wollen wir mal.“ Dark hob wie in Trance eine Hand und bedeutete seinem Begleiter, zu warten. „Ich bin gleich wieder da.“ Ohne sich zu vergewissern, dass der Maskierte wirklich auf ihn wartete, machte Dark auf dem Absatz kehrt und lief die Straße herunter zu seinem Elternhaus. Die Haustür quietschte protestierend in ihren ungeölten Scharnieren, so als wollte sie sich verbitten, dass jemand den von ihr geschützten Ort betrat. Dark trat über die Schwelle, blinzelte im plötzlichen Halbdunkel und wartete, dass seine Augen sich an die neuen Lichtverhältnisse gewöhnten. Sobald er wieder mehr als nur schemenhafte Umrisse erkennen konnte, musste der junge Mann heftig schlucken. Trotz des Eises, das noch immer in ihm wucherte und Emotionen von ihm fernhielt, verspürte Dark einen Stich im Herzen, während er sich umsah und registrierte, dass sich nichts verändert hatte, seit er von Zuhause fortgelaufen war. Selbst Medilas Nähkästchen stand noch immer neben dem Sessel am Kamin – dort, wo sie es abgestellt hatte, als Arn und Link an jenem verhängnisvollen Abend vor dreizehn Jahren heimgekommen waren. Eine unsichtbare Schlinge legte sich um den Hals des jungen Mannes und schnürte ihm bei jedem Atemzug die Kehle ein wenig mehr zu. Mit heftig schlagendem Herzen schritt Dark geradezu ehrfürchtig durch sein Elternhaus und berührte geistesabwesend die staubbedeckten Möbelstücke, die ihm aus den Tagen seiner Kindheit noch sehr vertraut waren. Damals war ihm alles so viel größer vorgekommen… Sich unbewusst vor dem Gang in den ersten Stock drückend, betrachtete Dark jeden Quadratzentimeter der engen Wohnstube, so als wollte er sich jedes Detail eines unbekannten Ortes genauestens einprägen, um ihn später aus dem Gedächtnis zeichnen zu können. Anschließend betrat er die winzige Küche, in der Medila trotz der miserablen Umstände immer wieder schmackhafte Mahlzeiten für ihre kleine Familie gezaubert hatte. Auf einer Anrichte neben dem Spülbecken standen noch immer die drei Tonbecher, aus denen Link und seine Eltern am Morgen ihres letzten Tages getrunken hatten. Dark streckte seine zitternden Hände nach dem Becher mit dem Sprung in der Lasierung aus. Dieser hatte früher ihm gehört… Gedankenversunken strich Dark über die längliche Macke und erinnerte sich daran, dass Medila Link immer getadelt hatte, wenn er aus einem der anderen Tongefäße hatte trinken wollen. Als Kind hatte er das Verhalten seiner Mutter als unfair und gemein empfunden, doch heute verstand er es: Sein Becher war der einzige, der lasiert worden war. Aus den anderen Trinkkrügen musste das Wasser furchtbar nach Lehm geschmeckt haben. Das Gefühl unendlicher Dankbarkeit drückte mit Gewalt gegen die Eisdecke auf der Seele des jungen Mannes und drohte, sie zu durchbrechen. Als Dark die Augen schloss, um sich wieder zu ordnen, rollten zwei einzelne Tränen über seine Unterlider und liefen seine Wangen hinab. In diesem Moment hätte der junge Mann alles dafür gegeben, ein letztes Mal mit seinen Eltern sprechen zu können. Er wollte ihnen sagen, dass er endlich verstand, was sie für ihn getan hatten, dass er ihnen wahnsinnig dankbar war und dass es ihm leidtat wie ihr gemeinsames Leben geendet war. Wenn er das belauschte Gespräch von damals nun als Erwachsener, als jemand, der einst von ganzem Herzen geliebt hatte, rekapitulierte, wurde ihm klar, wie furchtbar er seine Eltern missverstanden hatte. Sie waren bereit gewesen, für ihn selbst ihre letzten Prinzipien über Bord zu werfen und abscheuliche Gräueltaten zu begehen – nur damit er keinen Hunger hätte leiden müssen. Und er hatte an ihnen gezweifelt. Schlimmer noch: Er hatte sie verdammt. Er hatte seine falsche Erkenntnis nicht einmal für eine Sekunde in Frage gestellt... Ein reißender Schmerz schoss durch seinen gesamten Körper und drückte ihm die Luft aus der Lunge, als die Eisschicht über seinem Herzen für einen Augenblick auseinanderbrach und Dark mit der vollen Wucht seiner Schuldgefühle konfrontiert wurde. An einem Schluchzer und all den zwangsläufig ungesagt bleibenden Worten würgend, ging der junge Mann in die Knie und krümmte sich um die Pein in seinem Inneren. Es hatte in seinem Leben vier Menschen gegeben, die ihn aufrichtig geliebt hatten. Zwei davon hatte er eigenhändig getötet und den Tod der anderen beiden hatte er zumindest indirekt mitverschuldet. Link schlang sich die Arme um den Oberkörper und schaukelte leicht vor und zurück, so als könnte er sich selbst Schutz und Geborgenheit geben. Er war das fleischgewordene Unglück. Wer immer ihm zu nah kam, musste dies mit dem Leben bezahlen. Die Göttinnen hatten ihn offenbar schon bei der Geburt verflucht haben. Er war der personifizierte Tod… Während Link sich immer tiefer in Schuldgefühle und Selbstmitleid hineinsteigerte, ließ Dark das innere Eis wieder wachsen. Nur langsam kehrte wieder Ruhe im Geist des jungen Mannes ein und Dark hievte sich auf die Füße. Seine Beine waren noch immer wackelig und er fühlte sich ausgelaugt, doch er war wieder ganz bei sich. Ja, vielleicht hatte er Fehler gemacht. Aber es hatte keinen Sinn, sich wegen unveränderlicher Dinge den Kopf zu zerbrechen. Es war deutlich klüger, sich Gedanken darum zu machen, wie er es wieder ausbügeln oder zumindest verhindern konnte, die Fehler der Vergangenheit zu wiederholen. Die Treppe zum ersten Stock hinaufsteigend, beschloss Dark, in der Mittelwelt nach den Doppelgängern seiner Eltern zu suchen und ihnen gutzumachen, was er Arn und Medila angetan hatte. Er würde ein Bilderbuchsohn sein. Es gab nur noch eine letzte Gräueltat an seinem eigenen Doppelgänger, die er begehen musste. Danach würde er seine zweite Chance ergreifen, ein guter Mensch zu sein und ein Leben zu führen, auf das er stolz sein konnte. Nie wieder würde er einer geliebten Person ein Leid zufügen! Oben angekommen, warf Dark zuerst einen Blick in sein Kinderzimmer. Seine kleinen Holzsoldaten standen noch immer vor dem Bett auf dem Boden, so als warteten sie darauf, dass er jeden Moment zurück nach Hause kam und wieder mit ihnen spielte. Mit nachdenklicher Miene ging der junge Mann vor den Begleitern seiner kurzen Kindheit in die Knie und berührte andächtig die Figuren, die sein Vater selbst geschnitzt hatte. Es war unverkennbar, von wem Dark sein Talent für den Umgang mit Holz geerbt hatte. Ebenso war nicht zu übersehen, wie sehr Arn seinen Sohn geliebt hatte. Die aufwendigen Detailarbeiten mussten ihn Wochen oder gar Monate an Arbeitszeit gekostet haben. Ein winziges Lächeln schlich sich auf Darks Lippen, als er begann, die hölzernen Soldaten in ihren Setzkasten einzuordnen, den Arn zusätzlich gebaut hatte. Die kleinste Figur drehte Dark einige Herzschläge lang nachdenklich zwischen den Fingern, bevor er entschied, dass er kein Andenken brauchte, und auch den letzten Holzsoldaten im Kasten platzierte. Anschließend sah er sich noch einmal in seinem Zimmer um und prägte sich jedes Detail ein. Erst danach trat er über den Flur ins Schlafzimmer von Arn und Medila. Die Leichen der Beiden waren inzwischen zu Skeletten vermodert, lagen jedoch noch immer genau dort, wo Dark sie zurückgelassen hatte. Leichte Kratzer auf der Oberfläche der Knochen ließen den jungen Mann vermuten, dass sich Ratten am Fleisch seiner Eltern gütlich getan hatten. Es hatte also doch noch ein paar der kleinen Nager in Hyrule-Stadt gegeben. Sie hatten sich nur zu gut versteckt, um gejagt werden zu können. Dark hockte sich neben den Überresten seines Vaters auf den Boden. Das eingetrocknete Blut hatte die Bodendielen so dunkel gefärbt, dass sie wie edles Mooreichenholz wirkten. Nachdenklich strich Dark über Arns Oberschenkelknochen. Eine Kerbe kurz oberhalb des Knies verriet, wo der Steppenreiter Arn verletzt hatte, als dieser vor etlichen Jahren Link vor den Dämonen beschützt hatte. Trotz seines vorherigen Gefühlsausbruchs fühlte Dark nun nichts außer einem Hauch Melancholie. Es war fast als hätte er endlich seinen Frieden mit dem Tod seiner Eltern gemacht. Nachdem er eine Weile neben dem Skelett seines Vaters auf dem Boden gesessen und sich an schöne Momente seiner Kindheit erinnert hatte, stand Dark wieder auf und begann, die Knochen seiner Eltern in ihr Bett zu tragen. Dort legte er sie so auf die Matratze als wären Arn und Medila friedlich und händchenhaltend im Schlaf verstorben. Dann warf er ihnen ihre Bettdecke über und betrachtete sein Werk. Es war nicht perfekt, aber das Nächste an einer ordentlichen Bestattung, das er auf die Schnelle improvisieren konnte. Zufrieden streichelte Dark seinen Eltern noch einmal über die kahlen Schädel und küsste sie zum Abschied auf die Stirnen, so als hätte er sie lediglich zu Bett gebracht. Im Türrahmen warf Dark einen letzten Blick auf die Überreste der Beiden, dann wandte er sich ab und stieg die Treppe hinab. Als er wieder auf die Straße trat, hatte sich eine seltsame Ausgeglichenheit in Dark breit gemacht. Sie fühlte sich irgendwie anders an als seine sonstige, durch das Eis erzwungene Ruhe. Es kam dem jungen Mann so vor als hätte er ein wenig Ordnung in das Chaos seiner Vergangenheit gebracht – und er gedachte, dies fortzusetzen. Er war sich sicher, er würde seine zweite Chance in der Mittelwelt voll ausnutzen. Alles, was ihn noch von einem Neubeginn trennte, war ein einziger, unbedeutender Mord. Ungewohnt euphorisch trat Dark den Rückweg zur Kirche an. „Ich dachte schon, du hättest es dir anders überlegt und dich aus dem Staub gemacht.“ Der Maskierte saß auf den umgestürzten Überresten einer Ziersäule und beäugte Dark neugierig aus seinen roten Augen. Dieser trat mit einem halbseitigen Grinsen an den Schattenmann heran und tadelte scherzhaft: „Du solltest ein bisschen mehr Vertrauen in mich haben, wenn du mich mit einer derart wichtigen Aufgabe wie der Liquidierung des Herrn der Zeiten beauftragst.“ Der Maskierte stieß ein abfälliges Schnauben aus der Nase aus und stand auf. „Ich werde euch Menschen niemals trauen. Mit euren flatterhaften Gefühlen seid ihr viel zu unberechenbar.“ Dark zog eine Augenbraue in die Höhe und überlegte, ob er seinem Begleiter sagen sollte, dass er seit seinem Abstecher entschlossener denn je war, Ganons Auftrag auszuführen. Anstatt den anderen Mann so tief in seine Seele blicken zu lassen und womöglich unerwünschte Fragen zu provozieren, entgegnete Dark jedoch nur: „Dann hast du ja richtiges Glück, dass du ausgerechnet mich in die Mittelwelt eskortieren sollst.“ „Ach ja?“ Ganons Schatten hatte sich bereits in Bewegung gesetzt und strebte auf die schwer aussehende Eingangstür der Zitadelle zu Leichtfüßig zu ihm aufschließend, nickte Dark. „Ja. Ich habe keine Emotionen, keine Skrupel.“ Der Blick, den er für diese Worte von seinem Begleiter erntete, fragte deutlich, wem er etwas vormachen wollte. Netterweise schwieg der Maskierte jedoch und stieß die Fronttür auf, anstatt eine Diskussion über Darks Gefühlswelt zu beginnen. Das Innere der Kirche roch nach Staub und Kerzenwachs, obwohl die letzte Messe schon Jahrzehnte zurückliegen musste. Arn hatte Link mal erzählt, dass die Bewohner des Schattenreichs einst wahre Glaubensfanatiker gewesen waren. Doch als sich über die Jahrhunderte hinweg immer deutlicher gezeigt hatte, das die Göttinnen sich von der Schattenwelt abgewandt hatten, waren nach und nach immer mehr Menschen vom Glauben abgefallen, bis die Kirchen und Tempel schließlich leer geblieben waren. Ein Schauer rieselte Darks Rückgrat hinab, als der junge Mann registrierte, dass das Kirchenschiff völlig ausgeschlachtet worden war. Offenbar waren die Menschen auf ihrer Suche nach Brennholz und Tauschmaterial nicht davor zurückgeschreckt, die Zitadelle zu plündern. Obwohl Dark die Göttinnen mit jeder Faser seines Seins verabscheute und sie für ihre Gleichgültigkeit gegenüber dem Schattenreich abgrundtief hasste, empfand er das Ausrauben der Kirche dennoch aus Gründen, die ihm selbst nicht klar waren, als Frevel. Während er seinem Begleiter in den hinteren Teil der Zitadelle folgte, gestand Dark sich ein, dass er sich trotz allem, was er schon erlebt hatte, an die regelrecht kindliche Hoffnung geklammert hatte, dass den Bewohnern der Schattenwelt noch immer irgendetwas heilig war. Zu erkennen, dass dem nicht so war, ließ seine Heimat noch kälter als zuvor auf den jungen Mann wirken. Den Kopf über sich selbst schüttelnd, trat Dark neben den Schattenmann, der vor einem Loch in der gegenüberliegenden Wand stehen geblieben war. Als er Darks fragenden Blick bemerkte, erklärte der Maskierte: „Dies ist das Steinportal, von dem ich dir zuvor erzählt habe. Mein Meister hat diesen Durchbruch hineingerissen.“ Dark maß die Dicke der Steinplatte mit den Augen und stieß einen anerkennenden Pfiff aus, während er stumm registrierte, dass der Schattenmann ihm offenbar Angst vor Ganons Macht machen wollte. Aber wozu? Fürchtete der Dämonenprinz sich etwa vor dem Assassinen aus dem Schattenreich? Oder wollte der Maskierte seine Niederlage im Blickduell wieder wettmachen, indem er die Stärke seines Meisters betonte? Ohne sich seine Grübelei anmerken zu lassen, deutete Dark mit einer Kopfbewegung auf den Raum hinter dem Loch. „Das Schwert ist da drin?“ Der Schattenmann nickte und forderte seinen Begleiter mit einer Handgeste auf, vorzugehen, Dark tauchte mit einer geschmeidigen Bewegung durch den Durchbruch und staunte nicht schlecht. Die Halle dahinter war fast perfekt rund und hob sich durch viele, flache Plateaus, die sich in konzentrischen Kreisen zur Mitte hin verjüngten, zur Decke empor. Ganz oben glänzte das schönste Schwert, das der junge Mann je gesehen hatte, im Licht der Sonne, das durch mehrere Kristallfenster fiel. Während Dark noch diesen erhabenen Anblick bestaunte, schob sich der Schattenmann wortlos an ihm vorbei und stieg die Podeste hinauf. Dabei erklärte er: „Dies ist der Schlüssel zur Mittelwelt, den die Göttinnen zurückgelassen haben. Niemand weiß genau, warum sie das getan haben, aber die gängigste Theorie ist, dass es ein Akt der Barmherzigkeit gewesen sein soll. Allerdings frage ich mich, was daran gutherzig sein soll, wenn dieser Notausgang nur von einem Auserwählten genutzt werden kann…“ „Ich würde es eher als den Höhepunkt einer langen Reihe an Demütigungen gegenüber dem unteren Drittel ihrer Schöpfung betrachten“, stimmte Dark zu und folgte dem Maskierten. Dabei klebte sein Blick ununterbrochen an der heiligen Waffe, so als ginge eine magnetische Anziehungskraft von ihr aus. Noch nie zuvor hatte Dark so ein edles Schwert gesehen… Die Parierstangen hatten die Form ausgebreiteter Schwingen eines stolzen Raubvogels, das Heft war mit weichem Wildleder gepolstert und die wie poliert glänzende Schneide wirkte bereits beim bloßen Ansehen rasiermesserscharf. Das Auffälligste war jedoch die Farbe: Alles an diesem Schwert war von einem derart dunklen Schwarz, das es den Anschein erweckte, sämtliches Licht der Umgebung zu absorbieren. Einzig der diamantförmig geschliffene Bergkristall, der unterhalb der Parierstangen in den Griff eingelassen worden war, und das silberne Band, mit dem die Heftpolsterung befestigt worden war, brachten ein wenig Abwechslung in das Nachtschwarz. Der Maskierte bemerkte Darks Faszination und lachte keckernd in sich hinein. „Das Master-Schwert der Schattenwelt – eine herrliche Waffe… Früher war es eine Klinge des Lichts, doch seit Ganon es mit seinem Zauber belegt hat, ist es eine Waffe der Dunkelheit. Das ist deutlich passender für das heilige Schwert dieser Welt, findest du nicht?“ Geistesabwesend nickend streckte Dark eine Hand nach dem Schwertheft aus – und bekam einen Schlag! „Au!“ Als hätte er sich verbrannt, riss der junge Mann den Arm zurück und starrte die Klinge empört an, was seinen Begleiter offen lachen ließ. „Hast du mir nicht zugehört? Ich sagte dir doch, dass nur ein Auserwählter Ganons das Schwert berühren kann.“ Dark zog ein mürrisches Gesicht und schüttelte seine schmerzende Hand aus. „Das war mir entfallen. Sag mir: Wie werde ich denn zu Ganons Auserwähltem?“ Der Maskierte klang ziemlich selbstgefällig, als er erklärte: „Dafür brauchst du meine Hilfe. Ich werde wieder meine Schattengestalt annehmen und mit dir verschmelzen, bis wir in der Mittelwelt sind.“ Dieser Gedanke behagte Dark überhaupt nicht. Abwehrend die Arme vor der Brust verschränkend, fragte er: „Ist das wirklich nötig? Gibt es keine andere Alternative?“ Der Schattenmann schien hinter seiner Maskierung zu grinsen, als er antwortete: „Mir gefällt das auch nicht. Aber es ist leider die einzige Möglichkeit.“ „Na schön…“, gab Dark nach. „Aber verrate mir vorher noch etwas.“ Aufhorchend hielt der Schattenmann in seinem bereits begonnenen Auflösungsprozess inne, sodass er wirkte wie aus Rauch geschaffen. „Was denn?“ „Warum hat Ganon das Schwert nicht selbst herausgezogen, wenn es doch offenbar seinen Befehlen folgt?“ Der Maskierte ließ sich vollständig zu einem Schatten werden und verschmolz mit der Umgebung. Dadurch wirkte es als käme seine Stimme aus allen Richtungen gleichzeitig, als er antwortete: „Meinem Meister ist es gelungen, das Schwert zu korrumpieren. Doch das ändert nichts daran, dass es nur von einem Menschen aus dem Fels gezogen werden kann. Man könnte sagen, mein Meister hat es geschafft, die Ausrichtung der heiligen Klinge umzukehren, aber ihren grundlegenden Charakter konnte er nicht verändern.“ Mit diesen Worten stürzte er sich auf Dark, der noch dabei war, die neuen Informationen zu verarbeiten, und drang in den Körper des jungen Mannes ein. Dark keuchte vor Schreck und Schmerzen auf und fiel mit spastischen Zuckungen auf die Knie, als sich jede Zelle seines Leibes gegen den Eindringling zur Wehr setzte. Dieser lachte dunkel, was direkt hinter Darks Stirn widerhallte. „Du musst es zulassen, dann tut es nicht so weh.“ Dark quittierte diesen sarkastischen Ratschlag, indem er die Zähne festzusammenbiss und den Schattenmann in Gedanken verfluchte: „Fall tot um!“ Der rebellische Geist des jungen Mannes amüsierte den Maskierten sehr, weswegen er in vergnügtem Ton erwiderte: „Das würde dir jetzt auch nicht mehr helfen.“ Allmählich ließen die Krämpfe nach und Dark rappelte sich wieder auf. Eine angesäuerte Miene ziehend forderte er: „Dafür will ich eine Entschädigung bekommen, wenn wir in der Mittelwelt sind!“ Noch immer deutlich belustigt, antwortete die Stimme des Schattenmanns: „Hör auf, zu lamentieren und zieh das Schwert aus dem Stein. Denk dran: Je schneller du uns auf die andere Seite bringst, desto fixer bist du mich wieder los.“ Grimmig nickend wandte Dark sich der heiligen Klinge zu. Jede Bewegung seines Körpers fühlte sich auf einmal fremd und latent schmerzhaft an, so als hätte er einen mächtigen Muskelkater im ganzen Leib. Vor allem seine linke Hand pochte noch immer wie ein entzündeter Insektenstich. Dennoch streckte er sie ohne zu zögern wieder nach dem Schwertheft aus. Wie erwartet blieb der Schlag dieses Mal aus und Dark konnte den Griff fest umfassen. Dann atmete der junge Mann ein letztes Mal tief durch und zog das Schwert aus dem Fels. Im ersten Moment passierte gar nichts und Dark fragte sich bereits, ob er etwas falsch gemacht hatte. Doch dann schoss plötzlich eine Fontäne blauen Lichts aus dem Schlitz im Stein, wo zuvor die Klinge des Master-Schwerts gesteckt hatte. Das Licht hüllte Dark vollständig ein und blendete ihn so heftig, dass er sein Gesicht hinter einem Arm verbergen musste. Kurz darauf wurde der junge Mann von einer Art Kraftfeld erfasst, das ihn umherzuwerfen schien wie die Wellen einer tosenden See. Und dann hatte Dark das Gefühl, bodenlos ins Nichts zu stürzen… Kapitel 9: Feinschliff ---------------------- Panik breitete sich in Darks Körper aus. Auf was hatte er sich bloß eingelassen?! Er war sich sicher, er würde auf dem harten Stein unter ihm zerschmettert werden, sobald sich das Kraftfeld auflösen und ihn freilassen würde. Mit heftig schlagendem Herzen versuchte der junge Mann, einen Blick in die Tiefe zu werfen. Das allgegenwärtige, blaue Licht war jedoch dermaßen hell, dass Dark die Augen nicht einmal für eine Sekunde offenhalten konnte. Jeder Anlauf, seine Fallhöhe auszumachen, endete mit demselben Ergebnis: Ein stechender Schmerz schoss durch Darks Augäpfel bis in seinen Hinterkopf und der junge Mann kniff geblendet die Lider zusammen. Der Maskierte amüsierte sich königlich über die Angst seines Begleiters und lachte leise hinter Darks Stirn. „ Oh, hätte ich dich etwa warnen sollen, dass eine Überquerung einer Weltengrenze kein Zuckerschlecken ist? Das muss mir wohl entfallen sein… Ich wollt‘ es täte mir leid…“ Dark merkte, wie sich jede Faser seines Körpers bis zum Zerreißen anspannte, was seine innere Eisdecke aufsplittern ließ, und mörderische Wut seinen Nacken heraufkroch. Er hasste es, wenn es jemand wagte, Scherze über eine seiner Schwächen zu machen. Dann kam er sich nackt und schutzlos vor – und hilflos wollte er auf gar keinen Fall sein! Es war schlimm genug, dass er gegen die Gnadenlosigkeit seines Schicksals nichts hatte ausrichten können. Am liebsten hätte Dark den ungebetenen Gast umgehend aus seinem Körper geschmissen. Da er jedoch wusste, dass er dazu nicht in der Lage war, setzte er stattdessen zu einer zynisch-bissigen Entgegnung an. Doch bevor er dem Schattenmann detailliert ausbreiten konnte, für wie liebreizend er ihn hielt, ging ein Ruck durch Darks Leib, so als hätte er aus vollem Lauf abrupt abgestoppt, und er hatte auf einmal wieder das Gefühl, festen Boden unter den Füßen zu haben. Auch die blendende Helligkeit hinter seinen Lidern schien sich allmählich zurückzuziehen. „Ah! Da hast du es auch schon überstanden. Ein Glück, dass wir angekommen sind, bevor du reisekrank geworden bist.“ Die Gehässigkeit des Maskierten ließ den Zorn in Darks Magengegend explodieren und der junge Mann umklammerte das Schwertheft in seinen Händen derart fest, dass er glaubte, der stählerne Griff müsste zwischen seinen Fingern zerbrechen. Alles an ihm lechzte danach, den Schattenmann für seine Unverschämtheit zu bestrafen! Dieser bemerkte die rasende Wut, die in seinem Wirtskörper pulsierte, und höhnte: „Zu blöd, dass du mir jetzt nicht den Hals umdrehen kannst, was? Ich glaube, ich werde noch ein wenig länger in deinem Leib bleiben als vereinbart, damit du Gelegenheit hast, dich wieder zu beruhigen.“ Die Kiefer fest zusammenbeißend presste Dark zwischen den Zähnen hervor: „Irgendwann musst du da rauskommen – und dann kann dir nicht einmal mehr dein Meister helfen. Verlass dich drauf!“ Abseits seines Zorns machte die Wankelmütigkeit des Maskierten Dark Bauchgrimmen. Was, wenn Ganon genauso unzuverlässig war wie sein Schatten und Absprachen änderte wie es ihm gerade beliebte? Wie sollte Dark reagieren, wenn der Dämonenprinz Zelda immer wieder als Druckmittel einsetzen würde, damit Dark Dinge für ihn erledigte, obwohl Ganon in Wirklichkeit gar nicht vorhatte, die Beiden je zusammenzuführen? Der junge Mann schwor sich, Ganon notfalls eigenhändig zu töten, sollte dieser es wagen, seiner zweiten Chance im Weg zu stehen! Der Schattenmann schwieg verblüffender Weise zu diesen Gedanken und Dark überlegte, ob der andere endlich registriert hatte, dass er zu weit gegangen war und nicht über einen schwächlichen Schuljungen, sondern über einen ernstzunehmenden Gegner gescherzt hatte. Derlei Überlegungen verwarf der junge Mann jedoch schnell wieder, als er bemerkte, dass sich das blaue Licht inzwischen vollständig zurückgezogen hatte. Blinzelnd schlug Dark die Augen auf – und keuchte vor Überraschung. Er schien sich überhaupt nicht vom Fleck bewegt zu haben! Die Halle, in der er nun stand, sah auf den ersten Blick absolut identisch aus wie der geheime Raum in der Schattenweltzitadelle. Erst mit Verzögerung bemerkte Dark die unscheinbaren Unterschiede wie zum Beispiel die sieben Embleme, die in den Stein des untersten Treppenplateaus gemeißelt worden waren. Als er die Neugierde seines Begleiters spürte, erklärte der Maskierte: „Das sind die Zeichen der sieben Weisen. Aber die brauchen dich nicht weiter zu kümmern. Wir sollten uns lieber auf den Weg zu Ganon machen.“ Dark schob das schwarze Master-Schwert unter seinen Gürtel und stieg langsam die Plattformen herab, um auf den Ausgang zuzustreben. „Erzähl mir trotzdem mehr darüber.“ Sein Groll gegenüber dem Maskierten wurde durch seinen Wissensdurst vorerst zur Seite geschoben. Hinter der Stirn des jungen Mannes ertönte ein langgezogenes Seufzen, so als sei der Schattenmann unsäglich genervt von Darks Interesse. Dennoch erklärte er: „Vielleicht weißt du, dass die Mittelwelt wesentlich jünger ist als das Licht- und das Schattenreich. Sie entstand erst, als die Göttinnen den Abstand zwischen Schatten- und Lichtwelt vergrößerten und die Grenzen verstärkten. Du musst wissen, bis dahin war es relativ leicht gewesen, zwischen den Welten hin und her zu wechseln. Den Göttinnen, die ihre zierlichen Näschen gestrichen voll hatten davon, dass ständig Eindringlinge von dem Überfluss des Lichtreichs angelockt worden waren, reichte es jedoch nicht, nur den Weltenwechsel zu erschweren. Deshalb erschufen sie die Mittelwelt als zusätzliche Barriere zwischen Licht- und Schattenreich.“ „Und was haben diese sieben Weisen damit zu tun?“ Dark war inzwischen im Kirchenschiff angekommen und sah sich fasziniert um. Die Kirche sah nahezu genauso aus wie ihr Gegenstück aus der Schattenwelt. „Einige Bewohner des Lichtreichs waren mit der Politik der Göttinnen nicht einverstanden“, fuhr der Maskierte fort, während Dark drei riesige, funkelnde Edelsteine auf einem Altar bewunderte. „Diese Lichtwesen waren der Meinung, die Göttinnen seien unnötig grausam und versuchten, Din, Farore und Nayru dazu zu bewegen, Licht- und Schattenreich zu verschmelzen und eine Dämonendimension zu erschaffen, anstatt eine weitere Welt der Gefahr von Monsterübergriffen auszusetzen.“ „Klingt vernünftig“, pflichtete Dark bei und ließ seinen Blick zu einer erhöhten Bodenplatte mit dem Zeichen eines Weisen darauf gleiten. Was das wohl sein mochte? Statt sich danach zu erkundigen, fragte er jedoch: „Warum sind die Göttinnen auf diesen Vorschlag nicht eingegangen?“ Dark spürte das Schulterzucken des Maskierten in seinem Geist, als dieser antwortete: „Das weiß niemand. Möglicherweise reicht ihre Macht nicht zur Erschaffung einer ganzen Dimension. Ich persönlich glaube allerdings, dass sie den Luxus ihrer Lichtwelt schlicht und ergreifend nicht teilen wollten.“ „Hm-mh.“ Dark nickte, obwohl sein Begleiter dies nicht sehen konnte. Egoismus und Raffgier passten ziemlich gut zu dem Bild, das er sich im Laufe seines Lebens von den Göttinnen gemacht hatte. In seinen Augen waren Din, Farore und Nayru weitaus grausamer als so mancher Dämonenkönig. Der Schattenmann sprach unterdessen weiter: „Diese acht Lichtwesen konnten sich trotz ihres Versagens bei den Göttinnen nicht damit abfinden, dass die Mittelwelt schutzlos bleiben sollte. Warum sie allerdings derartige Gewissensbisse gegenüber den Bewohnern der Schattenwelt nie hatten, wird wohl auf ewig ihr Geheimnis bleiben…“ „Weil wir für die Lichtwesen der Abschaum der Schöpfung sind“, stieß Dark bitter aus. „Wir sind die schwarzen Schafe der Familie, die man aus Scham, so etwas in der Verwandtschaft zu haben, zu keinem Fest mehr einlädt.“ Der Neid auf die Bewohner der anderen Welten ätzte sich wie Säure durch das verletzte Herz des jungen Mannes, der nicht merkte, dass sein Begleiter seinen Hass auf die Göttinnen gezielt nährte, um ihn vollständig auf Ganons Seite zu ziehen. „Ja, da magst du Recht haben“, stimmte der Maskierte zu. „Doch was auch immer die Gründe für ihre Ignoranz dem Schattenreich gegenüber gewesen sein mögen, fest steht, dass diese acht Lichtwesen die Göttinnen dazu überredeten, das Triforce zu erschaffen. Dabei handelt es sich um ein mächtiges Relikt, das demjenigen, der es in den Händen hält, seinen innigsten Wunsch erfüllt. Anschließend haben sie sich von den Göttinnen in die Mittelwelt bringen ließen, wo sie das Wissen über das Triforce verbreiteten und mit ihren besonderen Fähigkeiten über die Bewohner dieses Reiches wachen.“ Dark lehnte sich neben dem Kirchenausgang gegen die Wand und erinnerte sich daran, dass Arn Link mal erzählt hatte, dass jeder Mensch je ein Gegenstück in den anderen beiden Welten hatte. Deswegen fragte er irritiert: „Also haben acht Bewohner der Mittelwelt ihren Lichtdoppelgänger hier herumlaufen? Sorgt das nicht für einige Verwirrung?“ „Nein. Hast du mir nicht zugehört?“, tadelte der Schattenmann. „Die Magie der Göttinnen kann keine Körper transferieren.“ „Also schweben die Lichtwesen jetzt körperlos durch die Gegend? Wie können sie dann die Welt vor irgendetwas beschützen?“ Der Maskierte stöhnte als hätte Dark eine seltendämliche Frage gestellt. „Die Lichtwesen bedienen sich einer ähnlichen Strategie wie mein Meister. Sie nisten sich in den Körpern ihrer Doppelgänger ein. Allerdings unterwerfen sie die eigentlich in den Leibern hausenden Seelen nicht, sondern melden sich erst, wenn sie gebraucht werden. Wenn einer der Körper stirbt, kehrt die unsterbliche Seele des Lichtwesens kurzfristig in das Lichtreich zurück und wartet dort auf die Wiedergeburt seines Doppelgängers.“ „Verstehe.“ Dark wollte sich bereits von der Wand abstoßen und die Zitadelle verlassen, als ihm etwas auffiel. „Warte! Du sagtest, es gäbe sieben Weise, aber acht Lichtwesen in der Mittelwelt. Was ist mit dem Achten?“ „Das ist“, der Schattenmann klang als grinse er süffisant, „der Herr der Zeiten.“ Wie vom Donner gerührt, erstarrte Dark in der Bewegung. Wenn er Ganons Auftrag ausführte, würde er auf einen Schlag zu dem einzigen Link seiner Generation werden… Auf einmal fühlte sich das Ausmaß der Mission deutlich schwerwiegender als bislang an und Dark musste unwillkürlich daran denken, wie er als Kind davon geträumt hatte, eines Tages zusammen mit seinen Doppelgängern zu spielen. Plötzlich erschien es ihm noch falscher als zuvor, den Herrn der Zeiten zu töten. Doch dann stahl sich Zeldas Antlitz vor sein geistiges Auge und sein innerer Widerstand gegenüber Ganons Aufgabe fiel in sich zusammen wie ein Kartenhaus. Mit seiner Frau zusammen sein zu können, war für ihn jedes Opfer wert – selbst, wenn er ganz genau wusste, dass es eigentlich nur eine Illusion war. Dennoch konnte er das penetrante Gefühl nicht abschütteln, sich in ein riesiges Schlamassel manövriert zu haben… Dieser Eindruck verstärkte sich sogar noch, als Dark und sein Körper besetzender Begleiter die Zitadelle verließen. Das Hyrule-Stadt der Mittelwelt war ein Schock! Fast alle Häuser waren zu Ruinen verfallen, vom Marktplatz wehte der Gestank von verfaulendem Fleisch herüber und sogar der Himmel hatte sich zu einem bedrohlich wirkenden Schwarzlila verfärbt. Dark fragte sich erneut, ob der Maskierte ihn in die Irre geführt hatte und er sich in Wirklichkeit gar nicht in der Mittelwelt, sondern noch immer im Schattenreich oder irgendeiner Dämonendimension befand. Doch was hätte der Schattenmann davon, ihm etwas vorzugaukeln? Dieser bemerkte die Zweifel des jungen Mannes und sagte mit einem enervierend-amüsierten Unterton in der Stimme, für den Dark ihn am liebsten geschlagen hätte: „Ich weiß, was du denkst. Aber du kannst dich wieder beruhigen. Ganon hat an der Hauptstadt der Mittelwelt lediglich ein Exempel statuiert, um den Rest des Reiches daran zu erinnern, dass Folgsamkeit dem Großmeister gegenüber stets von Vorteil ist.“ Ein ironisches Lachen ausstoßend antwortete Dark: „Welch poetische Umschreibung dafür, dass Ganons Regierungsstrategie auf Terror und Furcht fußt!“ Der Maskierte klang regelrecht eingeschnappt, als er entgegnete: „Die Bewohner der Mittelwelt sind außerordentlich stur und konservativ und ihr Glaube an die Göttinnen ist felsenfest. Ohne ein wenig Gewalt bringt man sie niemals dazu, sich neuen Perspektiven zu öffnen.“ „Dabei will Ganon natürlich nur das Beste für sie…“ Der Zynismus in Darks Stimme war nicht zu überhören, was den Schattenmann dazu veranlasste, einen hissenden Zischlaut der Empörung auszustoßen. Während Dark mit schnellen Schritten über den zentralen Stadtplatz eilte und den durch die Gassen schlurfenden Zombies auswich, dachte der junge Mann, dass die Bewohner der Mittelwelt vom Regen in die Traufe geraten waren. Der Glaube an die Göttinnen musste seiner Meinung nach zwangsläufig in Enttäuschung und Frustration enden und war deswegen abzulegen – da stimmte Dark mit seinem Begleiter überein. Ein brutaler Despot war in seinen Augen jedoch kein geeigneter Ersatz. Wobei die Mittelwelt auch gar keinen Lückenfüller für eine überholte Religion brauchte, fand Dark. Wenn es nach ihm gegangen wäre, hätten die Bewohner des Mittelreichs sowohl auf ihren Glauben wie auch auf die Gefolgschaft Ganon gegenüber verzichtet. Seiner Meinung nach sollte jeder der Schmied seines eigenen Glückes sein – ohne dabei Rücksicht auf andere Richtlinien als die des guten Zusammenlebens nehmen zu müssen. Plötzlich stahl sich ein Bild vor Darks geistiges Auge, wie er die Welt von der Geißel Ganons befreite und den Bewohnern absolute Freiheit brachte. Sein Herz machte einen zusätzlichen Schlag vor Begeisterung, doch der junge Mann verdrängte jeden Gedanken an diese Idee, bevor der Schattenmann in seinem Inneren etwas davon bemerken konnte. Dieser lotste ihn mit knappen Anweisungen zum Nordende der Stadt, dorthin, wo im Schattenreich das Anwesen der reichen Familie gestanden hatte. Dark erinnerte sich nur noch schemenhaft an das Blutbad, das er in der protzigen Villa angerichtet hatte. Trotz der eisigen Ruhe, mit der er damals vorgegangen war, war er während der Morde völlig außer sich gewesen. Er hatte dermaßen neben sich gestanden, dass es sich für den jungen Mann so anfühlte als hätte jemand anderes diese abscheulichen Taten begangen und er wäre nur ein unbeteiligter, machtloser Zeuge gewesen. Als hätte er nur eine besonders real wirkende Theateraufführung gesehen. Dementsprechend fiel es Dark nicht sonderlich schwer, die Bilder seiner Vergangenheit abzustreifen und sich stattdessen auf seine Umgebung zu konzentrieren. Am Horizont ragte eine beeindruckende, schwarze Burg mit imposanten Türmen in den dunklen Himmel hinauf. Als wäre es noch nicht abschreckend genug, dass das Bauwerk selbst wie ein uneinnehmbares Bollwerk aussah, zog sich ein breiter Lavagraben rund um die Festung und machte sie auf den ersten Blick unerreichbar. Dark schaute sich die Umgebung ein wenig intensiver an und erschauerte innerlich. Soweit die Augen reichten, war kein Lebewesen zu sehen. Nicht einmal eine einzige Pflanze wuchs zwischen den Mengen an Sand und Felsgestein, die die Landschaft dominierten. Die Gegend wirkte absolut tot. Es hatte fast den Anschein als hätte es hier niemals ein Anzeichen für Leben gegeben. Selbst die Wüste des Schattenreichs war weniger trostlos gewesen als dieses verödete, tote Land. Um sich von der Stimme in seinem Hinterkopf abzulenken, die Dark eindringlich davor warnte, Ganons Wunsch zu entsprechen und den Herrn der Zeiten zu töten, frotzelte der junge Mann: „Wenn man sich hier umschaut, könnte man glatt den Eindruck gewinnen, Ganon fürchte sich vor irgendetwas oder -jemandem. Jedenfalls betreibt er einen beeindruckenden Aufwand, um sich zu verschanzen.“ „Mein Meister hat vor nichts und niemandem Angst! Er schätzt lediglich die Einsamkeit und will sichergehen, dass ihn niemand unbefugt stört“, zischte die aufgebrachte Stimme des Maskierten in Darks Kopf. Dark suchte nach einer bissigen Bemerkung, doch seine Schlagfertigkeit zerplatzte wie eine Seifenblase, als sich plötzlich eine Rauchsäule an seiner Schulter bildete. Erschrocken riss der junge Mann die Augen auf und starrte wie gelähmt auf den schwarzen Qualm, der direkt aus seinem Körper zu kommen schien. Was im Namen der Göttinnen war das?! Noch bevor Dark sich von seinem Schrecken erholen konnte, materialisierte sich der Rauch zum Arm des Schattenmannes, der aus Darks Leib herausragte. Mit heftig schlagendem Herzen beobachtete Dark wie sich die Handfläche des Maskierten zur Festung ausrichtete und einen Strahl dunkler Energie zu einem Kristall neben dem Eingangstor herüberschießen ließ. Obwohl der Schattenmann sich ausschließlich der eigenen Magie bediente, wurde Darks Körper von einem intensiven Kribbeln erfasst und der junge Mann wäre am liebsten davongelaufen. Es fühlte sich an als säßen Millionen winziger, umherwuselnder Ameisen direkt unter seiner Haut. Das angsteinflößende Schauspiel dauerte jedoch zum Glück nur wenige Augenblicke, dann löste sich der Arm wieder auf und zog sich in seinen Wirtskörper zurück. Nur ein paar Herzschläge später schob sich auf einmal eine Brücke über den Lavagraben und gab den Weg zum Burgeingang frei. Dark atmete tief durch und sammelte sein gesamtes Selbstbewusstsein, bevor er mit geradem Rücken, gestraften Schultern und hoch erhobenem Haupt auf den Einlass zu marschierte. Er war fest entschlossen, Ganon von Anfang an zu zeigen, dass er kein Bediensteter war und die Erledigung des Auftrags des Dämonenprinzen nur deswegen in Erwägung zog, weil die Mission seinen eigenen Interessen entgegenkam. Ganon sollte spüren, dass er es bei Dark mit einem Geschäftspartner, nicht mit einem Lakaien zu tun hatte. Das Innere der Festung war von einer eigentümlichen Mischung aus Prunk und Funktionalität beherrscht. Überall lagen blutrote Langflorteppiche, die jedes Geräusch von Darks Schritten schluckten. Doch was aussah wie protzige Zierstatuen, erwies sich bei genauerer Betrachtung als eine Reihe gefährlicher Steinzyklopen, die jedem Eindringling Strahlen magischen Feuers entgegenschleuderten. Während er sich von dem Schattenmann in den höchsten Turm dirigieren ließ, fragte Dark sich erneut, warum jemand, der derart mächtig sein sollte wie der Maskierte es über Ganon behauptete, so viele Sicherheitsmaßnahmen brauchte. Entweder war die schier unermessliche Stärke des Dämonenprinzen nur Legende oder Dark unterschätzte dessen Rivalen, den Herrn der Zeiten. Die unendlich wirkende Treppe zu Ganons Thronsaal hinaufsteigend, fragte sich der junge Mann, ob er sich den Kampf gegen seinen Doppelgänger womöglich zu einfach vorstellte. Doch wie sollte jemand, der körperlich mit ihm identisch war, kräftiger sein als er selbst? Er hatte immerhin den Großteil seines Lebens kämpfend verbracht und eine ausgezeichnete Ausbildung genossen. Ob dasselbe für den Link dieser Welt galt? Brennende Neugierde breitete sich in Dark aus, aber er schob sie bestimmt zur Seite, als er endlich das Ende der Treppe erreichte und vor einer gewaltigen, metallbeschlagenen Tür stehenblieb. „Klopf an und warte, bis mein Meister dich hereinruft, um ihm Respekt zu zollen“, riet der Maskierte mit eindringlicher Stimme. Dark zog die Unterlippe zwischen die Zähne und lauschte auf die Klänge einer Orgel, die durch den Turm schallten. Es war vermutlich das Klügste, Ganon nicht zu verärgern, doch jegliches unterwürfiges Verhalten war Dark zuwider. Selbst Shadow hatte er sich nur deswegen untergeordnet, weil er den alten Assassinen bewundert und respektiert hatte. Der Gedanke an seinen ehemaligen Lehrer schnürte Dark die Luft ab und ließ ihn impulsiv handeln. Vom empörten Aufschreien des Schattenmanns begleitet, riss der junge Mann ohne Klopfen die Tür auf und marschierte schnurstracks in den Raum, so als gehöre ihm die Burg. Er achtete Ganon nicht. Weshalb also sollte er ihm Respekt zollen? Der hünenhafte Mann, der vor einer gigantischen, aus Gold und Stahl gefertigten Orgel saß, stellte sein Spiel ein und wandte mit einem zornigen Gesichtsausdruck den Kopf, um den impertinenten Eindringling in Augenschein zu nehmen. „Wer hat dir erlaubt, einzutreten?“ Ganons Stimme klang fast genauso wie die seines Schattens, wirkte jedoch voller. Offenbar verlieh ihr der vollständig menschliche Leib einen größeren Resonanzkörper, was zu einem weitreichenderen Hall führte. Der Maskierte löste sich so schnell wie möglich aus Darks Leib und ließ den jungen Mann vor Schmerzen aufstöhnen. Es fühlte sich an als würden seine innersten Organe mit einem Ruck aus seinem Körper gerissen. Anscheinend hatte sein Leib sich inzwischen an die Anwesenheit des Schattenmanns gewöhnt und wollte diesen nun nicht wieder hergeben. „Vergebt mir, Meister. Ich konnte ihn nicht aufhalten.“ Dark war bei dem kriecherischen Ton des Maskierten überrascht, dass der Schattenmann keinen Bückling machte. Ganon drehte sich auf seinem Klavierhocker vollständig zu seinen Gästen herum und durchbohrte seinen Diener mit einem stechenden Blick aus seinen bernsteinfarbenen Augen. „Ah, mein Phantom. Du bist noch immer ein Fehlschlag, wie ich sehe. Wenigstens hast du mir den richtigen Schattenweltler gebracht.“ Dann wedelte Ganon einmal mit der Hand und der Maskierte verpuffte mit einem leisen Schrei. Alles, was von ihm zurückblieb, war ein schwarzer Ring auf dem Teppich, der aussah als hätte man einen Bannkreis in die Wolle gebrannt. Dark, der noch immer mit den Austrittsschmerzen kämpfte, riss schockiert die Augen auf. Er hatte seinen Begleiter zwar nicht sonderlich gemocht, dennoch empfand er das Ende des Schattenmanns als ungerechtfertigt grausam. Ganon ließ seinen Blick zu Dark herüberwandern und musterte den jungen Mann so intensiv, dass dieser sich plötzlich nackt fühlte. Trotzig das Kinn vorreckend straffte Dark die Schultern und starrte so unbewegt wie möglich zurück. Nach einem langen Moment verzog Ganon die vollen Lippen zu der Andeutung eines Lächelns und er wandte sich wieder seiner Orgel zu. Über die Schulter hinweg fragte er Dark: „Du weißt, was von dir erwartet wird?“ Der junge Mann biss die Zähne fest zusammen und versuchte, die brodelnde Wut darüber, wie ein Diener behandelt zu werden, zu ignorieren. Wenn er Ganon die Stirn bieten wollte, durfte er sich keinerlei Gefühlsregung anmerken lassen. „Ich bin hier, weil man mir sagte, du hättest mir ein Angebot zu machen.“ Dark war selbst überrascht, dass er es bewerkstelligte, seine Stimme eben und fest zu halten. Der Klavierhocker quietschte leise, als Ganon sich wieder umdrehte und sein Gegenüber mit neuem Interesse betrachtete. Seine Mundwinkel zuckten, bevor er schließlich in schallendes Gelächter ausbrach. „Wie ich sehe, hat man mir einen rebellischen Geist ins Haus geholt.“ „Einen rebellischen Geist mit einem scharfen Schwert.“ Ein wölfisches Grinsen huschte über Dark, als er ganz bewusst diese Formulierung wählte, die gleichzeitig eine Preisung seiner Fähigkeiten als Assassine und eine Drohung sein konnte. Eine Augenbraue in die Höhe ziehend sagte Ganon: „Ich habe keine Lust, meine Zeit mit der enervierender Protzerei eines einfachen Meuchelmörders zu verschwenden. Deswegen lass es uns kurz und knapp machen: Nimmst du den Auftrag an?“ Die Gelassenheit des Dämonenprinzen ließ Dark einen Schauer über den Rücken laufen. Ganon wirkte so selbstsicher als hegte er keinerlei Zweifel daran, dass ihm niemand etwas anhaben konnte. Vielleicht hatte er seine Burg aus nostalgischen Gründen wie eine Todesfestung entworfen und nicht aus Angst? Hatte das Schloss seines Vaters womöglich ähnlich ausgesehen? Obwohl sich nervöse Anspannung in Dark breit machte, bemühte sich der junge Mann um einen latent hochnäsigen Tonfall, um deutlich zu zeigen, dass er sich nicht einschüchtern ließ: „Wenn die Bezahlung stimmt, ja.“ Ganon nickte und ließ seinen Blick zu den bodentiefen Buntglasfenstern schweifen, die sich wie ein Kaleidoskopgürtel um den ganzen Raum zogen. „Du willst die Prinzessin, richtig? Zelda?“ Der Titel irritierte Dark noch immer, doch auch dieses Mal fragte er nicht nach, warum sein Gegenüber Zelda eine Prinzessin nannte. Stattdessen entgegnete er: „Ja. Kannst du mir eine Zukunft mit ihr garantieren?“ „Sicher.“ Ganon streckte seine langen Beine aus und zog ein genervtes Gesicht. Offenbar langweilte ihn diese Unterhaltung zusehends. Dennoch fragte Dark nach: „Ist sie hier? Kann ich sie sehen?“ „Nein. Aber ich werde dafür sorgen, dass du ihren Aufenthaltsort erfährst, sobald du den Herrn der Zeiten getötet hast.“ Mit diesen Worten schwang der Dämonenprinz sich auf die Beine und strebte an Dark vorbei auf die Tür zu. Über die Schulter hinweg rief er diesem zu: „Aber bis du Link gegenübertreten kannst, brauchst du noch ein wenig Feinschliff. Komm mit.“ Für einen Moment gaffte Dark Ganon verdattert hinterher. Von was redete er? Und konnte man ihm trauen? Dark wurde das Gefühl nicht los, dass der Dämonenprinz versuchte, ihn übers Ohr zu hauen. Seine Versicherung, dass Dark eine Zukunft mit Zelda haben würde, war zu schnell gekommen und hatte einen merkwürdigen Unterton gehabt. Irgendetwas war faul an der ganzen Sache, das spürte Dark deutlich. Doch konnte er es riskieren, die letzte Chance auf ein Leben mit Zelda zu verbauen, indem er Ganon verprellte? Vielleicht irrte er sich ja und sein schlechtes Gefühl entsprang allein der Tatsache, dass er eine natürliche Abwehr Dämonen gegenüber hegte? Mit einem Knurren wirbelte Dark um die eigene Achse und folgte Ganon die Treppe hinab. Er würde nie herausfinden, was vor sich ging, wenn er nur herumstand und Löcher in die Luft starrte! Dark ließ sich von Ganon über so viele nach unten führende Treppen und durch eine derart große Anzahl verschiedener Gänge und Räume führen, dass der junge Mann die Orientierung verlor. Befanden sie sich im Ost- oder doch im Nordflügel? Und waren sie in einem ebenerdigen Stockwerk oder schon im Keller? Dark wusste es nicht. In diesem Teil der Burg gab es nicht mal Fenster, die es Dark erleichtert hätten, sich zurechtzufinden, und zu allem Überfluss glichen sich die gewölbeartigen Zimmer der Festung wie ein Ei dem anderen. Mit einem Seufzen gestand Dark sich ein, dass er nicht einmal sagen konnte, ob sie womöglich schon seit Minuten im Kreis liefen. Gerade, als der junge Mann Ganon fragen wollte, ob er sich möglicherweise in seiner eigenen Burg verlaufen hatte, stieß dieser die Tür zu einer riesigen Halle auf und die Worte blieben Dark im Hals stecken. Der weitläufige, kreisrunde Raum sah aus wie ein Kolosseum – es gab sogar Zuschauerränge! „Was ist das?“ Dark drehte sich staunend um die eigene Achse und ignorierte, dass seine Stimme seine Überwältigung verriet. Ganon ließ seinen Blick schweifen als nähme er seine Umgebung erst jetzt wahr und zuckte mit den Schultern. „Auch der Herrscher einer ganzen Welt braucht ab und an ein wenig Amüsement.“ Darks Augen zuckten zu dem Dämonenprinzen herüber und der junge Mann unterdrückte mit Mühe ein Schaudern. Ganon ließ zu seinem persönlichen Spaß Kämpfer gegeneinander antreten? Ob es sich bei diesen Schlachten um Kämpfe auf Leben und Tod handelte? Abscheu dem Dämonenprinzen gegenüber machte sich in Dark breit und ließ ihn unwillkürlich die Nase rümpfen. Der junge Mann wusste zwar, dass er selbst bereits getötet hatte, aber er hatte niemals Freude dabei empfunden. Tatsächlich war sein Geist dabei entweder von unkontrollierbarer Wut vernebelt oder von eisiger Leere erfüllt gewesen. Dark konnte sich nicht daran erinnern, je ein Leben beendet zu haben, während er sich selbst gespürt hatte. Doch machte ihn das besser als Ganon? Oder bedeutete dies nur, dass sein eigentliches Ich, Link, ein reineres Wesen, er als Dark jedoch genauso verderbt war wie der Dämonenprinz? Dem jungen Mann dröhnte der Kopf, als er versuchte, diese Fragen zu erörtern. Er fühlte sich auf einmal zerrissen und ausgefranst. Bislang war er immer davon ausgegangen, dass die Namensunterscheidung ihm nur dazu diente, die Erinnerung an den unbedarften Jungen, der er einst gewesen war, nicht zu beflecken und Distanz zu seiner verlorenen Vergangenheit zu schaffen. Allmählich bekam er jedoch das Gefühl, tatsächlich gespalten zu sein. Konnte das sein? Hatte er wirklich zwei Seiten? Zwei Persönlichkeiten? Von plötzlicher Panik erfasst, schob Dark derlei Gedanken schnell beiseite und eilte Ganon hinterher. Es war allerhöchste Zeit, dass er diesen letzten Auftrag erledigte und zur Ruhe kam, bevor er sich noch völlig verlor… Ganon hatte inzwischen eine Reihe enger Zellen auf der gegenüberliegenden Hallenseite erreicht und war vor einem der Kerker stehengeblieben. Dark trat an ihn heran und betrachtete den darin befindlichen Mann, der sich in einer Ecke auf einem Strohhaufen zusammenkauerte. Der Gefangene war sehr groß und schien eine ähnliche Statur zu haben wie der Dämonenprinz, der mit seinem stämmigen Rumpf und den breiten Schultern eine imposante Erscheinung war. Am Körper des Fremden hingen zerfetzte Lumpen, die aussahen als wären sie einst prachtvolle Kleider gewesen, und das lange, dunkelblonde Haar war von grauen Strähnen durchzogen und verfilzt. „Wer ist das?“ Dark konnte sich keinen Reim darauf machen, weshalb Ganon ihn zu diesem Gefangenen gebracht hatte, nachdem er davon gesprochen hatte, Dark brauche noch Feinschliff, bevor er gegen den Herrn der Zeiten antreten konnte. Die Mimik des Dämonenprinzen blieb völlig unbewegt, doch seine Augen loderten auf wie ein neuentfachtes Feuer, als er antwortete: „Dies ist der ehemalige König der Mittelwelt. Er wird dein Trainingspartner sein.“ Bevor Dark nachfragen konnte, worin sein Training bestehen sollte, hob der Gefangene den Kopf und Schattenweltler vergaß schlagartig, was er hatte sagen wollen. Shadow! Der Schock, seinem ehemaligen Lehrer und Schwiegervater ins Gesicht zu sehen, war derart immens, dass Dark zurücktaumelte als hätte ihn jemand geschubst. „Das… Das kann nicht sein…“ Jegliche Farbe wich aus dem Gesicht des jungen Mannes und er hatte das Gefühl, zu ersticken. Sein Hirn weigerte sich strikt, zu verarbeiten, was seine Augen sahen. „Du kennst seinen Schattenwelt-Doppelgänger?“, fragte Ganon in süffisantem Ton. „Das hätte ich mir aber auch denken können, wo du dich so sehr für Zelda interessierst… Ich hoffe, du hast dich nicht zu sehr erschrocken.“ Wie benebelt wandte Dark den Kopf und starrte den Dämonenprinzen fassungslos an. Das Funkeln in Ganons Augen verriet, dass er bestens Bescheid wusste, was zwischen Dark und seinem Schwiegervater vorgefallen war, und er den jungen Mann genau deswegen zu diesem Gefangenen geführt hatte. Das breite Grinsen in seinem Gesicht zeigte deutlich, dass Ganon mehr als zufrieden war mit seinem Plan und Darks Reaktion. Was für ein Monster! Dark wollte angewidert zurückweichen, doch in diesem Moment stürzte der ehemalige König ans Gitter und brüllte: „Ich warne dich, Ganondorf, lass meine Tochter aus dem Spiel!“ Der Dämonenprinz lachte zur Antwort laut auf, während Dark sich vor lauter sich überschlagender Gedanken ganz schwindelig fühlte. Zeldas Doppelgängerin war die Tochter von Shadows Mittelwelt-Pendant, das der König von Hyrule gewesen war. Das machte sie tatsächlich zur Prinzessin des Reiches… … und zu einer erbitterten Gegnerin Ganons. Sie würde nie mit ihm zusammen sein, wenn er im Sinne des Dämonenprinzen handelte! Dark fühlte sich als würde ihm seine Zukunft entrissen, noch bevor sie überhaupt angefangen hatte. Doch dann besann er sich auf die halbgare Idee, die er gehabt hatte, als er Hyrule-Stadt betreten hatte. Er würde Ganon töten und damit nicht nur der Welt Frieden und Freiheit bringen, sondern auch Zeldas Herz gewinnen! Vorerst brauchte er den Dämonenprinzen jedoch noch, um den Aufenthaltsort des Mittelwelt-Pendants seiner Frau zu erfahren. Diesen würde Ganon jedoch nur preisgeben, wenn Dark seinem Wunsch entsprach und den Herrn der Zeiten tötete – was auch seinen eigenen Zielen entgegenkam. Für den Moment wollte er daher mitspielen und Ganon in Sicherheit wiegen, indem er ihm Loyalität vorgaukelte. Seine innere Mitte wiederfindend, nickte Dark dem neben ihm stehenden Mann zu. „Ich war überrascht, den Doppelgänger meines Schwiegervaters zu sehen“, gab er zu, „aber nun bin ich bereit. Was soll ich tun? Welche Art Training stellst du dir vor?“ Ganon ließ seinen Blick mit einem listigen Grinsen am ausgezehrten Körper des ehemaligen Königs von Hyrule herab nach unten gleiten, während er antwortete: „Ich will, dass du lernst, jede Bewegung deines Kontrahenten perfekt zu kopieren und trotzdem einen Weg zu finden, ihn zu besiegen. Der Herr der Zeiten soll sich bei eurem Aufeinandertreffen fühlen als kämpfe er gegen sein Spiegelbild, bevor du ihn tötest.“ „Alles klar.“ Um seine besondere Entschlossenheit zu symbolisieren, wandte Dark sich um und trabte zur Mitte der Arena, ohne eine Entgegnung Ganons abzuwarten. Dark hatte kaum den Kampfplatz erreicht, als hinter ihm bereits das kreischende Schleifen eines zur Seite geschobenen Riegels erklang. Der junge Mann verzog das Gesicht zu einem angewiderten Ausdruck und wandte sich um. Sofern es sich nicht um das Geräusch zweier aufeinanderprallender Waffen handelte, hasste Dark den Klang von Metall au Metall. Wann immer er ihn hörte, spannten sich seine Nackenmuskeln an und es prickelte in seinen Fingerspitzen, so als wollte er die sich an einander reibenden Komponenten mit Gewalt voneinander trennen. Ganon warf einen kurzen Blick über die Schulter hinweg zu Dark, der eine Hand wie zufällig auf das Heft des Master-Schwerts gelegt hatte und mit krausgezogener Nase in Richtung der Zelle sah. Dann wandte sich der Dämonenprinz an den Gefangenen: „Wenn es dir gelingt, meinen Kämpfer zu besiegen, schenke ich dir die Freiheit.“ Die Augen fest auf den wartenden Dark geheftet, fragte der ehemalige König Hyrules: „Wessen bist du dir derart sicher? Dass der Junge mir überlegen ist oder dass ich auf freiem Fuß keine Gefahr für dich darstelle? … Oder Beides?“ Ganon zuckte mit den Schultern und Dark wunderte sich stumm über die Eleganz, die diese Bewegung des großen, grobschlächtig wirkenden Mannes ausstrahlte. Ohne die Frage des Königs zu beantworten, zog Ganon wortlos die Zellentür auf und trat zur Seite. Der Gefangene ließ seinen Blick zu dem beinah gelangweilt erscheinenden Dämonenprinzen herüberschnellen und schien etwas abzuwägen. Dark hätte in diesem Moment einiges darum gegeben, hinter die Stirn seines Kontrahenten sehen zu können. Über was mochte er wohl nachdenken? Spielte er im Geiste seine Chancen für den Kampf durch? Aber warum schaute er dann zu Ganon statt zu Dark? Nein… Dark war sich sicher, dass der ehemalige König keinen Gedanken an ihr bevorstehendes Gefecht verschwendete. Er schien tatsächlich seine gesamte Aufmerksamkeit dem Dämonenprinzen zu widmen. Sein Gewicht auf das linke Bein verlagernd, betrachtete Dark die beiden Männer, die sich gegenseitig anstarrten – der eine mit einem stoisch-gelangweilten Ausdruck im Gesicht, der andere zornig-abschätzend wirkend. Während er sich am Nasenflügel kratzte, dachte Dark, dass er einen Freund, der ihn verraten hatte, wohl auf dieselbe Weise ansehen würde wie der König Ganon. Erklärte dies die seltsame Spannung zwischen den Beiden? Waren der hylianische König und der Dämonenprinz einst durch eine Freundschaft verbunden gewesen, bis Ganon schließlich Verrat begangen und das Land erobert hatte? Bevor Dark sich ernsthafte Gedanken darüber machen konnte, riss sich der ehemalige König von Ganon los und richtete seinen Blick auf den jungen Schattenweltler. Dann streckte er wortlos eine Hand in Richtung Ganon aus. Dieser griff an seinen Gürtel und zog ein Schwert, dessen Heft er in die offene Handfläche des Gefangenen legte. Kaum dass sich die Finger des Königs um den Schwertgriff geschlossen hatten, setzte dieser sich in Bewegung und stapfte mit leicht schleppenden Schritten auf Dark zu. Ganon sah ihm einen Moment mit unleserlicher Miene hinterher, bevor seine Füße die Bodenhaftung verloren und er zur Tribüne herüberschwebte. Bei diesem Anblick schnappte Dark überrascht nach Luft. Bis auf Vögel, einige Insekten sowie Vogel- und Drachendämonen hatte er noch nie ein Lebewesen gesehen, das fliegen konnte. Er hätte niemals gedacht, dass ein menschlicher Körper zu so etwas in der Lage sein könnte! Da er jedoch keine Zeit hatte, den Dämonenprinzen fasziniert anzustarren, schob der junge Mann seine Verblüffung so schnell er konnte zur Seite und konzentrierte sich stattdessen auf seinen sich langsam nähernden Kontrahenten. Wie Dark gehofft und gleichzeitig befürchtet hatte, war das Bewegungsmuster des Königs nahezu identisch mit Shadows. Diese Ähnlichkeit würde es Dark einfacher machen, jede noch so kleine Geste perfekt zu kopieren, da er sie seit Jahren kannte. Sie brachte jedoch auch unliebsame Erinnerungen zurück, die sich wie sprießendes Gras durch die Risse in seinem Eispanzer schoben, die in seinem Elternhaus entstanden waren. Während er das Nahen des Königs beobachtete, sah Dark gleichzeitig seinen Meister vor sich. Bilder ihrer gemeinsamen Trainingskämpfe schoben sich vor Darks inneres Auge und brachten eine Flut verdrängt geglaubter Emotionen mit sich. Obwohl für Dark außer Frage stand, dass er in Arn seinen einzigen Vater sah, musste er sich eingestehen, dass er Shadow ganz ähnliche Gefühle entgegenbrachte wie dem Mann, der ihn gezeugt, den Grundstein seiner Erziehung gelegt und sein Leben für ihn riskiert hatte. Der lange Jahre Hunger gelitten hatte, damit sein Sohn nichts entbehren musste… Rückblickend betrachtet war Dark klar, dass Shadow das Fundament, das Arn gelegt hatte, weiter ausgebaut hatte. Er hatte sich damals eines verwirrten Waisen angenommen und einen jungen Mann aus ihm gemacht, der lieben und ein vollwertiges Mitglied einer Gesellschaft sein konnte. Ohne Shadow hätte Link niemals das Leben mit Zelda führen können, das er so sehr genossen hatte. Dark liebte Shadow für all die Wärme, all das Verständnis und die schier unendliche Geduld, die dieser ihm stets entgegen gebracht hatte, wie seinen Vater. Er war ihm unsagbar dankbar für all die Zeit und Mühe, die der Assassine in ihn investiert hatte, ohne je eine Gegenleistung zu erwarten. Gleichzeitig hasste Dark seinen Meister jedoch auch aus tiefster Seele. Die Knöchel des Schattenweltlers färbten sich weiß, als er bei dem Gedanken an Zeldas Tod und Shadows letztem Besuch in ihrem Haus das Schwertheft noch fester umklammerte. Er hatte Shadow gesagt, dass er ihn nicht hatte begleiten wollen, aber sein Schwiegervater hatte ja nicht lockerlassen können! Dabei hatte Dark ihn sogar noch an die vermehrten Dämonensichtungen erinnert und vor einem möglichen Angriff auf das Dorf gewarnt! Mit Tränen in den Augen gestand Dark sich endlich ein, dass er seinen Schwiegervater deswegen so inbrünstig hasste, weil dies einfacher war als der Wahrheit ins Gesicht zu sehen. Denn in Wirklichkeit gab er gar nicht Shadow die Schuld an Zeldas Tod, sondern sich selbst. Er hasste sich! Er hasste sich dafür, dass er sich von Shadow hatte überreden lassen, ihn auf seine Mission zu begleiten. Er hasste sich dafür, dass er nicht auf sein Gefühl gehört hatte. Er hatte es besser gewusst und war trotzdem gegangen… Bevor Dark vollständig in Selbstmitleid versinken konnte, zischte eine Schwertschneide knapp an seinem linken Arm vorbei. Es war allein dem intensiven Training und der jahrelangen Routine des jungen Mannes zu verdanken, dass er gerade eben noch ausweichen konnte. Wann war ihm der König so nah gekommen? Und wann hatte er zum Schlag ausgeholt? Dark wusste es nicht. Er war derart tief in seiner Gedankenwelt gewesen, dass er seine Umgebung völlig ausgeblendet hatte. Seine Waffe ziehend, schob Dark die Erinnerungen an Shadow und alle damit verknüpften Gefühle bestimmt zur Seite. Wenn der König kämpfen konnte wie Shadow, konnte Dark sich keine Unaufmerksamkeit leisten. Denn im Gegensatz zu den Trainingsgefechten mit seinem Lehrmeister war dieses hier blutiger Ernst… Der König ließ Dark kaum Gelegenheit, in den Kampf zu finden, und attackierte ihn ohne Unterlass. Trotz seiner flinken Reflexe hatte der junge Schattenweltler sichtlich Mühe damit, sich zu verteidigen. Er musste dringend etwas mehr Raum zwischen seinen Kontrahenten und sich bringen, um einen größeren Aktionsradius zu haben. Sich unter einem Schlag hinweg duckend, ging Dark in die Knie und rammte dem König den Knauf seines Schwertes in den Magen. Dieser krümmte sich augenblicklich mit einem Stöhnen zusammen und gab Dark so die Gelegenheit, sich mit einem Satz nach hinten in eine bessere Ausgangsposition zu bringen. „Du sollst seine Bewegungen imitieren und nicht herumkaspern!“, donnerte Ganons zornerfüllte Stimme von der Tribüne herunter. Dark warf dem Dämonenprinzen einen schnellen Seitenblick zu und wünschte ihm im Stillen, er möge sich an seiner eigenen Zunge verschlucken. Sah das hier etwa aus als hätte er Gelegenheit für irgendwelche Sperenzchen?! Ganon würde seine «Spiegelvorstellung» schon noch bekommen… Hustend richtete sich der König wieder auf und bewegte sich erneut auf Dark zu. Dieses Mal war jener jedoch voll bei der Sache und konzentrierte sich auf die Details der Bewegungen seines Kontrahenten. Dank seiner ausgezeichneten Ausbildung im Bereich des Beobachtens fiel es Dark nicht besonders schwer, selbst die kleinsten Feinheiten zu bemerken. Während er die Haltung des Königs exakt kopierte, dankte er Shadow stumm für die unzähligen, qualvoll langen Stunden, die sein Lehrer ihn dazu gezwungen hatte, seine Augen zu schulen. Als der König erneut zum Schlag ausholte, kopierte Dark die Attacke, sodass ihre Klingen laut kreischend aufeinandertrafen. Der ehemalige Regent versuchte, Dark mit roher Körpergewalt in die Knie zu stemmen, doch dieser hielt mit genauso viel Kraft dagegen. Frustriert sprang der König zurück und Dark tat es ihm gleich, so als wäre er sein Spiegelbild. Selbst den verkniffenen Zug um die Lippen des älteren Mannes imitierte Dark perfekt. Auf diese Weise zog sich der Kampf in die Länge, ohne dass einer der beiden Kontrahenten sich einen Vorteil verschaffen konnte. Während er die unablässigen Angriffe des Königs kopierte und auf diese Weise abwehrte, suchte Darks Geist fieberhaft nach einer Möglichkeit, das Gefecht für sich zu entscheiden. Wie sollte er einen Treffer landen, solange er nur die Bewegungen des anderen nachahmte? Doch als der König zu einem Diagonalschlag ansetzte, kam Dark eine Idee. Anstatt die Attacke exakt zu kopieren, veränderte er den Winkel seines eigenen Angriffs fast unmerklich, sodass seine Klinge nicht auf der Hälfte des Weges gegen die Schneide des ehemaligen Regenten traf, sondern stattdessen auf die Halsbeuge des größeren Mannes zielte. Der König erstarrte in der Bewegung und brach den Angriff abrupt ab, als der Stahl des Master-Schwerts seine Halsseite berührte. Blut quoll aus der feinen Schnittwunde hervor und rann in einem dünnen Rinnsal zum Schlüsselbein herab. Mit angstgeweiteten Augen starrte der ehemalige Regent zu Dark herab, der seinen Angriff im letzten Moment abgebrochen hatte und nun mit unbewegter Miene zu seinem Gegenüber heraufsah. Als der König nach einem langen Moment begriff, dass der junge Mann ihn verschonen wollte, schossen ihm Tränen in die Augen und er ließ sein Schwert fallen. Vor Dankbarkeit waren seine Finger auf einmal so schwach, dass sie das Gewicht der Waffe nicht mehr halten konnten. Ganon applaudierte verhalten und forderte: „Bring es zu Ende.“ Panik machte sich im Brustkorb des Königs breit und er hätte am liebsten laut aufgeschluchzt. Ihm hätte klar sein müssen, dass Ganondorf seinen Tod forderte… Resigniert schloss der König die Augen, um den tödlichen Stoß nicht sehen zu müssen. Wenigstens musste er auf diese Weise nicht mehr mit ansehen, wie Ganondorf sein geliebtes Hyrule zu Grunde richtete. Er konnte nur hoffen, dass es Zelda gelingen würde, dem Großmeister des Bösen irgendwie zu entkommen. Zur großen Überraschung des ehemaligen Regenten zog Dark seine Klinge jedoch zurück und rief dem Dämonenprinzen zu: „Ich werde diesen armen Mann nicht töten.“ „Und warum nicht?“ Ganon erhob sich von seinem Sessel und stützte seine Hände auf dem Geländer vor sich ab. Alles an ihm war eine unausgesprochene Drohung, doch Dark ließ sich nicht einschüchtern. Stattdessen straffte der junge Schattenweltler die Schultern und antwortete: „Ich habe keinen Grund, sein Leben zu beenden. Sein Tod ist nicht Bestandteil unserer Abmachung.“ Der König blinzelte unter halbgeschlossenen Lidern zu Dark herunter und betrachtete ihn das erste Mal wirklich. Wer war dieser sonderbare Mann, der es nicht nur wagte, Ganondorf die Stirn zu bieten, sondern auch noch völlig furchtlos dabei wirkte? Irgendwie kam Darks Gesicht dem König bekannt vor. Es erinnerte ihn vage an einen jungen Mann, der vor langen Jahren als Hauptmann in der königlichen Garde gedient und ebenfalls ein recht loses Mundwerk gehabt hatte. Ein vielversprechendes Talent, das viel zu früh dahingerafft worden war… Konnte es sein? War dieser mysteriöse Kämpfer vielleicht der Sohn des Hauptmanns? Ganon funkelte Dark zornig an, bevor er in herausforderndem Ton fragte: „Und wenn ich es zu einer Bedingung unseres Handels mache?“ Dark verengte die Augen zu Schlitzen und fauchte zurück: „Dann sehe ich erst recht nicht ein, weshalb ich diesen armen Mann töten sollte. Denn dann kann ich mich auf gar keinen Bestandteil unserer Abmachung verlassen, weil du die Regeln offenbar nach Gutdünken änderst. Wenn dem so ist, suche ich Zelda lieber selbst!“ Der König betrachtete Dark mit neuem Interesse. Was wollte der Fremde von seiner Tochter? Und auf welcher Seite stand er? Machte es ihn zu einem Feind Hyrules, dass er offenbar mit Ganondorf handelte, oder machte es ihn zu einem Freund Hyrules, dass er dem Großmeister des Bösen so furchtlos die Stirn bot? Der König wünschte, er wüsste mehr über Darks Motive und er hätte eine Möglichkeit, seine Tochter vor möglichen Gefahren zu warnen. Zelda war die letzte Hoffnung Hyrules! Dark und Ganon starrten sich unterdessen zornig an, was den Schattenweltler an sein Blickduell mit dem Phantom erinnerte. Doch anders als sein Schatten, gab der Dämonenprinz nicht auf, sondern brach in schallendes Gelächter aus. „Wenn du glaubst, mir gewachsen zu sein, bist du noch naiver als ich dachte.“ Mit diesen Worten streckte Ganon einen Arm aus und spreizte die Finger. Zunächst war Dark von dieser Reaktion irritiert, doch dann schoss ihm ein furchtbarer Schmerz durch den Körper. Es war als hätte sich sein Innerstes plötzlich in eine Feuersäule verwandelt. Vom Schock gelähmt, registrierte Dark nur mit Verzögerung, dass sich sein Leib ohne sein Zutun bewegte und er langsam sein Schwert hob. Der König stolperte bei diesem Anblick einige Meter zurück und schaute überrascht zu Ganon herüber, der seine Finger bewegte als hingen Marionettenfänden an ihren Spitzen. „Was tust du?“ Der Dämonenprinz verzog einen Mundwinkel zu einem listigen, schiefen Grinsen. „Ich nutze das Dämonische in ihm, um seinen Körper zu kontrollieren.“ Dark stemmte sich mit voller Macht gegen die ungewollte Bewegung, was den Schmerz in seinem Inneren noch verstärkte. Es fühlte sich an als rissen all seine Muskelzellen der Länge nach auf, doch er schaffte es, seinen Arm zum Stillstand zu zwingen. Seine Stimme klang vor Anstrengung gepresst, als er rief: „Wie meinst du das? Ich bin ein Mensch! Ich habe keine Dämonenanteile in mir!“ Ganon nickte und wackelte mit einem Finger, was Dark gepeinigt aufstöhnen ließ. „Sicher. Dem war bis vor kurzem so. Doch als mein Phantom deinen Körper verlassen hat, ist ein Teil von ihm in dir zurückgeblieben.“ „Was?!“ Dark schnappte überrascht nach Luft, während sein Arm durch die verschiedenen an ihm zerrenden Mächte so heftig zitterte, dass das Master-Schwert in seiner Hand vibrierte wie eine Stimmgabel. Der König sah sich unterdessen so unauffällig wie möglich nach Fluchtwegen um. Vielleicht konnte er ja verschwinden, während Dark und Ganondorf mit einander beschäftigt waren… Der Dämonenprinz stieß ein leises Lachen aus. „Es erstaunt mich, dass du noch nicht selbst auf diese Idee gekommen bist. Hat mein Phantom dir etwa nicht erzählt, dass das Master-Schwert nur noch von jemandem mit dämonischen Anteilen in sich berührt werden kann? Wäre nicht ein Teil meines Schattens in dir verblieben, könntest du diese herrliche Waffe gar nicht mehr führen.“ Dark erinnerte sich an den Schlag, den er bekommen hatte, als er das Master-Schwert in der Zitadelle der Schattenwelt angefasst hatte. Seit er in der Mittelwelt war, war so viel passiert, dass er daran gar nicht mehr gedacht hatte. Er war Ganon in die Falle getappt… Würde er nun für immer seine Marionette bleiben?! Während Dark sich seine Zukunft in den düstersten Farben ausmalte, schnippte Ganon plötzlich mit den Fingern der anderen Hand, woraufhin der König in der Bewegung erstarrte. Lediglich die Augen des ehemaligen Regenten huschten noch hin und her. „Tze, tze, tze…“, tadelte Ganon. „Hast du wirklich geglaubt, ich würde nicht bemerken, dass du dich davonstehlen willst?“ Dann bewegte er kopfschüttelnd die Finger und ein Ruck ging durch Darks Körper, der nun zum Schlag ausholte als arbeitete Dark gar nicht dagegen. Mit wild klopfendem Herzen registrierte Dark, dass er dem König in wenigen Sekunden den Brustkorb spalten würde, und tiefe Trauer machte sich in ihm breit. Wenigstens in dieser Welt hatte er Zeldas Vater retten wollen… Dark dachte an Shadows Tod und sah wieder seine eigenen blutbefleckten Hände vor sich. Erst in diesem Moment wurde ihm klar, dass er sich nicht nur deswegen gegen die Tötung des Königs gesträubt hatte, weil er Ganon hatte zeigen wollen, dass er kein einfacher Diener war. Er hatte das Unrecht, das er seinem Schwiegervater angetan hatte, wieder gutmachen wollen. Stattdessen war er nun drauf und dran, es zu wiederholen… Ein animalischer Schrei entstieg Darks Kehle, als er unter Aufbietung all seiner Kraftreserven das Master-Schwert von sich schmiss. Die heilige Klinge wirbelte durch die Luft, landete mit einem scheppernden Geräusch auf dem Boden und rutschte schlingernd über den Stein, bevor sie gegen eine Wand stieß und liegen blieb. Dark krümmte sich unterdessen vor Schmerzen zusammen und jaulte und wimmerte als würde er tatsächlich von innen heraus verbrennen. Die dämonischen Anteile in ihm schienen Amok zu laufen und sich an ihm für seinen Widerstand zu rächen. Ganon hatte die Augen vor Verblüffung weit aufgerissen und maß Dark nun mit einem nachdenklichen Ausdruck. Der zur Salzsäule erstarrte König betrachtete den sich windenden Mann zu seinen Füßen mit einer Mischung aus Sorge und Bewunderung. Dark war von seinen Qualen derart absorbiert, dass er erst bemerkte, dass Ganon von der Tribüne herunter gekommen war und nun neben ihm kniete, als dieser ihn ansprach: „Ich schätze es nicht, wenn man meine Befehle verweigert. Aber ich habe Respekt vor Stärke und Mut. Deswegen schenke ich dir eine zweite Chance.“ Kaum dass der Dämonenprinz ausgesprochen hatte, löste sich das Flammenmeer in Darks Innerem auf und der junge Mann schnappte gierig nach Luft. Sein gesamter Leib war schweißgebadet und zitterte vor Anstrengung wie Espenlaub. Ganon richtete sich wieder auf und fuhr fort: „Denke jedoch daran, dass ich nie wieder so gnädig zu dir sein werde. Wenn du deinen Auftrag zu meiner Zufriedenheit erledigst, werde ich dir wie versprochen ein ruhiges Leben mit Zelda schenken. Solltest du mich jedoch noch einmal enttäuschen, steht dir dasselbe Schicksal bevor wie Johanson.“ Mit diesen Worten wedelte Ganon mit der Hand und der König zerplatzte zu einer riesigen Staubwolke, so als hätte sein Körper tatsächlich nur noch aus Stein bestanden. Dark riss reflexartig einen Arm nach vorn, obwohl er genau wusste, dass er nichts mehr tun konnte, um den Tod des ehemaligen Regenten zu verhindern. Die Augen auf das weißgraue Puder gerichtet, das einst der König gewesen war, blinzelte Dark einige Tränen weg. Er hatte schon wieder versagt… Ganon hatte sich bereits dem Ausgang zugewandt und rief über die Schulter: „Folge mir. Dir fehlen noch ein paar Ausrüstungsgegenstände.“ Darks Beine fühlten sich noch immer zittrig und schwach an, als er dem Dämonenprinz einige Minuten später in einen Lagerraum folgte. Das Master-Schwert steckte wieder unter seinem Gürtel und schlug ihm bei jedem Schritt gegen den Unterschenkel, doch das nahm er nur am Rande wahr. Sein Geist war vor Verausgabung und Schrecken wie betäubt. Entsprechend emotionslos nahm er die Gegenstände entgegen, die Ganon ihm aushändigte: einen robusten Schild aus schwarzem Stahl, der mit Beschlägen aus geschwärztem Silber verziert war; eine dazu passende Scheide für das Master-Schwert; eine Art Kettenanzug aus engmaschig aneinander genähten Silberringen; ein weißes Hemd sowie eine Tunika aus schwarzem Samt mit dazu passender Zipfelmütze. „Ich will, dass du wie das dunkle Spiegelbild des Herrn der Zeiten aussiehst – deswegen habe ich seine Kleidung bis ins Detail kopieren lassen.“ Ganon klang als wäre er sehr stolz auf seinen Plan, doch Dark hörte ihn kaum. Der junge Mann starrte stattdessen die Tunika an und kämpfte mit seinem gebrochenen Herzen. Warum nur musste dieses Kleidungsstück seinem Hochzeitswams so verdammt ähnlich sehen?! Alles an Dark verzerrte sich schmerzhaft nach diesem glücklichen Tag. Wenn er doch nur von diesem Zeitpunkt aus neustarten und alles besser machen könnte… Um sich von seiner Trauer abzulenken, riss sich Dark geschwind die eigenen Kleider vom Leib und zog die neuen Kleidungsstücke an. Der Kettenanzug fühlte sich merkwürdig auf der Haut an, schränkte jedoch zu Darks Überraschung die Bewegungsfreiheit nicht ein. Ganon betrachtete ihn kritisch und nickte dann. „Perfekt.“ Dark setzte die Mütze auf und fragte: „Wo finde ich den Herrn der Zeiten?“ „Er wird dich finden. Bleib einfach, wo du bist.“ Bevor Dark nachfragen konnte, wie Ganon dies meinte, legte der Dämonenprinz ihm zwei Finger gegen die Stirn und Dark wurde von einem schwarzlilafarbenen Licht eingehüllt. Das Licht wurde immer undurchdringlicher, bis es wie eine gläserne Wand wirkte. Neugierig streckte Dark die Hand danach aus und stieß tatsächlich gegen eine feste Barriere. Er wollte erschrocken aufschreien, doch dann wurde ihm der Boden unter den Füßen entzogen und Dark verlor das Bewusstsein. Kapitel 10: Duell des Schicksals -------------------------------- Pitsch… Pitsch… Das Erste, was durch die alles erstickende Dunkelheit der Ohnmacht wieder in Darks Bewusstsein drang, war das Geräusch von tropfendem Wasser. Leise stöhnend schlug der junge Mann blinzelnd die Augen auf. Er fühlte sich ein wenig seekrank oder als hätte er einen harten Schlag in den Nacken bekommen, doch der Schwindel und die leichte Übelkeit waren augenblicklich vergessen, als Dark seiner Umgebung gewahr wurde. Anstatt sich noch immer in dem Kellergewölbe von Ganons Schloss zu befinden, lag er auf einer kleinen Insel aus aufgeschüttetem Sand, die von einem undurchdringlichen Nebelmeer umwabert wurde. Die Sichtverhältnisse waren dermaßen schlecht, dass Dark nicht einmal sagen konnte, ob er unter freiem Himmel oder in einer Höhle zu sich gekommen war. Einzig und allein der Hall des tropfenden Wassers ließ ihn vermuten, dass er in einer Höhle oder dergleichen aufgewacht war. Mit heftig schlagendem Herzen rappelte Dark sich auf und klopfte sich den Sand aus Kleidung und Haaren. Hinter ihm stand ein toter Baum, dessen kahle Äste seltsam verkrüppelt emporragten. „Wie eine Geisterhand, die nach der Seele eines Menschen greift…“, schoss es Dark unwillkürlich durch den Kopf und er konnte nur mit Mühe ein Schauern unterdrücken. Obwohl der junge Schattenweltler in seinem Leben bereits deutlich Schlimmeres gesehen hatte, kroch ihm beim Anblick des halbverfaulten Baums eine Gänsehaut über den Körper. Alles an dieser Baumleiche strahlte Tod und Verwesung aus und erinnerte Dark an die schlimmsten Zeiten seiner Vergangenheit. Auf einmal hatte er wieder den schweren, süßlichen Geruch von Arns Blut in der Nase; spürte wieder die Ausgezehrtheit und Einsamkeit seiner Monate in der Wildnis, bevor Shadow ihn gefunden hatte. Plötzlich schmeckte er wieder die Panik, die ihn überkommen hatte, als er die Rauchsäulen über seinem Heimatdorf entdeckt hatte; fühlte wieder die lähmende Verzweiflung, die ihn beim Anblick von Zeldas Leiche ergriffen hatte. Am liebsten hätte Dark den Blick abgewendet, doch eine morbide Faszination heftete seine Aufmerksamkeit an den Gespensterbaum. Es erschien Dark unmöglich, wegzusehen. Der Stamm des Baums war von feinen Kondenswasserperlen überzogen, sodass seine Borke aussah wie mit Glassplittern gespickt. Auf einer Seite war ein wenig Rinde abgeplatzt und die so entstandene Furche zog sich wie eine Fleischwunde in Richtung Wurzeln. Darks Augen blieben jedoch an einem einzelnen Blatt hängen, das sich in einem leichten Luftzug bewegte. Genau wie der Rest des Baumes war auch das Blatt schon vor langer Zeit abgestorben und noch am Zweig hängend vermodert, bis nur noch das Gerippe seiner Adern übrig geblieben war. Dieser trostlose Anblick rief in Dark die Erinnerung an die abgenagten Knochen seiner Eltern wach und der junge Mann schaffte es endlich, sich von dem Baum abzuwenden. Er spürte deutlich den tiefen Riss, der sich durch seinen Eispanzer zog und den Blick frei gab auf die überwältigende Trauer, die Angst, die Verzweiflung, die Schuldgefühle und das bohrende Gefühl des verlassen-worden-Seins, die Dark seit dem Tod seiner Eltern mit sich herumtrug und die sich im Laufe der Jahre mehr und mehr aufgestaut hatten. Dark war bewusst, sollte sein Panzer je brechen, dann würde er selbst unter dem Gewicht seiner eigenen Emotionen ebenfalls zerbersten. Einzig und allein Zelda war in der Lage gewesen, ihm die erforderliche Kraft zu geben, um sich dem eigenen Innersten zu stellen. Sie hatte ihm das Gefühl gegeben, alles schaffen zu können. Doch nun war sie fort und er klammerte sich verzweifelt und mit stetig sinkender Hoffnung an die fixe Idee seine Frau mit ihrem Mittelwelt-Pendant ersetzen zu können. Plötzlich drängte sich ihm ein Gedanke auf und Darks Augen wanderten wie magisch angezogen zu dem vermoderten Blatt zurück. Auf einmal war ihm klar, warum ihn der Anblick des toten Baumes innerlich so in Aufruhr versetzte: Auf eine verquere Art und Weise erkannte er sich selbst in der Baumleiche wider! Er fühlte sich ausgebrannt und leer und obwohl er sich stur an die Aussicht auf ein besseres Leben klammerte, wusste er tief in sich, dass ein Teil von ihm irreparabel beschädigt war. Etwas in ihm war bereits tot. Dark konnte nicht sagen, ob dieses Etwas in dem Moment gestorben war, in dem er seinen Vater erstochen hatte, oder ob er es womöglich selbst getötet hatte, als die Trauer und die Wut über die Ungerechtigkeit des Schicksals ihn schier wahnsinnig gemacht und dazu getrieben hatten, sämtliche Emotionen unter einem Eispanzer zu begraben. Vielleicht war jener Teil auch erst abgestorben, als er Zeldas Leichnam in den Armen gehalten hatte. Dark wusste es nicht, aber es spielte eigentlich auch gar keine Rolle. Für die Zukunft zählte nur, ob der tote, verwesende Teil auch noch den Rest seiner Seele verpesten würde. Würde er nach und nach innerlich verrotten, bis nichts mehr von ihm übrig war als seine äußere Hülle – genauso wie es bei dem Blattskelett, das noch immer am Baum hing, der Fall war? Fiel es ihm deswegen so schwer, die Hoffnung auf ein glückliches Leben aufrecht zu halten, weil er tief in sich bereits ahnte, dass er gar nicht mehr in der Lage dazu war, Freude zu empfinden? Wie würde er reagieren, wenn er auf die Mittelwelt-Zelda treffen und nichts weiter empfinden würde als Trauer? Was war ein Leben wert, in dem man nichts weiter fühlte als Verzweiflung und Schmerz? Dark zeichnete das Aderskelett des Blattes mit den Augen nach und schüttelte den Kopf über sich selbst. Was dachte er denn da?! Er hatte keine Todessehnsucht! Das hatte er deutlich gemerkt, als Ganon ihm eröffnet hatte, dass ein dämonischer Teil in seinem Körper zurückgeblieben war und dem Großmeister des Bösen die Macht verlieh, Darks Leben mit nur einem Fingerzeig ein Ende zu bereiten. Bei dem Gedanken daran, wie einfach er auszulöschen war, hatte sein Herz gerast und Panik hatte ihm das Atmen schwer gemacht. Selbst jetzt – weit weg von dem Dämonenprinzen – schnellte sein Puls bei der Erinnerung an jenen Moment noch immer in die Höhe. Nein, er wollte nicht sterben. Er war lediglich vollkommen erschöpft, weil sein Leben sich in den letzten Monaten überschlagen hatte. Alles, was er brauchte, war ein wenig Ruhe – und die würde er bekommen, sobald diese letzte Mission überstanden war. Sich selbst gut zusprechend blickte Dark sich weiter um. In einiger Entfernung schienen ein paar Fackeln zu brennen, deren Feuerschein durch die Wassertropfen im Nebel gebrochen und bis in weite Ferne getragen wurde. Dennoch waren die Feuer nur als flackernde orangerotgelbe Flecken zu erkennen. Der Nebel war so dicht, dass Dark nur wenige Meter weit gucken konnte und sich deswegen auf seine allernächste Umgebung beschränken musste, um etwas über seinen Aufenthaltsort herauszufinden. Allem Anschein nach befand er sich in einer Art Tempelraum, jedenfalls war der Boden rund um die Insel mit kunstvoll bemalten Fliesen ausgelegt. Die aus verschiedenen Blautönen bestehenden Zeichnungen auf den Bodenplatten schien die Geschichte eines Volkes von Fischwesen zu erzählen, das Dark an Sagen aus seiner Kindheit erinnerte. Angeblich gab es auch in der Schattenwelt einen in Gebirgsflüssen lebenden Stamm von Fischmenschen. Doch schon seit Generationen war kein Zora mehr gesehen worden, weswegen Arn immer behauptet hatte, ihre Existenz sei lediglich ein Ammenmärchen. Beim Anblick der Fliesenbemalung und das Wissen im Hinterkopf, dass jedes Lebewesen Gegenstücke in den anderen beiden Welten hatte, war Dark sich ziemlich sicher, dass sein Vater sich geirrt hatte. Ihm gegenüber schimmerte etwas Bläuliches durch die Nebelschwaden, doch selbst mit zusammengekniffenen Augen konnte Dark nicht ausmachen, um was es sich dabei handelte. Mit den Schultern zuckend verließ der junge Mann die Insel und hielt auf seine Entdeckung zu, um sie sich aus der Nähe anzusehen. Bei jedem Schritt erzeugten die Sohlen seiner Stiefel ein platschendes Geräusch auf dem wenige Zentimeter gefluteten Boden, bei dem sich seine Lippen unwillkürlich zu einem wehmütigen Lächeln verzogen. Die Kinder im Dorf hatten es geliebt, nach einem Regenguss durch die Pfützen zu stapfen, mit Anlauf hineinzuspringen und sich gegenseitig nass zu spritzen. Zelda hatte sie stets zur Zurückhaltung ermahnt, doch sobald sie mit Dark allein gewesen war, waren sie beide ebenso ungestüm und lachend herumgetollt, bis ihre Kleider vor Dreck gestarrt hatten. Um sich davon abzulenken, wie sehr er seine Frau vermisste, fokussierte Dark seine Aufmerksamkeit auf das bläuliche Etwas, das durch den Nebel schimmerte. Wie sich herausstellte, handelte es sich dabei um eine reich verzierte Tür, deren Rahmen mit kostbar wirkenden Intarsien aus Porzellan versehen war. Leider war der Durchgang durch armdicke Eisenstangen versperrt, sodass dem jungen Schattenweltler nichts anderes übrig blieb als umzukehren. Während Dark gemäßigten Schrittes zur Insel zurückging, fragte er sich, warum Ganon ihn an diesen trostlosen Ort gezaubert hatte. Der Dämonenprinz hatte gesagt, der Herr der Zeiten würde hier auf ihn stoßen. Doch was sollte der Mittelwelt-Link hier suchen? Dark konnte sich nur schwer vorstellen, dass es in diesem nassen, vom Hauch des Unheimlichen durchzogenen Gemäuer irgendetwas gab, das für den Herrn der Zeiten auch nur entfernt von Interesse sein könnte. Hatte Ganon ihn womöglich hereingelegt? Möglich. Durchtrieben genug war der Dämonenprinz auf jeden Fall. Doch zu welchem Ziel? Oder hatte Ganon ihn gar getötet und dies war die traurige Ewigkeit des Jenseits? Dark starrte auf der Suche nach einem Anzeichen für Leben angestrengt in den Nebel, jedoch ohne Erfolg. Die Möglichkeit, sich in einer Art Unterwelt zu befinden, erschien ihm gar nicht so unwahrscheinlich. Aber warum war Zelda dann nicht hier? Hassten die Göttinnen ihn so sehr, dass sie ihm selbst die letzte Ruhe vermiesen mussten?! Mit heftig schlagendem Herzen kniff Dark sich fest in den Oberschenkel und atmete erleichtert auf, als er den Schmerz spürte. Zwar fiel ihm keine logische Begründung dafür ein, weshalb man im Leben nach dem Tod keinen Schmerz empfinden können sollte, doch das altbekannte Kribbeln und das Pochen seines Blutes an der gekniffenen Stelle gaben ihm das Gefühl, lebendig zu sein. Gerade als Dark beschloss die andere Seite des Raums in Augenschein zu nehmen, um endlich herauszufinden, wo er sich befand, ertönte das unverkennbare Knarzen einer sich öffnenden Tür. Deckung suchend presste Dark sich gegen den toten Baum und starrte in Richtung des Geräusches. Während er den Nebel nach Bewegung absuchte, umfasste er mit der linken Hand das Heft des schwarzen Master-Schwerts, das über seine rechte Schulter lugte. Die andere Hand legte er auf den Griff von Zeldas Schwert, dessen Scheide an seinem Gürtel befestigt war. Er hatte nicht vor, beide Schwerter gleichzeitig zu ziehen. Es gab ihm lediglich ein wenig innere Ruhe, etwas zu berühren, das seine Frau einst in der Hand gehabt hatte. Es war fast als hörte er ihre sanfte Stimme, die ihm ins Ohr flüsterte, dass er auf sich aufpassen und siegreich nach Hause kommen sollte. Dark strich sanft mit dem Zeigefinger über den ins Heft eingelassenen Onyxstern und wunderte sich darüber, dass Ganon ihm Zeldas Schwert nicht abgenommen hatte. Bei seiner Versessenheit, aus Dark eine perfekte Kopie des Herrn der Zeiten zu machen, grenzte es an ein Wunder, dass der Dämonenprinz ihm diese persönliche Habe nicht abgenommen hatte. Ob Ganon geahnt hatte, dass er Dark andernfalls gegen sich aufgebracht hätte? Oder besaß der Mittelwelt-Link womöglich ein Gegenstück zu Zeldas Schwert? Dark verwarf seine Überlegungen schlagartig, als sich eine saphirblau gewandete Gestalt aus den Nebelschwaden schälte. Zunächst war nur die leuchtende Farbe seiner Kleider zu sehen, doch schon bald waren mehr Details des Fremden zu erkennen. Wie vom Donner gerührt, riss Dark die Augen auf und starrte mit offen stehendem Mund zum Herrn der Zeiten herüber. Er war zwar bereits Shadows Doppelgänger begegnet, doch der König hatte wegen der langen, verfilzten Haare und der zerlumpten Kleidung bei aller Ähnlichkeit zumindest ein wenig anders ausgesehen als Shadow. Den Mittelwelt-Link anzusehen, war jedoch als blickte Dark in einen Spiegel. Selbst die dunklen Bartstoppeln, die verrieten, dass die letzte Rasur schon ein paar Tage zurücklag, schienen die gleiche Länge zu haben. Der Herr der Zeiten trat mit rätselnder Miene an den toten Baum heran und Darks Herz setzte einen Schlag lang aus. War er entdeckt worden?! Mit schwitzigen Handflächen drückte er sich noch näher an den Baum und machte sich so schmal wie er konnte, um optisch mit dem Stamm zu verschmelzen. Er war noch nicht bereit dazu zu kämpfen! Während Dark angestrengt versuchte, seinen inneren Aufruhr wieder unter Kontrolle zu kriegen, schalt er sich dafür, dass er die Wirkung der absoluten Gleichheit unterschätzt hatte. Zu Darks Erleichterung ließ Link jedoch nur seinen Blick zu dem skelettierten Blatt schweifen, bevor er ein nachdenkliches Gesicht zog und sich in Richtung der versperrten Tür abwandte. Der junge Schattenweltler ließ langsam die angehaltene Luft wieder aus seiner Lunge entweichen und sank mit zitternden Knien gegen den Baumstamm. Während der selbstsüchtige Teil von ihm triumphierte, dass die Mittelwelt-Zelda niemals in der Lage sein würde, einen Unterschied zwischen Link und ihm zu entdecken, war der Rest von ihm entsetzt darüber, wie jung der Herr der Zeiten noch wirkte. Sie waren beide beinah noch Kinder… Urplötzlich kochte die alte Wut auf die Göttinnen wieder in Dark hoch. Wie pervers war ihr Humor eigentlich, dass sie ihre Schicksalsduelle von einem Helden ausfechten ließen, der kaum dem Knabenalter entwachsen war? Wie konnten sie es wagen, die Zukunft eines ganzen Reiches auf die Schultern eines unerfahrenen Jünglings abzuwälzen? Wie konnten sie jemanden, der sein ganzes Leben noch vor sich hatte, in eine derart gefährliche Lage bringen? Dark lugte um den Baum herum und betrachtete den blauen Farbklecks, der sich zwischen den Nebelschwaden hin und her bewegte. Inzwischen hatte er den Schock, seinen Doppelgänger zu sehen, verkraftet und er tastete nach einem seiner Wurfmesser, die er in einem kleinen, an seinem Gürtel befestigten Lederbeutel bei sich trug. Der Griff des Messers lag vertraut in seiner Hand, dennoch hatte Dark plötzlich das Gefühl, dass etwas falsch war. Noch vor einem Tag hätte Dark vermutlich keinerlei Skrupel gehabt, Link hinterrücks zu erdolchen, bevor dieser auch nur den Hauch einer Chance gehabt hätte, zu registrieren, dass er sich überhaupt in Gefahr befand. Doch nun zögerte Dark… Das Wurfmesser zwischen den Fingern drehend, lauschte der junge Schattenweltler auf das hitzige Zwiegespräch, das verschiedene Teile seiner selbst miteinander führten. Der eine Teil erinnerte Dark daran, dass er Ganon nicht über den Weg traute. Der Dämonenprinz hatte bereits bewiesen, dass Absprachen für ihn nur so lange galten wie sie für ihn von Nutzen waren. Ein anderer Teil strich die besondere Verbindung zwischen Dark und dem Herrn der Zeiten heraus. Sie waren die zwei Seiten ein und derselben Medaille und durch ein ähnliches Schicksal verbunden, obwohl ihnen ein Treffen eigentlich nie vorherbestimmt gewesen war. Dark beobachtete den Herrn der Zeiten, der anscheinend eine Möglichkeit suchte, die Tür zu öffnen, und bemerkte, dass der Mittelwelt-Link leicht humpelte. Bei diesem Anblick fühlte Dark sich seinem Doppelgänger noch ein wenig näher. Sie beide waren bestens vertraut mit den Strapazen und Entbehrungen, die ständiges Kämpfen mit sich brachte. Zudem hatten sie sich beide das Leben eines Kriegers nicht ausgesucht. Während Link von den Göttinnen mit einem heiligen Auftrag versehen worden war, war Dark durch seine Lebensumstände an die Waffen gezwungen worden. Der junge Schattenweltler umfasste den Griff seines Wurfmessers fester und seufzte tonlos. Allein die Vorstellung, den Mittelwelt-Link zu töten, fühlte sich auf einmal an als würde er das Schwert gegen seinen Zwilling oder gar gegen sich selbst erheben. Wie konnte man jemanden bekämpfen, der irgendwie ein Teil von einem war? Den Blick noch immer auf den Rücken des Herrn der Zeiten geheftet, kam Dark eine Idee: Vielleicht konnte er sich ja mit Link gegen Ganon verbünden, den Dämonenprinzen töten und die Mittelwelt in ihrem alten Glanz erstrahlen lassen. Auf diese Weise wäre ihm zwar keine Zukunft mit Zeldas Doppelgängerin gewiss, doch womöglich konnte er sie mit Charme dazu bringen, ihm den Vorzug gegenüber Link zu geben. So müsste er keine Lüge leben und nicht vorgeben, ein anderer zu sein. Für einen Moment malte Dark sich seine Zukunft in den schillerndsten Farben aus. Er würde ein Held werden und die Bewohner der Mittelwelt würden ihn für seine edle Tat ebenso bewundern und als einen der ihren willkommen heißen wie die Menschen seines Heimatdorfes. Ein entrücktes Lächeln stahl sich auf die Lippen des jungen Mannes, als er sich vorstellte wie Link und er brüderlich zusammenstanden und die Mittelwelt-Gegenstücke seiner Eltern ihn begrüßten als wäre er ihr lang verschollener zweiter Sohn. Die Bilder seiner Phantasie ließen ein Gefühl von Wärme durch Darks Brustkorb strömen wie er es zuletzt in den Armen seiner Frau gespürt hatte. Vielleicht brauchte er die Mittelwelt-Zelda überhaupt nicht, um einen Neuanfang zu wagen. Womöglich war der totwirkende Teil in seinem Innern doch noch nicht völlig abgestorben und würde in einem familiären Umfeld langsam heilen. In diesem Moment war Dark sich fast sicher, dass er sein Glück auch darin finden würde, seinen Seelenzwilling in einer harmonischen Beziehung zu sehen. Er war kurz davor Zelda und seine verkorkste Vergangenheit loszulassen und sein Schicksal endlich zum Guten zu wenden, doch dann stieß Link einen leisen, aber bildgewaltigen Fluch aus und Dark erinnerte sich wieder an etwas, das seine Träume zerplatzen ließ wie Seifenblasen. Er konnte sich nicht mit dem Herrn der Zeiten verbünden! Ganon hatte ihn wegen der dämonischen Anteile in seinem Körper in der Hand. Sobald Ganon merken würde, dass Dark ihn verriet, würde der Dämonenprinz ihn zu Staub zerfallen lassen wie er es mit dem ehemaligen König Hyrules getan hatte. Bei diesem Gedanken meldete sich der selbstsüchtige Teil Darks lauthals zu Wort. Weshalb sollte er sein Leben für eine Welt dahingeben, der er rein gar nichts schuldig war? Warum sollte er die Seite der Göttinnen unterstützen, wenn er nichts dafür zurückbekam? Wenn alles, was er vom Schicksal je bekommen hatte, lediglich Verlust und Schmerzen waren? Nein, er würde Din, Nayru und Farore niemals einen Gefallen tun! Wenn seine einzige Chance zu überleben die Kooperation mit Ganon war, dann würde er eben mit dem Dämonenprinzen zusammenarbeiten und dabei so viel wie möglich für sich selbst herausschlagen! Dark ließ seinen Blick erneut am Körper des Herrn der Zeiten herabgleiten und sah seinen Doppelgänger plötzlich mit ganz anderen Augen. Anstatt ihn weiterhin für einen Bruder im Geiste zu halten, dachte Dark bei seinem Anblick auf einmal nur noch an die Unterschiede, die sie trennten. Link wusste nicht, wie es war in einer Welt wie dem Schattenreich aufzuwachsen… Er hatte nie erlebt wie es war, wenn man schon von frühesten Kindesbeinen an tagtäglich ums nackte Überleben kämpfen musste. Er hatte keine Ahnung, wie es sich anfühlte, wenn man solchen Hunger hatte, dass man bereit war, Dreck zu essen, bloß um den Magen ein wenig zu füllen. Link kannte auch nicht das Entsetzen, das sich in einem breit machte, wenn man realisierte, dass man den eigenen Vater getötet hatte. Er hatte nie die entsetzliche Verzweiflung erfahren, die einen ergriff, wenn man die geliebte Frau zu Grabe trug. Dieser verwöhnte Mittelwelt-Spross hatte keinen blassen Schimmer, was wahres Leid war! Heiß lodernde Flammen des Neides schlugen in Darks Brust hoch, senkten einen rötlichen Schleier vor seine Augen und vernebelten seinen Geist. Wie hatte er je über ein Bündnis mit einem Mittelweltler nachdenken können?! Er hasste jeden einzelnen Bewohner der Mittelwelt dafür, dass so vieles, was er aufs Schmerzlichste entbehrt hatte, für sie selbstverständlich war. Hatten sie überhaupt den Hauch einer Ahnung, wie gesegnet sie waren?! Dark zog seine Hand aus seinem Lederbeutel und zückte das schwarze Master-Schwert. Er wollte, dass der Herr der Zeiten wusste, wer sein Leben beendete. Er wollte das Erlöschen des Lichts in Links Augen aus nächster Nähe sehen, um sich absolut sicher sein zu können, dass der Herr der Zeiten tot war. Er wollte den Göttinnen über jeden Zweifel erhaben beweisen, dass der beste Link ausgerechnet derjenige war, den sie in die Schattenwelt verbannt und vergessen hatten! So leise er konnte, schlich Dark auf den Herrn der Zeiten zu, der gerade damit beschäftigt war, den Rahmen der Tür abzutasten. Dark war seinem Doppelgänger inzwischen so nah, dass er dessen Körpergeruch in der Nase hatte. Link roch nach Heu, Erde und Schweiß mit einem Hauch Moschus. Mit einem Stich im Herzen dachte Dark daran, dass Zelda ihm mal gesagt hatte, für sie dufte er nach leicht feuchter Baumrinde. Ob sie Ähnliches über den Herrn der Zeiten gesagt hätte? Reichte die Gleichheit der beiden Männer soweit, dass die erdige Note ihres Körpergeruchs dieselbe war? Kaum merklich den Kopf über sich selbst schüttelnd, stieß Dark ein nur halb unterdrücktes, düsteres Lachen aus. Offenbar verlor er allmählich den Verstand, wenn er sich bereits über solche Dinge Gedanken machte! Link, der so auf die Suche nach einer Möglichkeit, die Tür zu öffnen, fixiert gewesen war, dass er Darks Anwesenheit überhaupt nicht bemerkt hatte, zuckte bei diesem plötzlichen Geräusch heftig zusammen und wirbelte herum. Als er seinen Doppelgänger erblickte, erbleichte der junge Mann schlagartig und riss panisch die Augen auf. Bei diesem Anblick lachte Dark erneut auf. Er wusste aus eigener Erfahrung, wie schockierend der Anblick des eigenen Doppelgängers war, doch er dachte nicht im Traum daran, dem Herrn der Zeiten einen Moment zu geben, um sich von der Schrecksekunde zu erholen. Stattdessen gab Dark sich sogar noch extra Mühe, seinen Blick irre und sein Lachen bedrohlich wirken zu lassen. Links Adamsapfel hüpfte gut sichtbar auf und ab, als der junge Mann heftig schluckte und nach Fassung rang. Dark brachte sein Gesicht ein wenig näher an das seines Gegenübers und widerstand nur mit Mühe dem Drang, diesen mit „Boo!“ zu begrüßen. Die Unterlippe des Herrn der Zeiten zitterte, so als suche er angestrengt nach Worten oder als versuche er das Geschehen für sich selbst zu verbalisieren. Dark zeigte Link ein schiefes Grinsen, von dem er wusste, dass es ihn angriffslustig und gefährlich aussehen ließ. Doch Links Blick verblieb nicht in Darks Gesicht, sondern glitt langsam an seinem Körper herab. Als Link die Waffe in Darks Hand erblickte, schnappte er hörbar nach Luft und taumelte einige Schritte zurück, bis sein Schild mit lautem Scheppern gegen die Eisenstangen vor der Tür prallte. Der Anblick des schwarzen Master-Schwerts hatte das letzte Bisschen Farbe aus Links Gesicht vertrieben. Dark war sich sicher, dass er noch nie einen derartig blassen Menschen gesehen hatte. Gerade als er seinen Doppelgänger mit der Bemerkung, er habe schon Leichen mit gesünderer Gesichtsfarbe gesehen, necken wollte, würgte Link eine Frage hervor: „W-Wer bist du?!“ Darks Grinsen wurde noch breiter, als Link kurzfristig die Stimme versagte. Der Herr der Zeiten hatte offenbar Angst vor ihm. Gut. Das würde er ausnutzen, um ein wenig Spaß mit ihm zu haben… Der Neid auf den Mittelwelt-Link und das Leben, das Dark sich für seinen Doppelgänger ausgemalt hatte, hatte das Eis in seinem Inneren neu sprießen und sämtliche Menschlichkeit überwuchern lassen. Alles, was Dark in diesem Moment wollte, war Rache. Rache dafür, dass andere in ihrer Kindheit gehabt hatten, was er sich gewünscht hatte. Er wollte Link dafür bestrafen, dass es ihm nicht genauso schlecht ergangen war wie ihm selbst! Dass er damit rein gar nichts erreichen würde, war Dark völlig egal. Sein Geist war zu sehr von wildem Destruktionsdrang befallen, um noch klar denken zu können. Mit einem wahnsinnigen Glänzen in den Augen antwortete Dark: „Ich bin du.“ Eigentlich hatte Dark erwartet, dass Link noch verängstigter werden würde, wenn er andeutete, sein fleischgewordener Schatten zu sein – schließlich fürchtete jeder schwarze Magie. Zu Darks Überraschung zog Link jedoch die Stirn kraus und funkelte ihn erbost an. Sogar seine Wangen bekamen wieder etwas Farbe, als er die Schultern straffte und den Rücken durchdrückte. Dann blickte er Dark direkt in die Augen und spie ihm entgegen: „Ich würde niemals so ein lächerliches Samtröckchen anziehen. Du siehst aus als wärst du einer Travestie-Vorstellung eines Jahrmarkts entlaufen!“ Dieses Mal war es an Dark, nach Luft zu schnappen. Es war nicht so, dass Links Beleidigung ihn wirklich getroffen hatte. Tatsächlich hatte er die Tunika ebenfalls albern gefunden, als Ganon sie ihm überreicht hatte. Doch sie erinnerte ihn an sein Hochzeitswams und das genügte, um leichte Zorneswellen durch seinen Körper schwappen zu lassen. Seine Heirat war ihm heilig und jeder, der auch nur im Entferntesten etwas dagegen sagte, brachte Dark dadurch gegen sich auf! Während Dark sein Schwertheft fester umklammerte und gegen den Drang ankämpfte, Link in blinder Wut an die Kehle zu springen, ließ dieser seine Waffe locker um den Zeigefinger kreisen. Tief durchatmend rief Dark sich in Erinnerung, was Shadow ihm über das richtige Kanalisieren von Wut beigebracht hatte. Er musste seinen inneren Ruhepunkt finden, sonst würde der Kampf womöglich übel ausgehen. Links kleine Kunststückchen verrieten Dark, dass er einem meisterlichen Schwertkämpfer gegenüberstand. Dies würde womöglich der härteste Kampf seines Lebens werden. Also ließ Dark sein inneres Eis wuchern, bis es jede Faser seines Seins bedeckte und ihn absolut emotionslos werden ließ. Dann erst antwortete er betont gelangweilt: „Ich glaube, du missverstehst mich. Ich bin deine dunkle Seite, dein Schatten.“ Zunächst zog Link fragend die Augenbrauen zusammen, doch die argwöhnische Miene wich schnell einem Ausdruck völligen Unglaubens. „Ganondorf hat eine Kopie von mir erschaffen?!“ Der Herr der Zeiten klang als wüsste er nicht recht, ob er lauthals lachen oder verängstigt davonlaufen sollte. Dark rümpfte die Nase. Wie impertinent die Mittelweltler doch waren… Offenbar gab es für den Herrn der Zeiten keinerlei Zweifel an der Tatsache, dass er das Original, der «richtige» Link war. Doch Dark würde ihm schon noch zeigen, wer von ihnen der Einzigwahre war! Es wäre vermutlich ein Leichtes gewesen, sein Gegenüber über ihr tatsächliches Verhältnis aufzuklären, aber Dark wollte sehen, wie lange Link brauchen würde, um selbst auf des Rätsels Lösung zu kommen. War den Mittelweltlern überhaupt bewusst, dass es das Schattenreich gab? Oder waren dessen Bewohner tatsächlich von allen vergessen? Zudem genoss Dark die deutlich sichtbare Verwirrung in Links Augen zu sehr, um ihn jetzt schon vom Haken zu lassen. Deswegen fiel seine nächste Antwort ähnlich kryptisch aus wie die vorangegangenen: „‚Kopie‘ ist das falsche Wort. Schließlich bin ich kein seelenloses Abbild von dir.“ Entgegen Darks Willen hörte man seiner Stimme seine Verbitterung deutlich an. Der Frust über das Schicksal des Schattenreichs und seiner Bewohner hatte sich dermaßen tief in die Seele des jungen Mannes gegraben, das er zu einem stetigen Begleiter, zu einer Art Charaktereigenschaft geworden war. Sich selbst zur Contenance rufend atmete Dark so unbemerkt wie möglich tief durch. Er durfte sich nicht in Rage denken! Wut war ein starker Antrieb, machte ihn jedoch unkonzentriert. Warum nur schien sein Eispanzer ausgerechnet vor seinem wichtigsten Duell seines Lebens nicht mehr richtig zu funktionieren?! Dark seufzte innerlich auf. Wenn das alles vorbei war, brauchte er dringend eine Ruhepause… Etwas ruhiger fuhr er fort: „Zudem habe ich meine eigenen Wünsche und Ziele, die auch nur bedingt mit denen Ganondorfs zusammenfallen. Sagen wir also lieber, ich bin dein Doppelgänger, bei dessen Auftauchen unser geschätzter Großmeister des Bösen ein wenig nachgeholfen hat. Aber ich bin keine seiner Kreaturen.“ Ob Link den beißenden Zynismus hörte? Dark hätte sich jedenfalls lieber ein Schwert in den Magen gerammt als dem Dämonenprinzen echten Respekt entgegenzubringen. Er fühlte sich durch die Behandlung, die ihm durch Ganons Phantom zuteil geworden war, und vor allem durch dessen zurückgebliebene Anteile in seinem Körper noch immer beschmutzt und missbraucht. Doch egal, ob Link Darks Verachtung für Ganon schlicht überhörte oder ignorierte, er ging jedenfalls nicht darauf ein. Stattdessen verstärkte sich der zweifelnde Ausdruck auf seinem Gesicht und er fragte in spottendem Ton: „Ach nein?“ In diesem Moment hatte Dark nicht schlecht Lust, seinem Gegenüber mit der flachen Hand einen Klapps gegen den Hinterkopf zu verpassen. Unterschied Link sich in seinen kognitiven Fähigkeiten von ihm oder war er selbst tatsächlich auch so beschränkt?! „Natürlich nicht!“ Dark konnte nicht verhindern, dass seine Stimme zu einem Knurren verkam. Er hasste es, dass Link ihn in die Nähe dessen rückte, was er von Herzen verabscheute. Er wollte nicht mit Ganon in einen Topf geworfen werden! „Weißt du, für mich klingt das aber sehr danach. Ganondorf hat dich geschaffen, also bist du seine Kreatur.“ Für seinen provokanten Ton hätte Dark Link am liebsten direkt ins Gesicht geschlagen. Dann wäre jedoch unweigerlich ein Kampf entbrannt und dazu war Dark noch nicht bereit. Er wollte, dass Link zuerst verstand, dass sie beide ebenbürtig waren. Dass sie beide Geschöpfe der Göttinnen waren, auch wenn diese sich offenbar nur an einen von ihnen erinnerten… Deswegen fauchte Dark Link lediglich bemüht beherrscht an: „Bin ich nicht! Ganondorf hat mich weder geschaffen, noch zum Leben erweckt. Er hat mich lediglich herübergeholt.“ Bei diesen Worten spitzte der Herr der Zeiten interessiert die Ohren und ließ sein Schwert sinken, das er bislang auf Hüfthöhe gehalten hatte – so als wäre er sich unschlüssig, ob er nun zuschlagen sollte oder nicht. „Herübergeholt? Von wo?“ Link machte ein ratloses Gesicht, das Dark beinah in den Wahnsinn trieb. Es konnte doch unmöglich so sein, dass der Herr der Zeiten keine Ahnung von den verschiedenen Welten und die Besonderheiten ihrer Bewohner hatte. Oder?! „Aus dem Schattenreich.“ Man hörte Dark seine Verstimmung darüber, dass er Link auf die Sprünge helfen musste, deutlich an. Als sich Links irritierte Miene noch verstärkte, stieß der junge Schattenweltler schnaubend Luft aus der Nase aus, sodass sich seine Nüstern blähten wie bei einem Pferd. Dann zischte er verbittert: „Ihr Mittelweltler seid so ignorant… Ihr lebt hier in dieser wundervollen Welt mit ihren grünen Wäldern, ihrem klaren Wasser, ihrer Artenvielfalt… Doch anstatt zu erkennen, wie gesegnet ihr seid, blickt ihr gedanklich immer nur rüber zum Heiligen Reich, dem Lichtreich, und sehnt euch nach Höherem. Dabei solltet ihr vielleicht einmal in die andere Richtung, aufs Schattenreich schauen. Dann würdet ihr vermutlich erkennen, wie gut ihr es habt.“ Dark konnte es nicht fassen… Nicht nur die Göttinnen hatten sich von der Schattenwelt abgewandt. Auch die Bewohner der Mittelwelt ignorierten ihre im Elend lebenden Gegenstücke. Offenbar reichte das Desinteresse soweit, dass es in der Mittelwelt nicht einmal mehr Legenden über das Schattenreich gab. Dabei hätte es für die Bewohner der Mittelwelt genügend Gründe gegeben, sich mit den Schattenweltlern gegen die Göttinnen und ihre Lichtwesen zu verbünden, fand Dark. Sowohl das Mittel- wie auch das Schattenreich waren von dem überbordenden Luxus der Lichtwelt ausgeschlossen und dämonischen Übergriffen ausgeliefert. Beide Welten waren nicht mehr als Verteidigungsringe, die die Lichtwelt vor den Wesen der Dunkelheit, den Dämonen, schützen sollten. Dark war sich sicher: Die Bewohner dieser beiden Reiche hatten die Göttinnen nie wirklich interessiert. Din, Nayru und Farore waren in seinen Augen kaltherzige Miststücke, die sich um niemanden außer sich selbst kümmerten. Während Dark an den trotz allem unerschütterlichen Glauben seiner Eltern dachte und innerlich den Kopf über sie schüttelte, riss Link verblüfft die Augen auf. „Du meinst, es gibt neben unserer Welt und dem Heiligen Reich noch eine dritte Welt?“ Eine Augenbraue in die Höhe gezogen, bedachte Dark sein Gegenüber mit einem nachdenklichen Blick. Entweder beherrschte der Herr der Zeiten es perfekt, den ahnungslosen Trottel zu mimen, oder er hatte tatsächlich nicht den geringsten Schimmer von was Dark sprach. Brachte man den Kindern dieser Welt überhaupt irgendetwas bei oder beschränkte sich die Erziehung hierzulande darauf, die eigenen Sprösslinge mit der Flut an verfügbarer Nahrung und Möglichkeiten zu verhätscheln? Allmählich wich Darks Zorn über Links Unkenntnis trauriger Resignation. Wie hatte er je etwas anderes glauben können? Die Schattenwelt und ihre Bewohner waren der Abschaum der göttlichen Schöpfung. Sie erfuhren nicht mehr Beachtung als ein lumpiger Bettler in einer dunklen Seitengasse. Statt sich weiter zu ärgern, erklärte Dark daher mit leiser Stimme: „Das Schattenreich ist das Gegenstück zum Heiligen Reich. Diese beiden Welten bestehen schon seit dem Anbeginn der Zeit als zwei Seiten einer Medaille. Während das Lichtreich als Heimat der Göttinnen vor Leben nur so strotzt, darbt das Schattenreich, welchem die Dämonen und Schattenwesen entspringen. Das Land ist karg, der Himmel bleiern, das Wasser verschmutzt und Nahrung knapp. Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie das ist, dort zu leben, wo jeder jedermanns Feind ist, wo“, er machte eine kurze Pause, um zu schlucken und seine Stimme eben halten zu können, „Eltern ihre Kinder schlachten, um zu überleben.“ Obwohl er sich inzwischen sehr sicher war, dass er damals einem Missverständnis aufgesessen war, lief ihm bei der Erinnerung an den letzten Abend seiner Kindheit ein eisiger Schauer über den Rücken. Arn hatte ihn zwar nicht wirklich töten wollen, doch es war beredt genug, dass Dark es damals für möglich gehalten hatte. Er war sich sicher, dass es andere Familien gab, wo derlei Gräueltaten tatsächlich stattgefunden hatten… Link hatte bei der Pause aufgemerkt und öffnete nun den Mund, um etwas zu sagen, doch Dark ließ ihn nicht zu Wort kommen: „Eure Welt hingegen ist noch vergleichsweise jung. Din, Farore und Nayru schufen sie eines Tages als eine Art Schutzwall zwischen Licht- und Schattenreich. Ihr seid also sozusagen zwischen Licht und Schatten eingeklemmt, zwischen Gut und Böse.“ Der junge Schattenweltler grinste von seinem eigenen Galgenhumor amüsiert, als er das Bild verbalisierte, das sich ihm ungefragt vor das geistige Auge geschoben hatte: „Vermutlich waren die Lichtwesen die ständigen Übergriffe der Schattenweltler leid. Ist ja auch lästig, wenn bei einem Festbankett plötzlich ein paar Bettler auftauchen…“ Für einen Moment fragte Dark sich, ob er sich ein wenig am Riemen reißen sollte. Womöglich war es ein Fehler, seine Frustration, seine ohnmächtige Wut und vor allem seine seelischen Wunden so deutlich zu zeigen – immerhin war Link sein Gegner. Andererseits hatte der Herr der Zeiten kaum eine Möglichkeit, dieses Wissen gegen Dark zu verwenden. Außerdem bereitete der verwirrte Ausdruck in Links Augen Dark dermaßen diebische Freude, dass er es dafür in Kauf nahm, dem Herrn der Zeiten womöglich zu viel von sich zu zeigen. Er konnte förmlich sehen wie Links Vertrauen in die Göttinnen erste Risse bekam. Es brauchte nicht mehr viel und der Herr der Zeiten würde vom Glauben abfallen. Dark grinste düster in sich hinein. Das war perfekt! Zuerst würde er ihren auserwählten Helden dazu bringen, sich von den Göttinnen abzuwenden, und auf diese Weise auf intellektueller Ebene über sie dominieren. Dann würde er den Herrn der Zeiten im Kampf besiegen und das Schicksal der Licht- und Mittelwelt in Ganons Hände legen, damit dieser in seiner dämonischen Zerstörungswut Darks Rache perfektionierte. Die Göttinnen sollten ruhig am eigenen Leib erfahren, was es bedeutete, um das eigene Überleben zu bangen… Vielleicht hatte Dark ja sogar Glück und Ganon, Nayru, Din und Farore brachten sich gegenseitig um. Auf diese Weise erführe der Schattenweltler nicht nur Genugtuung für das Elend, das er erleiden musste, sondern auch die Bedrohung durch Ganon würde sich in Luft auflösen. Um den Keil, der sich zwischen Göttinnen und auserwähltem Helden andeutete, noch tiefer zu treiben, stichelte Dark: „Das klingt so gar nicht nach den edlen Göttinnen, die in euren Geschichten beschrieben werden, nicht wahr?“ „In der Tat.“ Links trauriger Unterton war wie Musik in Darks Ohren. Den günstigen Moment ausnutzend schob er schnell nach: „Auch das Triforce ist eigentlich kein Zeichen für göttliche Gnade. Tatsächlich wollten Din, Farore und Nayru euch Mittelwelter gänzlich schutzlos lassen, doch ein paar feinfühlige Lichtwesen hatten wohl Mitleid mit euch und überredeten die drei dazu, euch mit dem Triforce zumindest die Möglichkeit zur Verteidigung gegen die Dämonen zu geben. Dass daraus auch eine große Bedrohung für euch erwuchs, haben sie wohl nicht gesehen.“ Dark hörte bereits das Fundament von Links Glauben brechen, doch dieser überraschte ihn mit nahezu vollständiger Indifferenz: „Also gut, möglicherweise ist unsere Schöpfung nicht so abgelaufen wie ich bislang glaubte. Aber was hat das mit dir und mir zu tun?“ Dark knurrte stumm in sich hinein. Wann war Link ihm vom Haken gesprungen? Und warum hatte er es nicht gemerkt? Hatte er etwa zu dick aufgetragen? Um sich ein wenig Zeit zur Neuordnung seiner Strategie zu erschleichen, antwortete Dark wahrheitsgemäß: „Nahezu jedes Individuum hat in den anderen Welten ein Pendant damit das Gesamtgefüge im Gleichgewicht bleibt.“ „Willst du damit sagen, dass im Heiligen Reich ein dritter Link rum läuft?“ Der aufgeregte Tonfall des Herrn der Zeiten erinnerte Dark unangenehm an seine Kindheit. Oh, wie hatte er sich damals über die Vorstellung gefreut, mit den anderen Links zu spielen! Und was war von diesem Traum übrig geblieben? Nur ein Haufen Scherben… „Nein. Du gehörst zu den wenigen Ausnahmen, die nur ein dunkles Abbild haben.“ Darks Antwort kam langsam und ein wenig stockend, weil er gedanklich noch in seiner Kindheit war. Außerdem war er sich nicht sicher, ob es besonders klug war, dem Herrn der Zeiten zu erklären, was ihn so besonders machte. Andererseits konnte Link mit diesem Wissen vermutlich nicht besonders viel anfangen… Also erzählte Dark ihm auf seine Nachfrage hin alles, was er über die verschiedenen Doppelgänger und das Wechseln zwischen den Welten wusste. Er berichtete ihm von den acht Lichtwesen, die sich dem Schutz der Mittelwelt verschrieben hatten und von Ganons Ausbruch aus der Schattenwelt und was dies alles für die eigentlichen Bewohner der Mittelwelt zu bedeuten hatte. Link sah aus als platzte ihm vor lauter Informationen der Kopf, doch als Dark schließlich endete, nickte er und sagte: „Ich denke, ich verstehe es.“ Dark zog die Unterlippe zwischen die Zähne und fragte sich, ob sein Gegenüber tatsächlich begriffen hatte, was er ihm erklärt hatte. Es hätte ihn zumindest nicht verblüfft, wenn Link nur so tat als hätte er ihm folgen können. Tatsächlich war sich Dark nicht einmal selbst sicher, ob er alles verstanden hatte. Bevor er sich darüber den Kopf zerbrechen konnte, platzte Link in seine Gedanken: „Aber eine Frage habe ich noch: Du hast vorhin gesagt, du hättest deine eigenen Ziele. Welche?“ Eigentlich hatte Dark vorgehabt, Links Glauben zu zerschmettern, bevor er das Schwert gegen ihn erhob. Angesichts dieser Steilvorlage verwarf der Schattenweltler diesen Plan jedoch wieder. Link machte sowieso nicht den Eindruck als gäbe es bei ihm viel, das erschüttert werden konnte. Paradoxer Weise schien der von den Göttinnen auserwählte Held eine nicht besonders gläubige Person zu sein… Also verzog Dark die Lippen zu einem wölfischen Grinsen und antwortete in beinah süffisantem Ton: „Ich will nie wieder zurück in die Schattenwelt. Ich will einen Platz in diesem Reich – deinen Platz!“ Mit diesen Worten riss Dark sein schwarzes Master-Schwert hoch und ließ die rasiermesserscharfe Schneide in einem atemberaubenden Tempo auf Link niedersausen. Darks Mundwinkel zuckten unwillkürlich nach oben, als er nur wenige Millimeter an Links Schulter vorbei schlug. Eigentlich hätte er den Herrn der Zeiten mit nur diesem einen Schwertstreich niederstrecken können. Doch Dark war zu eitel, um diese Chance auszunutzen. Stattdessen wollte er einen ernsthaften Kampf, in dem er seine Überlegenheit zur Schau stellen konnte. Zwar glaubte er fest daran, dass Link der härteste Gegner war, dem er je gegenüber gestanden hatte. Dennoch hatte er keinerlei Zweifel daran, dass er in der Lage dazu war, mit ihm Katz und Maus zu spielen. Und genau das wollte er tun… Alles an ihm dürstete danach, den von den Göttinnen erwählten Helden vorzuführen, um Din, Farore und Nayru zu beweisen, was für einen gewaltigen Fehler sie durch ihre Ignoranz dem Schattenreich gegenüber gemacht hatten. Er war der Link dieser Generation, der die Gunst der Göttinnen verdiente – nicht dieser verwöhnte Mittelweltler! Wie erhofft zerrte der Herr der Zeiten in Windeseile seinen Schild nach vorn und setzte zum Schlag an. Von einem leisen Lachen begleitet, brachte Dark sich jedoch mit einem Rückwärtssalto aus der Gefahrenzone, bevor Links Klinge ihm auch nur ansatzweise hatte gefährlich werden können. Dark wusste, kräftemäßig würden Link und er sich nicht großartig unterscheiden. Deswegen musste er seine Schnelligkeit und Geschicktheit ausspielen, um dem Herrn der Zeiten das Gefühl zu geben, absolut unterlegen zu sein. Ein schaler Geschmack breitete sich auf Darks Zunge aus, als er an Shadow dachte und seinem ehemaligen Meister stumm dafür dankte, dass dieser ihm in schier endlos wirkenden Lektionen beigebracht hatte, schon anhand kleinster Bewegungen die nächste Aktion eines Kontrahenten vorauszusehen. Dies würde ihm nun sehr zum Vorteil gereichen. Als Dark den verdatterten Gesichtsausdruck seines Kontrahenten bemerkte, schwoll sein leises Kichern zu lautem Gelächter an. Link blinzelte irritiert und löste seine Augen endlich von der Stelle, wo Dark nur wenige Sekunden zuvor noch gestanden hatte. Offenbar konnte der Herr der Zeiten kaum glauben, dass der Schattenweltler in der Lage dazu gewesen war, seinem gewaltigen Streich auszuweichen. „Du wirst dir mehr einfallen lassen müssen, wenn du mich besiegen willst. Schließlich bin ich das perfekte Gegenstück zu dir – in jeder Beziehung.“ Dark entblößte in einem wölfischen Grinsen seine Zähne und weidete sich an dem verunsicherten Eindruck, den Link machte. Dieser verstärkte sich sogar noch, als Dark Ganons Forderung erfüllte und jede Bewegung des Herrn der Zeiten perfekt imitierte. Wann immer Link einen Schritt nach vorn machte, wich Dark genau eine Schrittlänge zurück. Wenn Link das Schwert erhob, tat Dark es ihm gleich und parierte den Schlag mit einer exakten Kopie des Schwungs. Stand Link still, bewegte Dark sich ebenfalls nicht und machte sich einen Spaß daraus, selbst den Ausdruck auf Links Gesicht nachzuahmen, was diesen sichtlich enervierte. Man mochte von Ganon halten, was man wollte, doch eines musste man dem Dämonenprinzen lassen: Er kannte seinen Feind! Darks Verhalten irritierte Link so sehr, dass er immer wieder patzte und Anfängerfehler machte. Es wäre für Dark ein Leichtes gewesen, einen dieser Schnitzer auszunutzen, Links Verteidigung auszuhebeln und ihn mit nur einem taktisch platzierten Hieb niederzustrecken. Doch er wollte seinen Gegner nicht nur besiegen. Er wollte ihn vernichtend schlagen! In seinem Kopf beobachteten die Göttinnen diesen Kampf und bangten um das Leben ihres auserwählten Helden. Dark weidete sich an der Vorstellung, dass Din, Nayru und Farore während des langen Duells immer mehr die Hoffnung verloren und schließlich verzweifelten, wenn sie erkannten, dass ihr Kämpfer absolut chancenlos und dem Tode geweiht war. Von diesem imaginierten Bild angetrieben, beschied Dark, dass er lange genug Katz und Maus gespielt hatte. Es war an der Zeit, endlich ernst zu machen! Mit einem wahnsinnigen Glänzen in den Augen drosch Dark immer wieder auf Links Schild ein, so als hoffte er darauf, den Stahl spalten zu können. Der Herr der Zeiten ächzte bei jedem abgeblockten Schlag und taumelte wenige Schritte zurück. Dabei verzog er sein Gesicht zu einer gequälten Fratze, was Dark aufmerken ließ. Offenbar hatte Link sich vor nicht allzu kurzer Zeit den Schildarm verletzt. „Das kommt ja wie gerufen…“ Dark grinste breit, was ihm zusammen mit dem Funkeln seiner Augen wie einen Geisteskranken aussehen ließ. Passend dazu ließ Dark sein Schwert immer wieder wie ein Berserker auf Link niederprasseln. Dieser hatte immer größere Probleme, sich zu verteidigen. Dicke Blutstropfen lösten sich aus dem Stoff seiner Kleidung und fielen mit leisem Klatschen auf den gefluteten Boden, wo sie sich zu Phantasieblumen auffächerten und hinabsanken. Trotzdem hielt der Herr der Zeiten verzweifelt dagegen, bis Dark ihm mit einem Schwerthieb eine Ponysträhne kürzte. Mit schreckgeweiteten Augen starrte Link auf die langsam hinabrieselnden Haare, während sein Kontrahent siegessicher grinste. Dark war sich sicher, schon bald würde der von den Göttinnen auserwählte Held zu seinen Füßen liegen und um Gnade betteln. Und er hätte endlich die Möglichkeit, sich an den Göttinnen zu rächen, indem er Link mit genau der Härte begegnete, die Nayru, Farore und Din den Schattenweltlern gegenüber gezeigt hatten! Sie sollten ruhig wissen, wie das war, wenn der Einzige, der das eigene Schicksal in den Händen hielt, sich von einem abwendete! Von diesem Gedanken mit neuer Energie versorgt, drosch Dark noch härter auf Links Schild ein. Dem bereits völlig ermatteten Herrn der Zeiten blieb nichts anderes übrig, als immer weiter zurück zu weichen. Dark folgte ihm jedoch auf dem Fuße und trieb ihn zum gefühlten tausendsten Mal um den toten Baum. Erschöpft wie er war, fehlte Link die Konzentration, um auf seine Umgebung zu achten, sodass es Dark nicht überraschte, als sein Gegner über eine Wurzel stolperte und auf den Rücken stürzte. Der Aufprall presste Link die Luft aus der Lunge, was ihn für einige Sekunden wie gelähmt auf dem Boden liegen ließ. Dark nutzte diese Chance und richtete seine Schwertspitze genau auf Links Herz. Endlich! Der Zeitpunkt, wo er über die Göttinnen und sein Schicksal triumphieren würde, war endlich gekommen! Schon bald würde er mit Zeldas Doppelgängerin ein neues Leben anfangen und sich täglich darüber ins Fäustchen lachen, dass er allen Widerständen getrotzt hatte. Obwohl die Göttinnen ihm ein Schicksal ohne Zukunft aufgebürdet hatten, gab es in seinem Leben nun endlich wieder ein goldenes Morgen. Obwohl Dark sein Schwert bereits zum finalen Stoß erhoben hatte, versuchte Link, den höllischen Schmerzen in seinem rechten Arm zu trotzen und sich wieder aufzurappeln. Darks Mundwinkel zuckten angesichts so viel Kampfeswillen ein wenig in die Höhe. Ja, sie waren eindeutig Gegenstücke! Die Entdeckung einer weiteren Gemeinsamkeit stimmte Dark milde. Dies bedeutete aber nicht, dass er seinen Doppelgänger verschonen wollte. Stattdessen wollte er ihm seinen Tod lediglich so einfach und schmerzfrei wie möglich machen. Mit einem Lächeln auf den Lippen strich Dark in sanftem Ton heraus: „Sieh es endlich ein, du bist mir nicht gewachsen – nicht in dieser Verfassung.“ Er hoffte, dass seine Worte Link zur Aufgabe bewegen und dazu bringen würden, still auf dem Rücken liegen zu bleiben. Auf diese Weise würde Dark sein Herz ganz sicher treffen, was einen schnellen Tod gewährleistet hätte. Doch anstatt zu resignieren, funkelte Link zornig zu Dark herauf. Davon unbeeindruckt, fuhr Dark in einem, seiner Meinung nach, tröstenden Ton fort: „Jetzt guck doch nicht so wütend. Deine Aufgabe hätte vermutlich jedem einiges abverlangt. Außerdem bist du verletzt.“ Dass sich angesichts von Links Sturheit ein amüsierter Unterton in seine Stimme geschlichen hatte, der seine Worte nach Hohn klingen ließ, fiel dem Schattenweltler nicht auf. Deswegen legte er nur den Kopf schief wie er es schon als kleines Kind getan hatte, wenn ihn Neugierde überfallen hatte, und sprach weiter: „Ich frage mich, ob das hier noch wehtut.“ Mit diesen Worten trat er Link gegen die Sohle des Fußes, den der Herr der Zeiten ein wenig nachgezogen hatte, als Dark ihn aus seinem Versteck hinter dem Geisterbaum beobachtet hatte. Während des Kampfes hatte Link sein Humpeln jedoch so gut verstecken können, dass Dark sich ernsthaft fragte, ob die Verletzung gar nicht so sehr schmerzte wie er anfangs angenommen hatte. Links lautes Aufstöhnen ließ Dark jedoch vermuten, dass der Herr der Zeiten noch immer unter heftigen Schmerzen litt, diese jedoch überzeugend überspielen konnte. Merkwürdiger Weise machte dies Dark ein wenig stolz auf Link und er lobte: „Wie ich es mir gedacht habe… Ich muss gestehen, dass ich beeindruckt bin. Du hättest es fast geschafft, dein Humpeln vor mir zu verbergen.“ Bedauern schlich sich in das Herz des Schattenweltlers, als er daran dachte, Link töten zu müssen, obwohl er ihm so ähnlich war. Selbst in dem trotzigen Ausdruck, der sich auf dem Gesicht des Herrn der Zeiten breit gemacht hatte, erkannte er sich wieder. Doch jegliches Mitgefühl wurde bis auf die Grundfeste niedergebrannt, als plötzlich der tief in Darks Seele verankerte Neid neu aufloderte. Nein! Sie waren keine Freunde und würden auch nie welche werden! Niemals! Dark betrachtete für einen kurzen Moment die scharfe Schneide seines Schwertes und schätzte ab, wie viel Kraft er wohl würde aufbringen müssen, um den Brustkorb des Herrn der Zeiten zu durchstoßen. Dann ließ er seinen Schild zu Boden fallen, umpackte er das Schwertheft mit beiden Händen, suchte sich einen festen Stand und fragte: „Irgendwelche letzten Worte?“ Zu Darks Irritation leuchteten Links Augen bei dieser Frage kurz auf, bevor er ihm entgegenzischte: „Ein Kampf ist erst dann vorbei, wenn er vorbei ist!“ Bevor Dark sich fragen konnte, was dies bedeuten sollte, schnappte Link sich den fallengelassenen Schild und schleuderte ihn Dark mit voller Wucht ins Gesicht. Ein stechender Schmerz explodierte über Darks rechter Augenbraue und das aus der Platzwunde hervorquellende Blut brannte fürchterlich in seinem Auge Am liebsten hätte er sich beide Hände auf die Verletzung gedrückt, um den Blutfluss umzulenken. Stattdessen umklammerte er jedoch seinen Schwertgriff, um nicht plötzlich völlig wehrlos dazustehen. Dark versuchte blinzelnd, Link im Blick zu behalten, doch wann immer er das rechte Auge öffnen wollte, schoss ein Schmerz wie von tausend Nadeln durch seinen Augapfel. Dennoch zwang er sich, es offen zu halten, um so wenig wie möglich von seinem räumlichen Sehen einzubüßen. Als er endlich wieder etwas erkennen konnte, bemerkte Dark, dass Link nicht mehr vor ihm auf dem Boden lag. Schnell wirbelte er herum und entdeckte hinter sich den Herrn der Zeiten mit abwehrend vor sich gehaltenem Schwert. Bei diesem Anblick kochte Darks Wut über und ließ ihn sprichwörtlich Rot sehen. Links Attacke hatte jedes auch nur ansatzweise positive Gefühl, das Dark ihm entgegen gebracht hatte, ausgelöscht. Wie hatte er nur so dumm sein und für einen Moment glauben können, sie beide wären Brüder im Geiste?! Wie hatte er so blöd sein können, zu glauben, dass er überhaupt irgendeinen Verbündeten hatte? Seit frühester Kindheit hatten die Göttinnen ihm immer wieder bewiesen, dass er dazu bestimmt war, einsam und allein zu sein. Wenn sie ihm dann doch mal einen Gefährten geschickt hatten, dann nur, um ihn wieder fortzunehmen und Darks Leid noch zu mehren. Die Göttinnen hassten ihn. Und er hasste alles, was mit ihnen in Verbindung stand! Mit zornverzerrter Stimme brüllte der Schattenweltler: „Das wirst du bereuen! Ich wollte dir die Gnade eines schnellen Todes gewähren, da wir uns so ähnlich sind, doch nun werde ich dir beibringen, was es heißt zu leiden!“ Dann stieß er einen unartikulierten Kampfesschrei aus und stürzte sich auf Link, der nun wieder stark humpelte und deswegen nur schlecht ausweichen konnte. Dark kämpfte nun von wildem Blutdurst getrieben. Es war als hätte er schlagartig alles vergessen, was Shadow ihm je beigebracht hatte. Mit Tränen in den Augen drosch er blind auf Link ein, ohne auf seine Verteidigung zu achten. Er wollte Link nur noch tot sehen, weil er glaubte, die Erschlagung des von den Göttinnen auserwählten Helden helfe gegen den schreienden Schmerz in seinem Inneren. Nun wäre es an Link gewesen, seine technische Überlegenheit auszuspielen. Doch der Herr der Zeiten war dermaßen entkräftet, dass er genug mit Ausweichen und dem Parieren von Darks Schlägen zu tun hatte. Auf einmal schlich sich jedoch ein Grinsen auf Links Lippen, was Dark noch mehr durchdrehen ließ. Worüber amüsierte sich dieser schildwerfende Mistkerl?! Egal, er würde ihm schon zeigen, wer zuletzt lacht… Ein weiteres Mal ließ Dark seine Waffe auf Link herabsausen. Das schwarze Master-Schwert knallte mit einem lauten Klirren auf die Parierstange seiner Schwesternklinge, von wo aus es heftige Vibrationswellen den Arm des Herrn der Zeiten heraufschickte. Dieser überraschte seinen Kontrahenten, indem er kaum dagegenhielt, sondern Darks Klinge geschickt abrutschen ließ, einen Satz nach hinten machte und dann sein Schwert wegsteckte, bevor er in Richtung des Geisterbaums flüchtete. Eine leise Stimme in Darks Innerem warnte ihn davor, dass es sich bei Links sonderbarem Verhalten bestimmt um eine List handelte, doch sie wurde von dem laut durch Darks Adern rauschendem Blutdurst übertönt. Seine Klinge schwingend rannte Dark dem Herrn der Zeiten hinterher und versuchte, den augenscheinlich wehrlosen Mann niederzumetzeln. Link duckte sich jedoch im letzten Moment unter dem Schlag hinweg, sodass sich die Schneide des schwarzen Master-Schwerts tief in den Stamm des toten Baumes bohrte. Dark zog ein paar Mal an dem Schwertheft, doch als ihm klar wurde, dass er seine Waffe so schnell nicht würde befreien können, zückte er Zeldas Schwert. Während der Herr der Zeiten bei diesem Anblick überrascht die Augen aufriss, hatte Dark das Gefühl, mit neuer Kraft versorgt zu werden. Es war beinah als lägen Zeldas Hände auf seinen, als unterstütze sie ihn bei jedem Hieb. Die Stimme in seinem Hinterkopf, die ihn mahnte, dass Zelda einen Mord niemals gutgeheißen hätte, ignorierte er geflissentlich. Doch bevor Dark mit Zeldas Schwert auch nur zu einem Schlag ausholen konnte, rief Link: „Hier, fang!“ Mit diesen Worten warf der Herr der Zeiten eine blauschwarze Kugel zu Dark herüber, die diesen einen erschrockenen Satz nach hinten machen ließ. Die Bombe landete mit einem Platschen vor ihm auf dem Boden und Dark wollte bereits flüchten, als ihm etwas auffiel. Mit einem breiten Grinsen hob Dark die Bombe auf und spottete: „Dir ist bewusst, dass eine Bombe nicht explodiert, wenn man ihre Lunte nicht entzündet, oder?“ Er konnte kaum glauben, wie dumm der Herr der Zeiten war! Dieser ließ den Spott jedoch einfach an sich abprallen und hob die linke Hand, in der sich eine Art Kristall befand. Dark konnte sich darauf keinen Reim machen, aber Links Worte jagten ihm dennoch einen Schauer über den Rücken: „Ja, das ist mir vollkommen klar.“ Wenn es ihm bewusst war, warum…? In diesem Moment fiel es Dark wie Schuppen von den Augen, was Link in der Hand hielt: einen Feuerzauber! Kaum dass Dark dies registriert hatte, breitete sich von Link ausgehend eine gewaltige Flammenwand aus und walzte sich auf den Schattenweltler zu. Resigniert ließ dieser die Bombe aus seinen Händen gleiten, während sich eine einzelne Träne aus seinem Augenwinkel stahl. Zu seiner eigenen Überraschung hatte er keine Angst vor dem Tod. Nicht mehr. Stattdessen verspürte er eine gewisse Erleichterung, dass nun alles vorbei sein würde. Während er die Feuerwand auf sich zurasen sah und die wichtigsten Stationen seines Lebens noch einmal Revue passieren ließ, wurde Dark plötzlich klar, dass er selbst seit jeher sein größter Feind gewesen war. Es hatte immer wieder Momente in seinem Leben gegeben, in denen er seinem Schicksal eine Wendung hätte geben können, doch er war zu verblendet gewesen, um diese Chancen als solche zu erkennen. Er hatte sich nie mit dem zufriedengeben können, was er hatte. Stattdessen hatte er stets hasserfüllt auf das geblickt, was ihm fehlte. Die Göttinnen hatten ihn zwar vielleicht verlassen, aber sie hatten ihn nie verdammt. Das hatte er selbst getan… Das Schlimmste daran war jedoch, dass er den Menschen in seinem Leben dadurch ebenfalls viel Unrecht getan hatte. Als die Flammenwand ihn fast erreicht hatte, schloss Dark die Augen und flüsterte leise: „Es tut mir leid, Vater… Mutter… Shadow…“ Kurz darauf zerriss eine ohrenbetäubende Explosion die Luft, doch davon merkte Dark nichts mehr. Die Wucht der Detonation war so kräftig, dass er augenblicklich tot war. Alles, was von ihm übrig blieb, war eine Wolke hauchfeiner Asche und das unausgesprochene Versprechen, im nächsten Leben alles besser zu machen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)