Ocarina of Time von Labrynna ================================================================================ Kapitel 62: Der Teufelsturm --------------------------- Den beiden Abenteurern war gehörig mulmig zumute, als sie durch das aufgerissene Maul des Drachen den Turm betraten. Doch trotz ihres Unwohlseins konnte Navi nicht umhin, die Steinmetzkunst des Tores zu bewundern. Wer immer das Gestein bearbeitet hatte, hatte wirklich eine Glanzleistung abgeliefert. Das Drachenmaul war derart detailreich gestaltet, dass Navi sich nicht gewundert hätte, wenn man sich an den spitzen Zähnen tatsächlich hätte verletzen können. Dementsprechend dankbar war die Fee, dass es zwischen den Fängen reichlich Platz gab, sodass Link keine Gefahr lief, sich an einem der Zähne das Bein aufzuschlitzen. Durch das Drachenmaul gelangten die Beiden in einen nur schlecht beleuchteten, runden Raum, der bis auf wenige Fackeln und einigen entlang der Wände aufgestellten Rüstungen vollkommen leer zu sein schien. Das Wichtigste war jedoch die mit einem dicken roten Teppich ausgelegte Treppe, die sich in einem weiten Bogen zum nächsten Stockwerk nach oben wand. Während Link zu einer der Rüstungen hinüberging, lauschte Navi auf die schaurige Orgelmusik, die deutlich lauter geworden war, seit sie den Turm betreten hatten. Irgendwie war die Vorstellung, dass Ganondorf gemütlich dort oben in seinem Turmzimmer hockte und Orgel spielte, während der Herr der Zeiten sich durch seine Festung kämpfte, obskur. Der Großmeister des Bösen musste sich seiner selbst verdammt sicher sein, wenn er angesichts der Fortschritte, die sein Feind bereits gemacht hatte, noch immer in Seelenruhe seiner Musik frönen konnte… Link hatte unterdessen die Rüstung erreicht und legte nachdenklich den Kopf schief. Die Rüstung bestand aus einem stählernen Helm, einem ebenso stählernen, massiven Brustharnisch mit passenden Arm- und Beinschützern, sowie aus Überresten erlesenen Stoffes in den Farben der hylianischen Königsfamilie. Irgendwie empfand Link die Anwesenheit dieser Rüstungen als bedrohlicher als alles andere, das er in der Festung bereits gesehen hatte. „Hmm… Ganondorf hat auf mich nie den Eindruck eines Kunstsammlers gemacht“, sagte der junge Mann mehr zu sich selbst als zu seiner Begleiterin und streckte die Hand aus, um den Helm, der zu weit nach unten gerutscht war, wieder zu richten. Doch kaum, dass er die Kopfbedeckung angehoben hatte, riss er seine Hand auch schon wieder mit einem entsetzten Aufschrei zurück. Sofort war Navi an seiner Seite und sah sich besorgt nach einer Bedrohung um. „Was ist los?“, fragte sie nervös, als sie keinen Angreifer entdecken konnte. Links Gesicht war aschfahl, als er zu ihr aufsah, sodass die frischen, noch leicht rötlichen Narben auf seiner Wange besonders deutlich hervorstachen. „D-Da steckt noch jemand drin.“ Die Stimme des Recken zitterte heftig, aber das schien ihm völlig egal zu sein. „Wie ‚da steckt noch jemand drin‘? Was meinst du damit?“ Ohne eine Antwort abzuwarten, stemmte die Fee den Helm der Rüstung ein wenig nach oben und stieß einen spitzen Schrei aus, als auch sie den Schädel entdeckte, an dem noch immer Reste dunkelblonden Haares klebten. „Bei den Göttinnen, ist das ekelhaft!“ Obwohl der Anblick des fast vollständig verwesten Kopfes zu den widerlichsten Dingen gehörte, die Navi in ihrem Leben je gesehen hatte, ging eine morbide Faszination von ihm aus und die Fee musterte Links Fund neugierig. „Meinst du, alle Rüstungen hier sind in Wirklichkeit die Wachen, die vor sieben Jahren das Schloss beschützt haben?“ „Darüber will ich, ehrlich gestanden, überhaupt nicht nachdenken.“ Link stand mit verschränkten Armen mitten im Raum und sah aus als würde er am liebsten davonrennen. Obwohl er wusste, dass sein Vater bereits vor fast zwanzig Jahren, kurz nach Links Geburt, gestorben war, konnte sich der junge Mann nicht der Vorstellung erwehren, in einer dieser Rüstungen könnten die Überreste seines Vaters stecken. Auch wenn er sich nicht an seine Eltern erinnern konnte, ließ allein dieser Gedanke sein Herz schmerzhaft krampfen. Navi warf ihm wegen des merkwürdigen Untertons in seiner Stimme einen Blick über die Schulter hinweg zu und schien seine Gedanken zu erraten: „Dein Vater war auch Soldat, oder?“ Sie ließ endlich den Helm los und flog zu ihrem Schützling herüber. „Ein Hauptmann der königlichen Garde, ja“, antwortete Link tonlos. „Das ist zumindest das, was mir der Deku-Baum erzählt hat.“ Während sie sich daran machten, die Treppe in das nächste Stockwerk zu erklimmen, musterte Navi ihren Freund von der Seite und erschrak fast darüber wie verschlossen sein Gesicht plötzlich wirkte. Offenbar waren seine Eltern ein Thema, mit dem er sich nur ungern beschäftigte und wo noch viele unverarbeitete Gefühle im Hintergrund lauerten. Nach einigem Zögern fragte die Fee dennoch: „Erinnerst du dich überhaupt nicht an sie? Deine Eltern, meine ich.“ Link blieb abrupt stehen und atmete tief durch. Dann antwortete er mit einem nach innen gewandt wirkenden Blick: „Leider nicht. Jedenfalls nicht bewusst. Manchmal, wenn ich mich in dieser merkwürdigen Übergangsphase zwischen Schlaf und Wachsein befinde, glaube ich, ihre Stimmen zu hören. Aber ich weiß natürlich nicht, wie viel davon tatsächlich auf unbewussten Erinnerungen beruht und wie viel lediglich meiner Phantasie entspringt.“ Navi machte ein mitfühlendes Gesicht und fragte sich wieder einmal, was schlimmer war: Sich daran zu erinnern wie man seine Familie verloren hatte oder völlig ohne Erinnerungen an seine Verwandten zu sein? Mit einem Seufzen setzte Link sich wieder in Bewegung und überraschte Navi, indem er ohne weitere Aufforderung anfügte: „Und manchmal träume ich von meiner Mutter, glaube ich. Wenn ich dann aufwache, verschwimmt ihr Gesicht sofort wieder vor meinen Augen und ich erinnere mich wieder an nichts. Zurück bleibt dann nur das komische Gefühl, verlassen worden zu sein.“ Nach dieser Offenbarung schwiegen die beiden Abenteurer und hingen ihren eigenen Gedanken nach. Während Navi versuchte, sich in die Gefühlswelt ihres Schützlings zu versetzen, bemühte Link sich verzweifelt, eine Erinnerung an seine Eltern zu erzwingen. Irgendwie fühlte er sich wie ein Verräter, weil er ihre Gesichter nicht kannte. Er wusste ja nicht einmal ihre Namen… Die Zwei hatten die Treppe bereits fast gänzlich erklommen, als Navi plötzlich wie aus dem Nichts fragte: „Würdest du gerne mehr über deine Eltern erfahren?“ Link warf ihr einen etwas irritierten Seitenblick zu. „Natürlich. Aber wen sollte ich fragen? Ich kenne niemanden, der Kontakt zu meinen Eltern gehabt haben könnte.“ „Salia hat zumindest deine Mutter kurz gesehen, als diese dich ins Kokiri-Dorf gebracht hat“, wandte die Fee ein, als sie sich an dieses Detail aus der Erzählung des Deku-Baums erinnerte. Link nickte, wirkte dabei jedoch ziemlich resigniert. „Stimmt. Aber seit sie sich als die Weise des Waldes entpuppt hat, kann ich schlecht zu ihr gehen und einen Plausch über meine Mutter halten.“ Navi wusste selbst nicht, warum sie das Thema nicht einfach auf sich beruhen lassen konnte. Vielleicht war es der verloren wirkende Ausdruck in Links Augen, der sie dazu brachte, ihn um jeden Preis trösten zu wollen. Nach einem letzten Strohhalm greifend schlug sie vor: „Wenn Ganondorf besiegt ist, könnten wir in Kakariko ein wenig herumfragen. Vielleicht lebt dort ja jemand, der früher in der Nähe deiner Eltern gewohnt hat und sich noch an deine Familie erinnert!“ Trotz der Leere, die er empfand, wann immer er an seine Eltern dachte, musste der Herr der Zeiten bei diesen Worten lächeln. Navi war wirklich eine wunderbare Freundin. Sie hätte sich eigenhändig das Herz herausgerissen, wenn sie ihn damit hätte retten können, das wusste er. Mit vor Rührung belegter Stimme antwortete er daher: „Ja, das können wir tun. Danke.“ Die Fee lief rot an und machte eine unwirsche Handgeste. „Ach, wofür denn?“ Die Antwort blieb Link ihr jedoch schuldig, da sich in diesem Moment plötzlich Feuerflatterer von Decke auf sie stürzten. „Woa! Wo zum Deku kommen diese Biester plötzlich her?!“ Sein Schwert schwingend bemühte sich der Kämpfer nach Kräften, die angriffslustigen Feuerfledermäuse von sich und seiner Fee fernzuhalten, während sie sich so schnell wie möglich auf die Tür am Ende der Treppe zu bewegten. Glücklicherweise waren die geflügelten Monster nicht besonders intelligent, sodass sie im Schwarm angriffen, anstatt sich aufzuteilen und von allen Seiten zu kommen. So gelang es den beiden Abenteurern tatsächlich, sich in den nächsten Raum zu retten, ohne verletzt zu werden. Doch leider war ihnen auch dort keine Atempause vergönnt… Kaum, dass die Tür hinter den Beiden ins Schloss gefallen war, kam von der anderen Seite des Raumes ein Echsalfos auf sie zu. Weder Link noch Navi hatten je ein derart großes und kräftiges Exemplar gesehen wie dieses. Zudem erschien dieser Echsenkrieger auch noch deutlich intelligenter zu sein als seine Artgenossen, was dem Herrn der Zeiten einen eisigen Schauer über den Rücken jagte. Der Echsalfos betrachtete ihn aus seinen seltsam klug wirkenden Schlangenaugen und sagte plötzlich: „Herr der Zzzzzeiten, sssssssseid gegrüsssssssst. Issss bin der erssssssste Wächter desssss Teufelsssssturmsssss. Beweissssssst mir eure Macht.“ Hylianer und Fee tauschten einen verschreckten Blick. Seit wann konnten Echsalfos sprechen?! Link hatte jedoch keine Zeit, sich über dieses Phänomen den Kopf zu zerbrechen, da der Echsenkrieger mit gezücktem Schwert auf ihn zu sprang und ihm beinah den Brustkorb spaltete. Es war allein den schnelle Reflexen des inzwischen versierten Kämpfers zu verdanken, dass Link sich gerade noch rechtzeitig aus der Gefahrenzone drehen konnte. Dennoch zeigte ein langer Schnitt auf der Vorderseite seiner Oberbekleidung, wie knapp es er der Attacke ausgewichen war. Das Schwert des Reptils war ihm derart nah gekommen, dass nicht nur Tunika und Hemd, sondern auch sein Kettenhemd aufgeschlitzt worden war. „Hey! Ich brauch die Rüstung vielleicht noch!“ Link betrachtete das neue Loch in seiner Kleidung, das den Blick auf eine Narbe freigab, die er sich im Schattentempel zugezogen hatte, als er beinah in die rotierenden Klingen einer unsichtbaren Sense gelaufen wäre. Der Echsalfos kniff die Augen ein wenig zusammen und zischte: „Hör auf, herumzzzzzzualbern und kämpf!“ „Ja, ja, ist ja schon gut!“ Link hoffte, er könnte den Echsenkrieger unvorsichtig machen, wenn er so tat als nähme er den Kampf überhaupt nicht ernst. Navi sah sich unterdessen ein wenig um, ob sie etwas entdecken konnte, das ihrem Schützling im Kampf vielleicht nützlich sein könnte. Der Raum war jedoch bis auf einige Fackeln, die in reich verzierten Wandhalterungen steckten, vollkommen leer. Den nächsten Angriff blockte Link mit seinem Schild und versuchte eine Konterattacke, indem er unter dem unteren Rand des Schildes entlang schlug. Der Echsalfos schien jedoch etwas Derartiges geahnt zu haben und sprang rechtzeitig nach hinten. Dem Herrn der Zeiten standen die Haare zu Berge, als er sah wie schnell sich sein Kontrahent bewegte. Schon seine früheren Kämpfe gegen Echsenkrieger waren hart gewesen und dieser hier schien zu allem Überfluss auch noch eine Art Elitekämpfer zu sein. Trotzdem ließ Link sich nicht entmutigen und ging im Geist seine Ausrüstung durch: Welche Gegenstände hatte er dabei, die ihm in dieser Situation von Nutzen sein könnten? Er könnte zum Beispiel eine Deku-Nuss auf den Boden werfen und den Moment ausnutzen, in dem der Echsalfos geblendet sein würde. Der Echsenkrieger schien jedoch seine Gedanken zu erraten und warnte: „Denk nisss mal dran! Sssssssobald du dein Ssssssschwert oder Ssssssssschild ssssssssinken lässssssst, um zzzzzu einem deiner kleinen Tricksss zzzzzzu greifen, hack isss dir den Arm ab!“ Der Ausdruck in den vertikal geschlitzten Augen der Echse überzeugte Link von der Ernsthaftigkeit der Drohung. Für ihn selbst war ein Griff zu seinem Lederbeutel also nicht möglich. Aber vielleicht konnte ja Navi…? Hilfesuchend sah sich der Kämpfer nach seiner Begleiterin um, doch diese schien einen eigenen Plan zu verfolgen. Als sie gesehen hatte, wie gefährlich dieser Echsenkrieger war, hatte sie verzweifelt nach einer Möglichkeit gesucht, Link zu unterstützen. Er brauchte all seine Kraft für den Kampf gegen Ganondorf! Sie konnten es sich nicht erlauben, dass er hier wertvolle Energie und Zeit mit dieser Echse verbrauchte. Nach einer gründlichen Inspektion des Raums hatte die Fee schließlich einen großen Splitter entdeckt, der von einer der Fackeln abstand. Sie hatte ihr volles Körpergewicht aufwenden müssen, um den Splitter abzubrechen, war am Ende aber doch erfolgreich gewesen. Nun schwebte sie heftig keuchend vor der Fackel und entzündete den abgebrochenen Splitter an deren Feuer. Dann wandte sie sich um und sauste so schnell sie konnte, ohne dass die Flammen wieder erloschen, auf die beiden Kämpfenden zu. Link sah aus dem Augenwinkel wie Navi auf sie zu eilte und dabei einen Flammenschweif hinter sich herzog. Was hatte sie nur vor? Im ersten Moment konnte sich der Herr der Zeiten keinen Reim auf das Verhalten seiner Fee machen, doch dann kam ihm eine Idee und er drehte sich so, dass der Echsenkrieger seitlich zu Navi stehen musste, wenn er ihn weiterhin attackieren wollte. Als sie das sah, stahl sich ein breites Grinsen auf die Lippen der Fee. Allmählich verstanden ihr Schützling und sie sich ohne Worte. Nur Sekunden nachdem Link den Echsalfos dazu gebracht hatte, seine Position zu verändern, rammte Navi diesem den brennenden Holzsplitter tief ins Auge. Das Reptil kreischte laut auf und grünliches Blut spritzte der Fee ins Gesicht. Sich vor Schmerzen windend griff sich der Echsalfos an das verletzte Auge und versuchte, den Span herauszuziehen. Beeindruckt nahm Link zur Kenntnis, dass der Echsenkrieger sein Schwert noch immer umklammerte und offenbar bereit war, weiterzukämpfen. Der kurze Moment der Unaufmerksamkeit hatte dem Herrn der Zeiten jedoch gereicht, um sich in Schlagweite zu bringen. Bevor der Echsalfos registrieren konnte, in welch misslicher Lage er sich befand, hatte Link ihm auch schon das Master-Schwert bis zum Heft in die Kehle getrieben. Die heilige Klinge war am Nacken der Echse wieder ausgetreten und zähes, grünes Blut fiel in dicken Tropfen von seiner Spitze. Während er seine Waffe wieder aus dem toten Monster zog und sie mit der Mütze, die er zuvor als provisorischen Verband benutzt hatte, säuberte, lobte der Krieger seine Fee: „Danke, Navi. Das war wirklich gut mitgedacht.“ „Ja, nicht wahr?“ Sie klatschte aufgeregt in die Hände und grinste von einem Ohr zum anderen. „Ich bin total begeistert, dass du sofort verstanden hast, was ich vorhatte! Ich hatte schon befürchtet, es würde viel schwieriger werden, dem Echsalfos den Splitter ins Auge zu rammen, aber du hast super mitgearbeitet. Wir sind ein absolutes Spitzenteam!“ Link schmunzelte über Navis Begeisterung und steckte das Master-Schwert zurück. „Du wirst noch eine richtige Krieger-Fee!“ Diese lachte auf und folgte ihrem Freund zur nächsten Treppe, die in den zweiten Stock führte. „Und dabei haben sich meine Eltern immer gewünscht, ich würde Lehrerin.“ Link stieß einen grunzenden Laut aus, als er daraufhin ein Lachen unterdrückte. „Was?“ Navi funkelte ihn bedrohlich von der Seite an. „Gar nichts.“ Link warf ihr einen Seitenblick zu, während seine Mundwinkel unkontrolliert zuckten. Dann brach er schließlich in schallendes Gelächter aus und prustete: „Entschuldige, aber ich kann mir einfach nicht vorstellen, wie du vor einer Klasse junger Feen stehst und sie mit der erhabenen Ruhe und Gelassenheit einer Lehrerin unterrichtest. Du würdest viel eher mit einem anderen Lehrer vor der versammelten Klasse raufen, weil er eine deiner Theorien in Frage gestellt hat!“ Navi verengte die Augen zu Schlitzen und warf ihm einen bitterbösen Blick zu, bevor auch sie über diese Vorstellung lachen musste. „Das ist alles nur dein schlechter Einfluss!“, behauptete sie. „Bevor ich auf dich getroffen bin, war ich ruhig und besonnen und ein Muster an akademischer Ernsthaftigkeit!“ Link lachte noch lauter und Navi betrachtete ihn mit einem Lächeln. Er war hübsch, wenn er lachte. Gut, dass er es trotz allem, was ihm bereits widerfahren war, noch nicht verlernt hatte. Vielleicht, überlegte die Fee mit einem Anflug von Stolz, war sie einer der Gründe, weshalb er noch lachen konnte. Womöglich hatte der Deku-Baum genau deswegen sie ausgewählt und nicht eine erfahrenere Fee, die dem Herrn der Zeiten mit besserem Rat zur Seite hätte stehen können. Vielleicht hatte der weise Deku-Baum schon damals geahnt, dass Link eine Freundin nötiger haben würde als eine Lehrerin… Die beiden Abenteurer scherzten noch immer miteinander, als sie den zweiten Stock erreichten und durch die nächste Tür schritten. Doch als Navi den verlassen wirkenden Raum sah, wurde sie plötzlich wieder ernst und warnte mit leiser Stimme: „Sei vorsichtig, Link. Irgendetwas stimmt hier nicht.“ Der Herr der Zeiten blieb stehen und warf seiner Fee angesichts des friedlich wirkenden Zimmers einen fragenden Blick zu. „Hörst du wieder irgendwelche Stimmen?“ Bei dem latent amüsierten Unterton in seiner Stimme presste Navi die Lippen zu einem schmalen Strich zusammen. Sie wusste ja, dass ihm die Vorstellung, dass selbst leblose Gegenstände wie Gebäude eine Seele hatten, schwerfiel – aber hatte sie nicht oft genug bewiesen, dass sie sich diese Stimmen nicht nur einbildete? Trotzdem bemühte sie sich, dass man ihrer Antwort ihre Verstimmung nicht anmerkte. Sie wollte nicht streiten. „Nein“, sagte sie mit einem verstärkenden Kopfschütteln. „Hier spricht überhaupt nichts zu mir. Es ist einfach… Findest du es nicht auch verdächtig, dass dieser Raum so friedlich wirkt? Das schreit doch nach einer Falle!“ Link verlagerte sein Gewicht auf das andere Bein und schien das Zimmer um sich herum mit neuen Augen zu sehen, während er sich an die Licht-Kammer erinnerte. Dort hatte auf den ersten Blick auch alles harmlos gewirkt, aber dann hatte sich der Raum als einer der schrecklichsten und bedrohlichsten erwiesen. Gerade, als er Navi versprechen wollte, extra vorsichtig zu sein, erklang plötzlich schauriges Gelächter und ein Wandteppich, der Szenen aus der Gerudo-Mythologie zu zeigen schien, wurde ruckartig zur Seite gerissen. Dahinter kamen zwei Skelettkrieger zum Vorschein, die langsam mit gezückten Schwertern auf die beiden Abenteurer zu schritten. Link stieß einen leisen Fluch aus und griff nach seiner eigenen Waffe, während Navi auf seiner Schulter landete und ihn flüsternd erinnerte: „Denk dran, ihre Schwachpunkte sind ihre Halswirbel. Nur dort sind sie wirklich verletzlich. Ich werde versuchen, einen von beiden abzulenken, damit du dir den anderen in Ruhe vornehmen kannst.“ Der Herr der Zeiten nickte, um seiner Fee stumm zu verstehen zu geben, dass er ihren Plan verstanden hatte. Dann erhob sich diese wieder in die Lüfte und sauste auf den hinteren Angreifer zu. Bevor sie ihn erreichen konnte, verneigten sich die beiden Skelette jedoch plötzlich vor Link und stellten sich vor: „Sei gegrüßt, Herr der Zeiten. Wir sind die Gebrüder Mykono. Früher waren wir die Leibwächter des hylianischen Königs, doch heute dienen wir dem großen Ganondorf. Wir gratulieren dir, dass du die ersten Prüfungen, die unser Meister dir auferlegt hat, bestanden hast. Aber hier ist deine Siegesserie vorüber. An uns kommst du nicht vorbei. Mach dich bereit, zu sterben!“ Mit diesen Worten stießen sie beide gleichzeitig die gezackten Klingen ihrer Anderthalbhänder auf Link herab, der nur knapp noch rechtzeitig seinen Schild hochreißen konnte. Navi starrte unterdessen vollkommen verblüfft die beiden Skelette an. Das sollten die berühmten Gebrüder Mykono sein? Sie erinnerte sich, dass sie in einem Geschichtsbuch über die Brüder gelesen hatte. Sie waren hünenhafte Zwillinge gewesen, die in einem inzwischen verlassenen Dorf in den Bergen am Rande Hyrules aufgewachsen waren. Die Krieger aus jener Provinz hatten seit jeher als besonders widerstandsfähig und stark gegolten – vielleicht, weil das raue Klima in den fast durchgängig von Schnee bedeckten Bergen sie von klein auf abgehärtet hatte. Doch die Gebrüder Mykono hatten alle anderen Provinzkrieger noch überflügelt und galten bis heute als die besten Kämpfer, die Hyrule je gesehen hatte. Doch die Brüder waren bereits vor Hunderten von Jahren gestorben… Hatte Ganondorf etwa ihre Gräber geplündert? Bei dieser Vorstellung wurde der Körper der Fee von einem heftigen Schauer erfasst. Ihr Ekel wurde jedoch schnell von Sorge verdrängt, als sie sah wie die beiden Skelette ihren Schützling durch den Raum trieben. Die Brüder bewegten sich wie eine Einheit und mit derart fließenden Bewegungen, dass ihre Attacken fast wie ein Tanz wirkten. Link hatte alle Hände voll damit, sich zu verteidigen – an einen Gegenangriff war derzeit überhaupt nicht zu denken. Wenn das so weiter ging, würde der Herr der Zeiten irgendwann ermüden und dann unterliegen… Während Link tapfer einen Schwerthieb nach dem anderen parierte und nach einer Lücke in dem Angriffsmuster der Skelettkrieger suchte, überlegte Navi fieberhaft, wie sie ihm helfen konnte. Obwohl sie keine große Hoffnung hatte, dass es funktionieren würde, versuchte die Fee, einen der Brüder abzulenken. Wenn sie es schaffte, dass einer der beiden sich auf sie konzentrierte, würde das Link vielleicht genügend Luft geben, um eine Gegenattacke zu starten. Doch wie bereits befürchtet, ignorierten die Skelette Navi völlig – ganz egal, wie penetrant sie vor ihren Gesichtern herumflog. Die Brüder waren Soldaten durch und durch. Für sie gab es nur ein Ziel und bis sie es erreicht hatten, würden sie sich von nichts und wieder nichts davon abbringen lassen. Navi musste sich etwas anderes einfallen lassen… Für einen Moment sah sie vor ihrem geistigen Auge wie Link ihr Bomben zuwarf, die sie in den Brustkörben der Gebrüder festklemmte, bevor Link sie mit Dins Feuerinferno zur Explosion brachte und die Skelettkrieger so völlig zerfetzte. Leider hatte weder Link die Zeit, in seinen Wunderbeutel zu greifen, noch war sie kräftig genug, um eine Bombe zu tragen. Frustriert und zunehmend panisch raufte Navi sich die Haare und zermarterte ihr Hirn weiter auf der Suche nach einer Lösung. Es musste einen Weg geben! Sie waren nicht derart weit gekommen, um jetzt zu scheitern! Zu ihrer großen Überraschung nahm Link die Sache plötzlich selbst in die Hand, indem er etwas absolut Unvorhergesehenes tat: Er schleuderte den völlig verdatterten Brüdern Schwert und Schild entgegen und rief: „Fangt!“ Dann nutzte er den kurzen Moment der Irritation, um auf dem Absatz kehrt zu machen und auf die andere Seite des Raumes zu sprinten. Navi war genauso verblüfft wie die beiden Skelette, die nun versuchten, Link einzukreisen. Doch dann bemerkte sie den Gegenstand, den der Herr der Zeiten noch im Lauf aus seinem Wunderbeutel gezogen hatte: Nayrus Umarmung. Die Gebrüder Mykono hatten ihn inzwischen erreicht und in der Nische, in der sie zuvor gewartet hatten, in die Enge getrieben. Mit einem schaurigen Lachen schüttelten die beiden mit den Köpfen und Navi entschied, dass das Gruseligste an ihnen diese vollkommene Synchronizität war. „Wir hätten es lieber gesehen, dich mit dem Master-Schwert in der Hand niederzustrecken“, sagte der eine Bruder und der zweite komplettierte: „Aber wenn du es vorziehst, unbewaffnet zu sterben, soll uns das auch recht sein.“ Mit diesen Worten ließen die Beiden ihre erhobenen Schwerter auf Link niedersausen. Dieser aktivierte den Zauber in seiner Hand erst im allerletzten Augenblick. Die Klingen der Brüder trafen hart auf den magischen Schutzschild und wurden ihnen aus den Händen gerissen. Angesichts dieser Entwicklung zeigten sich die Skelettkrieger deutlich geschockt, doch Link gab ihnen kaum Gelegenheit, das Geschehene zu verarbeiten. Sobald die Brüder entwaffnet waren, ließ er Nayrus Umarmung fallen und griff nach oben, um die beiden Skelette an ihren Nasenöffnungen zu packen. Dann zog er ruckartig an und riss ihnen mit der Kraft der Titanhandschuhe die Schädel mitsamt den Rückgraten vom Rest des Körpers. Die restlichen Knochen fielen zu einem Haufen zusammen als wäre der Zauber, der sie bislang zusammengehalten hatte, gebrochen. Navi erschrak über diese ungewohnte Brutalität, rief ihrem Schützling aber dennoch sofort zu: „Sie können sich wieder zusammensetzen, so lange die Wirbelsäule intakt ist!“ Wieder nickte Link nur, warf die beiden Schädel zu Boden und zertrümmerte ihnen mit zwei gezielten Tritten die Nackenwirbel. Dann sammelte er seine fallengelassenen Ausrüstungsgegenstände wieder ein und sah zu seiner Fee auf. Diese schluckte hart und versuchte zu lächeln, was ihr ziemlich gründlich misslang. Manchmal vergaß sie, dass ihr Schützling eine dunkle Seite hatte, die durch die Belastungen seiner Reise entstanden war. Sie konnte verstehen, dass er manche Situationen physisch und psychisch nur deswegen überlebt hatte, weil er es geschafft hatte, sein Herz in einem massiven Eispanzer einzuschließen. Trotzdem machte ihr diese Seite von ihm Angst. Es war fast als stünde sie in diesen Momenten einer anderen Person gegenüber. Link atmete tief durch und schien ein wenig zu sich selbst zurückzufinden, als er fragte: „Kommst du?“ „Natürlich!“ Navi beeilte sich, zu ihm aufzuschließen und sagte dann, um die angespannte Atmosphäre wieder zu lockern: „Weißt du eigentlich, dass du gerade die besten Krieger aller Zeiten besiegt hast? Damit geht der Titel jetzt auf dich über: bester Krieger aller Zeiten! Na? Klingt das gut?“ Die Fee hatte sich um einen heiteren Ton bemüht, aber das Gesicht ihres Begleiters blieb eine undurchschaubare, emotionslose Maske. Die Stufen in den nächsten Stock hinauf steigend antwortete er ernst: „Danke, aber der Titel ‚Herr der Zeiten‘ ist mir bereits mehr als genug.“ Während sie die Treppe erklommen und dabei durch das Licht der bereits fast vollständig untergegangenen Sonne, das durch die schmalen, in regelmäßigen Abständen in der Wand verteilten Schießscharten in den Flur fiel, immer wieder in eine blutrote Aura gehüllt wurden, fragte Navi sich, ob es einen großen Unterschied machte, ob man mit einer Waffe oder der bloßen Hand tötete. Sie selbst hatte noch nie ein Leben beendet und konnte deswegen weder in der einen noch in der anderen Situation nachvollziehen, wie man sich dabei fühlte. Ihr war jedoch aufgefallen, dass Link sich deutlich öfter hinter seine selbsterrichteten Mauern zurückzog, wenn er einen besonders blutigen Kampf bestritten oder mit bloßer Hand getötet hatte. Sie hätte ihren Schützling gerne danach gefragt, fürchtete aber, ihre Neugierde würde nur dazu beitragen, dass er sich noch tiefer in sein Schneckenhaus zurückzöge. Es fiel Navi auch nach all der Zeit, die sie inzwischen mit Link verbracht hatte, noch immer schwer mit seiner plötzlich auftretenden Gefühlskälte umzugehen – vor allem dann, wenn sie kurz zuvor noch vergnügt miteinander gescherzt und gelacht hatten. Nur zu gern hätte sie irgendetwas gesagt oder getan, um die Anspannung, die wie eine undurchdringliche Dunstglocke über ihnen schwebte, wieder zu lösen. Doch dann betraten sie den dritten Stock und Navi musste einsehen, dass sie ihre Aufmunterungsversuche erst einmal hintanstellen musste. Als Link die beiden Eisenprinzen entdeckte, die bereits auf ihn warteten, fluchte er leise: „Das darf doch nicht wahr sein! Ich hab keine Zeit für sowas!“ Die beiden Prinzen erhoben sich von ihren Thronen und gingen gemäßigten Schrittes auf Link zu. Irgendwie wirkten sie dabei geradezu majestätisch und Navi bemerkte, dass der Brustharnisch des in weiß gekleideten Eisenprinzen Ausbuchtungen für einen weiblichen Busen hatte. „König und Königin“, schoss es der Fee durch den Kopf, „wie bei einem Schachspiel. Selbst die Farben passen.“ Nach den Erlebnissen in den tiefer gelegenen Stockwerken rechneten die beiden Abenteurer fest damit, dass die Eisenprinzen ein paar Worte an sie richten würden, was jedoch nicht geschah. Stattdessen beschleunigten sie ihre Schritte und schienen sich zum Angriff bereit zu machen. Der Herr der Zeiten schluckte hart. Er konnte sich gut daran erinnern, wie schwer ihm die Kämpfe gegen die anderen Eisenprinzen gefallen waren – und da hatte er es immer nur mit jeweils einem zu tun gehabt. Wie sollte er gegen zwei dieser Kolosse gleichzeitig bestehen? Doch dann fiel ihm sein erster Kampf gegen einen Eisenprinzen ein und ein grimmiges Lächeln stahl sich auf seine Lippen. Das war die Idee! Wer sagte eigentlich, dass er alleine kämpfen sollte? Navi zog irritiert die Stirn kraus, als Link einen einzelnen Pfeil aus seinem Wunderbeutel zog und ihn auch noch kurz hinter der Spitze abbrach. Als er ihr das scharfkantige Metalldreieck entgegenhielt, verstand sie seine Absichten jedoch sofort und erschrak heftig. Zählte er im Kampf tatsächlich auf sie? Im Kampf?! Klar, sie hatte ihn schon häufiger gerettet und zwei Stockwerke tiefer hatte sie ihm im Kampf gegen den Echsalfos geholfen, aber in fast allen dieser Fälle war sie derart panisch gewesen, dass sie mit der Kraft der Verzweiflung gekämpft hatte. Zudem war ein Eisenprinz ein wesentlich angsteinflößenderer Gegner als ein Echsenkrieger… Konnte sie ihre Furcht, die sie diesen Metallkolossen gegenüber empfand, auch dann herunterschlucken, wenn Link nicht in Lebensgefahr schwebte? Mit zitternden Händen nahm sie die Pfeilspitze entgegen und sprach sich selbst stumm Mut zu: „Du kannst das, Navi, altes Mädchen. Du hast schon einmal einen Eisenprinzen besiegt. Du musst auch überhaupt nicht kämpfen. Du musst nur schnell sein.“ „Du nimmst den Weißen, ich kümmere mich um den Schwarzen“, befahl Link und stürzte sich mit einem wilden Kampfschrei auf die herannahenden Monster. Navi wusste, sie musste jetzt den zweiten Eisenprinzen ablenken und versuchen, die Bänder, die diese magisch zum Leben erweckte Rüstung zusammenhielten, zu durchtrennen. Aber ihr gesamter Körper fühlte sich plötzlich an wie paralysiert und ihre Zunge klebte ihr am ausgedörrten Gaumen. Nur ein Schlag von diesen Wesen und sie wäre Feenbrei… Inzwischen hatten beide Eisenprinzen Link erreicht und schlugen abwechselnd mit ihren gewaltigen Breitäxten nach dem Herrn der Zeiten, der nur mit Mühe und Not ausweichen konnte. Ein winziger Fehler würde ihm das Leben kosten… „Navi! Was tust du denn?! Ich brauche deine Hilfe!“ Panik ließ die Stimme des jungen Mannes ungewöhnlich schrill klingen. Dennoch konnte seine Fee sich noch immer nicht rühren. Erst, als die Klinge des weißen Eisenprinzen so knapp an Links Kopf vorbei durch die Luft zischte, dass anschließend ein paar Haarspitzen des Hylianers zu Boden schwebten, erwachte Navi endlich wieder aus ihrer Starre. Es spielte keine Rolle, was mit ihr passierte! Aber Link musste um jeden Preis überleben, um Ganondorf in seine Schranken verweisen und Hyrule retten zu können. So schnell sie konnte flog sie zu den Eisenprinzen herüber, die glücklicherweise beide so sehr auf Link fixiert waren, dass sie von der Fee überhaupt keine Notiz nahmen. Die scharfkantige Pfeilspitze ritzte Navi die Handflächen auf, als sie damit die dicken Lederbänder an der Rückenseite des Brustharnisches durchsäbelte, doch das kümmerte die Fee wenig. Die weiße Rüstung fiel von lautem Gepolter begleitet zu Boden und für einen Moment war es als stünde die Zeit still. Link und Navi hatten beide erwartet, dass der in der Panzerung gefangene Geist gen Himmel fahren oder sich ganz einfach auflösen würde, sodass außer der Rüstungsteile nichts mehr auf die frühere Anwesenheit des Eisenprinzen hindeuten würde. Doch aus der Rüstung entwich kein körperloser Geist… Stattdessen stürzte eine erschreckend frisch wirkende Frauenleiche aus der Panzerung und schlug hart auf den Steinfliesen auf. Die Leiche hatte langes, platinblondes Haar, eine klaffende Wunde auf der Brust, so als wäre ihr das Herz herausgerissen worden, und ein wunderschönes Diadem aus Gold und Edelsteinen auf der Stirn. Sie sah Prinzessin Zelda derart ähnlich, dass Link für einen Moment der Atem aussetzte. Doch dann stieß Navi genauso geschockt klingend wie er sich fühlte aus: „Die Königin! Oh, bei den Göttinnen!“ Vor Schreck hatte die Fee die Pfeilspitze fallengelassen und sich die Hände vor den Mund geschlagen, sodass sie nun ihr eigenes Blut schmeckte. Das nahm sie jedoch nur am Rande war. Sie war viel zu geschockt über die Erkenntnis, wer in dieser Rüstung gesteckt hatte: Königin Serafina von Hyrule, Zeldas Mutter! Der übrig gebliebene Eisenprinz stieß einen gequält klingenden Laut aus und stürzte sich mit neuem Eifer auf Link. Dieser war noch immer so konsterniert, dass er die neuerliche Attacke um ein Haar verpasst hätte und beim überstürzten Ausweichen das Gleichgewicht verlor. Der Aufprall auf den harten Steinfliesen presste dem jungen Mann die Luft aus den Lungen, aber er hatte kaum Zeit, neuen Atem zu schöpfen. Wie ein Berserker ging der schwarze Eisenprinz auf ihn los und ließ immer wieder seine mächtige Axt hinabsausen. Link blieb nichts weiter übrig als auf dem Rücken liegend rückwärts zu kriechen und immer wieder Arme und Beine aus der Schlagzone zu ziehen. Dort, wo sich die Klinge der Axt in den Boden bohrte, hinterließ sie tiefe Furchen im Stein. Bei diesem Anblick vergaß Navi ihren Schrecken schnell wieder und sie stieß hinab, um zwischen den verstreut daliegenden Rüstungsteilen nach der fallengelassenen Pfeilspitze zu suchen. Mit zitternden Händen wühlte sich die Fee durch Metallteile und Stofffetzen, während ihr Schützling rief: „Äh… Navi? Ich könnte hier etwas Hilfe gebrauchen!“ Gerade, als Navi die Pfeilspitze endlich wiedergefunden hatte, hatte der Eisenprinz Link gegen die nächste Wand getrieben. Obwohl sein Gesicht unter dem Helm natürlich nicht zu sehen war, wirkte es als grinste das Monster, als es erneut seine Kriegsaxt hob – bereit, Link den Brustkorb zu spalten. Navi stieß sich so kräftig sie konnte vom Boden ab und sauste zu den Beiden herüber, während sie stumm zu den Göttinnen betete, sie möge schnell genug sein. Link riss instinktiv die Arme über den Kopf und kniff die Augen fest zusammen, um sein Ende nicht sehen zu müssen. Dann spürte er etwas schwer auf seine Unterarme aufschlagen und war sich sicher, im nächsten Augenblick in zwei Hälften zerteil zu werden, aber der erwartete Schmerz blieb aus. Blinzelnd schlug er die Augen wieder auf und entdeckte Navi, die über ihm in der Luft schwebte. Bunt schillerndes Blut tropfte von ihren fragil wirkenden Fingern und auf ihrem Gesicht lag eine derart tiefe Trauer, dass sich der Herr der Zeiten für einen Moment verwirrt fragte, ob er womöglich doch gestorben und nun ein Geist war. Erst, als er sich aufrichtete und sah, was um ihn herum verteilt auf dem Boden lag, verstand er ihre Traurigkeit und auch, was ihn am Arm getroffen hatte: Navi hatte es gerade noch rechtzeitig geschafft, den Eisenprinzen unschädlich zu machen und beim Auseinanderfallen der Rüstung war der Helm gegen Links Unterarm gestoßen. Zwischen den Rüstungsteilen lag die Leiche eines großen, breitschultrigen Mannes mit dichtem, braunem Haar auf dem Bauch und starrte mit leeren, gebrochenen Augen an die gegenüberliegende Wand. Der kompakt wirkende Körper des Mannes steckte in einer purpurnen, mit Pelz verbrämten Samtrobe mit schwarzen Hosen und seine Schultern waren von einem kurzen, tannengrünen Umhang bedeckt. Link, der über die Identität der Leiche nur spekulieren konnte, sah seine Fee an und fragte mit zitternder Stimme: „Der König?“ Navi nickte. „Ja, König Johanson.“ Dann brach sie plötzlich in Tränen aus und warf sich gegen Links Brust, wo sie sich mit erstaunlicher Kraft in dem Stoff seiner Tunika festkrallte und weinte wie ein Kind. Etwas verlegen legte Link seine Hand um sie und versuchte, sie irgendwie zu trösten. Als sie sich nach einigen Minuten endlich ein wenig beruhigte, sah sie mit verquollenem Gesicht zu ihrem Freund auf und flüsterte: „Ich weiß, es stimmt nicht, aber irgendwie fühle ich mich als hätte ich sie umgebracht.“ Eine sonderbare Mischung aus liebevoller Wärme und Zorn machte sich auf Links Gesicht breit, als er mit dem Kopf schüttelte. „Du hast sie nicht getötet, Navi, oder ihnen auf sonst irgendeine Weise etwas angetan – ganz im Gegenteil. Du hast ihnen ihren wohl verdienten Frieden gebracht und sie aus Ganondorfs Fängen befreit.“ Dann ballte er die Fäuste fest zusammen und der wütende, harte Ausdruck auf seinem Antlitz gewann die Oberhand. „Es wird allerhöchste Zeit, dass ich dieses Monster aufhalte. Ich wusste ja, dass er bösartig ist, aber was ich heute hier gesehen habe, übersteigt alles, was ich mir in meinen schlimmsten Albträumen ausgemalt habe!“ Navi wischte sich letzte Tränen von den Wangen und holte schniefend Luft, bevor sie nickte und zustimmte: „Das kannst du laut sagen!“ „Meinst du, du bist schon bereit, weiterzugehen?“ Die Fürsorge in Links Stimme rührte Navi und ihre Augen drohten sich erneut mit Tränen zu füllen. Daher nickte sie vehement und rief etwas zu enthusiastisch: „Na, darauf kannst du Gift nehmen!“ Der junge Mann bedachte seine Begleiterin mit einem langen, besorgten Blick, dann wandte er sich der nächsten Tür zu, durch die man zu einer weiteren Treppe gelangte. Dieser Treppenaufgang war gänzlich anders gestaltet als jene, die die beiden Abenteurer bislang passiert hatten. Hier gab es keine Schießscharten, sondern große, kunstvoll gearbeitete Buntglasfenster, die trotz des schwachen Lichtes von draußen vielfarbige, miteinander verschlungene Muster auf den roten Teppich malten. Die Orgelmusik, die bereits in der ganzen Festung zu hören gewesen war, wurde mit jeder Stufe, die Navi und Link erklommen, lauter und der Herr der Zeiten spürte deutlich, fast am Ziel seiner Reise angekommen zu sein. Seine Fee warf ihm einen verwunderten Seitenblick zu, als Link das Tempo drosselte und auf jeder Treppenstufe für den Bruchteil einer Sekunde verharrte, bevor er sich wieder bewegte. So sehr er den finalen Kampf gegen Ganondorf herbeisehnte, genauso fürchtete er sich auch davor und er wollte die letzten Meter ausnutzen, um sich ein letztes Mal zu sammeln, bevor es um alles ging. Vor seinem geistigen Auge sah er noch einmal die verschiedenen Stationen seiner Reise vor sich, während er sich an all die Schwierigkeiten erinnerte, die er bereits durchgestanden hatte, und sich ins Gedächtnis rief, dass er seinen Kopf jedes Mal wieder aus der Schlinge hatte ziehen können – egal, wie brenzlig die Situation auch gewesen war. Er dachte an all die Personen, die er während seiner Reise getroffen hatte und die ihm helfend zur Seite gestanden hatten: die mütterliche Wirtin aus Hyrule-Stadt, Hector und Link, die Goronoen, Kallaha und Mia, die Zora, Dinah, Zeherasade, Miccahia und Aveil, die Gerudo-Kriegerinnen, der alte Historiker aus Kakariko… Zudem waren da ja auch noch die Weisen: Rauru, Salia, Darunia, Ruto, Impa und Naboru – auch wenn deren Hilfe bislang in kaum mehr als ein paar aufmunternden Worten bestanden hatte… Obwohl Link sich ein wenig dagegen sträubte, tauchte auch Shiek vor seinem geistigen Auge auf, wie er ihn die Teleportierlieder gelehrt und ihm ein ums andere Mal aus der Patsche geholfen hatte. Zelda… Auch wenn der Gedanke an ihre Scharade noch immer schmerzte, musste der junge Held sich eingestehen, dass er ohne ihre Hilfe niemals soweit gekommen wäre. Er würde Ganondorf für all seine Helfer und für die anderen Bewohner Hyrules besiegen, damit dieser Dämon nie wieder irgendwelches Unheil anrichten und andere verletzen konnte! Inzwischen hatten die beiden Abenteurer die Treppe erklommen und standen nun vor einer reich verzierten Tür, die in das höchstgelegene Turmzimmer führte. Es war unverkennbar, dass das Orgelspiel von hier kam. Ganondorf… Sie hatten ihn endlich erreicht… Link sah zu Navi auf, die entschlossen zu ihm zurückblickte. „Bist du bereit?“ Als seine Fee nickte, drückte der Herr der Zeiten die Türklinke herunter und betrat die Privatgemächer seines Erzfeindes. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)