Ocarina of Time von Labrynna ================================================================================ Kapitel 60: Hoffen auf Rettung ------------------------------ Inzwischen hatte Navi ihr Ziel erreicht und sie sah sich hilfesuchend in Kakariko um. Sie wusste, sie hatte hier einen Zauberladen gesehen, als sie das letzte Mal mit Link hier gewesen war. Aber wo war das bloß gewesen? Beinah panisch und von dem stetigen Gedanken begleitet, dass jede Sekunde kostbar war, hetzte die Fee zwischen den Häusern der immer weiterwachsenden Kleinstadt umher. Was, wenn Link angegriffen wurde, während sie hier herumirrte? Er verließ sich auf sie – sie durfte ihn nicht enttäuschen. Nicht sie auch noch... Navi war bereits den Tränen nahe, als sie den Zauberladen endlich auf einer Anhöhe, direkt neben dem Weg, der zum Todesberg führte, entdeckte. Während sie so schnell sie konnte darauf zu eilte, betete sie stumm zu den Göttinnen und bat sie um zwei Dinge: Erstens, dass der Zauberladen tatsächlich vorrätig hatte, auf was sie hoffte: eine Feenweise. Navi hasste diese Barbarei der Hylianer, die rosafarbenen Feen mit den sagenhaften Heilfähigkeiten in Flaschen zu sperren und zu verkaufen als wären sie keine Lebewesen, sondern Dinge, aus tiefstem Herzen. Doch in diesem Moment hätte sie ihren Artgenossen noch sehr viel mehr Leid zugemutet, wenn das bedeutet hätte, Link retten zu können. Zweitens betete sie darum, überhaupt einen Weg in den Laden hinein zu finden. Es würde ihr rein gar nichts nutzen, wenn hunderte Feenweisen feilgeboten würden, sie aber nicht eine davon erreichte. Glücklicherweise konnte sie nach kurzem Suchen auf der Hinterseite des Hauses tatsächlich ein angelehntes Fenster finden, durch das sie sich in den Laden hineinzwängen konnte. Im Inneren roch es erdrückend nach fremdländischen Gewürzen, Parfum und anderen Dingen, die Navi nicht zuordnen konnte – und von denen sie sich auch nicht sicher war, ob sie sie überhaupt zuordnen können wollte. Der Anblick milchig-trüber, körperloser Fischaugen, die aus einem Regal an der gegenüberliegenden Seite zu ihr herüberglotzten, jagte der Fee einen eiskalten Schauer über den Rücken. Mit flinken Fingern durchsuchte Navi die verschiedenen Ingredienzien, Fläschchen, Tiegel und Tuben auf der Suche nach etwas, das ihr weiterhelfen konnte – leider ohne Erfolg. Je länger sie sich durch die sonderbaren Zauberutensilien wühlte, desto sicherer wurde sie sich, dass sie hinten im Lager nicht fündig werden würde. Vorsichtig näherte sie sich dem Zugang zum Verkaufsbereich und hielt hinter dem zwischen den Türpfosten gespannten Vorhang inne, um auf verdächtige Geräusche zu lauschen. Zu ihrem Glück schien der Laden vollkommen leer zu sein. Trotzdem zog die Fee zuerst zaghaft den die Tür verhängenden Stoff zur Seite und spähte schnell in alle Ecken, um ganz sicher zu gehen, allein zu sein. Dann schlüpfte sie geschwind in den vorderen Bereich des Ladens und sah sich neugierig um. Auf langen Regalen, die an der Wand hinter einem langen Verkaufstresen angebracht waren, standen ein Wasserbassin mit lebenden Fischen, Gläser mit verschiedenen Monsterteilen, eine Flasche blaues Feuer und Phiolen mit ölig wirkendem Inhalt, den Navi nicht genauer zuordnen konnte. Unter den Regalen standen große Kessel, die bis zum Rand mit verschiedenfarbigen Tränken gefüllt waren, deren Dämpfe die Fee ganz schummerig machten, als sie ihnen zu nahe kam. Doch weit und breit war keine Feenweise zu entdecken... „Verdammt... und was jetzt?“ Vor Verzweiflung begann Navi die verschiedenen Flaschen und Gläser auf dem Regal hin und her zu schieben, in der irrsinnigen Hoffnung, dahinter doch noch zu finden, was sie suchte. Dabei machte sie jedoch so viel Krach, dass sie den herannahenden Ladenbesitzer nicht bemerkte... Als Link den Raum hinter der grünen Tür betrat, verspürte er sogleich einen Stich in seinem Herzen, fühlte es sich doch an als kehrte er nach langer Zeit in den Kokiri-Wald zurück. Der Boden war bedeckt von Moos und Laub und die Decke war hinter einem dichten Blätterdach verborgen, das von den Ästen und Zweigen der kleinen, in unregelmäßigen Abständen im Zimmer verteilten Bäume gehalten wurde. Geradezu ehrfürchtig trat Link in den Raum hinein und genoss das vertraute Einsinken seiner Sohlen in den weichen Untergrund sowie den Geruch nach Harz und Erde. Er hatte sich im Kokiri-Wald zwar nie wirklich wohl gefühlt, aber die Wälder waren das einzige Zuhause, das er kannte. Wie schon unzählige Male zuvor fragte sich der junge Mann, wie sein Leben wohl verlaufen wäre, wäre vor knapp zwanzig Jahren kein Krieg ausgebrochen. Ob er eine richtige Schule besucht und nachmittags seiner Mutter bei der Hausarbeit geholfen hätte? Vielleicht hätte sein Vater ihm das Kämpfen beigebracht und ihn ermuntert in seine Fußstapfen als Gardist zu treten. Womöglich hätte er aber auch eine Lehre bei einem der Handwerker in Hyrule-Stadt angetreten, um ein Leben in Frieden zu führen, ohne Gewalt, Blut und Tod… Bei dem Gedanken seufzte der Herr der Zeiten laut auf und betrachtete missmutig seinen notdürftigen Verband um den linken Arm. Er machte sich doch bloß etwas vor… Selbst wenn er bei seinen Eltern aufgewachsen wäre, stünde er nun hier und wäre in dieser misslichen Lage. Das Überleben seiner Eltern hätte nichts an Ganondorfs Plänen geändert und auch nicht daran, dass er als einer der Auserwählten zu den Waffen gerufen worden wäre. Der Herr der Zeiten zu sein war sein Schicksal, das Erbe seiner Seele – nicht die Folge unglücklicher Ereignisse und fragwürdiger Entscheidungen. Es gab für ihn kein Entrinnen… Sein gesamter Körper erschauderte, als er daran dachte, dass seine Berufung womöglich nicht mit einem Sieg über Ganondorf beendet wäre. Wann immer Hyrule eine Bedrohung drohen würde, die aus mehr bestand als kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen den einzelnen Völkern, würde er wieder in seine Heldenrolle schlüpfen müssen – sei es nun in diesem oder irgendeinem nächsten Leben. Eine wahrhaft grauenhafte Vorstellung… Link war drauf und dran, sich in Selbstmitleid zu ergehen, als plötzlich ein Wolf aufjaulte und aus einer kleinen Höhle heraus auf ihn zu sprintete. Gewohnheitsgemäß hob der Abenteurer seinen linken Arm, um sein Schwert zu ziehen, zuckte jedoch heftig vor Schmerz zusammen, als sein provisorischer Verband auf der offenen Wunde scheuerte. Inzwischen hatte der Wolf ihn fast erreicht und setzte zum Sprung an. Ein derart großes Exemplar hatte Link noch nie in freier Wildbahn gesehen! Für einen kurzen Moment fragte er sich, ob Ganondorf es womöglich extra gezüchtet hatte, um das Medaillon des Waldes zu beschützen. Doch dann stieß sich der Wolf vom Boden ab und verdrängte jeden Gedanken aus Links Geist. Das Tier landete mit allen vier Pfoten auf der Brust seines Gegenübers und riss diesen so zu Boden. Die Luft wurde Link aus den Lungen gepresst und er schnappte reflexartig nach Luft, bevor einen gellenden Schrei ausstieß, als ihn der Wolf in die Schulter biss. Glücklicherweise, so dachte der rational analysierende Teil von ihm trotz der Schmerzen, hatte das Raubtier seine Fänge in seine linke Schulter geschlagen – so büßte er wenigstens nicht die bitter benötigte Funktionalität seines rechten Armes ein. Der Wolf knurrte bedrohlich und schnappte nach Links Kehle, als dieser versuchte, ihn irgendwie von seinem Körper zu schieben. Das wilde Tier war jedoch so schwer, dass der Herr der Zeiten es kaum bewegen konnte. Offenbar war die Macht der Krafthandschuhe durch die Zerstörung des linken Handschuhs stark eingeschränkt oder gar aufgehoben worden. Er musste irgendwie an eine Waffe kommen… Aber wenn er die rechte Hand von der Kehle des Wolfes nähme, würde dieser sofort wieder zubeißen – und dieses Mal wäre der Biss womöglich tödlich. Verzweifelt versuchte Link seinen Angreifer zu erwürgen oder ihm das Genick zu brechen, aber seine Finger fanden keinen richtigen Halt in dessen dichtem Fell. Ohne eine Waffe ging es nicht… Die Zähne fest zusammen gebissen, schob Link so behutsam wie möglich seine verletzte Hand in seinen Wunderbeutel. Sein Körper krampfte sich immer wieder unter neuen Schmerzwellen zusammen, aber irgendwie schaffte er es trotzdem, einen Pfeil hervorzuholen. Ohne auf die Proteste seines verletzten Armes zu achten, riss der Herr der Zeiten seine Waffe in die Höhe und rammte sie dem Wolf bis zu den Federn ins Auge. Dieser jaulte laut auf und sprang zurück, um weiteren Attacken zu entgehen. Link kam keuchend wieder auf die Beine, die sich wackelig und weich anfühlten. Schmerz und Schock forderten ihren Tribut. Dennoch zog er schnell das Master-Schwert, um für einen erneuten Angriff des Wolfes gewappnet zu sein. Dieser umrundete ihn in immer enger werdenden Kreisen, wobei er bedrohlich die Zähne bleckte und wütend mit dem Schwanz peitschte. Blut quoll aus dem zerstochenen Auge und lief in einer breiten Bahn über seine Wange. Link umklammerte unterdessen fest das Heft seines Schwertes und wartete bang darauf, dass das Raubtier erneut zum Sprung ansetzen würde. Nur Sekunden später war es dann auch schon so weit: Der Wolf stieß sich mit aller Kraft, die er aufbringen konnte, ab und segelte mit weit aufgerissenem Maul auf den Herr der Zeiten zu. Dieser brachte sich mit einer Drehung des Oberkörpers aus der Gefahrenzone und ließ seine heilige Klinge auf den Nacken des Angreifers niedersausen. Als die Schneide auf Knochen traf, drohte die Waffe aus Links Hand zu entgleiten, aber dann schaffte er es doch noch, das Wolfshaupt vom Rumpf zu trennen. Der Schädel fiel augenblicklich zu Boden, während der kopflose Körper noch wenige Zentimeter weiter durch die Luft flog, bevor auch er im Moos aufschlug und mit seltsam verdrehten Gliedern liegenblieb. Erleichtert aufatmend schob Link sein Schwert zurück in die Scheide und klopfte sich grob den Schmutz aus den Kleidern. Er konnte nur hoffen, dass Navi mit einem Heilmittel zurückkehren würde, bevor er auf Gegner traf, die bessere Kämpfer waren als ein wilder Wolf. Dann wandte er seine Aufmerksamkeit wieder dem Raum zu. Irgendwo hier musste das Medaillon des Waldes versteckt sein… Tatsächlich entdeckte Link das Artefakt bereits nach kurzem Suchen. Allerdings war der Altar, auf dem es aufgebahrt war, von sonderbaren Ranken überwuchert, die es ihm unmöglich machten, das Medaillon an sich zu nehmen. Sobald er eine Pflanze abschlug oder ausriss, wuchs augenblicklich eine neue nach, die deren Platz einnahm. Vor Anstrengung keuchend stand der Herr der Zeiten vor dem überwachsenen Altar und starrte missmutig auf die eng verwobenen Schlingpflanzen vor sich. Wieder einmal wünschte er sich, Navi wäre an seiner Seite. Sie war so viel pfiffiger als er, wenn es um solche Dinge ging… Als ihm schließlich doch noch eine Idee kam, setzte der Recke ein grimmiges Gesicht auf und murmelte: „Dann eben auf die ganz harte Weise!“ Mit diesen Worten holte er Dins Feuerinferno hervor und ließ die darin eingeschlossene Feuersbrunst auf den Wald-Raum los. Sogleich fingen die Pflanzen um ihn herum Feuer und heizten das Zimmer unerträglich auf. Das Eis in Links Verband schmolz in Sekundenschnelle, sodass eine Pfütze zu seinen Füßen entstand, die beinah augenblicklich verdampfte. Der ganze Raum war von dem Knistern und Knacken der alles verzehrenden Flammen erfüllt und Link Lippen bekamen vor Hitze blutige Risse, aber dennoch jubelte er innerlich: Er hatte es tatsächlich geschafft, das Medaillon freizulegen. Schnell griff er in die noch immer brennenden Überreste der Ranken und schnappte sich die grüne Scheibe, die sich zu seiner Überraschung kühl anfühlte. Dann beeilte er sich, das Wald-Zimmer zu verlassen, bevor er noch eine Rauchvergiftung bekam oder sogar verbrannte. Dicker, grauer Rauch quoll durch die Ritzen der Tür, nachdem Link diese ins Schloss geschlagen hatte, aber das beachtete der Herr der Zeiten überhaupt nicht. Stattdessen beeilte er sich zu dem Tablett mit den Vertiefungen zu kommen, um das Medaillon einsetzen zu können. Erst, als er es erreicht hatte, hielt er inne und lauschte in sich hinein. Irgendwie hatte er erwartet, Salia würde genau wie Ruto Kontakt zu ihm aufnehmen, sobald er das Medaillon in den Händen hielt. Aber da war nichts… Vielleicht wollte sie ja nicht mehr mit ihm reden, weil er sie mit seinem Verhalten auf der Brücke gekränkt hatte. Er hätte es ihr jedenfalls nicht verübeln können. Trotzdem wagte er sich vor: „Salia, bist du da? Ich… Es…“ „Ist schon gut, Link. Ich weiß.“ Die Stimme des Kokiri-Mädchens klang freundlich und warm, so als wäre es bereits durch Links Kontaktaufnahme völlig versöhnt. Unwillkürlich schoben sich die Mundwinkel des jungen Mannes nach oben. „Aber natürlich weißt du, dass es mir leid tut. Du kennst mich schließlich besser als ich selbst.“ Er konnte fast sehen wie Salia mit einem schelmischen Lächeln auf den Lippen nickte. „Bald hast du es geschafft“, sprach sie ihm Mut zu. „Ja… Wirst du beim finalen Kampf bei mir sein?“ Link schämte sich nicht, dass seine Stimme ein wenig zitterte. „Natürlich“, antwortete Salia, „in Gedanken werde ich immer bei dir sein.“ Link schloss für einen Moment die Augen und rief sich seine liebste Erinnerung an seine beste Freundin vor sein geistiges Auge: wie sie zusammen Blumenkränze für ein Fest zu Ehren des Deku-Baums gebastelt hatten. Sie hatte so hübsch ausgesehen mit den verschiedenfarbigen Blüten im Haar… Und wie ihre Augen gestrahlt hatten, wann immer sie ihn angelacht hatte! Dann atmete der Herr der Zeiten langsam aus und setzte das Medaillon des Waldes in die richtige Vertiefung ein – in diesem Moment gab es nichts mehr, das er und Salia hätten austauschen müssen. Es war alles gesagt. Die grünen Stränge des Kraftfelds flackerten auf und erloschen schließlich. Zeit, den nächsten Raum in Augenschein zu nehmen! Navi war noch immer vollkommen von ihrer Suche nach einer Feenweisen absorbiert, als plötzlich eine Glasflasche über sie gestülpt wurde. Vor Schreck zuckte die Fee heftig zusammen und sie brauchte einige Sekundenbruchteile, um zu realisieren, was mit ihr geschah. Dann sauste sie so schnell sie konnte auf den Flaschenhals zu, um noch rechtzeitig entkommen zu können, bevor die Flasche verschlossen wurde – doch zu spät… Der Korken wurde ihr hart ins Gesicht gestoßen, sodass sie heftig zurückprallte und vor Schmerzen leise aufstöhnte. Dann wurde die Flasche herumgedreht, sodass sie nicht mehr auf dem Kopf stand, und Navi purzelte, benommen wie sie noch immer war, durch den Flaschenhals zurück in den Bauch des Gefäßes, wo sie unsanft auf dem Rücken landete. Goldenes, im zuckenden Licht der Fackeln bunt schillerndes Blut tropfte aus ihrer zierlichen Stubsnase, aber das nahm Navi nur am Rande wahr. Anstatt ihr Nasenbein auf Verletzungen zu untersuchen, sprang sie sogleich wieder auf die Füße und begann mit den Fäusten gegen ihr gläsernes Gefängnis zu schlagen. „Lass mich hier raus!“, forderte sie mit schriller Stimme. „Ich muss zurück zu Link – davon hängt das Schicksal ganz Hyrules ab!“ Der Besitzer des Zauberladens hob die Flasche ein wenig an, bis Navi sich auf Augenhöhe mit ihm befand. Für einen Moment glaubte die Fee, der Hylianer habe sie trotz der dicken Glaswände um sie herum gehört und verstanden, aber dann sagte dieser zu sich selbst: „Heute muss mein Glückstag sein! Da habe ich gerade meine letzte Fee verkauft und schon schwebt mir ein neues Exemplar direkt ins Haus!“ „Was?“ Navi, die die Situation erst jetzt vollends begriff, schüttelte heftig den Kopf. „Ich bin doch keine Feenweise, du Trottel! Du kannst mich nicht verkaufen! Ich werde deine Kunden nur enttäuschen und dann werden sie nie wieder hier einkaufen. Hey! Hörst du mir gefälligst zu?!“ Obwohl sie aus Leibeskräften schrie, bis ihre Halsschlagader anschwoll, schien der Ladenbesitzer die Fee nicht zu verstehen – oder sie nicht verstehen zu wollen. Stattdessen stellte er ihr gläsernes Gefängnis auf das Regal hinter dem Verkaufstresen und verschwand dann fröhlich vor sich hin pfeifend in seinem Lager. Navi war fassungslos… Nicht nur darüber, dass der Ladenbetreiber ihr Rufen ignorierte. Sie fragte sich vielmehr, wie sie selbst so unvorsichtig hatte sein können. Was sollte Link jetzt nur tun, wo sie ihm nicht mehr helfen konnte? Mit seinem verletzten Schwertarm hatte er keine Chance gegen Ganondorf… Der Großmeister des Bösen würde ihn zerschmettern als wäre er nicht mehr als eine Flickenpuppe… Voller Verzweiflung warf sich Navi mit der Schulter gegen die Flaschenwand. Wenn sie es irgendwie schaffte, das Glasgefäß vom Regal zu stoßen, gäbe es vielleicht noch Hoffnung. Ihr war bewusst, dass sie sich selbst womöglich schwer verletzte, wenn das Glas auf den Bodenfliesen zerschellen würde, aber das Risiko musste sie eingehen. Link brauchte Hilfe… Dieser stand einige Kilometer von Navi entfernt im Feuerraum von Ganondorfs Festung und zog ein missmutiges Gesicht. Dies war zum einen darin begründet, dass die großen Lavabecken, die sich rechts und links von dem schmalen Steg befanden, der quer durch den Raum zog, die Luft unerträglich aufheizten, sodass Link trotz seiner Goronen-Rüstung schwitzte. Viel schlimmer jedoch war, dass er vor einer unlösbaren Aufgabe zu stehen schien – und das aus eigener Dummheit. Zwar hatte er das Versteck des Feuer-Medaillons schnell ausgemacht, aber der Weg dorthin war von einem massiven Gesteinsblock versperrt, den er nicht zu bewegen vermochte. Er hatte schon versucht, sich mit vollem Körpergewicht dagegen zu werfen, aber das war genauso gescheitert wie der Versuch, den Block an einer Seite anzuheben, sodass er in ein Ungleichgewicht geraten und in das benachbarte Lavabassin kippen würde. Es sah ganz so aus als bräuchte er an dieser Stelle die volle Macht der Krafthandschuhe, doch diese war auf immer verloren, seit einer der Handschuhe durch den Kontakt mit dem Kraftfeld verbrannt war… Genervt und wütend auf sich selbst wandte Link sich abrupt von dem tiefschwarzen Gesteinsblock ab und stampfte aus dem Raum. Es hatte keinen Sinn, sich jetzt an diesem Problem festzubeißen. Darum würde er sich kümmern, wenn Navi wieder da war. Vielleicht würde der cleveren Fee ja eine Lösung einfallen. Bis zu ihrer Rückkehr wollte der Herr der Zeiten lieber so viele weitere Medaillons sammeln wie möglich. Deswegen lenkte er seine Schritte nun zu der orangefarbenen Tür des Geister-Raums. Dieser lag in fast vollkommener Dunkelheit und Link streckte beim Gehen die gesunde Hand nach vorn, um eventuelle Hindernisse rechtzeitig zu ertasten. Seine Augen gewöhnten sich nur langsam an die neuen Lichtverhältnisse, sodass er kaum mehr als vage Umrisse ausmachen konnte. Etwa in der Mitte des Raums stieß der Abenteurer auf eine große Statue, die ihn um mindestens eine Kopflänge zu überragen schien. Behutsam ließ Link seine nackten Finger über das Gestein gleiten, das sich kühl und glatt anfühlte. Neben der Beschaffenheit des Materials konnte er zusätzlich noch ertasten, dass der Künstler, der diese Statue einst gefertigt hatte, viele feine Rillen in den Stein gehauen hatte, sodass er sich nun anfühlte wie mit unzähligen kleinen Schuppen besetzt. Schuppen…? Sofort erinnerte sich Link an die Schlangenstatuen aus dem Geistertempel und griff um die Statue um ihn herum, um seinen Verdacht zu bestätigen. Und tatsächlich! Auf der Vorderseite der Skulptur war offenbar ein Spiegel eingelassen worden. Doch ohne Licht nutzte ihm diese neue Erkenntnis überhaupt nichts… Fragend ließ der Herr der Zeiten seinen Blick über die Decke wandern. Er hatte gerade einen verdächtigen Lichtschimmer entdeckt, als er plötzlich einen Luftzug auf der Wange spürte. Obwohl er in der Dunkelheit kaum etwas sehen konnte, wandte er sich reflexartig in die Richtung aus der er die Luftbewegung vermutete und griff nach seinem Schwert. Doch noch bevor seine Finger sich um das Heft geschlossen hatten, schlugen ihm plötzlich Krallen ins Gesicht und rissen es vom linken Nasenflügel bis hinunter zum Kieferknochen auf. Es war nichts weiter als pures Glück, dass sein Auge nicht auch in Mitleidenschaft gezogen wurde. Vor Schmerz und Schreck aufbrüllend zog Link endlich sein Schwert und schlug blind um sich, jedoch ohne etwas zu treffen. Warmes, klebriges Blut rann seinen Hals herab und klebte ihm den Kragen seines Hemdes an die Haut. Schutzsuchend presste sich der angeschlagene Kämpfer mit dem Rücken gegen die Schlangenstatue und hielt sein Schwert vor sich, in der Hoffnung seinen Angreifer bei einer erneuten Attacke aufspießen zu können. Dieser schien sich jedoch für den Moment damit zu begnügen, den Recken in panische Angst zu versetzen. Die Krallen des Monsters machten klackende und kratzende Geräusche auf dem steinernen Boden, während es in zufällig erscheinenden Mustern durch den Raum rannte. Links ganzer Körper zitterte vor Furcht so sehr, dass selbst sein Atem vibrierte und das Master-Schwert seinen schwitzigen Fingern zu entgleiten drohte. Er hatte es erst wenige Male mit Gegnern zu tun gehabt, die er nicht sehen konnte, und es hatte ihm jedes Mal aufs Neue eine Heidenangst eingejagt. Bislang hatte er sich wenigstens auf die Hilfe des Auges der Wahrheit verlassen können, doch in diesem Fall war auch das mächtige Shiekah-Relikt vollkommen nutzlos. Ohne Licht würde er auch durch das Auge der Wahrheit nichts sehen können. Licht… Er brauchte dringend etwas Licht! Obwohl es ein großes Risiko darstellte, seine Waffe wegzustecken, schob Link sein Schwert zurück in dessen Scheide und holte erneut Dins Feuerinferno heraus. Wenn er Recht hatte, befand sich ziemlich genau über ihm ein Fenster, das mit dicken Stoffbahnen verhangen war, die jegliches Licht schluckten. Wenn er es schaffte, den Stoff zu verbrennen, würde er vielleicht endlich etwas sehen… Gerade, als Link den Zauber aktivierte, hörte er wie das Monster in seiner Nähe innehielt und anscheinend zu einem weiteren Angriff ansetzte. Im Schein des Feuers, das sich wie eine Walze durch den Raum schob, sah der junge Mann einen Todesgrabscher, der mit nach vorn gestreckten Krallen auf ihn zu sprang – bereit, ihm die Kehle aufzureißen. Doch bevor die tödlich scharfen Fingernägel der Monsterhand Link erreichen konnten, wurde der Grabscher von der Feuersbrunst des Zaubers erfasst und gegen eine Wand geschleudert. Etwa zeitgleich fielen die brennenden Überreste des Fenstervorhangs zu Boden und goldenes Licht flutete den Raum. Link kniff auf Grund der plötzlichen Helligkeit die schmerzenden Augen zusammen, zwang sich jedoch, sie so schnell wie möglich wieder zu öffnen, um kampfbereit zu sein. Anders als seine Artgenossen schien dieser Todesgrabscher dauerhaft sichtbar zu sein und Link bemerkte mit einem Schaudern, dass die feinen Haare auf dem Rücken der Monsterhand noch immer brannten, was ihr ein besonders gruseliges Aussehen verlieh. Außerdem schien die Feuerattacke das Monster in Rage versetzt zu haben. Kaum, dass es sich wieder aufgerappelt hatte, hechtete es schon wieder auf Link zu, der so schnell überhaupt nicht reagieren konnte. Alles, was er noch tun konnte, war sich reflexartig abzuwenden und zu hoffen, dass der Todesgrabscher an seinem Hylia-Schild, den er sich nach Betreten der Festung wieder umgeschnallt hatte, abprallen würde. Doch der befürchtete Aufprall blieb aus… Zaghaft drehte Link sich wieder um und spähte vorsichtig zu dem Todesgrabscher herüber. Das Monster wand sich offenbar unter Qualen auf dem Boden und schrumpfte immer mehr zu einer vollkommen verkrüppelten Miniaturversion seiner selbst zusammen, so als hätte irgendetwas ihm sämtliche Flüssigkeit entzogen. Im ersten Moment konnte Link sich keinen Reim darauf machen, aber dann kam ihm doch noch eine Idee: Konnte es sein, dass das gebündelte Licht, das von dem Spiegel in der Statue reflektiert worden war, den Todesgrabscher getötet hatte? Soweit er sich erinnern konnte, hatten sich die Monsterhände stets in dunklen oder zumindest nur schummerig beleuchteten Räume aufgehalten. Vielleicht vertrugen sie kein direktes Licht… Mit einem Schulterzucken entschied Link, dass es eigentlich auch egal war, was den Grabscher getötet hatte – Hauptsache, er war ihn los und konnte sich in Ruhe den Geisterraum ansehen. Hier und da waren die Folgen von Dins Feuerinferno zu sehen, aber abgesehen von verbrannten Wandteppichen und Gemälden schien das Feuer keinen allzu großen Schaden angerichtet zu haben – und um Ganondorfs Kunstgegenstände scherte sich der Herr der Zeiten kein bisschen. Viel wichtiger war, dass das Podest mit dem Medaillon der Geister noch intakt war. Es war von einer Art magischer Schutzaura eingeschlossen, ähnlich der, in der Ganondorf Prinzessin Zelda gefangen hatte. Ein Blick zurück zur Schlangenstatue brachte Link jedoch schnell auf die Lösung des Problems. An den Wänden rund um die Statue waren mehrere der goldenen Sonnen angebracht, wie der Recke sie bereits aus dem Geistertempel kannte. Es war offensichtlich, dass einige der Sonnen Attrappen waren und es nur eine richtige Wahl gab, aber diese war mit Hilfe des Auges der Wahrheit in Windeseile gefunden. Die Statue zu drehen, erwies sich mit dem verletzten Arm als die größere Herausforderung, ließ sich mit etwas Geschick aber auch schnell erledigen. Kaum, dass die richtige Sonne im auf sie reflektierten Licht erstrahlte, öffnete sich die magische Barriere wie eine Blume und gab ihren Inhalt frei. Als Link das Medaillon an sich nahm, hörte er Naborus Stimme: „Gut gemacht, Kleiner.“ Er lächelte über die Worte, machte sich aber nicht die Mühe, zu antworten. Stattdessen beeilte er sich, auch die orangefarbenen Anteile des Kraftfelds um den Turm herum zum Erlöschen zu bringen. Jetzt waren nur noch drei Siegel übrig. Aber wo, im Namen der Göttinnen, blieb Navi nur?! Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)