Ocarina of Time von Labrynna ================================================================================ Kapitel 48: Geisterhafter Fremdenführer --------------------------------------- Dinah und Aveil erwarteten Link bereits, als er zusammen mit Navi am nächsten Morgen aus der Festung ins Freie trat. Im Osten kroch die Sonne gerade über die Gipfel der Gebirgsausläufer und malte ihre Schatten als blasse, langgezogene Schemen auf den rötlichen Sandboden. Die stellvertretende Anführerin der Gerudo löste sich beim Anblick des Reckens von der Wand, an der sie gelehnt hatte, und kam mit federndem Schritt auf ihn zu. „Guten Morgen, mein Lieber. Hast du gut geschlafen?“ Link unterdrückte ein Gähnen und nickte, während er an die hinter ihm liegende, unruhige Nacht dachte. Obwohl Shiek und er vor den anderen beim Essen normal miteinander umgegangen waren, hatte sich die gemeinsame Nachtruhe sehr seltsam angefühlt. Um möglichst viel Abstand zwischen sich zu bringen, hatten die beiden Männer Betten gewählt, die sich genau gegenüberstanden. Doch trotz der herabgelassenen Himmel hatte Link die ganze Nacht über die Nähe des Shiekah gespürt. Immer wieder war er wach geworden, bloß um die ihn umgebenden Stoffbahnen auseinander zu schieben und einen flüchtigen Blick auf die gegenüberliegende Schlafstätte zu werfen. Irgendwann hatte der Herr der Zeiten seine innere Anspannung nicht mehr ausgehalten und war bereits im Morgengrauen aufgestanden. Eigentlich hatte er sich sofort anziehen und aufbrechen wollen, doch stattdessen war er zum Bett des Shiekah hinübergehumpelt und hatte den Himmel ein wenig beiseitegeschoben. Das Loch in seinem Fuß hatte wie jeden Morgen höllisch geschmerzt, aber beim Anblick des schlafenden Shieks hatte der junge Mann dies sogleich vergessen. Der Shiekah hatte auf dem Bauch gelegen, das Gesicht halb unter dem eigenen Arm vergraben, und hatte leise geschnarcht. Sein langes, ihm wirr in die Stirn fallendes Haar hatte den Großteil seines Antlitz verdeckt und es hatte Link in den Fingern gejuckt, die Strähnen vorsichtig zur Seite zu schieben. Er hätte einiges für die Möglichkeit gegeben, die Züge des anderen in Ruhe betrachten zu können, wenigstens ein einziges Mal! Seit Shiek ins Bad geplatzt war, hatte der Recke gerätselt, weshalb ihm das Gesicht des anderen Mannes so vertraut vorkam, obwohl er es mit keiner Person aus seiner Erinnerung in Einklang bringen konnte. Trotzdem erinnerte er ihn an irgendjemanden… Aber an wen? Vielleicht an Impa? Link hatte an die anderen Völker der bekannten Welt gedacht und feststellen müssen, dass jedes körperliche Merkmale aufwies, die es von den anderen unterschied. Bei den Kokiri war es der dauerhaft kindliche Leib, der sich bei den Meisten mit einer recht pausbackigen Gesichtsform kombinierte. Gerudo hatten allesamt rötliches Haar und bernsteinfarbene oder braune Augen. Die Goronen waren riesige Wesen, die an zum Leben erwachte Felsbrocken erinnerten. Die fischartigen Körper der Zora waren ebenfalls ein eindeutiges Unterscheidungsmerkmal. Link hatte daran denken müssen, dass die Angehörigen dieser beiden Stämme für ihn genauso aussahen wie alle anderen ihrer Volksmitglieder. Als er sie auf seiner Reise kennen gelernt hatte, hatte es einige Zeit gedauert, bis er Details wahrgenommen hatte, die ihm dabei geholfen hatten, Individuen zu unterscheiden. Ob das auch im umgekehrten Fall galt? Sahen Hylianer für Zora und Goronen ebefalls alle gleich aus? Hylianer hatten besonders lange Ohren. Der Herr der Zeiten hatte sich daran erinnert, dass er auf dem Marktplatz von Hyrule-Stadt mal ein Gespräch mitbekommen hatte, in dem ein älterer Herr einem kleinen Mädchen erklärt hatte, die Göttinnen hätten den Hylianer diese Ohren geschenkt, damit sie ihr entferntes Flüstern hören könnten. Doch was unterschied die Shiekah von Hylianern? Soweit Link es hatte beurteilen können, ließen diese beiden Völker sich optisch nicht voneinander trennen. Der Recke hatte sich gefragt, woran Shiekah Angehörige ihres Volkes erkannt hatten und ob Impa sich vielleicht geirrt haben mochte. Womöglich gab es noch viel mehr Shiekah als sie angenommen hatte. Mit etwas Verzögerung war ihm jedoch etwas eingefallen, das Navi im Feuertempel gesagt hatte. Sie hatte erwähnt, dass Shiek von einer Art magischen Aura umgeben war, die nur jemand wahrnehmen konnte, der selbst ebenfalls zum Wirken von Magie fähig war. Das bedeutete, dass es ein Unterscheidungsmerkmal zwischen Shiekah und Hylianern gab, dieses jedoch nicht von jedem gesehen werden konnte. Für ihn gab es also keinerlei Möglichkeit, Shiekah und Hylianer auseinanderzudividieren. Womöglich erinnerte Shiek Link an einen Hylianer. Aber an wen? Gerade, als der Recke sich entschlossen hatte, dem anderen Mann die Haare aus dem Gesicht zu streichen, hatte er jedoch Schritte auf dem Flur gehört und stattdessen den Himmel sinken lassen. Den Kopf über sich selbst schüttelnd hatte er sich seine Mission ins Gedächtnis gerufen und sich eingebläut, dass er keine Zeit für solche Spielereien hatte. Auch wenn er unbedingt wissen wollte, an wen Shiek ihn erinnerte – dieses Rätsel musste erst einmal warten. Es gab Wichtigeres zu erledigen. Also hatte er auf dem Absatz kehrtgemacht und war zu seinem Bett zurückgehumpelt, wo er sich seine Stiefel angezogen und seine Waffen angelegt hatte, bevor er die noch immer schlafende Navi von der Fensterbank gehoben und sich auf den Weg gemacht hatte. Auf halbem Wege aus der Festung heraus war die Fee aufgewacht und hatte ihren Stammplatz auf der Schulter ihres Schützlings eingenommen. „Sehr schön.“ Dinah schien ihn hinter ihrem Schleier anzulächeln und der Herr der Zeiten blinzelte, um aus den Tiefen seiner Erinnerung wieder in die Realität aufzutauchen. Um nicht zu abwesend zu wirken, grinste er schwach zurück und fragte: „Die Gespensterwüste liegt hinter dem Westtor, richtig?“ Die Gerudo nickte. „Ja. Aveil und ich begleiten dich, wenn du magst.“ „Sicher.“ Obwohl Link überzeugt davon war, dass er das Tor auch alleine gefunden hätte, stimmte er dankbar zu. Er war sich nicht sicher, ob wirklich alle Gerudo darüber informiert worden waren, dass er sich in der Festung frei bewegen durfte, und hatte sich bereits in schauerlichsten Farben ausgemalt, was passieren könnte, wenn die Torwächterin ihn für einen Eindringling hielt. Dinah dabei zu haben war auf jeden Fall beruhigend. Wenn er eines ganz sicher nicht noch einmal erleben wollte, dann war es ein Aufenthalt in einem Gerudo-Gefängnis. Das Tor lag etwas tiefer als die Festung und war über einen kurzen, scharf abknickenden Pfad zu erreichen. Als Link das imposante Bauwerk erblickte, blieb ihm vor Staunen der Mund offenstehen. Er hatte eine Art größere Pforte erwartet, doch stattdessen sah er sich einer Vorrichtung gegenüber, die ihn stark an das Stadttor von Hyrule-Stadt erinnerte. Zu beiden Seiten waren hoch aufragende Wachtürme errichtet worden und das aus massiven Holzplanken bestehende Tor hing an mehreren armdicken Eisenketten, die über erstaunlich große Winden liefen. An einem der Türme lehnte eine wackelig erscheinende Leiter, über die man auf die Aussichtsplattform gelangen konnte. Dinah trat an den Wachturm heran, legte den Kopf in den Nacken und rief: „Hey, Sharline, zieh das Tor hoch und dann komm runter! Hier ist jemand, der die Gespensterwüste durchqueren will.“ Unter dem Dach des Turms wurde in einem Fenster ein weiß-roter Farbklecks sichtbar und Link fühlte sich augenblicklich angestarrt. Ein wenig unsicher zog er die Schultern hoch und blickte abwartend zu der Gerudo herauf. Diese verschwand nach wenigen Sekunden wieder und kurz darauf wurde das Tor rumpelnd in die Höhe gezogen. Dahinter wurde eine unendlich weit wirkende Sandwüste sichtbar, die sich über den ganzen Horizont verteilte wie achtlos ausgekippter Goldpuder. Der auffrischende Wind wirbelte die oberste Sandschicht auf und trieb sie als semimaterielle Wolkengeister vor sich her. Link war von diesem Anblick derart fasziniert, dass er gar nicht mitbekam, dass Sharline behände die Leiter hinabstieg und sich neben ihn stellte. Dementsprechend zuckte der Herr der Zeiten heftig zusammen, als sie ihn ansprach: „Du willst also durch die Gespensterwüste?“ Erschrocken herumwirbelnd sah er sie mit großen Augen an. Sie war ein gutes Stück älter als die anderen Gerudo, die Link bisher kennen gelernt hatte und trug überraschender Weise keinen Mundschutz. Ihre weiße Kleidung leuchtete in der Morgensonne und ihr rotes Haar war kurzgeschoren, anstatt wie bei den anderen als langer Zopf über ihre Schultern zu fallen. Während der verblüffte Recke noch nach seiner Stimme suchte, bestätigte Navi: „Ja, wir haben etwas im Geistertempel zu erledigen.“ „Verstehe.“ Sharline nickte und Dinah klinkte sich in das Gespräch ein: „Du kennst die Sagen über die Wüste besser als irgendjemand sonst. Kannst du den Beiden irgendwelche Tipps geben?“ Die ältere Gerudo wiegte den Kopf hin und her, während Aveil, die sich bislang im Hintergrund gehalten hatte, sagte: „Von dem Treibsandgürtel habe ich bereits erzählt.“ Sharline lächelte der jüngeren Frau knapp zu, dann wandte sie sich an Link: „Im Zentrum der Wüste herrscht ein niemals enden wollender Sandsturm, der dir jegliche Orientierung rauben kann, wenn du nicht aufpasst. Unsere Vorfahrinnen haben deswegen Flaggen errichtet, um trotzdem den richtigen Weg finden zu können. Wenn du dich von einer Fahne zur nächsten bewegst, bist du sicher.“ Link nickte und wollte ihr bereits für diesen Hinweis danken, als sie fortfuhr: „Wenn es dir gelingt, den Sturm hinter dir zu lassen, gelangst du in den Teil der Wüste, der namensgebend für sie war. Dort lebt ein Geist, der dir den rechten Weg weisen kann. Doch ich fürchte, er zeigt sich nur seinen direkten Nachfahren – uns Gerudo.“ Von einer plötzlichen Erkenntnis durchzuckt, platzte der Herr der Zeiten heraus: „Deswegen brauchen wir das Auge der Wahrheit! Um den Geist sehen zu können!“ Als die vier Frauen um ihn herum ihn verständnislos ansahen, erklärte er: „Shiek hat gestern Abend gesagt, eine Gerudo habe ihm verraten, dass wir das Auge der Wahrheit bräuchten, um die Wüste durchqueren zu können. Bislang konnte ich mir keinen Reim darauf machen, warum dem so sein sollte, doch jetzt ergibt es Sinn.“ Sharline grinste ihn erfreut an, zog jedoch sofort wieder ein ernstes Gesicht. „Das ist leider alles, was ich dir sagen kann. Ob du die Wüste durchqueren kannst, hängt einzig und allein von deinem Geschick ab.“ Link schluckte und warf einen Blick auf die trügerische Schönheit der Wüste, die sich wie ein goldenes Tuch vor ihm ausbreitete. Dann wandte er sich wieder um und nickte den Gerudo zu, bevor er sich verabschiedete und durch das Tor schritt. Nach ein paar Metern blieb er jedoch noch einmal stehen, drehte sich um und rief Aveil hinterher: „Aveil! Ich vertraue darauf, dass du dich gut um Epona kümmerst, solange ich unterwegs bin!“ Die Gerudo lachte zum ersten Mal seit ihrem Kennenlernen und versicherte: „Darauf kannst du dich verlassen! Ich werde sie wie mein eigenes Pferd behandeln!“ Beruhigt kehrte der Recke der Festung wieder den Rücken zu und machte sich an den langen Marsch durch die Wüste. Mit jedem Schritt, den Link tat, wurde der Boden unter seinen Füßen immer weicher, bis seine Sohlen schließlich tief im Sand versanken. Seufzend dachte er an den weiten Weg, der noch vor ihm lag und fragte sich, wie lange es wohl dauern würde, bis seine Beinmuskeln zu schmerzen begönnen. Auch Navi rutschte unruhig auf seiner Schulter hin und her, während sie skeptisch die Sandwolken, die wie halbdurchsichtige, kunstvoll geschwungene Schleier durch die Luft wirbelten, beobachtete. Bereits jetzt kam es ihr vor als würden die feinen Sandkörner ihre Atemwege verstopfen. Sie wollte sich gar nicht vorstellen, wie es sein musste, sobald sie den Sandsturm erreichten. Die Fee warf einen kurzen Seitenblick auf ihren Schützling, dessen gebräuntes Gesicht mit feinen Schweißperlen überzogen war. Obwohl es noch früher Vormittag und die Sonne noch weit von ihrem Zenit entfernt war, herrschte bereits eine furchtbare Hitze. Der Horizont flirrte und die frisch gewaschene Goronen-Rüstung, die der Herr der Zeiten in weiser Voraussicht angezogen hatte, strahlte eine Eiseskälte aus, die Navi trotz ihrer magiebedingten, großen Temperaturresistenz unangenehm war. Sie wollte sich gar nicht vorstellen, wie ihr Begleiter sich fühlen musste. Während Link schnaufend durch die Wüste stapfte, erinnerte sich seine Fee an ihren Aufenthalt im Feuertempel zurück. Obwohl sie sich damals im Inneren eines aktiven Vulkans befunden hatten, hatte Navi die Verhältnisse dort als weniger unmenschlich empfunden als in der Gespensterwüste. Damals war wenigstens die Luft frei von Partikeln und leichter zu atmen gewesen. Außerdem hatte sich die Hitze gleichmäßig verteilt, anstatt von einem glühenden Ball am Himmel herabzubrennen. Wieder warf die Fee einen Blick auf das Gesicht ihres Schützlings. Von den Ohren ausgehend breitete sich allmählich eine unnatürliche Röte aus, die Navi Sorgen machte. Ein Sonnenbrand war vermutlich nicht zu vermeiden, aber das war auch gar nicht, was ihr Bauchgrummeln verursachte. Viel schlimmer erschien ihr der Gedanke, ihr Freund könnte einen Sonnenstich bekommen. Was, wenn Link kollabierte? Würden sie Beide dann als ausgedörrte Skelette enden, die Knochen von der Sonne ausgebleicht, vom Sand verdeckt und von der Welt vergessen? Sie wünschte sich, ihr Schützling würde wenigstens seine Mütze tragen. Doch diese war noch immer als Verbandsersatz um seinen durchstochenen Fußballen gewickelt. Nach etwa einer Stunde Fußmarsch änderte sich plötzlich die Beschaffenheit des Bodens. Anstatt auf festen Untergrund zu treten, war es als hätte Link seinen Fuß in einen Bottich mit flüssigem Brotteig gestellt. Während er sich über den seltsamen Untergrund wunderte, versank sein Stiefel bis zum Knöchel im Sand. Es war als würde sein Bein durch Unterdruck in den Boden hineingesaugt. Der Recke wollte sich gerade darüber wundern, als seine Fee aufschrie: „Link! Du Trottel! Du bist mitten in den Treibsandgraben gelatscht!“ „Was?!“ Der Herr der Zeiten riss erschrocken seinen Fuß zurück – jedoch ohne Erfolg. Sein Bein steckte fest als hätten sich unsichtbare Hände oder Schlingpflanzen um seinen Knöchel geschlungen. Panik kroch dem jungen Mann das Rückgrat herauf und er zerrte immer verzweifelter an seinem Fuß. Doch je mehr er zappelte, desto stärker schien der Sog in die Tiefe zu werden. „Navi! Hilfe! Ich versinke!“ Inzwischen war von Links Stiefel nur noch der obere Saum zu sehen. Der Herr der Zeiten verlagerte sein Gewicht soweit wie möglich aufs andere Bein und sah hilflos zu seiner Fee auf. Wenn er wenigstens seinen Fuß aus dem Stiefel hätte ziehen können… Doch sein Schuhwerk saß so bombenfest wie eine zweite Haut. Navi sah sich mit einem panischen Gesichtsausdruck um. Am Horizont war bereits der Sandsturm zu sehen. Die Windhose drehte sich wie ein überdimensionierter Kreisel um den eigenen Mittelpunkt und der aufgewirbelte Sand wirkte wie eine massive, bebende Wand, die kurz vorm Einbrechen stand. Der Blick der Fee wanderte weiter und sprang unruhig hin und her. Irgendwo musste es doch etwas geben, das Link aus seinem Schlamassel helfen konnte. Sie brauchten so etwas wie einen Baum, an dem der Recke seinen Enterhaken befestigen konnte, um sich aus dem Treibsand zu ziehen. Doch wohin die Fee auch schaute – weit und breit wuchs absolut nichts. Links Bein versank immer tiefer und tiefer und allmählich machte sich Verzweiflung breit. Wie lange würde es dauern, bis der Treibsand ihn soweit in die Schieflage gezogen hatte, dass er das Gleichgewicht verlieren und kopfüber in den Graben stürzen musste? Die Unterlippe zwischen die Zähne gezogen suchte Navi fieberhaft nach einem anderen Plan. Es musste doch möglich sein, Link irgendwie aus dem Treibsand zu ziehen. Wieso nur musste sie dermaßen schwach sein?! Wenn sie nur ein bisschen stärker gewesen wäre, wäre die Lösung des Problems so einfach gewesen… Die Fee war drauf und dran, sich zum ersten Mal seit ihrem Kennenlernen Shiek an ihre Seite zu wünschen, als sie endlich eine Kiste am gegenüberliegenden Rand des Grabens entdeckte. Sofort schoss sie zu ihrem Schützling herab und deutete auf ihren Fund. „Sieh mal! Mit etwas Glück ist die Truhe dahinten schwer genug und du kannst dich ans Ufer ziehen!“ Link nickte und zerrte so schnell er konnte seinen Enterhaken hervor. Das Klirren der Kette schallte schmerzhaft laut in den Ohren des Recken, bevor das Endstück krachend das Holz der Kiste durchschlug. Nachdem der Herr der Zeiten den Aufrollmechanismus betätigt hatte, tat sich einige Zeit lang gar nichts. Obwohl Link bereits das Gefühl hatte, ihm würden die Arme ausgerissen, steckte sein Bein noch immer fest. Die Zähne fest zusammenbeißend umklammerte der Recke den Haltegriff des Enterhakens und kniff die Augen zusammen, um den Schmerz soweit wie möglich zu ignorieren. Der Schweiß lief ihm in breiten Bahnen über den geschundenen Körper und tropfte in dicken Perlen von seiner Nasenspitze, als sein Fuß sich endlich löste. Von einem schmatzenden Geräusch begleitet wurde Links Bein aus dem Treibsand gezogen und der junge Mann sauste durch die Luft auf die Truhe zu. Kaum, dass er wieder festen Untergrund unter den Füßen hatte, gaben seine Knie nach und er sank zitternd zu Boden. Als er aus großen Augen zu seiner Fee aufsah, wirkte er dermaßen verletzlich und zerbrechlich, dass es ihr im Herzen wehtat. „Das hätte ganz schön schief gehen können. Ich hatte echt Angst, dass ich da nie wieder rauskomme.“ Hinter seinem unteren Lid sammelten sich Tränen, die er sogleich wieder wegblinzelte. Navi zeigte ein schiefes Lächeln und bemühte sich, ihren Schützling wieder aufzumuntern: „Aber du hast es geschafft. Jetzt steh wieder auf. Die Göttin des Sandes wartet auf uns.“ Link nickte zaghaft und hievte sich wieder auf die Füße, bevor er sich der aufgewirbelten Sandwand hinter sich zuwandte. Der Schreck saß dem jungen Recken noch immer in den Gliedern und seine Beine fühlten sich seltsam schwer an und brannten wie von Muskelkater. Doch der Krieger ignorierte die Rufe seines Körpers nach einer ausgedehnten Ruhepause und schleppte sich verbissen weiter vorwärts. Denn selbst wenn er die Zeit für eine ausgiebige Rast gehabt hätte, hätte die unwirtliche Umgebung ihn zum schnellen Weitermarsch gezwungen. Seine Kehle fühlte sich bereits rau und ausgedörrt an, obwohl er erst wenige Stunden unterwegs war. Nur zu gerne hätte er eine Flasche Milch oder Wasser aus seinem Wunderbeutel hervorgeholt und einen großen Schluck genommen, aber er fürchtete, seine Vorräte könnten zu schnell zur Neige gehen, wenn er sie nicht streng rationierte. Also heftete er stattdessen seinen Blick stur auf die immer näher kommende Wand aus aufgewirbeltem Sand und ignorierte seinen Durst. Navi rutschte unterdessen unruhig auf seiner Schulter hin und her und klammerte sich an einer seiner langen Strähnen fest. „Hast du Angst?“ Links Mundwinkel zogen sich unwillkürlich in die Höhe, als er daran denken musste, wie ungern seine Fee Schwächen eingestand – selbst wenn diese offensichtlich waren. Zu seiner Überraschung nickte sie dieses Mal jedoch und verriet: „Ich hab Bedenken, dass der Sandstaub uns die Atemwege verstopft. Diese heiße Luft ist so schon schwer genug zu atmen. Außerdem…“ „Außerdem was?“ Bei dem verlegen klingenden Unterton in Navis Stimme horchte Link interessiert auf. „Naja…“, druckste die geflügelte Frau herum, „ich bin eine Fee. Wir wiegen nun mal nicht besonders viel. Was, wenn der Sturm mich davonweht?“ „Das wäre wahrlich eine Wohltat…“ Geschockt riss Navi den Kopf herum und starrte ihrem Schützling entsetzt ins Gesicht. Das konnte er doch wohl nicht ernst meinen?! Nicht nach allem, was sie gemeinsam durchgestanden hatten! Als sie schließlich das Zucken seiner Mundwinkel und das amüsierte Glitzern in seinen Augen bemerkte, trat sie ihm mit voller Kraft gegen den Kieferknochen. „Du bist ein Idiot!“ Sie funkelte giftig zu ihrem Begleiter herauf und hoffte inständig, dass er ihren Tritt gespürt hatte. Dieser brach jedoch nur in Lachen aus und warf ihr einen verschmitzten Blick zu. Doch bevor Navi sich vollends ins Schmollen zurückziehen konnte, lenkte Link ein: „Du bist manchmal eine echte Nervensäge, aber ich würde dich vermissen. Deswegen versteckst du dich am besten in meiner Hemdstasche, bis wir den Sturm hinter uns gelassen haben. Dort drin dürfte dir auch der Sand nichts anhaben können.“ Die Fee reckte in einer schnippischen Geste die Nase gen Himmel und verschwand wortlos unter der Tunika ihres Begleiters. Als dieser daraufhin in sich hineinlachte, bebte und dröhnte sein gesamter Brustkorb. Dessen ungeachtet, schlüpfte Navi geschwind in die Brusttasche von Links weißem Hemd und machte es sich in ihrem engen Versteck so bequem wie möglich. Dank der Goronen-Rüstung war es in der kleinen Höhle eiskalt und die Farbe von Navis Feenglanz wechselte von einem roten Strahlen zu einem bläulichen Glimmen. Bei jedem Schritt, den ihr Begleiter tat, schaukelte das Versteck der Fee hoch und runter, sodass sie sich beinah wie in einer Wiege fühlte. Lächelnd schmiegte sie sich gegen die Brust ihres Schützlings und lauschte dem gleichmäßigen Rhythmus seines Herzschlags. Unterdessen bekam der Herr der Zeiten zu spüren, was seine Freundin gemeint hatte, als sie sich Sorgen um den Sandstaub in der Luft gemacht hatte. Bei jedem Luftholen atmete Link feine Sandkörner ein, die sich in seiner Nase und Lunge festsetzten und ein unangenehmes Kratzen verursachten. Um sich zumindest ein wenig davor zu schützen, zog der junge Mann seinen Hemdkragen hoch und schnürte ihn über seinem Nasenbein fest zusammen. Aus Richtung seiner Achseln drang ein leichter, aber dennoch beißender Schweißgeruch zu ihm herauf und er hatte sogleich Mitleid mit seiner Fee, die der Quelle des Gestanks so viel näher war. Er konnte nur hoffen, dass sie den Sturm schnell hinter sich lassen würden. Als er schließlich am Rand der tosenden Windmauer angelangte, streckte der Recke geradezu ehrfürchtig die Hand aus und schob sie in die fast undurchlässig wirkende Wand hinein. Die herumwirbelnden Sandkörner prasselten mit derartiger Gewalt auf seine halbnackten Finger, dass es sich anfühlte als würden sie Haut und Fleisch von den Knochen schmirgeln. Mit einem mulmigen Gefühl im Magen ließ Link die Hand sinken und holte tief Luft, bevor er sich einen Ruck gab und in den Sturm hineintrat. Der Wind riss an seinen Haaren, zerrte sie mal in die eine, mal in die andere Richtung und schlug sie ihm wie Miniaturpeitschen ins Gesicht. Die feinen Sandkörner wurden mit Macht durch die feinen Maschen seiner Kleidung gedrückt und machten dem Herrn der Zeiten trotz der Stoffbarriere des hochgezogenen Hemdkragens das Atmen schwer. Das Jaulen des Sturms war so laut, dass es dem Mann in den Ohren schmerzte, und der aufgewirbelte Staub ließ seine Augen brennen und tränen. Dennoch blinzelte er tapfer gegen den Sand an und hielt nach den Fahnen, die ihm den Weg weisen sollten, Ausschau. Doch wohin er seinen Blick auch lenkte, er sah nur eine verschwommene, gelbbeige Fläche. Trotz der zusammengekniffenen Lider trafen einzelne Sandkörner hart auf seine Hornhaut und verursachten einen stechenden Schmerz in seinen Augäpfeln. Gerade, als er in seiner Verzweiflung die Göttinnen um Beistand anflehen wollte, entdeckte er endlich am Horizont ein im Wind flatterndes Tuch. Vor Erleichterung, endlich einen Anhaltspunkt zu haben, stürzte der Recke in Richtung des roten Farbkleckses davon. Im weichen Sand versanken seine Füße bis zu den Knöcheln, was ihn mehrfach stolpern und hinfallen ließ. Die Zähne fest aufeinander gebissen rappelte der junge Krieger sich jedes Mal wieder auf und kämpfte sich weiter vorwärts. Das Tuch erwies sich als eine alte, ausgefranste Hose, die jemand an einen hohen Mast gebunden hatte. Irritiert warf Link die Stirn in Falten und wunderte sich stumm über diese seltsame Flagge. Dann wandte er sich schnell um und hielt nach der nächsten Fahne Ausschau. Dieses Mal entdeckte er den roten Flecken am Horizont bereits nach wenigen Minuten und eilte geschwind darauf zu. Die feinen Sandkörner, die vom Sturm durch die Maschen seiner Kleider gedrückt wurden, kratzten Link im Hals und ließen ihn keuchend husten. Hitze und Anstrengung ließen dem Krieger den Schweiß in breiten Bahnen über den Körper strömen. Seine Beine brannten vor Anstrengung, doch Link dachte nicht im Traum ans Aufgeben. Sobald er die nächste Flagge erreicht hatte, suchte er beinah tränenblind den Horizont nach dem nächsten Orientierungspunkt ab. Bei jeder Bewegung seiner Lider kratzten die darunter gefangenen Staubkörner unangenehm über die Hornhaut seiner Augen. Es erschien ihm kaum vorstellbar, je wieder ohne Schmerzen blinzeln zu können. Navi rutschte unterdessen nervös in seiner Hemdtasche hin und her. Die Enge ihres Verstecks und die Tatsache, dass sie nicht wusste, wie lange sie noch dort ausharren musste, machten sie zunehmend nervös. Der beißende Schweißgeruch, der sich von Links Achseln ausgehend unter seiner Kleidung ausbreitete, trug ebenfalls nicht zum Wohlbefinden der Fee bei. Zu ihrem Leidwesen erwies sich der Sandsturm als wesentlich größer als gedacht. Link stapfte bereits seit Stunden von einer Flagge zur nächsten und fragte sich allmählich, ob er die Orientierung verloren hatte und womöglich zwischen bereits passierten Markierungspunkten hin und her irrte. Seine Kehle war inzwischen staubtrocken und seine Zunge klebte unangenehm am Gaumen. Missmutig warf er einen Blick auf die fast leere Glasflasche in seiner Hand. Wenn er nicht bald eine Oase oder dergleichen fand, würde er jämmerlich verdursten… Der Herr der Zeiten sah bereits seine ausgedörrten, im Sand versunkenen Gebeine vor seinem geistigen Auge, als er am Horizont die letzte Flagge entdeckte. Anders als die bisherigen Fahnen, war dieses rote Tuch nicht an einem hölzernen Mast befestigt, sondern hing nahezu unbewegt an der Spitze eines turmartigen Gebäudes. Erleichtert darüber doch nicht im Kreis gelaufen zu sein, hastete Link mit neuem Mut darauf zu. Je näher der junge Recke dem Gebäude kam, desto mehr flaute der Wind ab, bis Link den Sturm schließlich ganz hinter sich ließ. Den Kopf wie ein nasser Hund hin und her werfend, schüttelte der Kämpfer den Sand aus seinem Haar und klopfte ihn aus seinen Kleidern, bevor er tief durchatmete und seine Fee wieder hervorholte. Diese schoss von der Handfläche ihres Schützlings aus in die Luft und wirbelte aus Freude über die neugewonnene Bewegungsfreiheit umher wie eine schwebende Tänzerin. Im Osten ging allmählich der Mond auf und überzog das rotgoldene Licht der Abendsonne mit einem silbrigen Schleier. Während Link versuchte, den Sand aus seinen Augen zu reiben, betrachtete Navi das Gebäude, das in einigen Metern Entfernung vor ihnen in den Himmel ragte. Es schien Jahrhunderte oder gar Jahrtausende alt zu sein und war halb in sich zusammengefallen. An mehreren Stellen waren einige der schwarzgrauen, nur grob behauenen Steine aus den Mauern gebrochen und in den Sand gestürzt, wo sie noch immer lagen wie achtlos ausgestreute Saatkörner. Die Arme vor der Brust verschränkt und den Kopf schiefgelegt, dachte Navi, dass das Bauwerk wie der Bergfried einer mächtigen Burg wirkte. Ob der Sand den Rest des Gebäudes unter sich verbarg? Die Fee versuchte, sich auszumalen wie eine solche Wüstenburg zu ihren besten Zeiten ausgesehen und welchem Zweck sie wohl gedient haben mochte. Sie war derart in Gedanken versunken, dass sie erst mit Verzögerung registrierte, dass ihr Begleiter sich schon wieder in Bewegung gesetzt hatte. So schnell sie konnte, schloss sie zu ihm auf und sagte: „Wüstennächte sind bitterkalt. Wir sollten uns einen Unterschlupf suchen, bevor der Frost kommt.“ Link nickte und deutete auf den verfallenen Turm vor ihnen. „Ich dachte mir, wir übernachten dort. Vielleicht finden wir im Inneren sogar etwas, mit dem wir ein Feuer machen können.“ Navi nickte mit einem stolz wirkenden Lächeln auf ihren fein geschwungenen Lippen. „Das klingt nach einem guten Plan.“ Doch als die beiden Abenteurer durch die Fronttür in den Flur Gebäudes traten, wurde Navi auf einmal von einem merkwürdigen Gefühl befallen. Ihre plötzliche Anspannung registrierend, warf der Herr der Zeiten seiner Begleiterin einen alarmierten Seitenblick zu. „Was hast du?“ Eine Hand am Heft des Master-Schwerts ließ der Krieger seine Augen hin und her zucken. Hatte sich dort hinten etwas bewegt? Nein, es war nur der Schatten eines stockfleckigen Vorhangs gewesen, der sich in einem Luftzug leicht blähte. Die Fee pulte nachdenklich an einem losen Hautfetzen an ihrem rechten Daumen, während sie murmelte: „Ich weiß nicht recht. Hier ist irgendetwas, irgendeine Form spiritueller Energie.“ „Du meinst, ein Geist?“ Navi nickte zaghaft, fügte dann aber an: „Ich bin mir nicht sicher. Es könnte auch ein Irrlicht sein.“ Sofort schoben sich Bilder der vier Irrlicht-Schwestern aus dem Waldtempel vor Links geistiges Auge und der junge Krieger schauderte. Obwohl er schon härtere Kämpfe hinter sich gebracht hatte, gruselten ihn die Erinnerungen an Betty und ihre Schwestern besonders. Vielleicht, so überlegte er, hing dies damit zusammen, dass er während seiner Reise kaum ein Lebewesen getroffen hatte, das so viel pure Boshaftigkeit ausgestrahlt hatte wie diese vier Irrlichter. Als er ihnen in die Augen gesehen hatte, war es wie ein Blick in den Abyssus des Totenreichs gewesen. Um sich von diesen düsteren Gedanken abzulenken, fragte er: „Ich dachte, Geister wären gut und Irrlichter böse. Wieso kannst du nicht sagen, mit was wir es hier zu tun haben?“ „So einfach ist das nicht.“ Navi schüttelte den Kopf. „Irrlichter sind zwar mit Dämonen verbandelt, aber sie sind und bleiben freie Wesen. Sie können dir wohl- oder übelgesinnt sein – dasselbe gilt übrigens auch für Geister. Der einzige Unterschied ist, dass Irrlichter einen sterblichen, materiellen Körper besitzen, während Geister nur aus spiritueller Energie bestehen.“ Link legte den Kopf schief. „Nach unseren Erlebnissen im Waldtempel kann ich mir gute Irrlichter kaum vorstellen.“ Navi nickte und räumte ein: „Ich gebe zu, die meisten Irrlichter, deren Bekanntschaft ich gemacht habe, waren abgrundtief böse…“ Bei diesen Worten verzog die Fee für einen kurzen Moment das Gesicht zu einer Fratze der Trauer. Für den Bruchteil einer Sekunde war Link davon irritiert, doch dann fiel ihm wieder ein, dass Navi ihm im Waldtempel erzählt hatte, ihre Familie sei von den Irrlichtschwestern getötet worden. Nur zu gern hätte er seine Freundin getröstet, aber ihm kamen nur abgedroschen klingende Floskeln in den Sinn. Nach einigen Sekunden drückenden Schweigens seufzte die geflügelte Frau schwer auf und sprach weiter: „… aber es gibt Geschichten über Irrlichter, die Gutes getan und ein Gewissen besessen haben sollen.“ „Glaubst du daran?“ Die Fee verzog die Lippen zu einem schiefen, bitter wirkenden Lächeln. „Wie du dir vermutlich vorstellen kannst, fällt mir das ein wenig schwer…“ Beschämt ließ Link den Blick sinken und starrte auf seine Stiefelspitzen, als Navi versuchte, die Stimmung wieder aufzuhellen: „Ach, was soll’s? Wir halten einfach Beide die Augen offen, dann wird uns schon nichts passieren – egal, ob sich hier ein Geist oder Irrlicht rumtreibt.“ Die aufgesetzte Heiterkeit in der Stimme seiner Begleiterin brach dem Herrn der Zeiten das Herz, doch er nickte und mutmaßte: „Vielleicht haben wir ja Glück und du spürst die Präsenz des Geistes, von dem Sharline gesprochen hat – derjenige, der uns durch die Wüste führen kann.“ „Ja, vielleicht.“ Obwohl Navi sich große Mühe gab, ihre Niedergeschlagenheit zu verbergen, brach sie durch die gespielte Fröhlichkeit ihrer Stimme wie Sonnenlicht durch sich langsam auflösende Wolken. Durch den kurzen, dunklen Flur gelangten die beiden Abenteurer in das Treppenhaus des Turms. Eine breite Wendeltreppe wand sich in einem weiten Bogen um den Kern des Gebäudes. Ihre in beide Richtungen führenden Stufen wirkten ausgetreten und glatt, so als wären sie von Millionen von Füßen abgeschliffen worden. Während Link seinen Blick nach oben wandern ließ, fragte er sich, was derartige Massen an Menschen mitten in der Wüste hätten suchen sollen. Das Dach des Turms war eingebrochen und durch das Loch war der inzwischen hoch am Himmel stehende Mond zu sehen, dessen Licht die feinen, durch die Luft tanzenden Sandpartikel wie Silberpulver schimmern ließ. Obwohl dieser Anblick wunderschön war, wandte der Herr der Zeiten seine Aufmerksamkeit schnell dem unteren Weg zu. Wohin dieser führte, war nicht ersichtlich, dennoch nickte der Kämpfer seiner noch immer bedrückt wirkenden Fee zu und deutete nach unten: „Ich schlage vor, wir schauen uns mal im Keller um. Dort ist es über Nacht vermutlich wärmer als auf dem Dach.“ Tatsächlich befand sich am Fuß der Treppe eine geräumige Stube. Die dicken Teppiche, die jemand über dem Steinboden ausgebreitet hatte, waren abgetreten und durch jahrhundertealten Staub nahezu gänzlich ergraut. An einer Wand stand ein schmales Bett, dessen Matratze und Laken milbenzerfressen wirkten. Auf der gegenüberliegenden Seite klaffte ein gähnendes Kaminloch, dessen Feuerkuhle schon seit Ewigkeiten erkaltet zu sein schien. Daneben standen ein massiver Schreibtisch und das größte Bücherregal, das Link je gesehen hatte. Doch obwohl das Regal fast die gesamte Wand einnahm, gab es nicht genug Platz für all die Bücher und Pergamentrollen, die hier gelagert wurden. Mehrere Stöße Bücher standen über den ganzen Raum verteilt auf dem Boden und der Schreibtisch war mit Papieren übersät. Link ging langsam auf den Tisch zu und nahm vorsichtig eine der Pergamentrollen in die Hand. Das uralte, zigmal gegerbte Leder war inzwischen so brüchig, dass der Rand trotz aller Sorgfalt unter Links Fingern zerbröselte, und die Tinte war dermaßen ausgeblichen, dass die Buchstaben kaum noch zu erkennen waren. Doch auch bessere Leserlichkeit hätte dem Herrn der Zeiten nicht weitergeholfen. Denn egal wie sehr er sich auch konzentrierte, er konnte kein einziges Wort entziffern. Die Buchstaben sahen zwar ein wenig wie hylianische Schriftzeichen aus, wirkten jedoch gleichzeitig auch vollkommen fremd. „Hey, Navi!“ Der junge Kämpfer warf seiner Freundin einen Blick über die Schulter hinweg zu. „Sieh dir das hier mal an. Kannst du das lesen?“ Von natürlicher Neugierde getrieben, eilte die Fee, die bislang in der Mitte des Raums verharrt und die Stube mit ihrem hellen Glanz erleuchtet hatte, herbei und betrachtete nachdenklich die Pergamentrolle. „Das ist Alt-Hylianisch! Diese Schriften müssen Jahrhunderte alt sein!“ „Heißt das, du kannst es lesen?“ Die geflügelte Frau nickte bedächtig. „Es ist eine ganze Weile her, seit ich die altertümlichen Sprachen studiert habe, aber ich denke, ich werde es entziffern können. Gib mir ein wenig Zeit.“ Link nickte und legte das Pergament ausgebreitet auf dem Schreibtisch ab. Dann wandte er sich um und verkündete: „Ich mach uns derweil ein Feuer – es wird allmählich ganz schön kühl.“ Navi, die sich bereits voll und ganz auf die alten Dokumente konzentrierte, brummte etwas Unverständliches, was ihren Schützling in sich hinein grinsen ließ. Navi war trotz ihres aufbrausenden Temperaments die geborene Gelehrte. Wann immer es etwas zu erforschen gab, war sie sofort Feuer und Flamme und blendete alles andere gänzlich aus – sogar die eigene Trauer. Mit einem kleinen Lächeln auf den Lippen blickte der Herr der Zeiten sich auf der Suche nach Brennmaterial in der Kammer um. Theoretisch hätte er einige der alten Bücher verheizen können, aber das hätte Navi niemals zugelassen. Also entschied er sich dafür, lieber das Bett auseinanderzunehmen. So gammelig wie die Laken aussahen, wollte er darin sowieso nicht schlafen. Also durchquerte er mit wenigen Schritten den Raum und riss mit einer kraftvollen Bewegung das Oberbett herunter. Das klappernde Geräusch, das dabei erklang, ließ den Recken ein wenig zusammenzucken. Selbst Navi blickte kurz von ihren Schriften auf und fragte: „Was war das?“ „Keine Ahnung.“ Das Herz schlug dem jungen Mann bis zum Hals, als er neben dem Stoffbündel in die Hocke ging und die Decke langsam zur Seite zog. „Heiliger Deku!“ Link verlor bei seinem Versuch zurückzuweichen das Gleichgewicht und landete mit einem Keuchen auf seinem Hintern. Zwischen den stockfleckigen Tüchern hatte sich ein offensichtlich menschliches Skelett verfangen, dessen Totenschädel den Herrn der Zeiten fratzenhaft anzugrinsen schien. Während Link die Gebeine mit schockgeweiteten Augen anstarrte, kommentierte seine Fee trocken: „Gut, dass du sowieso nicht in dem Bett schlafen wolltest.“ Ein wenig benommen nickend, kam der junge Mann wieder auf die Füße und stopfte die Laken und Knochen mit mechanischen Bewegungen in den Kamin, bevor er sich daranmachte, das Holzgestell des Bettes mit dem Goronenhammer zu zerkleinern. Dann schnappte der junge Recke sich die zwei kleinen Feuersteine, die auf dem Kaminsims lagen. Nur Minuten später schlugen die ersten Flammen hoch und verschlangen von einem gemütlichen Knistern begleitet das trockene Holz. Eine Zeit lang saß der Herr der Zeiten stumm vor dem Kamin und starrte gedankenversunken ins Feuer, das den Raum mit einem rötlichen Schein erfüllte. Dann sah er plötzlich hoch und sagte: „Ich frage mich, wer er wohl gewesen sein mag.“ „Wer?“ Navi klang als würde sie ihrem Schützling nur halb zuhören. Link deutete auf die prasselnden Flammen. „Der Tote.“ Die Fee zuckte ein wenig gelangweilt mit den Schultern. „Ich nehme mal an, sie war die letzte Torwächterin.“ Link rutschte herum, sodass er seine Freundin ansehen konnte, ohne sich dabei den Hals zu verrenken, und blickte sie interessiert an. „Die was?“ Ohne erneut aufzuschauen, erklärte Navi: „Die Göttin des Sandes, die wie du weißt auch den Namen Geistertempel trägt, wurde bis vor wenigen Jahrhunderten noch aktiv als religiöse Stätte genutzt. Reiche Gerudo und sogar betuchte Hylianer haben regelmäßig Karawanen mit Opfergaben durch die Wüste zum Tempel geschickt. Die meisten der Pergamentrollen scheinen Aufzeichnungen über die verschickten Waren zu sein. Du musst wissen, dass nur wenige Auserwählte den genauen Weg zum heiligen Tempel kennen durften.“ Die Fee befeuchtete ihre Lippen mit der Zunge und fuhr fort: „Das übliche Procedere scheint folgendes gewesen zu sein: Die Karawanen zogen bis zu diesem Turm, der damals den Namen ‚Tor zur Wüste‘ trug. Hier wurden sie von den Torwächterinnen, eine Art niederer Priesterinnen, in Empfang genommen. Diese haben dann die Lasttiere zum Tempel gebracht, während die Karawanenführer hier warten mussten.“ Link zog nachdenklich die Unterlippe zwischen die Zähne. „Ich frage mich, warum der Tempel heute nicht mehr genutzt wird. Sind die Menschen irgendwann vom Glauben abgefallen?“ Er dachte an die grausame Härte, mit der Ganondorf bewiesen hatte, dass alle Legenden und Mythen über die Göttinnen und das Triforce wahr sein mussten. „Ich glaube nicht, dass das der Grund ist.“ Navi hielt einen Bogen Pergament hoch, der eng mit fremdartigen Schriftzeichen beschrieben war. Als Link die Augen zusammenkniff und sich konzentrierte, um eventuell ein paar Worte entziffern zu können, lachte seine Fee: „Versuch’s gar nicht erst. Das hier ist – wie der Großteil dieser Aufzeichnungen – in der altertümlichem Schrift der Gerudo verfasst.“ Seufzend lehnte der Herr der Zeiten sich wieder zurück und fragte sich, warum nicht alle Völker Hyrules dieselbe Sprache sprechen konnten. Durch die auf exzessivem Handel basierende weite Verbreitung des Hylianischen vergaß Link immer wieder, dass seine Muttersprache für die anderen Völker eine Fremdsprache war. Die Stirn in Falten werfend, rätselte er, warum die Kokiri Hylianisch sprachen, obwohl sie durch den Fluch, der auf den Kokiri-Wäldern lag, von jeglichem Handel abgeschnitten waren. Was, wenn sie die Sprache extra für ihn gelernt und gesprochen hatten? Der Deku-Baum hatte immer gewusst, welches Schicksal Link aufgebürdet worden war und dass er früher oder später auf die hylianische Sprache angewiesen gewesen wäre. Konnte das sein? Hatten sämtliche Kokiri ihre Alltagssprache geändert, bloß um ihn auf seine Aufgabe vorzubereiten? Kein Wunder, dass er wie eine Bürde auf sie gewirkt hatte… Die Gedanken in seinem Kopf überschlugen sich plötzlich. Hatte er endlich den Schlüssel für das Rätsel hinter der Ablehnung, die er in seiner Kindheit permanent erfahren hatte, gefunden? Hatten einige der Kokiri ihn gemieden, weil ihnen die hylianische Sprache schwer gefallen war und sie Angst hatten durch ein Kokiri-Wort den Plan des Deku-Baums zu verraten? Links Herz trommelte wild und schnell in seiner Brust, aber er zwang sich dazu, sich wieder zu beruhigen. Nun war nicht die Zeit, über derartiges nachzudenken. Außerdem konnte er momentan nichts anderes tun als zu spekulieren. Doch er nahm sich fest vor, nach Abschluss seiner Mission einen Kokiri über den Wahrheitsgehalt seiner Theorie zu befragen. Um sich wieder ins Hier und Jetzt zurückzuholen, fragte der junge Krieger: „Was steht denn in dem Dokument?“ „Allem Anschein nach hängt der Untergang des Geistertempels als religiöse Stätte mit den letzten beiden Priesterinnen zusammen.“ Navis Stimme klang als wäre die Fee gedanklich weit weg. „Hier steht, dass die Beiden immer häufiger Opfergaben abgelehnt und sich am für die Göttinnen bestimmten Gold selbst bereichert haben. Außerdem galten sie als gerissen und skrupellos. Sie haben es sogar geschafft, einen der früheren Gerudo-Könige dazu zu bewegen, dass er ihnen die Pflege der nächsten Regenten übertrug. Damit stiegen sie de facto zu den mächtigsten Frauen im Land auf – vielleicht sogar zu den mächtigsten Gerudo überhaupt, immerhin konnten sie die künftigen Könige nach ihren Vorstellungen formen und beeinflussen.“ Die Fee strich sich eine ihrer langen Strähnen hinters Ohr und zog ein besorgtes Gesicht. „Hier steht noch etwas, das mir Bauchschmerzen macht.“ „Was denn?“ Link beugte seinen Oberkörper nach vorn und sah seine Begleiterin gespannt an. „Den Beiden wurden schon vor ihrem Amtsantritt magische Fähigkeiten nachgesagt. Offenbar gab es bei ihrer Wahl einige Unstimmigkeiten und es wurden Vorwürfe laut, sie hätten sich mit Hilfe von Gehirnwäsche Stimmen erschlichen.“ „Gehirnwäsche? Erinnerst du dich an das, was Miccahia uns erzählt hat?“ Unter Links Haut zuckten elektrische Impulse und jede Muskelfaser seines Körpers spannte sich an. Navi schüttelte jedoch den Kopf und machte ein ratloses Gesicht. Sich auf die Füße schwingend, erinnerte der Herr der Zeiten seine Begleiterin: „Ganondorf soll von zwei Hexen, angeblichen Meisterinnen der Gehirnwäsche, aufgezogen worden sein. Meinst du, das sind dieselben Priesterinnen, die schon in diesen alten Schriften erwähnt werden?“ Bei dem Gedanken an die dunklen Mächte, die einem Menschen ein derart langes Leben bescheren mochten, lief es dem Recken eiskalt den Rücken runter. Die geflügelte Frau kaute nachdenklich auf einem Daumennagel und murmelte: „Möglicherweise, ja. Der Sandsturm spräche zumindest dafür.“ Als Link sie daraufhin irritiert anblinzelte, grinste die Fee und erklärte: „Hier steht, dass der Sturm kurz nach Amtsantritt der Twinrova zum ersten Mal auftrat. Der Autor dieses Dokuments wirft ihnen vor, den Sturm mit Hilfe dunkler Magie beschworen zu haben.“ „Twinrova?“ „So lautet der offizielle Titel, den sie sich die Zwillingspriesterinnen selbst gegeben haben.“ „Ah!“ Link nickte verstehend, dann verfielen die beiden Abenteurer erneut in Schweigen, weil keiner der Beiden wusste, was er dazu noch sagen sollte. Navi widmete sich wieder den Schriftstücken, während ihr Schützling neues Holz ins Feuer warf und den Tanz der Flammen beobachtete. Sein Geist war in Aufruhr. Konnten die Zwillingspriesterinnen aus den Aufzeichnungen tatsächlich dieselben Hexen sein, die Ganondorf großgezogen hatten? Und wenn ja, welche Bedeutung hatte das für ihn als Herrn der Zeiten? War es für ihn überhaupt von Relevanz oder konnte es ihm völlig egal sein? Erst, als ihm die Augen immer wieder zufielen, rollte der junge Kämpfer sich vor dem Kamin zusammen, um sich eine Mütze Schlaf zu gönnen. Der Staub, der den Boden bedeckte, kitzelte in seiner Nase, aber Link war dermaßen ausgelaugt, dass er trotzdem innerhalb weniger Minuten einschlief. „Link! Hey! Wach auf!“ Navis Stimme war ganz nah an seinem Ohr und klang ängstlich. Innerhalb weniger Sekunden durchbrach das Bewusstsein des Herrn der Zeiten die Schlafbarriere und er schlug die Augen auf. Während des kurzen Orientierungsmoment wunderte sich ein Teil von ihm darüber, dass Aufwachen sich für ihn jedes Mal wie das Zerschlagen einer Eisdecke anfühlte, so als würde sein Geist aus den Tiefen eines zugefrorenen Sees auftauchen. Das Feuer im Kamin war heruntergebrannt und das Holz zu einem Haufen rotglimmender Glut zusammengefallen – er musste also mehrere Stunden geschlafen haben. Sich gerade aufsetzend, suchte er den schummrig erleuchteten Raum nach seiner Fee ab. Diese stand neben ihm auf dem Boden und hatte ihren Glanz zu einem schwachen Schimmern gedimmt. „Was ist los, Navi?“ Obwohl er keine Gefahr ausmachen konnte, hielt ihn die Haltung seiner Fee dazu an, zu flüstern. Diese wisperte ebenso leise zurück: „Hier ist etwas.“ Erneut ließ der Herr der Zeiten seinen Blick durch die Kammer schweifen, aber auch dieses Mal konnte er nichts Verdächtiges entdecken. Die Augenbrauen verwundert zusammenziehend, fragte er sich, ob seine Begleiterin Gespenster sah und sich die Bedrohung nur einbildete. Gespenster! Natürlich! So schnell wie möglich holte der junge Mann das Auge der Wahrheit hervor und hielt es sich vors Gesicht. Zunächst wirkte alles unverändert, aber dann zuckte ein weißlicher Blitz durch Links Sichtfeld und über dem Schreibtisch schälte sich eine schemenhafte Gestalt aus der Dunkelheit. Je länger der Kämpfer zu dem Wesen herübersah, desto deutlicher nahm es die Züge einer alten, ausgemergelten Frau an. Obwohl die beiden Geister sich nicht einmal im Ansatz ähnelten, musste Link unwillkürlich an Boris denken und seine Nackenhaare stellten sich auf, als er sich an den eiskalten Hauch des Todes erinnerte, der ihn bei der Berührung des ehemaligen Totengräbers befallen hatte. Ein Schaudern unterdrückend, räusperte Link sich und fragte so ruhig wie möglich: „Ihr seid die letzte Torwächterin, nicht wahr?“ Der Geist nickte. Anscheinend war er kein bisschen überrascht davon, gesehen zu werden. „Die bin ich. Mit wem habe ich die Ehre?“ Die Stimme des Gespenstes war ein schauriges Grabesflüstern, das wie eine raue, tiefere Version des Geräusches von Nägeln auf Schiefertafeln klang. Link rappelte sich schnell auf und klopfte sich notdürftig den Staub aus den Kleidern. Navi klammerte sich an seinem Knöchel fest und ließ ihren Blick durch den Raum zucken. Dass sie den Geist nicht sehen konnte, machte sie offenbar nervös. „Mein Name ist Link. Ich bin der Herr der Zeiten.“ Irgendwie fühlte es sich für den jungen Mann noch immer seltsam an, diese Tatsache laut auszusprechen. Der Geist nickte wieder als hätte er dies bereits gewusst. „Was willst du hier?“ Der ablehnende Ton der Torwächterin ließ Links Herz in dessen Hose rutschen. Er hatte keinerlei Vorstellung davon, wie gefährlich ein Geist werden konnte, wenn er Übles wollte, oder wie man etwas, das keinen materiellen Körper besaß, bekämpfen sollte. Hart schluckend nahm er all seinen Mut zusammen: „Ich bin hier, um Euch in aller Demut darum zu bitten, mir den Weg zur Göttin des Sandes zu zeigen.“ Link hasste es, wie kriecherisch er klang. Doch es erschien ihm klüger, den Geist mit Ehrfurcht zu behandeln anstatt ihm fordernd entgegenzutreten. Dieser verschränkte die Arme vor der Brust und blaffte: „Weshalb sollte ich das tun?“ Navi machte ein schnaubendes Geräusch, das davon zeugte, dass sie den Geist offenbar hören konnte und nah dran war, ihm die Leviten zu lesen. Mit einem strengen Blick brachte der Herr der Zeiten sie zum Schweigen und erklärte: „Hyrule ist in keiner guten Verfassung. Es ist Ganondorf gelungen, das Triforce-Fragment der Kraft an sich zu reißen. Er hat das Land mit Terror und Verderben überzogen.“ Link machte einen Schritt auf den Geist zu, um seine Entschlossenheit zu unterstreichen. „Ganondorf muss aufgehalten werden – um jeden Preis! Sonst ist unser aller Heimat dem Untergang geweiht. Ganondorf wird sie in ein Freudenhaus für Dämonen verwandeln. Schon jetzt streifen Skelette und Zombies durch die Überreste dessen, was einmal Hyrule-Stadt, eine blühende Metropole des Lebens, war.“ Der Herr der Zeiten fixierte die Augen seines Gegenübers. „Es ist meine Schuld, dass es soweit kommen konnte. Ich habe Ganondorf den Zugang zum Heiligen Reich geöffnet. Nicht zuletzt deswegen ist es meine Pflicht, diesem Irren Einhalt zu gebieten. Doch dafür brauche ich die Hilfe der sieben Weisen – und aus diesem Grund muss ich zum Geistertempel.“ Die Geisterfrau wiegte grübelnd den Kopf hin und her und maß Link mit einem durchdringenden Blick. Doch anstatt die Augen niederzuschlagen, machte der junge Mann einen weiteren Schritt auf sie zu. „Bitte! Ich brauche Eure Hilfe, um meinen Fehler von damals wieder gutmachen zu können. Bitte, zeigt mir den Weg zum Geistertempel. Ich flehe Euch an! Wenn Ihr es nicht für mich tun wollt, dann tut es für Hyrule!“ Für einen langen Moment, während dem Navi nervös auf einer Haarsträhne kaute, starrten Geist und Lebender sich an. Dann nickte die Torwächterin endlich und verkündete: „Also gut, Herr der Zeiten, ich zeige dir den Weg zur Göttin. Aber nur unter einer Bedingung!“ Ohne zu zögern stimmte Link zu: „Was immer Ihr wünscht – sofern es in meiner Macht liegt.“ Ein düsteres Grinsen huschte über die transparenten Lippen des Geists, als er forderte: „Vernichte die Twinrova! Übe Rache für mich und alle, die unter den alten Hexen leiden mussten, und hilf meinen Nachfahren, den guten Namen der Gerudo wieder reinzuwaschen!“ Dann wandte die Torwächterin sich um und verließ den Raum, ohne Links Antwort abzuwarten. So schnell er konnte, schnappte sich der Herr der Zeiten seinen Schild und sein Schwert, die er gegen die Wand gelehnt hatte, bevor er es sich vorm Kamin gemütlich gemacht hatte, und hastete die Treppe nach oben. Die Geisterfrau schnaubte abfällig und tadelte: „Du musst dich ein bisschen mehr beeilen. Uns bleibt nicht mehr viel Zeit, die Nacht ist bald vorbei.“ Mit diesen Worten setzte die Torwächterin sich wieder in Bewegung. Navi, die sich auf Links Schulter niederließ, murmelte etwas, das verdächtig wie «unhöfliche Ziege» klang, aber ihr Schützling beachtete sie kaum. Stattdessen hastete er hinter dem Geist her und fragte ein wenig atemlos: „Spielt die Tageszeit denn eine Rolle?“ Die Torwächterin warf ihm einen genervten Seitenblick zu, erklärte jedoch: „Geister sind Geschöpfe der Nacht. Beim ersten Tageslicht müssen wir zurück ins Totenreich.“ Eine Weile stapfte Link schweigend neben dem Gespenst durch die Wüste. Sein Atem hinterließ kleine, weiße Wölkchen in der klirrendkalten Luft und er rieb sich in der Hoffnung, sich ein wenig wärmen zu können, verstohlen über die Oberarme. Um sich von der eisigen Kälte abzulenken, fragte er nach einer guten halben Stunde: „Sagt, wie fühlt es sich an? Tot zu sein, meine ich.“ Die Torwärterin zog ein pikiertes Gesicht und schnappte: „Du bist nicht besonders taktvoll!“ Navi machte ein grunzendes Geräusch, das wie unterdrücktes Lachen klang, aber der Herr der Zeiten ließ sich nicht beirren: „Mag sein, dass meine Frage taktlos war. Dann entschuldigt bitte. Ich bin manchmal neugieriger als es mit den Geboten der Höflichkeit vereinbar ist.“ Er sah die Geisterfrau mit großen, leuchtenden Augen an, doch obwohl dieser Blick ganze Gletscher hätte schmelzen können, erweichte er das tote Herz der Torwächterin nicht. Diese zeigte ihm die kalte Schulter und eilte noch ein wenig schneller durch die Wüste. Enttäuscht aufseufzend hastete Link ihr so schnell wie es ihm bei dem weichen Untergrund möglich war hinterher. Navi kicherte in sich herein und neckte ihren Schützling: „So, mein Lieber, fühlt es sich an, einen Korb zu bekommen.“ „Ach, halt die Klappe!“ Trotz der schroffen Worte verzog der Herr der Zeiten seine Lippen zu einem breiten Grinsen. Der Mond schob sich immer mehr in Richtung des westlichen Gebirgsausläufers, während die kleine Gruppe schweigend durch die Wüste wanderte. Ab und zu heulten in der Ferne Kojoten, aber ansonsten war die Nacht beeindruckend still. Bei der vollkommenen Ruhe konnte man beinahe den Eindruck gewinnen, die Zeit wäre stehen geblieben. Doch der blasse Schimmer, der sich am östlichen Horizont ausbreitete, verriet, dass allmählich der nächste Morgen anbrach. Schon bald würde die Sonne ihren Scheitel über den Erdenrand schieben. Plötzlich blieb die Torwächterin unvermittelt stehen und deutete in Richtung Norden. „Die Nacht ist um. Ich muss dich nun verlassen, Herr der Zeiten.“ Als sie seinen erschrockenen Blick sah, schien der Schatten eines Lächelns um ihre Mundwinkel zu spielen. „Hab keine Angst. Ich setze dich nicht mitten in der Wüste aus – jedenfalls nicht, ohne dir den rechten Weg zu weisen. Gehe von hier aus immer in Richtung Norden, dann gelangst du an einen schmalen Gebirgspass. Dahinter findest du die Göttin des Sandes.“ Link setzte zu einer Antwort an, doch noch bevor eine Silbe des Danks seine Lippen verlassen hatte, hatte die Geisterfrau sich bereits aufgelöst. Mit den Schultern zuckend warf der junge Krieger seiner Fee, die eine wegwerfende Handbewegung machte, einen kurzen Seitenblick zu, dann setzte er sich wieder in Bewegung. Der Weg war noch länger als der Kämpfer gedacht hatte und mit der langsam steigenden Sonne breitete sich allmählich eine ähnliche Hitze wie am Vortag aus. Mit nur wenigen Schlucken war der Rest seines Getränkevorrats ausgetrunken, was Link wieder daran erinnerte, dass er dringend eine Oase finden musste. Nach einer gefühlten Ewigkeit erreichten die beiden Abenteurer schließlich den Gebirgspass und atmeten fast gleichzeitig auf. „Na endlich! Ich hab schon gedacht, wir kämen nie an!“ Vor Freude hätte Link am liebsten seine Mütze in die Luft geworfen. Navi hielt ihn jedoch zur Eile an: „Komm schon! Ich will die Göttin sehen! Wir sind zu nah dran, um eine Rast zu machen.“ So schnell ihn seine müden Beine trugen, durchquerte der Herr der Zeiten den Pass und staunte an dessen Ende nicht schlecht. Auch Navi sog scharf Luft ein und flüsterte leise: „Unglaublich! Wie unbeschreiblich wunderschön…“ Vor ihnen erstreckte sich ein kreisförmiges Tal, das mit hochaufragenden Palmen mit weitausladenden, saftig grünen Kronen gespickt war. Im Westen glitzerte die silbrige Oberfläche einer lebenspendenden Oase, die sogar von verschiedenen Blumen gesäumt war. Mit seinen kräftigen, perfekt aufeinander abgestimmt erscheinenden Farben wirkte das vor ihnen liegende Areal wie von der Hand eines geschickten Künstlers auf eine Leinwand gemalt. Die Schönheit des Tals verblasste jedoch angesichts der gigantischen Frauenstatue, die direkt aus dem Stein des nördlichen Gebirgsausläufers gehauen worden war. Sie war mehrere hundert Meter hoch und zeigte eine Detailverliebtheit, die jeden Betrachter unwillkürlich staunen ließ. Die Göttin des Sandes! Sie hatten es tatsächlich geschafft. Sie waren endlich angekommen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)