Ocarina of Time von Labrynna ================================================================================ Kapitel 47: Nacht in der Fremde ------------------------------- Kaum, dass Link aus dem Gebäude heraustrat, schoss ein silbriger Lichtball auf ihn zu und warf sich gegen seinen Hals. Die Arme weit ausgestreckt kuschelte Navi sich an seinen Adamsapfel und frohlockte: „Du bist wieder da! Ich hab mir solche Sorgen um dich gemacht.“ Ein kleines Schluchzen drückte sich ihre Kehle hinauf und sie schmiegte ihre Wange gegen seine weiche Haut. Rührung breitete eine warme Decke über dem Herzen des Recken aus, bis die Fee plötzlich die Nase rümpfte und ihn mit einem angewiderten Blick ansah. „Bäh! Was hast du denn gemacht?! Du stinkst!“ Sofort schoss dem jungen Mann das Blut in die Wangen und ließ sie in einem samtigen Rot leuchten. „Ich… äh… bin in einen Haufen Küchenabfälle gefallen. Zweimal.“ Navi riss verblüfft die Augen auf und starrte ihren Schützling irritiert an. Wie konnte man denn so blöd sein und zweimal hintereinander in einen Müllhaufen fallen?! Doch bevor sie deswegen eine spitze Bemerkung machen konnte, tauchte Zeherasade auf und wandte sich an den Herrn der Zeiten: „Das Glühwürmchen hat Recht, du riechst wirklich etwas streng.“ „Ich bin eine Fee!!!“ Navi plusterte sich zu ihrer vollen Größe auf und warf der jugendlichen Gerudo einen erbosten Blick zu, den diese jedoch getrost ignorierte. „Wie auch immer… Ich wollte eigentlich nur sagen, dass du dich vor deinem Aufbruch in unserem Bad säubern kannst. Du darfst auch gern über Nacht bleiben und dich ausruhen. Nimm’s mir nicht übel, aber du siehst aus als könntest du das gebrauchen.“ Ein schiefes Lächeln zog einen seiner Mundwinkel in die Höhe, als Link zustimmte: „So fühle ich mich auch.“ „Wunderbar, dann sag ich Dinah Bescheid.“ „Warte!“ Der Abenteurer streckte die Hand nach der Kriegerin aus, um sie zurückzuhalten. Sie drehte sich ihm wieder zu und sah ihn aus großen Augen an. „Was ist denn noch? Ach, geht’s um deinen Freund?“ Amüsement blitzte in den Retinae des Mädchens auf. „Der kann natürlich auch hier schlafen. Der Gästesaal ist groß genug für euch Beide.“ Bei dem Gedanken, eine Nacht im selben Zimmer mit Shiek zu verbringen, lief es Link heiß und kalt den Rücken runter und er warf einen flüchtigen Seitenblick auf den Shiekah, der noch immer im Durchgang stand und sich mit Dinah unterhielt. In den geraubten Frauenkleidern wirkte er noch schmaler und zerbrechlicher als sonst und es juckte den Herrn der Zeiten in den Fingern, den anderen Mann zu berühren. Wie sollte er ruhig schlafen, wenn er Shiek neben sich wusste?! Doch vielleicht würde der einzelgängerische Eigenbrötler gar nicht zustimmen, bei den Gerudo zu übernachten. Womöglich machte Link sich zu viele Gedanken um ungelegte Eier. Seinen Geist wieder auf Konkretes lenkend fragte er Zeherasade: „Wo ist eigentlich Epona? Ich dachte, ich würde sie hier irgendwo auf dem Vorplatz entdecken, aber ich sehe sie nirgends.“ „Nach einigen Schwierigkeiten konnten wir sie einfangen und in unseren Stallungen festbinden.“ Es war die kräftige Aveil, die sich zu der kleinen Gruppe gesellte und zur Anhöhe hinter der Festung deutete. „Wenn du möchtest, bringe ich dich zu ihr. Dann beruhigt sie sich vielleicht ein wenig und lässt sich in einer unserer Boxen unterbringen.“ Link nickte und erwartete, dass seine Fee sich auf seiner Schulter niederlassen würde, damit sie Beide zu Epona gehen konnten. Stattdessen flog Navi zu Shiek herüber, der ihr nur einen kurzen Seitenblick zuwarf – so als wäre es das Normalste der Welt, dass die Fee sich auf sein Schlüsselbein setzte. Dem Herrn der Zeiten hingegen blieb vor Überraschung der Mund offenstehen. Was war bloß während seiner Gefangenschaft passiert?! Navi hasste Shiek, der ihr wiederum mit unterkühlter Ignoranz begegnete! Seit wann waren die Beiden Freunde?! Hätte Aveil sich nicht geräuspert, um die Aufmerksamkeit des Kriegers wieder auf sich zu ziehen, hätte er vermutlich den Rest des Tages damit verbracht, seine Fee und den Shiekah anzustarren. Stattdessen schüttelte er nur ungläubig den Kopf und wandte sich dann zu der wartenden Gerudo um, damit diese ihn zu seinem Pferd brachte. Der Weg hinauf zu den Stallungen verlief in einem weiten Bogen und stieg sanft an. Vom Scheitelpunkt der Kurve aus hatte man einen herrlichen Ausblick über das gesamte Tal. Link fragte sich, ob die Zimmermannsgesellen inzwischen bei Mutoh angekommen waren und wann die Hängebrücke über der Schlucht wohl repariert sein würde. „Wieso habt ihr eigentlich die Brücke zerstört?“ Der junge Recke sah zu Aveil herüber, deren Kleider mit den kleinen Einschusslöchern seiner Pfeilspitzen übersäht waren. Ohne ihn anzuschauen antwortete sie: „Um es Ganondorfs Schergen möglichst schwer zu machen, zu uns zu gelangen.“ Im ersten Moment blinzelte Link überrascht, doch je länger er darüber nachdachte, desto mehr Sinn machte dieses Bild für ihn. Die Gerudo waren durch ein altes Gesetz und die Übermacht Ganondorfs dazu verdammt, einem Mann zu folgen, dem sie nicht dienen wollten. Also suchten sie nach Wegen, um seinen Befehlen entgehen zu können. Wenn seine Boten niemals die Gerudo-Festung erreichten, kamen sie nicht in die Verlegenheit, ihrem König offen den Gehorsam verweigern oder gegen die eigenen Überzeugungen handeln zu müssen… Die Stallungen waren in einem langen, rechteckigen Gebäude untergebracht, neben dem sogar ein kleiner Trainingsparcours angelegt worden war. Fasziniert betrachtete der Recke eine Gerudo, die auf ihrem bunt aufgezäumten Pferd über die Rennstrecke galoppierte und dabei mit einem Kurzbogen auf mehrere, die Strecke säumende Zielscheiben schoss. Zu Links Überraschung trafen die meisten Pfeile genau ins Schwarze – und das, obwohl die Gerudo ohne Sattel ritt. Der Herr der Zeiten fragte sich, wie sie sich überhaupt auf dem Rücken ihres Zossen halten konnte! „Hier geht’s rein.“ Aveil legte ihm eine Hand auf den Rücken und schob ihn durch ein breites Tor. Das Innere war von dem goldenen Schein der Abendsonne erhellt und feine Staubpartikel schwebten durch die duftgeschwängerte Luft. Link atmete tief durch und versuchte, die unterschiedlichen Gerüche zu isolieren. Heu, Pferdeschweiß, Lederöl und Huffett. Aveil dirigierte den jungen Mann den Gang herab und begrüßte jedes Pferd, an dem sie vorbeikamen, mit Namen. Link lächelte in sich hinein und stellte sich die Gerudo beim Umgang mit ihrem Reittier vor. So liebevoll wie sie die anderen Zossen beim Namen nannte, musste sie einen guten Draht zu Tieren haben. Als hätte sie seinen Schritt erkannt, stieß Epona ein lautes Wiehern aus, noch bevor ihr Herr in Sichtweite kam. Dieser beschleunigte seine Schritte und eilte zu seiner Stute herüber, um ihr den Hals zu tätscheln und sie hinter den Ohren zu kraulen. „Da bist du ja.“ Er streichelte ihr über ihr samtiges Maul und drückte ihr einen Kuss auf die breite Stirn. „Danke, dass du mir geholfen hast.“ Unterdessen lehnte Aveil an der Wand und beobachtete die Beiden mit einem warmen Leuchten in den Augen. Dann, nachdem sie ihnen einen Moment zur Begrüßung gegeben hatte, deutete sie auf die massiven Eisenringe und die dicken Stricke, mit denen die Beine des Pferds am Boden befestigt waren. „Tut mir leid, dass wir dazu gezwungen waren. Doch anders war sie leider nicht ruhigzustellen. Wenn wir sie nicht festgebunden hätten, hätte sie womöglich sich selbst oder eine von uns verletzt.“ Link warf ihr über die Schulter hinweg ein Lächeln zu. „Schon in Ordnung. Ich bin mir sicher, sie trägt es euch nicht nach. Und ich verspreche, dass sie euch keinen Ärger mehr machen wird.“ Mit diesen Worten löste er die Seile und nahm Epona am Zügel, um sie zu der von Aveil ausgewiesenen Box zu bringen. Dort zäumte er sie ab, kraulte sie ein letztes Mal hinterm Ohr und versprach: „Ich hol dich morgen wieder ab.“ Die Gerudo, die Eponas Zaumzeug auf dafür vorgesehene Wandhaken gehängt hatte, schüttelte jedoch den Kopf. „Ich denke, es ist besser, wenn du sie hierlässt. Die Gespensterwüste ist von einem breiten Gürtel Treibsand umgeben. Kein Pferd der Welt kommt da durch.“ „Aber Epona hat es auch über die Schlucht geschafft“, wandte Link ein. Ihm missfiel der Gedanke, seine treue Stute zurücklassen zu müssen. Aveil zuckte mit den Schultern und fixierte ihn mit einem gezwungen gleichgültig wirkenden Blick. „Es ist dein Pferd. Wenn du es in den sicheren Tod schicken willst, kannst du gerne versuchen, mit ihm die Gespensterwüste zu durchqueren.“ Der Recke wusste selbst nicht genau, warum, doch seine Lippen verzogen sich zu einem breiten Lächeln. Irgendwie empfand er Aveils Versuch, ihre deutliche Sorge um Epona zu verstecken, als unsagbar süß. Grinsend knuffte er ihr in einer freundschaftlichen Geste gegen die Schulter und versicherte: „Ich werde Epona keiner unnötigen Gefahr aussetzen.“ Dann drehte er sich zu seiner Stute um und sagte: „Hörst du, mein Mädchen? Du wirst etwas länger hierbleiben müssen. Ich komm irgendwann und hol dich wieder ab. Mach den Gerudo bis dahin keinen Ärger, ja?“ Das Pferd schnaubte und warf den Kopf hin und her als wolle es verneinen. Link lachte leise, dann klopfte er ein letztes Mal mit den Fingerknöcheln gegen die Stalltür und folgte Aveil nach draußen. Dort wartete bereits Zeherasade auf ihn, um ihn in den Privatbereich der Festung zu führen. Die Gemächer der Kriegerinnen waren in einem rückwärtigen Teil untergebracht, dessen Gebäude nur aus Richtung Stallungen zu betreten waren. Wie der Herr der Zeiten feststellte, unterschieden sich diese Bauten deutlich von denen, die er bislang von der Festung gesehen hatte. Zum einen gab es wesentlich mehr Fenster, sodass die breiten Gänge von der Abendsonne in rotgoldenes Licht getaucht wurden. Zum anderen war der Boden mit dicken Webteppichen ausgelegt und die Wände mit unterschiedlichen Malereien verziert. Während die junge Gerudo Link durch die langen Flure führte, fragte sie ihm unermüdlich ein Loch in den Bauch. „Wo hast du eigentlich so kämpfen gelernt?“ Der Recke zuckte ein wenig beschämt die Schultern. „Ehrlich gestanden, bin ich nie ausgebildet worden. Dort, wo ich herkomme, war das nie nötig. Ich schätze mal, dass ich es trotzdem kann, liegt daran, dass es mir einfach im Blut liegt.“ „Wo kommst du denn her?“ Zeherasade sah ihn von unten herauf aus leuchtenden Augen an. Offenbar hatte er sie durch seinen Sieg über ihre Schwester stärker beeindruckt als er wollte. „Ich bin im Kokiri-Wald im Südosten aufgewachsen.“ Stutzend legte das Mädchen den Kopf schief. „Heißt es nicht, die Kokiri wären ein Volk von Kindern?“ Link kratzte sich verlegen am Hinterkopf und sah, Blickkontakt vermeidend, an die Wand als wolle er die angemalte Unterwasserlandschaft bewundern. „Das stimmt.“ „Du bist aber kein Kind mehr“, strich Zeherasade in ihrer unbarmherzigen Neugierde heraus. „Ich weiß...“ Der junge Mann kreiste mit den Schultern als wollte er eine störende Last abschütteln. Warum nur fiel es ihm dermaßen schwer, zu seiner wahren Herkunft zu stehen? Vielleicht, so sagte er sich, lag es nur daran, dass er so lange in dem Glauben, ein Kokiri zu sein, aufgewachsen war, dass die Wahrheit sich nun anfühlte wie ein Märchen, eine Lüge. Vermutlich hatte er sie selbst noch nicht ganz verdaut. Doch es war Zeit, sich ihr zu stellen. Tief Luft holend fügte er an: „Ich bin Hylianer.“ Wie an unsichtbaren Fäden gezogen riss die Gerudo den Kopf herum: „Ich dachte, niemand außer den Kokiri kann im Wald überleben! Die Verlorenen Wälder gelten als verflucht.“ Link wagte ein schüchternes Lächeln. „Ich schätze, ich bin anders als der Rest…“ Bevor er sagen konnte, dass er selbst nicht verstand, wie er den Fluch hatte überleben können, nahm Zeherasade seine Hand und drückte sie sachte. „Das stimmt allerdings.“ Dann warf sie einen schnellen Blick den Gang hinunter und presste sich anschließend an Link, der bis zur Wand zurückwich. In ihren funkelnden Augen stand eine Vernarrtheit geschrieben, die dem jungen Mann Angst machte und ihm die Kehle zuschnürte. „Du bist ganz anders als die Männer, die ich bislang getroffen habe“, nahm Zeherasade den Faden wieder auf. „Du bist mutig und edel und stark. Wusstest du, dass ich mir immer einen Gatten gewünscht habe, der mir ebenbürtig ist?“ Sie stellte sich auf die Zehenspitzen, zog ihren Schleier herunter und öffnete erwartungsvoll die Lippen, während Link von Panik ergriffen wurde. Wie sollte er bloß reagieren? Ob die Gerudo ihm die Gastfreundschaft aufkündigen würden, sollte er ihr Nesthäkchen von sich stoßen? Doch er konnte sie auch nicht einfach küssen… Es war schlimm genug, dass er sich versehentlich mit Ruto verlobt hatte. Er würde sich sicher nicht kopflos in eine Liaison mit einer Gerudo stürzen, bloß weil sie sich in ihn verguckt hatte! Gerade, als er sich so sanft wie möglich aus Zeherasades Umklammerung lösen wollte, ertönte vom anderen Ende des Gangs Dinahs Stimme: „Was genau soll das werden, wenn es fertig ist?!“ Link blickte panisch zu der stellvertretenden Anführerin hinüber und rechnete fest damit für ungebührliches Betragen getadelt und hinausgeworfen zu werden. Zeherasade hingegen grinste ihn noch einmal an, schob ihren Mundschutz zurecht und murmelte: „Zu schade.“ Dann trabte sie beschwingt zu ihrer Schwester hinüber, drückte sich an ihr vorbei und verschwand. Vollkommen perplex starrte der Herr der Zeiten ihr hinterher, bis Dinah an ihn herantrat: „Das tut mir leid. Nimm es ihr nicht übel. Meine kleine Schwester hat ihr Temperament manchmal nicht im Griff.“ Erleichtert aufatmend löste Link sich von der Wand und hakte nach: „Du beschuldigst mich also nicht, sie verführt zu haben oder so?“ Die Gerudo winkte mit einer knappen Handbewegung ab. „Wir bekommen hier viel zu selten Männer zu Gesicht, die keine Halunken sind. Es war klar, dass Zeherasade sich in den Erstbesten verlieben würde. Aber mach dir deswegen keine Sorgen. Ich bin mir sicher, ihre Schwärmerei wird sich genauso schnell legen wie sie entflammt ist.“ Den Mund verziehend sah der Recke zu seinem Gegenüber hinunter. Er wusste nicht, ob er erleichtert oder verprellt sein sollte, weil Dinah glaubte, er sei für ihre Schwester nicht mehr als ein austauschbares Gesicht. Bevor er sich darüber Gedanken machen konnte, deutete Dinah jedoch auf die Tür neben ihm. „Das ist übrigens das Bad. Während du bei deinem Pferd warst, habe ich veranlasst, dass man dir Wasser einlässt. Fühl dich frei, so lange zu baden wie du möchtest. Handtücher liegen bereit und dein Zimmer ist genau gegenüber. Falls du später etwas essen willst, folge einfach diesem Gang, dann kommst du direkt in die Küche.“ Sie nickte ihm noch einmal zu und verschwand dann in einem der nahegelegenen Räume. Das heiße Wasser war ein Segen für Links geschundenen Muskeln und er schloss genießend die Augen. Er wusste nicht, wie lange er schon in der Kupferwanne lag, doch das war ihm auch vollkommen egal. Zwischenzeitlich war eine Gerudo-Wache hineingekommen und hatte, eine Hand beschämt vor die Augen gehalten, seine Goronen-Rüstung an sich genommen. Als er nachgefragt hatte, was sie mit seiner Tunika wollte, hatte sie geantwortet: „Dinah hat befohlen, dass wir deine verdreckten Kleider waschen.“ Dann war sie so schnell wie möglich verschwunden. Link grinste in sich herein und fragte sich, ob die Gerudo glaubten, er würde nackt durch die Festung laufen – immerhin konnten sie nicht ahnen, dass er Ersatzkleider dabei hatte. Oder hatten sie ihn bereits beobachtet, als er von der Kokiri- zur Goronen-Rüstung gewechselt hatte? Obwohl er sich von diesem Gedanken peinlich berührt fühlte, beschloss er schulterzuckend, dass es egal war. Hier im Wasser war es viel zu schön und entspannend, um sich wegen solcher Kleinigkeiten zu stressen. Ja, vielleicht hatten ihn Frauen beim Umziehen beobachtet. Na und? Als sich die Tür erneut öffnete, dachte der Herr der Zeiten sich nichts dabei. Möglicherweise brauchte eine der Gerudo ein Handtuch oder seine Tunika war bereits gewaschen und wurde zurückgebracht. Er hätte nicht einmal aufgeschaut, hätte nicht auf einmal eine wohlvertraute Stimme ausgerufen: „Oh, bei den Göttinnen! Das tut mir leid!“ Sofort schnellte Links Kopf herum und er riss erschrocken die Lider hoch. In der Tür stand Shiek und starrte mit geweiteten Augen seinen unbekleideten Körper an. Obwohl dem Herrn der Zeiten augenblicklich das Blut in die Wangen schoss, konnte er sich nicht rühren, um seinen Schoß mit den Händen zu bedecken. Stattdessen starrte er seinerseits den Shiekah an. Shiek trug noch immer die Gerudo-Kleider und hatte seinen Zopf gelöst, sodass seine rötlich eingefärbten Haare in einem seidigen Wasserfall über seine Schultern fielen. Dies war jedoch nicht das Einzige an ihm, das anders war als sonst. Er hatte den Mundschleier abgenommen und zeigte sein Gesicht zum ersten Mal unverhüllt. Irgendetwas an den feinen, delikaten Zügen des anderen Mannes kam Link vage vertraut vor, doch genau wie im Feuertempel entzog sich ihm die Erkenntnis, bevor er sie zu fassen bekam. Mit feuerroten Wangen wirbelte Shiek herum und beteuerte immer wieder: „Das tut mir leid! Ich wusste nicht, dass du immer noch hier drin bist!“ Link wollte ihm versichern, dass die Angelegenheit nicht schlimm und er nicht sauer sei, aber der Shiekah eilte beeindruckend schnell aus dem Raum und warf die Tür krachend ins Schloss. Link saß noch eine Weile im sich allmählich abkühlenden Wasser und starrte zum Ausgang herüber. Das Türblatt vibrierte schon lange nicht mehr, doch dem Recken kam es noch immer vor als wäre Shiek gerade erst aus dem Bad verschwunden. Warum nur hatte der Shiekah geradezu panikartig die Flucht ergriffen? Der Herr der Zeiten warf einen flüchtigen Blick über seinen nackten Körper und erinnerte sich daran, wie die anderen Kokiri früher zusammen im Fluss gebadet hatten – Jungen und Mädchen gemeinsam. Ihm selbst war es immer unangenehm gewesen, sich vor den anderen zu entblättern, aber der Anblick entblößter Leiber war ihm dennoch wohlvertraut. Ob es Shiek anders ging? Vielleicht, so überlegte Link, waren alle Angehörigen seines Volkes so verschlossen wie er und hatten immer sorgsam darauf geachtet, sich nie unbekleidet vor anderen zu zeigen. Womöglich war Nacktheit unter den Shiekah verpönt und galt als obszön und unanständig. War Impa auch dermaßen verklemmt gewesen? Obwohl er rational betrachtet wusste, dass ihn keine Schuld für das Geschehene traf, verspürte Link auf einmal den drängenden Impuls, sich bei seinem Freund zu entschuldigen. So schnell er konnte, stieg er aus der Kupferwanne, trocknete sich flüchtig ab und zog sich fix an. Mit seinem Kettenanzug und dem weißen Hemd unter der Kokiri-Tunika fühlte er sich endlich wieder vollständig bekleidet und wohl. Mit langen Schritten eilte er aus dem Bad und über den breiten Flur. Doch vor der Tür zum Gästesaal hielt er plötzlich inne und zögerte. Was sollte er bloß sagen? Würde Shiek überhaupt mit ihm darüber reden wollen? Oder wäre es das Beste, den Vorfall zu ignorieren und so zu tun als wäre nichts geschehen? Tief durchatmend schob der junge Krieger seine Bedenken beiseite. Shiek war sein Freund und kein Unmensch. Wenn er nicht über das unfreiwillige Aufeinandertreffen im Bad reden wollen sollte, würde er das einfach sagen, anstatt Link den Kopf abzureißen. Dennoch zitterte die Hand des Recken leicht, als er sie auf die Klinke legte und die Tür aufdrückte. Der saalartige Raum hatte eine runde Form und wurde von einer Feuerstelle in seiner Mitte dominiert. Noch lagen die Kohlen wie schwarze Eier auf dem engmaschigen Metallrost über der Aschewanne, aber schon bald würde vermutlich eine Gerudo kommen und sie entzünden. Wie Link in Mutohs Zelt hatte feststellen müssen, wurden die Nächte in der Wüste bitterkalt. Um die Feuerstelle herum waren bunte Webteppiche und gepolsterte Sitzkissen verteilt, die Gästen ein gemütliches Zusammensitzen ermöglichen sollten. Die bequem aussehenden Betten waren mit den Kopfenden an die Wände geschoben worden, sodass sie einen großen Kreis bildeten. Beim Anblick der aus dicken Stoffen bestehenden Himmel musste Link ein wenig grinsen. Die Gerudo hatten sich wirklich große Mühe gegeben, damit sich eventuelle Gäste bei ihnen wohlfühlen konnten – sogar an ein wenig Privatsphäre beim Schlafen hatten sie gedacht. Der Recke fragte sich, woher wohl das Gerücht stammte, die Gerudo würden Besuch nicht schätzen. Vielleicht waren die Hylianer, die bislang hergekommen waren, die Sache ganz falsch angegangen, überlegte er. Womöglich galten die Gerudo nur deswegen als feindselig, weil sie stets das Gefühl hatten, in dieser männerdominierten Welt nicht ernstgenommen zu werden und sich Respekt erkämpfen zu müssen. An einem der Betten waren die Kordeln, welche die Stoffbahnen des Himmels zusammenhielten, gelöst worden, sodass man keinen Blick auf die Liegestätte werfen konnte. Da der restliche Raum leer war, trat Link mit einem flauen Gefühl im Magen an das fragliche Bett heran und flüsterte: „Shiek, bist du da drin?“ Hinter dem Stoff war ein unwilliges Knurren zu hören und der Herr der Zeiten fürchtete, er habe einen unbekannten Gast geweckt. Doch dann drang die gereizt klingende Stimme des Shiekah an seine Ohren: „Was willst du?“ „Mit dir reden.“ Link schluckte an einem Kloß in seinem Hals. Vielleicht hätte er die Sache doch auf sich beruhen lassen sollen… Vom Bett aus erklang leises Getuschel und der junge Mann horchte auf. War das Navi, mit der Shiek sich da austauschte?! Link überlegte gerade, ob er seine Ohrmuschel gegen den Stoff lehnen sollte, um besser hören zu können, als der Himmel beiseite gerissen wurde und Shiek ihn grimmig ansah. Er hatte wieder den Schleier angelegt und in seinen Augen funkelte etwas, das Link nicht einordnen konnte. Am ehesten schien es eine Mischung aus ohnmächtiger Wut und brennender Scham zu sein, die sich zu akuter Ablehnung verbanden. Mit einer knappen Handbewegung forderte der Shiekah sein Gegenüber zum Reden auf, aber die Kehle des Herrn der Zeiten fühlte sich auf einmal wie zugeschnürt an. „Ich… äh…“, stammelte er, „… also… ähm… das vorhin im Bad tut mir leid.“ „Es war nicht deine Schuld. Ich hätte klopfen müssen.“ Shiek durchbohrte den anderen Mann vor sich mit einem stechenden Blick, ohne ihm dabei in die Augen zu schauen. Dann stand er ruckartig auf. „Aber da du jetzt hier bist, ist das Bad ja endlich frei.“ Mit diesen Worten drückte er sich an Link vorbei und verschwand flugs aus dem Zimmer. Der Recke blieb verwundert zurück und kratzte sich ratlos am Hinterkopf. Wie sollte er Shieks Verhalten interpretieren? Obwohl der Shiekah gesagt hatte, dass er Link keine Schuld gab, verhielt er sich dennoch so als würde er es tun. Der Herr der Zeiten war verwirrt. „Gib ihm ein bisschen Zeit. Der Anblick deines nackten Körpers hat den armen Jungen überfordert.“ Navi saß auf dem aufgeschüttelten Kopfkissen und lächelte ihren Schützling beruhigend an. „Aber wieso?“ Kraftlos ließ Link sich auf die Bettkante sinken, stützte die Ellbogen auf die Knie und ließ den Kopf hängen. Seine Fee zuckte elegant die Schultern und sagte: „Ich weiß es nicht genau. Vielleicht hat er ein Trauma oder ist einfach prüde.“ Als der Recke daraufhin langgezogen seufzte, flog seine Begleiterin zu ihm herüber und kuschelte sich in seine Halsbeuge. „Jetzt mach kein Gesicht wie sieben Tage Regenwetter. Der Kleine kriegt sich wieder ein, ganz bestimmt.“ „Hm-mh.“ So saßen sie eine Weile, bis der Herr der Zeiten mit einer Frage herausplatzte, die ihm seit dem frühen Abend unter den Nägeln brannte: „Seit wann seid ihr Zwei eigentlich so gut befreundet?“ Falls er ein schlechtes Gewissen erwartet hatte, weil Navi zuvor Shieks Gesellschaft der seinen vorgezogen hatte, wurde er enttäuscht. Stattdessen erklärte die Fee heiter: „Seit wir zusammen einen Plan ausgeheckt haben, um dich aus deiner Zelle zu befreien.“ Als Shiek schließlich zurückkam, hatte Navi sich auf der Fensterbank in einem Strahl Mondlicht zusammengerollt und schnarchte leise. Link lag mit geschlossenen Augen langausgestreckt auf einem der Betten. Seine Stiefel hatte er sich achtlos von den Füßen getreten, sodass sie neben einem Pfosten auf dem Boden lagen anstatt ordentlich nebeneinander zu stehen. Eine Hand auf seine Brust gebettet, die andere unter die Decke geschoben, sah er aus als würde auch er schlafen. Doch kaum, dass der Shiekah den Raum betreten hatte, schnellte der Oberkörper des Recken hoch und er blickte aufmerksam zu seinem Freund herüber. Dieser hatte die Gerudo-Kleider abgelegt und wieder seinen Kampfanzug angezogen. Die weißen Bandagen an seinen Händen wirkten im roten Schein der zwischenzeitlich entzündeten Kohlen wie blutgetränkte Verbände. Einige Herzschläge lang sahen die beiden Männer sich bloß an, aber dann atmete Shiek tief durch und trat zögerlich an Links Bett heran. „Darf ich?“ Er deutete unsicher wirkend auf die Kante. „Sicher.“ Der Herr der Zeiten zog seine Beine an und machte seinem Freund, der sich sogleich niederließ, Platz. „Mein Ton vorhin tut mir leid. Ich weiß, dass es ganz allein meine Schuld war, dass ich in dein Bad geplatzt bin. Aber…“ Der Shiekah rang sichtlich nach Worten und knetete nervös einen besonders langen Streifen seiner Bandagen zwischen den Fingern. Link legte eine seiner Hände auf die des Shiekahs und lächelte. „Mach dir deswegen keinen Kopf. Vergessen und verziehen.“ Als Shiek daraufhin den Blick hob, war es hörte die Außenwelt auf zu existieren. Plötzlich gab es für den Herrn der Zeiten nur noch sie Beide und das Bett, auf dem sie saßen, während der Rest der Welt hinter einer Zauberwand oder einem Wasserfall zu verschwimmen schien. Der Shiekah verwob seine Finger mit Links und streichelte sanft mit dem Daumen über seinen Handrücken. Ihre ineinandergeschlungenen Blicke schienen die beiden Männer immer näher zueinander zu ziehen, wie an unsichtbaren Fäden. Der Herr der Zeiten streckte seine zweite, zitternde Hand nach dem Gesicht seines Gegenübers aus und legte sie ihm sanft gegen die Wange. Als Shiek daraufhin sein Gesicht dagegen lehnte, leuchteten seine Augen auf als würde er breit lächeln. Nur zu gerne hätte Link ihm den Mundschutz heruntergezogen, um seine Lippen zu sehen. Doch da sein Freund offenbar ein Problem mit nackter Haut hatte, unterdrückte er diesen Impuls vehement. Shiek rutschte ein wenig näher an ihn heran und langte seinerseits nach Links Gesicht. Seine Finger streichelten so sanft wie eine Feder über die Haut des Recken, als er mit einem verträumten Glänzen in den Augen dessen Konturen nachfuhr. Bei der zärtlichen Berührung ging ein wohliger Schauer durch Links Körper und er fragte sich, wie sich etwas gleichzeitig so richtig und dermaßen falsch anfühlen konnte. Während sein Kopf gegen Intimitäten mit einem Mann rebellierte, jubelte seine Seele und sein Herz schien vor Glück zerspringen zu wollen. Den Blick fest auf Links Augen geheftet, beugte Shiek sich leicht vor und schob einen Finger unter seinen Mundschutz, um ihn herabzuziehen. Die Atmung des Recken beschleunigte sich und seine Zunge schien an seinem Gaumen festgeklebt zu sein. Seine Aufregung ignorierend lehnte er sich seinem Freund entgegen und nahm sein Gesicht sachte in beide Hände. Doch gerade, als Shieks Zeigefinger sich krümmte und er zum Herabziehen der Vermummung ansetzen wollte, gähnte Navi laut auf. Als hätten sie sich aneinander verbrannt, stoben die beiden Männer auseinander und sahen mit schreckgeweiteten Augen abwechselnd sich und die selig weiterschlummernde Fee an. Was hatten sie da gerade bloß getan?! Während Shiek ans Fußende des Bettes robbte, versuchte Link sein inneres Chaos zu ordnen. Wieso nur fühlte er sich von diesem Shiekah dermaßen angezogen? Er war in Zelda verliebt, da war er sich sicher! Oder womöglich doch nicht…? Glaubte er bloß, in Zelda verliebt zu sein, weil sie die Prinzessin gewesen war? Hatte er sich Gefühle für dieses Mädchen eingebildet, obwohl er in Wirklichkeit nur davon geträumt hatte, später König zu werden? Die Gedanken überschlugen sich in seinem Kopf und alles, das er früher als sicher und unumstößlich betrachtet hatte, geriet nun ins Schwanken. An was konnte er noch glauben, auf was bauen, wenn er sich selbst nicht mehr vertrauen konnte? Es war Shiek, der zuerst seine Stimme wiederfand und sein Gegenüber aus dem Irrgarten seiner eigenen Gedanken lockte. Sich vernehmlich räuspernd sagte der Shiekah: „Ich habe übrigens von einer Gerudo gehört, dass du in der Gespensterwüste das Auge der Wahrheit brauchen wirst.“ Link war beeindruckt von dem fast ungezwungen klingenden Ton, den der andere Mann anschlug. Nur die verkrampft in die Decke gekrallten Finger des Shiekah verrieten, dass er innerlich genauso angespannt war wie der Herr der Zeiten. Dankbar stieg der Recke in die Plauderei ein: „Wie praktisch, dass ich es dabei habe.“ Er warf seinem Gegenüber ein schüchternes Lächeln zu, ohne ihn direkt anzusehen. Dann fuhr er fort: „Was wirst du machen, wenn Navi und ich uns auf die Suche nach dem sechsten Weisen begeben?“ „Ich werde zusammen mit Dinah in der Bibliothek nach einer Schriftrolle suchen. Es heißt, die Gerudo besäßen eine Kopie des Requiems der Geister – das letzte, noch fehlende Teleportierlied. Danach werde ich dir zum Tempel folgen, um dich das Requiem zu lehren.“ Link zog die Beine an, legte die Arme um die Unterschenkel und stützte das Kinn auf die Knie. „Es gibt da etwas, das ich dich schon längere Zeit fragen wollte.“ Shiek hob eine Augenbraue und sah seinen Freund dermaßen skeptisch an, dass dieser grinsen musste. „Keine Bange, es ist nichts Schlimmes. Ich habe mich nur gefragt, warum du nie teleportiert wurdest, wenn du mir eines der Lieder vorgespielt hast.“ Die Stirn des Shiekahs glättete sich wieder und er erklärte: „Nur die Okarina der Zeit hat die Macht, die Wirkung der Lieder zu entfalten.“ Der Herr der Zeiten nickte und machte den Eindruck, noch etwas fragen zu wollen, aber in diesem Moment klopfte es an der Tür und Miccahia steckte ihren Kopf durch die Tür: „Hey, Jungs, das Essen ist fertig. Wollt ihr mich zum Speisesaal begleiten?“ Die beiden Männer wechselten einen fragenden Blick, nickten sich gegenseitig zu und standen – von Links lautem Magenknurren begleitet – auf, um der Gerudo zu folgen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)