Ocarina of Time von Labrynna ================================================================================ Kapitel 46: Einer von ihnen --------------------------- Allmählich verlor Navi die Geduld. Sie war sich sicher, bereits sämtliche Räume und Gänge nach Link abgesucht zu haben, aber weder er noch die geheimnisvolle, wie Shiek aussehende Person von zuvor waren zu finden. Irgendwo musste es einen weiteren Bereich der Festung geben, in dem sich die Beiden aufhielten. So hatte die Fee zum Beispiel keine Ahnung, wo sich die Privatgemächer der Gerudo befanden. „Was sollten Link und Shiek in den Schlafräumen suchen?“ Navi schüttelte über sich selbst den Kopf. Sie sollte weniger Zeit damit verschwenden, sich mögliche Erklärungen zurechtzulegen. Stattdessen sollte sie sich lieber darauf konzentrieren, die offenbar gut versteckten Zugänge zu finden. Geradezu verzweifelt ließ die Fee ihre winzigen Hände unter einen Wandteppich gleiten. Vielleicht verbarg sich darunter eine Tür oder ein Schalter zu einem Geheimgang. Bei ihrem Rundflug hatte Navi bereits mehrere Fallen bemerkt, so dass es sie nicht gewundert hätte, wenn die Festung über so etwas wie zwischen den Wänden versteckte Flure verfügt hätte. Schaudernd dachte die geflügelte Frau an die Waffenkammer, die sie auf ihrer Suche nach Link entdeckt hatte. Der große, gewölbeartige Raum war mit genügend Piken, Säbeln, Schwertern und Dolchen für eine ganze Armee gefüllt gewesen. Das Blitzen der durchs Dachfenster auf das polierte Metall fallenden Sonnenstrahlen hatte Navi so sehr geblendet, dass sie das Gesicht hatte abwenden und hinter einem Arm verbergen müssen. Was sie jedoch viel mehr erschreckt hatte als die beeindruckende Masse an Waffen, war das kleine Katapult am hinteren Ende der Kammer gewesen. Wer nicht genau wusste, wo er hintreten musste, und sich vom reflektierten Sonnenlicht blind gemacht in den Raum wagte, musste zwangsläufig über ein knapp über dem Boden gespanntes Seil stolpern. Dies hätte niemanden zu Fall gebracht, doch dadurch wäre ein Mechanismus ausgelöst worden, durch den dem Angreifer von einer der Tür gegenüberstehenden Maschine gleich ein ganzer Schwarm Messer entgegengeschleudert worden wäre. Bei der Erinnerung daran, wie knapp sie dieser perfiden Vorrichtung entgangen war, ging ein Schauer durch Navis Körper und sie dankte den Göttinnen stumm für ihre Flügel. Hätte sie nicht fliegen können, wäre sie den Gerudo vermutlich in die Falle gegangen. Plötzlich durchzuckte ein schauerlicher Gedanke die Fee und Panik drückte ihr mit stählernen Fingern die Kehle zu. Was, wenn Link Opfer einer Falle geworden war und nun blutend und sterbend in irgendeiner dunklen Ecke lag?! Sie hätten sich niemals trennen dürfen! Mit Tränen in den Augen und dem stechenden Brennen eines schlechten Gewissens hockte Navi sich auf den Boden. Obwohl sie sich immer wieder zur Ruhe rief, zitterte sie wie Espenlaub und die Schluchzer, die sich unaufhaltsam ihren Hals hinaufdrückten, klangen wie nur halbherzig unterdrückter Schluckauf. „Was ist denn bloß los mit mir?!“ Unwirsch wischte sich die Feenfrau die Wangen trocken und biss sich fest auf die Unterlippe, in der Hoffnung, der Schmerz würde sie ein wenig zur Besinnung bringen. Sie war doch sonst nicht so! Sie ließ sich nicht so einfach aus der Fassung bringen und vor allem verzweifelte sie nicht. Niemals! Doch von ihrem krampfenden Herzen aus breitete sich eine furchtbare Eiseskälte aus, die sie kaum noch klar denken ließ. Navi hatte keine Ahnung, woher sie diese Gewissheit nahm, aber sie war sich auf einmal vollkommen sicher, dass ihrem Schützling etwas zugestoßen war. Noch immer tränenblind zwang sie sich zurück in die Lüfte und flog weiter. Sie musste Link finden! Vielleicht war es noch nicht zu spät. Da logische Überlegungen sie bislang nicht vorangebracht hatten, verließ die Fee sich bei dieser erneuten Suche allein auf ihre Instinkte. „Uuuh…“ Grelle Blitze zuckten hinter Links Lidern und sein Kopf fühlte sich wie in einen Schraubstock gespannt an. Stöhnend wälzte der Herr der Zeiten sich auf seinem aus einer spärlichen Schicht Stroh bestehenden Lager herum und schlug zaghaft die Augen auf. „Ah!“ Kaum, dass er geblinzelt hatte, verbarg er das Gesicht schnell hinter einem Oberarm. Das helle Sonnenlicht ließ einen heißen Stich durch sein Hirn fahren und verstärkte das wilde Hämmern in seinem Schädel. Wie in Zeitlupe setzte der junge Mann sich auf und zwang sich, die Augen offen zu halten, obwohl er das Gefühl hatte, sein Kopf müsste explodieren. Nur langsam flachte das schmerzhafte Pulsieren hinter seiner Stirn ab und der Raum hörte auf, unkontrolliert zu schwanken. Noch immer von heftigem Schwindel geplagt, sah Link sich in der Kammer um. Die ungefähr zwei Stockwerke hohen Wände bestanden aus rauen, kaum behauenen Steine, deren Zwischenräume mit Lehm verspachtelt waren. In einer Ecke stand ein bestialisch nach Urin stinkender Eimer, doch ansonsten war das Zimmer leer. Was den Recken jedoch am meisten verblüffte, war die Tatsache, dass die kleine Kammer keine Tür hatte. Die einzige Öffnung war ein knapp unter der Decke befindliches Fenster, durch das er den dunkelblauen, wolkenlosen Himmel sowie ein paar Felsausläufer sehen konnte. Sein noch immer schmerzender Kopf arbeitete so langsam, dass er erst mit einigen Minuten Verspätung begriff, dass er sich in einer Gefängniszelle befand. Als hätte jemand einen vor seinen Erinnerungen befindlichen Theatervorhang fallen lassen, prasselten plötzlich die Bilder der Gerudo-Kriegerin und ihres kurzen Kampfes auf Links Geist ein. Er hatte verloren! Mit einem Mal war der junge Mann hellwach und er sprang wie von der Tarantel gestochen auf die Füße. Sofort schwankte der Boden erneut heftig und Link musste sich an der Wand abstützen, bis der Schwindel sich gelegt hatte. Dann trat er unter das glaslose Fenster und legte den Kopf in den Nacken, um heraufzusehen. Da sein Verließ keine Tür hatte, war dies seine einzige Fluchtmöglichkeit. Wie er mit Freuden feststellte, war es groß genug, um sich hindurchzuzwängen, und verfügte über eine Holzverkleidung. Offenbar verließen sich die Gerudo vollkommen darauf, dass die Öffnung zu hoch war, um von einem Inhaftierten erreicht zu werden. Der rechte Mundwinkel des Herrn der Zeiten verzog sich zu einem überlegenen Lächeln, als er daran dachte, wie einfach der Ausbruch für ihn werden würde. Alles, was er tun musste, war den Enterhaken hervorzuholen und sich auf den Fenstersims zu ziehen. Doch als er seine Hand an die vertraute Stelle an seinem Gürtel legte, durchfuhr ihn ein heftiger Schock: der Wunderbeutel war weg! Panisch tastete Link seinen Gürtel ab und durchsuchte mit immer fahriger werdenden Bewegungen die Zelle. Als ihm klar wurde, dass die Gerudo ihm das Ledersäckchen abgenommen haben mussten, wurde ihm das Atmen schwer und er sank kraftlos auf dem Boden zusammen. Er hatte das Master-Schwert verloren! Unterdessen hatte Navi sich auf ihrem Weg durch die Festung wieder ein wenig beruhigt und sie wischte im Flug die letzten Tränen ab. Sie hasste es, wenn sie weinen musste. Damals, lange vor ihrem gemeinsamen Aufbruch mit Link, war sie oft von ein paar anderen Feenkindern gehänselt worden, weil sie so nah am Wasser gebaut hatte. Die Häme ihrer Altersgenossen hatte Navi zynisch und zumindest nach außen hin hart werden lassen, sodass sie sich inzwischen von ihren eigenen Emotionen beschämt fühlte – vor allem, wenn sie überdeutlich zeigten, dass die junge Fee nicht so stark und abgeklärt war wie sie gerne tat. Während sich die spärlich beleuchteten Gänge bis zur Unendlichkeit in die Länge zu ziehen schienen, dachte Navi mit einem schiefen Lächeln daran wie ironisch das Leben manchmal war. Niemals hätte sie sich träumen lassen, dass sie den Erlebnissen ihrer Kindheit je etwas Positives würde abgewinnen können, doch nun kam es ihr zugute, dass sie schon früh gelernt hatte, ihre Gefühle weitestgehend zu kontrollieren. Obwohl ihr Herz sich vor Sorge um Link noch immer anfühlte wie ein zersplitterter, scharfkantiger Eisklumpen, konnte sie sich glücklicher Weise genügend zusammenreißen, um ihren aufgewühlten Geist auf die Suche zu fokussieren. Andernfalls hätte sie in ihrer Aufregung womöglich die leise wispernde Stimme, die sich plötzlich in ihrer Seele zu Wort gemeldet hatte, überhört. Navi konnte sich nicht erklären, wie es funktionierte, aber sie war sich sicher, das Band der Vertrautheit zwischen ihnen würde sie direkt zu Link führen. Ihr war fast als hätte sie blind auf seinen Aufenthaltsort deuten können, hätte man ihr eine Karte der Festung vorgelegt. Mit jedem Meter, den sie zurücklegte, wurde ihr wieder wärmer ums Herz, was sie als deutliches Anzeichen dafür deutete, dass sie ihrem Schützling immer näher kam. „Halte durch, Link! Ich bin bald bei dir!“ Sich unablässig gut zuredend eilte die Fee durch die labyrinthartigen Gänge. Dass sie inzwischen die Orientierung verloren und keinerlei Gespür mehr für ihre eigene Position hatte, störte sie dabei kein bisschen. Selbst die unermüdlich patrouillierenden Gerudo nahm sie kaum wahr. Alles, was für sie zählte, war, ihren Freund zu finden. Doch als sie am anderen Ende des Flurs eine vertraut wirkende Gestalt in blauen Pluderhosen und Brustpanzer entdeckte, blieb sie wie angewurzelt in der Luft stehen. Die Person bog hastig um die Ecke und bewegte sich mit einer katzengleichen Eleganz, die Navi bislang nur einmal gesehen hatte. Nun hatte sie keinerlei Zweifel mehr: Es war tatsächlich Shiek, der sich durch die Gerudo-Festung schlich. Aber was konnte er hier bloß wollen?! Obwohl sie sich bewusst war, dass sie eigentlich so schnell wie möglich zu ihrem Schützling eilen sollte, nahm die neugierige Fee sofort die Verfolgung des Shiekah auf. Die Versuchung, ihn womöglich auf frischer Tat ertappen und Link endlich von der Unaufrichtigkeit des ungeliebten Geheimniskrämers überzeugen zu können, war einfach zu groß. Kalter Schweiß klebte dem Gefangenen seine Tunika an den Leib und er fühlte sich als hätte jemand ein massives Eisenband um seine Brust gespannt. Bei jedem Luftholen schoss ein stechender Schmerz in seine Lunge und der Recke atmete noch flacher als zuvor. Er hatte das Master-Schwert verloren! Wie hatte das bloß passieren können?! Wie hatte er so unvorsichtig sein können? Er wusste doch, wie immanent wichtig diese heilige Klinge war! Jetzt, wo Ganondorf im Besitz des Triforce-Fragments der Kraft und zum Großmeister des Bösen geworden war, konnte nur noch das Master-Schwert ihm etwas anhaben. Und Link hatte es den Gerudo direkt in die Hände gespielt! Am liebsten hätte der verzweifelte Mann sich die Haare büschelweise ausgerissen. Doch als er seine Finger fest in seinen Schopf krallte und zog, ebbte der Panikanfall, der ihn in eisernem Griff hatte, allmählich ab. Offenbar half der physische Schmerz Link dabei, sich zu konzentrieren. Das Eisenband um seine Brust lockerte sich zunehmend und der Herr der Zeiten sog gierig Luft in seine unterversorgte Lunge. Dann stemmte er sich auf die Füße und sah sich zum wiederholten Mal in seiner Zelle um. „Reiß dich zusammen, Link“, ermahnte er sich selbst stumm. Dass seine innere Stimme wie Navi klang, amüsierte ihn trotz der Situation, in der er sich befand, königlich. Er war sich sicher, hätte er seiner Fee davon erzählt, sie hätte furchtbar genervt getan und ihn angeraunzt, dass sie so schlimm gar nicht sei. In Wirklichkeit hätte sie sich jedoch ungemein geschmeichelt gefühlt. „Das Wichtigste ist jetzt, dass du einen Weg aus diesem Loch findest. Dann kannst du dich auf die Suche nach deinem Schwert machen und diesen peinlichen Fauxpas wieder ausbügeln.“ Mit einem schwachen Anflug eines schlechten Gewissens dachte Link daran, dass er im Wassertempel bereits die Okarina der Zeit verloren und wiedergefunden hatte. Eigentlich hatte er sich mit dieser Erinnerung vor Augen führen wollen, dass der Verlust des Master-Schwerts vielleicht nicht endgültig war. Doch stattdessen bekam er das Gefühl, dass er zu nachlässig und nicht verantwortungsbewusst genug war. Dass er die Okarina verloren hatte, hätte ihn dafür sensibilisieren müssen, wie wichtig es war, auf seine wertvollen Relikte zu achten. Aber anstatt doppelt so vorsichtig zu sein, hatte er auch noch das Master-Schwert verloren und sich gefangen nehmen lassen. Vielleicht hatte Mido Recht gehabt und Link war ein Versager… Als ihn dieser Gedanke durchzuckte, war es wie ein Blitzschlag. Ihm war als hätte sich der Boden unter ihm aufgetan und er schien vollkommen haltlos in die Tiefe zu stürzen, während sich sein gesamtes Inneres um seine ätzenden Schuldgefühle krümmte. Er war der Aufgabe des Herrn der Zeiten nicht gewachsen! Warum bloß hatte ausgerechnet ihm eine solche Bürde aufgelastet werden müssen?! Er war ein Versager! Ein Nichts! Doch anstatt sich von seinem plötzlich aufwallenden Selbsthass übermannen zu lassen, klammerte sich sein Bewusstsein an die kleinen Funken Stolz und Kampfeswille, die in der tiefen Schwärze der Gewissensbisse glommen. Er war der Herr der Zeiten! Das mochte ihm vielleicht nicht gefallen, aber es war nicht zu ändern. Also hatte er Verantwortung zu übernehmen. Ganz Hyrule schaute hoffnungsvoll zu ihm auf. „So lange ich mich selbst als Nichtskönner sehe, werde ich nie etwas anderes sein. Ich darf nicht zulassen, dass meine Kindheitserinnerungen mich belasten.“ Gedankenversunken fuhr er mit den Fingerspitzen über sein bartstoppeliges Kinn und griff nach den Kreolen in seinen Ohrläppchen. Während er die Zeichen seines Erwachsenenstatus betastete, fingen die beiden Funken Feuer und ein heißes Feuer loderte in seiner Brust auf. Zeitgleich straffte Link unbewusst die Schultern und drückte den Rücken durch, bis er stolz und erhaben dastand als hätte er niemals den Hauch eines Selbstzweifels gehabt. In diesem Moment erst war ihm klar geworden, dass Navi sich damals, bei ihrer Rückkehr aus dem Heiligen Reich, geirrt hatte. Er war nicht mehr derselbe wie früher. Der Junge, der er einst gewesen war, war in dem Augenblick gestorben, in dem er das Master-Schwert aus dem Zeitfels gezogen hatte. Sieben Jahre später war er als Fremder wiedergeboren worden. Ein Fremder ohne jede Bindung an sein früheres Leben. Er war kein einfacher Mensch mehr, sondern vielmehr ein Sinnbild. Er war der Herr der Zeiten, ein Held, die Hoffnung Hyrules. Link wurde allmählich bewusst, dass es vollkommen irrelevant war, dass sich unter dieser Maske weiterhin ein menschliches Wesen verbarg. Sein Schicksal verlangte von ihm, dass er all diese Relikte seines früheren Ichs beiseiteschob. Ein Held verzweifelte nicht. Ein Held gab sich niemals geschlagen. Ein Held verlor nie den Mut. Der junge Mann wusste nicht, wie er dieser Rolle jemals gerecht werden sollte. Wenn er ehrlich war, wollte er seine Emotionen gar nicht aufgeben. Sie mochten ihm manchmal im Weg stehen, aber sie erinnerten ihn daran, wer er früher gewesen war und wer er im Grunde seines Herzens noch immer sein wollte. Vielleicht, so hoffte er, konnte der Junge von früher, der tief in Links Seele seinen Totenschlaf schlief, in ihm wiederauferstehen, wenn Ganondorf besiegt war. Für den Moment hielt der Recke jedoch an dem Gedanken fest, der Herr der Zeiten zu sein und funktionieren zu müssen. Obwohl er sich damit selbst seine Persönlichkeit absprach und ein Stück weit das Menschliche nahm, erfüllte es ihn mit der Stärke, die er brauchte, um weiterzumachen. Anstatt sich weiterhin für den Verlust des Master-Schwerts zu verdammen, machte er sich mit geschäftiger Miene auf sie Suche nach einem alternativen Ausweg aus seiner Zelle. Je weiter Navi Shiek folgte, desto tiefer wurde der Bruch, der durch ihr Innerstes ging. Hin und her gerissen zwischen dem Bedürfnis, Link zu helfen, und der Neugierde, was der Shiekah mit den Gerudo zu schaffen hatte, tendierte sie immer wieder mal mehr zum Umkehren und mal zum Weiterfolgen. Da sie sich nicht entscheiden konnte, fuhr sie mit dem fort, was sie getan hatte, bevor die beiden Seiten ihrer Selbst zu streiten begonnen hatten. So pirschte sie hinter Shiek her, wobei sie penibel darauf achtete, ihm nicht zu nah zu kommen und ihren Feenglanz gedimmt zu halten. Wie der Verfolgte reagieren würde, sollte er sie entdecken, vermochte Navi beim besten Willen nicht zu sagen. Bislang hatte er sich als ruhige, kultivierte Person gezeigt, doch die Fee spürte deutlich, dass irgendetwas mit ihm nicht stimmte. Er war nicht, was er vorgab zu sein. Da war Navi sich ganz sicher. Doch was verbarg sich hinter der Maske des mysteriösen Helfers? War er schlicht und ergreifend eine zurückhaltende Persönlichkeit, die ihr wahres Ich prinzipiell nicht gerne zeigte, oder war er womöglich ein Spion Ganondorfs? Immerhin schien er sich in der Festung frei bewegen zu können, auch wenn er direkte Aufeinandertreffen mit den Gerudo mied. Aber warum hätte er sich als Frau verkleiden sollen, wenn er mit Ganondorf im Bunde und von dem Diebesvolk akzeptiert war? Navi schwirrte der Kopf von all den Fragen, die durch ihren Geist wirbelten. Dass sie das Rätsel, das Shiek umgab, nicht lösen konnte, verursachte ihr regelrecht körperliche Schmerzen. Es ärgerte sie, dass sie im Schattentempel nicht daran gedacht hatte, Impa nach Shiek zu fragen. Die Fee konnte sich nicht vorstellen, dass die Beiden sich nicht gekannt hatten. Immerhin gab es kaum noch Angehörige ihres Volkes! Womöglich hatte die viele Grübelei Navi unaufmerksam gemacht oder Shiek hatte ein zu feines Gespür, das konnte die Fee nicht sagen. Jedenfalls führte er sie in eine Sackgasse, wirbelte blitzartig herum und fixierte sie mit einem so festen Blick, dass es keinen Zweifel daran gab, dass er schon vor der Kehrtwende gewusst hatte, dass sie sich hinter ihm befand. „Wieso verfolgst du mich?“ Bislang war Navi gar nicht aufgefallen, wie hell die Stimme des Shiekah wirklich klang. Wie sein androgyner Körperbau war auch sie nicht eindeutig einem Geschlecht zuzuschreiben. Aber vielleicht bildete Navi sich das auch nur ein, weil er Frauenkleider trug und sogar geschminkt war, wie sie aus der Nähe nun erkennen konnte. „Ich wollte wissen, warum du dich in der Gerudo-Festung herumtreibst“, gab die kecke Fee ehrlich zu. Dabei fixierte sie trotzig Shieks unverdecktes Auge, das sie zornig anzufunkeln schien. „Ich suche etwas.“ Der Shiekah verschränkte abwehrend die Arme, wobei ihn die Brustausbeulungen seines Panzers ein wenig zu behindern schienen. Obwohl seine gesamte Körpersprache überdeutlich machte, dass er nicht mehr verraten würde, hätte Navi gerne nachgebohrt und ihm auf den Zahn gefühlt. Doch ihr Gegenüber kam ihr zuvor: „Aber sag mal: Wo hast du deinen Begleiter gelassen?“ Einen kurzen Moment lang zweifelte Navi, ob sie dem mysteriösen Mann erzählen sollte, warum Link nicht bei ihr war. Dann zuckte sie leicht mit den Schultern und fasste zusammen, wie die Beiden in die Festung eingedrungen waren und warum sie sich aufgeteilt hatten. Shiek schien mit den Zähnen an der Unterlippe zu zupfen, als er murmelte: „Die Göttin des Sandes ist ein uralter, längst verlassener Tempel tief in der Wüste.“ „Na, besten Dank auch, dass du uns so früh schon an deinem Wissen teilhaben lässt!“ Die Stimme der Fee troff vor Sarkasmus, aber der Shiekah hörte ihr offenbar kaum noch zu. Er wirkte auf einmal als wäre er mit den Gedanken ganz weit weg. Navi stemmte die Hände in die Hüften und musterte abwartend Shieks schwarzumrandetes Auge, das unruhig hin und her zuckte als würde es eine für sie unsichtbare Szenerie verfolgen. Bis ihr Gegenüber seine Aufmerksamkeit wieder auf Navi richtete, hatte sich deutliche Besorgnis in der rotbraunen Retina breit gemacht. Die Fee wusste nicht, warum, doch bei diesem Anblick war ihr als griffe eine eiskalte, mit scharfen Krallen bewehrte Hand nach ihrer Brust. Am liebsten hätte sie sich bei Shiek erkundigt, wieso er so ängstlich dreinsah, aber ihre Zunge verweigerte ihr den Dienst und sie bekam keinen Ton heraus. Sekunden später bekam sie trotzdem eine Antwort auf die unausgesprochene Frage: „Vielleicht ist Link der Gefangene, von dem alle hier reden…“ „Was?!“ Navi fühlte sich als hätte der Shiekah sie mit einer massiven Holzlatte geschlagen. Dieser erklärte in betont ruhigem Ton: „Ich habe vorhin einige Gespräche der Gerudo belauscht. Die Frauen unterhielten sich darüber, dass eine ihrer Kriegerinnen einen Eindringling niedergeschlagen und in das Dachverließ gebracht hätte. Wenn ich gewusst hätte, dass Link hier ist, hätte ich…“ Anstatt nachzuhaken, was Shiek dann getan hätte, legte die Fee ihre Handflächen an einander und presste die Zeigefinger gegen ihre zitternden Lippen. Der Hauch eines schlechten Gewissens legte sich über die geflügelte Frau und ein Wasserschleier verzerrte ihre Sicht. Ja, sie hatte ihrem Schützling eine Niederlage gegen eine Gerudo gewünscht. Aber doch nicht so! Die Tränen wegblinzelnd, wirbelte die Fee herum und wollte sich blindlings wieder in die Suche nach Link stürzen, aber Shiek hielt sie zurück: „Warte, Navi!“ Es war das erste Mal, dass er sie beim Namen nannte, und obwohl sie diese Vertraulichkeit hasste, musste sie gestehen, dass es ihr gefiel wie er die Laute der beiden Silben formte. Naviiii. Als sie ihn über die Schulter hinweg ansah, machte er einen Schritt auf sie zu und sagte erstaunlich sanft: „Ich weiß, du willst ihn retten. Aber ich bezweifle, dass du viel ausrichten kannst.“ Sein Blick glitt vielsagend über ihren zierlichen, schwachen Körper. Doch bevor sie sich darüber echauffieren konnte, fuhr er fort: „Möglicherweise gibt es jedoch trotzdem eine Möglichkeit, wie du Link helfen kannst. Ich hab da eine Idee.“ Er winkte sie mit einem knappen Fingerzeig zu sich herunter. Einen Herzschlag lang fragte Navi sich, ob er ihr womöglich eine Falle stellte. Was, wenn er sie schnappte und ebenfalls einsperrte, sobald sie sich in seine Reichweite wagte? Dann wäre Link vollends verloren. Doch nach einem letzten Blick in Shieks noch immer besorgt und aufrichtig wirkendes Auge schwebte die Fee zu dem Shiekah herab und fragte im Flüsterton: „Wie sieht dein Plan aus?“ Je näher die Sonne ihrem Zenit kam, desto heißer und stickiger wurde es in Links winziger Zelle. Trotz der Goronen-Rüstung stand ihm der Schweiß auf der Stirn und seine sich geschwollen anfühlende Zunge klebte an seinem ausgedörrten Gaumen. Was hätte er in diesem Moment nicht alles für ein Glas gekühlter Lon-Lon-Milch gegeben?! Missmutig dreinblickend lag er mit dem Gesicht zur Decke auf dem Strohlager, starrte durch die Dachluke zum Himmel herauf und beobachtete einen kreisenden Raubvogel. Obwohl er auch dann noch Wände und Boden abgetastet hatte, nachdem er sich an den scharfkantigen Steinen die Finger aufgerissen hatte, hatte er keinen Fluchtweg finden können. Anscheinend saß er tatsächlich in der Falle und musste abwarten, was die Gerudo nun mit ihm anstellen würden. Als der Vogel sein Blickfeld verlassen hatte, ließ der Herr der Zeiten seinen Kopf herumrollen und betrachtete müde das rostrote Muster, das seine blutigen Fingerkuppen auf den Zellenwänden hinterlassen hatten. Allmählich fragte er sich, ob die Diebinnen ihn in dieses Loch gesteckt hatten, um ihn jämmerlich verdursten zu lassen. Bilder des skelettierten Offiziers, der im Kellerverließ sein Leben gelassen hatte, tauchten vor Links geistigem Auge auf und er schauderte. Er brauchte dringend etwas, mit dem er sich ablenken konnte! Kaum, dass er sich auf die Füße gehievt hatte, schien der Boden wieder zu schwanken wie ein von Wellen bewegtes Boot. Ob die Kriegerin von zuvor ihm eine Gehirnerschütterung verpasst hatte? Oder kam der Schwindel durch die allmählich einsetzende Dehydrierung? Blinzelnd versuchte er, die taumelnde Welt zum Stillstand zu bewegen und seinen getrübten Blick wieder zu klären. Er konzentrierte sich so sehr darauf, die Kontrolle über seinen Körper zurückzuerlangen, dass er die Gerudo vor dem Fenster erst bemerkte, als sie ihn ansprach: „Wie ich sehe, bist du endlich wieder wach. Dinah scheint dir ja einen ganz schönen Schlag verpasst zu haben. Du hast da eine fiese Platzwunde an der Stirn.“ Erschrocken wirbelte der Recke herum und fasste sich unwillkürlich an die angesprochene Schläfe. Bislang war ihm gar nicht aufgefallen, dass er verletzt war, doch nun spürte er das angetrocknete Blut, das sich wie ein langes, bräunlich-rotes Band über seine linke Gesichtshälfte verteilt hatte. Zornig sah er zu der Frau auf, die auf einem vor dem Verließ verlaufenden Balkon stand und die Hände auf den Fenstersims stemmte. Niemals hatte er sich schutzloser und ausgelieferter gefühlt als in diesem Moment… Um seine Unsicherheit zu überspielen, fragte er in harschem Tonfall: „Bist du nur hier, um mich zu verhöhnen?“ Für das unbeschwerte Lachen, das aus ihrem verschleierten Mund perlte, hätte er sie am liebsten geschlagen. „Nein. Man hat mir aufgetragen, dir Essen zu bringen und zu sehen, ob du womöglich ärztliche Versorgung brauchst. Aber allem Anschein nach geht es dir ausgezeichnet.“ „So gut wie es einem gehen kann, wenn man niedergeschlagen und in einem Backofen eingekerkert wurde…“ Link verschränkte trotzig die Arme vor der Brust und kniff die Augen leicht zusammen, um seine Besucherin besser erkennen zu können. Doch da sie die Sonne im Rücken hatte, blieb sie für ihn ein dreidimensionaler Schatten. Die Gerudo lachte erneut auf und warf ihm etwas zu, das sich bei genauerer Betrachtung als ein faustgroßes Stück Gebäck erwies. „Etwas Zutrinken wäre mir lieber gewesen“, murrte der durstige Mann und drehte sein karges Mahl zwischen seinen vor Dreck starrenden Fingern. „Zu doof, dass wir keine Gaststätte sind“, flötete die noch sehr jung klingende Diebin. Dann nahm sie die Hände vom Fenstersims und wandte sich zum Gehen, bevor sie mit einem amüsiert klingenden Unterton anfügte: „Guten Appetit, der Herr. Ich hoffe, es mundet.“ Irritiert zog Link die Augenbrauen zusammen und betrachtete nachdenklich das ihm zugeworfene Gebäckstück. War es womöglich vergiftet? Wollten die Gerudo ihn auf diese Weise töten? Doch als er den unförmigen Klumpen an seine Nase hob und prüfend daran schnüffelte, wurde ihm klar, dass die Diebinnen noch viel perfider waren als er gedacht hatte. Anstatt eines kleinen Brotlaibs hatten sie ihm Salzgebäck gebracht. Ausgerechnet Salzgebäck! Als wäre er wegen der unerträglichen Hitze nicht bereits durstig genug! Etwa zur selben Zeit beendete Shiek zwei Stockwerke tiefer die Ausführungen zu seinem Plan. Navi blickte ein wenig skeptisch drein und fragte zweifelnd: „Und du glaubst wirklich, dass das etwas bringt?“ Der Shiekah zuckte mit einer dermaßen fließenden Bewegung die Schultern, dass die Fee ihn für seine Eleganz beneidete. „Wenn ich ehrlich sein soll, habe ich keine Ahnung, aber mir fällt nichts Besseres ein. Dir etwa?“ Vor Überraschung blieb Navi der Mund offen stehen. Nie im Leben hätte sie gedacht, dass Shiek sie um ihre Meinung fragen würde! Bislang hatte sie eher den Eindruck gehabt, dass er in ihr lediglich Links lästiges Anhängsel sah. Dass er sie offenbar als eigenständig denkende Person betrachtete, verblüffte sie so sehr, dass sie nur stumm mit dem Kopf schütteln konnte. Daraufhin leuchtete Shieks Auge auf als würde er hinter seiner Verschleierung lächeln. Wie seine Lippen wohl aussahen? Trotz der Sorge um ihren Schützling, juckte es der Fee plötzlich in den Fingern, das blaue Mundtuch zur Seite zu schieben und einen Blick auf das unverhüllte Gesicht ihres Gegenübers zu werfen. Ob er eine niedliche, kleine Lücke zwischen den Schneidezähnen hatte? Navi fand, dass es zu ihm passen würde. Um sich nicht vollends in dem Funkeln der ungewöhnlich gefärbten Iris zu verlieren, wandte sich die geflügelte Frau schnell ab und schaute den still daliegenden Flur hinab. „Wir sollten uns auf den Weg machen, bevor uns noch jemand entdeckt.“ Navi hatte erwartet, dass Shiek nur stumm nicken und dann auf den leisen Sohlen einer Katze im Halbdunkel verschwinden würde. Doch stattdessen hielt er ihr einen Zeigefinger entgegen und sagte: „Viel Glück,… Partnerin.“ Wie vom Donner gerührt starrte die Fee auf den ihr dargebotenen Finger. Er war lang und schlank mit einem kurzgeschnittenen, saubermanikürten Nagel. Langsam wanderten ihre Mundwinkel wie von selbst nach oben und sie umfasste die Fingerkuppe mit ihren winzigen Händen. „Danke, dir auch.“ Dann machte sie sich auf den Weg, ohne eine eventuelle Entgegnung abzuwarten. Mit ohnmächtiger Wut grub Link seine schmerzenden Finger in den harten Klumpen Salzgebäck, brach kleinere Brocken ab und warf sie in Richtung des nach Urin stinkenden Eimers. Wenn die Gerudo glaubten, ihn so leicht brechen zu können, hatten sie sich geschnitten! So lange er noch klar denken konnte, würde er Widerstand leisten. Da kam ihm diese primitive Zielübung gerade recht. Er hatte bereits gute drei Viertel des Klumpens zerbröselt und versenkt, als ein Schatten auf sein Gesicht fiel. Ohne aufzusehen, fragte er ironisch: „Was wollt ihr mir dieses Mal bringen? Einen Wintermantel?“ Zu seiner großen Überraschung war ihm das unterdrückte Lachen, das er als Antwort bekam, sehr bekannt. Ungläubig rappelte er sich auf und starrte aus großen Augen zum Fenster herauf. „Shiek?! Shiek, bist du das?!“ „Wie ich höre, bist du bei bester Gesundheit, Herr der Zeiten.“ Bildete Link es sich ein oder klang sein Besuchter tatsächlich erleichtert? „Naja, ich hab mich schon mal besser gefühlt“, gestand er leise. „Eines muss man den Gerudo lassen: sie wissen wie man Gefangene gefügig macht.“ „Du klingst nicht als hätten sie bei dir besonders großen Erfolg gehabt.“ Das Lächeln in Shieks Stimme rührte Link und er verfluchte die Sonne, weil sie verhinderte, dass er seinen Freund besser erkennen konnte. Nur zu gerne hätte er den warmen Glanz in den Augen des Shiekah bewundert. Als hätte dieser seinen Wunsch erraten, sagte er: „Warte. Ich komme runter.“ Für einen augenaufschlagkurzen Moment befürchtete der Herr der Zeiten, sein Besucher könnte einfach zu ihm in die Zelle springen. Doch dann bemerkte er das Seil, das wie eine dicke Schlange die Wand herunterglitt. Nur Sekunden später stand Shiek vor Link und der Recke staunte nicht schlecht. „Wie siehst du denn aus?!“ Der Shiekah blickte an seinem eigenen Körper herab als wisse er nicht, von was sein Gegenüber sprach, und zuckte mit einer verschlagen wirkenden Geste die Schultern. „Ich musste mich tarnen.“ Wie hypnotisiert streckte Link eine Hand nach dem Schleier aus, berührte ihn jedoch nicht. Stattdessen deutete er auf Shieks Haare und murmelte ein wenig fassungslos: „Das erklärt deine Kleidung. Aber wie hast du das hinbekommen?“ „Holunderbeerensaft.“ Der verkleidete Mann zog seinen Zopf nach vorn und betrachtete versonnen die Spitzen seiner eigentlich goldfarbenen, nun rötlich schimmernden Haare. „Blond hätte ich mich sofort als falsche Gerudo enttarnt.“ Shiek warf seinen Zopf zurück über die Schulter und fixierte Link mit einem eigentümlichen Blick, der zwischen Erleichterung und Tadel zu schwanken schien. „Du kannst von Glück reden, dass ich den Saft zufällig dabei hatte. Eigentlich hatte ich nicht vorgehabt, mich in derart belebte Teile der Festung zu begeben und hatte deswegen zunächst darauf verzichtet, mein Haar einzufärben.“ Ein kleiner Schauer ging durch seinen zierlichen Körper, als er sich an den kritischen Blick einer Wache erinnerte: „Es war so schon schwierig genug, nicht aufzufallen. Ohne diese Tarnung wäre ich niemals in die Nähe deiner Zelle gekommen.“ Noch immer vollkommen perplex nickte Link und ließ seinen Blick zum vermutlich hundertsten Mal über seinen Besucher gleiten. Er sah so… so anders aus! In den weiblich geschnittenen Kleidern einer Gerudo-Kriegerin und mit den dunkel geschminkten Augen wirkte er noch anziehender auf den Herrn der Zeiten als sonst. Um sich von dem plötzlich aufwallenden Bedürfnis, Shiek in die Arme zu schließen, abzulenken, fragte Link: „Aber sag mal: Was machst du eigentlich hier?“ Der Shiekah schien erneut hinter seinem Mundschutz zu lächeln, als er entgegnete: „Ich rette dir den Hintern.“ Obwohl er noch immer so durstig war, dass seine Kehle brannte und seine Sicht an den Rändern verschwamm, fühlte Link sich durch den kleinen Scherz gleich ein bisschen besser. Als er sein Gegenüber deswegen anlächelte, riss seine trockene Unterlippe auf und ein einzelner Blutstropfen quoll aus der winzigen Wunde hervor. Bei diesem Anblick schlug Shiek sich plötzlich mit der flachen Hand vor die Stirn und rief: „Oh, entschuldige! Das hatte ich dir sofort geben wollen. Ich hab dir etwas mitgebracht.“ Flink löste er einen Leinenbeutel von seinem Rücken und holte eine große, gefüllte Flasche hervor. „Ist das Wasser?“ Link beäugte gierig die klare Flüssigkeit, die im Inneren des Behältnisses hin und her schwappte. Der Shiekah nickte und reichte ihm das schlanke Gefäß. Als der Durstige ungeduldig den Korken herausriss und begann in großen, langen Schlucken zu trinken, mahnte sein Besucher: „Langsam! Langsam! Sonst bekommst du noch eine Kolik.“ Widerwillig löste Link seine Lippen vom Flaschenhals. Er wusste, dass Shiek Recht hatte, aber es war so schwer, diesen Rat zu befolgen… Um seinen Mund anderweitig zu beschäftigen, hakte der Herr der Zeiten nach: „Weswegen bist du nun eigentlich hier? Du bist wohl kaum in die Festung eingedrungen, weil die Möglichkeit bestand, dass ich hier im Gefängnis sitzen könnte.“ Sein Gegenüber legte den Kopf schief und antwortete mit warmer Stimme: „Ich habe gehört, die Gerudo seien im Besitz einer Pergamentrolle, auf der ein weiteres Teleportierlied überliefert ist. Ein Gefühl sagt mir, dass du diese Schrift gut gebrauchen könntest.“ Die Fürsorge des Shiekah rührte Link und er lächelte trotz des Risses in seiner Lippe noch breiter als zuvor, bis sein Besucher eine höchst unangenehme Frage stellte: „Aber eines musst du mir verraten: Der Fensterrahmen besteht komplett aus Holz. Warum hast du dich nicht mit Hilfe deines Fanghakens selbst befreit?“ Schlagartig verloren die Wangen des beschämten Mannes alle Farbe und er starrte den Shiekah mit einem latent panisch wirkenden Ausdruck an. Seinen Fauxpas gestehen zu müssen, war ihm unwahrscheinlich peinlich und er erwog für einen kurzen Moment, zu lügen. Vielleicht sollte er einfach behaupten, die Kette des Enterhakens sei zu kurz gewesen? Doch dann schluckte er seine Scham herunter und fasste knapp zusammen wie er vollkommen ausrüstungslos in der Zelle gelandet war. Als er geendet hatte, leuchteten seine Wangen in einem dunklen Rot und er blickte stur auf seine Stiefelspitzen hinab. Die Angst für sein Versagen verachtet zu werden, war derart groß, dass er sich nicht traute sein Gegenüber anzusehen. Also wartete er mit heftig schlagendem Herzen darauf, angeschrien und getadelt zu werden. Zu Links Überraschung blieb der große Ärger jedoch aus. Stattdessen klang Shiek lediglich nachdenklich, als er murmelte: „Das verkompliziert die Sache ein wenig. Du musst deinen Lederbeutel unbedingt zurückbekommen – vor allem, weil das Master-Schwert und die Okarina der Zeit darin sind.“ „Du glaubst also nicht, dass sie meine Waffen schon längst aussortiert und auf den Weg nach Kakariko geschickt haben, um sie dort zu verkaufen?“ Link hasste wie zittrig seine Stimme klang. Der Shiekah schüttelte geistesabwesend den Kopf. „Ich denke nicht, dass sie wissen, wie man mit dieser Art von Zauber umzugehen hat. Vermutlich halten sie das Säckchen für leer und wundern sich, warum du es überhaupt bei dir getragen hast.“ „Woher weißt du eigentlich, wie Feenzauber funktioniert?“, platzte Link ohne nachzudenken heraus. Seit Navi ihm erzählt hatte, dass sie Shiek dabei beobachtet haben wollte, wie er angeblich die Okarina der Zeit stehlen wollte, hatte er sich das Hirn darüber zermartert, ob der geheimnisvolle Mann überhaupt wissen konnte wie man mit dem Wunderbeutel umzugehen hatte. Dieser blickte bei der unerwarteten Frage überrascht auf, winkte dann aber mit einer knappen Geste ab. „Ich glaube, wir haben Wichtigeres zu besprechen.“ Mit diesen Worten wühlte er erneut in seinem Leinensack herum und zog eine kleine Flasche aus dunklem Glas hervor. Als er sie dem Herrn der Zeiten reichte, runzelte jener irritiert die Stirn. „Was ist das?“ „Walnussöl.“ „Und was soll ich damit?“ „Dich einreiben.“ Noch verwirrter als zuvor gaffte Link seinen Freund mit leicht offenstehendem Mund an. Dieser seufzte theatralisch auf, wodurch sich sein Gesichtsschleier blähte wie ein kleines Segel, und erklärte: „Es färbt die Haut dunkler und verleiht ihr einen natürlich wirkenden Braunton.“ Als Beleg streckte er seinen behandelten Arm vor. Erst auf den zweiten Blick fiel auf, dass die vermeintliche Sonnenbräune gar nicht echt war. „Durch das ewige Patrouillieren unter der Wüstensonne haben alle Gerudo dunkle Haut. Mit deinem hellen Teint fällst du in dieser Gegend sofort auf.“ „Du willst, dass ich mich als Frau verkleide?!“ Verblüfft starrte Link dem kleineren Mann in das verschleierte Gesicht. Zwar sah Shiek in seiner Tarnung einer Gerudo-Kriegerin wirklich verblüffend ähnlich, doch sich selbst konnte er sich beim besten Willen nicht in diesem Weiberfummel vorstellen. Entsprechend erleichtert war er, als der Shiekah verneinte: „Das können wir vergessen. Dein Körperbau ist viel zu männlich.“ „Warum soll ich mich dann mit diesem Öl einschmieren?“ „Damit du zumindest ein bisschen besser mit der Umgebung verschmilzt.“ Wenige Minuten später hatten die beiden Männer das gesamte Wallnussöl auf Links Körper verteilt. Irgendwie war es für den jungen Recken eine sehr merkwürdige Erfahrung gewesen, die Hände des Shiekah auf seiner Haut zu spüren. Die Sanftheit, mit der die fremden Finger über die Muskeln seiner Oberarme gestrichen waren, hatte ihn erstaunt. Noch verwirrender war allerdings, dass seine Haut dort, wo Shiek ihn berührt hatte, nicht aufhören wollte, auf eine angenehme Art zu kribbeln. Am liebsten hätte er die Hand des anderen genommen und sie sich auf die unbekleidete Brust gelegt. Stattdessen zog er seine Handschuhe wieder an und fragte: „Wie sieht der Plan aus?“ „Ich bezweifle, dass du dich noch einmal unerkannt in die Festung schleichen kannst. Die Wachen sind deinetwegen noch immer in Alarmbereitschaft. Deswegen habe ich uns ein wenig Unterstützung besorgt.“ Link musste das Gesicht seines Gegenübers nicht sehen, um zu wissen, dass er bis über beide Ohren grinste. Interessiert hakte der Recke nach: „Unterstützung?“ „Lass dich überraschen. Hör lieber weiter zu. Ich habe mir das Ganze so vorgestellt: Du kletterst an dem Seil nach draußen und springst vom Balkon. Der Fall ist tief, aber nichts, was du nicht bewältigen könntest. Unten wartet die Unterstützung auf dich. Dein Auftauchen ist für sie das Zeichen, ordentlich Krawall zu schlagen. Die entstehende Verwirrung nutzt du aus, um dich erneut in die Festung zu schmuggeln. Unterdessen schleiche ich mich über den Balkon davon, mische mich unter die Gerudo und suche deine Ausrüstung. Anschließend treffen wir uns im Kellerverließ und befreien gemeinsam die Zimmerleute.“ Obwohl ihn Shieks amüsierter Unterton bezüglich der Unterstützung irritierte, nickte Link zustimmend und schnappte sich seine auf dem Boden abgestellte Wasserflasche, um sie zu leeren. Dann klopfte er seinem Freund mit einer vertraulichen Geste auf die Schulter und wandte sich dem Seil zu. Doch gerade, als er den Aufstieg beginnen wollte, hielt Shiek ihn noch einmal zurück: „Warte! Mir ist nicht wohl dabei, dich unbewaffnet gehen zu lassen.“ Mit diesen Worten hob der Verkleidete das linke Bein seiner Pluderhose an und entblößte neben einem leicht behaarten Unterschenkel eine mit Lederriemen befestigte Dolchscheide. Bevor Link protestieren konnte, dass Shiek genauso gut eine Waffe brauchte, um sich im Ernstfall verteidigen zu können, hatte jener die kurze Klinge bereits hervorgezogen und hielt sie nun mit dem Heft voran dem Herrn der Zeiten entgegen. Dieser erkannte den silbernen Dolch als diejenige Waffe, mit der der Shiekah in der Eishöhle den Schneewolf erlegt hatte. „Du wirst es nicht akzeptieren, wenn ich ihn ablehne, oder?“ Link lächelte den kleineren Mann an und hielt prophylaktisch die Hand auf. „Niemals!“ Shiek schien hinter seiner Verschleierung zurückzugrinsen, als er die dargebotene Hand ignorierte und den gut ausbalancierten Dolch unter Links Gürtel schob. Dann trat er einen Schritt zurück und forderte in schon fast herrschaftlich klingendem Ton: „Und jetzt beeil dich. Ich will endlich raus aus diesen albernen Kleidern!“ Der Recke lachte stumm in sich herein, bevor er sich wieder umwandte und an den Aufstieg machte. Navi saß stocksteif zwischen Eponas aufmerksam aufgestellten Ohren und kaute nervös auf einem Fingernagel. Ob Shieks Plan aufgehen würde? Irgendwie hatte sie ihre Zweifel daran, aber etwas Besseres wollte ihr auch nicht einfallen. Mit einem aufgeregten Grummeln im Magen schaute sie zum gefühlten hundertsten Mal zu Links Zellenfester auf. Herrje, bei den Göttinnen! Warum dauerte das alles so lange?! Die unbarmherzig brennende Sonne zog sich bereits hinter den im Westen liegenden Gebirgsausläufern zurück, als endlich eine rotgekleidete Person im Fensterrahmen auftauchte. Angesichts der flüssigen, geschmeidigen Bewegungen des Mannes schwappte eine Welle der Erleichterung durch den Körper der wartenden Fee. Offenbar hatten die Gerudo ihrem Schützling nichts Schlimmes angetan. Vor Dankbarkeit hätte Navi fast ihren Einsatz verpasst. Erst mit Verzögerung wurde ihr wieder bewusst, dass Links Auftauchen das vereinbarte Zeichen war. Schnell packte sie Eponas Ohren und zog leicht an ihren langen, fellbewachsenen Muscheln, während sie mit der Zunge schnalzte. Hoffentlich würde die Stute sich dieses Mal einfacher bewegen lassen als auf dem Weg zur Festung! Schaudernd dachte Navi an die Schwierigkeiten, die sie damit gehabt hatte, das störrische Pferd zum Aufbruch zu überreden. Anstatt brav den Befehlen der Fee zu folgen, hatte Epona lange stur an genau der Stelle verharrt, an der Link sie zurückgelassen hatte. Navi hatte mit aller Kraft an den Zügeln zerren, an ihren Ohren reißen und ihr direkt in den Gehörgang schreien müssen, bevor die Stute sich dazu bequemt hatte, ihr zu folgen. Dieses Mal jedoch schien sie genau zu wissen, was von ihr erwartet wurde. Navi hatte kaum an den löffelförmigen Lauschern des Pferdes gezogen, als Epona auch schon nach vorn preschte. Mit donnernden Hufschlägen hastete sie die schmale, steile Treppe nach oben und schnaufte dabei vor Anstrengung. Doch anstatt nach dem Aufstieg innezuhalten und Kraft zu schöpfen, galoppierte das wild geworden wirkende Tier schnurstracks auf eine Gruppe Gerudo zu. Die Frauen stoben kreischend auseinander und blickten den Kaltblüter mit einer Mischung aus Überraschung, Ratlosigkeit und Angst an. Epona stieß ein lautes Wiehern aus, bevor sie sich aufbäumte, buckelte und auskeilte. Von einem durchdringenden Krachen begleitet, gingen mehrere der herumstehenden Kisten splitternd zu Bruch und sogar das nächststehende Gebäude wurde in Mitleidenschaft gezogen. Dort, wo die Hufe der Stute gegen die Wand schlugen, platze der Putz ab und fiel bröckelnd zu Boden. Die Gerudo sahen sich eine Weile hilflos an, doch dann zückten sie ihre Piken und gingen auf das anscheinend von Raserei befallene Pferd los. Die Stute schnaubte abfällig, legte drohend die Ohren zurück und bleckte angriffslustig die Zähne, bevor sie ihre Hufe knapp am Kopf einer besonders mutigen Frau vorbeisausen ließ. Die Diebin wich erschrocken zurück und fasste ihre Waffe fester. Link, der das Spektakel vom Balkon aus beobachtete, hielt vor Anspannung die Luft an. Was, wenn eine der Wachen Epona verletzte? Am liebsten hätte er sich eingemischt, um seine Stute zu beschützen. Doch was hätte er tun sollen? Die Gerudo waren in der Überzahl und die einzige Waffe, die er hatte, war Shieks Silberdolch. Der Dolch! Womöglich hätte er Epona die Flucht ermöglichen können, wenn er die geliehene Waffe gezückt und auf eine der Frauen geschleudert hätte. Das hätte die Wachen zumindest kurzfristig abgelenkt, da war er sich sicher. Stattdessen passierte jedoch etwas Unvorhergesehenes. Link hatte die Hand bereits am Dolchheft, als vom rückwärtigen Teil der Festung plötzlich lauter Tumult zu hören war. Irritiert wandten die Gerudo den Kopf und auch der Herr der Zeiten verharrte mitten in der Bewegung, um zu sehen, was hinter dem immer näher kommenden Krachen, Schaben und Trommeln steckte. Wenige Sekunden später wurde klar, was geschehen war: Mehrere mit buntem Zaumzeug geschmückte Pferde galoppierten einen hinter der Festung entlang auf eine Anhöhe führenden Pfad herab und hielten genau auf den Vorplatz zu. Eines der Reittiere zog an einem langen Strick ein abgebrochenes Stück Holzplanke hinter sich her. Offenbar war Eponas Aufstand bis zu den Ställen der Gerudo zu hören gewesen und hatte die dort untergestellten Artgenossen so sehr in Panik versetzt, dass sie sich von ihren Pflöcken losgerissen hatten. Als die Wachen ihre davonpreschenden Pferde bemerkten, brach Chaos aus. Einige der Frauen ließen sofort ihre Piken fallen und rannten ihren Reittieren hinterher, während die Verbliebenen einen unschlüssigen Eindruck machten. Sollten sie sich um die fremde, wilde Stute kümmern oder ihre Freundinnen beim Einfangen der entlaufenen Zossen unterstützen? Diese allgemeine Verwirrung ausnutzend ließ Link sich vom Balkon fallen. Obwohl der Sturz, wie von Shiek vorausgesagt, recht tief war, landete der Recke leichtfüßig und schlich sich flink in die Festung zurück. Dieses Mal gestaltete sich der Weg in den Keller wesentlich einfacher, da die meisten Wachen vom Lärm angelockt auf den Vorplatz geströmt waren. So bestand die größte Schwierigkeit vermutlich in der Überwindung, sich noch mal in den Müllschacht zu stürzen. Einen anderen Weg ins Kerkerverließ kannte Link jedoch nicht. Also atmete er tief durch und zwängte sich zähneknirschend durch die schmale Klappe. Als er schließlich vor der Zelle der Zimmerleute ankam, johlten diese begeistert auf. Ringo umfasste zwei Eisenstangen mit seinen großen Händen und zog sich so dicht an das Gitter wie es sein stattlicher Bauch zuließ. „Du bist tatsächlich wieder da! Unglaublich!“ Die Bewunderung war der Stimme des Handwerkergesellen deutlich anzuhören. „Ich hätte nie gedacht, dass es jemals jemand schaffen würde, aus einem Gerudo-Gefängnis auszubrechen!“ „Ich hatte Hilfe von einem guten Freund“, gestand Link mit einem warmen Lächeln und dachte mit einem sonderbar leichten Gefühl im Herzen an die intime Atmosphäre, die in der Zelle zwischen ihm und Shiek geherrscht hatte. Sofort begann seine Haut dort, wo der Shiekah ihn berührt hatte, wieder zu kribbeln und der Drang, den zierlichen Mann fest in die Arme zu schließen, kehrte mit neuer Intensität zurück. Von den Reaktionen seines Körpers beschämt, wandte der Recke sich schnell der Zellentür zu. „Leider habe ich meinen Hammer nicht dabei“, murmelte er entschuldigend, „aber vielleicht kann ich das Schloss anders knacken. Mit etwas Glück ist die Klinge meines Dolchs schmal genug…“ Ob dies der Fall war, sollte Link jedoch nie erfahren. Er hatte die Hand kaum nach dem Dolchheft ausgestreckt, als einer der Zimmerleute entsetzt rief: „Pass auf! Hinter dir!“ Blitzartig wirbelte der Herr der Zeiten herum und verzog bei dem sich ihm bietenden Anblick die Lippen zu einem schiefen Grinsen, während er spöttelte: „Ich glaube, ich habe ein Déjà-Vu.“ Eine Gerudo-Kriegerin stand mit gezückten Schwertern vor ihm und machte einen angriffslustigen Eindruck. „Da muss ich dich enttäuschen, mein Lieber. Beim letzten Mal hast du gegen meine große Schwester Dinah gekämpft.“ Tatsächlich! Beim genaueren Hinsehen fiel Link auf, dass die erste Kriegerin ein wenig anders ausgesehen hatte als die Kämpferin, die sich ihm nun genähert hatte. Diese hier war noch sehr jung – fünfzehn, sechszehn Jahre vielleicht – und trug ihr dunkelrotes Haar zu einem Zopf geflochten. Zudem war ihre cremefarbene Kleidung nicht ganz so offenherzig wie die ihrer Schwester. Anstatt ihren unbekleideten Bauch zu präsentieren, hatte sie mit Hilfe von kleinen Eisenringen einen etwa bis zur Hüfte reichenden, in der Mitte geschlitzten Schleier unter ihren gepanzerten Brustkörbchen befestigt. Grübelnd zog der Herr der Zeiten die noch immer leicht nach Blut schmeckende Unterlippe zwischen die Zähne. Er hätte schwören können, dass er das Mädchen noch nie zuvor gesehen hatte. Doch irgendwoher kannte er seine Stimme, da war er sich ganz sicher! Als er nicht antwortete und sie stattdessen nur nachdenklich ansah, rümpfte die Gerudo, die seine Miene missdeutete, die Nase und patzte: „Ich mag zwar noch jung sein, aber ich werde dich trotzdem besiegen! Mach dich auf die Niederlage deines Lebens gefasst!“ „Kunststück“, lachte Link höhnisch. „Ich bin vollkommen unbewaffnet.“ Er hob die Hände über den Kopf und hoffte, dass die Kriegerin beim Anschleichen den Dolch, der in seinem Rücken unter dem Gürtel steckte, nicht bemerkt hatte. Ein zartes Kichern perlte unter dem Gesichtsschleier der Kriegerin hervor und plötzlich fiel es dem Herrn der Zeiten wie Schuppen von den Augen. Anstatt sie nach dem Grund für ihr Amüsement zu fragen, platzte er heraus: „Du bist das Mädchen, das mir das Salzgebäck gebracht hat!“ Von einem Klirren ihrer Silberohrringe begleitet, nickte die Kämpferin: „Stimmt. Ich bin Zeherasade, die jüngste Gerudo, die es je in die kleine Gruppe unserer Elitekriegerinnen geschafft hat.“ Ihre Augen blitzten bedrohlich auf, als sie ihre Krummsäbel hob. Dann fügte sie in einem irritierend verlockenden Ton hinzu: „Und ich werde dich das Fürchten lehren.“ Man sah dem Mädchen deutlich an, dass es keinerlei Zweifel an seinem Sieg hatte. Doch Link ließ eine Hand zu seinem gut verborgenen Dolch schnellen und warf die hervorragend ausbalancierte Waffe so kraftvoll, dass Zeherasade ins Taumeln geriet, als sie die tödlich scharfe Klinge mit ihren Säbeln abwehrte. Dieser kleine Moment der Unachtsamkeit, war alles, was Link brauchte. Bevor die Gerudo reagieren konnte, war der erfahrene Recke schon um sie herum gesprintet, um sie von hinten zu packen und ihr die Hände so schmerzhaft zu verdrehen, dass sie die Schwerter fallenlassen musste. „Aua, du tust mir weh!“ Wild strampelnd versuchte die junge Kriegerin sich aus Links Klammergriff zu befreien. Doch selbst als sie ihm mit voller Wucht die Hacke in den Fuß rammte, ließ der Herr der Zeiten nicht locker. Für einen Moment erwog er, sich für ihren Spott beim Überbringen des Salzgebäcks zu rächen und sie damit aufzuziehen, wie es sein könnte, dass sie jetzt um Gnade bettelte, wo sie ihn doch das Fürchten lehren wollte. Stattdessen rief er sich jedoch ins Gedächtnis, dass sie noch ein halbes Kind war und von ihm mehr Reife zu erwarten war. Ein kleiner Schock ließ Stromimpulse durch seine Adern wandern, als ihm bewusst wurde, dass er sich selbst tatsächlich als Erwachsenen sah, obwohl er sieben Jahre im Heiligen Reich geschlafen hatte und eigentlich noch auf dem Erfahrungsstand eines Zwölfjährigen war. Den Gedanken flugs beiseite schiebend, herrschte er Zeherasade an: „Du wirst jetzt diese Zelle öffnen und die Zimmerleute freilassen. Dann werde ich dich verschonen.“ „Ich kann sie nicht gehen lassen! Dinah würde ausflippen!“ Um ihr zu zeigen, wie ernst ihm die Angelegenheit war, verdrehte Link ihr den Arm noch ein wenig mehr, was sie aufschreien ließ. Er hasste sich dafür, so brutal sein zu müssen, aber er wusste nicht, wie er sonst handeln sollte. „Aua! Aua! Schon gut!“ Der Stimme des Mädchens war seine Angst deutlich anzuhören. „Ich würde dir ja helfen, aber ich kann nicht. Ich hab den Zellenschlüssel nicht.“ „Wer hat ihn dann?“ „Meine Schwester. Sie leitet alles hier, solange Naboru fort ist.“ Dankbar für die anscheinende Informationsbereitschaft lockerte Link seinen Griff ein wenig und hakte nach: „Wer ist Naboru?“ „Unsere Anführerin.“ Irritiert zog der Herr der Zeiten die Augenbrauen zusammen. „Ich dachte, Ganondorf wäre euer König.“ „Ist er ja auch.“ „Sagtest du nicht gera–“ „Ja, ja“, fiel Zeherasade ihm ins Wort, „ich weiß, was ich sagte. Die Sache ist die: …“ Bevor die junge Gerudo ihm die Herrschaftsverhältnisse ihres Volkes erklären konnte, donnerte plötzlich eine laut hallende Stimme durch den Zellentrakt: „Lass sofort meine Schwester los, du dreckiger Hund!“ Dinah stand von zwei weiteren Kriegerinnen flankiert im Eingang des Zellentraktes und durchbohrte Link mit funkensprühenden Blicken. „Wenn du ihr auch nur ein Haar krümmst, zieh ich dir bei lebendigem Leib die Haut vom Fleisch und nähe mir einen Mantel daraus!“ Unbändiger Zorn und Sorge machten Dinahs melodische Stimme schrill und disharmonisch. „Ich werde ihr nichts tun, wenn du die Zimmermanngesellen gehen lässt“, hielt der Herr der Zeiten in ruhigem Ton dagegen, obwohl er nicht daran glaubte, dass die Gerudo ihm zuhören würden. Er war vielmehr davon überzeugt, dass sie ihn zu dritt anfallen und in Stücke reißen würden. Wo blieb Shiek bloß? Wenn der Herr der Zeiten den Hauch einer Chance gegen drei vollausgebildete Kriegerinnen haben wollte, brauchte er dringend seinen Schild und das Master-Schwert! Doch entgegen Links Erwartungen gab Dinah keinen Angriffsbefehl, sondern stutzte: „Du bittest um das Leben dieser Würmer, anstatt deine eigene Freilassung zu fordern?“ „Ja.“ Link blickte herausfordernd zu der Gerudo herüber, die daraufhin in lautes Gelächter ausbrach. Nachdem sie sich ein wenig beruhigt hatte, sagte sie mit einem listigen Glitzern in den Augen: „Du hast mehr Mut als alle anderen Männer, die ich bislang getroffen habe, zusammen. Also gut, ich mache dir ein Angebot. Du darfst erneut um deine Freiheit kämpfen. Dieses Mal musst du jedoch nicht nur gegen mich antreten, sondern auch gegen Miccahia und Aveil.“ Bei diesen Worten deutete sie zunächst auf die Kämpferin zu ihrer Linken, dann auf die rechts neben ihr stehende Frau. Ein ironisches Lächeln huschte über Links Gesicht und er spottete: „Welch großzügiges Angebot! Vor allem, wenn man bedenkt, dass ich unbewaffnet bin und du bereits bewiesen hast, dass ich dir zumindest im Umgang mit den Krummsäbeln unterlegen bin.“ Dinah legte den Kopf ein wenig schief und sah ihn für ein paar Sekunden mit dem Ausdruck einer lauernden Raubkatze an. Dann schien sie hinter ihrer Verschleierung zu lächeln und antwortete in honigsüßem Ton: „Ich gebe zu, die Anforderungen sind dieses Mal weitaus höher. Aber dafür steht dir auch ein größerer Preis in Aussicht. Solltest du uns wider Erwarten bezwingen, werde ich nicht nur dich gehen lassen, sondern auch die Zimmerleute und unseren neuesten Gefangenen.“ Mit diesen Worten zerrte sie eine weitere Person, die Link bisher nicht bemerkt hatte, hinter ihrem Rücken hinweg nach vorn und dem Herrn der Zeiten stockte der Atem. Shiek! Der Shiekah sah beschämt zu Boden und schien Links Blicken bewusst auszuweichen. Die Gerudo hingegen fragte süffisant: „Gehe ich bei deinem geschockten Gesichtsausdruck recht in der Annahme, dass ihr Beide euch kennt?“ Die Zeit schien um ihn herum stehen geblieben zu sein, als Link wie betäubt nickte. „Dachte ich’s mir doch“, murmelte Dinah. „Ich hätte es auch zu merkwürdig gefunden, wenn ein Fremder sich die Mühe gemacht hätte, in deine Zelle einzusteigen, um dir zur Flucht zu verhelfen.“ „Ihr… ihr habt davon gewusst?“ Der junge Held war von dieser Eröffnung dermaßen perplex, dass er seinen Griff um Zeherasade soweit lockerte, dass sie sich befreien und leichtfüßig zu ihrer Schwester laufen konnte. Diese nahm sie in einer fürsorglichen Geste an die Hand und nickte. „Nichts, das in dieser Festung geschieht, entzieht sich unseren wachsamen Augen.“ „Das stimmt so nicht ganz.“ Es war das erste Mal seit seinem Eintreten in den Zellentrakt, dass Shiek sich bemerkbar machte. „Halt den Mund!“ Aveil hob die Hand, um ihren Gefangenen zu schlagen, doch Dinah hielt sie zurück. „Wie meinst du das?“ Anstatt zu antworten, richtete der Shiekah sich auf und fixierte Links Augen. Dann nickte er ihm flüchtig zu und warf dermaßen schnell etwas zu ihm herüber, dass seine Wachen keine Gelegenheit zum Reagieren hatten. Zur Strafe wurde er von Miccahia niedergeschlagen, aber der Herr der Zeiten war trotzdem heilfroh, dass sein Freund so viel Mut bewiesen hatte. Denn das vor seinen Füßen gelandete Etwas entpuppte sich als sein Wunderbeutel. So schnell wie möglich hob er seinen schmerzlich vermissten Ledersack auf und knurrte den Gerudo entgegen: „Also gut. Ich nehme die Herausforderung an. Wer will die Erste sein?“ Es war die komplett in Braun gekleidete Aveil, die sich ihm daraufhin entgegenstellte. Die Goldstickereien ihrer Uniform schimmerten sanft im Fackelschein und bildeten einen skurrilen Kontrast zu den bedrohlich scharfen, blitzenden Schneiden ihrer Krummsäbel. Die Kriegerin machte einen selbstsicheren Eindruck und die feste Muskulatur ihrer gestählten Oberarme vermittelte Link einen leisen Eindruck dessen, was ihn erwarten würde, sollte er sie zu nah an sich heranlassen. Um sie gar nicht erst in Schlagweite kommen zu lassen, griff der listige Recke flink in seinen Wunderbeutel und holte den Bogen hervor. Aveils Gesicht zeigte bereits deutliche Verblüffung, als er die Waffe aus dem kleinen Säckchen zerrte. Doch erst, nachdem er sie mit mehreren geschickten Pfeilschüssen wie einen Schmetterling an die nächste Wand geheftet hatte, sah sie wirklich überrascht aus. „Das ist unlauterer Wettbewerb!“, kreischte sie und versuchte verzweifelt, sich loszumachen – jedoch ohne Erfolg. „Wir haben keinerlei Regeln abgesprochen“, wandte Link sich an Dinah. „Also bin ich dazu berechtigt, mein komplettes Waffenarsenal zu nutzen, wenn ich will!“ Zähneknirschend nickte die Angesprochene ihm zu. „Du bist klug. Das habe ich unterschätzt.“ Dann wandte sie sich an ihre Kämpferinnen: „Gesteh es dir ein, Aveil. Du bist besiegt. Jetzt bist du an der Reihe, Miccahia. Sei vorsichtig. Du hast gesehen, wozu er in der Lage ist.“ Miccahia, die für sich die Farbe Gelb gewählt hatte, war das genaue Gegenteil von Aveil. Sie war nicht nur wesentlich kleiner und zierlicher, auch ihr Kampfstil unterschied sich sehr. Anstatt ihn frontal anzugreifen, tänzelte sie um Link herum und versuchte, durch Schnelligkeit zu punkten. Immer wieder probierte sie, in seinem toten Winkel zu verschwinden und ihn unbemerkt von hinten anzugreifen. Zunächst bemühte der Herr der Zeiten sich auch ihr mit Pfeilen beizukommen, aber sie war so flink, dass sie die Geschosse mit Leichtigkeit abwehrte. Während er die Gerudo im Blick zu behalten versuchte, ging Link fieberhaft seine Ausrüstung durch. Womit könnte er Miccahia gefährlich werden? Einen Moment lang erwog er, Dins Feuerinferno einzusetzen. Doch da dadurch auch Shiek, Zeherasade und die Zimmerleute verletzt worden wären, nahm er von dieser Idee schnell Abstand. Auch der Einsatz von Bomben war indiskutabel – schließlich wollte er die Gerudo nicht töten, sondern nur außer Gefecht setzen. Allerdings brachte ihn der Gedanke an Bomben auf einen vielversprechenden Ansatz. Flugs steckte er die Hand in den Wunderbeutel und holte sie zusammen mit mehreren Deku-Nüssen wieder heraus. Bevor Miccahia ausmachen konnte, was er sich gegriffen hatte, schleuderte er die Nüsse direkt vor ihre Füße. Sofort brachen grelle Lichtblitze aus den geborstenen Schalen hervor und die geblendete Gerudo riss einen Arm hoch, um ihre Augen zu schützen. Link, der gewusst hatte, was passieren würde, und vorsorglich weggesehen hatte, nutzte diese Gelegenheit, um sich seiner Kontrahentin gefahrlos zu nähern und sie mit einem gezielten Schlag auszuknocken. Dinah applaudierte abfällig und zog dann ihre Klingen hervor. „Ich gratuliere dir, mein Hübscher. Du hast es tatsächlich geschafft, meine besten Kriegerinnen auszuschalten. Aber bilde dir nicht ein, dass du auch mich besiegen kannst. Bei mir ziehen deine Taschenspielertricks nicht.“ „Dann freue ich mich auf einen ehrlichen Kampf.“ Link bewaffnete sich geschwind mit Master-Schwert und Hylia-Schild, bevor er einen Schritt auf seine Gegnerin zu machte. Diese wich ihm geschickt aus und führte ihm deutlich vor Augen, warum sie das Kommando hatte. Ihre Technik war brillant, ihre Bewegungen hatten etwas Raubkatzenhaftes und auch in puncto Kraft konnte sie es vermutlich mit den meisten Männern aufnehmen. Obwohl Link seine vertraute Waffe in der Hand hielt und Dinahs Schläge mit dem Schild abblocken konnte, hatte er arge Probleme. Egal wie sehr er sich auch bemühte, er konnte keine Schwachstelle in der Verteidigung der Kriegerin entdecken. Jeden seiner Vorstöße parierte sie mit einer Leichtigkeit, die ihm Angst machte. Was, wenn sie ausdauernder war als er? Der Kampf zog sich bereits eine gute Dreiviertelstunde, als Link bei einem Ausweichmanöver auf Shieks Dolch trat und ausrutschte. Die kurze Waffe war nach dem Wurf auf Zeherasade auf den Boden gefallen und dort unbeachtet liegen geblieben. Nun kam sie dem Herrn der Zeiten wie gerufen. Anstatt seinen Sturz abzufangen, ließ der tapfere Recke sich fallen, rollte sich über den Boden und schnappte sich mit der rechten Hand den Dolch. Dass er den Hylia-Schild dafür fallenlassen musste, kam ihm zwar nicht gerade gelegen, aber er nahm den Verlust seiner Deckung dennoch in Kauf. Dieser Kampf dauerte schon zu lange und seine Kräfte schwanden zunehmend dahin. Dieses Gefecht musste schnell beendet werden. Obwohl er mit seinem Schildarm nicht so gut werfen konnte, schleuderte er Dinah ohne zu zögern den Dolch entgegen und betete zu Farore, der Göttin des Mutes, sie möge sein Wagnis mit einem Sieg belohnen. Als wäre sein Gebet erhört worden, sauste die Waffe in kerzengerader Linie auf die Gerudo zu und schlitzte ihr das Handgelenk auf, woraufhin einer ihrer Säbel scheppernd zu Boden fiel. Sofort kam Link wieder auf die Beine, packte Dinahs unverletzte Hand und zwang ihr das zweite Krummschwert aus den Fingern, während er sie gegen die nächste Wand warf und ihr drohend die Klinge des Master-Schwerts an die Kehle hielt. Panik machte sich in den Augen der Frau breit, doch in ihrer Stimme schwang Hohn und Spott mit, als sie Link lobte: „Glückwunsch, mein Hübscher. Du bist seit vielen Jahrzehnten der erste Hylianer, der es mit den besten unserer Kriegerinnen aufnehmen kann.“ Dann verdunkelten sich die Iriden der Gerudo und sie sah ihren Bezwinger mit unverhohlener Verachtung an. „Nur zu“; forderte sie ihn auf, „töte mich. Dann wird keine meiner Soldatinnen mehr wagen, dich und deine Gefolgschaft anzurühren.“ Als hätte er sich plötzlich an ihr verbrannt, wich Link schlagartig zwei Schritte zurück und starrte sie angewidert an. „Sind das die Gesetze von euch Gerudo? Wer im Kampf unterliegt, wird getötet oder gefoltert?“ Es war die wieder zu sich gekommene Miccahia, die ihm vor die Füße spuckte und dagegenhielt: „Es sind doch eure Gesetze! Ihr Männer ward es doch, die uns gelehrt haben, wie grausam Sieger sein können!“ Verständnislos blickte der Herr der Zeiten zu ihrer auf dem Boden kauernden Gestalt herunter, bis Aveil traurig erklärte: „Es ist noch gar nicht so lange her, ein paar Jahrhunderte vielleicht, da fielen hylianische Truppen in unserem Land ein. Sie warfen uns vor, wir hätten immer wieder Karawanen überfallen und so ganze Händlergilden in die Armut gestürzt. Der Angriff kam so überraschend, dass unsere Vorfahrinnen kaum Gelegenheit hatten, zu reagieren. Natürlich haben sie verloren. Die Soldaten plünderten ihre Heime und nahmen sogar Schätze mit, die schon seit Generationen im Familienbesitz gewesen waren. Doch damit nicht genug…“ Aveils Stimme verlor sich zu einem tonlosen Flüstern und Link winkte ab. Er wollte nicht mehr hören. Er konnte sich auch so gut genug vorstellen, was die Soldaten den niedergeworfenen Frauen angetan hatten. Der generationenalte Schmerz hatte sich so tief in die Züge der anwesenden Gerudo gegraben, dass es ihm das Herz schwer machte. Betont langsam steckte er sein Schwert zurück in die Scheide und versprach: „Es war ein schreckliches Unrecht, das euren Vorfahrinnen widerfahren ist. Aber ich versichere euch: Nicht alle Männer sind so. Ich zumindest will weder eure Körper, noch eure Leben. Ich beanspruche nur den mir versprochenen Preis: Freiheit für all eure Gefangenen.“ Shiek, der seit einigen Minuten wieder bei Bewusstsein war, hatte sich aufgesetzt und nickte dem Herrn der Zeiten mit einem stolzen Glänzen in dem sichtbaren Auge zu. Dinah musterte ihr Gegenüber zweifelnd, dann griff sie in die Tasche ihrer Pluderhose und holte einen kleinen eisernen Schlüssel hervor. Aveil, die inzwischen von Miccahia aus ihrer misslichen Lage befreit worden war, nahm ihn entgegen und trat an die Zellentür heran, um die Zimmermanngesellen freizulassen. Link verstaute unterdessen seinen fallengelassenen Bogen im Wunderbeutel und schnallte sich Schild und Schwert um. Zeherasade beobachtete ihn dabei aufmerksam und fragte wie aus dem Nichts: „Sag mal, gehört dieser Teufel von Pferd da draußen eigentlich dir?“ Überrascht aufsehend hob Link den Kopf und begegnete dem halb neugierigen, halb bewundernden Blick des Mädchens. „Meinst du Epona? Ja. Ich habe sie auf der Lon-Lon-Farm bei einem Rennen gewonnen.“ „Du bist wirklich mutiger als die meisten Männer!“ Miccahias Bemerkung brachte alle Anwesenden zum Lachen und plötzlich schien sich die angespannte Atmosphäre zu lösen. Nur Dinah hielt sich das verletzte Handgelenk und schien tief in Gedanken versunken zu sein. Als Link sich gemeinsam mit den Zimmerleuten und Shiek, der noch immer ein wenig wackelig auf den Beinen war, auf den Weg machen wollte, klärte sich ihre nachdenkliche Stimmung jedoch auf: „Ich möchte, dass du das hier bekommst.“ Sie griff erneut in ihre Hosentasche und zog ein etwa Hand großes Stück Pergament hervor, um es Link zu reichen. „Was ist das?“ Verwirrt blickte dieser auf die ihm dargebotene Urkunde. „Es ist ein Gerudo-Pass“, erklärte Zeherasade fröhlich. „Er macht dich zu einem Ehrenmitglied unseres Volkes.“ Link keuchte überrascht und auch Shiek, der sich vom Herrn der Zeiten stützen ließ, riss verblüfft die Augen auf. Die Zimmerleute hingegen schienen sich nicht für den ominösen Zettel zu interessieren und machten sich lieber schnell auf den Heimweg. „Eigentlich darf nur Naboru, unsere Anführerin, eine so wichtige Entscheidung treffen. Doch ich bin mir sicher, dass sie zustimmen würde.“ Dinah zog ihren Gesichtsschleier herab und schenkte dem Mann neben ihr ein scheues Lächeln ihrer schönen, vollen Lippen. Dieser nahm den Pass ein wenig zögerlich entgegen und verstaute ihn in seinem Wunderbeutel. Ehrenmitglied der Gerudo… Er wusste nicht, was er davon halten sollte, zukünftig zum Volk seines Erzfeindes zu gehören. „Danke.“ Er erwiderte Dinahs Schmunzeln, setzte sich zusammen mit den anderen in Bewegung und hakte nach: „Zeherasade hat diese Naboru vorhin schon erwähnt. Wer genau ist sie eigentlich? Ich meine, Ganondorf ist euer König. Wie kann Naboru eure Anführerin sein?“ Die vier Gerudo zogen bei der Erwähnung ihres Regenten unisono die Nasen kraus und stießen knurrende Laute aus. „Ganondorf ist nur deshalb unser König, weil ein uraltes Gesetz es vorschreibt und die schwachköpfigen Regenten der anderen Völker sich weigern, eine Frau als unser Oberhaupt zu akzeptieren“, murrte Zeherasade. „Aber wir wollen nicht seine Untertanen sein“, bestätigte Aveil. „Wenn es hart auf hart käme, würden wir Naboru folgen.“ „Aber als du mich niedergeschlagen hast, Dinah, sagtest du, Ganondorf würde sich über meine Gefangennahme sicherlich freuen.“ Link blieb kurz vor dem Ausgang in einem breiten Strahl rötlichen Lichts stehen und sah die Angesprochene neugierig an. „Ich weiß“, gab diese zerknirscht klingend zu. „Die Sache ist kompliziert. Früher war Naboru Ganondorfs schärfste Kritikerin. Sie war inspirierend! Niemals hat sie sich von ihm etwas vorschreiben lassen. Sie hat immer ihre Meinung gesagt und sich nie verbiegen lassen. Doch dann brach sie vor sieben Jahren zum Geistertempel auf, weil sie dort eine besondere Waffe vermutete. Sie hoffte, mit Hilfe dieses Relikts Ganondorf besiegen und seine Regentschaft vollends übernehmen zu können. Aber sie kam nie zurück und die Botschaften, die wir von ihr erhalten, sind erschreckend pro-Ganondorf. Wir fürchten, dass sie den Zwillingen in die Hände gefallen ist.“ „Den Zwillingen?“ Link lehnte sich gegen die raue Wand hinter ihm und nahm den Arm von Shieks Hüfte, als dieser von ihm abrückte, um wieder ohne Stütze auf eigenen Beinen zu stehen. „Im Geistertempel leben zwei alte Hexen, Koume und Kotake. Die Beiden haben Ganondorf großgezogen und sind ihm absolut loyal. Angeblich verstehen sie sich wie niemand sonst auf die Kunst der Geistmanipulation“, erklärte Miccahia, wobei sie ein leichtes Schauern in ihrer Stimme nicht verbergen konnte. Offenbar hatte die Gerudo Angst vor den Zwillingen. „Ich hatte gehofft, dass die Zwillinge Naboru gehen lassen würden, wenn wir dich an Ganondorf ausliefern.“ Obwohl Dinah bedauernd klang, sah sie nicht aus als täte ihr dieser Gedanke wirklich leid. Draußen schnaubte ein Pferd, als Shiek sich erkundigte: „Wo liegt der Geistertempel?“ „Weit draußen, noch hinter der Gespensterwüste.“ Zeherasade deutete in Richtung Westen, während Shiek und Link einen schnellen Blick tauschten. „In der Nähe der Göttin des Sandes?“, hakte der Shiekah nach. Ein mildes Lächeln huschte über Dinahs müde wirkende Züge, als sie antwortete: „Ich wusste nicht, dass außer uns noch jemand den alten Namen des Geistertempels kennt. Die Göttin des Sandes ist der Tempel.“ Ohne darüber nachzudenken, was er dort tat, schnappte Link sich Dinahs schmale Hände und versprach: „Ich werde Naboru finden und ihr helfen, zu ihrem wahren Ich zurückzufinden.“ Als er die große, schon fast erdrückende Dankbarkeit in den Augen der Frauen sah, fügte er mit einem verschmitzten Grinsen an: „Schließlich ist das meine Pflicht als guter Gerudo, oder nicht?“ Dinah drückte sachte seine Finger und flüsterte: „Danke.“ Anschließend fuhr sie in normalem Ton fort: „In die Wüste gelangst du durchs westliche Tor. Sprich mit der Turmwächterin, sie kann dir Tipps zur Durchquerung geben.“ Link nickte knapp und wandte sich dann zum Gehen, ohne sich noch einmal umzusehen oder sich zu vergewissern, ob Shiek ihm folgte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)