Ocarina of Time von Labrynna ================================================================================ Kapitel 42: Im Schattentempel ----------------------------- Es kribbelte überall in Links Muskeln, nachdem er in die Zitadelle der Zeit zurückgekehrt war und das Master-Schwert erneut aus seinem Podest gezogen hatte. Langsam schlug der junge Held die Augen auf und blinzelte in die nur schummerig beleuchtete Halle. Ein Blick an seinem schlanken Körper herab bewies, dass die Zeitreise gelungen und er wieder zum Mann gealtert war. Mit einem müden Lächeln warf er einen Seitenblick auf Navi, die wie so oft auf seiner Schulter hockte, und murmelte: „Weißt du, was ich befremdlich finde? Obwohl mir die Zeit als Heranwachsender fehlt und ich deswegen den Großteil meines aktiv gelebten Seins als Kind verbracht habe, fühle ich mich in diesem Körper bedeutend wohler. Als wäre ich irgendwie mehr ich selbst. Kannst du mir folgen? Ergibt mein Gerede überhaupt irgendeinen Sinn?“ Entgegen seiner Erwartungen zog seine Fee diese Bemerkung nicht ins Lächerliche, sondern legte nachdenklich den Kopf schief und mutmaßte nach einer Weile: „Vielleicht hängt es damit zusammen, dass du in diesem Zustand ‚fertig‘ bist und nicht mehr so sehr das Gefühl hast, in deine Heldenrolle hineinwachsen zu müssen.“ „Ja, vielleicht…“ Von Navis philosophischen Gedanken beeindruckt verließ Link die Zitadelle und stahl sich von einem Schatten zum nächsten huschend ungesehen an den Zombies in den Ruinen von Hyrule-Stadt vorbei. Zu seiner großen Überraschung stand Epona noch immer vor dem verwitterten Stadttor und graste friedlich am Wegesrand. Erst mit deutlicher Verzögerung fiel dem jungen Helden wieder ein, dass während seines Aufenthalts in der Vergangenheit in dieser Gegenwart keine Zeit vergangen war. Für seine treue Stute war er nur wenige Minuten fort gewesen. Während er sich in den Sattel schwang, fragte Link sich, ob ihm dieses Mehr an Lebenszeit wohl am Ende abgezogen werden würde. Epona die Sporen gebend verwarf er diesen Gedanken jedoch wieder und gestand sich ein, dass er bei seinem Lebenswandel vermutlich sowieso nicht an Altersschwäche sterben würde. Als Link und Navi auf dem Friedhof von Kakariko angelangten, war es bereits Mittag und die hellgelbstrahlende Sonne befand sich in ihrem Zenit. Den Kopf in den Nacken gelegt stand der junge Abenteurer vor der massiven, das Gelände begrenzenden Felswand, die zu einem Ausläufer des Todesbergs gehörte, und blickte zu dem unerreichbar hoch gelegenen Schattentempeleingang hinauf. Wegen des blendenden Sonnenlichts musste er die Augen zusammenkneifen, um den breiten, an den Kanten glattgeschliffenen Spalt erkennen zu können. „Warum sind wir überhaupt hierher geritten?“, meckerte Navi. „Shiek hatte dir doch bereits gesagt, dass wir den Tempel so nicht betreten können!“ Link zog ein unglückliches Gesicht und gab zu: „Ich hatte gehofft, er hätte sich geirrt. Bei dem Gedanken, eines dieser Teleportlieder einzusetzen, wird mir immer noch ganz anders.“ „Tja, du wirst wohl nicht mehr drum herum kommen, mein Lieber“, entgegnete Navi mit einem Lächeln, das zwischen Unschuld und Boshaftigkeit zu schwanken schien. „Ich kann dich schweren Fleischklops jedenfalls nicht hochtragen.“ Seufzend ließ der sich sichtlich unwohl fühlende Mann den Kopf hängen und griff in seinen Lederbeutel, um die Okarina der Zeit herauszuholen. Mit einem etwas ängstlichen Seitenblick auf seine Fee setzte er sich das Mundstück an die Lippen und schluckte hart, bevor er begann die Nocturne der Schatten zu spielen. Navi rückte sicherheitshalber ein gutes Stück von ihrem Begleiter ab und wartete gespannt, während das irgendwie traurig wirkende Lied sich in die laue Luft erhob. Kaum, dass die letzte Note verklungen war, begann Links Körper transparent zu werden und seine Fee hielt erschrocken den Atem an. In Windeseile löste der Held sich komplett auf und er schwebte als kleiner Schwarm unterschiedlich großer, durchscheinender Kugeln aus lilafarbenem Licht zum Tempeleingang hinauf. Navi brauchte einen kurzen Moment, um diesen Anblick zu verdauen, doch dann schoss sie den leuchtenden Bällchen hinterher. Als sie die Teleportierplattform erreichte, setzten sich die kugelförmigen Lichter gerade wieder zusammen und nur Sekunden später stand Link vor ihr. Erleichtert stellte die Fee fest, dass es ihrem Schützling gut zu gehen schien und er anscheinend keine bleibenden Schäden davongetragen hatte. Auch wenn sie es vor Link niemals zugegeben hätte, hatte sie bis zuletzt daran gezweifelt, dass nicht irgendetwas Schlimmes passieren würde. „Wie geht es dir?“, fragte sie dennoch, um absolute Gewissheit zu haben, dass ihr Schützling wohlauf war. „Gut“, lautete die etwas zögerlich klingende Antwort, die den Eindruck erweckte als wäre der junge Held sich selbst nicht ganz sicher, wie es um ihn stand. „Und wie war die Reise?“, fragte Navi mit sanfter Stimme weiter, wobei sie Link sorgenvoll musterte. „Tatsächlich habe ich nichts davon mitbekommen“, erklärte dieser, wobei er noch immer einen latent verwirrten Eindruck machte. „Es war als hätte ich nur einmal kurz geblinzelt. Eben stand ich noch auf dem Friedhof, dann wurde es für den Bruchteil einer Sekunde schwarz um mich herum und schon war ich hier.“ Navi nickte erleichtert und atmete auf. Link ging es offenbar wirklich gut und Shieks Teleportlieder zu nutzen war wider Erwarten wohl doch eine akzeptable Form der Fortbewegung. Insgeheim hatte die Fee immer befürchtet, eine unangenehme Erfahrung zu machen, falls sie mal gezwungen sein sollte mit ihrem Schützling auf diese Art zu reisen. Seine Irritation abschüttelnd deutete der Herr der Zeiten mit dem Kopf auf eine nach unten führende Treppe über die man tiefer in die Felshöhle drang, in welcher der Schattentempel gelegen war. „Komm schon, Navi! Auf geht’s!“ Ohne auf seine Fee zu warten, stieg Link die Stufen herab und verschwand in der Dunkelheit. Seine Unternehmungslust wurde jedoch jäh gebremst, als er erkannte, dass die Halle am Ende der Treppe eine Sackgasse war. Der gewölbeartige Raum war nahezu kreisrund mit einem kleinen Podest in der Mitte und einer imposanten, festverschlossenen Tür, deren Blatt mit züngelnden Flammen bemalt worden war. Während Link nach einem Weg suchte, die schwere Holztür irgendwie aufstemmten zu können, machte Navi sich auf die Suche nach einem versteckten Schalter. Langsam und gründlich tastete die Fee sämtliche Wände ab, aber ihre Aufmerksamkeit wurde immer wieder von den vielen Fackelständern abgelenkt, die rund um den Sockel in der Mitte der Halle aufgestellt worden waren. In ihren Brennkörben lagen fein säuberlich aufgeschichtet trockenes Heu, dünne Zweige und kleine Holzscheite so als warteten sie nur darauf, entzündet zu werden. Gerade, als Link sich fragte, ob das Master-Schwert es wohl aushalten würde, wenn er es in den Spalt zwischen Wand und Tür rammte und so den Durchgang freihebelte, platzte Navi in seine Gedanken: „Ich frage mich, warum sich jemand die Mühe gemacht hat, hier so viele Fackelständer aufzubauen. Ein oder zwei hätten völlig ausgereicht, um die Halle zu beleuchten.“ Überrascht wandte der Herr der Zeiten ihr den Kopf zu. Über die eisernen Feuerständer hatte er noch gar nicht nachgedacht. Zu seiner Schande musste er sogar gestehen, dass er ihnen bislang kaum Beachtung geschenkt hatte. Er war so auf die Tür und deren Öffnung fixiert gewesen, dass er den Rest des Raumes völlig ausgeblendet hatte. Doch nun, nachdem Navi seine Aufmerksamkeit auf die ungewöhnlich vielen Feuerstellen gelenkt hatte, drängte sich ihm plötzlich ein Gedanke auf. Mit einem schiefen, listig wirkenden Grinsen besah er sich noch einmal die kunstvoll gestalteten Feuerzungen auf dem Türblatt und lief dann zu dem leicht erhöhten, von den Fackelständern umgebenen Podest. Als er die in den Stein gemeißelten Flammen entdeckte, blickte Link triumphierend zu seiner Fee auf und verkündete: „Ich glaube, ich habe eine Idee, wie wir diese Tür vielleicht dazu überreden können, sich zu öffnen.“ Während Navi noch ein überraschtes, neugieriges Gesicht machte, griff der Herr der Zeiten bereits in seinen Wunderbeutel und holte Dins Feuerinferno hervor. Als die Fee verstand, was Link vorhatte, sputete sie sich, unter seinem Hemdkragen Schutz zu suchen. Nur Sekunden später aktivierte der junge Held den mächtigen Zauber und eine gewaltige Feuerwand breitete sich zu allen Seiten hin aus. Nach und nach entzündeten sich immer mehr Fackeln und die Halle wurde von dem immer lauter werdenden Knacken brennenden Holzes erfüllt. Kurz nachdem auch der Inhalt des letzten Brennkorbs Feuer gefangen hatte, ertönte ein mechanisch klingendes Rumpeln und die große Holztür öffnete sich schleifend. Mit einem stolzen Lächeln nickte Navi, die wieder unter dem Kragen hervorgekrochen kam, ihrem zu ihr nach unten blickenden Schützling zu und forderte ihn mit sanfter Stimme auf: „Was stehst du hier noch rum? Los, lass uns Impa retten!“ Ohne länger zu zögern machte Link sich auf und begab sich geschwinden Schrittes in den Tempel. Schon nach wenigen Metern wurde dem jungen Helden und seiner Begleiterin klar, woher der Schattentempel seinen Namen hatte: der dunkle Stein, aus dem das Gebäude errichtet worden war, schien alles Licht zu absorbieren, sodass der schmale Gang, durch den die beiden Abenteurer schritten, in vollkommener Finsternis dalag. Dass auch Navis schimmerndes Feenlicht bei diesen Verhältnissen nur eine dürftige Hilfe war, zeigte sich spätestens, als Link eine breite Fallgrube übersah und beherzt ins Leere trat. Sein schriller Schreckensschrei hallte von den hohen Wänden wider und schien sich zu vervielfältigen, bis eine ganze Horde entsetzter, verzerrter Stimmen durch den Tempel hallte. Navi streckte reflexartig die Arme nach ihrem Schützling aus als könnte sie ihn auffangen und rief panisch seinen Namen. Als anstatt eines lauten Schmerzensschrei nur ein unterdrücktes Stöhnen an ihre Ohren drang, atmete die Fee jedoch erleichtert auf und ließ sich am Rand der Grube nieder, wo Link sich gerade damit abmühte, seinen Körper wieder auf den Weg zu hieven. Zum Glück hatte er noch knapp die rettende Kante ergreifen können, anstatt in den vermutlich sicheren Tod zu stürzen. Keuchend ließ er sich mit dem Hintern auf den feuchtklammen, aus groben Pflastersteinen bestehenden Bodenbelang des Gangs fallen und starrte missmutig auf die Grube. „Alles in Ordnung mit dir?“ Navi ließ sich auf seinem Oberschenkel nieder und musterte ihren Schützling besorgt. „Ja, alles gut.“ Nickend versuchte Link seinen Worten mehr Gewicht zu verleihen, bevor er dann doch einräumte: „Ich hab nur verdammt weiche Knie. Das hätte böse ins Auge gehen können. Wer weiß, was mir widerfahren wäre, wäre ich tatsächlich gestürzt. Dieses Loch ist so tief, dass sich der Boden nicht einmal erahnen lässt.“ Während Navi sich schaudernd vorstellte, dass in der Tiefe womöglich scharfe Dornen oder angespitzte Spieße auf ihren Begleiter gewartet haben könnten, blickte der Herr der Zeiten sich suchend um. Da er auf Grund der schier undurchdringlich wirkenden Dunkelheit um ihn herum jedoch nicht viel von seiner Umgebung erkennen konnte, gab er seine Bemühungen schnell wieder auf und seufzte: „Ich frage mich, wie ich über diese Falle hinwegkommen soll. Ich fürchte, das Loch ist wesentlich weiter als ich springen kann.“ Navi wandte sich langsam zur Grube um und ließ die Mundwinkel hängen. Von ihrem Standpunkt aus konnte sie das andere Ende des Lochs, das in der Breite von einer Wand zur nächsten reichte, nicht erkennen – dabei hatte sie sich bislang immer eingebildet eine hervorragende Nachtsicht zu haben. Für einen kurzen Moment durchzuckte sie der Gedanke, ob ihre Erkundung des Schattentempels womöglich schon zu diesem frühen Zeitpunkt zum Scheitern verurteilt sein sollte, aber dann drückte die willensstarke Fee bestimmt den Rücken durch und wandte sich über die Schulter hinweg an ihren Schützling: „Warte hier. Ich flieg mal rüber und schau mich auf der anderen Seite um. Vielleicht finde ich ja etwas, das uns weiterhilft.“ Während Link dem immer kleiner werdenden Ball Feenlichts hinterherblickte, murmelte er verdrossen: „Natürlich bleib ich hier. Wohin sollte ich denn auch gehen?!“ Unterdessen näherte sich seine Fee dem gegenüberliegenden Ende der Fallgrube und blickte sich fragend um. Irgendwo hier musste es doch so etwas wie einen Schalter geben, der einen Steg über das Loch ausfahren würde oder so. Tastend strich Navi mit ihren kleinen Händen über die glatten, sich irgendwie weich anfühlenden Steine und fragte sich, ob Link so allein im Dunkeln wohl Angst hatte. Dieser saß noch immer am Rand der Grube, obwohl die Feuchte des Bodens allmählich durch die feinen Maschen seiner Kleidung drang, und ließ ein Bein frei in das Loch herabbaumeln. Auch wenn die stille Finsternis um ihn herum ihm ein unangenehmes Gefühl der Einsamkeit vermittelte, fürchtete er sich dennoch nicht. Zu oft hatte Mido ihn früher in eine dunkle Kammer gestoßen und dort für Stunden eingesperrt. Düsternis und Alleinsein waren zwei Dinge, die Link nur allzu gut vertraut waren. Trotzdem bemühte Navi sich um Eile und fuhr mit schnellen, flinken Fingern durch die Fugen zwischen den Steinen. Als sie nichts fand, das sich verdächtig anfühlte, runzelte sie frustriert die Stirn. Irgendwo hier musste doch ein Schalter versteckt sein! Geradezu panisch ließ die Fee ihre Handflächen über die kühlen Wände wandern und pustete sich genervt eine lange, immer wieder in die Stirn fallende Strähne aus dem Gesicht. Wieso nur konnte sie trotz all ihrer Anstrengungen nichts finden?! Gerade, als sie schon aufgeben und mit hängendem Kopf zu Link zurückkehren wollte, stach ihr endlich etwas ins Auge. Sofort nahm sie ihrem Fund genauer unter die Lupe und begann übers ganze Gesicht zu strahlen, als sie erkannte, was sie entdeckt hatte. So schnell sie konnte eilte sie zu ihrem wartenden Schützling zurück, der bei ihrer Rückkehr interessiert den Blick hob und sie abwartend ansah. „Ich hab etwas gefunden!“, verkündete die Fee stolz und grinste dabei wie ein Honigkuchenpferd. Einen prüfenden Seitenblick auf das noch immer klaffende Loch neben ihm antwortete Link missmutig: „Super… Was denn? Eine Bar für rosa Feen?“ „Ha… ha…“ Navi funkelte ihn aus zu Schlitzen verengten Augen verletzt an und motzte: „Ich kann nichts dafür, dass es in diesem Tempel so verflucht dunkel und ungemütlich ist. Lass deine schlechte Laune nicht immer an mir aus!“ Link, der nur ungern zugab, dass die Erinnerungen an Midos Gemeinheiten ihm noch immer aufs Gemüt schlagen konnten, murmelte zerknirscht: „Du hast Recht. Tut mir leid. Also… Was hast du entdeckt?“ „Eine Holzplatte. Du kannst dich mit dem Enterhaken über die Grube ziehen.“ Navis Stimme hörte man deutlich an, dass sie noch immer verstimmt war. Das enttäuschte Gesicht, das Link bei ihren Worten zog, trug auch nicht gerade dazu bei, dass sich die Stimmung der Fee wieder hob. „Das ist toll“, setzte der junge Held nach einem kurzen Moment an, „aber wie soll ich eine Platte treffen, die ich nicht einmal sehen kann?“ Navi seufzte theatralisch und stemmte sich ihre zierlichen Fäuste in die Hüften. „Hast du keinerlei Vertrauen in mich? Ich hab schon einen Plan, was dein Zielproblem angeht. Halte dich einfach schussbereit.“ Mit diesen Worten machte die Fee kehrt und flog wieder davon. Auch dieses Mal wurde ihr glänzendes Licht schon nach wenigen Metern vollständig von der Dunkelheit verschluckt, aber Link holte dennoch seinen Enterhaken hervor. Wenn Navi sagte, dass sie eine Idee hatte, glaubte er ihr. Also starrte der junge Held mit aufgeregt schlagendem Herzen in die Finsternis und wartete angespannt darauf, dass sich etwas tat. Minuten lang geschah jedoch gar nichts und er fragte sich bereits, ob seine Fee sich womöglich überschätzt hatte, als er in einiger Entfernung ein langsam aufglimmendes Schimmern entdeckte. Am anderen Ende der Grube schwebte Navi mit konzentriert zusammengekniffenen Augen vor der Holzplatte und ließ all ihre Kraft in ihr erstrahlendes Feenlicht fließen. Sie war sich sicher, dass Link das Leuchten sehen konnte, wenn sie sich nur genug anstrengte. Deswegen verringerte sie Bemühungen selbst dann nicht, als ihr schwindelig wurde und die Welt begann sich deutlich zu schnell zu drehen und zu schwanken. So fix wie möglich suchte Link sich einen festen Stand und zielte auf das leicht flackernde Licht am Horizont. Bevor er den Haltebolzen langsam zur Seite schob, schickte er ein Stoßgebet zu den Göttinnen und hoffte inständig darauf, dass Navi schnell genug sein würde, sich rechtzeitig aus der Schusslinie zu bringen. Diese kämpfte inzwischen sehr mit ihrer zunehmenden Erschöpfung und registrierte erst mit reichlich Verzögerung, dass das laut klirrende Rasseln bedeutete, dass Link den Enterhaken abgefeuert hatte. Dass sie es trotzdem noch schaffte, dem bedrohlich schnell auf sie zu rasenden, scharfkantigen Dreieck auszuweichen, war vermutlich nur Glück. Sobald sich die Spitze krachend ins Holz gebohrt hatte, legte Link sogleich den Schalter um und zog sich über den Abgrund. Als er ziemlich unsanft gegen die gegenüberliegende Grubenkante prallte, entwischte ihm ein abgehackt klingendes Stöhnen. Nachdem er sich auf den Weg hochgehievt und den Enterhaken wieder aus dem Holz befreit hatte, rieb er sich mit säuerlicher Miene das Knie und sah sich suchend nach Navi um. Diese stand etwa einen halben Meter von ihm entfernt auf dem Boden und erholte sich tief durchatmend von den Strapazen des hellen Leuchtens. Als sie Links Blick auf sich spürte, drehte sie sich langsam zu ihm um und errötete leicht, als er mit liebevoll klingender Stimme sagte: „Danke. Das war wirklich eine Spitzenidee von dir.“ Um ihre Verlegenheit zu überspielen, zuckte die Fee mit den Schultern und deutete dann den Gang herab. „Wir sollten uns beeilen.“ Nickend verstaute der Herr der Zeiten seinen Enterhaken wieder in dem ledernen Wunderbeutel und wartete darauf, dass Navi ihren Stammplatz auf seiner Schulter eingenommen hatte, bevor er sich wieder auf den Weg machte, wobei er dieses Mal konzentriert darauf achtete, wohin er trat. Die beiden Abenteurer freuten sich noch immer darüber, dass Link es dank Navis Hilfe geschafft hatte, die Falle zu überwinden, als sie schon auf das nächste Hindernis stießen. Zu ihrer großen Überraschung war der Gang scheinbar eine Sackgasse! Ungläubig sah der Herr der Zeiten zu seiner Fee und fragte irritiert: „Hast du eine Abzweigung gesehen?“ Mit dem Kopf schüttelnd betrachtete Navi die schaurige Bemalung auf der Wand vor ihr, die aus demselben schwarzen, lichtabsorbierenden Stein zu bestehen schien wie auch der Rest des düsteren Gemäuers. Irgendjemand hatte mit etwas schlampiger Pinselführung einen hämisch grinsenden, bleichen Knochenschädel auf die grob behauenen Steine gemalt, der die beiden rätselnden Abenteurer nun zu verhöhnen schien. Rund um den schaurigen Totenkopf war rostrote Farbe gesprenkelt worden, die wie getrocknete Blutspritzer anmutete. Link wandte sich angewidert von dem gruseligen Anblick ab und starrte zurück in die Finsternis. Wo hatte er etwas übersehen? Während ihr Schützling mit dem Gedanken spielte, den ganzen Weg noch einmal zurückzugehen und dabei die Wände nach einer Öffnung oder einem Schalter abzutasten, streckte Navi wie hypnotisiert eine Hand nach der bedrohlich wirkenden Malerei aus. Sie hatte die Steinmauer noch nicht ganz berührt, als sich plötzlich eine geisterhafte Stimme erhob und wisperte: „In diesem Tempel lauern die Schatten von Kakarikos größten Sünden. Bist du bereit, dich deinen schlimmsten Alpträumen zu stellen?“ Erschrocken aufschreiend flüchtete sich Navi verängstigt in die Arme ihres Begleiters, der nichts gehört zu haben schien. „Was hast du?“ Beschützend barg Link seine schlotternde Fee in seinen großen Händen und musterte sie besorgt. Für ihn war völlig unklar, was sie dermaßen erschüttert haben mochte. „Dieser… dieser Tempel ist verflucht!“, stieß Navi ein wenig atemlos hervor, wobei ihre Stimme gepresst und rau klang. Irritiert die Stirn in Falten legend blickte der junge Held zurück zu der bemalten Wand und wunderte sich: „Verflucht? Wie kommst du denn auf die Idee?“ Während er die erschreckend plastisch wirkende Malerei betrachtete, dachte Link, dass bedrohliche Flüche in letzter Zeit überhandnahmen. Reichte es nicht, dass er seine Seele womöglich größter Gefahr aussetzte, wenn er das Auge der Wahrheit benutzte?! „Als ich vorhin die Wand berühren wollte“, setzte Navi zu einer Erklärung an, „drang plötzlich eine gruselig klingende Stimme an mein Ohr und erzählte von schlimmen Sünden und grausigen Alpträumen.“ „Aber du hörst doch ständig irgendwelche Stimmen…“, gab der Herr der Zeiten zu bedenken, was seine Fee dazu veranlasste, ihn erbost anzufunkeln. „Das ist nicht dasselbe! Was ich dieses Mal gehört habe, war nicht die Seele des Tempels!“ „Was war es dann?“ Mit neu erwachtem Interesse drehte Link sich wieder um und machte einen Schritt auf die bemalte Wand zu, was Navi nervös die Hände ineinander krampfen ließ. „Ich weiß es nicht“, gab sie zu, „aber es hat mir Angst gemacht. Was auch immer es war, es klang nicht freundlich gesinnt.“ Als ein belustigtes Grinsen über Links Gesicht huschte, hätte seine noch immer verängstigte Fee ihn am liebsten geboxt. Wie konnte er es wagen, sich über ihre Angst zu amüsieren?! „Das ist nicht komisch!“, keifte sie ihn wütend an und verschränkte beleidigt die Arme vor der Brust. Anstatt sich von ihrem giftigen Blick einschüchtern zu lassen, entgegnete ihr Schützling gutgelaunt: „Doch, ein bisschen schon. Ich glaube nämlich, dass du einer Abschreckungsmaßnahme auf den Leim gegangen bist und es in Wahrheit gar nichts gibt, vor dem man sich fürchten müsste.“ Vorsichtig setzte Link seine Begleiterin, die sich inzwischen dank ihrer aufwallenden Wut ein wenig von ihrem Schrecken erholt hatte, auf dem feuchtklammen Boden ab und stellte sich vor die abscheuliche Malerei. Kaum, dass er die Hand nach der Mauer ausgestreckt hatte, hörte auch er die kratzig klingende Stimme, was ihn die Lippen zu einem selbstgefälligen Grinsen verziehen ließ. Hatte er es doch gewusst! Am liebsten hätte er sich dafür in den Hintern gebissen, dass er nicht gleich erkannt hatte, dass der aufgemalte Totenschädel Bestandteil eines auf Abschreckung beruhenden Abwehrsystems war. Während Navi die Augen fest zusammenkniff und angespannt darauf wartete, dass etwas passierte, drückte der Herr der Zeiten seinen Ellenbogen durch und legte die Hand bestimmt auf die Wand vor sich. Was er dabei zu fühlen bekam, überraschte ihn jedoch sehr. Entgegen seiner Erwartungen spürte er keine glatten, kühlen Steine und trockene, krustige Farbe unter seinen nackten Fingerkuppen, sondern… nichts! Ihm war als griffe er lediglich in die Luft! Einen Moment lang blinzelte er irritiert, dann begann er laut zu lachen, was in dem gewölbeartigen Gang unnatürlich hallte. Navi riss überrascht die Augen wieder auf und starrte ihren Begleiter groß an. „Was hast du?“, fragte sie verwundert, als sie nichts entdecken konnte, das Links akuten Anflug von Amüsement erklärt hätte. Ob der Fluch ihn bereits ereilt hatte und er in Folge dessen den Verstand verloren hatte? Sein irres Lachen schien ein überdeutliches Indiz dafür zu sein und ließ die verängstigte Fee nervös schlucken. Doch als Link sich mit einem vergnügten Leuchten in den Augen zu seiner Begleiterin umdrehte, wirkte er mental vollkommen gesund. Auch die Worte, die aus seinem Mund kamen, klangen in keiner Weise geisteskrank: „Ich habe keine Ahnung, wie das funktioniert, aber diese Wand ist nicht echt! Sie ist nur eine Illusion, die uns irreleiten soll.“ Um seine Behauptung zu untermalen, lehnte sich der junge Held auf ein Bein und griff mit einer Hand durch die Wand hindurch. Bei diesem Anblick weiteten sich Navis Augen vor Unglauben noch eine Spur mehr und sie keuchte überrascht. „Wer auch immer diesen Tempel errichtet hat, er wollte sichergehen, dass ihn möglichst niemand betritt – schon gar nicht ohne triftigen Grund.“ Trotz der vorherigen Erheiterung klang Links Stimme wieder ernst und nachdenklich. „Ich frage mich, was wir hier wohl finden“, fuhr er fort. Dann machte er eine auffordernde Handgeste in Navis Richtung und verschwand hinter der Wandillusion. Durch die vermeintliche Wand gelangte Link in eine große, viereckige Halle mit hoher Decke und vielen lichtspendenden Fackeln. Angesichts der Helligkeit im Raum atmete der junge Held erleichtert auf. Endlich musste er nicht mehr halbblind durch die Dunkelheit irren! Auf der Rückseite der Halle schoben sich das weitaufgerissene, zahnlose Maul sowie zwei krallenbewehrte Hände eines echsenartigen Steinmonsters durch die Wand, die durch einen breiten Graben vom Rest des Raumes getrennt war. „Stell dir mal vor, dieses Vieh wäre echt!“ Navi erhob sich vom Boden und flog neugierig zu der steinernen Kreatur herüber. Wer auch immer der ausführende Steinmetz gewesen sein mochte, er hatte viel Wert auf die saubere Ausarbeitung von Details gelegt. An den toten Augen des Echsenwesens sah man deutlich die Nickhaut – ein drittes, schleimhautartiges Lid – und die Haut der Kreatur war originalgetreu von vielen, kleinen Schuppen überzogen. Anstatt eines feinausgearbeiteten Gaumens befand sich jedoch eine vergitterte Tür im Rachen des Monsters. „Dort hinten geht’s weiter!“, flötete Navi vergnügt, als sie zu ihrem Begleiter zurückkehrte, der sie allerdings kaum beachtete. Stattdessen fixierte Link eine in der Mitte der Halle aufgestellte Skulptur und kaute nachdenklich auf der Unterlippe. Die Statue hatte die Form eines sein Gefieder sträubenden, großen Vogels mit langem, spitzem Schnabel. Komplettiert wurde die bedrohliche und angsteinflößende Wirkung durch ausgebreitete Schwingen und kleine, angriffslustig wirkende Augen. Den Fuß der Statue bildete ein großes, schwarz gestrichenes Rondell, aus dem gefährlich aussehende Stahlnieten hervorstanden und das anscheinend mit Hilfe eines massiven Hebels gedreht werden konnte. Rund um das seltsame Konstrukt waren hohe Pfähle aufgebaut, auf deren Spitzen erschreckend echt wirkende Totenschädel thronten. „Schön!“, kommentierte Link schließlich den Fund seiner Fee und deutete dann auf das Objekt seiner Aufmerksamkeit. „Ich frage mich, was das ist.“ „Vielleicht ist es Dekoration“, mutmaßte Navi mit einer Stimme, der man deutlich anhörte, dass sie ein bisschen beleidigt war, weil der Herr der Zeiten ihre Entdeckung so wenig würdigte. „Ich hab gehört, dass einige Könige Skulpturen in ihren Schlossparks aufstellen lassen, um diese noch beeindruckender und schöner zu machen. Warum sollte ein Tempelerbauer nicht Ähnliches im Sinn gehabt haben?“ Link warf ihr einen missbilligenden Blick zu und machte ein grunzendes Geräusch der Abfälligkeit, das klarstellte, was er von Navis Theorie hielt. Statt auf die herausgestreckte Zunge seiner Fee zu achten, trat er näher an das Gebilde heran und besah sich den Vogel aus der Nähe. Bei seinem ungebrochenen Interesse für die Statue gab Navi seufzend zu: „Die Tür, die ich entdeckt habe, ist vergittert. Vielleicht hat dieses Ding irgendetwas mit dem Öffnungsmechanismus zu tun.“ Nickend strich der junge Held über den Skulpturensockel und runzelte irritiert die Stirn. Fühlte er da nicht etwas Verdächtiges unter seinen nackten Fingerkuppen? Sich auf die Zehenspitzen stellend pustete Link aus vollen Lungen auf die Stelle, kurz bevor die Statue in ihren ausladenden Unterbau überging. Dicke Flocken gräulichen Staubs stoben auf und brachten den Herrn der Zeiten und seine Fee, die sich wieder auf seiner Schulter niedergelassen hatte, zum Niesen. Doch sobald sich die aufgewirbelte Wolke wieder gelegt und das Jucken in seiner Nase endlich nachgelassen hatte, verzogen sich Links Lippen zu einem breiten Grinsen. Rund um den Sockel zogen sich kunstvoll verschlungene Schriftzeichen und Symbole! „Kannst du das lesen?“ Aufgeregt deutete der junge Held auf seine Entdeckung und warf seiner noch immer niesenden Fee einen erwartungsvollen Blick zu. Navi bemühte sich, das widerliche Jucken ihrer Nasenflügel zu unterdrücken, und warf einen blinzelnden Blick auf die eingemeißelten Zeichen. Die scharfen, harten Kanten der Konsonanten und die weichen, ineinanderfließenden Rundungen der Vokale waren ein eindeutiger Hinweis darauf, dass es sich hierbei um die Sprache der Shiekah handelte. „Lass mich mal sehen.“ Mit wichtigtuerischer Miene umrundete die Fee den Skulpturenfuß, während ihr Schützling ungeduldig das Gewicht von einem Bein auf das andere verlagerte und die Arme vor der Brust verschränkte. Als Navi ihre Runde beendet hatte, ließ sie sich mit einem hintergründigen Lächeln auf dem Sockel der Statue nieder und genoss den Anblick von Links sich langsam verdüsternder Miene. Oh, wie sie es liebte, wenn er auf sie angewiesen war! Ihr Schützling hingegen hasste diese Momente, in denen seine Fee ihre Macht auskostete, bis er kurz vor der Explosion stand, abgrundtief. Konzentriert einatmend knurrte er schließlich, als er ihre Verzögerungstaktik gar nicht mehr aushielt: „Und? Was ist jetzt? Kannst du es lesen oder nicht?“ Ein strahlendes Lächeln erhellte Navis Gesicht und sie flötete vergnügt: „Was würdest du bloß ohne mich machen? Natürlich kann ich das lesen.“ „Sehr schön…“ Man sah dem jungen Helden deutlich an, dass er am liebsten laut aufgeschrien hätte, weil seine Fee mit geradezu sadistischer Freude seine angespannten Nerven strapazierte. „Und was steht da nun?“ Navi räusperte sich vernehmlich und rezitierte dann mit gewichtiger Stimme: „Dort steht: Willst du weiterkommen im Leben, ehre deine Fee!“ In lautes Gelächter ausbrechend hielt sie sich den Bauch, aber als sie Links versteinerte, finstere Miene bemerkte, seufzte sie auf: „Du bist dermaßen humorlos! Verstehst du überhaupt irgendwelchen Spaß?“ „Muss ich dich wirklich daran erinnern, dass Impa unsere Hilfe braucht und wir keine Zeit zu verlieren haben?“ Die Eiseskälte in Links Stimme hätte ganze Ozeane zum Gefrieren bringen können und Navi machte ein zerknirschtes Gesicht, als ihr klar wurde, dass sie kein Recht dazu hatte, die dauerhafte, geradezu pathologische Ernsthaftigkeit ihres Schützlings zu kritisieren. Seit der Deku-Baum ihn in sein Heldenschicksal eingeführt hatte, stand der junge Mann permanent unter immensem Druck und die Verantwortung, die auf seinen Schultern lastete, war ein kaum stemmbares Gewicht. Zudem hatte die dauerhafte, von Gemeinheiten und Demütigungen begleitete Rivalität mit Mido sicherlich nicht zu einer glücklichen, unbeschwerten Kindheit und der Entwicklung eines gesunden Sinns für Humor beigetragen. Kleinlaut schüttelte die schuldbewusste Fee den Kopf und nahm den Faden wieder auf: „Der Spruch lautet: ‚Zeigt der Schnabel auf den Schädel der Wahrheit, öffnet sich ein neuer Weg‘. Außerdem steht hier noch eine Warnung, dass dich die Wahl des falschen Totenkopfs in die ‚ewigen Schatten‘ stürzen würde.“ Grübelnd zog Link die Unterlippe zwischen die Zähne und betrachtete mit nachdenklicher Miene die absolut identisch aussehenden, auf den mehrere Meter hohen Pfählen thronenden Knochenschädel. Wie sollte er den Richtigen, den «Wahren» erkennen? „Vielleicht ist es hier das Gleiche wie mit der Wand“, platzte Navi nach einer Weile in Links fruchtlose Überlegungen und sah gespannt zu ihm herab. Vielleicht vergaß der Herr der Zeiten ja seinen momentanen Groll gegen sie, wenn sie es schaffte, das Rätsel für ihn zu lösen… Aufmerkend hob Link den Kopf und murmelte: „Du meinst, dass die Schädel eine Illusion sind?“ Navi nickte heftig und bestätigte: „Ja. Alle bis auf einen. Und das ist dann der, den wir suchen.“ Das Gewicht wieder aufs linke Bein verlagernd lenkte der Herr der Zeiten seinen Blick erneut auf die in einem perfekten Ring stehenden Pfähle und seufzte: „Dieses Mal kann ich leider nicht einfach die Hand ausstrecken und austesten, welcher Schädel echt ist und welcher nicht. Sie befinden sich definitiv außerhalb meiner Reichweite.“ Das Herz schlug Navi bis zum Hals, während sie überlegte, ob sie anbieten sollte, von Knochenkopf zu Knochenkopf zu fliegen und die Probe aufs Exempel zu machen. Doch allein der Gedanke, mit einem der fratzenhaft grinsenden Schädel in Berührung zu kommen, drehte ihr den Magen um und schweißte ihre Lippen fest zusammen. Link, der ihren inneren Zwiespalt zu spüren schien, bedachte seine Fee mit einem sonderbaren Blick, der zwischen Tadel und Nachsicht schwankte. Dann holte er seufzend Luft und murmelte: „Sieht so aus als wäre es an der Zeit herauszufinden, was das Auge der Wahrheit alles kann.“ Navi machte ein bekümmertes, sorgenvolles Gesicht, während sie beobachtete wie ihr Schützling mit eiskalten, heftig zitternden Fingern das mächtige Relikt aus seinem Wunderbeutel zerrte. Beim Anblick des changierenden lila Glas mit der eingravierten Pupille machte sich sofort ein nervöses Brennen im Magen des jungen Helden breit und der Schweiß brach ihm aus. Was würde aus Impa, Zelda und Hyrule werden, sollte er dem Fluch des Artefakts erliegen? Ein Stoßgebet zu den Göttinnen schickend atmete Link tief durch und hielt sich zaghaft das Auge der Wahrheit wie eine Lupe vors Gesicht. Im ersten Moment schien es als schaue er schlicht durch einfaches, lilagefärbtes Glas und er fragte sich bereits, ob das Relikt bei dem Sturz vom Hals des Gehirnfressers womöglich doch beschädigt worden war. Dann schoss jedoch plötzlich eine Art weißer Blitz durch Links Sichtfeld und sein Blick wurde ungewohnt scharf und klar. Neugierig auf diese neue, verbesserte Wahrnehmung drehte der junge Mann sich um die eigene Achse und entdeckte, dass dort, wo sich eigentlich die Wandillusion von zuvor befand, nun ein großes, quadratisches Loch klaffte. Schnell wandte er sich den hohen Pfählen zu und machte den Knochenkopf auf der Rückseite der Vogelskulptur als den «Schädel der Wahrheit» aus. Befriedigt wollte er das Artefakt in seiner Hand wieder wegpacken, aber in diesem Moment setzte der Fluch ein: Leise wispernde Stimmen sprachen direkt zu Links Herzen und lockten ihn mit vollmundigen Versprechen von Allwissenheit und der daraus resultierenden Macht. Anstatt das Auge der Wahrheit zurück in den Lederbeutel zu stecken, begann Link mit einem entrückten Lächeln durch den Raum zu laufen und jede sich ihm offenbarende Kleinigkeit in sich aufzunehmen. So entdeckte er zum Beispiel, dass der Boden rund um die Vogelskulptur von starken, aber gut versteckten Scharnieren gehalten wurde. Mit einem schaurigen, irren Lachen gluckste er: „Das ist also mit den ‚ewigen Schatten‘ gemeint. Eine Fallgrube!“ Navi beobachtete mit wachsender Sorge wie ihr Schützling von einer Ecke zur nächsten huschte, sich dabei das Auge der Wahrheit vors Gesicht hielt und wie ein Geisteskranker dämonisch grinste. Als sie den Anblick nicht mehr ertrug, flog sie zu dem jungen Helden herüber, zog mit aller Kraft an einer seiner Kreolen und brüllte ihm aus vollen Lungen ins Ohr: „Komm wieder zu dir, Link! Du bist der Herr der Zeiten, du musst dich zusammenreißen! Impa braucht dich. Ganz Hyrule braucht dich!“ Obwohl die Fee aus Leibeskräften schrie, drangen ihre Worte nur undeutlich an den bereits stark umnebelten Geist ihres Schützlings. Anstatt das Auge der Wahrheit zu senken, legte er nur den Kopf schief und sah Navi mit den leeren Augen eines Idioten an. „Bei den Göttinnen! Du machst mir Angst, du dämlicher Trottel!“ Frustriert und schier wahnsinnig vor Angst und Sorge trat Navi mit einer so überraschenden Wucht gegen das lupenförmige Relikt, dass es Link aus der Hand geschleudert wurde. Dieser schüttelte daraufhin den Kopf und blinzelte als wäre er gerade erst aus einem tiefen Schlaf erwacht. Als er schließlich den Blick wieder hob, hatten seine Augen die beängstigende Trübe verloren und Link lächelte Navi herzlich an. „Ich danke dir. Ich danke dir von Herzen!“ Seine Stimme klang so warm, dass die Fee beinah ein wenig verlegen wurde. Das hinuntergefallene Artefakt wieder aufhebend und im Wunderbeutel verstauend gestand der Herr der Zeiten: „Dieser Fluch ist wirklich beängstigend. Ich wollte die ganze Zeit aufhören und das Auge der Wahrheit wegpacken, aber ich konnte nicht. Es war als wäre ich gar nicht mehr Herr meiner selbst… Gruselig!“ Dann bog er die Mundwinkel zu einem kleinen Lächeln nach oben und versprach zwinkernd: „Aber jetzt weiß ich, mit was ich es zu tun habe. Ich glaube, beim nächsten Mal wird es besser klappen. Und im Notfall hab ich ja immer noch dich. Du wirst mich doch wieder retten, oder?“ Navi grinste und kuschelte sich in seine Halsbeuge, während sie versicherte: „Darauf kannst du Gift nehmen!“ Um nicht noch mehr wertvolle Zeit zu verschwenden, machte Link sich sogleich daran, die merkwürdige Vogelstatuenkonstruktion so zu drehen, dass der Schnabel auf den «Schädel der Wahrheit» zeigte. Obwohl das Gebilde größtenteils aus Holz bestand, musste der Herr der Zeiten sich mit seinem vollen Gewicht gegen den Hebel werfen und alles aus seiner Beinmuskulatur herausholen, um es zu bewegen. Der Schweiß lief dem jungen Helden bereits in Strömen über den Körper und er keuchte angestrengt, als endlich ein einrastendes Geräusch erklang, das von einem lauten Rattern abgelöst wurde. „Klingt so als hättest du das Rätsel gelöst.“ Navi lächelte ihren Schützling stolz an und knuffte ihm freundschaftlich gegen sein Kinn, bevor sie anfügte: „Ruh dich ein wenig aus. Ich mach einen kurzen Rundflug, um zu schauen, woher der Lärm gerade kam.“ Link nickte dankbar und ließ sich mit dem Rücken gegen die Statue gelehnt zu Boden sinken, um Luft zu schöpfen. Doch noch bevor sich seine schwere Atmung wieder normalisiert hatte, schoss Navi bereits wieder auf ihn zu und zog ein ganz und gar unglückliches Gesicht. „Wir haben ein Problem. Ein ziemlich großes sogar.“ Sofort war Link wieder auf den Beinen und stieß angespannt hervor: „Warum? Was ist passiert?“ Die Fee deutete in Richtung der riesigen Steinechse und erklärte: „Der Mechanismus hat nur dafür gesorgt, dass das Gitter vor der Tür dort drüben hochgezogen wurde.“ Einen Moment lang starrte der junge Held seine Begleiterin verständnislos an. Das klang doch super! Warum sollten sie deswegen ein Problem haben? Doch dann dämmerte ihm allmählich, auf was Navi herauswollte: Das Maul der Echse und die erwähnte Tür waren außerhalb seiner Reichweite, da der Graben davor viel zu weit war, um über ihn hinweg zu springen. Es nützte den beiden Abenteurern also überhaupt nichts, dass das Gitter verschwunden war. Links erster Impuls war es, wütend gegen die Vogelstatue zu treten und sich all seinen angestauten Frust von der Seele zu schreien. Stattdessen holte er jedoch nur tief Luft und kämpfte seine ohnmächtige Wut auf sein Schicksal mühsam nieder, bevor er seufzte: „Wäre ja auch zu schön gewesen, wenn etwas mal einfach so geklappt hätte. Also gut: Suchen wir einen anderen Weg.“ Während Navi den Schädel der Steinechse nach einem verborgenen Schalter absuchte, tastete Link die Wände ab. Irgendwo musste es doch einen Mechanismus geben, der eine Brücke ausfahren würde oder so – schließlich musste es auch den Shiekah, die diesen Tempel erbaut hatten, möglich gewesen sein, in dessen Innerstes vorzudringen. Doch vielleicht hatten die Shiekah auch schlicht Fähigkeiten, die denen der Hylianer überlegen waren. Immerhin hatte Shiek ohne Goronen-Rüstung im Feuertempel überlebt und Impa schien sich über kurze Strecken teleportieren zu können. Link war so sehr in seine Gedanken vertieft, dass er zunächst gar nicht registrierte, dass seine Hand ins Leere griff. Erst, als er mehr Druck gegen den glatten, schwarzen Stein ausüben wollte und stattdessen kopfüber nach vorne stolperte, wurde ihm klar, dass er eine weitere Illusion enttarnt hatte. Sofort machte sich Aufregung in ihm breit und er rief nach seiner Fee: „Navi! Komm her! Ich hab etwas entdeckt!“ Hinter der vermeintlichen Wand erstreckte sich ein kleiner Irrgarten voller schmaler, verwinkelter Gänge und Sackgassen. Die mit verschlungenen Lettern beschriebenen Wände waren mit einer eigenartig rostroten Farbe besprenkelt, die aussah wie getrocknetes, jahrzehntealtes Blut, und von irgendwo erklang das rhythmische Klatschen von herabtropfendem Wasser. Navi, die wie so oft auf Links Schulter saß, schmiegte sich eng an seine Halsbeuge und sah sich mit geweiteten Augen um. „Irgendetwas hier ist anders.“ Ihre Stimme war nur ein dünnes Flüstern und sie krampfte die Hände um eine Strähne von Links Nackenhaaren. „Inwiefern?“ „Spürst du nicht den Hauch des Todes?“ Am liebsten hätte der junge Held über den theatralischen Ton seiner Begleiterin gelacht, doch er fürchtete, dass sie dies schwer gekränkt hätte. Also verzog er die Lippen lediglich zu einem schiefen Grinsen und deutete mit dem Kinn auf die schnörkeligen Zeichen auf den Wänden: „Ist das wieder Shiekah-Schrift?“ „Ja. Jemand hat hier die Geschichte Kakarikos aufgeschrieben. Wie es aussieht, hat dieses friedliche Städtchen eine sehr bewegte Vergangenheit voller Fehden, Intrigen und Blutvergießen. Wenn ich es richtig verstehe, gab es zwei Shiekah-Clans, die um das Land, auf dem Kakariko errichtet wurde, rivalisierten. Allem Anschein nach wurde die unterlegene Familie nahezu vollständig ausgelöscht und die Überlebenden gezwungen, diesen Tempel und damit ihr eigenes Grab zu errichten – sie durften diese Gemäuer nämlich nie wieder verlassen.“ „Das ist… eine grauenhafte Geschichte. Bist du dir sicher, dass sie wahr ist?“ „Ich fürchte, das ist sie. Ja.“ Obwohl der junge Held schon viel Schmerzen und Tod in seinem kurzen Leben gesehen hatte, lief ihm bei dem Gedanken an das Leid der Shiekah ein eisiger Schauer über den Rücken. Wie verzweifelt mochten diese armen Menschen wohl gewesen sein? Waren sie vor Trauer um ihre Angehörigen schier wahnsinnig geworden? Oder waren sie sehenden Auges ihrem Ende entgegen gegangen? Hatten sie sich gegenseitig angefallen, als der Hunger schließlich übermächtig geworden war? Mit einem Kopfschütteln versuchte Link, die schaurigen Bilder, die sich ungefragt in seinen Geist gestohlen hatten, wieder zu vertreiben. Er durfte sich von so etwas nicht ablenken lassen. Die Geschehnisse lagen Jahrzehnte zurück, er konnte nichts mehr daran ändern – egal, wie sehr er mit den Opfern fühlte. Impa hingegen konnte er noch helfen, wenn er sich beeilte. Er musste sich also aufs Hier und Jetzt konzentrieren und so bald wie möglich einen Weg ins Innere des Tempels finden. Die Lippen grimmig aufeinander gepresst beschleunigte er seine Schritte und hastete durch die Gänge, ohne auf das protestierende Brennen seiner unterversorgten Lungen zu achten. Mehrere Male bog er falsch ab und sah sich einer Wand gegenüber, aber dank Navis exzellentem Orientierungssinn fand Link schließlich doch noch den richtigen Weg durch das kleine Labyrinth, an dessen Ende sich ein gewölbeartiger Raum befand. „Was ist das hier?“ Angewidert starrte Link auf die auf dem Boden verstreut liegenden Knochen und widerstand dem Drang, die Skelette zu zählen. „Ich glaube, hierher haben sich die eingesperrten Shiekah zurückgezogen, um zu sterben.“ Navis Züge waren voller Anteilnahme und in ihren Augen standen Tränen. Einige Herzschläge lang sagte daraufhin keiner der Beiden ein Wort. Selbst ein Flüstern wirkte an diesem schrecklichen Ort unpassend und pietätslos. Doch dann fiel Links Blick auf ein Paar sonderbar aussehender Stiefel, in denen noch immer die knöchernen Füße eines ehemaligen Shiekahs steckten. Irgendwo hatte er solches Schuhwerk schon einmal gesehen… Aber wo? Während er auf seine Entdeckung zuging, achtete er sorgsam darauf, keinen der herumliegenden Knochen zu zertreten. Wenn diese armen Menschen schon kein anständiges Grab bekommen hatten, hatten sie es zumindest verdient, dass man respektvoll mit ihren Gebeinen umging. Langsam in die Hocke gehend betrachtete der junge Held seinen Fund genauer: Es waren kniehohe Stiefel aus feinem, glatten Leder, deren Sohle aus einer Art Metall gefertigt waren und sich in Form kleiner Flügel den Stiefelschaft hochzogen. „Pegasus-Stiefel!“ Navi schnappte überrascht nach Luft und sah ihren Begleiter dann aus aufgeregt funkelnden Augen an. „Erinnerst du dich?“ Trotz ihrer Erregung dämpfte sie ihre Stimme zu einem sehr leisen Flüstern, sodass ihr Schützling sich anstrengen musste, um sie zu verstehen. „Der Deku-Baum hat mal von ihnen erzählt.“ Daher kamen sie Link so vertraut vor! Der Deku-Baum musste sie in seiner Geschichte beschrieben haben. „Der Legende nach, kann man durch die Lüfte laufen, wenn man diese Schuhe trägt“, frischte Navi seine Erinnerung noch ein wenig mehr auf. „Weißt du, was das bedeutet?“, wisperte der Herr der Zeiten, als ihm klar geworden war, wie bedeutend sein Fund war. Seine Fee nickte erfreut. „Du kannst damit die Tür erreichen und der Weg ins Tempelinnere ist hoffentlich endlich frei.“ Nachdem Link die Pegasus-Stiefel so vorsichtig wie möglich von den skelettierten Füßen des toten Shiekahs gezogen und in seinem Wunderbeutel verstaut hatte, machten sich die beiden Abenteurer wieder auf den Rückweg zur großen Halle. Während sie durch die düsteren Gänge eilten, ließ der junge Held seinen Blick über die beschriebenen Wände gleiten und murmelte: „Irgendwie fühlt es sich falsch an, die Stiefel genommen zu haben. Ich komme mir vor wie ein räudiger Grabräuber.“ Obwohl der verzauberte Beutel das Gewicht der Pegasus-Stiefel genauso in Nichts auflöste wie das aller anderen Gegenstände, bildete Link sich nun ein, das kleine Ledersäckchen hinge plötzlich viel schwerer an seinem Gürtel, nur um ihn bei jedem Schritt an die vermeintliche Grabschändung zu erinnern. „Ich bin mir sicher, der Tote wird dir dafür nicht zürnen– schließlich hast du seine Stiefel nur deswegen an dich genommen, weil du es musstest. Außerdem sollte es etwas zählen, dass wir immerhin hier sind, um eine Shiekah zu retten.“ Navi lächelte ihren Schützling in der Hoffnung, ihre Worte würden seine Gewissensbisse abklingen lassen, warm an. Ihre Beruhigungsversuche schienen jedoch an Link effektlos abzuprallen. Anstatt ein wenig aufzuatmen, stieß der junge Mann hervor: „Ja, sicher… Das wird den Toten bestimmt ungemein freuen…“ Bei dem bitteren Klang seiner Worte zog die Fee irritiert die Augenbrauen zusammen und fragte verwirrt: „Siehst du das etwa anders?“ Als ihr Begleiter nur stumm nickte, sich jedoch nicht weiter zu seiner Meinung äußerte, hakte Navi nach: „Warum?“ Link, der inzwischen die Wandillusion erreicht hatte, stoppte ab und sah mit einem verschlossenen Gesichtsausdruck zu der neben ihm fliegenden Fee auf. „Hast du schon mal daran gedacht, dass Impa ein Nachkomme derjenigen sein muss, die den Kampf um Kakariko gewonnen und diese bedauernswerten Menschen hier eingesperrt haben?“ Mit diesen Worten trat der Herr der Zeiten durch die Illusion und ließ Navi sprachlos zurück. Die Bitterkeit und die Härte, die in der Stimme ihres Schützlings mitgeschwungen hatten, erschreckten die Fee und ließen sie in der Bewegung erstarren. Zweifelte Link womöglich plötzlich daran, auf der richtigen Seite zu stehen?! Das durfte nicht sein! Als Herr der Zeiten war es ihm nicht erlaubt unsicher zu werden – schließlich lag das Schicksal ganz Hyrules in seinen Händen! Jedes Zögern oder Zaudern seinerseits konnte andere das Leben kosten. Als Navi sich schließlich wieder gefasst hatte und zu ihrem Begleiter aufschloss, war dieser bereits dabei, sein Schuhwerk zu wechseln. Während die Fee sich nachdenklich auf der Unterlippe kauend dem aufgewühlt wirkenden Hylianer näherte, überlegte sie fieberhaft wie sie ihn auf seine eventuellen Zweifel ansprechen sollte. Sollte sie mit der Tür ins Haus fallen und ihn an seine vom Schicksal auferlegten Pflichten erinnern oder sollte sie lieber behutsam mit ihrem Schützling umgehen und ihm sagen, dass sie von der Vergangenheit Kakarikos ebenfalls schwer erschüttert war? Doch gerade in dem Moment, in dem sie sich dafür entschied, Link ihr Herz zu öffnen und ihm zu zeigen, dass sie wegen der schaurigen Geschichte der Shiekahs ebenfalls beinah vom Glauben abgefallen wäre, fiel ihr Blick auf sein Gesicht und sie schluckte die Worte, die ihr bereits auf der Zunge lagen, herunter. Obwohl brennender Schmerz und tiefe Trauer in seinen Augen standen, sah man dem jungen Mann deutlich an, dass er sich seiner Verantwortung bewusst und zu allem bereit war. Jedes weitere Wort zu diesem Thema hätte nur Salz in seine Wunden gerieben und seinen Zorn auf das Schicksal, das ihm dermaßen viel abverlangte und fast alle menschlichen Emotionen verbot, nur noch mehr geschürt. Also schwieg Navi und betete nur stumm zu den Göttinnen, sie mögen Erbarmen mit ihrem Schützling haben und ihn vor der vollständigen Verzweiflung bewahren. „Dann wollen wir mal sehen, was diese Stiefel so können.“ Link sprang schwungvoll auf die Beine und wäre beinah sofort wieder lang hingeschlagen. Wild mit den Armen rudernd und die Augen vor Schreck weit aufgerissen, stieß er hervor: „Heiliger Deku! Mit diesen Dingern hat man das Gefühl als stünde man auf spiegelglattem Eis!“ Navi versuchte, ihren Schützling am Kragen zu packen und irgendwie abzustützen, obwohl ihr klar war, dass sie sein Gewicht unmöglich halten konnte, wenn er stürzen sollte. Doch sie wollte lieber etwas Unsinniges tun als tatenlos zuzusehen wie ihr Freund sich womöglich verletzte. Nach einigem Wackeln und Schwanken fand Link jedoch sein Gleichgewicht endlich wieder und die beiden Abenteurer atmeten erleichtert auf. „Eines ist sicher“, der junge Held grinste ein wenig verschmitzt zu seiner Fee herüber, als er versuchte, die Situation mit Humor zu nehmen, „die Schuhmode von heute gefällt mir wesentlich besser. Diese Stiefel sind ja lebensgefährlich! Man hat wirklich überhaupt gar keine Bodenhaftung.“ „Ich frage mich, wieso dem so ist…“ Navi machte ein nachdenkliches Gesicht, aber Link stoppte ihren Forscherdrang: „Lass uns das herausfinden, wenn wir alle Weisen gefunden und Ganondorf besiegt haben. Momentan gibt es Wichtigeres, auf das wir uns konzentrieren sollten.“ Mit diesen Worten fixierte der Herr der Zeiten das steinerne Echsenmaul mit der herausragenden Zunge und atmete tief durch. Dann nahm er Anlauf, wobei er sich vorstellte, er wäre wieder ein Kind und würde im Winter über den zugefrorenen Teich im Kokiri-Dorf schliddern, und hielt direkt auf den Abgrund zu. Doch anstatt ins Leere zu treten ließ er sich plötzlich abrupt auf den Hintern fallen und starrte mit großen, panischen Augen in die bodenlos erscheinende Tiefe vor ihm. „Alles in Ordnung?“ Navi war sofort an seiner Seite und musterte ihn sorgenvoll. Was war passiert? Warum hatte er seinen Lauf so plötzlich abgebrochen? Ohne den Blick vom Abgrund zu nehmen, keuchte Link: „Ich kann das nicht, Navi. Ich kann es nicht!“ „Was kannst du nicht?“ „Über die Kante treten. Ich hab Angst, zu fallen. Was, wenn die Legenden nicht stimmen und man mit den Pegasus-Stiefeln doch nicht durch die Luft laufen kann?“ Zittern erfasste seinen gesamten Körper und feine Schweißperlen sammelten sich auf seiner Stirn. Im ersten Moment wusste die Fee nicht, was sie sagen sollte, doch dann streichelte sie ihrem Schützling sanft über die Wange und redete in beruhigendem Tonfall auf ihn ein: „Du musst Vertrauen in dich haben, Link. In dich und in den Deku-Baum. Wenn er gesagt hat, dass man mit den Pegasus-Stiefeln durch die Luft laufen kann, dann ist das auch so.“ „Vielleicht hat er sich ja geirrt.“ Der junge Hylianer sah seine Fee aus noch immer ängstlich geweiteten Augen an und erntete für seine Zweifel einen strengen Blick. Obwohl Navi seine Furcht gut verstehen konnte, durfte sie nicht zulassen, dass er sich davon kleinkriegen ließ. Die beiden Abenteurer starrten sich stumm an, bis Link nach etwa einer halben Minute schließlich aufseufzte und sich zu einem entschlossenen Gesichtsausdruck zwang. „Du hast Recht“, gab er zu, „ich darf meiner Angst nicht nachgeben. Aber…“ Plötzlich leuchtete etwas in seinen Augen auf und er brach mitten im Satz ab. Navi blinzelte ihn irritiert an und wartete darauf, dass ihr Freund seinen Gedanken zu Ende führte. Was Link hatte sagen wollen, bevor ihm offenbar eine Idee gekommen war, sollte sie jedoch nie erfahren. Denn anstatt seinen Satz fortzusetzen, krabbelte der Herr der Zeiten auf allen Vieren so nah an den Abgrund heran wie er konnte. Dann stellte er einen Fuß auf die Kante und schob ihn langsam darüber hinweg. „Ich… Man kann tatsächlich durch Luft laufen!“ Link riss den Kopf herum und strahlte seine Fee erleichtert an. „Sieh nur, Navi: Obwohl ich meinen Fuß belaste, steht er mitten in der Luft, als wäre dort ein unsichtbarer Boden!“ Die neugierige Fee umkreiste den schwebenden Fuß und staunte nicht schlecht, als sie die starken Windhauch spürte, der aus vielen kleinen Düsen unter der Sohle hinausgepustet wurde. Doch bevor sie ihrem Begleiter mitteilen konnte, dass das Rätsel um die Pegasus-Stiefel zumindest zum Teil geklärt war, sprang dieser bereits wieder auf die Beine und nahm erneut Anlauf. Obwohl sein Herz vor lauter Angst noch immer wie wild gegen seine Rippen hämmerte, zwang Link sich, dieses Mal über die Kante zu treten. Als er mit beiden Füßen den sicheren Boden verlassen hatte, sackte sein Körper ein Stück herab und der junge Held war sich im ersten Moment sicher, doch in die Tiefe zu stürzen. Sein Schwung ließ ihn jedoch wie auf einer Glasplatte durch die Luft schliddern und sicher auf der aus dem Steinmaul ragenden Zunge landen. Das durch seine Adern rauschende Adrenalin ließ Links Beine versagen und er sank mit schlotternden Knien zu Boden, während Navi ihm glücklich Beifall klatschte. Nach einer kurzen Verschnaufpause wechselte Link schnell seine Stiefel, da er sich nach festem Stand und Bodenhaftung sehnte. Dann wandte er sich der im Rachen eingelassenen Tür zu und sagte zu seiner Fee: „Ich bin gespannt, was wir dahinter finden werden.“ Navi ließ sich auf seiner Schulter nieder und forderte grinsend: „Lass es uns herausfinden!“ Durch die Tür gelangten die beiden Abenteurer in einen kurzen Gang, der in eine fast kreisrunde, anscheinend vollkommen leere Halle führte. Während Link schnurstracks zum Ausgang auf der gegenüberliegenden Seite marschieren wollte, beschlich Navi angesichts der unerwarteten Leere ein ungutes Gefühl. „Irgendetwas stimmt hier nicht!“ Die Fee lugte ängstlich um Links Hals herum und versuchte, die Ursache für ihre Nervosität auszumachen. „Was meinst du?“ „Ich weiß es selbst nicht genau. Aber kommt es dir nicht merkwürdig vor, mitten in einem Tempel einen absolut leeren Raum vorzufinden?“ Der junge Held zuckte unbeteiligt mit den Schultern und schüttelte seine Begleiterin damit heftig durch. „Weshalb sollte ich mich darüber wundern? Es ist doch nur ein leerer Raum.“ Navi machte ein seufzendes Geräusch als wüsste sie nicht, ob sie sich über die Gedankenlosigkeit ihres Schützlings aufregen oder sie besser ignorieren sollte. „Womöglich wimmelt es hier von Fallen?“ Von der Sorge seiner Fee genervt, blieb Link abrupt stehen und stöhnte leise auf. „Stell dir vor: Daran habe ich auch schon selbst gedacht. Hab also keine Angst. Ich bin vorsichtig.“ Er hatte jedoch kaum ausgesprochen, als ihm plötzlich ein scharfer Luftzug durchs Gesicht fuhr und von einem stechenden Schmerz auf der Brust abgelöst wurde. Erschrocken sprang der junge Mann zurück und blickte überrascht an sich herab. Seine Tunika war über die komplette Breite des Brustkorbs aufgeschlitzt und färbte sich allmählich rot. Verblüfft und mit aufkeimender Angst befühlte Link den langen, brennenden Schnitt in seinem Oberkörper und atmete erleichtert auf, als er feststellte, dass es nur eine oberflächliche Fleischwunde war. Navi, die bei Links plötzlichem Sprung nach hinten von seiner Schulter gefallen war, fluchte bildgewaltig vor sich hin, verstummte jedoch abrupt, als sie das glänzende Blut auf der Brust ihres Schützlings bemerkte. „Was ist passiert?!“ Ihre Stimme klang vor Sorge hoch und schrill und sie streckte unbewusst eine Hand nach der Wunde aus so als könnte sie die Verletzung durch Handauflegen heilen. „Ich weiß es nicht.“ Link wischte seine blutbefleckten Finger am unteren Ende seiner Tunika sauber und starrte angespannt in den Raum. Was hatte ihn bloß verletzt?! Vor ihm befand sich absolut nichts, das nach einer Falle aussah – nur abgestandene Luft. „Ich hatte dir doch gesagt, hier sei etwas faul!“ Trotz der harschen Worte klang die Fee nicht ernsthaft verärgert, ihre Erleichterung über Links relative Unversehrtheit war dafür viel zu groß. Der Herr der Zeiten machte ein knurrendes Geräusch, das seiner Begleiterin deutlich signalisierte, dass er ihre selbstgefällige Rechthaberei gerade nicht ertragen konnte. Dann murmelte er: „Ich frage mich, was mich verletzt hat.“ „Kann ich dir nicht sagen.“ Die Fee zuckte mit den Schultern, hielt jedoch mitten in der Bewegung inne. „Warte! Hörst du das?“ Die beiden Abenteurer spitzten die Ohren und lauschten angestrengt in den Raum hinein. Es war kaum hörbar, aber da war eindeutig ein schleifendes Geräusch, dessen Ursprung nicht zu erkennen war. „Es klingt als würde etwas Metallisches über den Boden gezogen.“ Navis Stimme war die Irritation deutlich anzuhören und auch Link konnte sich keinen Reim auf die Geräusche machen. Einen Moment lang fragte sich der Herr der Zeiten, was er nun tun sollte, doch dann kam ihm endlich die zündende Idee. So schnell wie möglich holte er das Auge der Wahrheit aus seinem Wunderbeutel und hielt es sich vors Gesicht. Die Angst vor dem Fluch ließ ihm noch immer den Magen krampfen, aber er vertraute fest darauf, dass Navi ihm auch dieses Mal das gefährliche Relikt aus der Hand schlagen würde, bevor es zu spät wäre. Wie schon zuvor dauerte es einen kurzen Moment, bevor der magische Gegenstand seine volle Wirkung entfaltete. Doch anders als bisher enttarnte das Auge der Wahrheit nun keine Illusion, sondern machte bislang Unsichtbares sichtbar. Als Link die mächtige Maschine in der Mitte des Raumes erblickte, rutschte ihm das Herz in die Hose und ein bitterer Geschmack breitete sich in seinem Mund aus. Er war nur Zentimeter von seinem sicheren Tod entfernt gewesen! Wäre er nur einen einzigen Schritt weitergegangen, hätten ihm die riesigen, rasiermesserscharfen Sensenblätter, die von der Maschine betrieben durch den Raum kreisten, glatt den Brustkorb gespalten. Vor Glück darüber, dass Navi ihn so lange mit ihrer Sorge behelligt hatte, bis er entnervt stehen geblieben war, traten ihm Tränen der Erleichterung in die Augen. Den Tränenschleier aus seinem Blick blinzelnd verstaute der junge Mann mit zitternden Fingern das Auge der Wahrheit wieder in seinem Beutel und versuchte, den eisigen Hauch des knapp vermiedenen Todes zu verdrängen. Warum sich der Fluch dieses Mal nicht bemerkbar gemacht hatte, war Link nicht klar. Möglicherweise war man davor gefeit, wenn man ihn einmal abgeblockt hatte. Oder der junge Held war schlicht zu geschockt und aufgewühlt gewesen, um die flüsternden Stimmen zu bemerken. „Was hast du gesehen?“ Navi musterte ihren Schützling aufmerksam und rätselte stumm über seine plötzliche Blässe. Was hatte ihn bloß dermaßen erschüttert, dass er sämtliche Farbe verloren hatte? Ohne auf den besorgten Ausdruck seiner Fee zu achten, fasste der Herr der Zeiten seine Erkenntnisse knapp zusammen und fügte dann an: „Ich glaube, wenn ich über den Boden robbe, erwischen mich die Messer nicht. Du bist zum Glück definitiv klein genug, um ungefährdet drunter durch laufen zu können.“ Mit diesen Worten legte Link sich flach auf den Bauch und verzog das Gesicht zu einer schmerzverkrampften Grimasse. Der Staub, der sich im Laufe der Jahrzehnte auf dem kalten Stein abgelagert hatte, brannte wie Feuer in der frischen Schnittwunde auf Links Brust. Dennoch biss der junge Mann tapfer die Zähne zusammen und kroch dicht auf den Boden gepresst auf den Ausgang zu. Als Link endlich im nächsten Gang angelangt und sich sicher war, außerhalb der Sensenreichweite zu sein, richtete er sich stöhnend wieder auf. Navi, die neben ihm her gelaufen war und sich nun wieder in die Lüfte erhob, um ihrem Schützling ins Gesicht sehen zu können, fragte besorgt: „Alles in Ordnung mit dir?“ „Ja, es ist alles gut.“ Link nickte und fügte dann in einem nachdenklichen Ton an: „Allerdings sollte ich die Wunde so schnell wie möglich reinigen, bevor sie sich noch entzündet.“ Nur zu gerne hätte der junge Held einen Abstecher zu der auf dem Todesberg lebenden Fee gemacht, um sich von all seinen großen und kleinen Blessuren heilen zu lassen. Das Loch im Fuß, das er sich im Wassertempel zugezogen hatte, schmerzte noch immer und die anhaltende Müdigkeit, die sich in seinen überbeanspruchten Muskeln eingenistet hatte, war kaum auszuhalten. Doch womöglich hätte der Besuch bei der Feenkönigin Zeit gekostet, die Link nicht hatte. Niemand wusste, was Ganondorf in diesem Moment ausheckte. Vielleicht verfolgte er gerade einen der verbliebenen Weisen, um dessen Kraft irgendwie unschädlich zu machen. Dann wäre alles verloren, wofür der Herr der Zeiten in den vergangenen Wochen gekämpft hatte! Also würde Link sich so lange weitervorantreiben, bis er vor Erschöpfung zusammenbrechen würde. Navi, die den Gedankengang ihres Freundes zu erraten schien, seufzte: „Es ist eine Schande, dass du nicht in die Vergangenheit reisen und dich dort in aller Ruhe heilen lassen kannst. „Tja…“ Link zuckte mit den Schultern und verzog den Mund zu einem ironischen Lächeln. „Dummerweise wird mein Körper nun mal in genau den Zustand zurücktransformiert, in dem er sich befand, als ich das Master-Schwert aus dem Zeitfels gezogen hab.“ Die Fee presste die Lippen fest aufeinander und verfiel in missmutiges Schweigen Der Gedanke, dass ihr Schützling sich für seine Aufgabe so sehr aufopfern und seine Gesundheit gleich auf mehrfache Weise riskieren musste, gefiel ihr ganz und gar nicht. Am liebsten hätte sie ihn bekniet, sich eine Auszeit zu gönnen, bis er sich wieder vollständig erholt hätte. Doch ihr war schmerzlich bewusst, dass die Zeit drängte und keine Ruhephasen zuließ. Da Link ebenfalls nicht nach Reden zumute war, bewegten sich die beiden Gefährten stumm durch den dunklen, verwinkelten Gang, der sich an die Sensenhalle anschloss. Für einige Minuten war der Widerhall von Links Schritten das einzige Geräusch, das die allgegenwärtige Grabesstille durchbrach. Umso überraschter waren die zwei Abenteurer, als plötzlich ein lautes Hacken an ihre Ohren drang. Von Neugier getrieben steuerten sie so schnell wie möglich auf die Geräuschquelle zu, nur um nach der nächsten Ecke verblüfft stehenzubleiben. An der Decke des Gangs hingen mehrere Messer, deren Schneiden in Navis Feenlicht bedrohlich glänzten. In regelmäßigen Abständen sausten die Beile Guillotinen gleich zu Boden und wurden kurz darauf von einem Seilwindenmechanismus wieder nach oben gezogen. Mit wild schlagendem Herzen zählte Navi die wenigen Sekunden, die zwischen den beiden Phasen lagen, und stellte besorgt fest: „Das erfordert genaues Timing, wenn du hier unbeschadet durch willst…“ Link nickte grimmig und verfolgte das vorderste Messer mit den Augen. Den richtigen Zeitpunkt abzupassen, gehörte leider nicht zu seinen Stärken – eher im Gegenteil. Bei dem Gedanken an sein miserables Rhythmusgefühl wurde dem jungen Mann ganz flau im Magen und Angstschweiß perlte in dicken Tropfen seine Schläfen hinab. „Du hast nicht zufällig irgendwo eine Abzweigung gesehen, oder?“ Obwohl er sich nichts sehnlicher wünschte als einen Guillotinen freien Alternativweg, hatte Link nicht viel Hoffnung, dass er die Gefahrenzone vor ihm tatsächlich umgehen konnte. Dementsprechend achtete er kaum auf Navis Antwort und sah ihr betretenes Kopfschütteln nur aus dem Augenwinkel. Doch anstatt enttäuscht zu reagieren, trat der Herr der Zeiten so nah an das vorderste Fallbeil heran wie er konnte, ohne sich in Gefahr zu bringen, und peilte die Lage. Zwischen den Messern war gerade genug Platz für einen einzelnen Menschen und Link war wohl zum ersten Mal in seinem Leben froh darüber, nicht allzu kräftig gebaut zu sein. Während er sich innerlich darauf vorbereitete, die erste Guillotine zu passieren, schlug sein Herz dermaßen heftig, dass er glaubte, es müsste ihm die Rippen brechen. Navi hingegen kaute unterdessen nervös auf den Fingernägeln und wünschte sich, sie wäre stärker und könnte ihren Schützling über die gefährlichen Messer hinwegtragen. Ein letztes Mal wartete Link darauf, dass das Fallbeil zu Boden sauste. Dann holte er tief Luft und machte einen großen Schritt nach vorne, sobald das Messer hoch genug war, um mit eingezogenem Kopf darunter durchtauchen zu können. Bevor er sich versichern konnte, dass er richtig stand, fiel vor ihm auch schon die nächste Guillotine herab und landete nur wenige Millimeter von seinen Stiefelspitzen entfernt. Sofort schoss Adrenalin in den Blutkreislauf des jungen Mannes und machte seine Knie weich. „Alles noch dran?!“ Navi klang genauso zittrig wie Link sich fühlte und biss sich vor Anspannung so fest auf die Unterlippe, dass sie blutete. Da er im ersten Moment seiner Stimme nicht traute, antwortete der Herr der Zeiten erst mit einiger Verzögerung: „Noch, ja. Kannst du von da oben erkennen, wie viele Messer es insgesamt sind?“ Augenblicklich flog die Fee bis unter die Decke hoch und versuchte, die Anzahl der tödlichen Fallbeile auszumachen. „Du kannst aufatmen! Nur noch drei Stück und du bist durch!“ Obwohl Navi sich Mühe gab, zuversichtlich und erfreut zu klingen, hörte man ihr ihre Besorgnis deutlich an. Immerhin konnte ein einziger falscher Schritt Link das Leben oder zumindest ein paar Zehen kosten! Von den aufbauenden Worten beflügelt, wagte sich der bis zum Zerreißen angespannte Held unter dem zweiten Messer hindurch. Kaum, dass er es geschafft hatte, presste er sich flach gegen die Wand zwischen den zwei Fallbeilen und schloss für einen Moment die Augen. Sein Atem kam stoßweise und er zitterte wie Espenlaub, während der Schweiß in Strömen über seinen Körper lief und in seiner Schnittwunde brannte. Um sich selbst von seiner Panik abzulenken, versuchte er sich an schwarzem Humor und rief: „Ein Glück, dass ich jede Falle einzeln umgehen kann. So fällt gar nicht so sehr auf, dass ich ein wirklich miserables Timing hab. Hätte ich den richtigen Zeitpunkt für alle Messer gleichzeitig abschätzen müssen, wäre ich wohl schon Geschnetzeltes.“ Navi rollte übertrieben mit den Augen und seufzte: „Hör auf rum zu flachsen und konzentrier dich!“ Tief durchatmend legte Link den Kopf in den Nacken und schloss die Augen, um Mut für das Passieren der nächsten Falle zu sammeln. Nur noch zwei Guillotinen und er hätte es endlich geschafft! Sobald das tödlich scharfe Beil hoch genug gezogen worden war, wirbelte er mit einer schnellen Körperdrehung darunter hindurch. Doch als er auf der anderen Seite angekommen war, stellte der Herr der Zeiten mit Schrecken fest, dass der Raum zwischen den beiden Messern dieses Mal zu eng für eine Pause war. Eiskalte Panik kroch über Links Rücken und ließ sein Herz für einen Schlag aussetzen, während das Adrenalin seine Wahrnehmung schärfte. Das nächste Messer näherte sich wie in Zeitlupe der Decke, von wo aus es jeden Augenblick herabsausen und den jungen Helden spalten würde. Obwohl alles in ihm schrie, er müsse sich beeilen, konnte er sich nicht rühren. Die Furcht schien ihn vollständig versteinert zu haben. Erst Navis angstschrille Stimme riss ihn endlich wieder aus seiner Schockstarre: „Was machst du denn da?! Beweg deinen Hintern!“ Als hätte er von hinten einen Schubs bekommen, stürzte der Herr der Zeiten vorwärts – gerade noch rechtzeitig, um der tödlichen Falle zu entgehen. Der scharfe Luftzug in seinem Nacken verriet, wie knapp es tatsächlich gewesen war. Kaum, dass er außer Gefahr war, gaben Links weiche Knie nach und er sackte in sich zusammen wie ein einstürzender Turm. Sein Atem kam stoßweise und das Herz in seinem wie Espenlaub zitternden Körper trommelte heftig gegen seine Rippen. Navi flog über die Fallbeile hinweg auf ihn zu und ließ sich auf der Schulter ihres Schützlings nieder. Obwohl auch ihr die Sorge um ihn noch immer in den Knochen steckte, strich sie ihm mit ihrer winzigen Hand beruhigend über die Wange und flüsterte: „Shht, ganz ruhig. Du hast es geschafft. Es ist alles gut.“ Link stieß ein langgezogenes Seufzen aus und strich sich ein paar Strähnen aus der Stirn, die ihm bei seinem Sturz auf die Knie ins Gesicht gefallen waren. „Den Göttinnen sei Dank! Ich glaube, ich hatte noch nie so viel Angst wie gerade eben. Ich hab echt gedacht, mein letztes Stündlein hätte geschlagen.“ Seine Fee nickte stumm und kuschelte sich tief in seine Halsbeuge. Eigentlich hätte sie ihren Begleiter dazu anhalten müssen sich zu beeilen, doch sie brachte es nicht übers Herz. Nach dieser nervenaufreibenden Prüfung hatte eine kurze Rast bitter nötig. Doch da Link selbst wusste, dass die Zeit drängte, hievte er sich schnell wieder auf seine sich noch immer wie mit Watte ausgestopft anfühlenden Beine und schickte sich an, den Schattentempel weiter zu erkunden. Falls die beiden Abenteuer darauf gehofft hatten, bald das Innerste des Tempels zu erreichen, wurden sie bitter enttäuscht. Durch ein Gewirr langgezogener, düsterer Gänge gelangten sie in eine weitere große Halle, deren Anblick sie überrascht keuchen ließ. Nur wenige Zentimeter hinter der Türschwelle brach der geflieste Boden ab, sodass der junge Held sich einem unendlich tief wirkenden Loch gegenübersah. „Wie soll ich denn da rüber kommen?! Derart weit tragen mich die Pegasus-Stiefel bestimmt nicht…“ Link starrte zu dem nächsten Gang herüber, der sich am anderen Ende des Raumes in der Wand auftat, und beneidete wieder einmal seine Begleiterin. Wenn er genau wie sie in der Lage gewesen wäre zu fliegen, wäre seine Aufgabe so viel einfacher gewesen… Navi zog nachdenklich die Unterlippe zwischen die Zähne und überlegte laut: „Vielleicht ist der Boden ja unsichtbar – so wie die Sense vorhin.“ Von diesem Gedanken überrascht, riss Link die Augen auf und murmelte: „Gut möglich.“ Sofort ließ er die Finger in seinen Wunderbeutel gleiten, um das Auge der Wahrheit hervorzuholen und Navis Theorie zu überprüfen. Während sich das Relikt in seiner Hand manifestierte, fragte sich der junge Held, warum ihm diese Idee nicht selbst gekommen war. Manchmal war er wirklich wie vernagelt… Kaum hielt sich der Herr der Zeiten das Auge der Wahrheit vors Gesicht, wurden auch schon von einem grellen Lichtblitz begleitet mehrere freischwingende Plattformen sichtbar, die an massiven Eisenketten von der Decke hingen. Mit nervös pochendem Herzen verharrte Link einen Moment und lauschte angespannt auf die leise wispernden Stimmen, die beim ersten Gebrauch des Relikts dessen Fluch begleitet hatten. Doch schon wie beim letzten Mal blieb alles stumm. Offenbar war er tatsächlich immun seit er dank Navis Hilfe den Bann gebrochen hatte. Den Griff des lupenförmigen Gegenstands zwischen die Zähne geklemmt wechselte Link sein Schuhwerk, um mit den Pegasus-Stiefeln über die breiten Abgründe zwischen den Plattformen hinweggleiten zu können. Obwohl er dieses Mal auf das Fehlen jeglicher Bodenhaftung gefasst gewesen war, bereitete ihm das Gefühl der Schwerelosigkeit leichte Übelkeit. Zum Glück war die Halle nicht besonders breit, sodass er schon in wenigen Minuten wieder zu seinen Lederstiefeln wechseln könnte. Die ersten beiden Plattformen erreichte der tapfere Hylianer ohne Schwierigkeiten, aber bei der mittleren erlebte er eine unschöne Überraschung. Kaum, dass er sie betreten hatte, ertönte plötzlich ein lautes, kreischendes Schleifen. Irritiert blickte der junge Held sich um, doch als er endlich verstanden hatte, was vor sich ging, war es bereits zu spät. Die Flügel eines riesigen, in eine furchteinflößende Steinfratze eingelassenen Ventilators hatten begonnen sich zu drehen und auf Link kam ein gewaltiger Luftstoß zu. Normalerweise hätte er diesem problemlos trotzen können, aber mit den Pegasus-Stiefeln an den Füßen wurde er einfach weggeblasen – direkt auf die gegenüberliegende, mit langen, scharfkantigen Speeren bewehrte Wand zu. Von Navis ersticktem Schrei begleitet versuchte der Herr der Zeiten verzweifelt, gegen die Macht des Windes anzulaufen, doch er wurde immer wieder abgetrieben. Nur knapp gelang es ihm noch eine der Plattformketten zu fassen und sich krampfhaft daran festzuklammern. Bei dem Sturm, der an seinem Körper zerrte, würde er dies jedoch auch nicht ewig aushalten. Irgendwann würden seine überforderten Muskeln aufgeben und ihn abrutschen lassen. Als er den Mund aufmachte, um seiner Fee über das Tosen des Ventilators hinweg etwas zuzurufen, riss ihm der Wind die Worte sofort von den Lippen und ließ sie ungehört verklingen. Zu seinem Glück brauchte Navi jedoch gar keine Aufforderung, um nach einem Schalter zu suchen, der die Maschine ausschalten würde. Sobald sie ihren Schreck ein wenig verdaut hatte, stürzte sie auf die hässliche Fratze zu und begann damit, deren Oberfläche abzutasten. Während ihre Finger über den kühlen, glatten Stein flogen, warf sie immer wieder besorgte Blicke über die Schulter, um zu sehen, wie es ihrem Schützling erging. Sie musste sich beeilen! Lange würde er sich nicht mehr halten können… Gerade, als Links Finger von den Kettengliedern rutschten, fand Navi endlich den Schalter im Fratzenauge und warf sich mit voller Wucht dagegen. Obwohl die Flügel des Ventilators sich sofort merklich verlangsamten, wurde der hilflose Hylianer vom Restwind weiterhin unaufhaltsam auf die bedrohlichen Spitzen zugetrieben. Ängstlich kniff Navi die Augen zusammen und biss sich auf die Faust, um einen gequältes Wimmern zu ersticken. Sie war zu langsam gewesen! Sie hatte zu lange gezögert! Sie war schuld! Sie allein… Doch anstatt eines markerschütternden Todesschreis erklang plötzlich ein lautes, metallisches Scheppern und die Fee riss überrascht die Lider wieder auseinander. Zu ihrer großen Erleichterung war Link nicht aufgespießt worden, sondern lächelte mit bleichem Gesicht schwach zu ihr herauf. Als er sich vorsichtig zurück zur Plattform und von dort aus weiter zum nächsten Gang arbeitete, erkannte seine Fee, was ihren Schützling gerettet hatte: sein auf den Rücken geschnallter Hylia-Schild! Das massive Stück Metall hatte zwar einige Kratzer und Dellen abbekommen, hatte aber verhindert, dass die Spieße Links Oberkörper durchbohren konnten. Ein Dankesgebet an die Göttinnen schickend atmete Navi auf und folgte ihrem Begleiter so schnell sie konnte. Dem Herrn der Zeiten schlug das Herz noch immer wild gegen die Rippen, als er sich schon einige Meter von der Halle entfernt hatte. Um seinen rasenden Puls zu beruhigen, atmete er mehrmals konzentriert ein und aus. Dann seufzte er deutlich hörbar auf und murmelte: „Eines muss man den Shiekah lassen: Sie verstehen sich wirklich gut darauf, heimtückische Fallen zu bauen.“ Navi lächelte mild und wollte ihrem Schützling gerade für seine ungebrochene Tapferkeit loben, als ein leises Rauschen und Gurgeln an ihre Ohren drang. Aufgeregt legte sie ihrem Begleiter eine Hand auf den Kopf und fragte: „Hörst du das, Link? Was ist das?“ Zunächst hörte der Gefragte gar nichts und legte irritiert die Stirn in Falten, während er angestrengt lauschte. Mit gespitzten Ohren schloss er die Augen und konzentrierte sich ganz auf die Geräusche um ihn herum. Irgendwo tropfte Wasser von der Decke herab, Navis Libellenflügel strichen zart raschelnd übereinander und das Scharren seiner Stiefel hallte unnatürlich laut von den hohen Wänden wider, wann immer er das Gewicht von einem Bein auf das andere verlagerte. Gerade, als der junge Mann sich fragte, ob seine Fee sich nur eingebildet hatte, etwas Ungewöhnliches gehört zu haben, vernahm auch er endlich das seltsame Gluckern und Murmeln. Verblüfft riss der Hylianer die Augen wieder auf und stieß fast ungläubig aus: „Das klingt wie Wasser! Hier muss irgendwo ein unterirdischer Fluss verlaufen.“ Ohne Navis Antwort abzuwarten, trabte Link los, um dem Ursprung der Geräusche auf den Grund zu gehen. Bei jedem Schritt brannte die Verletzung in seiner Fußsohle wie Feuer, doch der tapfere Held nahm all seine Willenskraft zusammen und ignorierte den Schmerz. Dennoch standen ihm die Tränen in den Augen und er betete stumm zu den Göttinnen, dass er bald alles überstanden hätte. Viel länger würde sein geschundener Körper die Belastungen nicht mehr aushalten. Doch das heftige Pochen im Fußballen war sofort vergessen, als der Herr der Zeiten um die nächste Ecke bog und staunend zum Stehen kam. Wie vermutet hatte sich tatsächlich ein rauschender Fluss durch den Stein in das Innere des Tempels gegraben. Was Link jedoch wirklich überraschte, war nicht der Anblick des Fließgewässers, sondern das große wie eine alte Galeone aussehende Schiff, dessen schwarzgetünchtes Holz im Fackelschein samten schimmerte. „Was im Namen der Göttinnen macht ein Schiff hier?!“ Der Recke blickte irritiert zu seiner Fee herüber, die ebenso ein verblüfftes Gesicht machte. „Ich hab keine Ahnung. Aber es muss verdammt viel Arbeit gewesen sein, die Materialien dafür herzuschaffen und es hier zusammenzubauen.“ „Ich bezweifle, dass es hier gebaut wurde.“ Link betrachtete nachdenklich die Backbordseite, deren Planken mit feinen Ornamenten und dem Wappen der Shiekah verziert worden waren. „Wie ist es denn deiner Meinung nach hierhergekommen?“ Navi klang ein wenig eingeschnappt, weil ihr Schützling eine andere Theorie als sie hatte. Doch eigentlich ärgerte sie sich nur über sich selbst, weil sie womöglich etwas Offensichtliches übersehen hatte. „Ich vermute, dass es irgendwo noch einen Wasserweg in den Tempel hinein gibt, der im Laufe der Jahre in Vergessenheit geraten und deswegen nicht überliefert ist.“ „Hm. Möglich.“ Für einen kurzen Moment schwiegen die beiden Abenteurer und ärgerten sich stumm darüber, dass sie womöglich viel einfacher in das Tempelinnere hätten vordringen können. Es war Link, der den Faden wiederaufnahm: „Aber eigentlich ist es auch ganz egal, wie das Schiff hierhergekommen ist. Wichtiger ist die Frage, ob es uns irgendwie nutzen kann oder ob wir umkehren und einen anderen Weg suchen sollten. Was sagen denn deine supertollen Feensinne dazu?“ Bei dem spöttischen Ton in Links Stimme verengte Navi ihre Augen sofort zu schmalen Schlitzen und fauchte: „Mach dich nicht immer darüber lustig! Die Seelen der Umgebung sprechen hören zu können ist eine sehr nützliche Fähigkeit!“ Amüsiert glucksend antwortete der Herr der Zeiten: „Sicher… Aber anstatt die beleidigte Leberwurst zu mimen, solltest du mir lieber verraten, was dir der Tempel so an Klatsch und Tratsch erzählt.“ Die Fee warf ihrem Schützling einen letzten giftigen Blick zu und senkte dann die Lider, um sich besser konzentrieren zu können. Es hatte keinen Sinn, mit Link über ihre Fähigkeiten zu streiten. Er würde sie nie mit Ernsthaftigkeit betrachten. Vermutlich, so dachte Navi, war es schon eine große Ehre, dass er überhaupt von sich aus danach gefragt hatte. Während seine Fee den leise wispernden Geisterstimmen des Tempels lauschte, trat der junge Held unruhig von einem Bein aufs andere. Als er das Warten nicht mehr aushielt, bohrte er ungeduldig nach: „Und? Was ist jetzt? Nutzt uns der alte Kahn irgendwie?“ Navi zuckte ohne die Augen zu öffnen mit den Schultern und murmelte: „Ich bin mir nicht sicher. Es heißt, der Weg ins Innere sei ein nasser Pfad, doch wir werden auch gewarnt, der Fluss führe zu düsterem Verderben. Irgendwie werde ich aus diesem Widerspruch nicht ganz schlau. Anscheinend müssen wir mit dem Schiff fahren, um weiterzukommen, aber an unserem Ziel lauert offenbar große Gefahr.“ „Hm.“ Link legte sich unglücklich die Arme um den Oberkörper und fröstelte, als ihm ein Gedanke kam. „Meinst du, im Inneren wartet der Schattendämon auf uns?“ Mit Grauen dachte der Herr der Zeiten zurück an seine letzte Begegnung mit dem Monster. Wie leicht es für den Dämon gewesen war, ihn zu besiegen! Es war beschämend, überaus beschämend… „Gut möglich. Vermutlich will das verfluchte Mistvieh verhindern, dass jemand das Siegel erneuert.“ Navi hob die Lider und sah ihren Schützling eindringlich an. „Hast du Angst?“ Dieser kreiste mit den Schultern als wolle er ein unangenehmes Gewicht abschütteln und seufzte: „Spielt das denn eine Rolle? Shiek…, nein, ganz Hyrule vertraut darauf, dass ich meine Aufgabe erfülle. Da bleibt kein Platz für Zögern oder Angst.“ „Ich weiß.“ Die Fee lächelte ob seines gereizten Tons milde. Bei der immensen Last, die auf ihm lag, war es ein Wunder, dass er nicht viel öfter patzig war. „Aber behalte immer in Hinterkopf, dass der Schattendämon ein Wesen ist, das sich von Furcht ernährt“, rief sie ihm ins Gedächtnis. „Je besser du deine Gefühle im Griff hast, desto schwächer wird er sein. Also lass dich nicht von seinen Illusionen und Tricks ins Bockshorn jagen.“ Link nickte vage und deutete dann mit dem Kinn auf das ruhig auf dem Wasser liegende Schiff. „Anstatt uns Gedanken um mein Innenleben zu machen, sollten wir lieber in See stechen und Impa helfen.“ Ohne die Antwort seiner Fee abzuwarten, ging der Recke zu der am Schiffsbug herabhängenden Strickleiter und erklomm behände die wenigen Sprossen. Kaum, dass er sich über die Reling geschwungen hatte, erblickte er das riesige mit Goldfarbe aufs Deck gemalte Triforce und musste unwillkürlich grinsen. Die Geschichte von Hylianern und Shiekah war so eng miteinanderverwoben, dass man überall dort, wo man Hinterlassenschaften des einen Volkes fand, auch Hinweise auf das andere Geschlecht entdecken konnte. Während Navi noch zu ihm aufschloss, hastete Link bereits auf die gewaltige Drehwinde am Heck zu und lichtete den Anker. Das lange ungenutzte Schiff nahm sogleich Fahrt auf und die alten, von leichten Schaukelbewegungen übereinander geriebenen Planken knarrten leise. Obwohl der Kahn nur gemächlich dahinfuhr und der Fluss keine besonders starke Strömung hatte, wurde das vom spitzen Bug geteilte Wasser zu schaumiger Gischt aufgeschlagen. Der junge Held stellte sich an die Reling und genoss den kühlen Fahrtwind im Gesicht, während Navi vor ihm über das Geländer balancierte und ihn mit einem amüsierten Funkeln in den Augen musterte. Als ihm ihr Blick ein wenig unheimlich wurde, fragte er barsch: „Was ist? Hab ich plötzlich eine Warze auf der Nase oder warum starrst du mich so an?“ „Ich dachte nur gerade, dass du verblüffend glücklich aussiehst“, erklärte die Fee heiter. „So wie ein alter Seebär, der nach einem viel zu langen Landgang endlich wieder zu seinem Schiff zurückkehren durfte.“ Bei diesen Worten machte sich sofort ein strahlendes Lächeln auf den Lippen des Recken breit und er sagte: „In gewisser Weise ist da sogar etwas dran. Ich mochte die Geschichten des Deku-Baums immer dann besonders gern, wenn sie von Seefahrern und Piraten handelten. Seit ich ein kleines Kind war, habe ich davon geträumt auch mal Seeräuber zu werden, die Weltmeere zu befahren und die unendliche Freiheit der weiten Ozeane zu spüren. Dies hier ist zwar nur ein kleiner Fluss, aber ein Anfang.“ Navi lachte losgelöst und versuchte sich ihren Schützling als wilden Piraten mit Kopftuch und Vollbart vorzustellen, doch es wollte ihr partout nicht gelingen. Bevor sie ihn damit necken konnte, dass er viel zu gutherzig für einen gefürchteten Seeräuber war, erklangen jedoch plötzlich die am Heck angebrachten Glöckchen und Link wirbelte wie von der Tarantel gestochen herum. Zu seinem großen Schrecken hatte sich die Kajüten-Tür geöffnet und zwei Skelettkrieger traten nacheinander aufs Deck hinaus. Zusätzlich zu ihren üblichen Krummsäbeln hielten diese Exemplare große, brennende Öllampen in den Händen. Einen Moment lang war der Herr der Zeiten von den ungewöhnlichen Mitbringseln irritiert und betrachtete verwirrt das im Lampeninneren hin und her schwappende Petroleum. Doch dann verfielen die feindlichen Krieger in ein schauriges Lachen und Link begriff schlagartig, was sie vorhatten. Trotzdem nutzte ihm diese Erkenntnis herzlich wenig… Bevor er reagieren konnte, schmissen die Skelette die Lampen zu Boden, wo ihr gläserner Körper mit lautem Klirren zerbrach. Starr vor Entsetzen beobachtete Link wie sich das Brennöl ausbreitete und das Holz in Brand steckte. Binnen weniger Sekunden stand bereits ungefähr ein Viertel des Decks lichterloh in Flammen. Als wäre dies allein nicht schon besorgniserregend genug gewesen, hob nun der vordere Skelettritter auch noch seinen mächtigen Säbel über den Kopf und ging auf Link los. Das diabolische Funkeln in den rotglühenden Augen des Monster ließ erahnen, dass sich der Herr der Zeiten einem furchterregenden, unnachgiebigen Feind gegenübersah – und das auch noch im Doppelpack! Denn auch das zweite Skelett fasste seine Waffe fester und kam mit bedächtigen Schritten immer näher. Navi biss sich auf die Unterlippe, während ihr Blick unruhig zwischen ihrem Schützling und den Angreifern hin und her zuckte. Was hätte sie in diesem Moment nicht alles darum gegeben, ein wenig stärker zu sein! Sie hasste es, wenn sie tatenlos mitansehen musste wie Link mit einer gefährlichen Situation konfrontiert wurde. Nur zu gerne hätte sie ihn während seiner Kämpfe mehr unterstützt. Doch sie war sich noch nicht einmal sicher, ob sie in der Lage dazu war, eine ordinäre Stubenfliege zu erschlagen. Also blieb ihr nichts anderes übrig als für die Unversehrtheit ihres Begleiters zu beten. Dieser zog mit grimmigem Gesichtsausdruck das Master-Schwert und trat den Angreifern mutig entgegen, obwohl der Schweiß auf seiner Stirn nur zum Teil auf die Hitze des Feuers zurückzuführen war. Er konnte sich noch lebhaft an die Schwierigkeiten erinnern, die ihm die beiden Skelettkrieger im Waldtempel mit ihrer fein aufeinander abgestimmten Taktik bereitet hatten – und damals hatte er wenigstens noch über ein relativ großes Bewegungsfeld verfügt. Auf dem schmalen Schiff, das zu allem Überfluss auch noch von hungrigen Flammen verschlungen wurde, war die Herausforderung eine ungleich höhere. „Na, dann wollen wir mal sehen, ob ich inzwischen etwas dazu gelernt habe…“ Link drückte bestimmt den Rücken durch und ließ sein Schwert mit einem wilden Kampfschrei auf den ersten Angreifer hinabsausen. Als dieser den Streich mit der eigenen Klinge parierte, hallte ein ohrenbetäubendes Krachen von den hohen Tempelwänden wider und Navi bekam vor lauter Aufregung Schluckauf. Von ihrem Hicksen begleitet startete Link einen zweiten Anlauf, um den Skelettritter zurückzudrängen, doch auch dieser wurde problemlos abgeblockt. Ängstlich warf der junge Held einen Blick auf den zweiten Krieger, der zwar langsam und schleppend, aber unaufhaltsam näherkam. Wenn Link es nicht schaffte, das erste Monster zu erledigen, bevor das zweite ihn erreichte, würden seine Siegchancen schlagartig in den Keller sinken. Gelbrote Flammen leckten knisternd über das trockene Holz der Planken und verwandelten das Schiff in ein tödliches Meer aus wabernder Hitze. Der Schweiß rann dem verzweifelt kämpfenden Hylianer in Strömen über den Körper und ließ den Schnitt auf seiner Brust höllisch brennen. Die Zähne fest zusammengebissen hieb Link ein weiteres Mal nach seinem Angreifer. Dieses Mal erwischte er den Skelettkrieger und schlug ihm eine tiefe Kerbe in die Speiche. Doch dem Recken blieb nicht viel Zeit, um sich über diesen kleinen Erfolg zu freuen, denn der zweite Angreifer war inzwischen bis auf eine Schwertlänge herangekommen und hob mit einem klackernden Lachen seine Waffe. Link schluckte hart und überlegte fieberhaft, was er nun tun sollte. Vielleicht konnte er entkommen, wenn er einfach von Bord sprang. Langsam zurückweichend warf er einen kurzen Blick über die Reling und beschloss augenblicklich, dass diese Idee ein schlechter Plan war – ein verdammt schlechter. Nur knapp neben dem Schiff glitten die Körper von mehreren krokodilartigen Wesen durch das schwarz wirkende Wasser und präsentierten von Zeit zu Zeit ihre rasiermesserscharfen Fänge. Link hätte sich lieber mit fünf Skelettkrieger gleichzeitig herumgeplagt als Bekanntschaft mit einem dieser Räuber zu schließen. Navi beobachtete mit heftig schlagendem Herzen wie das zweite Monster zu ihrem Schützling aufschloss und sogleich zum Angriff überging. Gerade, als sie sich fragte, ob es etwas nutzen würde, wenn sie sich auf das Skelett stürzen würde, um es zu irritieren, jaulte das Wesen plötzlich wie unter Schmerzen auf und ließ den Krummsäbel fallen. Überrascht riss der Herr der Zeiten den Kopf zu ihm herum und staunte nicht schlecht, als er die kleinen Flammen entdeckte, die an dem Schienbeinknochen des Kriegers nach oben züngelten. Plötzlich fiel es ihm wie Schuppen von den Augen, wie er sich seinen Angreifern entledigen konnte. Von Navis ungläubigem Keuchen begleitet, steckte Link sein Schwert zurück in die Scheide und ging mit erhobenem Hylia-Schild auf die beiden Skelettritter zu. Sofort ließ das erste Monster seine Waffe auf den Recken hinabsausen, doch dieser blockte den Angriff vollständig unbeeindruckt ab und stieß die feindliche Klinge so kräftig zurück, dass es den Krieger aus dem Gleichgewicht brachte und ihn rückwärts taumeln ließ. Auf diese Weise trieb Link seinen Gegner immer weiter zurück, bis er ihn schließlich ins Feuer stieß. Sofort leckten die Flammen an den trockenen Knochen und das Skelett zerfiel laut kreischend zu Asche. Der zweite Angreifer erwies sich leider als wesentlich klüger. Anstatt Link zu attackieren, floh es humpelnd vor dem Hylianer und wich den Schildhieben geschickt aus. Zu seinem Leidwesen ließ der Herr der Zeiten sich davon jedoch nicht beeindrucken, sondern änderte bloß die Taktik. So schnallte er sich den Schild wieder auf den Rücken und näherte sich scheinbar wehrlos dem unbewaffneten Skelettkrieger. Als dieser verdutzt stehenblieb, trat Link ihm plötzlich gezielt gegen das Brustbein und katapultierte das Monster so ins Flammenmeer hinter ihm. Erleichtert aufatmend schwebte Navi zu ihrem Schützling herüber und klatschte stolz in die Hände. „Das hast du – hicks – wirklich super gemacht!“ Link lächelte schief und betrachtete seinen geschundenen Hylia-Schild, der inzwischen sehr verbeult war und große Teile der Lackierung eingebüßt hatte. „Ich fürchte, ich werde mir bald einen Neuen kaufen müssen.“ Seufzend warf der Recke seinen treuen Schild nach der kurzen Überprüfung wieder über die Schulter und schnallte ihn fest. Dann ließ er seinen düsteren Blick wieder zu den gierigen Flammen wandern, die inzwischen gute drei Viertel des Decks in Beschlag nahmen und vereinzelte Planken unter Funkenflug in sich zusammenfallen ließen, und stellte fest: „Aber im Moment haben wir ganz andere Sorgen…“ Während sich das Knistern und Knacken des Feuers zu einem laut tosenden Prasseln steigerte, blickte Link sich verzweifelt suchend nach einem Eimer oder Krug um. Ihm war klar, dass er damit nicht die Mengen an Wasser heranschaffen konnte, die von Nöten waren, um den Brand zu löschen. Doch vielleicht konnte er sie Flammen ein wenig eindämmen oder zumindest sich selbst mit dem kühlen Nass übergießen, um seine Körpertemperatur zu regulieren und der höllischen Hitze zu trotzen. Navi platzte plötzlich in seine Gedanken hinein und jammerte: „Wieso haben wir eigentlich nur einen Zauber, um Feuer zu entfachen? Eine Flutwelle wäre – hicks – momentan viel sinnvoller!“ Der Herr der Zeiten nickte nachdenklich und presste sich mit dem Hintern fest gegen die Reling, um soweit wie möglich vor den Flammen zurückzuweichen. Vielleicht, überlegte er, sollte er auf den Rücken der wie ein spitzschnabeliger Raubvogel geformten Galionsfigur klettern, um für noch mehr Abstand zu sorgen. Eines der krokodilartigen Wesen hob seinen breiten Kopf mit der langen, vorne abgeplätteten Schnauze aus dem Wasser und stieß ein lautes Fauchen aus. Auch die anderen Raubtiere wagten sich immer näher an den lichterloh brennenden Kahn heran und beobachteten Link aus hungrig funkelnden Augen. Vermutlich war das Nahrungsangebot hier im Tempel stark eingeschränkt und die Monster freuten sich schon diebisch darauf, endlich mal wieder eine fette Beute zu machen. Der junge Held wandte sich schaudernd ab, nur um vor Schreck heftig zusammenzufahren. Die Flammen hatten inzwischen so große Löcher in die Schiffsseiten gefressen, dass sich der Bauch der kleinen Galeone allmählich mit Wasser füllte. Auch Navi bemerkte das Unglück in diesem Moment und vergaß vor Entsetzen sogar ihren Schluckauf. Erschrocken riss sie die Augen auf und rief mit schriller Stimme: „Wir sinken! Bei den Göttinnen, wir sinken!“ Links Blick zuckte panisch umher, während der Recke verzweifelt nach einem Ausweg aus der Misere suchte. Zwar war ihm klar gewesen, dass das Schiff irgendwann untergehen würde, aber er hatte gehofft ein wenig mehr Zeit zu haben. Nun musste schnell eine Lösung her. Die Flammen ließen die Haut des Hylianers schmerzhaft glühen und verwandelten alles um sie herum in ein flirrendes Zerrbild. Um besser sehen zu können, kniff Link die Augen leicht zusammen, doch die Luft waberte so sehr, dass seine Umgebung zu tanzen schien. Schweiß trat ihm aus allen Poren, nur um sofort in der Hitze zu verdunsten. Wenn Link nicht bald die Erleuchtung kam, würde er sich um die Wasserräuber gar keine Gedanken mehr machen müssen, weil er bis dahin zu einem kümmerlichen Haufen Asche verbrannt wäre. Inzwischen war selbst sein Mund so trocken, dass seine sich wie geschwollen anfühlende Zunge am Gaumen klebte. Gerade, als dem Hylianer die Idee kam, seine Goronen-Rüstung anzulegen, um der brutalen Hitze zu entkommen, platzte Navi plötzlich heraus: „Sieh doch! Da hinten ist Land!“ Link lehnte sich soweit über die Reling wie er konnte ohne Gefahr zu laufen, vornüberzufallen und in die Fluten zu stürzen, und starrte konzentriert in die Richtung, die seine Fee ihm wies. Tatsächlich! In geschätzten hundert Metern war ein dünner Streifen Land zu sehen! Doch bevor der junge Held erleichtert aufatmen konnte, warf sich eines der Krokodilwesen mit voller Wucht gegen die Schiffsseite. Die Erschütterung ließ die Galeone erzittern und brachte den einzigen Passagier ins Taumeln. Navi schwebte vor ihm in der Luft und motzte wie ein Rohrspatz, wobei sie den Angreifer mit einem Schwall dermaßen unflätiger Schimpfworte eindeckte, dass ihr Begleiter vor Scham rot anlief. Ihre Schimpftirade unterbrechend rief Link über den Lärm des prasselnden Feuers hinweg: „Sie wollen uns offenbar vom Kurs abbringen, damit wir das Land nicht erreichen. Ich versuche zum Steuerrad zu gelangen und dagegen zu halten.“ Die Fee keuchte überrascht und schrie entsetzt: „Nein! Bleib hier! Du wirst noch verbrennen!“ Doch ihr Schützling zuckte gleichmütig tuend mit den Schultern und sagte: „Wenn ich es nicht mache, werden wir sinken und ich ende als Abendessen…“ Mit diesen Worten holte der Herr der Zeiten seine Goronen-Rüstung hervor, zog sie flugs über und seufzte auf, als sich wohltuende Kälte über seinen Körper verteilte. Dann strafte er die Schulten und schritt mutig auf das wogende Feuermeer zu. Navi kaute unterdessen auf einem Fingernagel und murmelte: „Das ist eine miserable Idee…“ Der Weg zum Steuerrad war mit Löchern übersät und Link musste sehr genau aufpassen, um nicht versehentlich auf eine der in sich zusammenfallenden Planken zu treten und in die Tiefe zu stürzen. Die Flammen schlugen nach ihm und verbrannten seine Haarspitzen, die sich nach innen kräuselten. Trotz der Goronen-Rüstung lief dem jungen Held der Schweiß in Strömen über den Körper und ließ seine trockenen Augen schmerzen. An seinem Ziel angekommen griff Link sofort nach dem wie durch ein Wunder noch unversehrten Lenkinstrument und jaulte laut auf. Ein zur Verstärkung des Rads eingezogener Eisenring hatte sich in der Feuersbrunst unbarmherzig aufgeheizt und dem Recken die nackten Fingerkuppen verbrannt. Augenblicklich bildeten sich dicke, rot umrandete Blasen auf seiner Haut und der Gestank nach verbranntem Fleisch vermischte sich mit dem Rauch des Feuers. „Ah! Vermaledeit!“ Fluchend hielt sich der Herr der Zeiten die verletzte Hand und presste sie jammernd gegen seine eiskalte Kleidung. Doch auch die prompte Kühlung verschaffte kaum Linderung und der Schmerz pochte nahezu ungemindert weiter. Zum Glück hatte der Recke nicht mit seiner Schwerthand nach dem Steuerrad gegriffen! Erneut warfen sich mehrere der Krokodilwesen gegen die Schiffswand und erinnerten Link an sein Vorhaben. Mit fest zusammengebissenen Zähnen schnappte er sich das Steuer. Dieses Mal achtete er jedoch konzentriert darauf, den Metallring nicht noch einmal zu berühren. So schnell er konnte riss er das Ruder auf die Backbordseite herum und ließ die Galeone direkt auf den Landstreifen zusteuern. Sollten sie doch ruhig auf Grund laufen – das Schiff war sowieso nicht mehr zu retten… Laut fauchend rempelten die empörten Wasserwesen den lichterloh brennenden Kahn und versuchten ihn wieder vom Kurs abzubringen. Link hielt das Steuerrad jedoch stur umklammert, bis das Schiff mit einigem Gerumpel gegen festen Untergrund stieß. „Schnell, Link! Du musst dich beeilen!“ Navis Stimme klang panisch und brach vor Aufregung gleich mehrfach. Für einen Moment fragte ihr Schützling sich, ob sie womöglich bedroht war, doch dann wurde ihm klar, dass ihre Sorge ihm galt. Die Kollision hatte ein großes Loch in den Schiffsbug gerissen, das den Untergang der Galeone um ein Vielfaches beschleunigte. Da das Wasser jetzt ungleichmäßig in den Schiffsbauch drang, bekam der Kahn vorne schnell Übergewicht und das Heck hob sich aus dem Wasser. Dadurch wurde der Weg über das nunmehr schräge Deck zu einer gefährlichen Rutschpartie. Angesichts der immer größer werdenden Löcher im Boden war Link sich sicher, dass der direkte Rückweg ein zu großes Risiko barg. Daher blickte er sich panisch suchend nach einer anderen Lösung um. Das Wasser drang laut gurgelnd in den Schiffsbauch und zog die Galeone unaufhaltsam in die Tiefe. Der dekorative Vogel am Bug war bereits kaum noch zu sehen. „Ob ich das wohl schaffe?“ Der Herr der Zeiten zog nachdenklich die spröde Unterlippe zwischen die Zähne und sah sehnsüchtig zum rettenden Ufer herüber. Es war nur noch wenige Meter entfernt und gleichzeitig unendlich weit weg. Die Krokodilwesen hatten sich in dem schmalen Wasserstreifen zwischen Schiff und Land versammelt und stießen bedrohliche Fauchlaute aus. Wenn Link nur wenige Zentimeter zu kurz springen würde, würden die hungrigen Räuber ihn augenblicklich zerfleischen. Das Feuer ließ einen weiteren Teil des Decks in sich zusammenbrechen, als dem verzweifelten Hylianer endlich eine Idee kam. Sofort wirbelte er herum und suchte sich einen Weg durch die Flammen zur Kajüte am Heck. Obwohl der Brand auch hier bereits wütete, kletterte der Held so schnell wie möglich aufs Dach der Kapitänskabine. Die Brandblasen an seiner rechten Hand protestierten heftig schmerzend und ließen den Recken gleich mehrfacht abrutschen. Sobald er oben angekommen war, hievte er sich flugs auf die Füße und begab sich ohne zu zögern ans hintere Dachende, um Anlauf zu nehmen. Glücklicherweise war das Kajütendach noch nahezu unversehrt, sodass Link einfach über die Bretter rennen konnte, ohne auf eventuelle Stolperfallen achten zu müssen. Am Rand stieß er sich so kraftvoll wie möglich ab und sprang zum Rettung verheißenden Land herüber. Als er über die Krokodilwesen hinwegflog, katapultierten diese sich ebenfalls in die Luft und schnappten nach seinen Beinen. Vermutlich war es nur Glück, dass sie es nicht hoch genug schafften, um seine Füße zu erwischen. Angesichts dieser Misserfolge breitete sich wütendes Knurren in der kleinen Gruppe aus und die Echsen bissen nacheinander, um Konkurrenten von dem erfolgversprechendsten Platz vor der Uferkante zu vertreiben. Navi war so angespannt, dass sie unbewusst den Atem anhielt und mit weit aufgerissenen Augen beobachtete wie ihr Schützling durch die Luft segelte. Nach unendlich lang wirkenden Sekunden des freien Falls kam dieser auf dem sandigen Untergrund auf und rollte sich geschickt ab. Erleichterung prickelte wie Kristallwasser durch den Körper der Fee und ihr zuvor leicht stotterndes Herz schlug einen schnellen Freudentakt an. Endlich war Link außer Gefahr! Doch kaum, dass ihr dieser Gedanke durch den Geist gezuckt war, kroch eines der Wasserraubtiere an Land und griff den Herrn der Zeiten mit einer beeindruckenden Geschwindigkeit an, die man seinem behäbig wirkenden Leib gar nicht zugetraut hätte. Nur knapp gelang es dem Recken seinen Arm noch rechtzeitig zurückzuziehen und mit einer Körperrolle auf die Füße zu kommen. Noch im Aufrichten zog er seine heilige Klinge und versetzte dem Angreifer mit einem schnellen Streich eine klaffende Wunde direkt unter dem Auge. Dieser quiemte überrascht auf und bleckte seine imposanten Zähne. Die Größten von ihnen waren in etwa so lang wie Links Finger, aber um ein Vielfaches dicker. Einen Moment lang schien das Wesen zu überlegen, ob es eine zweite Attacke wagen sollte, zog sich dann jedoch fauchend zurück. Seine Artgenossen gaben zischelnde Laute von sich und warfen dem Herrn der Zeiten erboste Blicke zu. Doch als Link sein Schwert zur Warnung wiederholt durch die Luft wirbeln ließ, gaben sie auf, tauchten unter und verschwanden. Dem ausgelaugten Kämpfer fiel ein riesiger Stein vom Herzen und seine Knie wurden vor Erleichterung darüber, die tödlichen Gefahren überstanden zu haben, derart weich, dass sie einknickten und der junge Held seufzend auf den Boden sackte. Mit Tränen des Glücks in den Augen beobachtete er wie die Galeone vollständig versank. Das Zischen der vom Wasser gelöschten Flammen, das Plätschern des Flusses und die noch immer zu schnelle Atmung der beiden Abenteurer waren für lange Zeit die einzigen erklingenden Geräusche. Links verbrannte Hand schmerzte noch immer und er hatte das Gefühl, die Wundränder des Schnittes auf seiner Brust hätten sich durch die Hitze gekräuselt wie gebratener Speck. Auch das Loch in seinem Fuß hatte wieder zu pochen begonnen und ließ den Herrn der Zeiten allein bei dem Gedanken ans Auftreten erschaudern. Navi machte ob seiner gequält wirkenden Züge ein besorgtes Gesicht und fragte leise: „Wie geht’s dir? Meinst du, du kannst bald wieder aufstehen?“ Obwohl alles in ihm nach einer ausgedehnten Ruhepause verlangte, nickte der junge Mann und wollte sich sofort auf die Füße hieven. Er hatte keine Zeit zu verlieren! Impa war hier irgendwo und wartete auf seine Unterstützung. Er musste sie finden, bevor der Schattendämon es tat. Seine Begleiterin schüttelte jedoch den Kopf, als sie sein Vorhaben erkannte, und befahl: „Bleib sitzen! Wenn du dir nicht ein bisschen Erholung gönnst, kippst du gleich noch um. Dann bist du niemandem mehr eine Hilfe.“ Link wollte widersprechen, verstummte jedoch abrupt, als es in einem kleinen Busch neben ihm zu rascheln begann. Alarmiert griff der Held nach dem Master-Schwert und nahm vollkommen automatisch Kampfhaltung ein. Obwohl hochkonzentriertes Adrenalin durch seine Blutbahnen rauschte, schrie jede einzelne Muskelfaser protestierend auf. Allein die Klinge aufrecht zu halten erforderte eine enorme Anstrengung. Dabei war die Nervosität völlig unnötig… Nach wenigen Sekunden schimmerte ein weicher, rosafarbener Schein durch die sich teilenden Blätter und eine Fee streckte gähnen den Kopf ins Freie. Als sie die auf sie gerichtete Schwertspitze erblickte, blinzelte sie überrascht und blaffte den vollkommen konsternierten Hylianer verärgert an: „Nimm dieses Ding weg! Ich platze doch auch nicht in deine Gemächer und bedrohe dich. Unverschämter Flegel!“ Völlig perplex ließ der Herr der Zeiten seine Waffe sinken und starrte die Fee an. Sie hatte pudrig weich aussehende Schmetterlingsflügel und an Perlmutt erinnernde Haut. Außerdem schien sie wesentlich älter zu sein als Navi und wirkte mit ihren adrett frisierten, silbrigen Locken wie eine Miniaturausgabe einer geflügelten Bilderbuch-Großmutter. Lediglich das feurige Funkeln in ihren lila schimmernden Augen verriet, dass sie wesentlich mehr Temperament hatte als eine gutmütige Omi. Navi klatschte beim Anblick ihrer Artgenossin begeistert in die Hände und rief: „Den Göttinnen sei Dank!“ Link verstand ihre Begeisterung nicht und die Irritation in seinem Gesicht nahm deutlich zu. Warum es ihn so aus der Bahn warf eine Fee gefunden zu haben, wusste er selbst nicht so recht. Er wusste immerhin, dass diese geflügelten Wesen einen großen Volksstamm bildeten. Doch er hätte niemals erwartet, einer Fee an einem dermaßen düsteren Ort wie dem Schattentempel zu begegnen. Seine Begleiterin ignorierte seine offenkundige Verwirrung und stürzte auf ihre Artgenossin zu: „Wir brauchen dringend deine Hilfe. Bitte, heile meinen Schützling so schnell du kannst!“ Während der Recke überrascht aufhorchte, verschränkte die Angesprochene die Arme vor der Brust und fragte provozierend: „Warum sollte ich das tun?“ Man musste Navi nicht besonders gut kennen, um an ihrer anschwellenden Halsschlagader und dem harten Glanz ihrer Augen ablesen zu können, dass heiße Wut in ihr aufschäumte. „Weil Link der Herr der Zeiten und damit zufällig der Einzige ist, der Hyrule noch retten kann?! Ist das Grund genug für dich?! Dämliche Planschkuh…“ Wider Erwarten schnappte die ältere Fee bei dieser Beleidigung nicht ein, sondern ließ ein glockenhelles, perlendes Lachen erklingen. „Die Gerüchte um dich stimmen ja tatsächlich. Du bist wirklich sehr hitzköpfig, junge Navi.“ Vor Überraschung fielen Link und seiner Begleitung die Kinnladen herunter und sie gafften ihr Gegenüber verständnislos an. „Man redet über mich?!“ Navi bekam vor Staunen den Mund kaum wieder zu. „Allerdings. Seit der Deku-Baum dich dafür ausgesucht hat den auserwählten Jungen zu begleiten, ist dein Name jedem bekannt – erstrecht seit wir uns fragen, was schief gelaufen ist. Wo wart ihr, als Ganondorf das Triforce an sich riss? Am Hylia-See picknicken?“ Scham und Schuldgefühle ließen Links Wangen in einem beeindruckenden Rot aufflammen, während seine Fee sich angriffslustig vorbeugte und zischte: „Pass auf, was du sagst, Oma! Sonst reiß ich dir die Flügel aus!“ Bevor zwischen den beiden geflügelten Frauen tatsächlich ein Kampf entbrennen konnte, mischte Link sich schnell ein: „Hat Navi eigentlich Recht? Könntest du mich wirklich heilen?“ Die ältere Fee nickte ein wenig selbstgefällig und erklärte: „Unsere Feen-Fähigkeiten werden mit zunehmendem Alter immer stärker, bis wir irgendwann sogar einen Heilzauber erlernen. Um also deine Frage zu beantworten: Ja, das könnte ich.“ Ein wenig beeindruckt wandte der Herr der Zeiten sich an seine Begleiterin: „Woher hast du gewusst, dass sie in der Lage dazu ist?“ Ein listiges Grinsen schlich sich auf Navi Lippen, als sie behauptete: „Ich habe es an ihrem runzeligen Gesicht abgelesen.“ Die alte Feen-Dame verengte beleidigt die die Augen zu Schlitzen und stellte richtig: „Sie hat es an meinem gesunden rosa Schimmern erkannt. Nur die Ältesten von uns leuchten in dieser Farbe.“ „Also wird sich Navis Schein auch irgendwann verändern?“ Link versuchte sich seine silbergoldene Freundin mit einem rosafarbenen Glanz vorzustellen. „Ja“, bestätigte sein Gegenüber, „aber es werden noch viele, viele Jahre ins Land gehen, bis aus diesem unreifen Frischling eine Feen-Weise werden wird.“ „Pfft!“ Die beiden geflügelten Frauen lieferten sich ein Funken sprühendes Blickduell, das den Hylianer genervt aufseufzen ließ. Um die Zwei von ihrem Zickenkrieg abzulenken, bat er: „Hättest du dann freundlicherweise die Güte, mich zu heilen? Ich kann kaum noch aufrecht stehen, weil mir alles wehtut.“ „Sicher.“ Die alte Fee nickte, fügte dann jedoch an: „Allerdings sind meine Kräfte nicht so unbegrenzt wie die unserer Königinnen. Vielleicht bin ich nur in der Lage dazu, deine Schmerzen zu lindern. Aber lass es uns einfach ausprobieren – dein Zustand wird sich auf jeden Fall bessern. Das verspreche ich.“ Dann legte sie ihre winzigen Hände auf Links Kopf und schloss die Augen, um sich auf den Heilzauber zu konzentrieren. Langsam schwand die bleierne Müdigkeit aus den Gliedern des Recken und seine Wunden zogen sich kribbelnd zusammen. Das warme Gefühl in seinem Körper genießend blickte Link sich zum ersten Mal bewusst um. Vorher war er zu benommen gewesen, um seine Umgebung wirklich wahrzunehmen. Die kleine Gruppe befand sich auf einer schmalen Sandbank, die sich – den vereinzelten Büschen und Gräsern, die um den Recken herum wuchsen, nach zu schließen – schon vor langen Jahren angehäuft hatte. Die kleine Insel befand sich knappe fünf Meter vor einer gefliesten Steinterrasse, von wo aus ein Weg weiter in den Tempel hinein zu führen schien, und flussabwärts erhob sich die gefurchte Wand des Berges, in dem sie sich befanden. Glitzernder Schweiß rann über die Stirn der alten Fee, als plötzlich ein gellender, markerschütternder Schrei ertönte und die Stille zerriss. Erschrocken blickten alle Drei in die Richtung, aus der der Laut erklungen war, und lauschten angespannt auf weitere Rufe, die jedoch ausblieben. Der Herr der Zeiten verlor sämtliche Farbe im Gesicht, als er die Besitzerin der Stimme anhand seiner Erinnerungen identifizierte, blickte seine Fee aus riesigen, schockgeweiteten Augen an und keuchte tonlos vor Entsetzen: „Oh nein! Navi, das war Impa!“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)