Ocarina of Time von Labrynna ================================================================================ Kapitel 41: Der Fluch des Wächters ---------------------------------- In der Mitte des Raumes stand ein schrecklich abstoßend aussehendes Wesen mit hohem Buckel, einem schlangenartigen, langen Hals, dünnen Ärmchen und kleinem Kopf, dessen entfernt humanoid wirkendes Gesicht durch den leicht herunterhängenden, zu großen Unterkiefer fratzenhaft entstellt war. Doch die Abscheu, die Link langsam durch die Adern kroch und seinen Magen schmerzhaft krampfen ließ, lag weniger an dem schaurigen Aussehen des Monsters als vielmehr an dem, was es in den Händen hielt: einen menschlichen Kopf. Er war offenbar mit Gewalt vom Rumpf getrennt worden, denn am Hals ragte ein gesplittertes Stück Wirbelsäule heraus. Die fleckige Haut, die sich über den Schädel spannte, war erschreckend grau und wies an Wangen und Stirn klaffende Risswunden auf. Diese stammten vermutlich von den gebogenen Klauen, die sich anstelle von Fingern an den Händen des Monsters befanden. Im Leben hatte wohl schütteres, weißes Haar das Haupt bedeckt, doch nun war die Schädeldecke aufgebrochen und das Monster fuhr immer wieder mit der Zunge in das Kopfinnere hinein. Das schmatzende Geräusch erfüllte Link und seine Fee mit solchem Ekel und Horror, dass sie regelrecht erstarrten. Am liebsten wäre der junge Held davongelaufen oder hätte zumindest gerne die Augen abgewendet, aber das Grauen, dem er sich gegenübersah, hatte ihn dermaßen paralysiert, dass er nicht einmal das schaffte. Plötzlich riss das Monster seinen Kopf in die Höhe und schien zu wittern, wobei es Link langsam sein Gesicht mit den blind wirkenden, blassblauen Augen zuwandte. Dieser registrierte die Gefahr, in der er sich plötzlich befand, jedoch gar nicht und starrte stattdessen mit schneeweißen, vollkommen blutleeren Wangen auf den aufgebrochenen Schädel in den Klauenhänden des Monsters. Jetzt, wo das abscheuliche Wesen aufgehört hatte, sich an seinem Mahl zu laben, konnte der Junge direkt auf die zertrümmerte Schädeldecke und ins Innere blicken. Über die scharfkantig wirkenden Bruchstellen hingen dünne Fäden aus gräulichem Glibber, der auch im Schädel hin und her schwappte. Nur verzögert wurde Link klar, dass es sich hierbei um Hirnmasse handelte und dass sich das Monster zuvor daran gütlich getan hatte. Nun warf das sonderbare Wesen seine Mahlzeit jedoch weg und kam langsam auf den Jungen zu, wobei die gewaltige Fettschürze seines Bauches so tief hinabhing, dass es aussah als hätte es gar keine Füße. Die fast unhörbaren Schrittgeräusche verstärkten diesen Eindruck noch. Je näher das Monster kam, desto stärker wurde Links Widerwille ihm gegenüber, aber noch immer konnte der paralysierte Recke sich nicht rühren. Dicke Sabberfäden hingen dem Monster an den Seiten des gewaltigen Unterkiefers herab und glänzten matt im Schein von Navis Feenglanz, der gedämpft durch die Maschen von Links Kopfbedeckung strahlte. Jene saß stumm und starr unter Links Mütze und hatte sich tröstend die Arme um den Oberkörper gelegt. Sie wusste nicht, was Link am Ende des Schachts entdeckt hatte, doch seine plötzliche Unbewegtheit, bereitete ihr Kopfzerbrechen. Nur zu gerne hätte sie unter dem Mützensaum hervorgelugt und geschaut, was ihren Schützling so hatte versteinern lassen, aber sie fürchtete sich zu sehr vor dem, was sie womöglich zu sehen bekommen könnte. Link hatte sich zwar noch nie kopfüber in jede sich bietende Gefahr gestürzt, sondern hatte lieber erst in Ruhe über die sich ihm bietenden Möglichkeiten nachgedacht, doch bislang hatte er sich im Endeffekt jeder Herausforderung gestellt – egal wie einschüchternd sie gewirkt haben mochte. Dass er nun vor Schreck wie erstarrt war, bereitete Navi Panik. Dennoch zwang sie sich schließlich dazu über ihren Schatten zu springen und wagte sich aus ihrem Versteck. Der Anblick des Monsters, das mit seiner Abscheulichkeit bereits Link gebannt hatte, ließ die junge Fee entsetzt und erschrocken aufschreien und wieder unter der schützenden Mütze verschwinden. Obwohl ihr Auftritt nur etwa einen Herzschlang lang andauerte, riss ihr schriller Schrei Link endlich aus seiner Taubheit – keine Sekunde zu früh! Gerade noch rechtzeitig entdeckte der Junge den langen, krallenbewehrten Arm, der auf ihn zu schnellte. Nur seinen fixen Reflexen war es zu verdanken, dass er sich mit einem schnellen Sprung zur Seite retten konnte. Bei der plötzlichen Bewegung quiekte Navi erneut auf und krallte sich in Links Haar fest, was diesen unangenehm an der Kopfhaut ziepte. Doch anstatt darauf zu achten, riss er sein Schwert aus der Scheide und hielt es abwehrend vor sich. „Was ist das für ein Vieh?!“, wimmerte Navi, die noch nie zuvor etwas dermaßen Hässliches gesehen hatte. „Ich habe keine Ahnung“, kam die prompte, angespannt klingende Antwort, „aber ich glaube, es will mein Gehirn fressen!“ Obwohl Link immer wieder auswich und seine im Feenlicht bedrohlich funkelnde Klinge zischend durch die Luft sausen ließ, kam das Monster beständig weiter auf ihn zu, wobei es ihm seine geblähten Nüstern entgegen hielt. Der junge Held fragte sich inzwischen, ob sein Gegner nicht nur blind, sondern auch noch taub war. Navi machte ein würgendes Geräusch und kam vor Ekel gar nicht auf die Idee, einen gemeinen Witz zu machen, obwohl sich das Interesse des Monsters an Links Hirn dafür geradezu anbot. „Hör endlich auf, wegzulaufen und mach etwas gegen dieses Vieh!“ Die Worte kamen Navi patziger und schroffer über die Lippen als sie es eigentlich hatte klingen lassen wollen, doch da immer neue Übelkeitswellen ihr den Hals abschnürten, hatte sie kaum Zeit ein paar Sätze zwischen den Zähnen hindurch zu quetschen. Glücklicherweise widmete der Junge ihrem Tonfall kaum Aufmerksamkeit. Er war viel zu sehr damit beschäftigt, darüber nachzudenken, wie ein Angriff am geschicktesten wäre. Der wabbelig wirkende Körper des Angreifers war mit einer schleimig aussehenden, leicht glänzenden Haut überzogen und erinnerte den jungen Helden an das räuberische Monster aus dem Wassertempel. Jenes zu töten, hatte all seine Kraft erfordert, was Link nun ernsthafte Sorgen machte. Bei der Begegnung mit dem glibberigen Dieb war er ein kräftiger, junger Mann gewesen und hatte über das unglaublich scharfe Master-Schwert verfügt. Nun aber war er nur ein Kind und seine kurze Waffe war kaum besser als ein Küchenmesser. Sollte sich das Fleisch des Gehirnfressers als ähnlich zäh erweisen wie bei dem Monster im Wassertempel, wäre er ziemlich aufgeschmissen. Zudem schnürte der allgegenwärtige Gestank ihm noch immer die Luft ab, was zusätzlich dazu beitrug, dass Link einem möglichen Kampf nicht gerade mit Zuversicht entgegenblickte. Doch als er plötzlich mit dem Rücken gegen eine Wand stieß, blieb ihm gar keine andere Wahl mehr. In die Ecke gedrängt umklammerte er das Schwertheft in seinen Händen und rammte die Füße in den Boden. Das Monster war inzwischen so nah, dass Link trotz der dürftigen Lichtverhältnisse erkennen konnte, dass die Haut des Gehirnfressers aus zahlreichen kleinen Schuppen bestand. Mit geblähten Nüstern und aufgesperrtem Maul fixierte der Angreifer seine vermeintliche Beute und streckte die Arme nach dem angewiderten Jungen aus. Link wollte gerade mit einem gezielten Hieb eine der Klauenhände abtrennen, als ihm etwas ins Auge stach. Um den schlangenartigen Hals trug der Gehirnfresser eine schmale Lederkette, an der ein erstaunlich großer Anhänger befestigt war. Das Schmuckstück schimmerte wie lilaeingefärbtes Glas und war in etwa so lang wie Links halber Unterarm. Das obere Stück war verdickt, fast rund und von drei wie Dornen aussehenden Ausläufern geschmückt. Der irritierende Schmuck war so unerwartet, dass er den jungen Helden vollkommen ablenkte. Ohne sich dessen wirklich bewusst zu sein, ließ Link sein Schwert sinken und starrte auf den überdimensionierten, lupenförmigen Kettenanhänger. „Navi, was ist das da um seinen Hals?“ Die Fee seufzte tief auf, als sie ihren Namen hörte. Nach dem Schock, den sie durch den Anblick des Gehirnfressers erlitten hatte, hatte sie keine große Lust noch einmal den Kopf unter der Mütze hervorzustrecken, um sich anzusehen, was Link meinte. „Komm schon, Navi, altes Mädchen, du kannst das!“, sprach sie sich selbst Mut zu, bevor sie den Mützensaum ein wenig anhob und das Schmuckstück in Augenschein nahm. Der faulige Atem des Gehirnfressers, der Link inzwischen fast erreicht hatte, schlug der Fee ins Gesicht und ließ sie die Nase kraus ziehen, doch die Erkenntnis, die ihren Geist durchzuckte, täuschte über den üblen Gestank hinweg. Überrascht und ungläubig rief sie aus: „Ich glaube, das ist das Auge der Wahrheit!“ Link blinzelte ungläubig und besah sich den sonderbaren Schmuck erneut, wobei sich Erstaunen in ihm breit machte. Wenn man genau hinsah, fiel auf, dass das gefärbte Glas so geschliffen worden war, dass in der Mitte eine Rille entstanden war, die wie eine geschlitzte Pupille anmutete. Mit etwas Phantasie konnte man in dem Anhänger tatsächlich ein bedrohlich und monströs wirkendes Auge erkennen. Gerade, als der junge Recke seine Begeisterung darüber kundtun wollte, wurde er plötzlich von den eiskalten, klauenhaften Händen des Gehirnfressers gepackt. Augenblicklich schoss Link das Adrenalin ins Blut und er versuchte, seinen Schwertarm zu heben und um sich zu schlagen, aber der Griff des Monsters war viel zu fest und unerbittlich Verzweifelt wand der Junge sich hin und her und beobachtete mit panisch aufgerissenen Augen wie das Monster allmählich seinen kleinen Kopf senkte und sich mit einer lilafarbenen, schlangenartig gespaltenen Zunge über die wulstigen Lippen strich. Navi, die längst gemerkt hatte, dass ihr Schützling in Bedrängnis geraten war, wagte erneut einen Blick unter dem Mützensaum hinweg. Als sie das bedrohlich nahe, scheußliche Gesicht des Monsters entdeckte, fuhr ihr der Schreck in sämtliche Glieder und sie wich entsetzt zurück. Doch gleich im nächsten Moment brach ihr ausgeprägter Beschützerinstinkt hervor und sie kratzte all ihren Mut zusammen, um sich auf den abscheulichen Angreifer zu stürzen. Dieser zeigte sich von dem fuchsteufelswilden Lichtball, der ihm wie eine Schmeißfliege ums Gesicht surrte, jedoch gänzlich unbeeindruckt. Stattdessen riss er mit einem schmatzenden Geräusch das erbärmlich stinkende Maul auf, was Link vollständig erbleichen ließ. Wie hatte er nur so unvorsichtig sein können?! Jetzt wurde ihm womöglich der Schädel aufgeknackt und das nur, weil er sich von einem glitzernden Schmuckstück hatte ablenken lassen und seine Deckung vernachlässigt hatte… Während der Gehirnfresser seine schleimige Zunge langsam über die Schläfe des unglücklichen Jungen gleiten ließ, begann Navi mit aller Kraft an der Kette des Monsters zu ziehen. Vielleicht, so hoffte sie, würde das Monstrum von Link ablassen, wenn sie es würgte. Tatsächlich schien der Gehirnfresser von den Bemühungen der Fee jedoch nicht einmal etwas zu bemerken, während er seine Zunge weiter über Links Kopf wandern ließ, weshalb dieser das Gesicht zu einer von Angst und Ekel bestimmten Fratze verzog. Dennoch stemmte Navi ihre kleinen Füße in das wabbelige Nackenfleisch des Monsters und zog mit ihrem vollen Gewicht, bis ihr die Hände schmerzten und goldener Schweiß auf der Stirn stand. Sie war bereits vollkommen aus der Puste, als plötzlich etwas Unvorhergesehenes passierte: das Lederband riss. Wie in Zeitlupe löste sich das Auge der Wahrheit vom Hals des Gehirnfressers und fiel dann mit zunehmender Geschwindigkeit zu Boden, wo es mit einem scheppernden Geräusch aufschlug. Einen Herzschlag lang sorgte Link sich darum, ob das wichtige Relikt den Sturz wohl unbeschadet überstanden haben mochte, doch dann wandte er seine Aufmerksamkeit wieder dringlicheren Problemen zu. Zu seiner großen Überraschung ließ der Gehirnfresser jedoch plötzlich von ihm ab, fasste sich mit einem gequält wirkenden Gesichtsausdruck an den Kopf und stieß einen markerschütternden, schrillen Schrei aus. Noch bevor Link registrieren konnte, was geschah, begannen feine, lilagraue Rauchsäulen von der Haut des Monsters aufzusteigen und die Gestalt des Gehirnfressers sackte mit grauenhaften, knackenden Geräuschen in sich zusammen. Der junge Held und seine Fee starrten mit weitaufgerissenen Augen auf das sich ihnen bietende Schauspiel, obwohl sie am liebsten so schnell wie möglich davon gelaufen wären, um dem Grauen zu entgehen. Ihre Herzen schlugen ihnen bis zum Hals, während sie beobachteten, wie der Gehirnfresser leblos zu Boden sank und ein durscheinender Schemen mit menschlicher Statur und Zügen aus dem Körper des Monsters erhob. Ein Geist! Link und Navi tauschten überraschte Seitenblicke und wichen ängstlich zurück, wobei der Junge das Auge der Wahrheit mit dem Fuß über den Boden zog. Erst in sicherer Entfernung bückte er sich nach dem mächtigen Relikt und stellte erleichtert fest, dass es unbeschadet war und nicht einmal einen Kratzer aufwies. Unterdessen beobachtete der plötzlich aufgetauchte Geist die beiden Abenteurer aus wachsamen Augen, doch erst, als Link sich anschickte einen ersten Blick durch das lilafarbene Glas zu werfen, sprach das Gespenst ihn an: „Du tätest gut daran, das Auge der Wahrheit nicht zu nutzen.“ Verblüfft ließ der Junge seinen neuen Schatz wieder sinken und fragte irritiert zurück: „Warum? Und wer bist du überhaupt?!“ Der Geist schien tief Luft zu holen, bevor er mit matter, traurig klingender Stimme erklärte: „Einst war ich ein reicher Handelsmann und gehörte dem Volke der Shiekah an. Auf einer meiner Reisen machte ich die Bekanntschaft einer Hexe aus der Gerudowüste, die mir das Auge der Wahrheit verkaufte. Zunächst war meine Freude grenzenlos, da ich glaubte, meinen Konkurrenten nun endgültig überlegen zu sein. Doch schon bald bemerkte ich, wie ich immer mehr in den Bann des Auges geriet und meine Persönlichkeit sich zu ändern begann. Selbst nach meinem Tod trieben mich die Sucht nach Allwissenheit und die Angst um, jemand könne mir mein wertvolles Relikt abnehmen, sodass ich zu jenem Monster wurde, dessen du ansichtig geworden bist. Dem Auge der Wahrheit haftet ein Fluch an, mein Kind. Wirf es weg, so lange du noch kannst.“ Während der kurzen Geschichte des ehemaligen Reliktbesitzers hatte Link aufmerksam gelauscht, doch nun schüttelte er heftig den Kopf, während Navi sich mal wieder auf seiner Schulter niederließ. „Ich weiß deine Warnung zu schätzen, aber ich brauche das Auge der Wahrheit, um in den Schattentempel vorzudringen. Eine Freundin braucht meine Hilfe.“ Der Geist betrachtete den jungen Helden mit neuem Interesse und schwebte ein wenig auf ihn zu, was Link skeptisch zurückweichen ließ. „Du hast kein Interesse daran, das Auge der Wahrheit zu nutzen, um deinen eigenen geistigen und weltlichen Besitz zu mehren?“ Wieder schüttelte der Recke nur verneinend den Kopf, was dem Gespenst eine nachdenkliche Miene aufs Gesicht zauberte. „Vielleicht ist das die einzige Möglichkeit, um dem Fluch zu entgehen: Edelmut und Selbstlosigkeit… Ich wünsche dir jedenfalls gutes Gelingen!“ Mit diesen Worten begann der Geist sich mit einem seligen Lächeln aufzulösen. Kurz bevor er gänzlich verschwunden und ins Jenseits hinüber gegangen war, flüsterte er noch: „Ich danke dir, dass du den Fluch von mir genommen hast, tapferer Recke!“ Nachdem der Geist sich vollständig aufgelöst hatte, verstaute Link das Auge der Wahrheit in seinem Wunderbeutel und machte sich mit einem unguten Gefühl im Magen auf den Rückweg. Was sollte er bloß tun, sollte er von dem Fluch erwischt werden? Er konnte nur hoffen, dass die Vermutung des Geistes zutreffend war und seine Gesinnung ihn tatsächlich retten würde. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)