Ocarina of Time von Labrynna ================================================================================ Kapitel 36: Doppelgänger ------------------------ Dicke Nebelschwaden waberten kurz über dem einige Zentimeter gefluteten Boden und verkürzten Links Sicht auf wenige Meter. Unbehaglich zog dieser die Schultern hoch und umfasste das Heft des Master-Schwerts fester, um bei einer möglichen Attacke bereits zum Zurückschlagen bereit zu sein. Das unregelmäßige Tropfen von herabfallendem Wasser erklang aus mehreren Ecken des Raums und verwob sich mit dem zögerlichen Patschen von Links Schritten zu einer schaurigen Hintergrundmusik. Unwillkürlich musste der junge Held an die Gruselgeschichten denken, die Mido früher so gerne am Lagerfeuer erzählt hatte. Ganz besonders eine Geschichte, die von aus dem Nichts auftauchenden Seelenräubern gehandelt hatte, wollte ihm nicht mehr aus dem Sinn gehen. Mit wild schlagendem Herzen starrte er noch angestrengter in die undurchdringlich wirkenden Schwaden und wischte sich mit der flachen Hand über die Stirn. Doch ob es sich bei den feinen Tröpfchen auf seiner Haut um kondensierten Nebel oder kalten Angstschweiß handelte, vermochte er nicht zu sagen. Nach mehreren Minuten, als Link schon befürchtete, er würde aus Orientierungslosigkeit im Kreis laufen, schimmerte in einiger Entfernung ein riesiger, dunkler Schemen durch die Tiefen der Nebelschwaden, fast so wie ein Taucher, der sich anschickte die Wasseroberfläche zu durchbrechen. Irgendwie wirkte der Schatten bedrohlich auf Link, doch seine Neugierde war größer als die warnende Stimme in seinem Hinterkopf. Zudem hegte er die Hoffnung, dort hinten endlich einen Weg aus diesem merkwürdigen Raum heraus zu finden. Während Link entschlossen voranschritt, wobei er seinen Blick fest auf seine Entdeckung geheftet hielt, um nicht die Orientierung zu verlieren, schälten sich immer mehr neue Einzelheiten aus dem Nebel. Bald schon wurde aus dem länglichen, hohen Schatten ein verdorrter, verkrüppelter Baum mit knorriger Rinde und kurzen, knotigen Ästen. Mit einem Schaudern bemerkte Link, dass die vereinzelten Blätter teilweise schon am Baum verrottet waren und nur noch als Gerippe an den dünnen Zweigen hingen. „Ein Geisterbaum…“, schoss es ihm unwillkürlich durch den Kopf und er wandte sich schnell von dem traurigen Anblick ab, um einen mit in verschiedenen Blautönen bemalten Fliesen geschmückten Vorbau zu betrachten, der von der reinweißen Wand in den Raum ragte. Der Nebel war auf dem kalten Porzellan der Fliesen zu feinen Wassertröpfchen kondensiert, was bei besseren Lichtverhältnissen sicherlich hübsch geglitzert hätte. So aber waren die im Raum verteilten Fackeln zu weit entfernt und ihr Feuer schimmerte lediglich wie eine fast vergessene Erinnerung als leicht zuckende Lichtpunkte durch die Nebelschwaden hindurch. Ein Teil von Links Unterbewusstsein beschäftigte sich schon länger mit der Frage, wie es möglich war, dass es trotzdem noch einigermaßen hell im Raum war. Wichtiger als solche Grübelfragen war jedoch die Tatsache, dass Link endlich die aus dem Raum herausführende Tür gefunden hatte. Das glatte Holz war wunderschön mit dunklen Rottönen bemalt und sogar mit Applikationen aus Blattgold verziert, aber die massiven Eisenstangen, die vor dem Türblatt in die Höhe ragten und ein Passieren unmöglich machten, dämpften Links Laune sehr. Nachdem er kräftig an den Stäben gerüttelt und sich vergewissert hatte, dass es ihm nicht möglich sein würde, sie mit Gewalt zu entfernen, begann er behutsam mit den Fingern über die bemalten Fliesen zu streichen. Irgendwo hier musste ein Schalter sein, der die Eisenstangen würde verschwinden lassen. Gerade, als er eine besonders aufwendig gemalte Blume, deren Kelch fast so groß war wie seine Daumenkuppe und irgendwie hervorzustehen schien, entdeckt hatte, ertönte direkt hinter ihm plötzlich ein bedrohlich klingendes Lachen. Erschrocken wirbelte der Herr der Zeit herum und blickte in… seine eigenen Augen! Erst nach einer unendlich langen Schrecksekunde, in der sein Herz aussetzte, wurde Link bewusst, dass dies nicht nur vollkommen unmöglich war, sondern dieses seinem eigenen so ähnliche Augenpaar ein rötliches Glimmen in den Iriden hatte, das bei ihm selbst fehlte. Der Augenbesitzer lachte erneut auf und Link bemerkte jetzt erst, dass der Fremde nicht nur beängstigend ähnliche Augen hatte, sondern ihm insgesamt fast bis aufs Haar glich. Er war genauso groß und von gleicher Statur, hatte die gleiche Gesichtsform und -züge und sein ebenfalls braunes Haupthaar wurde von den gleichen blassblonden Strähnen durchzogen und war ebenfalls in einem kurzen Zopf zurückgebunden, sodass die vorderen Strähnen locker vor den langen Ohren hingen. Sogar die Kleidung war beinahe identisch, nur dass die kostbar aussehende Tunika des Fremden aus schwarzem Samt geschneidert war. Für einen kurzen Moment fragte Link sich, ob er womöglich einen Zwillingsbruder hatte, von dem der Deku-Baum entweder nichts gewusst oder erwähnt hatte, aber dann fiel sein Blick auf die Waffe in der linken Hand seines Gegenübers und er erschrak noch heftiger als zuvor. Heft und Schneide waren absolut identisch, doch während Links Master-Schwert selbst bei schlechtem Licht immer glänzte als würde ein Sonnenstrahl über den polierten Stahl tanzen, schimmerte die Klinge des anderen schwarz und bedrohlich. Schaudernd dachte Link, das Schwert seines Gegenübers wirke als würde die Dunkelheit selbst in dem matten Metall pulsieren. Instinktiv wich der Herr der Zeiten einen Schritt zurück und stieß gegen die Eisenstangen hinter sich, wobei der Hylia-Schild, den er noch auf dem Rücken trug, ein schepperndes Geräusch erzeugte, das fast wie zwei aufeinander treffende Klingen klang. Der Fremde verzog einen Mundwinkel zu einem schiefen Grinsen und das Rötliche in seinen Augen nahm an Intensität zu. Eiskalte Furcht kroch Link das Rückgrat entlang nach oben und griff nach seinem Herzen, das so heftig schlug als wolle es aus seinem knochigen Gefängnis ausbrechen. „W-Wer bist du?“ Obwohl Link sich große Mühe gab, unbeeindruckt zu klingen, konnte er nicht verhindern, dass seine Stimme brach und er neu ansetzen musste. Das Grinsen seines Gegenübers wurde noch eine Spur breiter, als er antwortete: „Ich bin du.“ Seine Stimme klang kräftig und voll und wies starke Ähnlichkeit zu der des Herrn der Zeiten auf, war jedoch ein wenig tiefer. Link interessierte dies jedoch nur noch herzlich wenig. Er wurde langsam wütend. Wütend auf sich selbst und seine lähmende Angst vor dem Fremden. Wütend auf diesen mysteriösen Mann und sein hämisches Grinsen. Wütend auf Ganondorf, der an allem schuld war. Wütend auf sein eigenes Schicksal, das ihn hierher gebracht hatte. Wütend auf die Göttinnen, die mit ihrem Triforce überhaupt erst dafür gesorgt hatten, dass eine solche Situation entstehen konnte! Um seinem Zorn Luft zu machen, schleuderte Link seinem Doppelgänger entgegen: „Ich würde niemals so ein lächerliches Samtröckchen anziehen. Du siehst aus als wärst du einer Travestie-Vorstellung eines Jahrmarkts entlaufen!“ Kaum hatten diese Worte seine Lippen verlassen, merkte Link wie sich seine innere Blockade löste so als würden die Flammen seines Zorns sie verbrennen und auch sein Herzschlag verlangsamte sich wieder. Wut war schon immer sehr nützlich gewesen, wenn es darum ging, Angst zu verdrängen… Der junge Krieger ließ das Master-Schwert mit einer lockeren Bewegung am Heft um seinen Finger kreisen und machte ein finsteres Gesicht, um dem Fremden zu drohen. Es sollte so viel heißen wie: Sieh, ich bin geschickt im Umgang mit Waffen und habe keine Angst vor dir – nimm dich in Acht. Doch der Andere schaute nur gelangweilt zu ihm herüber. „Ich glaube, du missverstehst mich. Ich bin deine dunkle Seite, dein Schatten.“ Link verengte die Augen zu Schlitzen und funkelte seinen Gegenüber an. Was sollte diese «Ich bin du»-Masche? Während die beiden Männer sich gegenseitig anstarrten, die Hefte ihrer Schwerter fest umklammert, nagte etwas an Link. Irgendetwas an den Augen des Fremden kam ihm merkwürdig vertraut vor und das hatte nichts damit zu tun, dass sie seinen eigenen derart ähnlich sahen. Der Fremde drehte die Schultern und wiegte den Kopf hin und her so als wolle er seine Muskeln vor einem Angriff gründlich lockern. Link beobachtete ihn ein wenig amüsiert, als ihm plötzlich ein Licht aufging. Jetzt wusste er, wo er solche Augen mit dem Rotschimmer in den Iriden schon mal gesehen hatte: bei Phantom-Ganon! Es waren Dämonenaugen! Als ihm bewusst wurde, was dies bedeutete, ließ er vor Überraschung beinah sein Schwert fallen: „Ganondorf hat eine Kopie von mir erschaffen?!“ In den Augen des dunklen Links flackerte etwas auf. „‚Kopie‘ ist das falsche Wort. Schließlich bin ich kein seelenloses Abbild von dir.“ Zorn flackerte in seiner Stimme auf. Offenbar konnte er es nicht ausstehen, als Kopie bezeichnet zu werden. Etwas ruhiger fuhr er fort: „Zudem habe ich meine eigenen Wünsche und Ziele, die auch nur bedingt mit denen Ganondorfs zusammenfallen. Sagen wir also lieber, ich bin dein Doppelgänger, bei dessen Auftauchen unser geschätzter Großmeister des Bösen ein wenig nachgeholfen hat. Aber ich bin keine seiner Kreaturen.“ Der Herr der Zeiten machte ein zweifelndes Gesicht. „Ach nein?“ „Natürlich nicht!“ „Weißt du, für mich klingt das aber sehr danach. Ganondorf hat dich geschaffen, also bist du seine Kreatur.“ Hass brandete über das Gesicht des Dunkelgekleideten. „Bin ich nicht! Ganondorf hat mich weder geschaffen, noch zum Leben erweckt. Er hat mich lediglich herübergeholt.“ Überrascht spitzte Link die Ohren. „Herübergeholt? Von wo?“ Sein Gegenüber schnaufte missbilligend so als hätte man ihn beleidigt. „Aus dem Schattenreich.“ Als Link ein ratloses Gesicht machte, fügte er bitter hinzu: „Ihr Mittelweltler seid so ignorant… Ihr lebt hier in dieser wundervollen Welt mit ihren grünen Wäldern, ihrem klaren Wasser, ihrer Artenvielfalt… Doch anstatt zu erkennen, wie gesegnet ihr seid, blickt ihr gedanklich immer nur zum Heiligen Reich, dem Lichtreich, herüber und sehnt euch nach Höherem. Dabei solltet ihr vielleicht einmal in die andere Richtung, aufs Schattenreich schauen. Dann würdet ihr vermutlich erkennen, wie gut ihr es habt.“ „Du meinst, es gibt neben unserer Welt und dem Heiligen Reich noch eine dritte Welt?“ Link konnte sich das kaum vorstellen, begriff er doch noch nicht einmal wirklich, was das Heilige Reich war. Doch nun stand angeblich ein Schattenweltler vor ihm und durchbohrte ihn mit dermaßen finsteren Blicken, dass er sich wegen seines Unwissens schuldig fühlte. Nickend fuhr dieser fort: „Das Schattenreich ist das Gegenstück zum Heiligen Reich. Diese beiden Welten bestehen schon seit dem Anbeginn der Zeit als zwei Seiten einer Medaille. Während das Lichtreich als Heimat der Göttinnen vor Leben nur so strotzt, darbt das Schattenreich, welchem die Dämonen und Schattenwesen entspringen. Das Land ist karg, der Himmel bleiern, das Wasser verschmutzt und Nahrung knapp. Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie das ist, dort zu leben, wo jeder jedermanns Feind ist, wo Eltern ihre Kinder schlachten, um zu überleben.“ Als Link sich vorstellte, ihn verschlüge es an einen solchen Ort, lief ihm ein eisiger Schauer über den Rücken und er hätte gerne das Thema gewechselt, aber sein Gegenüber fuhr unerbittlich fort: „Eure Welt hingegen ist noch vergleichsweise jung. Din, Farore und Nayru schufen sie eines Tages als eine Art Schutzwall zwischen Licht- und Schattenreich. Ihr seid also sozusagen zwischen Licht und Schatten eingeklemmt, zwischen Gut und Böse.“ Er grinste irgendwie anzüglich, sprach jedoch unbeirrt fort: „Vermutlich waren die Lichtwesen die ständigen Übergriffe der Schattenweltler leid. Ist ja auch lästig, wenn bei einem Festbankett plötzlich ein paar Bettler auftauchen…“ Der Hass und die Verbitterung in der Stimme des Fremden erschreckten Link, doch irgendwie konnte er sie gut nachvollziehen. In einer dermaßen trostlosen Welt wie dem Schattenreich mit dem Wissen groß zu werden, dass es irgendwo anders so viel besser war, musste unsäglichen Zorn heraufbeschwören. Er fragte sich, warum die Göttinnen sich wohl so verhalten hatten. Oder wollte ihm sein Gegenüber einen Bären aufbinden, ihm Sand in die Augen streuen und ihn von seinem Weg abbringen? Der Fremde konnte ja nicht wissen, dass Links geheime Motivation vor allem die Sorge um Zelda und weniger die Rettung des heiligen Triforce war. Als hätte er seine Gedanken gelesen, fragte der Fremde: „Das klingt so gar nicht nach den edlen Göttinnen, die in euren Geschichten beschrieben werden, nicht wahr?“ „In der Tat.“ Link wusste selbst nicht warum, aber seine Stimme hatte einen traurigen Unterton. Anscheinend war ihm die Vorstellung, die Schöpferinnen seiner Heimat seien reine Wesen ohne jegliche Hintergedanken, die aus reiner Güte heraus handelten, wichtiger als er gedacht hatte. Gerne hätte er protestiert und dem Schattenweltler Lügen vorgeworfen, aber er musste plötzlich an die Feenköniginnen denken, die Din an ihre Quellen gefesselt hatte. Schon als Kind hatte er diese Strafe von einer angeblich gütigen Göttin für seltsam hart und rachsüchtig gehalten. Als wolle er Links Glauben vollständig zerschmettern fuhr der Fremde fort: „Auch das Triforce ist eigentlich kein Zeichen für göttliche Gnade. Tatsächlich wollten Din, Farore und Nayru euch Mittelwelter gänzlich schutzlos lassen, doch ein paar feinfühlige Lichtwesen hatten wohl Mitleid mit euch und überredeten die Drei dazu, euch mit dem Triforce zumindest die Möglichkeit zur Verteidigung gegen Dämonen zu geben. Dass daraus auch eine große Bedrohung für euch erwuchs, haben sie wohl nicht gesehen.“ Link massierte sich mit kleinen, kreisenden Bewegungen die Nasenwurzel. Sein gesamtes Weltbild war gerade auf den Kopf gestellt worden und er fühlte sich durcheinander und verletzlich. Dennoch durfte er sich nicht ablenken lassen. „Also gut“, stieß er schließlich aus, „möglicherweise ist unsere Schöpfung nicht so abgelaufen wie ich bislang glaubte. Aber was hat das mit dir und mir zu tun?“ Der andere Mann zuckte die Schultern. „Nahezu jedes Individuum hat in den anderen Welten ein Pendant damit das Gesamtgefüge im Gleichgewicht bleibt.“ Überrascht riss der junge Held die Augen auf. „Willst du damit sagen, dass im Heiligen Reich ein dritter Link herum läuft?“ „Nein.“ Der Schattenweltler zog das erste N in die Länge, was den Eindruck erweckte, er gäbe dies nur ungern zu. „Du gehörst zu den Ausnahmen, die nur ein dunkles Abbild haben.“ „Aber warum?“ Der Herr der Zeiten blinzelte irritiert. „Als die Mittelwelt erschaffen wurde, haben sieben Lichtwesen beschlossen, dort zu leben und diese Welt zu beschützen. Es waren übrigens dieselben Wesen, die bereits das Triforce durchgesetzt hatten. Eigentlich sind Lichtwesen unsterblich, aber in der Mittelwelt, die zur Hälfte dämonischen Ursprungs ist, war ihr Körper dem Verfall ausgesetzt. Ihre Seelen jedoch lebten weiter. Eine Seele kann allerdings nicht lange ohne Körper sein. Deswegen suchen sich die Lichtwesen immer wieder neue, geeignete Körper, in denen sie sich einnisten und schlafen, bis sie gebraucht werden oder der Körper stirbt. Zu diesen Menschen, in deren Körper ein solches Lichtwesen lebt, gibt es im Heiligen Reich kein Gegenstück, da dieses Pendant im Körper selbst lebt. Verstehst du? Du bist sozusagen Mittelwelt-Link und Lichtreich-Link in einem.“ Der Schattenweltler erzählte noch etwas von einem Dämonenfürsten, dem ähnliches gelungen war, doch Link hörte ihm kaum noch zu. Die anderen sechs Lichtwesen mussten die Weisen sein, die in dieser Welt lebten! Endlich kam ihm in der Erzählung des Fremden etwas bekannt vor. Zudem kannte er endlich den Grund, warum der Herr der Zeit und die Weisen immer wieder geboren wurden: ihre Seelen stammten aus dem Lichtreich und waren unsterblich, auf ewig gefangen in ihrer Mission Hyrule und den Rest der Mittelwelt zu beschützen. „Ich denke, ich verstehe es.“ Seine Stimme klang sogar in seinen eigenen Ohren weit entfernt. „Aber eine Frage habe ich noch: Du hast vorhin gesagt, du hättest deine eigenen Ziele. Welche?“ Das Rot in den Augen des dunklen Link loderte auf und verlieh ihm ein bedrohliches Aussehen. „Ich will nie wieder zurück in die Schattenwelt. Ich will einen Platz in diesem Reich – deinen Platz!“ Und mit diesen Worten riss er sein Schwert in die Höhe und ließ die mächtige Klinge mit atemberaubender Geschwindigkeit auf Link herabsausen. Beinah hätte der Herr der Zeiten der tödlichen Attacke nicht mehr ausweichen können. Die scharfe Klinge zischte nur Millimeter von Links Schulter entfernt durch die Luft. Wenn Link sich auch nur den Bruchteil einer Sekunde später bewegt hätte, hätte der Schattenweltler ihm vermutlich mit nur einem Schlag den Rumpf gespalten. So schnell er konnte holte Link seinen Hylia-Schild hervor, um bei einem weiteren Angriff nicht bloß dumm guckend und schutzlos dazustehen. Wie hatte er sich bloß so von den Erzählungen von diesem bedrohlich wirkenden Mann einwickeln lassen können? Solche Anfängerfehler durften ihm einfach nicht passieren – schließlich war er der Herr der Zeit, der Hoffnungsträger ganz Hyrules! Mit einem grimmigen Knurren, das direkt aus seiner Brust zu kommen schien, legte er all seine Wut auf sich selbst in seinen Eröffnungsstreich. Vermutlich hätte die Wucht des Schlags dem Schatten-Link das Schwert aus der Hand geschlagen, aber dieser sprang mit einem eleganten Rückwärtssalto aus der Gefahrenzone anstatt den Angriff zu parieren. Dunkel lachend holte auch er seinen Schild hervor und bedachte seinen Gegner mit spöttischen Blicken: „Du wirst dir mehr einfallen lassen müssen, wenn du mich besiegen willst. Schließlich bin ich das perfekte Gegenstück zu dir – in jeder Beziehung.“ Eine Zeit lang schien es dem Schattenweltler ungeheuren Spaß zu machen, genau dies unter Beweis zu stellen: Wann immer Link eine Bewegung machte, kopierte sein Gegenüber diese mit geradezu lächerlicher Perfektion. Der Herr der Zeit fühlte sich beinah so als würde er mit seinem eigenen Spiegelbild kämpfen. Resignation machte sich in dem jungen Held breit, als er erkannte was dies bedeutete: Der Schattenweltler kannte nicht nur seinen Kampfstil so genau, dass er jede Attacke im Voraus ahnen und abblocken konnte, sondern auch jede von Links Schwächen, da sie seine eigenen waren. Alles deutete darauf hin, dass sich dieser Kampf allein durch Ausdauer entscheiden würde. Doch konnte es überhaupt einen Sieger geben, wenn sich die zwei Kämpfenden dermaßen glichen? Dumpfe Taubheit, die sich langsam in Links rechtem Unterarm breit machte, erinnerte ihn allerdings schon bald daran, dass sein Gegner und er sich tatsächlich gar nicht so identisch waren, wie es den Anschein hatte. Durch das Gewicht des massiven Hylia-Schilds hatte die zuvor zugezogene Risswunde wieder zu bluten begonnen. Dicke rote Tropfen fielen mit leisem Platschen herab und malten filigrane, rosa Muster auf den Wasserfilm am Boden. Lange würde der Herr der Zeiten den Schild nicht mehr hochhalten können. Schon jetzt hatte er seine liebe Mühe die Schläge des Schattenweltlers, der wie ein Berserker auf ihn eindrosch, zu parieren. Der düster wirkende Mann grinste bereits siegesgewiss, was ihm zusammen mit dem roten Glimmen in seinen Augen das Aussehen eines Geisteskranken verlieh. „Wenn Navi doch bloß nicht außer Gefecht wäre…“, schoss es Link durch den Kopf, als er erneut nur knapp einer Attacke ausweichen konnte und mit schockgeweiteten Augen auf die Haare blickte, die vor ihm zu Boden segelten. Die mattschwarze, erschreckend scharfe Schneide war ihm derart nah gewesen, dass sie eine seiner Haarsträhnen gestreift und gekürzt hatte. Sehnsüchtig dachte Link daran, wie viel einfacher der Kampf sein könnte, wenn seine Fee in der Lage gewesen wäre, den Gegner zu irritieren oder sogar abzulenken. Den Gegner irritieren? Eine Idee kratzte an Links Bewusstsein, doch er war inzwischen so entkräftet, dass er sie nicht wirklich zu fassen bekam. Sein Schildarm wurde allmählich völlig taub und der Schattenweltler trieb ihn zum gefühlt tausendsten Mal um den toten Gespensterbaum. Während Link die Erschöpfung bereits ins Gesicht geschrieben stand, wirkte sein Doppelgänger noch immer frisch und von einer schier unmenschlichen Energie getrieben. Gerade, als dieser sein Schwert hoch über den Kopf hob, um einen mächtigen, vertikalen Hieb vorzubereiten, stolperte Link über eine Wurzel und schlug lang hin. Der Schattenweltler grinste noch breiter und entblößte dabei seine erstaunlich weißen Zähne. „Sieh es endlich ein, du bist mir nicht gewachsen – nicht in dieser Verfassung.“ Link funkelte zu seinem Doppelgänger hinauf, der seine Klinge noch immer drohend erhoben hatte und lachte: „Jetzt guck doch nicht so wütend. Der Wassertempel hätte vermutlich jedem einiges abverlangt. Außerdem bist du verletzt.“ Der Schattenwelter legte den Kopf schief, was ihn wie ein jagendes Raubtier wirken ließ. „Ich frage mich, ob das hier immer noch wehtut.“ Mit diesen Worten trat er Link heftig gegen die Schuhsohle, genau an die Stelle, wo der Seeigel ihm in den Fuß gestochen hatte. Heißer Schmerz schoss dem Herrn der Zeiten bis hinauf in den Unterschenkel und er stöhnte laut auf, was seinem Gegner diebische Freude zu bereiten schien. „Wie ich es mir gedacht habe… Ich muss gestehen, dass ich beeindruckt bin. Du hättest es fast geschafft, dein Humpeln vor mir zu verbergen.“ Der düstere Doppelgänger drehte sein Schwert leicht hin und her und betrachtete versonnen die unglaublich scharfe Schneide, während Link versuchte, die durch seinen Körper pulsierenden Schmerzwellen in sein Unterbewusstsein zu verdrängen. Er durfte nicht zulassen, dass es hier und jetzt zu Ende ging, dass sein Schattenpendant seinen Platz einnahm. Was sollte denn dann aus Hyrule werden? Schatten-Link, der sich seiner selbst sehr sicher war, ließ seinen Schild fallen, um das Schwertheft mit beiden Händen zu umfassen. Dann drehte er seine Waffe so, dass die Klinge nach unten zeigte und direkt auf das Herz des am Boden Liegenden zielte. Offenbar wollte er seinen Gegner auf die Fliesen heften wie einen Schmetterling. Doch in genau diesem Moment drang die Idee von vorher endlich in Links Bewusstsein durch: Seine einzige Chance war es, seinen Doppelgänger dadurch zu irritieren, dass er ganz anders kämpfte als er es normalerweise tat. Er musste genau das Gegenteil von dem machen, was er normalerweise tun würde! „Irgendwelche letzten Worte?“ Der Schattenweltler verstärkte seinen Griff um den Schwertgriff und machte sich bereit zuzustechen. Offenbar rechnete er nicht damit, dass Link sich noch einmal zu einer Gegenattacke aufraffen konnte. Doch anstatt ruhig liegen zu bleiben und seinen Tod zu akzeptieren, schleuderte dieser ihm mit aller Kraft den fallengelassenen Schild entgegen und rief: „Ein Kampf ist erst vorbei, wenn er vorbei ist!“ Der massive Hylia-Schild erwischte den Doppelgänger an der Stirn, direkt über der rechten Augenbraue. Sofort platzte die Haut auf und ein Schwall purpurnes Blut schoss aus der Wunde. In breiten Bahnen lief es dem Schattenweltler, dessen Gesichtsausdruck zwischen Unglauben, Überraschung und grenzenloser Wut schwankte, ins Auge, wo es wie Feuer brannte. Einzig der Tatsache, dass er durch und durch Krieger war, war es geschuldet, dass er sein Schwert nicht fallen ließ, um sich die Hand auf die Platzwunde zu pressen. Link nutzte das kurze Überraschungsmoment, um wieder auf die Füße zu kommen. Abwehrend hielt er das Master-Schwert vor sich, während er fieberhaft überlegte, was er nun tun sollte. Er konnte sich kopflos auf seinen Gegner stürzen und wild auf ihn einschlagen, damit hätte dieser sicherlich nicht gerechnet. Doch die Irritation würde vermutlich nicht lange genug anhalten, um daraus Profit zu ziehen und kräftemäßig war sein Schattendoppelgänger ihm noch immer überlegen, auch wenn jener mit dem Blut im Auge wahrscheinlich nicht mehr besonders gut sah. Nein, er musste sich etwas anderes einfallen lassen… „Das wirst du bereuen! Ich wollte dir die Gnade eines schnellen Todes gewähren, da wir uns so ähnlich sind, doch nun werde ich dir beibringen, was es heißt zu leiden!“ Mit einem wilden Brüllen stürzte sich der Schattenweltler auf Link, der etwas unbeholfen nach hinten tänzelte. Seit dem Tritt gegen die Wunde in seiner Fußsohle schmerzte das Auftreten wieder sehr. Er brauchte schnell eine zündende Idee, bevor ihn seine Kräfte endgültig verließen. Während er den wilden, unkoordiniert wirkenden Schlägen seines rasenden Gegners auswich, ging er in Gedanken seine Ausrüstung durch. Während er die einzelnen Gegenstände vor seinem geistigen Auge sah, formte sich beinah wie von selbst ein Plan heraus und ein breites Grinsen stahl sich in sein Gesicht. Ein letztes Mal blockte Link einen Angriff seines Doppelgängers mit der Parierstange des Master-Schwerts und schob dieses dann zurück in seine Scheide, bevor er sich mit einem Sprung direkt neben den Geisterbaum katapultierte. Während der Schattenweltler angestürmt kam, steckte Link schnell seine Hand in seinen Wunderbeutel, holte einen Gegenstand hervor und schob die andere Hand in den Beutel. Als sein Doppelgänger seine Klinge auf ihn zu sausen ließ, bückte Link sich geschickt unter dem Schlag weg, sodass sich die Schneide tief ins trockene Holz des Stamms bohrte, wo sie stecken blieb. Doch das schien den Schattenweltler nicht besonders zu tangieren. Zwar zerrte er mit wütendem Gesichtsausdruck kurz am Heft, aber als dies nicht den gewünschten Erfolg brachte, zog er einfach ein anderes Schwert. Link war es bislang gar nicht aufgefallen, dass sein Gegner noch eine weitere Waffe dabei hatte, doch das spielte auch gar keine Rolle. Es war Zeit, die nächste Phase seines Plans zu starten. „Hier, fang!“ Mit einer geschmeidigen Bewegung warf Link seinem Doppelgänger einen runden, dunkel glänzenden Gegenstand zu. Im ersten Moment zuckte der Schattenweltler mit panischem Gesichtsausdruck zurück und ließ die schwarze Kugel mit lautem Patschen vor sich ins Wasser fallen. Aber einen Atemzug später hob er sie dann doch auf, wobei sich seine Miene wieder deutlich aufhellte. „Dir ist bewusst, dass eine Bombe nicht explodiert, wenn man ihre Lunte nicht entzündet, oder?“ Die Stimme des Schattenweltlers troff vor Spott und Hohn, aber das prallte an Link einfach ab. Grinsend hob er die linke Hand und ließ seinen Gegner einen Blick auf den glitzernden Gegenstand werfen, den er zuerst aus seinem Wunderbeutel geholt hatte. „Ja, das ist mir vollkommen klar.“ Um seine Worte zu unterstreichen, nickte Link, während sein Schatten-Pendant alle Farbe im Gesicht verlor und die Bombe fallen ließ. Doch es war bereits zu spät… Link hatte Dins Feuersturm bereits aktiviert. In weniger als einer Sekunde barst eine gigantische Feuerfontäne aus der eigenartigen, kristallinen Hülle, wirbelte ohne ihn zu verbrennen um Link herum und breitete sich so rasend schnell im ganzen Raum aus, dass der Schattenweltler nicht einmal den Hauch einer Chance hatte, sich zu retten. Die fallengelassene Bombe hatte noch nicht einmal den Boden berührt, als die Feuerwand sie bereits erreichte und zur Detonation brachte. Der Schatten-Doppelgänger, der dem Explosionszentrum viel zu nah gewesen war, war augenblicklich tot – auseinandergerissen und verbrannt, sodass nur noch hauchfeine Asche von ihm übrigblieb. Link sank kraftlos in sich zusammen. Jetzt wusste er, was die Feenkönigin damit gemeint hatte, dass er vorsichtig im Umgang mit diesem mächtigen Zauber sein sollte. Er fühlte sich als wäre ihm jegliche Kraft entzogen worden. Sogar sein Herz, das während des Kampfes wild und heftig gehämmert hatte, schlug nun in einem langsamen, fast stotternden Rhythmus. Auch seine Augen offenzuhalten fiel ihm unnatürlich schwer, dabei war es durchaus lohnenswert. Der mächtige Feuersturm hatte sämtliches Wasser im Raum verdunsten lassen, sodass sich die undurchsichtigen Nebelschwaden vollständig aufgelöst hatten, und der Geisterbaum neben ihm brannte mit lautem Knacken, wodurch der gesamte Raum in ein warmes rotgoldenes Licht getaucht wurde. Obwohl er sich am liebsten zusammengerollt und an Ort und Stelle ein Nickerchen gehalten hätte, kämpfte Link sich auf die Füße. Er musste unbedingt weiter und Morpha finden, bevor Ruto es tat und sich in unsinnige Gefahr begab! Doch er hatte kaum zehn Schritte getan, als die Erschöpfung überhandnahm und sich tiefschwarze Ohnmacht über ihn senkte. Noch bevor er ganz registriert hatte, dass seine Beine unter ihm wegknickten, waren ihm die Sinne geschwunden und er stürzte wie ein gefällter Baum zu Boden, wo er liegen blieb. Nur wenige Herzschläge später stieg das erste, leise Schnarchen in die noch immer aufgeheizte Luft empor. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)