Ocarina of Time von Labrynna ================================================================================ Kapitel 11: Kakariko -------------------- „Zweiundachtzig... dreiundachtzig... vierundachtzig...“ Langsam schleppte Link sich die steile Treppe hinauf, die zu der kleinen, von Impa gegründeten Stadt führte. Kalte Abendluft umwehte seinen verschwitzten Körper und kühlte sein erhitztes Gesicht, während die letzten Sonnenstrahlen des Tages langsam von den Felsformationen im Westen geschluckt wurden. Navi hatte sich erschöpft in Links lange Zipfelmütze zurückgezogen, nachdem sie während seines Gewaltmarsches vom Kokiri-Dorf bis nach Kakariko tapfer neben ihm her geflogen war, und schnarchte leise. Link wischte sich mit einer unwirschen Handbewegung einige Strähnen aus dem Gesicht und atmete tief durch, als er nach siebenundachtzig schier endlos wirkenden Stufen endlich das Stadttor Kakarikos erreicht hatte. Neben dem Tor lehnte ein gähnender Soldat, der Link nur einen flüchtigen Blick zuwarf, bevor er einen Laib Brot aus einem hinter ihm liegenden Ledersack holte und sich seinem Abendessen widmete. Der Junge ging langsamen Schrittes durch die kleine Stadt und sah sich aufmerksam um. Kakariko war so viel kleiner als Hyrule-Stadt! Mit den wenigen Häusern und dem langgezogenen Mittelplatz, auf dem eine große Kiefer und ein Brunnen standen, war es kaum größer als ein Dorf. Ein paar Hühner liefen frei über den Platz, aus der Ferne drang ein gedämpftes Muhen an Links Ohren und der Duft von frisch zubereiteten Gerichten hing in der Luft. Link streckte sich und sog die kühle Luft tief in die Lungen. Hier fühlte er sich sehr viel wohler als in dem beengenden Durcheinander in Hyrule-Stadt – und sogar wohler als in der erdrückenden Vertrautheit des Kokiri-Waldes. Nach nur einer halben Stunde war sein Rundgang durch Kakariko beendet. Im Westen lag das Tor, durch das er am nächsten Tag den Weg zum Todesberg erreichen würde, und im Norden der Stadt war der Friedhof gelegen, von dem Impa erzählt hatte. Doch leider war weit und breit kein Hotel zu finden… Seufzend ließ Link sich unter der Kiefer nieder und streckte die müden Beine aus. „Na gut. Dann werden wir heute eben mal wieder unter freiem Himmel nächtigen.“ Er setzte vorsichtig die Mütze ab, um Navi nicht zu wecken und wollte sich gerade unter dem Baum zusammenrollen, als ein korpulenter Mann mittleren Alters an ihn herantrat. Der Mann machte ein unfreundliches Gesicht und zog die Augenbrauen zusammen, doch als er sprach, war seine Stimme sanft: „Was tust du denn da, Junge?“ „Wenn ich ehrlich sein soll, versuche ich, zu schlafen, Sir.“ „Du bist doch nicht etwa von Zuhause weggelaufen, oder?“ Link blickte den dicken Mann irritiert aus großen Augen an. „Äh... nein. Ich bin im Auftrag Prinzessin Zeldas auf Reisen.“ „Und warum schläfst du dann hier draußen? Du holst dir ja den Tod!“ Mit einer ausladenden Handbewegung zeigte Link auf Kakariko und seufzte. „Nun ja, es gibt hier keine einzige Gaststätte. Wo sollte ich denn Ihrer Meinung nach schlafen?“ Der Mann deutete auf das größte Haus der Stadt. Es war von ungefähr der doppelten Größe wie die anderen Häuser und war auf einem Hügel errichtet worden, sodass es alle anderen Häuser auf der Ostseite des Dorfes überragte. „Siehst du das Haus dort drüben? Das Große?“ Link nickte. „Dort wurde einst die ehrenhafte Impa geboren. Heute steht es für Reisende offen. Sag einfach, der Chef der Zimmerleute hätte dich geschickt – dann bekommst du bestimmt sogar noch etwas zu essen.“ Der Mann zwinkerte Link zu und schlenderte davon. Die Hausvorsteherin war eine schlanke, hochgewachsene, junge Frau mit einem freundlichen, runden Gesicht und bernsteinfarbenem, langem Haar. Sie hatte Link in ihr Herz geschlossen, sobald er etwas unsicher durch die Tür getreten war. Nun stand sie am Herd und rührte in einem Topf herrlich riechenden Eintopfs, während sie aus den Augenwinkeln verstohlen den Jungen beobachtete, der auf seinem Strohlager lag und gedankenverloren mit seinem Gürtel spielte. „Warum gehst du nicht ein wenig raus und schaust dir die Stadt an, bis das Essen fertig ist?“, schlug sie nach einigen Minuten vor. „Das hab ich schon getan, bevor ich hergekommen bin.“ „Warst du auch schon auf dem Friedhof?“ Link schüttelte den Kopf, wobei sein langes Haar, das er offen trug, sanfte Wellen in der Luft schlug. „Impa hat mir auch schon vorgeschlagen, ich solle mir den Friedhof ansehen. Aber was ist daran so besonders?“ „Die Shiekah sind dort begraben – ebenso wie die Mitglieder der königlichen Familie.“ „Die königliche Familie auch? Warum hier in Kakariko?“ Die junge Frau zuckte mit den Schultern. „So genau weiß ich es auch nicht. Sicher ist nur, dass die Shiekah ihre Toten hier schon bestattet haben, lange bevor sich Impas Familie hier niedergelassen hat. Angeblich haben sich die ersten Mitglieder der Königsfamilie hier beerdigen lassen, um ihre Verbundenheit zu den Shiekah zu demonstrieren. Irgendwann ist es dann zur Tradition geworden, die Königsfamilie auf dem Shiekah-Friedhof beizusetzen.“ Nachdem Link noch ein paar Minuten auf dem weichen Stroh gelegen hatte, hatte seine Neugier auf den so hoch gepriesenen und viel gerühmten Friedhof doch obsiegt. Jetzt schritt er langsam zwischen den Gräbern umher und sah sich aufmerksam um. Die meisten Grabsteine waren einfach gehalten und bestanden aus kaum behauenem Stein, in den ein Auge mit einer Träne gemeißelt worden war. Gedankenverloren strich Link über eines dieser Embleme, als hinter ihm eine Stimme ertönte: „Das ist das Zeichen der Shiekah.“ Der Junge zuckte vor Schreck zusammen und drehte sich blitzartig mit der Hand am Schwertgriff um. Hinter ihm stand ein fürchterlich hässlicher Mann, der ihn freundlich anlächelte. „Entschuldige. Ich wollte dich nicht erschrecken. Ich bin Boris, der Totengräber.“ Der Mann mit Glatze, Unterbiss und Klumpfuß hielt ihm die Hand hin und blickte ihn aufmunternd an. Link atmete einmal tief durch, um den Schrecken aus seinen Gliedern zu vertreiben und ergriff die ihm dargebotene, schwielige Hand. Dann wandte er sich wieder dem Grabstein zu, vor dem er stand. „Warum steht auf keinem dieser Gräber ein Name? Und was bedeutet dieses Auge?“ „Wie gesagt: Es ist das Zeichen der Shiekah. Der letzte eigene Regent dieses Volkes hat es entworfen, nachdem sein bester Freund durch seine Unaufmerksamkeit ermordet werden konnte.“ Link nickte langsam. „Ja, ich glaube, von diesem Mann hat Impa mir bereits erzählt, als ich sie danach fragte, warum die Shiekah der königlichen Familie der Hylianer treu ergeben sind.“ Nun war es der Totengräber, der nickte. „Das ist richtig. Er nannte sich selbst das Auge des zweigeteilten Königs. Aus diesem Grund trug er auch ein Auge in seinem Wappen. Nach seinem Versagen ergänzte er dieses mit einer Träne, um seiner Trauer Ausdruck zu verleihen. Anfangs war dieses Wappen nur den direkten Nachkommen jenes Mannes vorbehalten, welche die Blutschuld sühnen sollten. Doch im Laufe der Jahrhunderte hat sich das Zeichen und damit die Schuld auf alle Shiekah ausgebreitet.“ „Und warum steht auf keinem einzigen Stein ein Name?“ „Namen bedeuten den Shiekah nichts, genauso wenig wie Individualität. Alles, was für sie zählt, ist die Ehre ihres Volkes und die damit verbundene Aufgabe, die Königsfamilie zu schützen.“ „Welch ein trauriges Volk.“ Link strich erneut über die tiefen Rillen des weinenden Auges. „Ja, das sind sie. Ein tapferes, trauriges Volk. Aber ich bitte dich, mich jetzt zu entschuldigen. In ein paar Minuten kommen die ersten Menschen für meine berühmte Grab-Grusel-Tour und ich muss noch einige Dinge vorbereiten.“ Mit diesen Worten humpelte Boris in Richtung einer kleinen, windschiefen Holzhütte davon. Im nördlichsten Bereich des Friedhofs lagen die königlichen Gräber. Link stand auf das rechte Bein gestützt und überflog die Namen auf der großen Steintafel, als Navi gähnend aus seiner Mütze kroch. „Junge, Junge... ‚Zelda‘ scheint ein äußerst beliebter Name für die weiblichen Mitglieder der Familie zu sein.“ Link ging die Liste ein weiteres Mal durch und zählte, wie viele Prinzessinnen und Königinnen es mit diesem Namen bereits gegeben hatte, doch als seine Finger nicht mehr ausreichten, zuckte er mit den Schultern und kapitulierte. Neben der riesigen Familiengruft der Könige lagen zwei weitere Gräber, die ebenfalls mit aufwendig verzierten Grabsteinen geschmückt waren. Navi ließ sich auf einem von ihnen nieder und las mit verträumter Stimme das Gedicht vor, das in den Stein gehauen war: „Das Tageslicht, es schwindet bei Nacht, am Tag erst wird sein Feuer entfacht. Von Sonne zu Mond und zu Sonne erneut. Ewige Ruhe die Toten erfreut.“ Link neigte leicht den Kopf und sah zu seiner Fee herüber. „Das ist wirklich schön. Wessen Grabinschrift ist das?“ „Dieses Grab gehört einem der Gebrüder Bramstein“, erklärte Navi. „Das waren vor einigen Jahren die Komponisten des Königshofes. Es heißt, ihre Mutter sei eine Hexe gewesen und habe ihren beiden Söhnen einen Teil ihrer Fähigkeiten vererbt. Das Grab dort drüben gehört bestimmt dem Bruder.“ „Ob da auch so ein schönes Gedicht auf dem Grabstein steht?“ Link ging langsam auf das Grab zu und las: „‚Ruhelose Seelen wandern ohne Wonne, gib Frieden mit der Hymne der Sonne‘. Hey, da sind Noten in den Stein geritzt!“ Navi kam näher und ließ sich auf ihrem Lieblingsplatz auf Links Schulter nieder. „Meinst du, du kannst sie dir merken?“ Link betrachtete die kurze Tonabfolge einige Zeit und nickte dann. „Ja, merken schon, allerdings kann ich keine Noten lesen. Aber warum fragst du?“ „Nun ja...“ Unter ihrem silbrigen Glanz schien die zierliche Fee rot zu werden. „Ich liebe die Musik der Gebrüder Bramstein einfach. Ich kann mir nicht helfen. Und auch wenn eine einzelne Okarina vermutlich ein wenig ärmlich klingen wird, würde ich das Stück trotzdem gerne irgendwann einmal hören. Außerdem ist ja vielleicht doch was dran an den besonderen Fähigkeiten der Brüder und wenn ich der Grabinschrift trauen darf, hilft das Lied gegen Untote – so etwas ist bestimmt ungemein praktisch!“ Link grinste und schickte sich an, den Friedhof zu verlassen, um ein wenig zu essen und endlich zu schlafen, während Navi verträumt die kleine Melodie zu Ehren der Sonne vor sich hin summte. „Die Sache mit den Untoten ist dir doch völlig egal. Dir geht’s nur um die Musik. Hab ich Recht?“, neckte der Junge seine Begleitung. Diese saß stocksteif auf seiner Schulter, starrte ins Nichts und verstummte augenblicklich. Links Grinsen wurde noch eine Spur breiter. „Wusste ich’s doch. Wer hätte das gedacht? Meine Fee ist verliebt in tote Musiker...“ „Nur in ihre Musik, du Kunstbanause!“, korrigierte Navi aufgebracht. Da ihre Wangen jedoch gleichzeitig in einem dunklen Rot aufflammten, verfehlten ihre Worte ihren Zweck und ließen Link in schadenfrohes Gelächter ausbrechen anstatt ihm das Grinsen aus dem Gesicht zu wischen. „Ach, du hast doch keine Ahnung…“ Die Lippen hart aufeinandergepresst, die Hände zu Fäusten geballt und den Blick stur geradeaus gerichtet, versuchte Navi, die Häme ihres Freundes so würdevoll wie möglich über sich ergehen zu lassen. Auf dem Weg zurück zu seiner Unterkunft stolperte Link plötzlich und schlug hart auf den Boden auf. „Au! Was zum Henker–“ Wütend blickte er sich um und entdeckte schließlich den Übeltäter hinter einem Grabstein, den er gerade passiert hatte. Zwischen Gras und wilden Blumen versteckt, ragte ein eckiges Stück Metall aus dem Boden und brachte unachtsame Wanderer zu Fall. Link hockte sich neben den Grabstein und betrachtete das Metallstück, während er einen Finger unter den Saum seiner Mütze schob und sich am Hinterkopf kratzte. „Was das wohl ist?“ Rätselnd blickte er Navi an, die sich auf die Erde hatte schweben lassen und den merkwürdigen Fund zu Fuß umkreiste. „Sieht aus wie ein Hylia-Schild“, stellte die Fee fest und nickte bekräftigend. „Ein Schild?“ Link kaute auf der Unterlippe und dachte an das feueranfällige Stück Holz, das er bislang als Schutz benutzte und in Impas Haus zurückgelassen hatte. „Meinst du, er“, der Junge deutete auf den Grabstein, „würde es uns übel nehmen, wenn wir uns seinen Schild... ähm... ausleihen würden?“ Navi riss überrascht die Augen auf. „Das wäre Grabschändung!“ „Warum? Ich würde doch nur den Schild ausgraben – den netten Herren würde ich in Ruhe lassen.“ Link zog eine Unschuldsmiene und sah seine Fee so intensiv an als hoffte er, sie hypnotisieren zu können. Auf deren Gesicht machte sich nach einem kurzen Moment tatsächlich ein fieses Grinsen breit und sie tadelte mehr als halbherzig: „Du bist ein böser, böser Junge... Aber hey, selbst wenn der Besitzer was dagegen haben sollte – wir haben ein Lied gegen Untote.“ Link zog und zerrte an der herausragenden Ecke des Schildes, doch es rührte sich kaum. Keuchend ließ er sich auf den Hintern fallen und starrte missmutig vor sich hin. „Gibt’s dafür nicht vielleicht auch einen Feenzauber oder so?“ „Nein, tut mir leid. Du wirst dir die Hände schon schmutzig machen müssen, wenn du das Ding haben willst.“ Mit einem Seufzer schwang Link sich auf die Füße, nur um sich gleich darauf wieder neben den Schild zu knien und mit bloßen Händen die festgetretene Erde aufzubrechen. Als er das begehrte Stück endlich freigelegt hatte, war die Ernüchterung jedoch groß. „Das Ding ist ja viel zu groß!“ Mit vor Dreck starrenden Händen hielt Link den Schild vor sich und betrachtete es zweifelnd, während Navi sich vor Lachen bog. „Vielleicht kannst du’s ja als Schildkrötenpanzer benutzen.“ „Du hast das gewusst, oder?“, hakte Link nach, als sich ihm ein Verdacht aufdrängte. Die Fee grinste diabolisch und flötete zuckersüß: „Sieh es als Strafe dafür, dass du dich über mich lustig gemacht hast.“ Link warf ihr einen säuerlichen Blick zu, reinigte den verdreckten Schild so gut es ging mit einem Zipfel seiner Tunika und löste den kleinen, verzauberten Lederbeutel von seinem Gürtel. „Jetzt wollen wir mal sehen, wie gut dein Zauber wirklich ist.“ Ganz langsam und vorsichtig verstaute er den Schild, der fast zwanzigmal so groß wie der Beutel war, in dessen Innerem. „Unglaublich! Das klappt ja tatsächlich.“ Navi gab einen missbilligenden Ton von sich, sparte sich aber jeden weiteren Kommentar und flog stattdessen stumm in Richtung Stadt davon. Nach einigen Metern drehte sie sich allerdings wieder zu ihrem Schützling um und rief: „Was ist? Willst du hier Wurzeln schlagen?“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)