Every me and every you von Shinsekai_Yori ================================================================================ Kapitel 2: Old Friends ---------------------- Kapitel 2 – Old Friends „Chiaki-chan, wie schön, dich wieder hier zu haben!“ Euphorisch stürmt mir meine Mutter entgegen, nimmt mich fest in die Arme als hätte sie mich Ewigkeiten nicht mehr gesehen. „Schon gut, Mama, du erdrückst mich ja.“ „Lass unserer Tochter doch etwas Luft zum Atmen“, erklingt die Stimme meines Vaters. Stolz lächelt er mich an. Auch wenn er es nicht so zeigen will, spüre ich auch seine Freude über unser Wiedersehen. Für meine Eltern war es schwer als ich nach Tokio gegangen bin. Doch sie waren auch stolz auf mich. Im Haus riecht es nach Essen, meine Mutter hat mein Lieblingsgericht für mich gekocht. Gemeinsam lassen wir es uns schmecken. In ihrer Aufregung plappert mich meine Mutter voll. Lächelnd nehme ich es hin. Sie freut sich so, dass ich wieder da bin. Entspannt lehne ich mich zurück. Schließe kurz die Augen. Ich bin wieder zu Hause. „Hast du eigentlich schon gehört, dass Misaki-chan auch an eurer alten Schule Arbeit gefunden hat? Ich habe unlängst ihre Mutter getroffen, sie hat es mir erzählt.“ Mutter strahlt mich an. Innerlich zucke ich zusammen. Die ganze Zeit hatte ich es mir nicht erlaubt an sie zu denken. Dabei hätte ich es besser wissen müssen, dass ich ihr nicht ewig aus dem Weg gehen könnte. „Chiaki-chan, ist alles gut? Du siehst blass aus.“ Besorgt blicken mich meine Eltern an. Tatsächlich schwirrt mir der Kopf. Doch meine Eltern sollen sich nicht unnötig sorgen. Ich winke ab. „Nein, nein. Keine Sorge. Die Fahrt war wohl nur etwas anstrengend.“ Trotzdem stehe ich auf, entschuldige mich kurz, um ins Bad zu gehen. Im Badspiegel entdecke ich eine erschrockene junge Frau. Mit kaltem Wasser versuche ich mich wieder ins Hier und Jetzt zu befördern. Keine Panik, alles ist gut. Mir wird nichts passieren. Und doch bleibt da die Sorge vor dem nächsten Tag…vor einer Begegnung, der ich werde nicht lange ausweichen können. Wie erwartet, habe ich viel Zeit an diesem Tag mit meinen Eltern verbracht. Es ist spät als ich endlich in meiner Wohnung lande. Ungeachtet der Tatsache, dass ich am nächsten Morgen fit sein muss, lasse ich mir ein Bad ein. Als mich das warme Wasser umgibt, komme ich endlich etwas zur Ruhe. Gerade habe ich die Augen geschlossen als mein Handy klingelt. Mirais Foto leuchtet mir auf dem Display entgegen. „Na schöne Frau, wie ist es im selbstgewählten Exil?“ Mirais Stimme ist vertraut. Ihr samtiger Klang hüllt mich ein. „Bislang als wäre ich nie weg gewesen. Meine Eltern haben mich kaum gehen lassen wollen. Wahrscheinlich können sie immer noch nicht fassen, dass ich wirklich hier bleibe.“ Ich bemühe mich darum, meine Stimme leicht und unbedarft klingen zu lassen. „Aber?“ Wie hatte ich darauf pokern können, meine Freundin würde meinen Klang nicht deuten können? „Nichts aber…“, versuche ich es halbherzig. „Chikane-chan, spiel mir nichts vor. Ich kenne dich.“ Der aufgesetzte Zorn soll Mirais Sorge um mich überspielen. Wieder das alte Spiel. „Erinnerst du dich an meine Kindheitsfreundin…Misaki?“, beginne ich zögerlich. Am anderen Ende der Leitung herrscht Schweigen. Also erzähle ich einfach weiter. „Heute hat mir meine Mutter eröffnet, dass sie auch an unserer alten Schule arbeitet…Darauf war ich irgendwie nicht vorbereitet…“ Meine Stimme zittert leicht. Innere Unruhe erschüttert mich. „Was hast du jetzt vor?“ Mirai kennt die Geschichte von Misaki und mir. Auch ihr vorläufiges Ende. „Ich weiß es nicht…“ Tief atme ich ein und aus. Versuche mich zu beruhigen. Ich höre, dass Mirai sich um mich sorgt. Ein schönes Gefühl, zu wissen, dass sie für mich da ist. Genauso wie sie mir immer wieder hilft, die Dinge zu sehen, wie sie sind und manchmal auch einfach zu akzeptieren. „Dann zerbrich dir erstmal nicht den Kopf darüber. Lass es auf dich zukommen und wenn es so weit ist, dann höre einfach auf deinen Bauch. Das funktioniert meistens.“ Nach einer kurzen Pause fügt sie hinzu: „Und du weißt, du bist stets in Tokio willkommen.“ Bequem strecke ich mich in der Wanne. Gerade möchte ich nicht über meine wirren Gedanken reden und nutze nur zu gern diesen Aufhänger, um das Thema zu wechseln. „Vermisst du mich etwa jetzt schon so sehr, dass du willst, dass ich zurückkomme?“ Unbewusst ändert sich der Klang meiner Stimme, ich nehme es nur am Rande wahr. Nur zu genau weiß ich, dass das in solchen Situationen geschieht. Meine Flirt-Stimme. „Das hättest du wohl gern.“ Da ist es wieder, dieses Schmunzeln auf ihren Lippen. Ich höre es bis hier her. Wohlige Vertrautheit. „Vielleicht ist das ja wirklich so…“ Uneindeutige Antworten mit Interpretationsbedarf. Nur nicht zu weit hinaus wagen. Ein Gefühl benebelt meine Sinne, gemeinsam mit dem warmen Wasser um mich herum. Es ist ein Gefühl als würde ich allein in dem vertrauten Klang ihrer Stimme versinken. Doch etwas scheint anders zu sein als sonst. In mir breitet sich das Gefühl aus, dass Mirai nicht der Stimmung zu sein scheint, meine lockeren Avancen zu erwidern. Für meinen Geschmack schweigt sie einen Moment zu lang. Etwas steht im Raum, will ausgesprochen werden. Keine von uns wagt es, auch wenn es nahezu greifbar zu sein schein. Nachdem wir eine Weile nur das Atmen der anderen gehört haben, ergreift Mirai letztlich wieder das Wort. „Mach heute nicht mehr zu lange, für den morgigen Tag muss du fit sein, Watanabe-sensei.“ Ihre letzten Worte sind mehr ein Hauchen. Wie so oft schafft sie es mit dieser kleinen Geste mir einen Schauer über den Rücken zu jagen. „Ich begrüße alle Schüler und Schülerinnen der Shosetsu Oberschule.“ Mein erster Tag als Lehrerin an meiner alten Schule beginnt. Hunderte Schüler und Schülerinnen haben sich in der Aula versammelt und lauschen mehr oder weniger aufmerksam der Ansprache des Direktors. Aufgeregt auf den neuen Schulabschnitt sehe ich die Erstklässler in den vordersten Reihen sitze. Ihre Augen strahlen, ihre Unruhe ist förmlich greifbar. Nur zu gut erinnere ich mich daran, wie ich einst selbst in diesen Reihen gesessen hatte, selbst aufgeregt darüber, was mich erwarten würde und dankbar ein vertrautes Gesicht an meiner Seite zu haben. „In diesem Schuljahr dürfen wir eine neue Lehrkraft in unseren Reihen begrüßen.“ Das ist mein Stichwort. Ruhigen Schrittes stehe ich auf, spüre die Blicke der Schülerschaft auf mir. „Guten Morgen, ich heiße Watanabe Chiaki und werde euch ab sofort in Japanisch und Sport unterrichten. Auf gute Zusammenarbeit.“ Leicht verbeuge ich mich, begebe mich danach wieder auf meinen Platz, der Rede des Direktors mehr oder weniger aufmerksam lauschend. „Ich wünsche euch allen für das neue Schuljahr viel Erfolg. Begebt euch nun in eure Klassenzimmer.“ Allgemeine Unruhe entsteht. Die ganze Aula scheint in Bewegung. Ruhig beobachte ich die Szene. Dies ist nun mein neuer Arbeitsplatz. Gerade als ich mich in Bewegung setzen möchte, kommt der Schuldirektor Yamamoto-san auf mich zu. Freundlich lächelt er mich an, er ist alt geworden. „Watanabe-san, es freut mich eine ehemalige Schülerin als Kollegin begrüßen zu dürfen. Ich wünsche Ihnen persönlich nochmal viel Erfolg für Ihre Arbeit. Falls Sie Hilfe benötigen, wenden Sie sich ruhig an mich.“ Höflich verbeuge ich mich vor ihm. „Vielen Dank, Yamamoto-san. Es ist mir eine Ehre, hier arbeiten zu dürfen. Ich werde mein Bestes geben, um Sie nicht zu enttäuschen.“ Irgendwie fühlt es sich seltsam an, von diesem Mann als Kollegin bezeichnet zu werden. Dieser Mann kennt mich noch als Schülerin. Seltsam unwirklich kommt mir das Ganze gerade vor. Mein Weg führt mich durch die vertrauten Gänge des alten Schulgebäudes. Es herrscht die typische Unruhe des ersten Schultages. Freude darüber mit alten Freundin in einer Klasse gelandet zu sein, Unsicherheit, wenn man erst einmal ohne Bekanntschaften da steht. Langsam leeren sich die Flure, der Gong zum Stundenbeginn ertönt. Unterwegs zu meiner Klasse komme ich am Krankenzimmer vorbei. Die Tür ist einen Spalt geöffnet. Nur einen Augenblick halte ich inne. Für den Bruchteil einer Sekunde stelle ich mir die Frage, ob sie sich gerade hinter dieser Tür befinden könnte. Doch für solche Ideen ist nun keine Zeit. Ich muss arbeiten und ohne mich weiter in dem Gedanken zu verlieren, setze ich meinen Weg fort, erreiche den passenden Raum. Noch ein letztes Mal atme ich tief durch, dann betrete ich mit einem Lächeln auf den Lippen das Klassenzimmer. Am Lehrertisch angekommen, stelle ich mich erneut vor. „Guten Morgen, wie ihr bereits erfahren habt, heiße ich Watanabe Chiaki. Von heute an bin ich eure Klassenlehrerin.“ Die Klasse erwidert der Morgengruß. Kurz lasse ich den Blick durch das Zimmer schweifen. Anders als in Tokio ist die Klasse hier kleiner und überschaubarer. Ich beginne damit, die Klassenliste durchzugehen, einen jeden Schüler aufzurufen, die Anwesenheit zu prüfen. Danach erfolgt die obligatorische Wahl des Klassensprechers und dessen Stellvertreters. Dieser erste Schultag verläuft ruhig, ist voller organisatorischer Mitteilungen, ehe der Unterricht am nächsten Tag richtig beginnen wird. So vieles ist zu klären, dass die Zeit für mich regelrecht verfliegt. Der Schulbeginn vergeht noch viel schneller als ich erwartet hätte. So schnell endet ein Tag. Als ich das Schulhaus verlasse, scheint die Sonne. Bewusst entscheide ich mich gegen den Bus und laufe stattdessen nach Hause. Es tut gut, sich zu bewegen. Die Luft ist bereits mild, die Vögel zwitschern in den Bäumen. Ich spüre, wie mir der Wind leicht durchs Haar fährt. Mein Weg führt mich altvertraute Pfade entlang. Entspannt schlendere ich den Fluss entlang. Oft habe ich hier früher mit Freunden gesessen, die Sonne genossen, an warmen Sommertagen das erfrischende Nass genutzt. Fast kann ich uns noch sitzen sehen, damals, in Schuluniform, unbedarfte Mädchen. Noch ein bisschen möchte ich dem sanften Gefühl der Nostalgie nachhängen. Ohne lange zu überlegen, setze ich mich auf die Wiese, schließe die Augen, lasse den Moment einfach auf mich wirken. Es mag pathetisch klingen, aber mir ist, als hätte ich gestern erst hier gesessen und muss mir regelrecht ins Gedächtnis rufen, dass dieser Schulalltag fast schon zehn Jahre hinter mir liegt. „Glaubst du, wir werden hier auch noch als Erwachsene zusammensitzen und an diese Zeit zurückdenken?“ Du lächelst mich liebevoll an. Sanft spielt der Wind mit deinem Haar. Ich mag es, wenn dir einzelne Strähnen so ins Gesicht fallen, das wellige Haar dein Gesicht umrahmt. Mein Herz schlägt viel zu wild während ich dich so ansehe. Also lasse ich mich zurück ins Gras fallen. Verschränke die Arme hinter dem Kopf. „Natürlich werden wir das. Unsere Freundschaft kann doch nicht einfach aufhören. Wir gehören zusammen!“ Worte eines Mädchens, das die Tücken und Stolpersteine des Lebens noch nicht kennt. Ich höre es neben mir rascheln. Ein Schatten legt sich über mein Gesicht. Nur zu intensiv nehme ich deinen mir vertrauten Duft wahr. Du beugst dich über mich. Ich blinzle dich an. Wenn du mich so ansiehst, muss ich mich nur noch mehr beherrschen. Dieses Gefühl treibt mich nochmal in den Wahnsinn. Stumm sehe ich dich einfach an. Es erscheint mir sehr lang, wie wir uns so in die Augen blicken. Wahrscheinlich sind es gerade mal Sekunden. „Versprichst du es mir?“ Kurz muss ich überlegen, worauf du hinaus willst. Deine Augen haben mich zu sehr in ihren Bann gezogen. Einen klaren Gedanken zu fassen, fällt mir schwer. Du siehst es mir mal wieder an, schmunzelst. „Du hast doch nicht etwa schon wieder mit offenen Augen geträumt, obwohl ich mit dir geredet habe?“ Zu meinem Leidwesen, doch vielleicht auch meinem Glück, rückst du ein kleines Stück von mir ab, setzt dich wieder neben mich. „Lass uns auch als Erwachsene noch so beieinander sitzen. Die Sonnenstrahlen genießen, lachen und manchmal auch einfach nur träumen. Lass uns für immer so zusammenbleiben. Versprichst du mir das, Chi-chan?“ Chi-chan… „Chi-chan?“ Träume ich noch immer? Ganz klar klingt dieses Wort in meinen Ohren. Das kann nicht sein. Wann werde ich endlich erwachsen genug und verliere mich nicht mehr in diesen Tagträumen. „Chi-chan, bist das wirklich du?“ Ich schrecke auf. Kein Traum, das ist real. Ich bin definitiv wach. Diese Stimme bilde ich mir nicht ein. Mit einem Mal schlägt mein Herz wild in meiner Brust. Mein eigener Herzschlag erscheint mir so lauf, als müsste ihn die ganze Welt hören. Diese Stimme… Rascheln im Gras, Schritte, die sich mir nähern. Wenn ich meinen Blick jetzt zur Seite wende, werde ich sie sehen. Tief durchatmen, das ist gerade einfach nur ein Wiedersehen. Langsam hebe ich meinen Blick. Da steht sie einfach vor mir. „Du bist es!“ Erleichterung, Verunsicherung, in ihrer Stimme liegen deutlich diese Emotionen. Vielleicht sogar ein kleiner Hauch Angst, der auch mich nahezu paralysiert. Ungelenk stehe ich auf. Meine Arme hängen an mir herunter, nutzlos. Leer scheint mein Kopf zu sein, aller Worte beraubt. Jahre haben wir uns nicht mehr gesehen, nicht mehr miteinander gesprochen. Zaghaft tasten meine Augen dich ab. Alles ist noch da und doch alles fremd. Eindeutig sehe ich noch das Mädchen von damals und trotzdem wird sie überdeckt von einer erwachsenen Frau, die mir gegenübersteht. Wie siehst du mich gerade? Findest du es genauso merkwürdig, dass dir eine vertraute Fremde begegnet? Warum begegnen wir uns gerade jetzt? Nur langsam werde ich meiner Sprache wieder mächtig. „Misaki-chan“, wispere ich. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)