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Raupe im Neonlicht

von

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Kapitel 54

Was zuletzt geschah:

In einem Versuch seinen Eltern entgegenzukommen, verbringt Jonas Weihnachten getrennt von Erik. Während er am heimischen Tisch sitzt und sich bemüht, eine dünne Schicht Familienglück zu erschaffen, genießt Erik in Stuttgart ein Wiedersehen mit seinen Freunden. So sehr, dass er nicht wie abgemacht noch am selben Abend zurückfährt, sondern Jonas auf den nächsten Tag vertröstet. Eine Entscheidung, die bei diesem alle Alarmglocken läuten lässt. Hat Erik endgültig genug von all dem Stress?

 

Kapitel 54

„Boah Jonas, geh endlich an dein Kackhandy!“ Christines Kissen traf zielsicher seinen Kopf.

„Is‘ ja gut. Sorry.“ Jonas lag bereits eine Weile wach, aber die Flasche Wein, die er sich mit Christine geteilt hatte zeigte Wirkung. Blinzelnd starrte er auf sein blinkendes Display, wurde schlagartig fit, als er den Namen erkannte. Dummerweise zu spät – Erik hatte bereits aufgelegt. „Ich bin mal unten.“ Das Handy ans Ohr gepresst, rollte Jonas von dem übergroßen Sitzsack und fiel die Speichertreppe eher runter als dass er kletterte.

„Hauptsache, ich kann weiterschlafen“, murrte Christine ihm hinterher.

Noch bevor Jonas die relative Ungestörtheit der Küche erreicht hatte, hörte er eine vertraute Stimme am anderen Ende der Leitung. „Hey. Habe ich dich mal wieder geweckt?“

„Nee. Und selbst wenn, wär’s nich‘ schlimm.“ Jonas versuchte gar nicht erst sein Lächeln zu unterdrücken. Dann stand er eben im T-Shirt seiner Schwester in der Küche seines Elternhauses und grinste wie ein Depp. Wenigstens war er ein glücklicher Depp. „Christine könnt’s dir vielleicht übelnehmen, aber die is‘ bestechlich.“

„Lass es uns trotzdem lieber nicht zur Tradition machen.“

„Einverstanden.“ Jonas‘ Blick folgte den vereinzelten Schneeflocken vor dem Fenster, die träge ihren Weg zum Boden fanden. „Erinnerst du dich an unser Telefonat letztes Weihnachten? Ich weiß grad nich‘, ob ich’s schräg finden soll, dass seitdem erst oder schon ein Jahr vergangen is‘.“

„Mhm. Ist eine ganze Menge passiert.“

Eine der Flocken landete auf der Scheibe und schmolz zu einem winzigen Tropfen. „Bist du bei Marco?“

„Vor einer halben Stunde sowas angekommen. Er und Drago sind aber in ihrem Zimmer verschwunden, sobald die Tür hinter uns ins Schloss gefallen ist.“

„Is‘ ja auch ziemlich spät.“

„Irgendwie bezweifle ich, dass die beiden schlafen.“ Erik klang amüsiert. „Tut mir übrigens leid, dass ich nicht auf mein Handy geschaut habe. Im Tässchen waren ein paar Leute, mit denen ich seit Jahren keinen Kontakt mehr hatte und wir sind anschließend noch was Trinken gegangen.“

„Is‘ okay. War bestimmt ganz nett für dich, mal wieder mit Leuten zu quatschen, die dir nich‘ die Schuld am moralischen Verfall ihres Sohns geben.“ Hatte er bitter geklungen? Jonas war sich nicht sicher.

„Ist bei dir alles in Ordnung?“

Alles klar, er hatte bitter geklungen. „Jaah. Alles gut. Bin bloß müde.“

„Entschuldige, ich hätte so spät nicht mehr anrufen sollen. Ich wollte nur …“

„Meine Stimme hören?“ Jonas‘ Lächeln kehrte zurück. Exakt dasselbe hatte Erik ihm vor einem Jahr schon einmal gesagt. „Ich wollt deine auch hören“, gab er zu. „Weißt du schon, wann du morgen zurückkommst?“

„Ah, noch nicht so genau. Falls ich Sophia mit nach München nehmen soll, muss ich warten, bis das Weihnachtsessen bei meiner Tante gelaufen ist. Dann wird es ziemlich sicher auf zehn zugehen.“

„Okay.“

„Soll ich früher kommen?“

„Nee, Quatsch. Das passt schon so. Ich bleib dann einfach ‘n bissl länger bei meinen Eltern. Glaub, die haben sich richtig gefreut, dass ich heut hier übernachte. Jedenfalls bevor sie gemerkt haben, dass ihr Wein weg is‘.“

„Das ist schön zu hören.“ Erik schien sich ehrlich über diese Nachricht zu freuen. „Ich sollte wohl auch so langsam ins Bett gehen und dich nicht weiter wachhalten.“

„Eigentlich würd ich gerne noch viel länger mit dir Quatschen, aber … Fuck, ich bin echt scheiß k.o.“

„Dann träum was Schönes, ja?“

„Ich probier‘s, wenn du’s auch tust.“

„Deal. Und bitte entschuldige dich in meinem Namen bei Christine, dass ich sie geweckt habe.“

„Mach ich“, versprach Jonas. „Werd sie gleich dafür wecken!“

Erik lachte. „Ich liebe dich.“

„Ich liebe dich auch.“ Der Nachhall dieser Worte glättete einen Teil der Wogen in Jonas‘ Innerem. Er hatte gerade aufgelegt, als er die Toilettenspülung hörte. Kurz darauf humpelte seine Oma vom Bad zu ihm in die Küche. „Na, Bua, bist fertig mitm redn?“

„Hab ich dich geweckt?“, fragte Jonas schuldbewusst.

„Na, i musst bloß biesln. War des dei Freind?“

„Ähm, ja.“ Jonas bereitete sich darauf vor, die Frage zu stellen, die schon seit Wochen auf seiner Zunge brannte. „Oma … Du weißt, dass Erik und ich nich‘ bloß Freunde sin‘, oder?“

„Bua, i bin oid, ned bled.“

„Oh, gut. Ähm … Ich mein, ich war mir nich‘ sicher, weil du so gelassen reagiert hast. Im Gegensatz zu Mama und Papa.“

„Mei, i hob mi eben dro gwohnt, dass’d junga Leit a boa Sachan andas mochn, ois mia damois. I muaß ja ned ois davo vastehn. Monchmoi daad I ma bloß wünschn, dass mia a scho so frei gwesen warn.“ Während Jonas noch über die Bedeutung ihres letzten Satzes nachdachte, schlurfte seine Oma bereits wieder zu ihrem Schlafzimmer. „Schlaf guad, Bua.“

Seine Erwiderung wurde von einem langgezogenen Gähnen unterbrochen und er entschied, es seiner Großmutter gleichzutun und ebenfalls ins Bett zu verschwinden.

 

„Bist du sicher, dass du schon losmusst?“ Jonas‘ Mutter beobachtete ihren Sohn beim Anziehen seiner Jacke.

„Japp. Sorry Mama, aber Erik is‘ in ‘ner halben Stunde sowas zurück und ich will, dass die Wohnung bis dahin warm is‘.“

„Warte hier.“ Seine Mutter wandte sich ab, aber es war zu spät, um den Schatten, der über ihr Gesicht gehuscht war zu verbergen.

Jonas blieb vor der Haustür stehen, unschlüssig, ob er bleiben oder gehen sollte. Bevor er eine Entscheidung gefällt hatte, kehrte seine Mutter zurück, in der Hand drei Aufbewahrungsboxen.

„Das sind ein paar Reste vom Weihnachtsessen. Mit Fleisch für dich, ohne Fleisch für … Und in die dritte habe ich ein paar Plätzchen gepackt. Du kannst jederzeit mehr haben.“

„Danke.“ Jonas stellte die Dosen auf dem Schuhschränkchen ab. Von der restlichen Familie hatte er sich bereits verabschiedet, aber das hier fühlte sich endgültiger an. „Also dann …“ Plötzlich fand er sich in den Armen seiner Mutter wieder, umhüllt vom vertrauten Duft nach Geborgenheit.  

Lange standen sie im Eingangsbereich, während kalter Wind von draußen ihre Knöchel umspülte. Keiner sagte ein Wort, doch das leise Schluchzen in Jonas‘ Ohren sprach Bände. Schließlich trat seine Mutter einen Schritt zurück und wischte sich mit dem Ärmel über die Augen. „Gedenkst du, dich nochmal blicken zu lassen, bevor du wieder fährst?“

„Aber ja. Wenn ihr Erik und mich bei euch haben wollt, kommen wir jederzeit vorbei. Versprochen.“

„Gut. Dann geh jetzt. Wir sehen uns.“

„Mama …“

„Los, du willst doch die Wohnung heizen, bevor …“ Sie verstummte.

„Bevor Erik nach Hause kommt“, sagte Jonas sanft. „Ob du seinen Namen nun laut aussprichst oder nich‘, es wird nix ändern.“

„Das weiß ich!“ Und einfach so, war die herzliche Stimmung verflogen.

Jonas balancierte die drei Aufbewahrungsdosen in einer Hand, drückte mit der anderen die Türklinke nach unten und stellte sich der winterlichen Kälte. Ein letztes Mal drehte er sich zu seiner Mutter um. „Tschüss, Mama. Danke fürs Essen.“ Er saß eine ganze Weile bei ausgeschalteten Motor im Auto, bevor er klar genug sehen konnte, um sich den Heimweg zuzutrauen.

 

Holzscheite knackten im Ofen und Dielen knarrten unter Jonas‘ Füßen. Ungeduldig tigerte er durch die Wohnung, blieb nicht einmal stehen, um den Duft der auf einem Teller ausgebreiteten Plätzchen zu genießen.

Immer wieder las er die Nachricht, die ihn darüber informierte, dass Erik Sophia in München abgesetzt hatte und jetzt weiterfahren würde. Anschließend wechselte Jonas zu dem knappen Onlineartikel, der über einen Unfall auf der Autobahn berichtete. Und am Ende dieser bereits eingeschliffenen Routine bestätigte ihm ein Blick auf die Uhr, dass Erik schon lange bei ihm hätte ankommen sollen.  

Jonas wählte zum etwa tausendsten Mal an diesem Abend Eriks Nummer, als Kies unter Autoreifen knirschte und Scheinwerferlicht über die Zimmerdecke zog. Noch bevor es erloschen war, war Jonas die Treppe halb heruntergestürzt. Er nahm drei Stufen auf einmal, platzte durch die Eingangstür und katapultierte sich in Eriks Arme. „Aua!“ Erik rieb über seinen Rücken, der dank Jonas‘ stürmischer Begrüßung Bekanntschaft mit der Autotür gemacht hatte.

„Sorry.“ Doch Jonas presste sich nur noch fester an Erik. „Bin froh, dass du wieder da bist.“

„Ich auch. Es war seltsam, ohne dich einschlafen zu müssen.“

Verlegen grinsend blickte Jonas auf. „Is‘ ‘ne Weile her, dass wir das hatten, was? Ich schwör, ich bin um Punkt fünf aufgewacht und lag mindestens ‘ne Stunde wach, bevor mein Körper eingesehen hat, dass du nich‘ gleich zu mir ins Bett gekrochen kommst.“

„Mhm. Ich hoffe sehr, dass es wieder viele Monate dauert, bis es das nächste Mal so weit ist.“

„Ich auch.“ Nur widerwillig löste sich Jonas von Erik. „Wie war die Fahrt?“

„Lang.“ Erik klang so erschöpft wie er aussah. „Da war ein Unfall auf der Autobahn, irgendetwas Größeres. Hat sich ewig gestaut, bestimmt zehn Kilometer.“

„Ich weiß. Hab’s in den Nachrichten gelesen.“

„Hast du dir Sorgen gemacht? Ich wollte dir schreiben, aber, ah, Handy und Autofahren sind keine gute Kombination.“

Im ersten Moment war Jonas versucht alles abzustreiten, aber die verpassten Anrufe würden seine Lüge ohnehin binnen Sekunden überführen. „Vielleicht ‘n bissl.“

„Tut mir leid.“

„Is‘ ja nich‘ deine Schuld. Lass uns erstmal reingehen, ja? Is‘ schweinekalt hier draußen.“ Jonas nahm Eriks Hand und half ihm in der Wohnung sogar aus dem Mantel. „Wie war’s bei deiner Tante?“

„Ah, ganz okay. Immer noch recht steif, aber entweder nicht mehr so schlimm wie früher, oder es hat mir weniger ausgemacht.“

„Freut mich.“

„Außerdem muss ich mich bei dir bedanken.“

„Wofür?“

„Tobias und ich – du weißt schon, mein Cousin“, ergänzte Erik bei Jonas‘ fragendem Blick, „wir haben uns gestern länger unterhalten und ich denke, dass du recht hattest.“

„Womit?“ Noch immer war sich Jonas nicht sicher, worauf Erik hinauswollte.

Dieser lachte. „Damit, dass wir nicht so ganz wissen, wie wir miteinander umgehen sollen. Jedenfalls habe ich ihn auf die Sache damals vor ein paar Jahren angesprochen.“

„Oh.“ Jonas erinnerte sich, dass Tobias Erik in ihrer Jugend aus seinem Zimmer geworfen hatte, weil ‚er es nicht mit jemandem teilen wolle, der auf Männer steht‘. Das war allerdings Eriks Formulierung, Jonas‘ vermutete, Tobias hatte sich damals etwas weniger gewählt ausgedrückt. „Und? Was hat er gesagt?“

„Sich entschuldigt“, antwortete Erik. Ein zartes Lächeln lag auf seinen Lippen. „Ziemlich aufrichtig, sogar. Was nett war, weil es mir die Gelegenheit gegeben hat, ihm zu sagen, dass die Geschichte von meiner Seite aus schon lange abgehakt ist. Beste Freunde werden wir wohl nie, aber nachdem dieser Elefant vom Tisch war haben wir zum ersten Mal seit Jahren so etwas Ähnliches wie eine lockere Unterhaltung geführt. Ohne dich wäre das nicht passiert. Also danke.“

„Oh, ähm … gern geschehen.“ Eriks Dank machte Jonas verlegen, aber auch froh, ihm vielleicht ein kleines bisschen Glück zurückgeben zu können. „Hast du Hunger? Meine Mum hat uns Reste mitgegeben. Und Plätzchen!“

„Jonas, ich war in den vergangenen sechsunddreißig Stunden auf drei Weihnachtsessen eingeladen. Ich bin froh, wenn noch ein Schluck Wasser in mich passt.“ Erik schielte zum Plätzchenteller. „Sind das Spitzbuben?“

„Japp. Und Anislaiberl und Zimtsterne und …“ Anstatt weiterzureden, reichte Jonas den Teller weiter.

„Warfe kurf hier“, nuschelte Erik um das Plätzchen in seinem Mund herum. Ohne Jonas die Gelegenheit einer Erwiderung zu lassen verschwand er im Schlafzimmer. Hinter der verschlossenen Tür raschelte etwas und als sie sich wieder öffnete, hatte Erik nicht nur Hemd und Jeans gegen Wollpulli und Jogginghose getauscht, Kontaktlinsen durch Brille ersetzt und den Haargummi von seinem Kopf an sein Handgelenk verbannt, sondern hielt zudem ein kleines, buntverpacktes Quadrat in den Händen. „Frohe Weihnachten.“

„Dir auch frohe Weihnachten.“ Jonas hatte sein Geschenk vorsorglich schon auf dem Sofa postiert und hob es jetzt auf, um einen angemessen zeremoniellen Tausch mit Erik zu vollführen. „Da.“

„Es … riecht gut.“ Noch einmal schnupperte Erik an der Verpackung, bevor er sich daran machte den Tesafilm, der das silberne Papier zusammenhielt abzuknibbeln. In Zeitlupe legte er zuerst eine Packung Earl Grey und anschließend eine gläserne Kanne mit passendem Stövchen frei.

„Ich dacht, das hat ‘n bissl mehr Stil als deine Thermoskanne. Außerdem kann ich dir ab jetzt einfach ‘ne Packung Tee kaufen, wenn mir kein gescheites Geschenk einfällt.“

„Danke, die ist wundervoll.“ Erik fuhr mit den Fingern über die ins Glas gravierten Rosenranken. „Lass sie mich gleich ausprobieren.“ Mithilfe des altmodischen Tauchsieders setzte er Wasser auf.

Jonas hielt es nicht aus zu warten, bis sich Erik wieder gesetzt hatte und riss das buntgesprenkelte Papier von seinem Geschenk. Ein schmaler Umschlag fiel ihm entgegen, doch zunächst zog der darunterliegende Karton seine Aufmerksamkeit auf sich. „Eine Sofortbildkamera?“

„Ah, du hast mir doch neulich diesen Artikel gezeigt. Du weißt schon, den über dieses Polaroid-Projekt. Es klang, als würdest du das Konzept ganz spannend finden, also dachte ich …“

„Dass du der beste Freund der Welt sein willst? Haste geschafft!“ Ungeduldig zerrte Jonas an der Verpackung, befreite das gute Stück aus seinem Gefängnis und legte den Film ein.

„Funktioniert sie?“

Jonas blickte durch den Sucher und knipste. Nach und nach zeichneten sich die Konturen seines Motivs ab, Farben entstanden, erst blass, bald leuchtend. Für die Ewigkeit auf Zelluloid gebannt, saß Erik verlegen lächelnd auf der Kante eines fadenscheinigen Sofas und wartete darauf, dass sein Teewasser kochte. Jonas zog die lebendige Version in seine Arme. „Danke. Ehrlich. Das is‘ ‘n scheißgutes Geschenk.“

Sanft löste sich Erik von ihm, um das blubbernde Teewasser in seine neue Kanne umzufüllen. „Freut mich sehr. Vergiss den Umschlag nicht.“

„Oh, fuck, stimmt.“ Rasch nahm Jonas das rote Kuvert, dessen Existenz er kurzfristig tatsächlich verdrängt hatte und öffnete es. Im Inneren verbarg sich eine Weihnachtskarte, deren mit Strickpullovern bekleidete Rentiere so kitschig aussahen, dass es fast schon wieder niedlich war, ein Ersatzfilm für die Kamera und … „Tagespässe für die Therme in Erding?“

„Zugegeben, das ist eher ein Geschenk für uns beide. Vielleicht sogar mehr für mich als für dich, aber ich dachte mir, wenn wir schon in der Gegend sind, sollten wir das auch nutzen.“

Jonas suchte nach einem Datum. „Für wann …?“

„Wann immer wir wollen.“

„Morgen?“

„Zum Beispiel.“

„Ich glaub, das fänd ich schön.“ Ungeduldig wartete Jonas, bis Erik Teekanne und Tasse auf dem Tisch platziert hatte und zündete das Teelicht des Stövchens an. Als alles an der Stelle war, an der es sein sollte, kuschelte er sich an Erik. „Es wird echt Zeit, dass wir mal wieder ‘nen Tag nur für uns haben.“

„Kein Widerspruch von mir.“

„Ähm, ich …“ Eigentlich hatte Jonas das ganze Thema unter den Tisch fallen lassen wollen, jetzt, da Erik wieder zurück und seine Ängste unter Kontrolle waren, aber am Ende überwog der Drang, darüber zu sprechen. „Ich hab mir ‘n bissl Sorgen gemacht, als du gestern nich‘ zurückgekommen bist.“

Erik pustete kühle Luft über den Rand seiner Tasse, entschied aber, dass der Tee noch zu heiß war und stellte sie zurück auf Tisch. „Warum?“

„Weil … Weil ich Angst hatte, dass … Dass dir hier alles zu viel wird und du einfach wegbleibst. Und jetzt, wo du wieder hier bist, wird mir klar, dass das wahrscheinlich echt ziemlicher Quatsch war, aber … Die Angst war erstmal da, weißt du? Und … Keine Ahnung, ich hatte das Gefühl, es wenigstens mal ausgesprochen haben zu müssen.“

„Gut, dass du es tust.“ Erik streckte sich auf dem Sofa aus, soweit seine langen Beine das zuließen und bettete seinen Kopf in Jonas‘ Schoß. „Dann kann ich dir sagen, was für riesiger Unsinn das ist.“

„Hat Christine auch schon getan“, räumte Jonas ein. Er kämmte mit den Fingern durch Eriks Haar und erntete dafür ein wohliges Brummen.

„Bei Gelegenheit muss ich mich mal bei ihr bedanken. Ah, das soll jetzt nicht klingen, als wollte ich deine Befürchtungen kleinreden. Ich denke, ich kann schon verstehen, woher sie kommen. Immerhin hast du mich lange genug gedrängt, zuzugeben, dass die Situation auch für mich nicht ganz einfach ist.“

„Weil‘s wichtig is‘, dass du mir sowas sagst!“

Erik drehte den Kopf, um Jonas in die Augen zu sehen. „Wahrscheinlich ist es das.“ Er seufzte. „Ich fürchte, ich sehe manchmal nicht, wie sehr ich dich in der Luft hängen lasse, wenn ich mal wieder versuche erstmal alles mit mir selbst auszumachen. Ich ziehe ich mich zurück, um in Ruhe über ein Thema nachdenken zu können, ohne dich gleich damit zu belasten und mache damit am Ende alles nur schlimmer, weil du ja doch merkst, dass etwas nicht stimmt.“

„Das tu ich allerdings“, murrte Jonas. „Und dann zerbrech ich mir den Kopf darüber, weil du ja nich‘ mit der Sprache rausrückst.“

„Ich weiß. Ah, ich kann jetzt nicht versprechen, dass das nie wieder vorkommt, aber daran arbeiten werde ich auf jeden Fall. Das Letzte, was ich will, ist dir unnötige Sorgen zu bereiten. Bis dahin darfst du mir aber glauben, dass ich ganz sicher mit dir reden würde, wenn wir wirklich vor einem heftigen Problem stünden.“

„Okay.“ Eigentlich hatte Jonas ein wenig überzeugter klingen wollen.

„Im Augenblick“, Eriks Hände erkundeten Jonas Bauch, „bin ich einfach nur glücklich bei dir zu sein. Um mir das zu vergällen müsste schon noch eine ganze Menge schiefgehen.“

„Zum Beispiel?“, fragte Jonas nur noch halbernst.

„Hmm … Zum Beispiel müsste jetzt ein nackter Mann aus dem Schlafzimmer schleichen, mit dem du ziemlich eindeutig gevögelt hast, während ich mich durch Stau und über rutschige Straßen gequält habe.“

„Und wenn er ‘ne Schleife um den Schwanz trägt, weil’s ‘n Geschenk is‘?“

Darüber könnten wir dann reden.“

Lachend beugte sich Jonas nach unten, um Erik einen Kuss auf die Lippen zu hauchen. „Also packen wir das?“

„Mhm. Ich war mir selten bei einer Sache so sicher.“ Abrupt setzte sich Erik auf. „Führst du mich eigentlich mal durchs Dorf? Ich war die letzten Tage so viel unterwegs, aber ich habe noch fast gar nichts von der Gegend gesehen, in der du aufgewachsen bist.“

„Klar. Morgen?“

„Morgen.“

 

Die Tage zwischen Weihnachten und Neujahr verrannen wie Sand zwischen ihren Fingern. Jonas zeigte Erik den Ort, an dem er zwanzig Jahre seines Lebens verbracht hatte und verursachte dabei prompt einen kleinen Skandal, da er es sich nicht nehmen ließ, während der gesamten Tour Eriks Hand zu halten. Erstaunlich, wie vielen Nachbarn man innerhalb einer einzigen Stunde begegnen konnte.

Das tat ihrer Beliebtheit allerdings keinen Abbruch. Wenn sie nicht gerade ohnehin mit Maria, Clemens oder Christine zusammensaßen, stand gerne auch mal spontaner Besuch vor der Tür. Dennoch fanden sie auch immer wieder Momente, die nur ihnen gehörten. Der Tag in der Therme erwies sich hier als kleine Offenbarung für Jonas – selten hatte er Erik so ausgelassen erlebt. Er entschied, im neuen Jahr mehr von dieser Seite entdecken zu wollen.

Abends kehrten sie erschöpft und aufgequollen nach Hause, den Geruch nach Wasser auf der Haut, das Gefühl von Wellen am Körper. Wie in jeder Nacht schliefen sie aneinandergeschmiegt ein.

Ihr Aufenthalt in Bayern verlief so harmonisch, dass Jonas das Schweigen seiner Eltern beinahe nicht bemerkte.

 

 


Nachwort zu diesem Kapitel:
Da kommt das Kapitel so spät und dann habe ich auch noch zwei schlechte Nachrichten im Gepäck:
1. Das hier ist das vorletzte Kapitel von Raupe im Neonlicht. Nach Nummer 55 ist Schluss.
2. Das letzte Kapitel kommt sehr wahrscheinlich erst übernächste Woche. Ich bin über das komplette nächste Wochenende nicht zuhause und schaffe es wahrscheinlich nicht, das Kapitel noch vor Abfahrt hochzuladen.
Aber: Dafür bekommt ihr hoffentlich zusammen mit dem Upload des letzten Kapitels einen kleinen Bonus ;)

(Dass ich beim Beantworten der Kommentare hinterherhinke ist ja nix Neues mehr. Ich lese und freue mich, aber im Moment mangelt es mir an allen Ecken an Zeit, um euch die Antworten zukommen zu lassen, die eure tollen Reviews verdient haben. Aber ich hol’s nach, versprochen!)

Euch allen ein schönes Wochenende! Komplett anzeigen

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Kommentare zu diesem Kapitel (4)

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Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Usaria
2018-09-12T18:07:46+00:00 12.09.2018 20:07
Noxxyyyy!!!

Na, Na, Na! Der 60zga muarß nu voi wern!

Du kannst nicht mitten dirn aufhören! Das geht nicht! Bin jetzt zu geschockt um weiter einen Kommi zu schreiben.
Von: abgemeldet
2018-09-08T16:54:53+00:00 08.09.2018 18:54
„Bua, i bin oid, ned bled.“
Ich LIEBE Jonas' Oma <3

Endlich sind die beiden wieder vereint. Und ich habe mittlerweile auch keine Zweifel mehr, dass ihre Beziehung durch irgendetwas beeinträchtigt werden könnte - sonst wäre die Story nicht mit dem nächsten Kapitel vorbei, oder?
Aber mit seiner Mutter wird Jonas wohl nicht mehr richtig warm. Eine echt tragische Sache, wenn man im Streit mit einer seiner wichtigsten Bezugspersonen auseinandergeht :( dennoch wird die Geschichte Recht versöhnlich enden, was ich so lese. Das freut mich natürlich schon ;)
Also, ich bin gespannt aufs letzte Kapitel! Lass dir ruhig Zeit, es soll ja ein würdevoller Abschluss werden :)
Von:  Kerstin-san
2018-09-08T09:05:54+00:00 08.09.2018 11:05
Hallo,
 
also Jonas Oma ist echt cool. So ne lässige Reaktion würde man eher bei jemandem jüngeren Alters erwarten, aber ich lass mich immer wieder gerne überraschen. Von der Dame sollte sich Jonas Mutter und seine halbe Nachbarschaft mal eine Scheibe abschneiden.
 
Hmm, vegetarisches Essen und Plätzchen (lecker!) für Erik gibts auch noch. Das finde ich von Jonas Mutter echt nett! Und dass Jonas und Erik offen miteinander über ihre jeweiligen Ängste und Sorgen reden können, ist für ihre Beziehung echt super wichtig, aber der letzte Satz gibt mir echt nochmal zu denken. Jetzt erwarte ich für das letzte Kapitel irgendwie noch was ganz schreckliches (und hoffe, dass ich falsch liege)...
 
Irgendwie seltsam, dass die Story schon fast zu Ende ist. Ich bin zwar erst relativ spät eingestiegen, aber die ganze Bande ist mir ruck zuck ans Herz gewachsen.^^
 
Liebe Grüße
Kerstin
Von:  Onlyknow3
2018-09-08T08:37:03+00:00 08.09.2018 10:37
Es ist so schön wie die beiden sich entwickelt haben. Selbst Erik merkt das er mit reden bei Jonas weiter kommt.
Es tut gut zu sehen das Jonas außer Erik noch mehr Unterstützung hat als er gedacht hatte.
Was den Skandal angeht, sind das nur Menschen die im Mittelalter noch leben, und jeden ächten der anders ist als sie.
Erik und Jonas haben die Tage in Bayern, gefallen und gut getan.
Wenn auch das nächste Kapitel, das letzte ist freue ich mich darauf und auf was neues von dir.

LG
Onlyknow3


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