Raupe im Neonlicht von Noxxyde ================================================================================ Kapitel 44 ---------- Was zuletzt geschah: Jonas‘ Abend mit Clemens beginnt und endet anders als erwartet. Ist Jonas dank der Homophobie, die ihm entgegenschlägt zunächst versucht, gleich wieder zu gehen, taumelt er letztlich Stunden später betrunken und zufrieden in Eriks Arme. Zum Glück nimmt dieser den Vorfall mit Humor und so kann sich Jonas gänzlich auf seinen anstehenden Geburtstag konzentrieren.     Kapitel 44 Clemens, 15:46 Uhr Hilfe!!! Hab mich aus dem Hotel ausgesperrt!! Und ich erreiche Dimi nicht!! Leiste mir Gesellschaft!!   Du, 15:53 Uhr dein ernst?   Clemens, 15:53 Uhr JA!!!!!   „Ähm, Erik?“ „Hm?“ Erik hob den Kopf, der bis eben bequem in Jonas‘ Schoß geruht hatte. „Was ist?“ „Ähm, ich glaub, ich muss nochmal los. Clemens hat sich ausgesperrt und weiß jetzt nich‘, was er anstellen soll, bis wir uns im Restaurant treffen.“ „Und?“ „Ich, ähm … Ich soll ihm ‘n bissl Gesellschaft leisten, um die Zeit zu vertreiben.“ „Ah. Also treffen wir uns direkt im Restaurant?“ Jonas hatte mit mehr Widerspruch gerechnet und war erleichtert, sich geirrt zu haben. „Japp. Aber dafür musst du mir endlich die Adresse verraten.“ Alles, was er und Christine von ihren Freunden bezüglich ihrer Geburtstagfeier erfahren hatten, war, dass sie mit einem Essen im Restaurant beginnen sollte. Welches und was danach anstand war für beide ein Rätsel. „Werde ich. So eine Stunde vorher.“ „Ihr macht’s aber auch echt scheißspannend.“ Grummelnd schob Jonas seinen Freund von sich und stand auf. „Dann bis später.“ Schon halb aus dem Wohnzimmer, drehte er nochmal um und drückte einen langen Kuss auf Eriks Lippen, dessen Nachklang ihn auf seinem Weg zu Clemens begleitete.   Auf der Parkbank lümmelnd ließ Clemens seinen nur noch halb von seinem Shirt bedeckten Bauch von der Nachmittagssonne bescheinen. Nach einem Seitenblick auf Jonas‘ Handy fragte er: „Immer noch nichts?“ „Nee.“ „Dimi hat sich auch noch nicht gemeldet.“ Noch einmal sah Jonas auf sein Handy, aber das Display blieb leer. Wenn sich Erik nicht bald mit einer Adresse bei ihm meldete, würde er anrufen. Am Ende hatten sie eines der beiden Geburtstagskinder vergessen. Ruckartig setzte sich Clemens auf. „Ich hab ‘ne Idee! Warum fahren wir nicht einfach zu dir? Dann sehe ich mal wie du so wohnst und lern deinen Freund kennen, bevor das allgemeine Partygetöse losgeht.“ „Oh, ähm … Naja, ich denk, das wär schon ‘ne Möglichkeit. Sofern’s von der Zeit her aufgeht. Ich ruf mal Erik an, der weiß ja grad mehr als ich.“ Der letzte Teil war eher das grimmige Gemurmel eines alten, mit der aktuellen Weltlage unzufriedenen Mannes. „Ein wenig wirst du dich noch gedulden müssen“, begrüßte Erik ihn am anderen Ende der Leitung. „Ich sagte ja, eine Stunde vorher.“ „Ja, ja, is‘ ja gut. Ähm, sag mal … Clemens und mir gehen so langsam die Ideen aus, was wir noch treiben könnten. Hast du was dagegen, wenn wir einfach zu uns kommen, bevor wir losmüssen?“ „Ah, grundsätzlich natürlich nicht. Aber ich muss noch ein paar Anrufe für das Tix erledigen und mich um ein wenig Papierkram kümmern. Lass mal sehen.“ Im Hintergrund raschelte etwas, anschließend herrschte Stille, die sich lange genug zog, um Jonas an seinem Vorhaben zweifeln zu lassen. Erik hatte die Nachricht, dass Clemens zur Geburtstagsfeier kommen würde recht stoisch aufgenommen – von Neugierde oder gar Freude konnte nicht die Rede sein, aber derzeit gab sich Jonas mit Brotkrumen zufrieden. Nun würde das erste Aufeinandertreffen allerdings nicht im geschützten Rahmen eines vollen Restaurants stattfinden, in dem sich genug andere Freunde und Bekannte als Puffer herumtrieben, sondern innerhalb ihrer eigenen vier Wände. Allein. Bei genauerer Betrachtung war das ein außerordentlich beschissener Plan. „Jonas?“, meldete sich Erik wieder. „Das sollte zeitlich gut aufgehen. Kommt ruhig vorbei.“ Die Fahrt zur Wohnung verlief unspektakulär, auch, wenn Jonas das Gefühl hatte, Clemens blickte auffallend oft zwischen ihm und seinem Handy hin und her. Das ging so weit, dass das Gerät erst in der Hosentasche verschwand, als sie bereits die Stufen zum dritten Stock erklommen. „So, da wären w–“ Jonas stoppte mitten im Satz, den Schlüssel in einer, die Türklinke in der anderen Hand. Der Eingang war von bunten Lichterketten erleuchtet, die sich über die Wand, bis in Küche und Wohnzimmer schlängelten. Aus Letzterem tönte gedämpftes Gemurmel und plötzlich erschien Eriks Kopf im Türrahmen, mit einem Grinsen, das von einem Ohr zum anderen reichte. Sanft stupste Clemens Jonas vorwärts. „Auf geht’s, Geburtstagskind.“ Jonas wirbelte herum, blickte in das mindestens ebenso breite Grinsen seines Kindheitsfreunds. „Ihr Mistsäcke! Ihr habt das geplant!“ „Schnellchecker.“ Im Wohnzimmer begrüßten Sophia, Larissa, Esther und Kemal Jonas stürmisch. Ein beeindruckender Geschenkestapel bedeckte den niedrigen Couchtisch, die geöffnete Balkontür ließ eine sanfte Brise ins Innere und zur Hollywoodschaukel hatten sich ein paar Stühle sowie ein kleiner Tisch gesellt. Überall hingen farbenfrohe Luftschlangen und mit Helium gefüllte Ballons schwebten knapp unterhalb der Zimmerdecke. Auf seine grauenhaft kitschige Art sah der Raum absolut fantastisch aus. Jemand klingelte an der Tür und Erik verließ Jonas‘ Seite lange genug, um Andreas und Dimi in Empfang zu nehmen. Nacheinander stellte Jonas seine Freunde einander vor, bis nur noch Erik und Clemens übrigblieben. „So, ähm … Erik, das ist Clemens. Clemens, das ist mein Freund Erik. Ihr, äh, habt wahrscheinlich schon das eine oder andere voneinander gehört.“ „Nur die guten Sachen, nehme ich an.“ Clemens grinste breit. „Freut mich, dich kennenzulernen, Mann.“ „Ebenfalls.“ Erik ergriff Clemens‘ ausgestreckte Hand, aber sein Lächeln fiel deutlich kühler aus. Ein paar unangenehme Sekunden, in denen sich die beiden abwägend musterten verstrichen. „Ähm …“ Denk nach, Jonas, denk nach! „Ich schätz mal, Christine weiß auch noch von nix?“ „Nicht, wenn Maria und Nick ihre Sache gut gemacht haben“, erwiderte Erik. „Sie sollten eigentlich jeden Moment hier sein.“ „Wo steckt eigentlich Christoph?“ Clemens hatte sich bemüht, leise mit seinen zwei Begleitern zu sprechen, doch Jonas stand nah genug bei ihnen, um die Frage zu hören. Andreas und Dimi wechselten einen Blick. „Der fühlt sich nicht so wohl.“ Trotz Dimis vorsichtig gewählter Worte, die auch eine einfache Magenverstimmung suggerieren konnten, war Jonas klar, was er eigentlich meinte. Christoph fühlte sich nicht wohl in Jonas‘ Nähe. In Eriks Nähe. In ihrer Wohnung. Was unter Alkoholeinfluss ein erträglicher Scherz gewesen war, war nüchtern nochmal etwas völlig anderes. Clemens schnaubte. „Gut. Ich hatte von seiner großen Fresse eh allmählich die Schnauze voll.“ „Ich wollte wirklich keinen Keil zwischen euch treiben“, murmelte Jonas betreten. „Oh, glaub mir, das hat der Kerl ganz von selbst geschafft“, entgegnete Clemens verächtlich. „Manche Leute braucht man einfach nicht in seinem Leben.“ „Aber–“ „Jonas“, schnitt Clemens ihm das Wort ab. „Wenn du auch nur eine Sekunde denkst, ich wollte jemanden in meinem Freundeskreis haben, der so ‘ne Scheiße absondert und noch dazu ein Problem mit meinem besten Kumpel hat, dann kennst du mich wesentlich schlechter als ich bisher angenommen hatte.“ „Oh. Okay. Danke.“ Jonas fühlte sich schuldig, weil ihn Clemens Bereitschaft ihn zu verteidigen so glücklich machte, andererseits konnte er nichts gegen das Lächeln unternehmen, das an seinen Mundwinkeln zupfte. Wenn jetzt noch dieses verflixte Stechen in seiner Brust verschwinden würde, wäre alles gut. Haltsuchend lehnte er sich in Eriks Richtung. Ihre Handrücken streiften sich, eine unschuldige Berührung, die ein Prickeln über seine Haut sandte, doch die Klingel läutete ein weiteres Mal und stahl Eriks Wärme, als dieser davoneilte, um den Summer zu betätigen. „Ihr spinnt ja!“, rief Christine wenige Sekunden später ins dekorierte Wohnzimmer. „Oder sieht das hier einfach immer so aus?“ „Nee.“ Jonas schüttelte den Kopf. „Normalerweise sind hier mehr Regenbögen und Einhörner. Und ein Darkroom.“ „Wann habt ihr das geplant?“, wollte sie wissen, ohne auf Jonas‘ schlechten Scherz einzugehen. „Wie habt ihr das geplant?“ „Marias Idee“, antwortete Erik und Jonas‘ Herz machte einen kleinen Satz. Hatten sie sich versöhnt? „Sie hat mich über meine Firmenmail kontaktiert und gefragt, ob wir die Party hier starten können.“ „Und, ob er die Nummern deiner Freunde aus der Uni hat“, ergänzte Maria. Verwundert drehte sich Jonas zu Erik. „Aber die hast du doch gar nicht.“ „Doch, meine.“ Larissa hob die Hand, als wüsste sie als Einzige die Antwort auf eine schwierige Klausurfrage. „Von deinem Unfall noch. Da hast du doch manchmal Eriks Handy benutzt, solange deines noch in Reparatur war.“ „Dass mein Besuch in Berlin ausgerechnet auf diese Woche gefallen ist, ist übrigens vielleicht nicht ganz so zufällig, wie du dachtest“, mischte sich Clemens ein. „Das war auch Marias Idee. Hab einen richtigen Schreck gekriegt, als sie sich plötzlich dazu herabgelassen hat, meine Existenz im Wohnheim anzuerkennen.“ Maria verzog den Mund, blieb aber still. So ganz unzufrieden sah sie ohnehin nicht aus. Erik wandte sich an Christine. „So, und nachdem der heutige Ehrengast angekommen ist, sollten wir langsam starten, oder?“ „Hey!“, motzte Jonas. „Was is‘ mit mir?“ „Du bist in ein paar Stunden dran“, erwiderte Erik mit einem verschmitzten Lächeln, das nochmal eine ganze Ecke breiter wurde, als Jonas ihm schmollend die Zunge rausstreckte. Gleich darauf zog Jonas seine Schwester in die Arme. „Alles Gute, du Pestbeule.“ Einer nach dem anderen schloss sich den Glückwünschen an. Bis Christine sämtliche Umarmungen abgearbeitet hatte, war ihr Gesicht gerötet und ein feiner Schweißfilm glänzte auf ihrer Stirn. Erik deutete Richtung Tür. „Wer mir in die Küche folgt, hat Chancen auf Sekt zum Anstoßen.“ Gemessen an der Geschwindigkeit, mit der sich das Volk vorwärtsbewegte, musste es kurz vorm Verdursten stehen.   So langsam dämmerte Jonas, wie viel Mühe in der Partyplanung steckte. Auch in der Küche stand die Balkontür sperrangelweit geöffnet und der Grill, den er und Erik vor einer Weile gekauft aber noch nicht eingeweiht hatten hatte seinen Weg nach draußen gefunden. Der Raum selbst platzte vor selbstgemachten Köstlichkeiten. Zwei Schalen Bowle, fruchtig pink und exotisch grün, mit oder ohne Alkohol, Spieße mit Grillkäse und Zucchini, Garnelen und Tomaten, Hühnchen und Paprika, knuspriges Brot, mit Obst belegter Blechkuchen, eine beeindruckende Torte, von der Jonas sich fragte, wie Erik sie ohne sein Wissen hatte backen können, Salate und andere Beilagen bedeckten jede freie Fläche. Damit war für alle Wünsche mehr als gründlich gesorgt. „Es hat echt Vorteile, jetzt noch einen Vegetarier in der Familie zu haben.“ Lobend klopfte Christine Erik, dessen Gesicht beim Wort ‚Familie‘ aufleuchtete auf die Schulter. „Weniger reden, mehr trinken!“ Mit seinem gewohnten Sunnyboygrinsen verteilte Clemens die bereitstehenden Gläser. Die versammelte Meute kam seiner Aufforderung nur zu gerne nach; johlend stieß sie auf Christine an, stattete sich mit Essen aus und verteilte sich bald darauf lachend, quatschend und kauend in der ganzen Wohnung. „Soll ich dich mal ablösen?“, fragte Jonas Erik, der den Grill bewachte, darum bemüht, jeden Wunsch nach Essen und Getränken zu erfüllen. „Quatsch. Das ist deine Party.“ „Noch isses strenggenommen Christines Party. Meine wird’s erst um Mitternacht.“ „Ah, wenn das so ist, gebe ich die Grillzange natürlich gerne weiter.“ Trotz Eriks Worten, musste Jonas sie ihm praktisch aus der Hand reißen. „Hast du überhaupt schon was gegessen?“ „Ich gedenke, das jetzt nachzuholen.“ Die Berge an Lebensmitteln, mit denen Erik seinen Teller belud, sprachen dafür, dass Jonas gerade rechtzeitig erschienen war, um seinen Freund vor einem grausigen Hungertod zu bewahren. „Ihr habt euch echt scheißviel Mühe gemacht. Danke.“ „Gefällt es dir denn?“, fragte Erik zwischen zwei Bissen. „Wir waren uns nicht sicher, ob ihr nicht doch lieber in irgendeinen Club wolltet. Ehrlich gesagt fürchte ich, dass Maria, Nick und ich etwas aus den Augen verloren haben, was dir und Christine gefällt. Das hier ist vielleicht eher unsere Traumfeier als eure.“ „Nee.“ Jonas winkte ab. „Das is‘ schon echt gut so. In Clubs kann ich an jedem anderen Abend gehen und Christine steht da eh nich‘ besonders drauf.“ Er küsste Eriks Wange. „Habt ihr gut gemacht.“ Betont beiläufig fragte er: „Wie läuft’s eigentlich zwischen dir und Maria?“ Erik gab sich Mühe, aber er konnte das Zucken, das durch seine Züge ging nicht völlig überspielen. „Besser, hoffe ich. Nicht perfekt, aber das ist schon in Ordnung so.“ „Nee, isses nich‘. Ich lieb sie ja eigentlich für ihre misanthropischen Tendenzen, aber bloß, weil sie sich einbildet, dich gründlich durchleuchten zu müssen, darf sie dich nich‘ wie den letzten Dreck behandeln. Ich bequatsch das nachher nochmal mit ihr.“ Fett zischte auf heißen Kohlen und der Duft nach Gegrilltem, der den nächsten Schwung Gäste in die Küche lockte beendete Jonas‘ und Eriks Gespräch vorzeitig. „Ich übernehme wieder“, bot Erik an. „Kümmere dich ruhig um die anderen Gäste, mich siehst du noch oft genug.“ „Pff, sag doch einfach, dass ich dir auf die Nerven geh.“ „Du gehst mir auf die Nerven“, erwiderte Erik ungerührt, zwinkerte Jonas aber gleich darauf verschmitzt zu. „Jetzt geh, bevor du mich weiter ablenkst und ich das Essen anbrennen lasse.“ Leise murrend verschwand Jonas aus der Küche und streifte durch den Rest der Wohnung, den Blick aufmerksam auf seine Gäste gerichtet. Überall standen kleine Grüppchen, die sich unterhielten; niemand schien ausgeschlossen zu sein, oder sich unwohl zu fühlen. Sogar Sophia, die anfangs schüchtern an Eriks Seite geklebt hatte, hatte sich von Dimi auf die Wohnzimmercouch entführen lassen, die sie nun zusammen mit Clemens und Larissa belegten. „… und dann haben die mich gefragt, ob ich einen Mopp besitze“, gab sie gerade die Geschichte ihrer bisher seltsamsten WG-Begegnung zum Besten. „Warte!“, unterbrach Larissa. „Wohnen die zufällig über so ‘nem Pizzaservice? Diese winzige Dachbodenbude, in deren Zimmer gerade so ein Bett passt?“ „Genau die!“ Larissa brach in Gelächter aus. „Oh Gott, bei denen habe ich mich letztes Jahr auch vorgestellt. Grauenhaft! Einer von denen wollte mir dann auch gleich eine Lebensversicherung andrehen, denn–“ „–man weiß ja nie, was kommt!“, vervollständigte Sophia den Satz und fiel in Larissas Lachen ein. „Ich bin mir ja echt schlau vorgekommen, weil ich dachte, ich erspar mir den ganzen Wahnsinn und zieh einfach ins Wohnheim, aber ey, was da los ist …“ Clemens berichtete von einem Ereignis, das Streichhölzer, Unterwäsche, viel zu viel Alkohol und einen Hamster beinhaltete. Die vier waren so in ihr Gespräch vertieft, dass es Jonas nicht wagte, sie zu unterbrechen. Also lauschte er gerade lange genug, um sicherzugehen, dass der Hamster heil aus der Sache herausgekommen war und ließ sich anschließend neben seine Schwester auf die Hollywoodschaukel auf dem Balkon fallen. Eine Weile sagte keiner von ihnen ein Wort, Christine starrte lediglich gedankenversunken über die Balkonbrüstung in die Nacht. Die Blumen, die Erik auf Jonas‘ Drängen hin in die Töpfe am Rand gepflanzt hatte zogen die örtliche Fauna an und bildeten einen angenehmen Kontrast zu Berliner Beton und Neonlicht. Nächstes Jahr war der Balkon zur Küche an der Reihe. Tomaten und frische Kräuter standen schon fest auf Jonas‘ Liste; sofern danach noch Platz und Sonne übrig waren, würden sich Erdbeeren, Chilis und Gurken dazugesellen. „Wo ist Nick?“, fragte er Christine, nachdem ihm ihr Schweigen zu laut geworden war. „Wollte mir Nudelsalat mitbringen. Ist aber schon recht lang weg.“ „Hat sich sicher mit jemanden verquatscht.“ „Hm.“ „Wie, ähm, wie läuft’s denn zwischen euch beiden? Ich mein, mit deinem Jahr in Australien und so … Das bringt sicher ‘n bissl Spannung rein, oder?“ „Ein bisschen?“ Christine lachte tonlos. „Ein bisschen viel für meinen Geschmack. Ehrlich, ich bin mir manchmal nicht sicher, ob das mit uns noch Sinn hat. Es … Es ist schwierig. Ich liebe ihn, aber ich weiß nicht, ob wir füreinander gemacht sind.“ „Habt ihr mal darüber gesprochen? So richtig offen und ehrlich?“ Christine schüttelte den Kopf. „Nicht direkt. Würde doch auch nichts bringen, oder? Wir sind gerade beide in einer Phase, in der sich viel für uns ändert, versuchen aber krampfhaft, zwischen uns alles beim Alten zu lassen. Das klappt einfach nicht.“ Sehnsuchtsvoll blickte sie zum dekorierten Wohnzimmer. „Aber wenn ich sehe, was du und Erik euch aufgebaut habt und wie ihr miteinander umgeht, dann denke ich mir, dass ich das auch will. Dass Nick und ich etwas Wunderbares haben und ich lieber darum kämpfen sollte, anstatt einfach das Handtuch zu werfen.“ „Vielleicht tut euch die Entfernung durch dein Jahr in Australien ganz gut.“ „Oh, bitte! Wann hat sowas einer kriselnden Beziehung je geholfen?“ „Ich sag ja auch nich‘, dass es eurer Beziehung gut täte“, erwiderte Jonas sanft. „Sondern euch. Jedem für sich genommen. Damit ihr mal Zeit habt, was für euch selbst zu tun. Und dann, wenn du wieder da bist, seht ihr ja, wo ihr steht, wo ihr hinwollt und welchen Platz der jeweils andere in euren Plänen hat.“ „Vielleicht.“ Christine klang wenig überzeugt. „Ich will trotzdem das, was du und Erik haben.“ „Du meinst eine Beziehung, von der nich‘ mal die eigenen Eltern wissen?“ „Ja, okay, vielleicht nicht gerade den Teil.“ „Es is‘ echt ‘n total beschissenes Gefühl, sie so auszuschließen. Ich mein, fuck, Erik und ich leben zusammen, sin‘ dabei, uns ‘ne Zukunft aufzubauen und Mum und Dad glauben wahrscheinlich immer noch, dass ich Maria hinterherwein. Das is‘ nich‘ fair. Ihnen gegenüber nich‘ und schon gar nich‘ gegenüber Erik. Er hat’s nich‘ verdient, ein beschissenes Geheimnis zu sein, das ich lieber unter den Tisch kehren würd.“ „Brüderchen, ich will ja dein Selbstbild nicht zerstören, aber für jeden hier ist ziemlich offensichtlich, wie ihr zueinander steht.“ Jonas lächelte freudlos. „Du weißt, was ich mein. Hier in Berlin klappt das, aber ich bin zu feig, Mum und Dad in den erlauchten Kreis der Mitwissenden aufzunehmen.“ „Vielleicht ist das erstmal besser so.“ Jonas betrachtete seine Schwester aus dem Augenwinkel. „Was meinst du?“ „Ich meine, dass du froh sein kannst, die letzten Monate nicht daheim gewesen zu sein. Als das mit der Ehe für Alle so hochgekocht ist, meine Fresse, da wäre ich am liebsten auch ausgezogen. Ich glaube, wir haben noch nie so viel gestritten wie in dem Monat.“ „Im Prinzip sagst du mir also, dass ich’s ihnen weiter verheimlichen soll?“ Jonas war sich nicht sicher, was er davon halten sollte. Ein Teil von ihm war erleichtert, dass Christine ihm Absolution erteilte, ein anderer – der, der auf Unterstützung gehofft hatte – schrie störrisch auf. Sie schüttelte den Kopf. „Ich sage nur, dass du nicht mit allzu viel Verständnis rechnen solltest. So schlimm das jetzt klingt, ich bezweifle auch keine Sekunde, dass die beiden dich wirklich lieben und sich das nicht ändern wird, aber in ihrem Herzen sind sie nun mal altbackene Konservative.“ Jonas stieß einen tiefen Seufzer aus, der in seinem Inneren nachhallte. „Ich weiß.“ „Sorry.“ „Schon gut. Sagst ja bloß die Wahrheit.“ Jetzt war es an Christine zu seufzen. „Ich geh mal gucken, wo Nick mit meinem Nudelsalat bleibt.“ Die Schaukel knarzte leise, als sich Christine erhob, der sanfte Schwung lullte Jonas wie ein Wiegenlied ein. „Okay, ich mag ihn.“ Überrascht blickte Jonas zu Maria. „Hab ich dir doch gleich gesagt.“ „Ja, ja.“ Die Arme in die Hüften gestemmt, sah sie aus, als wollte sie ihn für diese Erkenntnis schimpfen. „Ich habe mich ehrlich darum bemüht, kritisch zu sein, mich nicht von seinem Charme einwickeln zu lassen und ihn auf Herz und Nieren zu prüfen, aber ich komme zu dem Schluss, dass er wirklich in Ordnung zu sein scheint.“ „Dann kannst du dich ja jetzt bei ihm dafür entschuldigen, wie beschissen du dich aufgeführt hast.“ „Gerade passiert.“ Maria kuschelte sich an Jonas‘ Seite und versetzte der Schaukel neuen Schwung. „Ich weiß auch, dass ich es ein wenig übertrieben habe.“ Nach einer kurzen Pause fügte sie hinzu: „Okay, ziemlich übertrieben. Die Wahrheit ist, dass ich wohl eifersüchtig war. Wir sehen uns kaum noch und ich habe das Gefühl, du kommst mit deinen Problemen eher zu ihm als zu mir. Außer natürlich, du hast ein Problem mit ihm. Das durfte ich mir ja wirklich lange genug anhören.“ Jonas wollte widersprechen, musste aber einsehen, dass Maria nicht unrecht hatte. Er hatte sie in den letzten Monaten wirklich vernachlässigt und ihre Telefonate davor hauptsächlich genutzt, um über seine wacklige Beziehung mit Erik zu klagen. „Hast recht. Sorry. Wie wär’s, wenn wir uns diese Woche einen Tag nur für uns reservieren? Und wenn ich mit euch nach Bayern komm, auch.“ „Klingt gut.“ Das war vermutlich das ehrlichste Lächeln, das Jonas seit Marias Ankunft in Berlin von ihr zu Gesicht bekommen hatte. „Aber glaub nicht, dass mich zwei läppische Tage vollends befriedigen. Du musst an deiner Kommunikation arbeiten.“ „Is‘ notiert. Wie läuft eigentlich dein Studium?“ Und da war das Lächeln auch schon wieder weg. „Könnte besser laufen, könnte schlechter laufen“, antwortete Maria unwillig. „Ich finde Mathe immer noch megaspannend und die Klausuren liefen ganz gut, aber der Stress davor …Und irgendwie sehe ich darin keine Zukunft für mich. Ich glaube, ich will doch lieber anwendungsorientiert arbeiten.“ „Vielleicht solltest du dann wirklich über einen Wechsel nachdenken?“ Das war nicht das erste Mal, dass sie über dieses Thema diskutierten und eigentlich wusste Jonas, wie Maria dazu stand. Daher schob er rasch hinterher: „Ich mein, niemand hier bezweifelt, dass du ’n kleines Mathegenie bist und das Studium schaffen würdest, wenn du wolltest. Aber wenn‘s dich nich‘ glücklich macht …“ Er zuckte mit den Schultern. „Vielleicht täte dir ‘n Neuanfang ganz gut. Das Angebot, zu mir nach Berlin zu kommen steht noch.“ „Ich denke drüber nach, es anzunehmen.“ Jonas blinzelte. „Echt jetzt?“ „Echt jetzt. Wenn ich sowieso das Fach wechsle, dann kann ich auch gleich in eine andere Stadt ziehen“ „Was is‘ mit deinen Eltern?“ „Die werden sich daran gewöhnen müssen“, antwortete Maria knapp. Vermutlich war das etwas, worüber sie noch nicht nachdenken wollte. Oder – und das war in ihrem Fall wahrscheinlicher – etwas, das sie bereits bis zum Erbrechen durchgekaut hatte. „Wenn du Hilfe mit irgendetwas brauchst“, sagte Jonas, „dann bin ich immer–“ „–für mich da. Ich weiß.“ Maria lehnte ihren Kopf gegen seine Schulter. „Danke.“ Bald wechselten die beiden zu oberflächlicheren Themen, witzelten, lachten und binnen kürzester Zeit war ihre alte Chemie wiederhergestellt, die dünnen Risse ihrer Freundschaft gekittet. Irgendwann drängte sich Christine – auffallend allein – zwischen sie und Jonas wanderte weiter zu Clemens und Larissa, bis Ersterer ihm mit einem dezenten Stoß in die Rippen zu verstehen gab, doch bitte das Feld zu räumen. Wie bei jeder guten Party endete Jonas in der Küche. Würde es jemand merken, wenn er ein Stück von der Torte mopste, bevor sie offiziell angeschnitten wurde? Erik, der sich keine zwei Meter von Jonas entfernt den Grill hütete erhöhte dieses Risiko jedenfalls beträchtlich, weshalb sich Jonas mit einer Traube aus den traurigen Resten der alkoholhaltigen Bowle begnügte. „Stehst du immer noch hier oder schon wieder?“ „Schon wieder. Dauert aber noch, bis die Grillkohle durchgeheizt ist.“ „Dann komme ich ja gerade rechtzeitig!“, rief Christine in die Küche. „Geschenkezeit!“ „Schon?“ Perplex warf Jonas einen Blick auf die Küchenuhr. Seine Schwester hatte recht, es war kurz vor Mitternacht, aka ‚Geschenkezeit‘. Resolut packte er Erik am Kragen und schleifte ihn mit sich ins Wohnzimmer. „Ich zuerst!“ Ohne Jonas die Chance auf Widerspruch zu geben, schnappte sich Christine das erste Päckchen. „Oh, warte, da stehen unsere beiden Namen drauf. Wer war denn da so faul?“ „Ich“, erwiderte Maria schlicht. „Dann mach ich erst alle anderen auf und das heben wir uns als Zwischenstück auf, bevor dann Jonas allein dran ist.“ Umsichtig legte Christine das nicht gerade kleine Paket zur Seite. Offensichtlich hatten Nick und Maria bereits vorab Geschenke von Freunden gesammelt, die nicht mit nach Berlin hatten kommen können, sodass der Stapel beträchtlich und Christine binnen kürzester Zeit von knisterndem Geschenkpapier umgeben war. Es war jedoch das Letzte, Nicks, das sie innehalten ließ. Ein filigran gearbeitetes Silbermedaillon, in dessen Innerem ein Foto der beiden steckte, baumelte von ihren Fingern. „Das ist …“ Wütend blinzelte sie gegen erste Tränen in ihren Augen, bevor sie sich an Nick wandte. „Legst du es mir um?“ Dieser hörte auf nervös von einem Fuß auf den anderen zu tippeln und kam ihrer Bitte nach, doch ein Rest Verunsicherung blieb auf seinem schmalen Gesicht. Jonas, der seine Schwester nun schon ein paar Jahre länger kannte, wusste allerdings, dass das ein Volltreffer gewesen war und die Zärtlichkeit, die in Christines Berührung lag, als sie mit den Fingern die filigrane Gravur des Anhängers erkundete bestätigte seine Vermutung. Ihre Stimme war noch immer etwas brüchig, als sie sagte: „Okay, damit bleibt nur noch Marias Geschenk. Nachdem es für uns beide ist, würde ich sagen, jeder von uns reißt eine Hälfte auf.“ Die Zusammenarbeit der Geschwister enthüllte ein altmodisches, in Leder gebundenes Fotoalbum. Andächtig glitten Jonas‘ Fingerspitzen über das edle Material, so, wie Christines zuvor über Nicks Medaillon. „Wahrscheinlich sollte ich den Hintergedanken dazu erklären“, sagte Maria. Die Aussicht, vor versammelter Mannschaft sprechen zu müssen, trieb Röte in ihre Wangen. „Christine verschwindet bald nach Australien und Jonas hockt die nächsten Jahre in Berlin. Wer weiß, wohin es Nick nach dem Ende seiner Ausbildung verschlägt und ich selbst weiß auch noch nicht so genau, was ich in Zukunft mache. Fest steht nur, dass es unsere kleine Clique so nicht mehr geben wird. Und so nett moderne Medien auch sind, wünsche ich mir manchmal etwas Handfesteres. Also dachte ich, wir nutzen dieses Album. Jeder klebt Fotos ein, schreibt ein paar Zeilen, was er gerade so treibt und schickt es dann an den nächsten. Wenn es voll ist, haben wir eine einzigartige Erinnerung.“ Bevor irgendjemand reagieren konnte, rief Jonas ‚Meins, meins, meins!‘ und verstaute das Album auf dem höchsten Regal des Wohnzimmers, sicher vor Marias und Christines kurzen Ärmchen. „Ihr könnt es haben, wenn ich damit fertig bin.“ „Jetzt fühle ich mich unkreativ.“ Murrend drückte Clemens Jonas sein Geschenk in die Hand, billiger Whiskey und eine Packung Kippen. „Hey! Kein Wort gegen geliebte Traditionen!“ Natürlich war das Zeug aufregender gewesen, als die beiden noch zu jung gewesen waren, um es legal zu erwerben, aber ihre Volljährigkeit hatte ihm seinen Charme nicht genommen. Instinktiv zog Jonas Clemens an sich, stockte jedoch, als ihm klar wurde, dass er diesen damit möglicherweise in eine unangenehme Situation brachte. Umarmungen waren immer ein Teil ihrer Freundschaft gewesen – jedenfalls, bis sich Jonas zurückgezogen hatte – doch damals hatte Clemens keine Ahnung von Jonas‘ Homosexualität gehabt. Wer wusste schon, ob er den Körperkontakt auch jetzt noch so locker sah. Umso überraschter reagierte Jonas, als Clemens die Umarmung nicht nur über sich ergehen ließ, sondern erwiderte. „Lass uns nicht wieder so weit auseinanderdriften, okay Mann?“ Jonas konnte nur vage Zustimmung murmeln. In seiner Erleichterung brauchte er einige Sekunden, um Eriks Blick zu bemerken, nachdem Clemens ihn aus seinen Armen entlassen hatte. Erik hielt seine Mimik sorgfältig neutral, doch seine linke Hand öffnete und schloss sich wiederholt. Das änderte sich, als er realisierte, dass Jonas ihn beobachtete, aber das gequälte Lächeln, das er daraufhin zeigte war beinahe noch schlimmer. Jonas hatte keine Gelegenheit, ihn kurz zur Seite zu nehmen; dafür warteten zu viele seiner Freunde darauf, ihre Geschenke zu überreichen. Larissa, Esther und Kemal hatten zusammengelegt und ihm ein Shirt organisiert, auf dem Klaus Kinski jemanden anwies die Schnauze zu halten, ‚damit du hörst, was ich sage‘. Vermutlich hatte Jonas ihnen ein Ausraster-Video zu viel gezeigt. Erik hob sein Geschenk bis zum Ende auf und als Jonas es entgegennahm, streiften sich ihre Hände gerade lange genug, um diesen wohligen Schauer auszulösen, der ihn seit ihrer ersten Begegnung begleitete. Die letzten Spuren der Eifersucht waren aus Eriks Gesicht verschwunden, sein Lächeln ehrlich mit einem Hauch von Vorfreude, der Jonas gleichermaßen neugierig wie misstrauisch machte. Das Päckchen hatte ein ähnliches Format wie Marias Fotoalbum, war jedoch weich und nachgiebig. Noch mehr Klamotten? Ungeduldig riss Jonas das schlichte, blaue Papier herunter. Der letzte Fetzen war noch nicht auf den Boden gesunken, da wusste er schon, was er vor sich hatte. Eine neue Lederjacke. „Ich dachte, die könntest du brauchen, wenn es wieder kälter wird.“ Stumm nickte Jonas, Nostalgie verwandelte seine Zunge zu Asche. Er freute sich über die Jacke und noch bevor er sie auseinandergefaltet hatte war ihm klar, dass sie seinen Geschmack traf, aber sie erinnerte ihn auch an seine alte. Die, die er von seinem eigenen Geld gekauft hatte. Die, die ihn durch fast alle wichtigen Lebensentscheidungen belgeitet hatte. Die, die den Unfall nicht überstanden hatte. Jonas musste Erik lassen, dass er eine wirklich gute Wahl getroffen hatte. Die neue Jacke glich der alten frappierend. Das dunkle Leder, so butterzart, als hätte er sie bereits seit Jahren getragen, der hochklappbare Kragen, die schrägen Reißverschlüsse, der Knopf, in den er seine Initialen gekratzt hatte. Der Knopf. Mit seinen Initialen. Jonas‘ Augen wurden groß. „Erik … Is‘ das meine?“ „Ich konnte sie nicht einfach wegschmeißen, also habe ich mal bei einem Spezialisten angefragt, ob man den Schaden reparieren könnte. Und sie konnte.“ Die Luft entwich hörbar aus Eriks Lungen, als Jonas in seine Arme hüpfte und ihn mit aller Kraft an sich presste. „Danke. Danke, danke, danke. Danke.“ Jedem ‚Danke‘ folgte ein Kuss. Eris Stirn, Eriks Wangen, Eriks Lippen – nichts war sicher vor Jonas‘ überschwänglicher Freude. „Ich glaube, wir haben verloren“, raunte Clemens einer kichernden Maria zu und Jonas war sich ziemlich sicher, aus dem Augenwinkel gesehen zu haben, dass seine Schwester schamlos Fotos schoss. Es konnte ihm egaler nicht sein. Ohne von Erik abzulassen, flüsterte er ‚Ich liebe dich‘ in sein Ohr. Ebenso leiser erhielt er die Antwort: „Ich weiß. Ich dich auch.“   Morgenröte überzog den Himmel, bis sich mit Christine, Nick und Maria die letzten Gäste verabschiedeten. Esther und Kemal waren erwartungsgemäß früh aufgebrochen und Larissa hatte sich mit Andi und Clemens zwei willige Bodyguards für den Heimweg organisiert. Ausgehend von dem, was Jonas zuvor beobachtet hatte, würde Clemens diese Aufgabe freudig bis zum nächsten Morgen ausfüllen. Dimi musste schon früher und ohne Verabschiedung in die Freiheit entschlüpft sein, zumindest wusste niemand, wo er steckte. „Scheiße, ich glaub, ich muss drei Jahre schlafen, um das wieder reinzuholen“, brummte Jonas in sein Kissen. Er fühlte die Bewegung der Matratze, als sich Erik neben ihn legte.   „Hmm, also kein Sex?“ „Nich‘, wenn du erwartest, dass ich dabei wach bin.“ „Ah, das ist in Ordnung. Hauptsache, du hältst still.“ Lachend fing Erik Jonas‘ schwächlich nach ihm schlagende Hand ab. „Na gut, ich bluffe nur. Kuscheln reicht.“ Klaglos ließ sich Jonas in Eriks Arme ziehen, was er allerdings gleich darauf fühlte, sprach dafür, dass Erik keineswegs ‚nur geblufft‘ hatte. „Sicher, dass Kuscheln genügt?“, fragte er belustigt. „Nein“, erwiderte Erik schlicht. „Aber wenn ich an den Geschirrstapel in der Küche denke, sollte ich wohl so viel Schlaf wie möglich sammeln.“ „Ich helf dir dann morgen“, nuschelte Jonas. „Nein, tust du nicht. Geburtstagskinder müssen nicht abspülen.“ „Aber–“ „Nein.“ Jonas schnaubte. „Okay, Daddy.“ Ein Moment der Stille. „In Ordnung. Du hast ab jetzt Pornoverbot.“ „Aber Dadd-iih!“ Missmutig rieb Jonas über die schmerzende Stelle an seinem Oberschenkel, in die sich bis eben Eriks Finger gebohrt hatten. „Böser Daddy!“ Er keuchte, als sich Eriks Arme um ihn schlangen, ihn fest gegen den nackten Körper hinter ihm pressten. „Ich merke, du brauchst etwas mehr Disziplin.“ Das heisere Flüstern stellte die Härchen in Jonas‘ Nacken auf. „Vielleicht.“ „Das mit den Pornos war übrigens mein voller Ernst. Die sind erstmal gestrichen. Ah, genaugenommen denke ich, dass wir das ein wenig erweitern sollten. Ab sofort lässt du deine Finger schön über der Bettdecke.“ „Was?“ „Das hilft dir vielleicht, wieder einen kühlen Kopf zu bekommen. Sagen wir bis“, Erik tat als müsste er überlegen, „du wieder von deinen Eltern zurückkommst.“ „Was?“ Jonas‘ Entsetzen wirkte sich negativ auf seine Eloquenz aus. „Ich bin zwei Wochen da!“ „Mhm. Sollte machbar sein, oder?“ „Aber … Aber …“ „Ja?“ „Ich darf also nich‘ …?“ „Nein.“ „So gar nich‘?“ „So gar nicht.“ „Fuck!“ „Aber!“ Eriks Hände, die über Jonas‘ Körper glitten ersetzten Müdigkeit durch Lust. „Wenn du brav bist und dich an die Abmachung hältst, wartet am Ende der zwei Wochen eine Belohnung auf dich.“ „Dir is‘ schon klar, dass ich theoretisch zwölfmal täglich wichsen könnt und einfach behaupten, ich hätt’s nich‘ getan? Woher willst du das wissen?“ „Glaub mir, ich weiß das.“ Grummelnd vergrub Jonas das Gesicht in den Kissen, dachte nach. „Okay. Ich mach’s.“ „Braver Junge.“ „Dann nimm jetzt aber auch deine Bratzen weg! Sonst kann ich garantiert nich‘ schlafen!“ „Also doch vögeln?“ „Nein!“ Lachend versetzte Erik seine Hände an etwas unverfänglichere Stellen und Jonas atmete einige Male tief durch. Allmählich kehrte die Schwere in seinen Körper zurück. „Wo is‘ eigentlich Sophia hinverschwunden?“, fragte er „Ich hab gar nich‘ ‚Gute Nacht‘ gesagt.“ Er war eingeschlafen, bevor er eine Antwort erhalten hatte.   „Morgen!“, flötete Sophia in die Küche, schnappte sich zwei Tassen und begann, frischen Kaffee aufzubrühen. Notgedrungen per Hand, da Erik und Jonas keine Kaffeemaschine besaßen. „Guten Morgen“, erwiderte Erik ihren Gruß zwischen zwei Bissen Marmeladenbrot. „Frühstückt ihr mit uns?“ Seit Dimi am Morgen nach der Party verlegen aus Sophias Zimmer geschlichen war, hatte er mehr Zeit in Jonas‘ und Eriks Wohnung verbracht als bei den Freunden, mit denen er nach Berlin gekommen war. Vermutlich war es ganz gut gewesen, dass Jonas vergessen hatte, die Kondome aus der Schreibtischschublade zu räumen. „Ah, ich denke schon“, beantwortete Sophia Eriks Frage. „Wir haben noch genug Zeit, oder?“ Jonas warf einen Blick auf die Küchenuhr. „Japp, mehr als genug.“ Maria, Clemens, Dimi und die anderen würden allesamt denselben Zug nach München nehmen und auch er selbst war mit von der Partie. Jonas wusste nicht, ob er sich darauf freute. Er vermisste seine Eltern, doch seine Geheimnisse warfen immer längere Schatten auf ihre Beziehung und er fragte sich, wann sein sorgfältig aufgebautes Kartenhaus zusammenbrechen würde.     Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)