Raupe im Neonlicht von Noxxyde ================================================================================ Kapitel 33 ---------- Was zuletzt geschah: Jonas stellt fest, dass so ein paar gebrochene Knochen ganz schön einschränkend sein können und Erik einen gewissen Hang zum Gluckentum besitzt. Nichts davon will ihm so recht gefallen. Dass er sich auch noch von seiner geliebten Lederjacke trennen muss, versetzt seiner Laune einen zusätzlichen Dämpfer. Ein paar positive Aspekte kann er seiner Situation dennoch abgewinnen. Erik lässt ihn nicht nur ein paar Tage bei sich wohnen, er überlässt ihm dabei sogar seinen Zweitschlüssel. Selbstverständlich nur auf Zeit …   Kapitel 33 Jonas schob seinen Teller von sich und dehnte seine verspannten Muskeln. Noch vor einem Monat hatte er keine Vorstellung gehabt, welcher Luxus es war, sich schmerzfrei bewegen zu können. Sicher, auch jetzt musste er vorsichtig sein und der blöde Gips nervte ihn jeden Tag etwas mehr, bis ihn nicht einmal die inzwischen beeindruckend bunte Verzierung desselben trösten konnte, aber die Zahl potenziell möglicher Tätigkeiten stieg unleugbar. Jetzt musste er nur noch Erik ebenfalls davon überzeugen, denn der behielt wie angekündigt seine Finger gänzlich bei sich. Was nicht unerheblich zu Jonas‘ Frust beitrug.   „Suchst du eigentlich noch nach einer neuen Wohnung?“, riss ihn Larissas Stimme aus seinen Gedanken. Sie schaufelte eine Gabel undefinierbaren Mensa-Auflauf in ihren Mund und nahm den – zugegebenermaßen süßen – Typen zwei Tische weiter unter die Lupe, bevor sie ihre Aufmerksamkeit wieder Jonas zuwandte. „Ähm, ja. Bisher hatte ich nich‘ wirklich viel Glück.“ Nicht, dass er besonders gründlich gesucht hätte. „Hättest du Bock, zu uns zu ziehen?“ Fragend zog Jonas die Brauen hoch. „In eure WG?“ „Nein, Jonas, in unseren Keller“, antwortete Larissa. „Natürlich meine ich unsere WG.“ Sie tätschelte seinen Arm, wie eine Lehrerin dem Kind, das einmal zu oft vom Wickeltisch gefallen war. „Mara zieht zu ihrem Freund und wir brauchen einen Nachfolger. Ich habe schon mit Ling gesprochen und sie hätte grundsätzlich nichts dagegen, wenn du das Zimmer bekommst.“ „Oh, ähm, das … Lass mich drüber nachdenken, ja?“, bat Jonas ein wenig überrumpelt. „Und schreib mir noch mal wegen Miete, Quadratmeter und sowas, damit ich mir halbwegs ‘n Bild davon machen kann, was da so auf mich zukommt.“ „Du machst die Sache echt komplizierter als nötig.“ „Nee, ich …“ Jonas stockte. Er machte es kompliziert, oder? Sollte er nicht lieber Luftsprünge machen, weil sein Nachbarschaftsproblem damit endlich gelöst wäre? „Ähm, ich will doch bloß sichergehen, dass wir uns nich‘ wegen irgendnem Scheiß zoffen. Freunde vor Wohnung und so.“ „Ach, komm.“ Larissa winkte ab. „Das wird ja wohl kaum passieren.“ „Nee, glaub ich auch nich‘.“ Jonas lächelte breiter als sich echt anfühlte.   „Bin wieder daaaa!“, flötete Jonas in die Wohnung und stellte seinen Rucksack zusammen mit den beiden Plastiktüten auf dem Küchenboden ab. „Hey.“ Jonas zuckte zusammen. Erik hatte sich wie eine Katze aus seinem Büro geschlichen und war plötzlich hinter ihm aufgetaucht. Kühle Lippen streiften Jonas‘ Nacken. „Du warst einkaufen?“ „So langsam kann ich mich ja auch mal nützlich machen.“ Entgegen ihres ursprünglichen Plans, waren aus wenigen Tagen vier Wochen geworden, seit denen Jonas wie selbstverständlich in Eriks Wohnung ein und aus ging. Aber es war nicht selbstverständlich und es wurde Zeit, dieses Nest wieder zu verlassen. Völlig egal, wie gemütlich es auch sein mochte. „Bist du dann auch fit genug zum Kochen?“ Eriks Finger hakten sich in Jonas‘ Kragen und zogen den Stoff nach unten, um den Weg für seine Zungenspitze freizumachen. „Ja-ah!“ Jonas‘ Antwort ging in ein ersticktes Keuchen über. „Aber wenn du nich‘ willst, dass ich mir dabei versehentlich ‘nen Finger abhacke, solltest du damit“, resolut schob er Erik von sich, „aufhören.“ Irgendwie schaffte dieser es, enttäuscht zu murren, während er gleichzeitig lachte. „Kann ich dir irgendwie helfen?“ „Wirst du sogar müssen. Links is‘ nich‘ grad meine geschickte Seite. Also würd ich lieber aufs Gemüseschneiden verzichten, selbst dann, wenn du deine Bratzen bei dir behalten kannst. Ach so, und ich dacht, wir könnten den Rest der Plätzchen, die meine Eltern in einem ihrer Hilfe-unser-Stammhalter-wurde-umgenietet-Pakete geschickt haben zu Nachtisch verarbeiten.“ „Ah … die … Plätzchen.“ Erik nahm tatsächlich seine Hände von Jonas‘ Hüften und trat einen Schritt zurück. Jonas glaubte, jeden Tag etwas Neues über ihn zu lernen, seit sie unter demselben Dach lebten. Zum Beispiel, dass sich die Spitzen seiner Ohren rot färbten, wenn er verlegen war. Und, dass er eine ausgesprochene Vorliebe für Süßes besaß. „Keine mehr da?“ „Hm.“ „Dann muss ich mir was Anderes für den Mascarpone überlegen.“ Jonas legte die beiden Plastikgefäße zu den Lebensmitteln, die Erik verstauen durfte. Sein neiderfüllter Blick glitt zum Kühlschrank, der gut bestückt, aber noch nicht einmal ansatzweise voll war. Diese Küche war etwa hundertmal besser ausgestattet als seine eigene und tausendmal geräumiger. Das wiederum erinnerte ihn an sein Gespräch mit Larissa. „Ich hab vielleicht ‘ne neue Wohnung.“ „Ist das so?“ „Japp. Könnte in Larissas WG ziehen. Du weißt schon, meine Kommilitonin, die mir das Handy geliehen hat. Ihr habt euch kurz kennengelernt.“ „Ich erinnere mich.“ „Eine ihrer Mitbewohnerinnen zieht aus und ich könnte noch diesen Monat ihr Zimmer übernehmen. Die Miete is‘ sogar günstiger als für meine Wohnung. Und ich denk, dass das ‘ne echt gute Idee is‘. Eigentlich fand ich’s nie besonders toll, so ganz allein zu leben, also wären ein paar Mitbewohner wahrscheinlich ganz nett. Ursprünglich hab ich bloß deswegen auf ‘ne eigene Wohnung bestanden weil ich mir die Möglichkeit offen halten wollte, mal ‘nen Mann … Du weißt schon. Ohne, dass irgendwer in meinem Umfeld was davon mitbekommt. Was in ‘ner WG echt schwierig is‘. Aber das Thema is‘ ja irgendwie vom Tisch, zumindest bei Larissa und … Ähm, ja. Jedenfalls sag ich ihr wahrscheinlich zu.“ „Gut für dich. Ich muss noch etwas für die Arbeit fertigmachen. Ruf mich, wenn du anfängst du kochen.“ Verdutzt sah Jonas Erik hinterher, bis die zuschlagende Bürotür die Sicht versperrte.   Immer wieder sauste das Messer auf die Karotte herab und zerlegte sie in winzige Stücke, aber Eriks Gesicht nach zu urteilen, hatte er dabei etwas ganz Anderes vor Augen. Drückendes Schweigen beherrschte die Küche, die plötzlich viel kleiner und dunkler wirkte als physikalisch möglich war. In seinem Bemühen, sich einen Reim auf die veränderte Stimmung zu machen, hätte Jonas beinahe Zwiebeln und Knoblauch anbrennen lassen. Gerade noch rechtzeitig goss er die Gemüsebrühe an. Gleich darauf knallte er frustriert den Messbecher auf die Anrichte. „Verfickt nochmal!“ Erschrocken blickte Erik auf. „Was ist los?“ „Das sollte ich dich fragen!“, schnauzte Jonas. „Irgendwas scheint dir jedenfalls gehörig auf den Sack zu gehen und ich werd das Gefühl nich‘ los, dass das mit mir zusammenhängt! Aber wenn du mir nich‘ sagt, was dein verficktes Scheißproblem is‘, kann ich dir auch nich‘ helfen!“ Wild rührte er im Topf herum und wirbelte Gemüseschnipsel auf. „Und jetzt keife ich dich an, wie der letzte Scheißcholeriker!“ „Du hast nichts falsch gemacht“, versicherte Erik gedämpft. „Gut!“ Jonas schnaubte. Deutlich ruhiger fragte er: „Was ist es dann?“ „Ich …“ Erik verstummte. „Es ist nichts. Zumindest nichts Wichtiges.“ Keine Sekunde später stieß er ein unverständliches Winseln aus, das vermutlich so viel hieß wie: ‚Hör sofort auf, mir in die Wangen zu kneifen, du unflätiger Rüpel.‘ „Da siehst du, wozu du mich zwingst“, sagte Jonas. „Jetzt muss ich dich schon mit Gewalt zum Lächeln bringen.“ Er zog Eriks Mundwinkel noch ein Stück weiter nach oben, bevor dieser seine Hände wegschlug und über die schmerzenden Stellen rieb. „Au.“ „Selbst schuld.“ „Du weißt, dass das eine gängige Argumentation bei häuslicher Gewalt ist?“ „Sagst du mir jetzt, was los is‘, oder muss ich noch mal?“ Drohend hob Jonas die Hände und folgte Erik, als dieser einen Schritt zurücktrat. „Ist ja gut! Ich habe nur …“ Erik seufzte schwer. „Das wird jetzt fürchterlich dumm klingen, aber bis du die Sache mit dem WG-Zimmer erwähnt hast, habe ich überhaupt nicht mehr daran gedacht, dass das hier nur eine Übergangslösung ist.“ „Oh.“ Da waren sie wieder, die geröteten Ohren. „Vielleicht beschreibt das Wort ‚verdrängt‘ die Sache etwas besser. Ehrlich gesagt, hatte ich mir wohl gewünscht, dass du einfach hierbleibst.“ Jonas öffnete den Mund, um etwas zu erwidern, aber Erik unterbrach ihn. „Ich weiß, dass es viel zu früh ist, um an so etwas wie Zusammenziehen zu denken. Aber …“ Er senkte den Kopf. „Ich weiß auch nicht …“ Schüchtern blickte er wieder auf. „Vielleicht tust du es trotzdem mal? So ganz hypothetisch?“ Abwesend warf Jonas die Karottenwürfel in die kochende Brühe und reduzierte die Hitze. „Hypothetisch …“ „Tut mir leid!“, sagte Erik eilig. „Ich überfalle dich völlig. Ah, vergiss das einfach wieder. Ich habe nicht wirklich darüber nachgedacht und außerd–“ Er verstummte. Allerdings nicht ganz freiwillig, Jonas hatte seine unverletzte Hand auf seinen Mund gepresst. „Ich find’s schön, hier mit dir zu wohnen“, sagte er, bevor Erik ihn wieder unterbrechen konnte. „Ich weiß nur nich‘, ob‘s eine gute Idee is‘, jetzt schon was Dauerhaftes draus zu machen.“ „Ist es vermutlich nicht“, nuschelte Erik gegen Jonas‘ Finger. „Außerdem bezweifle ich, dass ich mir die Hälfte der Miete leisten könnt.“ „Naja, das wäre das geringste Problem. Jetzt zahle ich sie ja ganz alleine. Theoretisch würde es also reichen, wenn du deinen Teil der Nebenkosten übernimmst. Alles darüber hinaus, wäre schon ein finanzielles Plus für mich.“ „So nah an der Uni zu wohnen is‘ schon praktisch“, sagte Jonas langsam, schüttelte dann aber den Kopf. „Aber es is‘ trotzdem Schmarrn. Oder?“ „Ja. Schon.“ Wie einem stummen Kommando folgend, wandten sich Jonas und Erik wieder ihrem Abendessen zu.     Jonas wälzte sich im Bett. Mit jedem Tag, an dem seine Rippen weniger schmerzten, störte ihn der Gips an seinem Unterarm mehr. Es schien einfach keine bequeme Position zu geben, in der dieser nicht in irgendeiner Form im Weg war. Von dem elenden Jucken mal abgesehen. Vermutlich krochen darunter schon Maden, die ihm langsam das Fleisch von den Knochen fraßen. Aber letztlich war es ein ganz anderer Teil seines Körpers, der ihn wachhielt. Sein Gehirn. Seit ihrem kurzen Gespräch in der Küche, war das Thema ‚Zusammenziehen‘ zwischen Jonas und Erik nicht mehr aufgetaucht und allmählich schuldete Jonas Larissa eine Antwort. Am Freitag hatte er sie gerade noch auf Montag vertrösten können. Damit blieben ihm jetzt etwa vierundzwanzig Stunden, um eine Entscheidung zu treffen. Leise Stimmen aus dem Wohnzimmer erinnerten ihn daran, dass Erik vor fast einer Stunde nach Hause gekommen war. Bald würde ‚Lost‘ mit einem weiteren Cliffhanger enden und Erik zu ihm ins Bett gekrochen kommen. Nackt. Mit diesem wunderbaren Körper. Den immer kalten Händen. Der weichen Haut, die danach schrie, berührt zu werden. Großartig. Jetzt war da noch ein weiterer Körperteil, der Jonas nicht schlafen ließ. Schritte schlurften über den Boden, die Tür öffnete und schloss sich mit einem Klicken. Das Bett knarzte. „Da bist du ja endlich“, murmelte Jonas. Er hatte Erik den Rücken zugewandt und starrte aus dem Fenster. Dank der heruntergelassenen Jalousien gab es da jedoch nicht allzu viel zu sehen. „Du bist wach?“ Erik klang überrascht und Jonas konnte es ihm nicht verdenken. Seit die Schmerzen in seiner Brust nachgelassen hatten, war er nachts in den Schlaf der Gerechten gefallen und meist unsanft am nächsten Morgen von seinem Wecker herausgerissen worden. Eriks spätes Heimkommen hatte das hingegen schon lange nicht mehr geschafft. Anstelle einer Antwort tastete Jonas nach Eriks Hand und wickelte dessen Arm wie eine Decke um seinen Körper. Als Erik seiner Aufforderung folgte und sich von hinten an ihn schmiegte, wurde deutlich, dass Jonas nicht der Einzige war, bei dem sich die lange Abstinenz bemerkbar machte. Sachte bewegte Jonas die Hüften, rieb seinen nackten Hintern gegen Eriks beeindruckende Erektion. „Du solltest wirklich nicht …“, keuchte Erik. Himmel, wenn das bisschen reichte, ihn so weit zu bringen, musste er sich den letzten Monat sehr zurückgehalten haben. „Und was, wenn ich will?“ Eriks Lippen kitzelten Jonas‘ Ohr. „Denkst du, du bist fit genug?“ Jonas zögerte einen Moment. In der ersten Zeit nach seinen Unfall, in der sich sein Körper wie ein rohes Stück Fleisch angefühlt hatte, hatte er keinen Gedanken an Sex verschwendet, aber mit der einsetzenden Heilung war auch seine Libido Stück für Stück zurückkehrt. Dennoch hatte sich Erik geweigert, dem nachzugeben, aus Sorge, Jonas‘ Zustand wieder zu verschlechtern.   Nach zwei quälenden Wochen hatte Jonas – ausgerüstet mit seinem Notebook, Eriks WLAN und einigen Stunden für sich allein – entschieden, der Enthaltsamkeit ein Ende zu bereiten. Der Orgasmus war göttlich gewesen. Zumindest die erste Hundertstelsekunde davon. Danach hatten die Schmerzen eingesetzt und Jonas hatte sich bereits erneut im Krankenhaus sitzen und einem Arzt erklären sehen, weshalb die allmählich heilenden Rippen wieder komplett durchgebrochen waren. Seither waren allerdings gute vierzehn Tage ins Land gezogen und er fühlte sich deutlich besser als damals. „Glaub schon“, entschied er schließlich. Kühle Finger umkreisten seinen Bauchnabel. „Sicher?“ „Erik!“, fauchte Jonas. „Ich werd schon nich‘ abkratzen! Können wir also bitte einfach … irgendwas machen. Hauptsache, wir brauchen am Ende eine Packung Taschentücher!“ Gänsehaut überzog seinen Körper, als er das raue Lachen hörte und die Zähne fühlte, die sich in seine Schulter gruben. „Wie du willst.“ Die Hände, die Jonas‘ flachen Bauch erkundeten und den Erhebungen seiner Rippen folgten waren sanft, aber jede Berührung zeugte von der darunterliegenden Ruhelosigkeit, von der brodelnden Sehnsucht, die auf Erlösung wartete. Jonas drängte sich an Erik, war erst zufrieden, als dessen Erektion zwischen seine Pobacken glitt. Sofort wurde er von einem heiseren Stöhnen belohnt. Und von Fingern, die sich um seinen eigenen, nicht minder ungeduldigen Penis legten. „Sag mir, wenn ich zu grob bin.“ Eriks Stimme zog wie Nebel durch Jonas‘ Kopf. „Alles gut. Pass“, eine kecke Zunge an seinem Hals, hilfloses Keuchen aus seiner Kehle, „… pass nur ein bisschen auf, dass du nich‘ zu heftig auf meine Brust drückst.“ Jonas drehte den Kopf, um Erik zu küssen und zu versuchen, ihm die Scheu zu nehmen. „Bisher fühlt es sich echt scheißgut an.“ Immer wieder streifte Eriks Glied über Jonas‘ Anus, reizte die empfindlichen Nerven, sandte Schauer durch seinen ganzen Körper. Kurzentschlossen öffnete Jonas die Nachttischschublade, reichte die Tube mit Gleitgel an Erik weiter und nahm dafür sogar in Kauf, dass seine eigene Erektion einen Augenblick weniger Aufmerksamkeit genoss. Die Stelle, die Eriks aufmerksame Finger stattdessen verwöhnten, war genauso gut. Jonas‘ Seufzen klang beinahe enttäuscht, als sie stoppten, nur, um sich in Lust zu verwandeln, als er merkte, durch was sie ersetzt wurden. Eriks Erektion war unverändert hart, doch seine ursprünglich langen, gleitenden Bewegungen verwandelten sich kurze, spielerische Stöße. Immer wieder drückte er sanft gegen den Muskelring, nie fordernd, nie mit der Intention, tatsächlich einzudringen, aber ausreichend, um Jonas‘ Herz gegen seinen Brustkorb hämmern zu lassen. Es war so gut. So verfickt gut. Die glitschige Hand, die Jonas‘ Glied streichelte, die Erektion, die sich von hinten gegen ihn presste. Wortlos griff Jonas ein weiteres Mal in die Schublade, holte ein Kondom hervor und drückte es in Eriks gut geschmierte Hand. Dieser nahm es entgegen und stoppte damit gezwungenermaßen seine wundervolle Massage, tat jedoch sonst nichts. „Bedeutet das, du willst …?“ „Vielleicht“, schnaufte Jonas. „Mach einfach mal und wir hören auf, wenn es doch irgendwie blöd is‘, okay?“ „Natürlich.“ Erik wischte das überschüssige Gleitmittel an Jonas‘ Oberschenkel ab, ignorierte den Protestlaut, den er dafür erntete und rollte sich das Kondom über. Jetzt, da der Körperkontakt deutlich reduziert, das hypnotische Wiegen ihrer Hüften beendet war, kehrte wieder genug Klarheit in Jonas‘ Kopf, um auch die Nervosität hereinzulassen. Hatte er das wirklich gerade getan? Heißer Atem strich über seine Wange, eine Zunge zog ihre feuchte Spur von seinem Ohr bis in den Nacken, Lippen bedeckten seine Schultern mit sanften Küssen. Eriks Duft, der Jonas umhüllte, Eriks Zärtlichkeit, die aus jeder seiner gefühlvollen Berührungen sprach. Eriks Leidenschaft, die von Jonas Besitz ergriff. Dennoch zuckte Jonas zusammen, als er erneut die Erektion an seinem Anus spürte. „Du machst langsam, ja?“ Er wusste, dass Erik das tun würde und konnte nur hoffen, ihn mit seiner Bitte nicht zu verletzen, aber er brauchte die Rückversicherung. „Ich mache gar nichts“, raunte Erik. Seine Nägel kitzelten die über Jonas‘ Hüftknochen gespannte Haut, animierten ihn, sein Becken zu bewegen. „Ich liege einfach still hier, während du tust, was sich gut für dich anfühlt.“ Jonas ächzte, als Eriks Hand zurück zu seiner Erektion fand. „Na gut, fast still.“ Zaghaft folgte Jonas Eriks Aufforderung, drängte sich ihm entgegen, entzog sich, nur, um gleich darauf wieder näherzukommen. Fühlte den wachsenden Druck. Testete, wie weit er gehen konnte und wollte. Bald fanden sie in einen gemeinsamen Rhythmus zarter Stöße und genossen das unbeschwerte Spiel, das sich stets an einer unausgesprochenen Grenze bewegte, ohne zu überschreiten. Jonas wurde mutiger, krallte seine Finger in Eriks Taille, verlangte mehr. Öffnete sich weit genug, um ihn in sich zu lassen. Nur kurz, nur wenige Millimeter. Sie keuchten. Zwei Stimmen verschmolzen zu einem gemeinsamen Laut. Eriks Griff um Jonas‘ Glied verstärkte sich und schmolz den letzten Zweifel, der sich an eine Ecke von Jonas‘ Verstand geklammert hatte. Er wollte Erik in sich spüren. Jetzt. Verlangend stieß Jonas sein Becken zurück. Ein Ziehen, das Gefühl, seinen Körper über diese süße Grenze hinweg zu bringen. Eriks kehliges Stöhnen an seinem Ohr, das Wissen, ihm endlich so nahe wie möglich zu sein. Es war zu viel. Alles war zu viel. Jonas‘ Muskeln verkrampften, glühende Wellen rollten über ihn hinweg, die Energie wochenlanger Enthaltsamkeit entlud sich mit einem Schlag in einem grandiosen Orgasmus, der viel zu schnell vorüberging. Matt drückte Jonas sein verschwitztes Gesicht in die Kissen. Erik hatte sich aus ihm zurückgezogen, bevor die Spitzen seines Höhepunkts vollends verhallt waren, so, wie er selbst es bevorzugte, doch Jonas fühlte sich eigentümlich leer und wünschte sich, noch immer mit Erik verbunden zu sein. Schlanke Finger schlangen sich um Jonas‘ Handgelenk, flehten stumm darum, der inzwischen vom Kondom befreiten Erektion seines Freundes Erlösung zu schenken. Hatte Jonas Erik schon einmal so erregt erlebt? Erik schien sich nicht einmal daran zu stören, dass Jonas seine ungeschickte, aber immerhin gesunde linke Hand verwenden musste. Nach nur wenigen Sekunden bäumte er sich auf und überzog seinen Bauch, seine Brust und sogar Teile seines Kopfkissens mit milchiger Flüssigkeit. Ein dumpfer Schmerz pochte in Jonas‘ Brust und die Luft schien zu wenig Sauerstoff zu enthalten – dennoch zierte ein breites Grinsen sein Gesicht, als er Eriks Haut von den Spuren ihres frühmorgendlichen Treibens befreite. „Das ging fix.“ „Musst du gerade sagen“, brummte es unwillig zwischen den Kissen hervor. Gleich darauf richtete sich Erik auf. „Ist bei dir alles in Ordnung?“ „Zwickt ein bisschen.“ Jonas ließ offen, an welcher Stelle genau und kuschelte sich stattdessen an Erik. „Aber ich will definitiv mehr davon. Viel mehr! Vielleicht, wenn wir nich‘ mehr Angst haben müssen, mir ein paar Knochen zu zertrümmern, und, ähm, idealerweise auch etwas länger als drei Sekunden, aber fuck, ich will das unbedingt nochmal machen!“ Eriks Brust bebte unter stummem Gelächter. Seine Finger strichen durch Jonas‘ Haar und wischten feuchte Strähnen aus seiner Stirn. „Keine Einwände meinerseits. Nicht die geringsten.“ Genüsslich gähnend drückte er Jonas fester an sich. „Bah, viel zu heiß!“, motzte dieser und rückte ab. „Kein Kuscheln?“ Eine Stimme wie das Fiepen eines geprügelten Welpen. Jonas rollte sich zur Seite, bis sein Gesicht wieder dem Fenster zugewandt war. „Na schön, du menschlicher Hochofen. Komm und löffel mich.“ Glücklich schmiegte sich Erik an Jonas. Etwas Hartes drückte gegen dessen Hintern. „Dein Scheißernst?“ „Vier Wochen, Jonas. Fünf, wenn man meine Zeit in Stuttgart mitzählt. Wir haben eine Menge Nachholbedarf.“ „Du hast fünf Wochen durchgehalten, da schaffst du es sicher auch noch ein paar Stunden. Ich bin jedenfalls verfickt müde.“ In Wahrheit brauchte Jonas lange, bis er endlich einschlief.   „Das war ‘ne echt gute Idee.“ Jonas ließ seinen Blick über das Wasser schweifen. Blaue und grüne Flecken spielten im Wechsel, flossen zusammen, kreierten völlig neue Farbtöne. Lichtpunkte flitterten über die sanft wogende Oberfläche. „Perfekter Tag für den See.“ „Sogar mit Gips?“, fragte Erik. „Okay, fast perfekter Tag“, verbesserte sich Jonas. Ein Käfer summte neben seinem Ohr, das Gras knisterte unter der Decke, die sie ausgebreitet hatten, eine sanfte Brise strich über seine nackte Haut. Erik hatte nicht übertrieben, als er bei ihrem ersten offiziellen Date von der kleinen, vor den Massen verborgenen Einbuchtung des Sees geschwärmt hatte. Bei dem Versuch, sich durch das dichte Buschwerk zu schlagen, hatten sie zwar ein paar Kratzer erlitten, dafür jedoch das kleine, dahinter versteckte Stück Wiese völlig für sich. Und das an einem Sonntagnachmittag in der Nähe Berlins. Mehr als genug Privatsphäre, damit Jonas Eriks nur mit einer Badehose bekleideten Körper ungeniert mustern konnte. Ein gut gefüllter Picknickkorb wartete darauf, geleert zu werden. Unter einer mit Nudelsalat gefüllten Vorratsdose zog Jonas Sonnenmilch hervor. „Soll ich dir den Rücken einschmieren?“ „Mhm.“ Gehorsam setzte sich Erik auf und präsentierte seinen breiten Rücken. Jonas ließ seine Fingerspitzen über die winzigen Sommersprossen tanzen, bevor er sie in Sonnenmilch ertränkte. „Die sind so niedlich.“ „Was?“ „Die Sommersprossen an deinen Schultern.“ „Ah. Dann freu dich auf den Sommer.“ „Werden es mehr?“ „Mhm.“ „Auch im Gesicht?“ „Hmm.“ Eriks Brummen klang nicht besonders glücklich. „Aww, so niedlich!“ Lachend tätschelte Jonas Eriks Wange und fing sich dafür eine rüde Geste ein. „Hey! Mach so weiter und du darfst den Rest allein einschmieren!“ „Dann bin ich brav“, versprach Erik sofort. Gedankenverloren malte Jonas kleine Kringel in die helle Creme, schrieb seine Initialen. „Ich muss Larissa bis morgen sagen, ob ich das Zimmer will.“ „Und?“, fragte Erik vorsichtig. „Willst du?“ „Weiß nich‘.“ „Vielleicht hilft es dir, wenn du mal versuchst, es losgelöst von den anderen Umständen zu betrachten. Also, angenommen, deine Nachbarn wären keine Arschlöcher und mich gäbe es gar nicht. Würdest du gerne in diese WG ziehen?“ „Ähm …“ Jonas dachte an Larissa und Ling. Die eine lustig, extrovertiert und immer gut drauf, aber auch ziemlich fordernd und mit einer gewissen Neigung, Grenzen zu überschreiten. Die andere so schüchtern, dass er bisher kaum zehn Worte mit ihr gewechselt hatte. „Nich‘ wirklich. Aber ich muss raus aus meiner Wohnung und wahrscheinlich sin‘ meine Alternativen nich‘ viel besser.“ Er dachte an die vergangenen Wochen. An das gemeinsame Kochen und Essen, das Kuscheln auf der Couch, den warmen Körper, der nachts schützend einen Arm um seinen Bauch schlang. Bald würde sich ihre gemeinsame Zeit wieder auf wenige Stunden in der Woche reduzieren. „Hast du deine Wohnung schon gekündigt?“, brachte Eriks Stimme Jonas zurück in die Realität. „Nee. Das is‘ das nächste Problem. Wenn ich zu Larissa zieh, muss ich drei Monate doppelte Miete blechen. Es sei denn, die Vermieterin is‘ nett genug, mich früher rauszulassen, falls sie davor ‘nen geeigneten Nachmieter findet. Und ausgehend von meinen bisherigen Erfahrungen, is‘ das wohl eher nich‘ der Fall.“ „Kannst du dir das überhaupt leisten?“ „Grad so.“ Jonas seufzte. „Wenn ich mich in der Zeit deutlich einschränke und das Geld aufbrauche, das ich bisher zurücklegen konnte. Aber ich will meine Eltern nich‘ um Hilfe bitten. Christine hat ihr Abi in der Tasche und geht im September für ein Jahr nach Australien. Die haben grad echt genug zu tun, auch ohne meinen Scheiß.“ Lange Zeit antwortete Erik nicht, zeichnete mit den Fingerspitzen die feinen Narben auf seinem Unterarm nach. Schließlich schien er sich ein Herz zu fassen. „Ich weiß, ich lehne mich jetzt wahrscheinlich ziemlich weit aus dem Fenster und bitte lehn ab, wenn du dich mit dem Gedanken nicht wohlfühlst, aber …“ Er zögerte, wirkte unsicher, ob er seinen Vorschlag wirklich laut aussprechen wollte. „Du könntest während der Kündigungsfrist probeweise zu mir ziehen. Wenn wir merken, dass es nicht klappt, suchst du dir in Ruhe etwas Neues und wenn es klappt … Dann belassen wir es dabei.“ „Und was ist mit der Miete?“ „Wie gesagt, im Moment zahle ich sie sowieso alleine. Du könntest erst mal nur einen Teil der Nebenkosten übernehmen. Und wenn du nicht mehr für deine alte Wohnung zahlen musst, sehen wir mal, wie viel du dazugeben kannst.“ „Wär das echt okay für dich?“ „Andernfalls würde ich es nicht vorschlagen“, erwiderte Erik. „Ah, wie gesagt, ich kann schon verstehen, wenn du dich lieber nicht darauf einlassen willst. Drei Monate sind nicht viel, auch, wenn wir uns ja davor schon etwas kennengelernt haben und–“ Er stoppte. „Ich plappere. Eigentlich wollte ich nur sagen, dass ich es sehr genossen habe, dich den letzten Monat jeden Tag um mich zu haben und die Vorstellung, wieder zu unserem alten Zeitplan zu wechseln ziemlich ätzend finde.“ „Ich auch“, gestand Jonas. „Ich will dich nur nich‘ übervorteilen oder so.“ „Jonas, ich bin Betriebswirt. Das wirst du nur schwer schaffen.“ „Also dann … machen wir das wirklich? Zusammenziehen? Offiziell?“ „Wenn du das möchtest.“ Ein zartes Lächeln schlich sich auf Eriks Gesicht. „Mir würde es gefallen.“ Überschwänglich drückte Jonas einen Kuss auf seine Lippen. „Du weißt schon, dass man uns vom anderen Ufer aus sehen kann, oder?“ „Gut“, sagte Jonas trotzig. „Sollen die ruhig eifersüchtig werden.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)