Raupe im Neonlicht von Noxxyde ================================================================================ Kapitel 29 ---------- Was zuletzt geschah: Nachdem Clemens‘ Reaktion auf Jonas‘ Outing überraschend feinfühlig und positiv ausgefallen ist, beschließt Jonas, seinen Eltern gegenüber lange genug geschwiegen zu haben. Zur Unterstützung holt er sich Maria und Christine an seine Seite, wartet den perfekten Moment ab, nimmt all seinen Mut zusammen und … kneift. Glücklicherweise hat er eine Menge Menschen um sich geschart, die ihn nur allzu bereitwillig trösten, allen voran Erik, der bereits sehnsüchtig auf Jonas‘ Rückkehr nach Berlin wartet.   Kapitel 29 Nach einer ziemlich kurzen Nacht und einem Tag, an dem sich Jonas große Mühe gegeben hatte, seinen Eltern neutral gegenüberzutreten, war die Zeit gekommen, dem kleinen Dorf, in dem er aufgewachsen war, erneut den Rücken zu kehren. Der Wind fegte kalt über den Busbahnhof und Jonas nutze die Diskussion seiner Eltern über die ihrer Meinung nach horrenden Parkgebühren, um ein weiteres Mal die Fülle an Nachrichten, die ihn im Laufe des Tages erreicht hatte zu überfliegen.   Larissa, 12:28 Uhr Okay, du willst nicht mit mir reden. Habe ich verstanden.   Larissa, 13:05 Uhr Ich wollte mich eigentlich nur bei dir entschuldigen.   Larissa, 13:11 Uhr War echt scheiße von mir. Sorry.   Larissa, 15:18 Uhr Ernsthaft. Es tut mir leid. Ich hätte das nicht einfach so weitererzählen dürfen.   Larissa, 16:45 Uhr Und ich war sauer, weil du mich dafür kritisiert hast.   Larissa, 16:53 Uhr Hab ein paar Sachen gesagt, die ich nicht hätte sagen sollen.   Larissa, 17:03 Uhr Okay, eine Menge Sachen.   Larissa, 18:42 Uhr Hör mal, es tut mir echt leid!   Larissa, 18:47 Uhr Gib mir wenigstens die Chance, mich richtig bei dir zu entschuldigen!   Larissa, 20:09 Uhr Bitte?   Jonas schob sein Handy zurück in die Tasche und wandte sich seiner Familie zu. „Also dann … macht’s mal gut.“ Der Reihe nach umarmte er Vroni, Christine, seine Mutter und seinen Vater. Von seiner Oma hatte er sich schon vor der Fahrt zum Bahnhof verabschiedet. „Pass auf dich auf.“ Jonas‘ Vater klopfte ihm auf den Rücken. „Werd ich, keine Sorge, Papa.“ „Und du weißt, dass du immer herkommen kannst, nicht wahr?“ „Japp.“ „Oder anrufen.“ „Ja, Papa. Weiß ich doch.“ „Und uns erzählen, was dich bedrückt.“ Jonas musterte seinen Vater, kämpfte gegen die Fülle an Emotionen, die dieser Satz in ihm auslöste. „Irgendwann werd ich das, versprochen. Bis dahin reicht es, wenn ihr wisst, dass es mir gut geht.“ Es war offensichtlich, dass Jonas‘ Vater etwas anderes hatte hören wollen, aber er kannte seinen Sohn gut genug, um nicht weiter nachzubohren. „Komm bald wieder.“ „Pff, bewegt ihr doch mal eure Ärsche zu mir.“ „Achte auf dein Mundwerk, Jonas“, wies ihn seine Mutter halbherzig zurecht und schloss ihn – leise schniefend – in ihre Arme. Nach weiteren Umarmungen, Abschiedsworten und gegenseitigen Versprechen, sich schon bald wiederzusehen, rutschte Jonas auf seinen Platz im Bus, winkte ein letztes Mal und trat seine ebenso ersehnte wie gefürchtete Rückreise nach Berlin an.   Jonas‘ Plan, einen möglichst späten Bus zu nehmen, um die Reise größtenteils verschlafen zu können, war nicht aufgegangen. Die beständigen Tritte des Manns hinter ihm und der aggressive Deathmetal aus den Kopfhörern der Frau neben ihm hatten ihn erfolgreich wachgehalten. Völlig übermüdet schleppte er sich die Stufen zu seiner Wohnung nach oben. Schwuchtel Seufzend sperrte Jonas die Tür auf. Die vergangenen Tage bei seinen Eltern hatten ihn diese Schmiererei tatsächlich beinahe vergessen lassen. Es mochte an seiner Erschöpfung liegen, aber auch jetzt, da er so rüde daran erinnert worden war, schaffte sie es nicht ansatzweise, denselben Schrecken in ihm auszulösen wie das letzte Mal. Jonas ließ die Tür hinter sich ins Schloss fallen, trat seine Schuhe von den Füßen, wand sich irgendwie aus Lederjacke, Jeans und Hoodie und sank, Gesicht voraus, in seine Kissen. Nicht einmal das Geplärre seiner Nachbarn konnte ihn wecken.   Jonas‘ Finger strichen über die dunklen Linien, die der Edding auf seiner Tür hinterlassen hatte. Den halben Nachmittag hatte er damit zugebracht, abwechselnd mit seiner Vermieterin und der Hausverwaltung zu telefonieren, um zu klären, was damit passieren sollte. Einer hatte ihn zum anderen verwiesen und irgendwie war am Ende alles seine Schuld gewesen – seine Vermieterin hatte sogar gedroht, die Kaution einzubehalten. Dann musste er die Dinge eben selbst in die Hand nehmen. Entschlossen zückte Jonas sein Handy und wartete, bis das Tuten durch eine Stimme ersetzt wurde. „Endlich!“ „Hi, Larissa.“ „Ey, echt, es tut mir so leid. Ich hab–“ „Wenn du dich wirklich bei mir entschuldigen willst“, unterbrach Jonas sie, „dann komm vorbei und bring deine Spraydosen mit.“ „Äh … Jetzt gleich?“ „Japp.“ „Alles klar. Bin in einer Stunde bei dir.“ Jonas vertrieb sich die Zeit damit, allmählich erste Ideen für die Hausarbeit zu sammeln, die er bis zum Ende der Woche würde abgeben müssen, bis ihn die Türglocke von dieser wenig fruchtbaren Beschäftigung erlöste. Ungeduldig wartete er im Türrahmen und gab vor, nicht alle zwei Sekunden nervöse Blicke zur Wohnung seiner Nachbarn zu werfen, immer in der Sorge, sie könnten sie in diesem Moment verlassen. Er atmete erleichtert auf, als er Larissas Schritte im Treppenhaus hörte. „Entschuldige die Verspätung, mein Rot war fast alle.“ Larissa hetzte über den Gang zu ihm und präsentierte eine unbenutzt aussehende Spraydose. Mitten in der Bewegung hielt sie inne. „Scheiße, was ist denn bitte mit deiner Tür passiert?“ Entsetzt starrte sie auf die Schrift, die Jonas bis eben mit seinem Körper verdeckt hatte. „Nachbarschaftsstreich“, entgegnete er trocken. „Schätze, du hast ‘ne Idee, wofür ich deine Graffitikünste brauch.“ „Shit. Das ist doch hoffentlich nicht meine Schuld?“ „Nee, das wirklich nich‘. Ich glaub, die haben mich neulich zusammen mit, ähm, mit meinem Freund gesehen. Das is‘ wohl ihre mickrige Rache dafür, dass ich ihnen mal die Bullen auf den Hals gehetzt hab.“ „Du hast einen Freund?“, fragte Larissa. Natürlich musste sie von allem, was Jonas gerade erzählt hatte, ausgerechnet dieses Detail herauspicken. „Seit wann?“ „Is‘ noch recht frisch. Aber könnten wir uns erst mal um diese Scheiße“, verächtlich deutete Jonas auf die Schmiererei, „kümmern?“ „Ja, klar. Uff. Ich glaube nicht, dass ich eine Farbe habe, die genau der deiner Tür entspricht. Hast du mal versucht, die Schrift einfach mit Lösungsmittel wegzukriegen? Sollte eigentlich klappen.“ Sie runzelte die Stirn. „Allerdings geht dann vielleicht auch der Lack mit drauf.“ „Hab mal kurz daran gedacht, aber dann hab ich mir überlegt … Warum nich‘ gleich was Bunteres draus machen? So … regenbogenmäßig.“ Larissa grinste. „Verstehe.“ Sie kniete sich auf den Boden, öffnete den Reisverschluss ihres gut gefüllten Rucksacks und reihte die Spraydosen auf. „Dann mal los.“   „Das mit dem gleichmäßigen Farbverlauf darfst du nochmal üben“, kommentierte Larissa, als sie das Endergebnis ihrer Arbeit inspizierte. „Fresse! Das sieht scheißgeil aus!“ Zufrieden betrachtete Jonas die leuchtende Regenbogenfahne, deren fröhliche Farben die aggressive Eddingschrift verdeckten. Der übrige Platz war mit allerhand Kleinigkeiten verziert. Blüten, Rainbow Dash (Jonas‘ Tribut an seine kleine Schwester Vroni), ein Ufo, ein Hund, der eigentlich eine Katze sein sollte. Was auch immer ihnen gerade eingefallen war. „Okay, ja. Tut es“, räumte Larissa ein. „Aber das ist ja wohl mein Verdienst.“ Tatsächlich erkannte man deutlich, welches Graffiti von Jonas und welches von Larissa stammte. Sieben Jahre Erfahrung konnte nicht einmal er innerhalb eines Abends wettmachen. Das würde er allerdings nicht zugeben. „Pff, du warst hier bloß der Handwerker, ich dagegen der Künstler mit den Ideen.“ „Ja, ja, du mich auch.“ Larissa drehte den Kopf zu ihm und ihr Grinsen flackerte. „Hör mal, es tut mir echt richtig leid, was da neulich passiert ist. Und natürlich auch, dass ich es überhaupt weitererzählt habe. Ich … konnte mir einfach nicht vorstellen, dass das so ein sensibles Thema sein kann. Ich war überzeugt, die Welt wäre schon deutlich weiter.“ „Is‘ schon okay“, sagte Jonas und meinte es auch so. „Es is‘ ja auch nich‘ jeder so verklemmt wie ich. Und zum Glück nich‘ jeder so scheißdämlich wie meine reizenden Nachbarn.“ „Trotzdem. Dominik hat mich ganz schön rund gemacht, als ich ihm von unserem Streit erzählt habe. Dabei wollte ich eigentlich jammern, wie unfair ihr zu mir wart. Hat mir ordentlich die Augen geöffnet.“ „Dann sollte ich mich wohl bei ihm bedanken.“ „Richte ich ihm aus.“ Jonas lehnte sich gegen die Wand, ohne seinen Blick von der bunten Tür lösen zu können. „Ich mach dir ‘nen Vorschlag … Wenn du mich jetzt noch auf’n Abendessen einlädst, sin‘ wir endgültig quitt.“ „Ehrlich?“ „Ehrlich. Aber!“ Mahnend hob er den Zeigefinger. „Wir reden hier von wenigstens einer Familienpizza. Jeder Kleinscheiß darunter zählt ‘nen Scheiß. Urgh!“ Was war das mit seinen Freunden und pythonartigen Umarmungen? Die Lichter der Stadt waren hell erleuchtet und der Stundenzeiger seiner Uhr lange an der zwölf vorbei, als Larissa entschied, dass es an der Zeit war, nach Hause zu fahren. Jonas nutzte den Abschied, um noch einmal seine neue Tür zu bewundern, bevor er sich wieder in seine Wohnung zurückzog.   Der Wind trug einen Hauch Schnee in sich, doch der Himmel war klar und Jonas genoss das Sonnenlicht auf seiner Haut, als er zu dem kleinen Kino eilte, das Erik ihm als Treffpunkt genannt hatte. Wie immer war er zu spät, aber trotz seines schlechten Gewissens, machte sich ein strahlendes Lächeln auf seinem Gesicht breit, als er erkannte, wer vor dem Eingang wartete. Ungeduldig zog er Erik in eine feste Umarmung, wollte ihm nahe sein, keine Sekunde länger warten. „Sorry für die Verspätung“, murmelte er und zwang sich, von seinem Freund abzulassen. „Inzwischen bin ich ja daran gewöhnt.“ Schelmisch zwinkerte Erik Jonas zu. „Allerdings muss ich zugeben, dass ich bei meinem Vorschlag ins Kino zu gehen, etwas Anderes erwartet hatte.“ „Jaah, dafür auch nochmal sorry. Vroni hat sich den Film neulich angeguckt und wollt unbedingt, dass ich ihn auch sehe. Aber hey, dafür gibt’s die erste Vorstellung schon um elf und wir haben den kompletten Nachmittag und Abend für … anderen Scheiß.“ Erik hob eine Braue, ein schmales Lächeln auf den Lippen. „Mir gefällt, wie du denkst.“ Er öffnete die Tür und streckte galant den Arm aus. „Wollen wir?“ Erwartungsgemäß war der Vorraum – abgesehen von einer kleinen, dafür aber umso lauteren Kindergruppe – verlassen. Während er sich von Erik zum Ticketschalter führen ließ, bewunderte Jonas den flauschigen, roten Teppich, die buntgemischten Filmplakate und die historisch anmutende Popcornmaschine. „Zwei Karten für Bibi und Tina, bitte“, sagte Erik zur kaugummikauenden Kartenverkäuferin. Diese hörte auf zu kauen und musterte die beiden. „Alles andere ist ihm“, Jonas klopfte auf Eriks Schulter, „zu gruselig.“ „Danke fürs weitertratschen meines dunkelsten Geheimnisses. Ah, und die Plätze bitte in der letzten Reihe.“ Nichts in dem Gesicht der Verkäuferin gab einen Hinweis darauf, dass sie Jonas‘ kleinen Witz auch nur ansatzweise lustig gefunden hatte, aber immerhin nahm sie wieder ihre rhythmische Kaubewegung auf und reichte zwei Karten durch die kleine Öffnung im Glas. Das Licht im Kinosaal war bereits gedimmt, die Werbung im Begriff durch Trailer abgelöst zu werden. Der Duft nach Popcorn lag in der Luft und die samtbezogenen Sitze waren überraschend gemütlich. Gebannt starrten Kinder wie Eltern auf die Leinwand, keiner von ihnen kam auf die Idee, der letzten Reihe auch nur die geringste Aufmerksamkeit zukommen zu lassen. Nach einem kurzen Moment des Zögerns, nahm Jonas Eriks Hand und einen weiteren Moment später, lehnte er seinen Kopf an Eriks Schulter. Kaum hörbar flüsterte er: „Du hast mir echt gefehlt.“ „Du mir auch.“ Erik drückte Jonas‘ Hand. „Sehr. Wobei ich zugeben muss, dass dir die Zeit bei deiner Familie gut getan zu haben scheint. Du wirkst …“ „Nich‘ mehr so scheißneurotisch?“, schlug Jonas vor. „Unbeschwerter“, vervollständigte Erik seinen Satz. „Ah, und ein bisschen müde.“ „Jaah, is‘ gestern irgendwie echt spät geworden. War so nich‘ wirklich geplant. Das blühende Leben bist du aber auch nich‘ grad.“ „Bei mir ist es gestern auch spät geworden.“ Passend zu seinen Worten, wurde Erik von einem herzhaften Gähnen übermannt. „Bin erst um kurz vor fünf nach Hause gekommen.“ „Scheiße, das hättest du mir ja auch mal schreiben können. ‘Ne spätere Vorstellung wär doch auch okay gewesen.“ „Und noch ein paar Stunden weniger mit dir haben? Nein, danke.“ Jonas drückte sein Gesicht gegen Eriks Schulter. „Idiot.“ „Shh.“ Erik presste einen Finger auf seine Lippen. „Der Film fängt an.“ Leidvolle zwei Stunden später schlurften Erik und Jonas, begleitet von ausgelassenem Kindergeschrei ins Helle. „Ich kann nich‘ glauben, dass du den Schluss verpennt hast.“ „Entschuldige.“ Verschlafen rieb sich Erik über die Augen. „Vermutlich habe ich einen Meilenstein der Kinogeschichte verpasst. So, mein Teil der Tagesplanung ist damit beendet. Vorschläge?“ „Zu dir und fi– viele weitere Filme gucken?“, verbesserte Jonas mit einem Seitenblick auf die Kinderhorde, die noch immer neben ihnen trabte. „Mhm. Eigentlich hast du recht. Warum sollten wir uns nicht an die Date-Klassiker halten?“   Noch bevor die Tür ins Schloss gefallen war, hatte Jonas die Arme um Erik geschlungen und presste ihn an sich. So nah konnte er jede Veränderung, die durch dessen Körper ging fühlen. Überrumpelt zog Erik die Schultern hoch, entspannte sich keine Sekunde später jedoch und seine Finger gruben sich haltsuchend in Jonas‘ Oberteil, als fürchtete er, viel zu früh erneut von ihm getrennt zu werden. Hätte Jonas einen Beweis gewollt, dass Erik ihn in den vergangenen Wochen ebenso vermisst hatte wie er ihn, er hätte ihn in diesem Augenblick gefunden. Zärtlich kraulte Jonas Eriks Nacken, wärmte die kalte Haut. „Fuck, mir wird grad klar, dass ich in den in letzter Zeit so mit meinem eigenen Scheiß beschäftigt war, dass ich nie gefragt hab, was eigentlich bei dir so los is‘.“ „Ah, da gibt es auch nicht so viel zu erzählen“, nuschelte Erik gegen Jonas‘ Hals. „Tagsüber habe ich studiert, abends gearbeitet. Jetzt freue ich mich erstmal auf die Wochen, in denen ich nur arbeite.“ Er drehte den Kopf, sah zu Jonas auf. „Und in denen ich ein wenig mehr Zeit für dich habe als bisher.“ Ein lautes Magenknurren machte darauf aufmerksam, dass Jonas das Frühstück übersprungen hatte. Er fühlte Eriks stummes Lachen. „Nich‘ witzig!“ „Soll ich mal sehen, was mein Kühlschrank so hergibt?“   Zischend brieten Spiegeleier in der Pfanne und wenn Jonas seinen Hunger bis zu diesem Zeitpunkt gut hatte ignorieren können, meldete er sich nun mit Wucht zurück. Voller Ungeduld inspizierte er die Eier, wartete darauf, dass sich ihre Ränder goldbraun färbten. Eine Hand legte sich auf seinen Bauch, ein Körper schmiegte sich an seinen Rücken. Erik pustete über die winzigen Härchen in seinem Nacken. „Hast du dir schon überlegt, ob du am Sonntag zu mir kommst, wenn deine Schicht vorbei ist?“ „Hatte ich eigentlich fest eingeplant.“ „Und bleibst du über Nacht?“ Jonas drehte sich um, konnte nichts gegen das verwegene Grinsen tun, das sich auf seinen Lippen ausbreitete. „Wenn du mich lässt.“ „Mhm, ich glaube, das tue ich.“   Eriks Finger waren locker in Jonas‘ hintere Jeansschlaufen gehakt. „Hattest du dir den Tag so in Etwa vorgestellt?“ Die Couch knarrte leise, als Jonas sein Gewicht verlagerte und je ein Knie neben Eriks Oberschenkeln postierte. Zärtlich strich er über seine Wange. „Die Spiegeleier waren schonmal ziemlich gut. Aber ganz zufrieden bin ich noch nich‘.“ Abrupt setzte er sich auf, rutschte von der Couch und positionierte sich direkt vor Erik, aber außerhalb dessen Reichweite. Sich selbst zu Gelassenheit mahnend, schälte sich Jonas bedächtig aus seinen Klamotten und ließ Erik den Anblick der frisch freigelegten Haut genießen, bevor er sich dem nächsten Kleidungsstück zuwandte. Gänsehaut breitete sich auf seinen Armen aus, als er Eriks verlangenden Blick bemerkte und sah, wie sich dieser unbewusst über die Lippen leckte. Zu wissen, dass sein Körper solche Reaktionen provozieren konnte, gab Jonas ein Machtgefühl, das er so bisher noch nicht empfunden hatte. „Komm her“, forderte Erik, die Hand ungeduldig ausgestreckt. „Nich‘, solang du mehr anhast als ich.“ Trotz der vielen Zeit, die er in diversen Umkleidekabinen verbracht hatte, konnte sich Jonas nicht daran erinnern, jemals jemanden so schnell aus seiner Kleidung schlüpfen gesehen zu haben. Amüsiert legte er die Hände auf Eriks nackte Brust, stieß ihn zurück auf die Couch und ließ sich auf seinen Schoß fallen. Erik knabberte an Jonas‘ Unterlippe, seine Hände lagen an derselben Stelle wie zuvor, mit dem Unterschied, dass sich dieses Mal keine störende Jeans zwischen seinen neugierigen Fingern und Jonas‘ Haut befand. Die kreisenden Fingerspitzen knapp oberhalb seines Pos sandten Schauer über Jonas‘ Rücken. Er rutschte näher an Erik, schloss die Lücke zwischen ihren Körpern, drängte sich gegen ihn, bis er nicht mehr wusste, wessen Herzschlag gegen seine Brust pochte. Auffordernd bewegte er die Hüften, seufzte zufrieden, als Eriks Hände tiefer rutschten, seinen Hintern umfassten, massierten. Ihre Erektionen rieben gegeneinander, doch es waren Eriks Hände, die Jonas‘ Aufmerksamkeit beanspruchten. „Mehr“, flüsterte er heiser. Ohne die kreisenden Bewegungen zu stoppen, ließ Erik seine Daumen weiter nach innen wandern. „Besser?“ Jonas schloss die Augen, drückte sein Gesicht gegen Eriks Halsbeuge und konzentrierte sich völlig auf die Empfindungen, die diese Berührung in ihm auslöste. Während Eriks rechte Hand an Ort und Stelle blieb, stahl sich die linke klammheimlich und millimeterweise vorwärts. Zärtlich kitzelten seine Fingerspitzen über die empfindliche Haut zwischen Jonas‘ Pobacken, wanderten auf und ab. Als sie wie zufällig über seinen Anus strichen, zuckte Jonas unwillkürlich zusammen. Sofort zog Erik seine Hand ein Stück zurück. „Hör nich‘ auf“, bat Jonas. „Ich mein, ähm, geh auch nich‘ allzu viel weiter … So weit bin ich dann doch noch nich‘, aber … hör nich‘ auf!“ Um seinen Worten Nachdruck zu verleihen, führte er Eriks Hand zurück an die Stelle, an der er sie haben wollte und schloss erneut seine Augen. Da waren leise Stimmen, die ihm sagten, dass es ekelhaft war, sich so von einem anderen Mann berühren zu lassen, aber sie waren weit entfernt und wurden bald von anderen Gefühlen überlagert. Von Lust. Von Verlangen. Und von Sehnsucht. Jonas schlang die Arme um Eriks Hals, klammerte sich an ihn, verbannte alle Gedanken aus seinem Kopf und achtete nur noch auf das, was sein Körper ihm sagte. Der heiße Atem, der über seinen Nacken strich, die Hand, die liebevoll seinen Rücken streichelte, die Fingerspitze, die mit winzigen Bewegungen und ein wenig Druck ein Kribbeln auslöste, das sich bis in seine Zehen zog. „Du … hast Gleitmittel hier, oder?“, fragte Jonas. „In dem Holzkästchen unter dem Tisch. Warte, ich …“ Bevor Erik die Hände von Jonas nehmen konnte, kippte dieser nach hinten, streckte den Rücken durch und tastete kopfüber nach dem Kästchen. Nach kurzer Suche drückte er Erik die Tube in die Hand. „Bah, kalt“, meckerte er, als Erik einen Kleks Gleitmittel auf seinem Anus verteilte, hauptsächlich, um seine Verlegenheit zu verbergen. „Keine Sorge.“ Eriks Stimme war tief und samten. „Gleich wird es richtig heiß.“ Jonas warf ihm einen langen Blick zu, bis Erik schulbewusst das Gesicht verzog. „Entschuldige. Keine schlechten Wortwitze mehr. Versprochen.“ Eine Sekunde verstrich, dann prusteten beide zeitgleich los. „Stimmungskiller!“, rief Jonas und pikste anklagend seinen Zeigefinger in Eriks Brust. „Sorry.“ Erik sah nicht aus, als täte es ihm leid. „Darf ich es wieder gutmachen?“ Ohne Jonas die Chance auf eine Erwiderung zu lassen, legte Erik eine Hand in seinen Nacken, zog ihn zu sich und stupste spielerisch mit der Zunge gegen seine Lippen. Instinktiv öffnete Jonas sie, folgte Eriks stummer Aufforderung, ließ ihn die Kontrolle über seinen Körper übernehmen. Genussvoll räkelte er sich auf Eriks Schoß, ächzte leise, als dieser seine intime Massage fortsetzte. Wer hätte gedacht, dass ein wenig Gleitmittel so einen Unterschied machte? „Fuck, das is‘ so scheißgut.“ Da war es wieder, dieses Kribbeln und es wurde stärker. Erklomm seine Wirbelsäule, wandelte sich in Feuer, breitete sich aus, verlangte nach mehr. Ungeduldig schob Jonas sein Becken nach hinten, bis Eriks Fingerspitze den Widerstand überwand und in ihn eindrang. Ein langgezogenes Stöhnen kam tief aus seiner Brust über seine Lippen. Aber Erik ließ nicht zu, dass ihr Kuss länger als einen Atemzug unterbrochen wurde. Begierig schnappte er nach Jonas, zog ihn näher zu sich, sorgte mit seinen Händen und Lippen dafür, dass Jonas nicht mehr wusste, auf welchen Reiz er zuerst achten sollte. Er wusste nur, dass er das so nicht lange durchhalten würde. Mit zitternden Fingern öffnete er die Tube mit dem Gleitgel und träufelte eine anschauliche Menge über Eriks und seine eigene Erektion. Unverhohlen stöhnte Erik. Seine Augen wurden glasig, bevor sie sich ganz schlossen und er den Kopf in den Nacken legte. Rhythmisch hob und senkte Jonas die Hüften, genoss das Gefühl von Eriks Finger in ihm, die Reibung einer fremden Erektion an seiner eigenen. Sein Atem ging schneller; er konnte sich nicht mehr auf seine Umgebung konzentrieren, bald darauf nicht einmal mehr auf seine Bewegungen. Da waren nur noch Hände, die ihn berührten, Lippen, die ihn küssten, Stöhnen, von dem er nicht mehr wusste, zu wem es gehörte. Ein weißer Blitz vor seinen Augen, Rauschen in seinen Ohren, das Feuer, das zuvor schon in ihm gewütet hatte, flammte ein letztes Mal mit aller Kraft auf. Als Jonas‘ Sinne allmählich wieder zu ihm zurückkehrten, merkte er, dass er dieses Mal die Ziellinie als erster überschritten hatte. Erik hatte seine Hand zurückgezogen, ließ sie locker auf Jonas‘ Hüfte ruhen, doch seine Augen waren noch immer geschlossen, seine Erregung deutlich erkennbar. Spielerisch umkreiste Jonas die Spitze. „Soll ich mich darum kümmern?“ „Hmm-ah“, lautete Eriks gestöhnte Antwort. Sein Griff um Jonas‘ Hüften wurde fester, sein Keuchen rauer und Jonas beschloss, diese Ergebenheit noch ein wenig auszukosten. Immer wieder brachte er Erik an den Rand des Höhepunkts, wartete, ließ ihn abkühlen, nahm erneut Tempo auf. Schweißperlen rannen über Eriks nackten Oberkörper, ließen seine Haut glänzen, betonten das rasche Heben und Senken seines Brustkorbs. Rote Flecken leuchteten auf seinen Wangen, seinem Hals und seiner Brust. Immer wieder machte er Anstalten, Jonas‘ Hand zu packen, um ihn anzutreiben, aber jedes Mal ballte er sie kurz zuvor zur Faust und ertrug Jonas‘ Spielchen eine weitere Runde. Nicht leise, aber klaglos. Irgendwann hatte Jonas Mitleid. Gebannt beobachtete er, wie sich Eriks Züge veränderten, sich sein Körper unter ihm aufbäumte, zuckte, langsam zur Ruhe kam, entspannte. „Das … war … wirklich … wirklich … fies“, schnaufte Erik. „Aber auch … unendlich … heiß.“ Grinsend sank Jonas gegen Eriks verschwitzten Oberkörper, schmeckte das Salz auf seiner Haut. Noch immer fühlte das Echo von Eriks Finger in sich. „Hey, damit sin‘ wir ja immerhin wieder so weit, wie bei unserem zweiten Treffen. Scheiße, wenn das mal nich‘ lächerlich is‘.“ „Ich finde, wir sind sehr viel weiter“, erwiderte Erik gelassen. „Was hältst du von einer heißen Dusche?“ Jonas hatte die Augen geschlossen, lauschte Eriks Kolibriherzschlag. „Gleich. Lass mich noch ‘n bissl hier liegen.“   „Fuck, das is‘ echt hart.“ Jonas musterte den in eine Wolldecke gehüllten Erik. Das Gesicht halb hinter einer Hand verborgen, mit einem Kranz aus blonden Strähnen, schlief er tief und fest und sah dabei absolut entzückend aus. „Erik?“ Keine Reaktion. „Erik.“ Nichts. „Musst du’s mir so schwer machen?“ Seufzend setzte sich Jonas auf den Rand der Couch. „Erik!“ Resolut rüttelte er an dessen Schulter. „Mh-wa?“ Verschlafen und offensichtlich ein wenig desorientiert, blinzelte Erik gegen das Licht seiner Deckenleuchte. „Du meintest, du musst dich gegen sieben für die Arbeit fertigmachen“, sagte Jonas. „Es is‘ fünf vor.“ „Ah, shit.“ Erik setzte sich auf und rieb über seine Augen. „Habe ich die ganze Zeit geschlafen?“ „Japp.“ Jonas reichte ihm seine Brille. „Du warst praktisch in der Sekunde weg, in der wir uns nach der Dusche auf die Couch gekuschelt hatten.“ „Shit. Tut mir leid.“ „Kein Ding“, versicherte Jonas. „Ich hab eh auch ‘ne Weile gepennt. Und danach deine Wohnung nach Wertsachen durchsucht.“ „Bist du fündig geworden?“ Sichtlich lustlos schälte sich Erik aus seiner Decke und warf sie zurück an ihren üblichen Platz über der Sofalehne. „Japp. Hab einen Blick in das geheimnisvolle dritte Zimmer geworfen, das du mir bisher vorenthalten hast." Erschrocken drehte sich Erik zu ihm um. „Ich, ah, ich kann das erklären!“ „Das … war ein Scherz“, sagte Jonas langsam. „Aber jetzt will ich wirklich wissen, was du da versteckst.“ Erik zupfte an seinem Ärmel, war augenscheinlich nervös. „Vielleicht ist es wirklich an der Zeit, dass ich es dir zeige.“ Die Hände auf Jonas‘ Schultern gelegt, führte Erik ihn vor die geschlossene Zimmertür. Jonas wollte sie öffnen, aber Erik stoppte ihn. „Warte.“ Mit einer Hand bedeckte er Jonas‘ Augen. „So. Jetzt.“ Jonas schluckte, tastete nach dem kühlen Metall der Klinke und drückte sie herunter. Ein leises Klicken ertönte und er stieß die Tür auf. Mit angehaltenem Atem wartete er darauf, dass Erik die Hand wegnahm. Blinzelte, als es so weit war. Der Raum war dunkel, die Einrichtung nur schemenhaft zu erkennen. Ein Schreibtisch, ein Drehstuhl, Regale, eine Menge Ordner. „Das is‘ ‘n verficktes Büro!“ „Was hattest du denn erwartet?“, raunte Erik in Jonas‘ Ohr. Dieser wirbelte herum und boxte gegen Eriks Arm. „Jedenfalls nich‘, dass du mich verarscht!“ „Ah, dann musst du noch eine Menge über mich lernen.“ Erik lächelte schief. „Ehrlich gesagt, ist das nur eine uninspirierte Verlegenheitseinrichtung. Eigentlich ist die Wohnung zu groß für mich allein, aber ich habe sie günstig über meine Chefin vermittelt bekommen und war nie der Typ für Mitbewohner. Also …“ Er zuckte mit den Schultern. „Büro.“ „Scheiße, jetzt hab ich lauter Ideen, was man stattdessen draus machen könnte.“ „Lass sie mich beizeiten wissen. Ah, ich gehe mich mal kurz umziehen und dann fahren wir, okay?“ „Okay.“ Beinahe hatte Jonas vergessen, wie anders Erik in seinen Arbeitsklamotten aussah. Körpernahes Hemd, Weste, Kontaktlinsen und hochgebundene Haare gaben ihm eine autoritäre Aura, die wenig mit dem Mann gemein hatte, den er in den vergangenen Monaten kennengelernt hatte. Als legte er einen Panzer an, bevor er sich der Welt stellte. „Wieso eigentlich Kontaktlinsen?“, fragte Jonas neugierig. „Weil ich sie praktischer finde“, antwortete Erik. „Und vielleicht, weil ich mich mit Brille immer ein wenig doof fand.“ Jonas küsste Eriks Nasenspitze. „Ich find dich damit süß.“ „Das hast du schon mal gesagt.“ „Und ich sag’s nochmal.“ Dieses Mal war Eriks Verlegenheit echt. „Lass uns fahren.“   Der lila Ford parkte in einer Lücke in Jonas‘ Straße. „Danke fürs Fahren.“ „Ich arbeite ums Eck. Wäre seltsam gewesen, es nicht zu tun.“ „Jetzt lass mich doch einmal in meinem Leben höflich sein, verfickte Scheiße!“ Erik lachte. „Entschuldige.“ Jonas tippte gegen seine Lippen. „Mach’s wieder gut.“ Der Kuss war lang und zärtlich und als Erik sich zurückzog, schnallte Jonas seinen Gurt ab und rutschte auf seinen Schoß, um sich mehr davon zu holen. Zum Teufel mit den Nachbarn und wer auch immer es sonst nötig hatte, in einen parkenden Wagen zu schielen. „Fuck, dein Auto is‘ zu klein“, murmelte er gegen Eriks Lippen, nachdem er sich wiederholt das Lenkrad in den Rücken gebohrt und den Kopf an der Decke gestoßen hatte. „Zum ersten Mal seit dem Kauf, sehe ich das genauso. Ah, da fällt mir ein, dass ich dir aus irgendeinem Grund schöne Grüße von einer meiner Nachbarinnen ausrichten soll. Genaugenommen ‚dem hübschen jungen Mann mit den großen Augen‘, aber ich bin mir fast sicher, dass sie dich meinte.“ „Richt‘ ihr auch schöne Grüße von mir aus“, nuschelte Jonas verlegen. „Und frag ruhig mal, ob du ihr ein paar Sachen vom Supermarkt mitbringen kannst, wenn du eh schon gehst.“ „Ah … okay. Vermutlich sollte ich das wirklich mal anbieten.“ Erik spielte mit einer Haarsträhne, die in Jonas‘ Stirn hing, schien ihn nicht wirklich gehen lassen zu wollen. „Du musst langsam los, oder?“ „Mhm. Leider.“ „Okay.“ Widerwillig und ein wenig ungelenk kletterte Jonas zurück auf den Beifahrersitz, küsste Erik ein letztes Mal und stieg aus. „Bis Sonntag.“ „Bis Sonntag.“ An seiner Haustür angekommen, drehte sich Jonas um und winkte dem noch immer in der Parklücke stehendem Auto.     WUMM! Jonas schreckte hoch, blickte desorientiert um sich. WUMM! Was war das? WUMM! Jemand trat gegen seine Tür! WUMM! Die ganze Wohnung erzitterte unter der Wucht der Tritte. WUMM! Panisch sprang Jonas aus dem Bett und schnappte sich sein Handy. Würde die billige Pressspanplatte lange genug standhalten, bis die Polizei bei ihm war? WUMM! Er hörte Stimmen. Jemand lachte. Seine Nachbarn? Schritte. Eine Tür in der Nähe schlug zu. War das die nächste Eskalationsstufe?     Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)