Raupe im Neonlicht von Noxxyde ================================================================================ Kapitel 22 ---------- Was zuletzt geschah: Während Eriks und Jonas‘ zweitem Date, kommen nicht nur Semmelknödel mit Schwammerlsoße auf den Tisch. Jonas zieht den Splitter, den Marias Worte in ihm hinterlassen haben heraus und mit ihm sprudeln jede Menge Ängste und Sorgen ins Freie. Ein paar davon lassen sich noch an Ort und Stelle beseitigen, andere sind leider hartnäckiger.   Kapitel 22 Die Sonne stand tiefer, die Schatten waren länger und der Duft nach frisch gekochtem Essen hing in Jonas‘ Wohnung. „Satt?“, fragte er. Wohlig brummend streckte sich Erik. „Mhm.“ „Trifft sich gut. Es is‘ nämlich nix mehr da.“ Erik hatte keinen Krümel, keinen noch so kleinen Fleck Soße auf seinem Teller gelassen und auch die Töpfe waren leergekratzt. Mehr als zufrieden mit diesem Ergebnis, stapelte Jonas das Geschirr in der Spüle. „Warte, ich helfe dir“, bot Erik an. „Ich muss erst in einer halben Stunde los.“ Jonas schob Eriks Hand, die nach dem weiß-blau-kariertem Trockentuch gegriffen hatte zur Seite. „Lass mal, das mach ich später selbst.“ „Zu zweit geht’s schneller.“ Erik angelte erneut nach dem Tuch. „Nee, wenn wir bloß noch ‘ne halbe Stunde miteinander haben, will ich die anders verbringen.“ Jonas nahm ihm das Tuch wieder ab. „Musst du echt während der kompletten Öffnungszeiten da sein? Obwohl du eigentlich nix mit dem laufenden Betrieb zu tun hast? Ich mein, is‘ ja nich‘ so, als würdest du hinter der Bar stehen oder wärst für die Technik verantwortlich oder so. Und jetzt isses grade mal Viertel nach sieben, ihr macht doch erst um neun auf?“ „Normalerweise fange ich nicht so früh an“, gab Erik zu „aber wir haben heute Teambesprechung und da sollte ich pünktlich sein. Außerdem bin ich erster Ansprechpartner, wenn etwas schiefgeht. Kaputte Geräte, für die irgendwie, irgendwo schnell Ersatz aufgetrieben werden muss und unseren Technikern die Ideen ausgegangen sind, Engpässe bei Getränken, spontan ausfallende Angestellte, sonstige Katastrophen. Polizei- und Notarzteinsätze …“ „Habt ihr sowas öfter?“ „Oft genug, um als ‚regelmäßig‘ bezeichnet zu werden.“ „Ätzend. Ich hab ja bei meinen Eltern mitbekommen, was da so spontan alles für Scheiß anfallen kann, aber son Club mitten in Berlin is‘ wahrscheinlich noch ‘ne ganze Ecke härter.“ Erik lächelte schief. „Naja, es geht schon. Ganz am Anfang habe ich versucht, den Verwaltungskram zu etwas alltäglicheren Uhrzeiten zu bearbeiten und nachts nur noch als Notfallkontakt zur Verfügung zu stehen. Das hat dann allerdings dazu geführt, dass ich im Schnitt dreimal pro Woche irgendwann Mitten in der Nacht im Club aufschlagen durfte und statt eines Zehnstundentags eher irgendwo bei sechzehn lag. Also habe ich mich angepasst. Jetzt arbeite ich eben größtenteils nachts, dann bin bei Notfällen auch gleich vor Ort. Ist angenehmer für alle Parteien.“ „Und … Irgendwann dazwischen studierst du noch?“ „Ist ja nur Teilzeit“, erwiderte Erik achselzuckend und zog das Trockentuch zu sich. „Und gerade, weil ich nachts arbeite, habe ich keine Probleme damit, dass sich meine Vorlesungen zeitlich mit dem Job überschneiden. Die Prüfungszeit ist ein bisschen härter, aber normalerweise geht das schon irgendwie.“ „Solang ich nich‘ deine ganze Freizeit belege …“ Auch dafür hatte Erik nur ein Schulterzucken übrig. „Das ist dann meine Entscheidung und nicht deine.“ Resolut schob Jonas Erik von der Spüle weg, rupfte ihm das Tuch aus der Hand und warf es hinter sich. „Dann will ich die verbleibende Zeit wenigstens gescheit nutzen! Also nimm endlich deine Bratzen von diesem verfickten Tuch und leg sie lieber auf mich.“ Das schmale Lächeln, das sich auf Eriks Gesicht stahl, jagte einen Schauer über Jonas‘ Rücken. „So? Wohin denn genau?“ „Ähm … Naja … Hier so …“ Vage gestikulierte Jonas zu seinen Hüften. „Oder wohin du sonst so willst.“ „Da so klingt erst mal ganz gut“, raunte Erik. Seine Fingerspitzen streiften Jonas‘ Kapuzenpulli, so sachte, dass Jonas lediglich die Bewegung des Stoffs auf seiner Haut wahrnahm. Selbst dieser winzige Reiz genügte, um seine Lippen zu einem stillen Stöhnen zu öffnen. Ein Stöhnen, das ihm Eriks Worte, wie empfindlich er auf Berührungen reagiere ins Gedächtnis rief. Verschämt schloss er den Mund wieder. „Nicht doch“, tadelte Erik leise. „Versuchst du gerade wirklich, diese wundervolle Reaktion zu unterdrücken, nur, weil du weißt, dass sie mir gefällt?“ „Will nich‘ so scheißvorhersehbar für dich sein“, murrte Jonas, erneut an der Schwelle zu einem Stimmungswechsel, den er selbst nicht verstand. Aber immerhin hatte er den Hauch einer Idee, was ihn verursacht haben könnte. „Ähm … Erik?“ „Hmm?“ Eriks Brummen vibrierte gegen Jonas‘ Ohr, gegen sein Inneres. Jonas drehte den Kopf und versuchte, seine Gedanken zu klären. „Können wir … Ähm …“ „Was ist los?“ Plötzlich Sorge statt Lust, der Griff um Jonas‘ Hüften nicht länger neckend, sondern stützend. „Alles super!“, beteuerte Jonas schnell. „Nur … ähm … Können wir …“ Er hatte keine Ahnung, wie er seinen Wunsch ausdrücken sollte, ohne sich lächerlich zu machen. Ohne Erik zu verletzen. „Können wir was?“, hakte Erik nach. „Aufhören?“ „Nein! Nein, das …“ Jonas schloss die Augen, lehnte die Stirn gegen Eriks Schulter. „Kannst du … ähm … etwas …“, ein schüchternes Flüstern, „weniger dominant sein?“ „Weniger dominant?“ „Äh, ja. Du, äh, weißt schon … nich‘ so … so …“ Hilflos wedelte Jonas mit den Armen. Es war schwierig, etwas in Worte zu fassen, das man selbst kaum begriff. Erik nahm ihm diese Notwendigkeit ab. „Natürlich kann ich das.“ Er klang entspannt, aber seine Muskeln verhärteten sich unter Jonas‘ Fingerspitzen. „Sorry, ich weiß, wie paradox das is‘“, murmelte Jonas. „Ich wollt ja immer, dass wir … Und ich steh da auch drauf. Immer noch. Aber …“ „Du musst das nicht erklären. Oder entschuldigen.“ Jonas versuchte laut und sicher zu sprechen und zwang sich, Erik dabei anzusehen. „Du sollst bloß nich‘ denken, dass du was falsch gemacht hast. Hast du nich‘! Es is‘ nur … Ich … Ähm … Fuck!“ Frustriert ballte er die Hände zu Fäusten. „Ich würd’s dir so gern erklären, aber ich find grad nich‘ die richtigen Worte!“ Erik zeigte ein Lächeln, nicht breit, nicht übermäßig glücklich, aber zu Jonas‘ Erleichterung wirkte es echt. „Ich sage es noch einmal: Du musst das nicht erklären.“ Nach einer kurzen Pause, in der er sein Gewicht von einem Bein auf das andere verlagerte, fuhr er fort. „Um ehrlich zu sein, bin ich sogar froh, dass du das Thema angesprochen hast.“ „Bist du?“ „Mhm. Ich bin durchaus gerne dominant im Bett und ich habe jedes unserer Treffen voll und ganz genossen, aber …“ Jonas hob den Kopf. „Aber?“ „Ich bin mir nicht sicher, ob ich unser gesamtes Sexleben darauf aufbauen will.“ „Oh. Okay.“ „Ist das in Ordnung?“ „Ja!“, versicherte Jonas eilig. „Klar. Ich mein, das is‘ ja das, was ich grad auch gesagt hab, oder? Also … zumindest so irgendwie? Erstmal etwas weniger, äh, du weißt schon und etwas mehr … Augenhöhe?“ Ein verschlagenes Lächeln schlich sich auf seine Lippen. „Oder … Wir tauschen mal die Rollen.“ Erik hob eine Braue. „Tun wir das?“ „Japp.“ Jonas deutete auf sein Bett. „Ausziehen und hinlegen.“ Die Sekunden zogen sich und Jonas begann zu fürchten, Erik könnte seine Anweisung in den falschen Hals bekommen haben, als dieser die Hände zur Brust hob und gemächlich den obersten Knopf seiner Weste öffnete. Bald flatterte sie zu Boden und er widmete sich seinem Hemd. Mit angehaltenem Atem beobachtete Jonas die geschickten Finger, die sich Knopf um Knopf vorarbeiteten, Zentimeter um Zentimeter nackter Haut entblößten. Anders als Jonas, war Erik weder nervös noch übereifrig. Er nahm sich Zeit, zelebrierte die Entblößung seines Körpers. „Scheiße, hattest du mal ‘nen Nebenjob als Stripper oder so?“ „Nur viele Jahre Erfahrung im An- und Ausziehen meiner Kleidung.“ Der letzte Knopf sprang auf, das Hemd gesellte sich zur Weste. Jonas‘ Lippen kribbelten, wollten kosten, was seine Augen sahen. „Soll ich weitermachen?“, fragte Erik. „Was denkst du denn?“ „Dass du davor eventuell die Vorhänge schließen möchtest. Ich bin nicht schüchtern, aber …“ „Fuck!“ Jonas hetzte zum Fenster und riss so fest an den Vorhängen, dass die daran festgenähten Fotoanhänger klimperten. „Sorry.“ „Kein Problem.“ Erik kehrte Jonas den Rücken zu, löste seinen Gürtel, ließ die Jeans über seine Hüften rutschen und schaffte es irgendwie, Hose und Socken mit einer einzigen, eleganten Bewegung loszuwerden. Jonas‘ Aufmerksamkeit galt den dunklen Shorts, die sich an Eriks verlockenden Hintern schmiegten und den Daumen, die sich in den Bund hakten, um sie langsam nach unten zu schieben. „Warte!“ Jonas‘ Lippen fanden Eriks Nacken, genossen das Kitzeln der feinen Härchen, während seine Hände den Körper erkundeten, den Erik ihm viel zu lange vorenthalten hatte. „Das mach ich lieber selbst.“ „Mhm. Keine Einwände.“ Mit Genugtuung registrierte Jonas das Verlangen in Eriks Stimme, seinen beschleunigten Atem. Schrittweise drängte Jonas ihn zum Bett, immer wieder unterbrochen von Momenten, in denen sie sich zu wenig auf ihre Füße und zu sehr auf andere Dinge konzentrierten. „Leg dich hin und zieh das da“, abfällig tippte Jonas gegen Eriks Shorts, „endlich aus.“ „Ich dachte, du wolltest das machen.“ Herausfordernd zupfte Erik am Stoff, zog ihn einige Zentimeter herunter, stoppte, warf Jonas einen auffordernden Blick zu. „Na, was ist?“ Zur Antwort schubste Jonas Erik aufs Bett und sprang hinterher. Knack! „Fuck! Dieser scheißbillige Lattenrost!“ Jonas realisierte, dass das plötzliche Beben, das durch Eriks Körper ging kein Zeichen von Erregung war, sondern er sich alle Mühe gab, nicht in Gelächter auszubrechen. „Jaja, lach du nur du Arsch. Is‘ ja nich‘ dein Bett.“ „‘Tschuldige“, würgte Erik kichernd hervor. „Sollen wir uns den Schaden mal ansehen?“ „Nope“, entschied Jonas. „Ich will lieber was Andres angucken.“ Seine Fingerspitzen strichen über Eriks noch immer verborgene Erektion und er entschied, es als Kompliment zu betrachten, dass die kurze Unterbrechung keinerlei Einfluss auf darauf genommen hatte. Bereitwillig hob Erik die Hüften, um endlich aus seinen Shorts befreit zu werden. Spielerisch erkundete Jonas die samtene Haut seines Glieds, betrachtete den klaren Tropfen an der Spitze, der jeden Moment zu fallen drohte. Er leckte sich über die Lippen. „Du hast nich‘ zufällig Gummis dabei?“ „Nur im Auto und das steht schon in der Garage neben dem Tix. Hast du keine hier?“ Jonas schüttelte den Kopf, starrte wie hypnotisiert auf den Tropfen; wollte ihn schmecken, die Textur nicht nur mit seinen Fingern, sondern seiner Zunge erkunden. Erik hatte selbst zugegeben, dass das Ansteckungsrisiko gering und er ein wenig paranoid war. Zumal er sich regelmäßig testen ließ und Jonas nicht wirklich die Gelegenheit gehabt hatte, sich etwas einzufangen. Sollte er einfach …? Energisch schob Jonas die Idee zur Seite. Da konnte er diese Beziehung auch gleich für beendet erklären. „Dann musst du dich mit Handbetrieb zufriedengeben.“ „Ich denke, damit kann ich leben.“ Mit pochendem Herz hockte sich Jonas auf Eriks Oberschenkel und fixierte sie mit seinem Gewicht auf dem Bett. Er genoss das Zittern unter ihm, die erstickten Laute, irgendwo zwischen Lachen und Ächzen, die Ruhe, mit der er sich diesem wunderbaren Körper widmen konnte. Jonas nahm sich Zeit. Flüchtige Berührungen, zarte Streicheleinheiten, Fingernägel, die die empfindliche Penisspitze umkreisten und Laute aus Erik hervorlockten, die er noch nie zuvor von diesem gehört hatte. Wäre es nach Jonas gegangen, hätte er dieses Tempo stundenlang beibehalten können. Aber sie hatten keine Stunden und allmählich genügte sein Körpergewicht nicht mehr, um die ungeduldigen Hüften unter ihm zu bändigen. „Küss mich“, bat Erik und auch wenn Jonas entschieden hatte, dieses Mal derjenige zu sein, der den Ton angab, kam er dieser Bitte mit Freuden nach. Erik zuckte, seine Finger krallten sich in Jonas‘ Nacken und sein Stöhnen verwandelte sich in atemloses Keuchen. Ihre Lippen trennten sich erst lange danach. Jonas‘ Finger zogen Kreise durch die milchige Flüssigkeit auf Eriks Oberkörper, fühlten das rasche Heben und Senken seiner Brust. Erik hatte einen Arm über die Augen gelegt, schützte sie vor dem grellen Licht, als versuchte er, seine Rückkehr in die wirkliche Welt noch ein wenig länger hinauszuzögern. „Ich hoffe, du hast wenigstens Tempos hier“, murmelte er nach einer Weile. „Wenn du lieb ‚Bitte, bitte‘ sagst“, erwiderte Jonas breit grinsend. Erik nahm den Arm von den Augen und blinzelte träge, nur um gleich darauf mit erschreckender Geschwindigkeit Jonas‘ Schultern zu packen und ihn nach unten zu drücken. Mit aller Kraft stemmte Jonas die Hände gegen Eriks Brust und konnte gerade so verhindern, dagegen gepresst zu werden. „Igitt!“ „Igitt?“, wiederholte Erik pikiert. „Also, das tut jetzt aber weh.“ Panisch versuchte Jonas, sich aus Eriks eisernem Griff zu winden. „Weißt du wie schwer es is‘, das Zeug aus dunklem Stoff zu waschen?“ „Mhm. Zufällig habe ich da ebenfalls Erfahrung.“ „Is‘ ja gut!“, rief Jonas. „Ich hol dir was! Dafür musst du mich aber schon loslassen.“ In der Sekunde, in der Erik von ihm abließ, schnellte Jonas hoch, sprintete zu seinem Schreibtisch, in dessen Schublade rein zufällig eine Rolle Küchenpapier lagerte und stöhnte innerlich. Neben dem Küchenpapier lagen die Kondome, die Christine ihm geschickt hatte. Das hätte ihm mal früher einfallen können. Er entschied, darüber Stillschweigen zu bewahren, kehrte mit einigen Blättern zum Bett zurück und reichte sie an Erik weiter. „Danke.“ Notdürftig säuberte Erik seinen Oberkörper. „Ah, dein Bad …“ „Hinter der einzigen anderen Tür in dieser Wohnung.“ „Ah. Bin gleich wieder da.“ Jonas streckte sich auf seinem Bett aus, fühlte Eriks im Laken gespeicherte Körperwärme und dachte an das Zittern, das Stöhnen – an die schiere Selbstverständlichkeit, mit der sich Erik ihm hingegeben hatte. Da war kein Zögern gewesen. Keine Scham und kein Schuldbewusstsein. Nur Lust. Weshalb schaffte er selbst das nicht? Weshalb war da immer diese kleine Stimme, die ihm einzureden versuchte, dass das, was sie taten falsch war? Das Bett knarzte und Jonas schreckte hoch. Erik saß am Rand, musterte ihn. „Alles in Ordnung?“ „Jaah. Ja. Schon. Mir geht bloß viel im Kopf rum.“ „Merke ich.“ Jonas rutschte näher zu Erik, lehnte seinen Kopf an dessen Oberschenkel und genoss das zarte Kribbeln, als Erik seinen Nacken kraulte. „Irgendetwas, wobei ich helfen kann?“ „Ich glaub nich‘.“ Selbst jetzt fühlte sich Jonas schuldig für die Geborgenheit, die er empfand. „Es is‘ … Okay, beschissener Vergleich, aber irgendwie bringt’s das grad am besten rüber. Es is‘ ‘n bissl wie damals, als ich mit sechzehn zum ersten Mal in ‘nem größeren Club war. Ich war total aufgeregt und wollt echt unbedingt rein, aber als es dann geklappt hat … Da war es laut und voll und zu dunkel und zu hell gleichzeitig. Jeder hat irgendwie an mir gezerrt oder mich weggedrängt und obwohl ich Spaß hatte, war ich erst mal völlig überfordert. Ungefähr so fühlt es sich jetzt auch an.“ Jonas drehte den Kopf, um Erik anzusehen. „Sorry, ich weiß, dass ich grad voll schwierig bin.“ „Brauchst du ein bisschen Zeit für dich?“ „Schon.“ Seufzend rieb sich Jonas über die Augen. „Aber damit mein ich nich‘, dass ich dich nich‘ mehr sehen will oder so. Ich brauch nur … die Möglichkeit, mir über ein paar Dinge klarzuwerden. Und bis dahin bin ich sicher echt scheißanstrengend. So wie jetzt halt auch. Ich … kann verstehen, wenn du dir das nich‘ antun willst.“ „Ich dachte, das Thema hätten wir heute schon geklärt?“ Eriks Stimme war ruhig, weder enttäuscht noch vorwurfsvoll. „So leicht kannst du mich nicht vertreiben. Also nimm dir Zeit, sei schwierig, werde dir über die Dinge klar, über die du dir klarwerden musst. Nur … rede mit mir, ja? Sag mir, wie ich dir helfen kann und“, er wurde leiser, „sag mir auch, wenn“, er stockte, „falls du keine Zukunft für uns siehst.“ Jonas wollte protestieren, versichern, dass das nie der Fall sein würde, aber die Worte wollten nicht über seine Lippen kommen. Wie konnte er so ein Versprechen geben, solange dieses Chaos in seinem Kopf herrschte? „Ah, wie spät ist es eigentlich?“, fragte Erik unvermittelt. „Entweder, irgendetwas läuft mit dem Ding falsch, oder ich habe plötzlich verlernt, Analoguhren abzulesen.“ Offenbar hatte auch er in der eingetretenen Stille das Ticken wahrgenommen. „Is‘ ne bayerisch Uhr“, erklärte Jonas grinsend. „Haben mir meine Eltern vermacht.“ Ursprünglich hatte ihr Ticken ihn in den Schlaf gewiegt, doch inzwischen hielt es ihn immer öfter wach. Er drückte den Rücken durch, um von seiner Position aus das Ziffernblatt ablesen zu können. „Ähm … etwa dreiviertel acht.“ „Dann sollte ich mich wohl anziehen.“ Das unzufriedene Murren, das Jonas ausstieß, als er sich an Eriks Oberschenkel festklammerte, entlockte diesem ein helles Lachen. „Ich würde auch lieber noch hierbleiben, aber wenn ich bis acht im Tix sein will, muss ich jetzt wirklich los. Entschuldige, ich fürchte, heute gehst du leer aus.“ „Na schön“, gab Jonas nach und ließ von Erik ab, um ihm anschließend bedrückt beim Aufsammeln und Anziehen seiner Klamotten zuzusehen. „Also … Sehen wir uns am Sonntag?“, fragte er vorsichtig. Erik war gerade dabei, seinen Gürtel zu schließen, blickte bei Jonas‘ Frage jedoch auf und zeigte wieder dieses Schuljungenlächeln, das ihn so anders aussehen ließ. „Wahnsinnig gerne.“ „Und … ähm …“ Nervös zupfte Jonas an seinem Bettlaken. „Ich hatte diese Woche meinen letzten Seminartermin. Also hätte ich … Ich kann montags ausschlafen.“ Eriks Lächeln flackerte. „Ich fürchte, ich brauche den Montag, um mich auf meine Klausuren vorzubereiten.“ „Oh. Ja. Versteh‘ ich. Kein Ding.“ „Nach den Prüfungen, ja?“ „Klar. Wahrscheinlich sollte ich eh auch meine Stunden im Café erhöhen, solang ich kann. Und, ähm, ich bin im März mal bei meinen Eltern. Weiß noch nich‘ wie lange. Oder wann genau.“ „Ist es sehr egoistisch, wenn ich sage: ‚Hoffentlich nicht zu bald und zu lange‘?“ Erik war vollständig angezogen und wartete an der Tür. „Nee, das … is‘ genau das, was ich hören wollt.“ Jonas krabbelte vom Bett und schlich zu Erik, unwillig, den Abend zu beenden. „Sonntag steht?“ „Natürlich.“ Erik küsste Jonas‘ Wange. „Bis dann.“ „Warte!“ Schon halb aus der Tür, drehte sich Erik noch einmal um. „Wa–?“ Jonas fiel ihm in die Arme und drückte ihn fest an sich. Sanft rieben Eriks Hände über seinen Rücken, schenkten Wärme, die bis tief in sein Inneres strahlte. Lange standen sie in Jonas‘ Hausgang, ignorierten das Öffnen und Schließen der gegenüberliegenden Tür, den kühlen Luftzug, der über ihre Körper fegte. „Jetzt kommst du doch zu spät“, murmelte Jonas schließlich. „Manchmal ist es das wert.“       Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)