Zum Inhalt der Seite

Raupe im Neonlicht

von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Kapitel 21

Was zuletzt geschah:

Jonas‘ und Eriks erstes Date geht in die zweite Runde und treibt dabei die Wasserrechnung in beeindruckende Höhen. Allerdings ist nicht alles eitel Sonnenschein – völlig unabhängig vom Regen, der ungezähmt gegen die Fenster prasselt. Immer wieder bricht Jonas‘ Unsicherheit hervor und auch, wenn Erik ihm einen Teil davon nehmen kann, pflanzt Maria einen Gedanken in seinen Kopf, den er nicht los wird. Egal, wie sehr er das will.

 

Kapitel 21

Die ersten Worte, die Erik an Jonas richtete, nachdem dieser ihm die Tür geöffnet hatte lauteten: „Da klebt Kaugummi auf deiner Klingel.“

Angewidert verzog Jonas das Gesicht. „Schon wieder?“

„Passiert das häufiger?“

„Hm. Ich hab ‘ne Vermutung, wer’s is‘, aber eigentlich gehofft, es wär was Einmaliges. Hab ich mich wohl getäuscht.“ Jonas zuckte mit den Schultern, wollte nicht darüber nachdenken. „Naja, scheiß drauf. Essen is‘ gleich fertig.“ Er dirigierte Erik zu dem uralten Klapptisch aus Holz, den seine Eltern früher bei schönem Wetter in den Garten gestellt hatten, bevor er durch ein größeres Modell ersetzt worden war.

„Riecht gut“, bemerkte Erik.

„Schmeckt hoffentlich auch so.“ Obwohl sich bisher noch niemand beschwert hatte, war Jonas immer schrecklich nervös, wenn er zum ersten Mal für jemanden kochte. Er wollte zurück zu seiner Küchenzeile eilen, aber Erik griff seinen Ärmel und hielt ihn fest.

„Hast du nicht eine Kleinigkeit vergessen?“

„Hab ich? Ach so, deinen Mantel kannst d–oh!“ Eriks Lippen, die sich auf Jonas‘ legten, waren Erinnerung genug. „Wie dumm von mir“, nuschelte er. „Ich sollt aber wirklich mal die Soße …“

„Mhm.“ Erik knabberte an Jonas‘ Unterlippe.

„Wenn’s anbrennt, isses deine …“

„Mhm.“ Eine freche Zunge fand ihren Weg.

Ach, scheiß drauf! Jonas genoss den kühlen Körper, der sich an seinen schmiegte, die Finger, die seinen Nacken kraulten. Nur das lauter werdende Blubbern hinter ihm störte die friedliche Szene. Ein letztes Mal sog er den erdigen Duft ein, der ihm inzwischen so vertraut war, dann schob er Erik resolut von sich. „Jetzt aber wirklich. Setz dich endlich!“

„Hmm, na schön.“

Nachdem er sichergegangen war, dass Erik tatsächlich Platz genommen hatte und ihn nicht wieder ablenken würde, schmeckte Jonas ein letztes Mal die Soße ab, arrangierte alles auf schlichten, weißen Tellern und balancierte sie mitsamt der Gläser elegant zum Tisch. „Bitteschön. Semmelknödel in Schwammerlrahm.“ Er stutzte. Für eine Sekunde war ein Ausdruck über Eriks Gesicht gehuscht, den er nicht einschätzen konnte. „Nich‘ gut?“

„Doch, doch“, versicherte Erik rasch. „Sogar sehr gut. Das war … eines der Lieblingsgerichte meiner Mutter.“

„Oh.“ Kritisch beäugte Jonas sein Essen. Plötzlich wirkte der Knödel verformt, die Soße grau und die eilig darüber gestreute Petersilie lächerlich. „Das is‘ ‘ne harte Konkurrenz.“

„Eigentlich nicht“, erwiderte Erik. „Meine Mutter hatte viele Begabungen, aber Kochen gehörte nicht unbedingt dazu.“ Jonas bemühte sich, ihn nicht zu offensichtlich zu beobachten, als er den ersten Bissen probierte. „Mhm. Schmeckt fantastisch. Hast du das in eurem Restaurant gelernt?“

„Teilweise. Wirklich gelernt hab ich‘s aber, als Christine verkündet hat, dass sie kein Fleisch mehr essen mag. Da war sie zwölf oder so. Jedenfalls meinte meine Mum, dass sie da gern drauf verzichten kann, solang es ihr gefällt, sie ihr aber sicher nix extra machen wird. Nachdem sie sich dann ‘ne Woche lang von Käsebroten ernährt hatte, konnte ich mir das nich‘ länger mitansehen und hab zum Topf gegriffen.“

„Dann profitiere ich hier also gerade davon, dass du ein verantwortungsbewusster großer Bruder bist.“

„Und Christine ein unverbesserlicher Dickschädel. Ich glaub allerdings, dass das meinen Eltern ganz recht so war. Also, dass ich mich mehr mit Kochen beschäftigt hab. Wäre es nach ihnen gegangen, wäre ich direkt ins Familiengeschäft eingestiegen, aber … Naja, ich hatte eben andere Pläne und zum Glück unterstützen sie mich auch dabei. Vielleicht warten sie aber auch bloß drauf, dass ich einseh‘, dass das mit’m Fotografieren nich‘ klappt und zurückkomme.“ Er lächelte grimmig. „Du weißt schon … ‚Wer nix wird, wird Wirt‘ und so.“

„Mhm. Und wer nicht Wirt wird, wird Betriebswirt.“ Erik zwinkerte dem verblüfften Jonas verschwörerisch zu. „Mit Verlegenheitsentscheidungen kenne ich mich durchaus aus.“

„So war das nich‘ … Ich mein nur …“ Jonas seufzte. „Vielleicht rechne ich sogar selbst damit, dass ich im Kunstbereich nich‘ fußfassen werd. Ich hab mir jedenfalls noch nie wirklich Gedanken drum gemacht, was ich nach meinem Abschluss tun will.“

„Du bist gerademal im ersten Semester“, erwiderte Erik. „Es ist ganz normal, dass du noch keine Ahnung hast, was du nach dem Abschluss machen willst. Immerhin weißt du schon mal, in welche Richtung es gehen soll. Das ist mehr, als viele andere in deinem Alter sagen können.“

„Ach ja?“, fragte Jonas zweifelnd. „Was is‘ mit dir? Wusstest du in meinem Alter, was du willst?“

„Naja.“ Nachdenklich kaute Erik auf einem Bissen herum. „Ich dachte ich wüsste es. Medizin zu studieren war immer mein Traum und als mir klar wurde, dass ich der Belastung nicht gewachsen war, bin ich erstmal in ein ziemliches Loch gefallen. Jetzt habe ich zwar einen Abschluss und arbeite am nächsten, kann aber nicht wirklich behaupten, zu wissen, was ich vom Leben will.“

„Ehrlich?“, fragte Jonas überrascht. „Du wirst immer so, ähm, zielstrebig.“

„Wenn ich ein konkretes Ziel habe, ist das vielleicht auch so“, sagte Erik achselzuckend. „Aber ich habe kein konkretes Ziel. Keinen Zehn- oder auch nur Fünf-Jahres-Plan.“

Jonas lehnte sich in seinem Stuhl zurück. „Scheiße, weißt du eigentlich, wie beruhigend das is‘? Dass ich nich‘ der Einzige bin, der keinen Plan vom Leben hat?“

„Freut mich, wenn mein Leid dir weiterhilft“, stichelte Erik gutmütig.

„Mich auch.“ Jonas starrte auf seine Gabel. Ein Champignon rutschte in Zeitlupe zurück in die Soße. „Eigentlich könnte ich mir sogar vorstellen, im Apfelbäumchen zu kochen. Ich mach’s ja gern, auch für viele Leute. Aber … der Druck, das Familiengeschäft weiterzuführen … mit Allem, was dazugehört … Ich glaub, ich muss wenigstens ausprobieren, ob es nich‘ noch etwas Anderes für mich gibt.“

„Verstehe ich.“

„Themenwechsel!“, entschied Jonas. „Was is‘ deine Lieblingsfarbe?“

Erik wirkte ein wenig überrumpelt. „Ah … Grau.“

„Grau? Wessen Lieblingsfarbe is‘ denn bitteschön Grau?“

„Meine. Offensichtlich.“

„Scheiße, du hast mir mal gesagt, du magst deine Welt bunt. Und dann sagst du ‚Grau‘? Wie passt das denn zusammen?“

„Ich mag meine Welt bunt“, erwiderte Erik, sein Ton irgendwo zwischen gereizt und amüsiert, „aber ich habe keine Farbe, die ich bevorzuge. Grau ist“, er neigte den Kopf, überlegte, „unauffällig. Es sticht selbst nie heraus, aber unterstützt alle anderen Farben. Lässt sie leuchten. Das gefällt mir.“

Jonas stöhnte. „Wie schaffst du‘s eigentlich, jede noch so scheißbillige Frage in was Philosophisches zu verwandeln?“

„Du wolltest es wissen!“, protestierte Erik.

„Jaah, aber … Da sagt man dann sowas wie ‚weiß nich‘‘, oder ‚is‘ halt schön grell‘, oder so.“

„Was ist denn deine Lieblingsfarbe?“

„Weiß nich‘“, gestand Jonas.

„Also das ist jetzt enttäuschend.“

„Nee, ich mein … Ich weiß nich‘ so ganz, wie ich‘s beschreiben soll. Es is‘ keine wirkliche Farbe, sondern … ähm … die Veränderung von Farbe.“

„Mhm. Aber ich bin philosophisch.“

Verlegen rieb Jonas über seine geröteten Wangen.

„Also?“, hakte Erik nach. „Jetzt musst du das schon näher erklären.“

„Ähm … also … Ich versuch’s mal. Aber du darfst nich‘ über mich lachen!“

„Würde ich nie.“

„Natürlich nich‘ …“

„Versprochen.“

„Bitte! Dann versuch ich halt, den Scheiß zu erklären.“ Theatralisch rollte Jonas mit den Augen. „In unserem Garten, also dem Garten meiner Eltern, steht ein Apfelbaum und solange ich denken kann, hat es mich total fasziniert, wie sich seine Blätter über’s Jahr verändern. Du weißt schon, schneebedeckt, frischgrün, weiße Blüten, rote Äpfel, buntes Herbstlaub und wieder kahl. Immer dasselbe und trotzdem immer anders. Keine Ahnung, wie ich das besser ausdrücken soll, aber ich glaub, es gibt nix Spannenderes für mich, als dieses Wechselspiel.“ Jonas schnaubte frustriert. „Und ja, das klingt aufgeblasen und pseudophilosophisch. Und is‘ eigentlich ‘ne Themaverfehlung, weil‘s ja die Frage nach der Lieblingsfarbe nich‘ beantwortet. Und …“ Den Blick gesenkt, die Hände um sein Besteck gekrampft, verstummte er. Irgendwann im Laufe seiner Erklärung war die Stimmung gekippt. Er fühlte sich dumm, wegen einer Frage, die er selbst gestellt hatte. Wenn das nicht armselig war.

„Jonas?“ Eriks Stimme war leise, als fürchtete er, ihn zu verschrecken. „Was ist los?“

„Ich …“ Weiß es nicht. Jonas strich mit dem Handrücken über seine viel zu heißen Wangen. Er musste glühen. Mal wieder. „Fuck, irgendwie hab ich wohl einfach ständig das Gefühl, mich dir beweisen zu müssen. Als wäre ich nich‘ gut genug. Zu jung, zu dumm, zu … keine Ahnung.“

Erik runzelte die Stirn. „Woher kommt dieses Gefühl?“

„Ich hab keine Scheißahnung!“, schnappte Jonas. Er seufzte, nahm sich einen Moment Zeit, seine Gedanken zu ordnen und zu formulieren, was bisher nur ein vages Gefühl gewesen war. „Vielleicht hast du mich einfach einmal zu oft zurückgewiesen.“ Erik öffnete den Mund zu einer Erwiderung, aber Jonas schüttelte den Kopf. „Warte, ich … ich muss das mal aussprechen und dann können wir drüber reden, ja? Aber wenn ich’s jetzt nich‘ sag, dann tu ich’s nie und das wird irgendwann sicher ‘n Problem. Scheiße, es is‘ ja jetzt grad schon ‘n Problem.“

Mit einer Geste bedeutete Erik Jonas fortzufahren.

„Manchmal … da fühl ich mich dir gegenüber wie ein verfickter Bittsteller. Ich mein, denk nur mal dran, wie wir uns überhaupt kennengelernt haben. Ich hab mich auf ‘nen Job beworben. Den ich dann noch nich‘ mal bekommen hab! Und … und … das nächste Mal dann im Tix. Ich hab dich geküsst, was verfickt noch mal echt scheißviel Mut verlangt hat und du hast ‚Nein‘ gesagt.“ Jonas sah, dass Erik protestieren wollte und fügte rasch hinzu: „Ja, ja, ich versteh deine Gründe dafür. So is‘ das nich‘, aber es war halt erst mal Ablehnung. Und wenn ich nich‘ so hartnäckig gewesen wär, wär ich an dem Abend allein nach Hause gegangen. Und da wir grad dabei sin‘ … Diese ganze Geschichte in dieser Nacht. Ich hab einfach bloß versucht, das zu tun, wovon ich dacht, dass du’s erwartest. Hast du nich‘, aber das Gefühl du würdest es, war halt da. Und is‘ irgendwie nie wirklich weggegangen und … Fuck!“ Erst jetzt merkte Jonas, wie viel sich in den vergangenen Monaten bei ihm angestaut hatte. „Ich mein, ich musste dich praktisch anflehen, mir noch mal ‘ne Chance zu geben und es is‘ echt beschissen für’s Selbstwertgefühl, wenn man drum betteln muss gefickt zu werden … Und jetzt die ganze Geschichte neulich … Ich gesteh dir meine Gefühle und du schickst mich weg. Nur um mir dann nachzulaufen, damit du mir erklären kannst, dass du zwar irgendwie auch was für mich empfindest, aber wirklich ganz sicher keine Beziehung mit mir willst. Dann flehe ich dich an, dir das noch mal zu überlegen – schon wieder, übrigens – und du lässt dir ‘ne komplette Woche Zeit, um zu entscheiden, ob ich auch gut genug für dich bin und … Jetzt hab ich ständig das Gefühl, auf deine Gnade angewiesen zu sein und wart nur drauf, dass du entscheidest, ich sei halt doch unter deiner Würde!“ Jonas atmete tief aus und hoffte, dass sich das Zittern seiner Hände bald beruhigte. „Ich glaub, das war erst mal Alles.“

Das Schweigen zwischen ihnen wog zentnerschwer und Jonas hatte das Gefühl, aller Sauerstoff in seiner Wohnung sei aufgebraucht worden. „Ich mein, ich versteh dich schon auch“, krächzte er. „Ich bin viel jünger als du und in praktisch allem völlig unerfahren. Ich bin impulsiv, überemotional und vermutlich nich‘ die hellste Kerze auf der Torte. Und ich hab Angst vor meiner eigenen Sexualität. Oder kann sie zumindest nich‘ voll akzeptieren … Oder sie offen zeigen. Ich bin … Ich …“

„Es tut mir leid.“ Lange Zeit war das das Einzige, das Jonas von Erik hörte. Irgendwann fügte er hinzu: „Ich habe nicht darüber nachgedacht, wie du dich bei der ganzen Sache fühlen musst.“

Jonas‘ Zorn war verraucht, aber seine Unsicherheit blieb. Ein Teil von ihm rechnete damit, dass Erik jeden Augenblick aufstehen und diesen Versuch für gescheitert erklären würde. Und hätte er nicht recht? Machte Jonas etwas potenziell Wunderbares nicht gerade kompliziert, nur, weil Maria ein paar kritische Worte angebracht hatte? „Sorry, ich wollt nich‘ so’n Fass aufmachen.“

Langsam schüttelte Erik den Kopf. „Es ist gut, dass du es angesprochen hast. Ich wünschte nur, du hättest mich nicht erst mit der Nase darauf stoßen müssen, wie unfair ich mich dir gegenüber verhalten habe.“

„Du hast nich‘–“

„Doch, Jonas. Ich habe mich unfair verhalten“, unterbrach Erik ihn. „Ich hatte Angst, verletzt zu werden und habe stattdessen dich verletzt.“

Ohne darüber nachzudenken, rutschte Jonas von seinem Stuhl auf Eriks Schoß und schloss ihn in die Arme.

Erik seufzte. „Dass meine erste Beziehung nicht besonders toll war, habe ich schon mal erzählt, oder?“

„Du hast es zumindest angedeutet“, antwortete Jonas und verkniff sich jede Nachfrage.

„Aus Angst, dass mir das jemals wieder passieren könnte, habe ich angefangen mich sehr frühzeitig von Menschen zu trennen, die mir nicht guttun.“

„Was ja erstmal nix Schlechtes is‘, oder?“

„Nein, vermutlich nicht“, stimmte Erik zu. „Nur … Mit den Jahren und ein paar anderen unglücklichen Erfahrungen, wurden diese Grenzen immer enger. Plötzlich gab es da all diese Regeln und Bedingungen, die jemand erfüllen musste, damit ich denjenigen überhaupt näher an mich ranlasse.“ Er lächelte freudlos. „Muss ich erwähnen, dass die Zahl derjenigen, die das geschafft haben, gegen Null geht? Naja, und dann“, seine Finger strichen durch Jonas‘ Haar, „kamst du und hast an meinen selbsterrichteten Zäunen gezerrt. Und es war so viel einfacher, dich die ganze Arbeit machen zu lassen, während ich selbst in meiner Komfortzone gesessen habe und entscheiden konnte, ob ich die Zäune einfach wieder aufstellen oder dich weitermachen lassen soll. Ich habe dich übernehmen lassen, was eigentlich meine Aufgabe gewesen wäre.“

„Also … willst du das hier wirklich?“, fragte Jonas schüchtern. „Du willst … mich?“

„Natürlich!“

„Ich bin dir nich‘ einfach bloß lange genug auf den Sack gegangen?“

„Nein, das–“

„Und“, unterbrach Jonas ihn, „es is‘ auch nich‘ so, dass du‘s schlicht genießt, wenn ich“, er zögerte, musste die Worte, die ihn so schwer getroffen hatten aussprechen, „wenn ich dir wie ein treudoofes Hundchen hinterherlaufe, das alles mit sich machen lässt, solang du manchmal lieb zu mir bist?“

Erik schob Jonas von sich, bis dieser vom Stuhl rutschte und starrte ihn aus weit aufgerissenen Augen an.

„Sorry, das war nich‘–“

„Fühlt es sich so für dich an?“ Ein Hauch Panik schwang in Eriks Stimme mit.

„Nein.“ Jonas schüttelte den Kopf und wiederholte noch einmal bestimmter: „Nein! Gar nich‘. Das war nur ein blöder Floh, den mir jemand ins Ohr gesetzt hat.“

„Aber er scheint einen Nerv getroffen haben“, erwiderte Erik skeptisch. „Im Ernst, wenn sich das für dich so anfühlt, dann müssen wir darüber reden. Das sollte so nicht …“ Er holte tief Luft. „Was kann ich ändern?“

„Ich glaub …“ Jonas trat auf der Stelle, unsicher, ob er sich auf seinen eigenen Stuhl setzen sollte, oder es wagen konnte, sich wieder an Erik zu kuscheln. „Ich weiß einfach nich‘ so wirklich, was du an mir findest. Und … Und es gibt da so offensichtlichen Scheiß, der bei mir schiefläuft, den du noch nich‘ mal angesprochen hast. So, als wär’s dir eh scheißegal. Als würdest du damit rechnen, mich sowieso bald abzuschießen.“

„Das tue ich ganz sicher nicht“, beteuerte Erik. Zögerlich streckte er den Arm nach Jonas aus und entspannte sich sichtlich, als dieser die Geste erwiderte, sachte die ihm angebotene Hand drückte.

Jonas entschied, noch einen Schritt weiterzugehen und sank erneut auf Eriks Schoß. Das Gesicht gegen dessen Brust gedrückt nuschelte er: „Wenn du da bist, bei mir sitzt, dich mit mir unterhältst … mich küsst … Dann hab ich keine Zweifel. Aber danach, wenn ich zu viel Zeit zum Nachdenken hab. Dann frag ich mich manchmal, was du eigentlich mit jemandem wie mir willst.“

„Tröstet es dich, wenn ich dir verrate, dass ich mir dieselbe Frage nur umgekehrt stelle?“

„Nee“, murrte Jonas. „Ich weiß ja schließlich, was ich an dir hab. Kann ja nix dafür, dass dein Selbstbewusstsein für’n Arsch is‘.“

„Ah, charmant wie immer.“ Spielerisch zwickte Erik in Jonas‘ Ohr, der ihm dafür auf die Finger klopfte. „Weißt du, was das Erste war, das mir an dir aufgefallen ist?“

„Mein Hang zur Unpünktlichkeit?“, schlug Jonas vor und Erik lachte.

„Ja, okay, das auch. Aber eigentlich war es deine direkte Art.“

„Du meinst, meine Unfähigkeit, wenigstens mal fünf Minuten mein Maul zu halten. Nich‘ mal bei ‘nem Vorstellungsgespräch.“

„Genau. Ich weiß, dass du denkst, du seist zu laut und – wie hast du es vorhin genannt – überemotional? Aber genau das gefällt mir an dir. Du bist ehrlich und direkt und lässt die Welt wissen, was du von ihr hältst. Das ist etwas Gutes!“

„Okaaay …“, sagte Jonas zweifelnd. „Was war das Zweite, das dir an mir aufgefallen is‘?“

„Jetzt betreibst du aber fishing for compliments“, tadelte Erik amüsiert.

„Gar nich‘!“, protestierte Jonas, konnte sich ein schmales Lächeln aber nicht verkneifen.

„Mhm. Na schön. Das Zweite, das mir an dir aufgefallen ist, ist …“

Jonas keuchte.

Eriks Zunge kitzelte seinen Hals, widmete sich der empfindsamen Stelle unterhalb seines Ohrs. „Wie sensibel du auf meine Berührungen reagierst“, raunte er. „Und welche wundervollen Geräusche du dabei von dir gibst. Au!“ Er rieb über seinen Oberarm. „Das habe ich jetzt davon, dass ich dir die Wahrheit gesagt habe.“

„Ganz toll!“, beschwerte sich Jonas. „Jetzt weiß ich, dass du’s witzig findest, dass ich meine Fresse nich‘ halten kann und, dass du ‘n notgeiler Bock bist!“

„Außerdem verteilst du die schönsten Komplimente“, entgegnete Erik trocken. „Lass mich dir noch sagen, was mir als Drittes an dir aufgefallen ist.“

„Mein Arsch?“

Erik schmunzelte. „Der erhält einen Sonderplatz. Das Dritte, das mir an dir aufgefallen ist, ist deine Herzlichkeit. Ich weiß nicht, wann mir das letzte Mal ein so fürsorglicher und warmherziger Mensch begegnet ist. Du bist hilfsbereit, neigst dazu, das Wohl anderer über dein eigenes zu stellen und gehst offen auf neue Menschen zu.“

Jonas‘ Wangen glühten, verschämt drückte er sein Gesicht in Eriks Halsbeuge. „Scheiß Schleimer.“

„Vielleicht war ich bisher nicht deutlich genug“, erwiderte Erik. „Ich mag dich. Sehr. Und mein Zögern, das zwischen uns mehr als eine Affäre werden zu lassen, hatte nur sehr, sehr wenig mit dir als Person und dafür eine Menge mit meinen Verlustängsten zu tun.“

„Also hatte es etwas mit mir zu tun!“ Einen Augenblick lang empfand Jonas Triumph, bis ihm bewusstwurde, was das bedeutete. „Was stört dich denn an mir?“

Das ist es, was du aus meinen Worten rausgehört hast?“ Erik schüttelte den Kopf. „Wills du mir nicht lieber erst mal verraten, welcher ‚offensichtliche Scheiß‘ bei dir schiefläuft, den ich angeblich ignoriere?“

„Ich weiß nich‘ …“ Jonas zögerte. „Muss dich ja nich‘ grad mit der Nase drauf stoßen.“

„Wird nur schwierig, eine Lösung zu finden, wenn du es nicht machst.“

„Jaah, wahrscheinlich.“ Unruhig wand sich Jonas auf Eriks Schoß, dachte nach. „Isses ein Problem, dass ich so viel jünger bin als du?“

Überrascht hob Erik die Brauen. „Für mich? Nein. Wir reden hier von gerade mal sechs Jahren.“

„Sechseinhalb“, korrigierte Jonas.

„Verzeihung. Sechseinhalb Jahre. Bei dir klingt das, als stünde ich kurz vor der Berentung. Stört dich der Unterschied?“

Eilig schüttelte Jonas den Kopf. „Nee, eigentlich nich‘.“

„Und uneigentlich?“

„Auch nich‘!“

„Okay, dann ist das doch schon mal aus dem Weg. Was noch?“

„Ich bin scheißarm. Du nich‘.“

„Und?“

„Ich fühl mich unwohl, wenn du mich immer einlädst. Aber wenn ich alles selber zahl, müssen wir uns einschränken.“

„Hm. Darüber habe ich noch gar nicht nachgedacht“, gab Erik zu. „Ich habe kein Problem damit, dich einzuladen, aber ich verstehe schon, dass das ein blödes Gefühl sein kann. Da finden wir doch sicher einen Mittelweg? Zum Beispiel …“ Erik tippte gegen sein Kinn, tat als überlegte er angestrengt. „Ich lade dich gelegentlich zum Essen ein, dafür kochst du hin und wieder für mich. Deal?“

Jonas grinste breit. „Deal.“

„Sehr gut. Was noch?“

Das Lächeln verschwand aus Jonas‘ Gesicht und er schaffte es nicht, Erik in die Augen zu sehen. „Ich bin zu feige, mich zu outen.“

„Ich dachte, du hättest es deiner Schwester erzählt. Und einer Kommilitonin. Und Maria.“

„Jaah, denen schon“, murmelte Jonas. „Aber halt sonst keinem. Und ich hab auch keine Ahnung, wann und wie … Ich mein, allein bei dem Gedanken, dass meine Eltern erfahren könnten, dass ich … schwul bin … Dann wird meine Brust scheißeng und ich kann nich‘ richtig atmen und …“ Seine Finger gruben sich in Eriks Schultern, suchten Halt und Beistand. „Ich mein … wie zum Fick soll das mit uns laufen, wenn ich noch nich‘ mal …“ Er stockte.

„Wenn du nicht zu mir stehen kannst?“, fragte Erik ruhig.

Stumm nickte Jonas, kämpfte gegen den Kloß in seinem Hals.

Das ist tatsächlich etwas, worüber ich nachdenken musste, bevor ich dich angerufen habe.“

„Musstest du?“, fragte Jonas zerknirscht und zwang sich, den Blick zu heben. „Und? Was is‘ dabei rausgekommen?“

„Dass ich ein Date mit dir will.“ Aufmunternd wuschelte Erik durch Jonas‘ Haar.

„Hey!“ Jonas schlug Eriks Hand weg. „Ich bin doch kein Scheißköter.“

„Nein? Aber du hast diese großen, dunklen Augen, die mich gerade so traurig ansehen.“ Ein wenig ernster fuhr Erik fort: „Jeder sollte für sich und in seinem Tempo entscheiden, wann und wem gegenüber er sich outen möchte. Ich werde dir nie in irgendeine Richtung Druck machen.“

„Ich höre ein ‚Aber‘“, flüsterte Jonas.

Aber ich muss gestehen, dass ich mich nicht auf dich eingelassen hätte, wenn du nicht schon einen Anfang gemacht hättest. Hast du aber und es ist in Ordnung für mich, dich auf diesem Weg zu begleiten, auch, wenn er langwierig werden sollte.“

„Okay …“

Zärtlich küsste Erik Jonas‘ Schläfen, vergrub die Nase in seinem Haar. „Es ist in Ordnung“, wiederholte er. „Fühl dich bitte nicht unter Druck gesetzt. Und falls sich etwas ändert, falls ich merke, dass es mir doch schwerer fällt als ich dachte, sprechen wir noch mal darüber.“

„Okay“, sagte Jonas ein wenig zuversichtlicher.

„Sehr gut. Was noch?“

„Ich glaub … das war’s erst mal.“ Jonas‘ Lippen streiften Eriks. „Danke. Das … das hat doch ‘n paar Ängste genommen. Ähm …“ Gedankenverloren spielte er mit Eriks Hemdknopf. „Ich hab da vorhin ziemlich drübergebügelt, als du gesagt hast, dass du dich auch manchmal unsicher fühlst. Aber ich will schon wissen, woran das liegt und … und was ich tun kann, damit‘s besser wird.“

Erik lächelte, aber die schmale Sorgenfalte zwischen seinen Brauen wollte nicht verschwinden. „Ich fürchte, das ist nichts, das ich konkret benennen kann. Manchmal, da“, er suchte nach Worten, „da zweifle ich einfach, ob ich dir guttue.“

„Äh, was?“, fragte Jonas irritiert. „Wie kommst du’n darauf?“

„Du hast dich vor wenigen Minuten noch als geprügeltes Hündchen bezeichnet, das seinem Herrn hörig ist“, entgegnete Erik schlicht. „Wie kann ich bei so einem Vergleich nicht darauf kommen?“

„Das war doch … Ach, scheiße!“ Jona‘ Fingerspitzen streiften über Eriks glattrasierte Wange. „Ich geb ja zu, dass ich mich dir manchmal unterlegen fühl und deine Bestätigung suche. Weil du immer so ruhig bleibst. Und scheinbar dein Leben voll im Griff hast. Und immer die richtigen Worte findest. Und … Und so scheiße es für mich is‘, das zuzugeben, aber ich glaub, dass du das ausnutzen könntest. Aber!“, sagte er, bevor Erik eine Chance hatte, ihn zu unterbrechen. „Aber ich weiß, dass du das nich‘ tun wirst.“ Die Hände, die sich auf Jonas‘ Rücken legten und ihn so fest gegen den warmen Körper vor ihm pressten, dass ihm beinahe die Luft wegblieb, zeigten ihm, dass seine Worte einen Nerv getroffen hatten.

„Vielleicht wäre alles einfacher, wenn wir nicht so holprig gestartet hätten“, sagte Erik.

„Vielleicht“, räumte Jonas ein. „Aber ums mit den Worten meiner Mum zu sagen: ‚Für den Scheiß, der sich wirklich lohnt, muss man hart arbeiten.‘ Okay, sie hat nich‘ ‚Scheiß‘ gesagt, aber du verstehst, worauf ich hinauswill. Lieber starte ich jetzt ‘n bissl rucklig und hab danach für immer Zuckerwatte und Regenbögen und den ganzen Rotz, als dass alles toll anfängt und dann später in Scheiße ertrinkt.“

„Hm.“

„Außerdem“, sagte Jonas, „finde ich, dass sich das mit uns eigentlich ziemlich gut anfühlt. Ich wüsst‘ jedenfalls nich‘, mit wem ich den Tag grad lieber verbringen würd.“

Endlich zeigte sich ein ehrliches Lächeln auf Eriks Gesicht. „Zugegeben, mir fallen da gerade auch keine anderen Kandidaten ein.“

Jonas lehnte seine Stirn gegen Eriks und fragte sich, ob sie es schaffen würden. Laut sagte er: „Ich glaub, ich muss unser Essen nochmal aufwärmen.“

 

 


Nachwort zu diesem Kapitel:
Autorenkommi:
Naa? Wer von euch hatte Angst, dass Jonas Panik bekommt, alles hinschmeißt und wir weitere 20 Kapitel damit verbringen, die beiden wieder zusammenfinden zu lassen? Zum Glück scheinen sie aus vergangenen Kapiteln gelernt zu haben. Also … so ein bisschen, zumindest.

Schönes Wochenende und wie immer vielen Dank für alle Klicks, Favs, Empfehlungen und natürlich Reviews! Komplett anzeigen

Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (1)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von: abgemeldet
2018-07-27T11:27:39+00:00 27.07.2018 13:27
Na, das war doch jetzt mal so ziemlich die ultimative Klärung - fürs Erste zumindest. Fragt sich bloß, was die nächsten 20 Kapitel folgt... ;P
Jonas kann aber auch schon ganz schön lange am Stück reden... Na, ich hoffe jetzt erstmal das Beste für den weiteren Verlauf ;)


Zurück