Raupe im Neonlicht von Noxxyde ================================================================================ Kapitel 11 ---------- Was zuletzt geschah: Jonas verbringt die Weihnachtsferien in Bayern, ein Besuch, der von guten und weniger guten Erlebnissen durchzogen ist. Ein Zusammenstoß auf dem Parkplatz des Busbahnhofs erinnert ihn unsanft daran, weshalb er zögert, sich vor seinen Eltern zu outen. Dominik nimmt ihm derweil die Entscheidung ab, ob sie sich wiedersehen sollen oder nicht und Erik hat noch kein Wort über das Weihnachtsgeschenk verloren, das Jonas ihm – ohne erklärenden Zettel – in den Briefkasten geworfen hatte.   Kapitel 11 Jonas schreckte hoch. Hatte er schlecht geträumt? Orientierungslos blickte er sich in der Dunkelheit um und entdeckte, dass das Display seines Handys leuchtete. Er musste vergessen haben es auf ‚stumm‘ zu schalten und prompt hatte ihn das Piepsen einer eingegangenen Nachricht aus dem Schlaf gerissen. Sein Herz machte einen Hüpfer, als er sah, von wem diese stammte.   Erik, 04:47 Uhr Dir auch frohe Weihnachten :) Bist du über die Feiertage bei deinen Eltern?   Spontan und noch zu verschlafen, um darüber nachzudenken, ob das eine gute Idee war, wählte Jonas‘ Eriks Nummer. Schon nach dem zweiten Klingeln hob dieser ab. „Mit einem Anruf hatte ich gar nicht gerechnet. Ich habe dich jetzt aber nicht geweckt, oder?“ „Nee, passt schon.“ „Sicher? Du klingst nämlich, als wärst du eben erst aus dem Bett gefallen.“ „Jaa, okay. Vielleicht hast du mich geweckt. Ich bin aber nich‘ der einzige hier, der müde klingt.“ „Ich bin gerade erst von der Arbeit nach Hause gekommen.“ Jonas warf einen Blick auf den mit fluoreszierenden Pferdestickern beklebten Wecker, den seine Schwester neben dem Bett platziert hatte. Es war fast fünf Uhr morgens. „Scheiße, dann willst du sicher gleich pennen gehen. Ich wollt dich nich‘ stören.“ „Tust du nicht“, versicherte Erik. Da war eine kleine Pause, ein oder zwei gleichmäßige Atemzüge, bevor er hinzufügte: „Ehrlich gesagt ist es schön, deine Stimme zu hören.“ Jonas öffnete und schloss seinen Mund, unsicher, was er erwidern sollte. Unsicher, ob ein Herz so klopfen konnte, ohne Schaden zu nehmen. Glücklicherweise schien Erik keine Antwort zu erwarten. „Im Club war heute der Teufel los.“ Das war besser. Das war bekanntes Terrain. Darauf konnte Jonas angemessen reagieren. „So schlimm?“, fragte er mitfühlend. „Ich dacht, an Weihnachten wär’s eher leer. Meine Eltern schließen die Wirtschaft über die Feiertage immer komplett.“ „Wirklich gut besucht war es bei uns auch nicht. Das kommt dann an Silvester. Aber manchmal fühlt es sich an, als würden die paar, die an Weihnachten da sind, sich extra Mühe geben, Mist zu bauen. Wir hatten heute dreimal den Krankenwagen hier. Einmal mitsamt Polizei, weil zwei Idioten meinten, sich prügeln zu müssen.“ „So ‘ne Scheiße. Gibt das Ärger für den Club?“ „Das wohl nicht. Nur Papierkram. Und noch mehr Stress.“ „Nimm’s mir nich‘ übel, aber du klingst echt fertig“, sagte Jonas. „Kannst du nich‘ mal ‘n paar Tage Urlaub nehmen oder so?“ „Ich habe ein paar anstrengende Wochen hinter mir“, räumte Erik ein. „Aber ich denke, es wird besser.“ Er gähnte herzhaft. „Lass uns über etwas Angenehmeres reden, ja?“ Offensichtlich war Erik bemüht, die Frage nach Urlaub zu umschiffen und Jonas entschied, ihn nicht weiter zu drängen. „Hast du mein Geschenk gekriegt?“, erkundigte er sich stattdessen nervös. „Geschenk? Welches … Ah! Das im Briefkasten? Das ist von dir?“ Jonas lachte über seine eigene Dummheit. „Ich hab vergessen, ‘ne beschissene Karte reinzulegen.“ ‚Vergessen‘, war zugegebenermaßen ein Euphemismus für ‚gekniffen‘. „Eigentlich wollt ich’s dir persönlich geben, aber ich musste in aller Herrgottsfrüh meinen Bus erwischen und dachte, dass du um die Zeit sicher noch schläfst.“ „Und ich bedanke mich für deine Umsicht, indem ich dich mitten in der Nacht wecke.“ Erik seufzte. „Jetzt habe ich gleich ein doppelt schlechtes Gewissen. Ich habe gar nichts für dich.“ „Brauchst du nich‘!“, beteuerte Jonas. „Is‘ ja nur ‘ne Kleinigkeit und war auch eher ‘ne spontane Idee.“ „Trotzdem … Ich revanchiere mich, wenn du wieder in Berlin bist.“ „Wenn du drauf bestehst, sag‘ ich nich‘ ‚Nein‘.“ Ruhelos zwirbelte Jonas das Bettlaken zwischen den Fingern. Erik hatte noch kein Wort darüber verloren, ob ihm der Bilderrahmen gefiel. „Ähm, also, was das Geschenk betrifft …“ „Ah, warte, ehrlich gesagt, bin ich noch gar nicht zum Auspacken gekommen.“ „Oh. Ach so.“ „Moment, das ändern wir gleich. Ich stell dich mal eben auf laut.“ Jonas hörte Schritte und schließlich ein Rascheln im Hintergrund. Es schien ewig zu dauern. „Du bist jetzt aber nich‘ einer von diesen Spießern, die ihre Geschenke feinsäuberlich auspacken und das Papier glattbügeln, damit sie es wiederverwenden können, obwohl sie genau wissen, dass sie das nie tun werden?“ Erik lachte. „Das nicht, aber ich lasse mir beim Auspacken tatsächlich gerne Zeit. Schließlich hat sich der Schenkende doch auch Mühe beim Einpacken gegeben. Es fühlt sich irgendwie falsch an, das überhaupt nicht zu würdigen und das Papier einfach aufzureißen.“ Das Rascheln wurde lauter, bevor es verstummte. „Ah, ein Bilderrahmen. Der ist hübsch. Danke.“ Hübsch. Das war maximal eine Nuance besser als ‚nett‘. Es dauerte einen Moment, bis Jonas klar wurde, dass Erik die Idee dahinter nicht kannte. „Weißt du, ähm … Als ich das letzte Mal bei dir war, da hatte ich doch das Foto mit deinen Eltern in der Hand und … da war so ein kleiner Sprung im Glas. Nich‘ tragisch, aber ich dacht, vielleicht willst du zumindest das Glas austauschen. Der Rahmen sollte die passende Größe haben.“ „Ah, das …“ Erik schwieg einen Augenblick und als er weitersprach, klang seine Stimme belegt. „Das ist wirklich sehr aufmerksam von dir. Danke. Nochmal.“ „Nicht dafür“, flüsterte Jonas. Erneut herrschte Schweigen, bis sich Erik hörbar räusperte. „Wann bist du denn wieder in Berlin?“ Die Ecke des Bettlakens, die zwischen Jonas‘ unruhige Finger geraten war, musste inzwischen beinahe durchgewetzt sein. Er bemühte sich, die fröhliche Neutralität zu kopieren, mit der Erik gesprochen hatte. „Die Uni geht am zweiten Januar weiter, also muss ich schon Neujahr zurück. Wird super. Wer will nich‘ nach ‘ner durchgefeierten Nacht acht Stunden im ruckelnden Bus hocken?“ „Ich würde ja vorschlagen, dass du es an Silvester einfach ruhig angehen lassen solltest, aber irgendwie halte ich das für unrealistisch.“ „Japp. Völlig.“ „Hmm, dann kann ich dir wohl nur eine gute Kondition und einen starken Magen wünschen.“ „Den wünsch‘ ich mir auch. Eigentlich wollt‘ ich ja bloß über die Weihnachtsfeiertage bleiben und hab mich eher von meinen Eltern breitschlagen lassen, Silvester noch dranzuhängen, aber …“ „Aber?“ „Ich hab völlig unterschätzt, wie sehr mir meine Familie fehlt“, gab Jonas zu. „Ich will so viel Zeit wie möglich mit ihnen verbringen.“ „Das kann ich sehr gut verstehen.“ Der Schwermut in Eriks Stimme versetzte Jonas einen Stich. „Fuck. Das war grad echt richtig unsensibel von mir, oder?“ „Warum?“ „Naja, weil ich … Ich mein, ich jammere hier, wie sehr ich meine Familie vermiss, während du …“ „Jonas“, schalt Erik sanft. „Nur, weil ich meine Familie verloren habe, musst du deine doch nicht totschweigen. Jeder hat sein Päckchen zu tragen.“ Jonas war sich nicht sicher, ob es Eriks Müdigkeit geschuldet war, aber da schwang etwas in seinen Worten mit, eine Art resignierte Erschöpfung, die ihm Sorgen bereitete. „… Erik?“ „Hm?“ „Wenn … Wenn du mit mir über etwas quatschen willst, keine Ahnung, zum Beispiel, warum die Arbeit grad so scheiße ist oder was grad Ätzendes in der Uni passiert oder auch irgendwas ganz anderes, dann … dann hör ich dir zu. Also, natürlich bloß, wenn du Bock hast, aber … Ich bin da.“ „Ah, das ist ein liebes Angebot, aber mein Leben ist bei weitem nicht so aufregend, wie du vielleicht denkst.“ „So war das nich‘ gemeint!“ Innerlich fluchte Jonas ein weiteres Mal über seine Gedankenlosigkeit. Er hatte nicht den Eindruck erwecken wollen, sensationsgierig zu sein. „Ich dachte nur … Keine Ahnung. Jeder braucht doch mal jemanden, bei dem er sich ausjammern kann.“ Toll, jetzt klang es, als nähme er an, Erik hätte keine Freunde. „Ich mein, ähm, ich–“ Ein durch den Hörer dringendes Gähnen unterbrach ihn. „Entschuldige“, murmelte Erik. „Ich fürchte, ich gehöre ins Bett.“ „Merkt man gar nich‘“, neckte Jonas in einem Versuch, wieder einen etwas lockereren Ton in ihre Unterhaltung zu bringen. „Meldest du dich, wenn du wieder in Berlin bist?“ „Klar!“ „Dann hab noch schöne Feiertage und wir hören voneinander. Schlaf gut.“ „Du auch.“ Nachdem Jonas aufgelegt hatte, schwang er die Beine über die Bettkante. Was er jetzt brauchte, war kein Schlaf, sondern etwas zu trinken. Vorzugsweise Alkohol. Seine nackten Füße platschten leise auf den kühlen Küchenfliesen und die Gestalt, die im Schein der Kühlschranklampe gerade dessen Inhalt plünderte, zuckte zusammen. „Du hast mich vielleicht erschreckt!“ „Geschieht dir recht, du Diebin.“ Anklagend deutete Jonas auf Christine. „Aber ich bewahre Stillschweigen, wenn du mir was abgibst.“ „Was willst du elendiger Erpresser denn haben?“ „Irgendwas mit Promille.“ „Harte Nacht?“ Grinsend reichte Christine ihm ein kühles Bier und öffnete sich selbst ebenfalls eines. „Hast du deshalb schon so selig geschlafen, als wir von der Christmette zurückgekommen sind?“ „Ich hab gepennt, weil ich den halben Tag in ‘nem verfickt unbequemen Bus verbracht hab“, maulte Jonas. „Oooh, armer großer Bruder.“ Christine lehnte sich gegen den Tresen. „Wenn du bei Mama und Papa auch so gejammert hast, verstehe ich sogar, warum sie dich mit nur minimalem Theater hiergelassen haben. Aber wehe, ich sage ihnen, dass ich keinen Bock auf diese archaische, frauenverachtende Institution hab. Gott bewahre, das ist ein halber Weltuntergang.“ Jonas setzte sich auf einen der Barhocker neben ihr. „Vielleicht probierst du’s mal mit anderen Worten?“ „Du meinst, ich soll so diplomatisch vorgehen wie du? Hab schon gehört, dass du gestern ungefähr fünf Minuten gebraucht hast, um mit Papa aneinanderzugeraten.“ „Oh. Die Sache.“ „Was war denn los mit dir? Du reagierst doch sonst nicht so angefressen, wenn er mal einen blöden Spruch bringt. Und wir wissen beide, dass er echt oft blöde Sprüche bringt.“ „Muss ich mir das jetzt echt auch von dir anhören? ‘Reg dich nicht so auf‘, ‘Sind doch nur Worte‘, ‘Ignorier es doch einfach‘. Diese ganze Scheiße?“ „So habe ich das nicht gemeint“, widersprach Christine sichtlich verblüfft über Jonas‘ heftige Reaktion. „Aber bisher hast du’s eher mit Humor genommen, anstatt voll auf Konfrontation zu gehen.“ „Vielleicht hab ich’s einfach satt, sowas einfach nur zu schlucken und zu tun, als würd’s mich gar nich‘ wirklich stören.“ Jonas warf einen Seitenblick auf seine Schwester, deren Aufmerksamkeit allerdings eher auf ihrem Bier zu liegen schien als auf ihm. Sein Herz pochte und sein Hals war so eng, dass er nicht glaubte, noch einen einzigen Schluck trinken zu können. „Haben … Haben sie dir auch erzählt, was Papa überhaupt gesagt hat?“ „Sie haben mir gar nichts erzählt“, erwiderte Christine achselzuckend. „Ich hab‘s nur am Rande mitbekommen, als sie sich auf dem Weg zur Kirche unterhalten haben.“ „Und?“ „Was ‚und‘? Der Schwuchtel-Spruch? Ja, ist dämlich, aber political correctness hat Mama und Papa doch noch nie interessiert und wenn ich das richtig verstanden habe, haben die beiden Typen, die sich da geküsst haben, das sowieso nicht gehört. Warum also die Aufregung?“ „Weil ich es gehört habe!“ Jonas flehte, dass der Groschen bei Christine fallen würde, bevor er expliziter werden musste. Gleichzeitig flehte er, dass genau das nicht passieren würde. „Ja, Jonas, so langsam habe ich verstanden, dass du dich an dem Wort störst. Tu ich ja auch, aber ich kapier einfach nicht, warum du dir die Mühe machst, dich deshalb mit Mama und Papa anzulegen. Die beiden ändern sich nicht mehr.“ „Also schlägst ausgerechnet du, die idealistische Feministin, die einen Sitzstreik in der Schule organisiert hat, weil ein Informatikkurs, der sie überhaupt nicht interessiert hat explizit für Jungs ausgeschrieben war mir vor, sowas einfach stillschweigend hinzunehmen?“ Christine rollte mit den Augen. „Da war ich zwölf! Heute ist mir klar, dass man sich seine Kämpfe aussuchen sollte.“ „Vielleicht hab ich genau das getan.“ Jonas starrte auf seine Finger, die den Hals seiner Bierflasche umklammerten. „Ich mein …Was, wenn Papa mich damit quasi auch ansprechen würde?“ „Womit? Mit ‚Schwuchtel‘?“ Jonas zuckte mit den Schultern und wagte es nicht, Christine anzusehen. Spätestens jetzt genoss er ihre volle Aufmerksamkeit. Sie zögerte. „Jonas … Versuchst du gerade, mir zu sagen, dass du schwul bist?“ Wieder zuckte er mit den Schultern und brachte erst nach einigen Sekunden ein nahezu unmerkliches Nicken zustande. Plötzlich brannten Tränen in seinen Augen, die er wütend wegblinzelte. Eine sanfte Berührung an seiner Schulter ließ ihn aufblicken. „Hey, du weißt, dass ich …“ Christine stockte und musterte ihn eindringlich. „Himmel, Jonas! Hast du wirklich geglaubt, das würde irgendwas zwischen uns ändern?“ „Ich … Keine Ahnung.“ Beinahe hätte Jonas sein Bier fallen lassen, als seine Schwester ihn in eine überraschend feste Umarmung zog. „Natürlich ändert sich nichts!“ Ein Schluchzen kämpfte sich aus Jonas‘ zugeschnürter Kehle, die Finger seiner freien Hand krallten sich in Christines Shirt. Er hörte auf, gegen seine Tränen zu kämpfen und mit ihnen schien auch eine Last aus seinem Körper zu fließen, der er sich bis zu diesem Moment nicht einmal wirklich bewusst gewesen war. „Ist ja gut, ist ja gut.“ Liebevolle Worte flüsternd, hielt Christine ihn in ihren Armen. Mit verquollenen Augen und feuchten Wangen, löste sich Jonas schließlich von ihr und wischte verschämt eine weitere Träne aus seinem Augenwinkel. „Sorry.“ „Wofür?“, fragte Christine belustigt, wurde gleich darauf jedoch wieder ernst. „Da hat sich ganz schön was aufgestaut, was?“ „Kann schon sein.“ Sie nahm einen tiefen Schluck von ihrem mittlerweile vermutlich warmen Bier. „Ich nehme mal an, Mama und Papa wissen es nicht?“ „Bezweifle ich. Von mir jedenfalls ganz sicher nich‘.“ „Dann bin ich die Erste, der du es erzählt hast?“ Jonas schüttelte den Kopf. „Maria weiß es schon lang. Eine Kommilitonin in Berlin seit ein paar Wochen und … noch ein anderer Freund.“ „Clemens?“ „Was? Nein!“ Dieser Gedanke kam Jonas so absurd vor, dass er beinahe gelacht hätte. „Jemand in Berlin.“ „Ach so.“ Neugierig musterte Christine ihren Bruder. „Wirst du es Mama und Papa erzählen?“ „Keine Ahnung.“ „Hast du Angst, dass sie es nicht akzeptieren?“ „Kannst du mir garantieren, dass sie‘s tun?“ „Ich …“ Christine seufzte. „Ich wünschte, ich könnte. Ich meine, ich glaube, dass sie es tun. Sie lieben dich, völlig egal, ob du jetzt Männer oder Frauen oder beides vögelst. Aber … Vielleicht dauert es eine Weile, bis ihnen das bewusst wird.“ „Genau davor hab ich Angst.“ „Das verstehe ich.“ Christine wuschelte durch Jonas‘ Haare und grinste, als er ihre Hand ungeduldig beiseite schlug. „Egal, ob du es ihnen sagst oder nicht und wie sie reagieren, ich stehe immer hinter dir.“ „Danke“, murmelte Jonas. „Ganz ehrlich, es tut verflucht gut, das zu hören.“ „Dann waren Maria und du …“ „Nur Freunde. Ihr habt einfach bloß angenommen, dass da mehr wäre, also haben wir euch irgendwann in dem Glauben gelassen. Waren scheißfroh, dass damit endlich die nervige Fragerei und die beschissenen Anspielungen aufgehört haben.“ „Dafür bekomme ich das jetzt voll ab.“ Genervt verdrehte Christine die Augen. „‚Oh, Schätzchen, guck mal. Der ist doch niedlich‘“, äffte sie die Stimme ihrer Mutter nach. „‚Hast du denn noch keinen Jungen gefunden, der dir gefällt? Du bist doch mitten im besten Alter für die erste Liebe!‘ Bla, bla, bla. Aber wehe, ich würde einen nach Hause bringen, was denkst du, wie sie da reagieren würden?“ „Du meinst abgesehen davon, dass sie dir ‘nen Keuschheitsgürtel verpassen?“ Dieses Mal lachte Jonas wirklich. „Sagen wir mal, ich bin gleichermaßen froh wie enttäuscht, dass ich vermutlich nicht daheim sein werde, um Zeuge dieses Gesprächs zu werden.“ „Dein Mitgefühl ist beeindruckend“, erwiderte Christine trocken. „Was ist mit Maria? Ist sie … Steht sie auf Frauen?“ „Nee, sie hat‘s einfach generell nich‘ so mit dem ganzen Getue um Liebe, Sex und Partnerschaft.“ Er stöhnte auf. „Und eigentlich sollt‘ ich dir das gar nich‘ erzählen. Geht dich nix an.“ Christine lachte. „Zu spät, du Labertasche.“ Sie nippte an ihrem Bier. „Ich steh‘ dafür umso mehr drauf.“ „Wäh!“ Empört hielt sich Jonas die Ohren zu. „So’n Scheiß will ich von meiner kleinen Schwester echt nich‘ wissen!“ „Spießer.“ Jonas wollte protestieren, hielt dann aber inne. So wie er versucht hatte, seiner Schwester durch die Blume von seiner Homosexualität zu erzählen, schien sie jetzt ihm etwas anvertrauen zu wollen. „Verstehe ich das richtig, dass du jemanden kennengelernt hast?“ „Vielleicht.“ Er schnaubte. „Na los, erzähl schon.“ „Da gibt es nicht viel zu erzählen“, sagte Christine achselzuckend. „Wir haben uns ursprünglich über ein Forum kennengelernt, rausgefunden, dass wir gar nicht so weit voneinander entfernt wohnen und das war’s. Aber bisher hatten wir kaum Gelegenheiten, uns zu treffen.“ „Und ihr plant, dafür wenigstens Silvester miteinander zu verbringen“, schlussfolgerte Jonas. „Von wegen, du willst nach München. Du willst einfach bloß Zeit mit deinem Typen verbringen.“ „Du bist ja doch nicht so blöd, wie ich immer dachte.“ „Vorsicht“, warnte er. „Wenn ich den Scheiß decken soll, bist du besser lieb zu mir.“ „Also machst du’s?“ Jonas musterte seine Schwester. „Nur, wenn du mir versprichst, keinen Scheiß zu bauen. Schwanger werden oder so.“ „Jawohl, Mama.“ „Muss ich dir zeigen, wie man Gummis benutzt?“ „Bitte nicht. Ich bin bestens informiert. Genaugenommen wette ich, dass ich dir noch den einen oder anderen Trick beibringen könnte.“ „Okay.“ Jonas stellte seine leere Flasche ab und stand auf. „Alles Bier der Welt wird mich nich‘ dazu bringen, jemals wieder so’n Gespräch mit meiner kleinen Schwester zu führen. Ich geh ins Bett.“ „Hey, Jonas!“ Er drehte sich noch mal um. „Was?“ „Ich hab dich lieb.“ Ein warmes Lächeln breitete sich auf Jonas‘ Gesicht aus und spiegelte das seiner Schwester. „Ich dich auch.“ Wieder wandte er sich zum Gehen und wieder hielt sie ihn zurück. „Hey!“ „Ja?“ „Was ist mit dir? Gibt es da jemanden, von dem ich wissen sollte?“ Jonas zuckte lediglich mit den Schultern und war froh, dass sich Christine mit dieser Antwort zufriedengab. Vielleicht lag es am Bier, aber sobald er den Kopf auf sein Kissen gelegt hatte, schlief Jonas wie ein Welpe nach einem anstrengenden Tag im Park.   Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)