Raupe im Neonlicht von Noxxyde ================================================================================ Kapitel 8 --------- Was zuletzt geschah: Ein weiteres Treffen zwischen Erik und Jonas enthüllt viel Neues. Dinge, von denen Jonas nie dachte, sie mögen zu können, Beichten, mit denen er nicht gerechnet hatte und Gefühle, auf die er lieber verzichten würde. Der Abschied verläuft allerdings weniger leidenschaftlich als die Begrüßung und ein Schal ist nicht dort wo er sein sollte.   Kapitel 8 Die Sonne war schon lange hinter den Dächern der Hochhäuser verschwunden und ein eisiger Wind fegte Regentropfen wie Geschosse durch die Straßen. Jonas schlug den Kragen seiner Jacke nach oben, fluchte über seinen nutzlos an Eriks Garderobe hängenden Schal und schleppte seinen müden Körper die letzten Meter zu seiner Wohnung. Den Vormittag in der Uni zu verbringen, um anschließend bis Ladenschluss im Café zu arbeiten, war eine dämliche Idee gewesen. Er war jung, aber selbst ihn schlauchte so ein Zwölfstundentag. Nicht einmal zum Einkaufen war er gekommen, dabei hing ihm sein Magen bereits in den Kniekehlen. Hoffentlich konnte er die Schicht in der kommenden Woche tauschen. Jonas‘ Briefkasten war leer, doch an der Außenseite war ein Zettel befestigt, der ihn darüber informierte, dass ein Paket für ihn bei den Nachbarn abgegeben worden war. Er überprüfte den Namen und ja, natürlich waren es die reizenden Leute gegenüber, die ihn zu den unmöglichsten Zeiten an ihrem grässlichen Musikgeschmack teilhaben lassen mussten. Lustlos klopfte er, sah ein, dass er damit nicht gegen den dröhnenden Bass ankam und benutzte die Klingel. Oft. Als sich die Tür endlich öffnete, blickte Jonas in das Gesicht eines schlechtgelaunten Glatzkopfs, dessen muskelbepackte Arme durch das schlichte weiße Shirt unnötig betont wurden. „Ähm, hi …“ „Was willst du?“ „Ihr, ähm, ihr habt ‘n Paket für mich.“ „Ach ja?“ „Ja, ähm, hier …“ Jonas hielt den Zettel hoch. „Muss irgendwann heute abgeben worden sein.“ „Davon weiß ich nichts.“ Der Typ streckte die Hand nach dem Zettel aus, doch Jonas zog ihn instinktiv weg und trat einen Schritt zurück. „Hör zu, ich weiß bloß, dass ich mein Päckchen haben möchte und auf dem Zettel hier dein Name steht. Wenn du jetzt also einfach–“ Die zuschlagende Tür schnitt Jonas das Wort ab. Fluchend stand er im Gang und überlegte fieberhaft, wie er die Situation auflösen konnte, ohne einen riesigen Aufriss deshalb veranstalten zu müssen. Schließlich setzte er sich – nach einem sehnsüchtigen Blick zu seiner eigenen Wohnungstür – noch einmal in Bewegung und suchte die nächstbeste Tankstelle. Wieder dauerte es einige Zeit, bis Jonas‘ Nachbar dem penetranten Klingeln seiner Türglocke nachgab und öffnete. Bevor er ein Wort sagen konnte, hielt Jonas ihm seinen Einkauf vor die Nase. „Bier gegen Paket.“ Der Nachbarn schüttelte nur den Kopf und seine Lippen zogen sich über seine Zähne zurück als versuchte er zu knurren. „Denkst du echt, ich mach mir was aus dieser Plörre? Hau endlich ab!“ Er war bereits im Begriff, die Tür zu schließen, als eine zierliche, junge Frau hinter ihm auftauchte und sich an seinen Rücken schmiegte. „Na komm, sei nicht so fies zu dem Kleinen.“ Sie lächelte Jonas an. „Ich tausch mit dir. Warte kurz.“ So schnell wie sie gekommen war, verschwand sie wieder, nur, um gleich darauf mit Jonas‘ Paket zurückzukehren. Jonas kontrollierte, ob es ungeöffnet und intakt war, bevor er ihr im Austausch das eben erstandene Sixpack überreichte. „Danke.“ „Jederzeit“, flötete sie und knallte die Tür zu. Endlich konnte sich Jonas in die relative Ruhe seiner Wohnung zurückziehen und der Frage nachgehen, was zur Hölle ihm da überhaupt geschickt worden war. Bestellt hatte er jedenfalls nichts. Ein kurzer Blick auf den Absender klärte dieses Mysterium. Eilig schnappte sich Jonas das Teppichmesser in seiner Schreibtischschublade, schnitt durch mehrere Lagen Klebeband und einen Teil seiner linken Zeigefingerkuppe, die er schimpfend und mehr als notdürftig mit einem sauberen Küchentuch umwickelte. „Wehe, das hat sich nicht gelohnt!“ Im Inneren des Päckchens lag eine Karte mit verschnörkelten Blumenmuster. Etwas zu kitschig für Jonas‘ Geschmack, aber immerhin brachte sie ein wenig Farbe in den tristen Tag. Auf der Rückseite entdeckte er die geschwungene Schrift seiner Mutter.   Lieber Jonas,   bei unserem letzten Telefonat hatte ich das Gefühl, dass du dich etwas allein in der großen Stadt fühlst. Egal, ob das so ist oder nicht, hier hast du ein paar Kleinigkeiten aus der Heimat.   Alles Liebe Mama, Papa, Christine, Oma und Vroni   Jonas lächelte über die Unterschriften, die unterschiedlicher nicht hätten sein können. Schlicht und sauber, kunstvoll verschnörkelt oder an der Grenze zur Unleserlichkeit. Jeder hatte seinen Beitrag geleistet. Jonas‘ Eltern hatten ihm etwas von dem herzhaften Mürbeteiggebäck geschickt, das solange er denken konnte die kleine Schale in der Küche füllte und auf magische Weise nie auszugehen schien. Er hatte den buttrigen Geschmack schon auf der Zunge, noch bevor er sich den ersten Keks in den Mund geschoben hatte. Seine Oma hatte zwei paar Stricksocken, eines schwarz, das andere bunt geringelt beigelegt und Vronis selbstgemaltes Bild – Jonas war sich nicht völlig sicher, was es darstellen sollte, glaubte aber, eine Katzen-Waschbär-Giraffe zu erkennen – erhielt einen Ehrenplatz an der Pinnwand neben seinem Schreibtisch. Nur Christines Geschenk gab ihm zunächst Rätsel auf. Ein alter Gedichtband. Mal abgesehen davon, dass Jonas trotz guter Deutschnoten nie wirklich Zugang zur Lyrik gefunden hatte, war etwas so Romantisches eigentlich nicht Christines Art. Er war beinahe erleichtert, als er die Kondome entdeckte, die sie zwischen die Seiten geschmuggelt hatte. Das entsprach schon eher ihrem Humor. Im Einband hatte sie ihm eine kurze Nachricht hinterlassen. Vögel dir ruhig Maria aus dem Kopf, aber mach mich nicht zu früh zur Tante. Kraftlos sank Jonas auf sein Bett, Christines Buch noch in der Hand, eines der Kondome zwischen den Fingern. Er hatte einen tollen Studienplatz ergattert, lebte in der aufregendsten Stadt Deutschlands, hatte schnell neue Freunde gefunden und eine Affäre mit einem verflucht heißen Typen angefangen. Dazu eine liebevolle Familie, die ihm den Rücken stärkte. Er sollte glücklich sein. Warum nur wollte sich der Knoten in seinem Magen nicht lösen? Nach langen Stunden, in denen Jonas zunächst versucht hatte, sich zu versichern, dass es in Ordnung war, seiner Familie nicht alles zu erzählen, was er in Berlin trieb und anschließend dazu übergegangen war, sich mithilfe des Internets von seinen Schuldgefühlen abzulenken, zwang er sich, ins Bett zu gehen. Der kommende Tag würde kaum weniger anstrengend werden.   „Was ist mit der da?“ Jonas warf einen abwesenden Blick auf das Mädchen, auf das Larissa zeigte. Es balancierte ein überladenes Essenstablett auf seinen Armen und suchte verzweifelt nach einem freien Sitzplatz in der bereits überfüllten Mensa. „Nee, nich‘ wirklich mein Typ.“ „Auch nicht?“ Larissa schnaubte. „Du bist ganz schön wählerisch. Mal sehen, was ist mit …“ „Wo stecken eigentlich Esther und Kemal?“, versuchte Jonas das Thema zu wechseln. Er war sich nicht sicher, wann dieses Spiel begonnen hatte, aber Larissa war nun schon eine ganze Weile darum bemüht, ihre Kommilitoninnen für ihn auf Traumfrauen-Material zu prüfen. „Ich glaube, die haben Besseres zu tun, als mit uns beiden Mittag zu essen.“ „Ach ja? Was denn?“ „Vögeln“, antwortete Larissa trocken und lachte über Jonas‘ verdutzten Gesichtsausdruck. „Ist dir echt noch nicht aufgefallen, dass zwischen den beiden was läuft? Hey, die da ist süß!“ Larissa deutete über Jonas‘ Schulter. „Was ist mit der?“ „Nicht mein Typ.“ „Woher willst du das wissen, wenn du noch nicht mal hingesehen hast?“ Jonas schluckte. Bevor er kneifen konnte, antwortete er: „Zu viel Titten, zu wenig Schwanz.“ „Hä? So groß sind ihre Dinger jetzt auch n… oh. Ach sooo! Sag das doch gleich!“ Larissas Blick schweifte durch die Mensa. „Was ist dem Blonden nahe der Tür?“ Jonas zögerte einen Moment. „Der … trifft schon eher meinen Geschmack.“ „Ha! Wusste ich doch, dass ich noch jemanden finde! Und was ist mit …“ „Larissa?“ „Hm?“ „Könnte das … Könnte das erst mal unter uns bleiben?“ „Was? Dass du schwul bist?“ Jonas nickte und hoffte, dass Larissa sein Zusammenzucken beim Wort ‚schwul‘ nicht bemerkt hatte. „Warum? Ist doch nichts dabei.“ „Trotzdem …“ Larissa verdrehte die Augen. „Wie du meinst.“ „Danke.“ Allmählich beruhigte sich Jonas‘ Herzschlag wieder. Am Ende war es so einfach gewesen. Wovor hatte er sich eigentlich gefürchtet? Das Handy, das Larissa vor sich auf den Tisch gelegt hatte leuchtete auf. „Sieht aus, als würden Esther und Kemal uns nicht nur beim Essen versetzen. Sie haben gerade geschrieben, dass sie es leider nicht zum Schwimmbad schaffen. Zeitgleich.“ „Ausgesprochen unauffällig.“ „Hey, wenn ich dir nicht gesteckt hätte, dass die beiden es miteinander treiben, würdest du immer noch im Dunkeln tappen.“ Jonas wollte protestieren, war sich aber selbst nicht ganz sicher, wie lange er ohne Larissas Hilfe gebraucht hätte, um zwei und zwei zusammenzuzählen. „Dann sind’s wohl nur wir beide." „Sieht so aus. Wenigstens muss ich jetzt keine Angst mehr haben, dass du dich sofort in mich verknallst, sobald du all das hier“, ihre Hände zeichneten ihre Rubensfigur nach, „im Badeanzug siehst.“ „Larissa …“ Bedauernd schüttelte Jonas den Kopf. „Ich weiß, dass unerwiderte Liebe hart is‘, aber sei stark. Du wirst einen, na, vielleicht nich‘ besseren, aber wenigstens annähernd gleichwertigen Mann finden.“ „Pah! Iss mal lieber auf, du Spargel, damit wir loskönnen. Um diese Zeit ist im Schwimmbad noch nicht viel los und das würde ich gern nutzen.“   Larissa hatte eine gute Wahl getroffen. Das Schwimmbad war nicht weit von der Uni entfernt und ausgehend davon, dass abgesehen von Jonas nur ein anderer Mann in der Umkleide stand, vermutlich tatsächlich ziemlich leer. Jonas musterte den Fremden so unauffällig wie möglich. Dieser hatte ihm den Rücken zugewandt und war bereits in seine Jeans geschlüpft, doch sein Oberkörper war nur mit einem Handtuch bedeckt, das er sich locker über die Schultern geworfen hatte. Und das war ein verflucht gutaussehender Oberkörper. Schlank, mit dezenten Muskeln, die sich bei jeder Bewegung unter seiner Haut abzeichneten und bezaubernden Grübchen oberhalb des Pos. Die Statur des Fremden erinnerte ihn beinahe an … „Erik?“ Der Fremde hatte den Kopf gedreht und auch, wenn Jonas so schnell wie möglich zur Seite gesehen hatte, hatte er aus dem Augenwinkel sein Gesicht erkannt. Eriks erschrockenen Ausdruck nach zu urteilen, war das eine Begegnung, mit der er nicht gerechnet hatte. Auch das dünne Lächeln, das er gleich darauf zeigte, konnte die Falte zwischen seinen Brauen nicht vertreiben. „Ah. Hallo.“ Er zog das Handtuch von seinen Schultern. „Dich hätte ich hier nicht erwartet.“ „‘Ne Freundin hat mich überredet.“ Jonas ließ seinen Blick über Eriks Körper wandern. Seine Schultern waren mit winzigen Sommersprossen gesprenkelt, die das Bedürfnis weckten, sie mithilfe eines Stifts zu einem Gemälde zu verbinden, sein Bauch war flach, die unter der Haut liegenden Muskeln erkennbar. Eine Reihe verblasster Narben zog sich zickzackförmig über seine Unterarme, verschwand aber rasch aus Jonas‘ Sicht, als Erik sein Handtuch darum wickelte. Verlegen über sein offensichtliches Starren, räusperte sich Jonas. „Bist du öfter hier?“ „Mhm.“ „Vielleicht sehen wir uns dann ja häufiger“, sagte Jonas hoffnungsvoll. Sollte sein Herz so pochen? „Vielleicht.“ „Ich mein, ich sollt echt mal wieder ‘n bissl Sport treiben. Bevor ich umgezogen bin, hab ich Fußball gespielt, aber im Moment fehlt mir die Zeit für regelmäßige Trainingstermine, von den Spielen selbst mal ganz abgesehen. Aber irgendwas muss ich machen, ich fühl mich schon ganz hibbelig.“ „Mhm.“ „Aber ohne Larissa, also die Freundin, von der ich grad erzählt hab, wär ich wohl nich‘ hergekommen. Ganz allein ist’s irgendwie langweilig.“ „Kann sein.“ Die Unterhaltung verlief etwas anders, als sich Jonas erhofft hatte. Mit jedem zusätzlichen Satz, den er vor sich hinplapperte, schien er Erik weiter abzustoßen. „Außer man mag sowas, natürlich. Also, alleine Sport treiben. Vielleicht gewöhn ich mich auch noch dran. Mal sehen.“ „Mhm.“ „Also … ähm, ich geh dann mal. Larissa wartet bestimmt schon.“ Eilig sperrte Jonas seine Wertsachen ein und winkte zum Abschied, doch Erik hatte ihm bereits erneut den Rücken zugewandt.   „Boah, das hat wirklich gutgetan.“ Larissa streckte sich ausgiebig. Wasser tropfte von ihrem Badeanzug und platschte lautlos auf den gefliesten Boden. „Nur schade, dass die hier keine Sauna haben.“ „Jaah. Schade.“ „Verrätst du mir, was mit dir los ist?“ „Was soll sein?“ „Och, ich weiß auch nicht.“ Sie rollte mit den Augen. „Seit wir hier sind, bist du völlig abwesend. Ein Wunder, dass du mir nicht abgesoffen bist.“ „Ich … ach, is‘ nich‘ wichtig.“ Jonas dachte an seine letzten Begegnungen mit Erik. Zuerst sein dämlicher Sprung mitten ins Tote-Eltern-Fettnäpfchen und jetzt Eriks wortkarge Art in der Umkleidekabine. Das Wochenende nahte und er hatte kein Wort darüber verloren, ob sie sich am Sonntag wiedersehen würden. Hatte er die Nase voll von Jonas? Fürchtete er am Ende sogar, Jonas wäre gar nicht zufällig zum selben Zeitpunkt im Schwimmbad gewesen? Und falls ja, wie konnte Jonas dieses Missverständnis aufklären, ohne dabei noch mehr wie ein verrückter Stalker zu wirken? „Jonas!“ Larissas Stimme wurde von den Fliesen zurückgeworfen. „Was?“ „Meine Güte, du bist ja echt komplett weggetreten.“ „Sorry.“ Mitleidig schüttelte Larissa den Kopf. „Ich hätte da einen Vorschlag, um dich auf andere Gedanken zu bringen. Was auch immer du gerade denken magst.“ „Wird schwierig“, gab Jonas zu. „Aber versuch’s trotzdem mal.“ „Wir geben heute Abend eine kleine WG-Party. Nix großes und ich hätte dich eh noch dazu eingeladen, aber jetzt kannst du mir auch gleich helfen, ein paar Sachen einzukaufen.“ „Geht leider nich‘, ich hab noch ‘ne Schicht im Café.“ Und wirklich Lust auf Party hatte er auch nicht unbedingt. „Wann hast du aus?“ „Halb neun sowas. Je nachdem, wann der letzte Gast geht und wie lange ich zum Absperren brauch.“ „Dann komm einfach danach zu uns, ja?“ „Ich weiß nich‘ … Irgendwie is‘ mir heut nich‘ nach Party. Vielleicht lieber ein andermal.“ Drohend hob Larissa den Finger, pikste damit gegen Jonas‘ nackte Brust. „Ich werde dich ab acht mit so vielen Sprachnachrichten zubomben, bis zu aufgibst und deinen Arsch zu uns bewegst!“   Jonas konnte die Musik bereits auf der Straße hören, was bedeutete, dass er nach nur zwei mittelgroßen Umwegen zur richtigen Adresse gefunden hatte. „Da bist du ja!“ Larissa zog ihn in die Wohnung, die sie sich mit ihren zwei Mitbewohnerinnen teilte. „Ich muss dir jemanden vorstellen!“ Bevor Jonas auch nur den Mund öffnen konnte, drückte sie ihm eine Flasche lauwarmes Bier in die Hand und schob ihn in die Küche. „Das ist Dominik.“ Sie deutete auf einen Typen, der gerade vergebens eine Kiste Bier nach noch ungeöffneten Flaschen durchsuchte. Bei der Erwähnung seines Namens drehte er sich um. „Dominik, das ist Jonas. Ein Kommilitone von mir.“ „Hi“, sagte Dominik. „Hi“, sagte Jonas. Unsicher blickte er zu Larissa. Die ganze Wohnung war voll mit Menschen, die er nicht kannte, aber sie hatte ihm gezielt diesen einen vorgestellt. Der nicht ganz unauffällige Rippenstoß, den sie ihm verpasste, als er keine Anstalten machte, die Konversation fortzusetzen, bestätigte seine Befürchtung. „Ähm, Larissa ...“ „Später, Jonas. Ich muss mich um die anderen Gäste kümmern.“ Und schon war sie verschwunden. Die beiden Männer beäugten sich unschlüssig. Dominik war süß, so viel musste Jonas zugeben. Ein Stück kleiner als er selbst, mit kastanienbraunen Locken, die ihm in die Stirn fielen und tiefen Grübchen, die sein Lächeln betonten. „Und, wie freiwillig bist du hier?“, fragte er Jonas. „Völlig“, antwortete dieser und grinste verlegen. „Es hat nur“, er holte sein Handy aus seiner Hosentasche, „acht Sprachnachrichten gebraucht, bis ich aufgegeben habe.“ „Wow, ich respektiere deinen Widerstand. Bei mir waren es nur vier. Dann hasst du solche Partys wohl noch mehr als ich.“ „Eigentlich mag ich sowas“, gestand Jonas. „Nur heute war mir irgendwie nich‘ danach.“ „Mir ist irgendwie nie danach. Aber hey, Bier hilft.“ Dominik prostete Jonas mit seiner leeren Flasche zu. „Das auf jeden Fall.“ Da Dominik nichts erwiderte, fragte Jonas: „Woher kennst du Larissa?“ „Über Ling, ihre Mitbewohnerin. Wir studieren beide Maschinenbau. Also Ling und ich, nicht Larissa und ich. Offensichtlich. Sie studiert ja Visuelle Kommunikation. Was du weißt, weil du dasselbe studierst.“ Dominik rieb über seine geröteten Wangen als wollte er sie verbergen. „Naja, ich glaube, ich werde dann mal gehen.“ „Schon?“ „Mein Tag war lang und ich habe gleich morgen früh eine Übung.“ „Schade. War aber nett, mit dir zu quatschen.“ Dominik lächelte. Auf dem Weg zum Wohnzimmer stoppte er noch mal. „Hey, würdest du mir vielleicht deine Nummer geben? Dann könnten wir uns mal sehen, wenn ich nicht kurz vorm Einschlafen bin.“ Jonas zögerte. Er hatte nicht erwartet, so schnell zu einer quasi-Verabredung zu kommen. Unbewusst scannte er den Raum nach Mithörern. Erst als er sich sicher war, dass sich niemand für ihr Gespräch interessierte, nickte er. „Jaah … Klar. Würd mich freuen.“ „Cool.“ Bevor Dominik die Haustür hinter sich zugezogen hatte, stand Larissa bereits an Jonas‘ Seite. „Uuuund?“ Erneut sah sich Jonas nach möglichen Mithörern um. „Er is‘ ganz süß.“ „Ha! Ich wusste, dass er dir gefallen würde.“ „Du hättest es ‘n bisschen dezenter machen können“, brummte Jonas. „Hatte ich nich‘ gesagt, du sollst es für dich behalten?“ „Habe ich doch!“, protestierte Larissa. „Ich habe kein Wort gesagt, sondern euch nur vorgestellt. Wenn ihr dann gleich solche Schlüsse zieht … Nicht meine Schuld!“ „Ach fuck, ich kann nich‘ sauer auf dich sein, wenn ich grad die Nummer von ‘nem süßen Typen abgestaubt hab.“ „Ha!“ Larissa legte einen Arm um Jonas‘ Schultern. „Und jetzt lass uns das gebührend feiern!“   Jonas lag auf seinem Bett und starrte auf sein Handy. Die frisch aufgezogenen Laken unter ihm fühlten sich unangenehm kalt an. Dominik hatte noch am selben Abend geschrieben und gefragt, wann er Zeit für ein Treffen hätte. Unschlüssig schwebten Jonas‘ Finger über dem Display. Er mochte Dominik, zumindest das, was er bisher von ihm gesehen hatte und wollte ihn besser kennenlernen, aber wann immer er zu einer Antwort ansetzte, war es, als flüsterte Erik Jonas‘ Namen, als fühlte er Eriks Hände auf seinem Körper und er wünschte sich, jetzt neben ihm zu liegen. Verzweifelt versuchte er, sich ins Gedächtnis zu rufen, dass das zwischen ihnen nicht mehr als eine lockere Affäre war, aber es half nicht. „Fuck!“ Eine neue Nachricht ließ sein Handy aufleuchten.   Erik, 00:25 Uhr Ich kann diesen Sonntag nicht. Zu viel zu tun. Wird vor Weihnachten wohl auch nicht besser. Tut mir leid.   Jonas las die Nachricht noch dreimal. Das war es dann also. Erik hatte sich seiner elegant erledigt; Jonas rechnete nicht damit, nochmal von ihm zu hören. Schwungvoll sprang er vom Bett, konnte unmöglich länger stillliegen und tigerte auf den wenigen Metern, die ihm seine winzige Wohnung bot hin und her. Im Grunde sollte er erleichtert sein, dass ihm diese Entscheidung abgenommen worden war, konnte er sich jetzt doch auf neue, fruchtbarere Beziehungen einlassen, aber die Art der Absage schmerzte ihn mehr als er zugeben wollte. Erik war ihm gegenüber immer offen und ehrlich gewesen, da hätte er auch jetzt den Arsch in der Hose haben können, ihm die Wahrheit zu sagen. Aber vielleicht hatte Jonas ihn in diesem Punkt auch nur falsch eingeschätzt. Vielleicht hatte er generell viel zu viel in Eriks Verhalten hineininterpretiert – in sein Lachen, in seine Zärtlichkeit – und erhielt jetzt die Quittung dafür. Jonas war wütend. Wütend auf sich selbst und wütend auf Erik. So würde das zwischen ihnen nicht enden. Wenn Erik schon keinen deutlichen Schlussstrich ziehen wollte, würde er es eben selbst machen. Direkt, von Angesicht zu Angesicht.   Du, 00:32 Uhr mein schal is noch bei dir   Du, 00:32 Uhr würd ihn nächste woche gern holen, bevor ich über weihnachten nach Hause fahr   Die beiden Häkchen hinter seiner Nachricht färbten sich sofort blau, doch Erik ließ sich nicht zu einer Antwort herab. „Arschloch“, murmelte Jonas. Er rief den noch sehr kurzen Chat mit Dominik auf und tippte:   Du, 00:43 Uhr wie klingt sonntag für dich? muss vormittags arbeiten, aber ab zwei hät ich zeit.   Dominik, 00:44 Uhr kk   Wenigstens einer, der schnell antwortete, wenn auch der Inhalt nicht besonders viel für weitere Gespräche hergab. Jonas wusste, dass er sich eigentlich auf sein Date freuen sollte, aber es dauerte lange, bis er aufhörte, auf die zwei blauen Häkchen hinter seiner Nachricht an Erik zu starren.   Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)