Raupe im Neonlicht von Noxxyde ================================================================================ Kapitel 2 --------- Was zuletzt geschah: Jonas hat die ersten Wochen in Berlin genutzt, um sich in der fremden Stadt einzuleben und neue Kontakte zu knüpfen. Neben dem Besuch seiner Vorlesungen und Seminare, bewirtet er in einem kleinen Café anspruchsvolle Gäste für den Mindestlohn und verprellt Kommilitonen, weil er ihnen auf der Toilette zu lange ins Gesicht starrt. Larissas Angebot, ihm ein Vorstellungsgespräch in einem Club zu vermitteln, ist eine willkommene Abwechslung aus dem jetzt schon eingetretenen Alltagstrott, allerdings verläuft das Gespräch nicht ganz so, wie er sich das vorgestellt hatte. Kapitel 2 Winzige Regentropfen leuchteten im Licht der Neonröhren auf, bevor sie die Erde benetzten. „Och komm schon, Jonas!“ Larissa zerrte an dessen Arm. „Warum denn nicht ins Tix? Da ist’s echt geil!“ „Ich mag halt nicht“, murrte Jonas ausweichend. Er hatte sich so auf den Abend gefreut. Tanzen, feiern und saufen. Kurzum, das Studentenleben genießen, aber natürlich wollten seine Freunde ausgerechnet ins Tix. Als ob Berlin keine anderen Clubs zu bieten hatte. „Hattest du dich da nicht beworben?“ Mist. Warum musste sich Kemal alles merken? Nicht einmal Larissa schien sich daran zu erinnern, dabei hatte sie ihm das Gespräch überhaupt erst vermittelt. „Jaah, schon irgendwie.“ „Dann haben sie dich nicht genommen?“ „Nee. Haben mir angeboten, mich auf die Warteliste zu setzen, aber das wollt ich dann echt nicht.“ „Pah!“ Larissa schnaubte. „Die haben doch keine Ahnung, wer ihnen da entgeht! Komm, wir gehen da jetzt hin, machen richtig fett Party und du freust dich darüber, nicht auf der anderen Seite der Bar stehen zu müssen!“ „Hab ich überhaupt ‘ne Wahl?“ Kraftlos ließ sich Jonas schrittweise von Larissa zur hell erleuchteten Tür ziehen. „Absolut keine!“, bestätigte diese seine Vorahnung. „Jedenfalls nicht, wenn du weiter Teil unserer supercoolen Clique sein willst“, bekräftigte Esther grinsend. Jonas rollte mit den Augen. „Allein, dass du das Wort ‚supercool‘ verwendest, macht dich zu so einem unglaublichen Nerd.“ „Weniger meckern, mehr saufen!“ Esther legte einen Arm um seine Schultern und half Larissa, ihn über den Gehweg bis vor den imposanten Türsteher zu schleifen. Leise seufzend zahlte Jonas den Eintritt, schielte auf die verbleibenden Euroscheine in seinem Geldbeutel und überschlug rasch, wie sehr er sich betrinken konnte, ohne den Rest des Monats von Nudeln mit Ketchup leben zu müssen. Gut gefüllt und passend ausgeleuchtet, machte das Tix deutlich mehr Eindruck als an dem Nachmittag seines Vorstellungsgesprächs. Kein House, sondern rockige Indie-Mukke dröhnte über die Tanzfläche, auf der Jonas spontan gleich zwei Kerle entdeckte, die seinem Beuteschema entsprachen. „Na, haste dir schon Eine ausgeguckt?“ Larissa steuerte einen kleinen Bartisch an, der wie ein Wunder noch frei war. „Nee, so schnell geht das bei mir nicht“, flunkerte Jonas. Ihre Annahme, er würde hier nach Frauen suchen, korrigierte er nicht. „Ich hol uns mal was zu trinken.“ Halb tanzend, halb drängelnd, arbeitete er sich zur Bar vor und beobachtete die ausgelassen Feiernden, bis ihm der Barmann seine Aufmerksamkeit schenkte. „Was darf es denn sein?“ Jonas drehte den Kopf, um ihn zu antworten und stockte. Fuck! Auch Kolb schien überrascht, Jonas wiederzusehen, aber nach der ersten Schrecksekunde verzog sich sein Mund zu einem süffisanten Lächeln. Aller Bemühungen zum Trotz, konnte Jonas die Bilder, die sofort vor seinem inneren Auge aufstiegen nicht vertreiben. Sie hatten keine Viertelstunde miteinander verbracht, und doch hatte sich Kolb erfolgreich in Jonas‘ Fantasie geschlichen, ihn sogar bis in seine Träume verfolgt. Kolb, der mit undurchschaubarer Miene vor ihm stand und mit seiner samtenen Stimme verkündete, was er von ihm erwartete. Kolb, dessen athletischer Körper seinen Worten Nachdruck verlieh. Kolb, der Jonas an seine Grenzen und darüber hinausbrachte. Ihn mit dem Hauch eines Lächelns für seine Hingabe belohnte. Der echte Kolb zog fragend eine Braue nach oben. „Also?“ „Vier … Vier Wodka-Bull“, stammelte Jonas. „Hm?“ Kolb tippte gegen sein linkes Ohr, um zu signalisieren, dass er ihn über den Krach nicht verstehen konnte und Jonas bemerkte um ersten Mal die beiden winzigen, silbernen Stecker darin. Einen Augenblick lang starrte er wie hypnotisiert darauf, bevor er sich erinnerte, weshalb er überhaupt mit Kolb sprach. „Wodka-Bull!“, brüllte er, dieses Mal viel zu laut. „Vier!“ Zur Verdeutlichung hielt er vier Finger in die Höhe. Kolb nickte. „Tut mir leid, dass es mit der Stelle nicht geklappt hat!“, rief er, während er die Gläser mit Eis füllte. „Passt schon.“ Wieder zu leise, aber Kolb schien zumindest die Essenz seines Satzes begriffen zu haben. Lauter fragte Jonas: „Warum stehen Sie an der Bar? Das ist doch sicher nicht Ihr Job!“ „Krankheitsausfall!“ „Kein Ersatz?“ Kolb schüttelte den Kopf, kippte Wodka in die Gläser. Eine gute Mischung. „Zu kurzfristig.“ „Ich hätte Zeit gehabt!“ Das entlockte Jonas‘ Gegenüber ein Lächeln, jedoch keinen Kommentar. „Hier.“ Kolb stellte die vier Gläser und Dosen auf den Tresen. „Macht zwanzig Euro.“ Das war günstig und dennoch war damit die Hälfte von Jonas‘ Budget verbraucht, selbst, wenn er auf Trinkgeld verzichtete. Was er nicht tat, denn er wusste sehr genau, wie hart dieser Job sein konnte. Jonas überreichte Kolb das Geld und schnappte sich die insgesamt acht Getränke. Wenn er es schaffte, sie heil an ihren Platz zu balancieren, gab er Kolb vielleicht einen weiteren Grund zu bedauern, ihn nicht eingestellt zu haben. Falls er es schaffte. Bei seinem Glück würde er sich gleich mächtig auf die Fresse legen. Bevor ihn das Getümmel auf der Tanzfläche vollends verschlingen konnte, warf Jonas einen Blick zurück. Mehrere Gäste an der Bar versuchten verzweifelt, Kolbs Aufmerksamkeit zu erregen, aber der hatte nur Augen für Jonas. Er lächelte. „Fuck, ich muss pissen!“ Jonas gestikulierte grob in Richtung der Toiletten, war sich aber nicht sicher, ob Kemal und Esther ihn überhaupt bemerkt hatten. Sie waren völlig in die Musik versunken, lachten, hüpften, ließen ihre Hüften gegeneinanderprallen und schienen den Spaß ihres Lebens zu haben. Larissa war schon vor einiger Zeit mit einem Typen abgezogen, den sie an der Bar aufgerissen hatte. Ein wenig schwerfällig tapste Jonas zu der Treppe, die zu den ein Stockwerk tiefer gelegenen Toiletten führte. Kolbs großzügige Mischung hatte ganze Arbeit geleistet und die drei Bier, die ihm seine Freunde im Anschluss ausgegeben hatten, waren auch nicht hilfreich gewesen. Desorientiert starrte er auf die drei Türen vor ihm, brauchte einen Augenblick, bis er ihre Beschriftung dechiffriert hatte. Kreis mit Kreuz nach unten: Frauen. Privat: Nun ja, privat eben. Kreis mit Pfeil nach oben: Da wollte er hin. Die Toiletten waren verhältnismäßig sauber. Dem Geruch nach zu urteilen, war dem einen oder anderem Gast im Laufe des Abends der Alkohol nicht ganz bekommen, aber immerhin holte sich Jonas keine nassen Füße oder musste sich demnächst auf diverse Krankheiten testen lassen. Nachdem er seine Blase entleert hatte, ließ Jonas kaltes Wasser über Hände und Handgelenke laufen und verrieb einige Tropfen auf seinen Schläfen. Mit etwas weniger Nebel im Kopf, starrte er auf sein Spiegelbild. Seine Augen waren gerötet, seine Haare zerzaust und seine Klamotten saßen nicht ganz so, wie sie sollten. Alles in allem sah man ihm an, dass er einen guten Abend hatte. Zufrieden verließ er die Toiletten und rempelte beinahe einen anderen Kerl um. „Ups, sorry!“ „Schon gut.“ Zum zweiten Mal an diesem Abend, blickten sich Jonas und Kolb überrascht an. Kolb musste gerade aus der Privat-Tür, hinter der sich vermutlich die Toilette für Angestellte verbarg gekommen sein. „Sorry“, wiederholte Jonas verlegen. Kolb verschränkte die Arme, zeigte aber ein amüsiertes Lächeln. „Wenn wir uns weiterhin so oft über den Weg laufen, sollte ich vielleicht meine Meinung zum Schicksal überdenken. Oder mich über Stalking informieren.“ Alkohol, Euphorie und Hormone taten Jonas keinen Gefallen. Ohne darüber nachzudenken, schnellte er nach vorne und küsste Kolb. Seine Lippen streiften lediglich dessen Mundwinkel und bevor er die Chance hatte, seinen Fehler zu korrigieren, schob Kolb ihn sanft von sich. „Nicht während ich arbeite. Nicht, wenn du betrunken bist.“ Er gab Jonas nicht die Zeit für eine Erwiderung, drückte sich an ihm vorbei und eilte die Treppen nach oben. Jonas ließ sich gegen die kühle, geflieste Wand hinter ihm sinken, versteckte sein Gesicht in den Händen. Verfickte Scheiße! Was zur scheißbeschissenen Hölle hatte er sich dabei gedacht? Einen fremden Typen zu küssen? Einfach so? In der Öffentlichkeit? Jetzt konnte er sich hier endgültig nicht mehr blicken lassen. Vermutlich musste er froh sein, keine Faust in die Fresse bekommen zu haben. Fuck, fuck, fuck! Wenn er jetzt sofort verschwand, war die Gefahr, Kolb in die Arme zu laufen gering, oder? Und falls doch, konnte er sich vielleicht einfach entschuldigen und alles auf den Alkohol schieben? Wenigstens hatte Kolb keinen Aufstand veranstaltet, sein ‚Nein‘ war sogar verhältnismäßig nett ausgefallen. Jonas schnappte nach Luft. Kolb hatte überhaupt nicht ‚Nein‘ gesagt. Nur: ‚Nicht so.‘ ‚Nicht jetzt.‘ Mit pochendem Herzen kehrte Jonas auf die Tanzfläche zurück. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)