Boys Don't Cry von abgemeldet (Spiegelkabinett) ================================================================================ Prolog: I --------- Das laute Poltern auf dem Flur sorgt dafür, dass ich aus dem Schlaf hochschrecke. Mein Blick gleitet zum Fenster, den schmalen Lichtstreifen die sich durch die Rollläden ins Innere meines Zimmers zwängen und anschließend zu dem kleinen Digitalwecker auf meinem Nachtkasten. Fünf vor sechs. Ein müdes, nicht weniger genervtes Stöhnen verlässt meine Lippen als ich die Bettdecke zur Seite schlage, die Beine aus dem Bett schwinge und den Wecker – der eigentlich erst in einer knappen Dreiviertelstunde hätte klingeln sollen! Danke für nichts! – ausschalte. Vermutlich macht sich meine beschissene Schwester wieder Sorgen darum, sie könnte ihren beschissenen Hobbyhuren-Status verlieren, wenn sie sich nicht mindestens zwei Stunden vor Schulbeginn vor den scheiß Spiegel stellt. Das laute Zuschlagen der Badezimmertür nebenan ist für mich das Stichwort die Rollläden hochzuziehen nur um zu sehen, das es regnet. Und die grauen Wolken versprechen auch keine baldige Besserung des Wetters. Beschissener hätte dieser letzte Schultag wirklich nicht anfangen können. Eigentlich ganz passend. Die nächsten Wochen werden wohl auch nicht besser. Besonders toll wird dieser gottverdammte Familienurlaub. Zwei verfickte Wochen auf engstem Raum mit meiner Schwester. Ich reiße mich letztlich von dem Anblick der Regentropfen auf der Scheibe los und hole mir frische Sachen aus dem Schrank und verlasse das Zimmer, klopfe mit den Knöcheln kurz gegen das Holz der Badezimmertür bevor ich die Tür öffne und mir eine wirklich widerlich aufdringliche Parfümwolke entgegenkommt. „Hast du vor die Leute mit deinem penetranten Gestank zu ersticken oder was soll der Scheiß?“ fauche ich sie angeekelt an und verziehe dabei demonstrativ das Gesicht bevor ich mich an ihr vorbei zum Fenster drücke um eben genau dieses aufzureißen. Das hält ja kein Schwein aus! „Ganz im Gegensatz zu dir achte ich auf mein Aussehen. Sieh dich an. Kein Wunder das jeder einen riesen Bogen um dich macht!“ antwortet dieses Miststück bissig und fährt damit fort ihre beschissenen, arschlangen Haare zu kämmen. Ignoriert mich einfach. Tut so, als wäre ich gar nicht da. Und ich bin mir nicht sicher, was mich wütender macht. Ihre absolut unnötige Bemerkung oder die Tatsache, dass unser Prinzesschen ihrem Status mal wieder alle Ehre macht. Ich mache mir gar nicht erst die Mühe etwas darauf zu erwidern. Verschwendete Luft und Lebenszeit. Ich könnte genauso gut mit den verfickten Fliesen an der Wand sprechen und vermutlich könnte ich da eher eine Reaktion erwarten. Ich schäle mich aus meinen Klamotten, steige unter die Dusche und schalte das Wasser ein. „Fuck!“ fluche ich nach Luft schnappend, als das eiskalte Wasser auf meine Haut trifft. Eine unangenehme Gänsehaut zieht sich über meinen Körper und ich muss die Zähne fest aufeinanderbeißen um zu verhindern das sie anfangen zu klappern. Dieses dreckige Stück Scheiße hat schon wieder das ganze Warmwasser verbraucht! Nicht, dass es was Neues wäre, aber ich glaube nicht dass ich mich jemals daran gewöhnen werde morgens kalt zu duschen. Keine Ahnung, wann das zuletzt anders war. Ich verbringe keine Minute länger unter der Dusche als unbedingt nötig, schnappe mir ein frisches Handtuch aus dem Schrank und wickel mich darin ein. Leider sorgt der Windzug der sich durchs offene Fenster ins Innere drängt nicht unbedingt dafür das mir wärmer wird. Dieser abgefuckte Tag wird mit jeder beschissenen scheiß Minute schlimmer! Unser aller Liebling steht immer noch vor dem Spiegel. Als ob sie sich ihre ganze Kosmetikkacke nicht in ihrem beschissenen Zimmer in ihr noch beschisseneres Gesicht klatschen könnte! Und als ob diese ganze Kosmetikscheiße sie erträglicher machen würde. Ihr beschissenes hübsches Gesicht macht ihren scheiß Charakter auch nicht besser. Man kriegt trotzdem das blanke kotzen, wenn sie ihr beschissenes Maul aufmacht. Ich bin froh dass sie ihre Fresse hält, als während ich mich anziehe und mir hinter ihr stehend die Haare föhne und zusammenbinde. Das sie immer noch schweigt, als ich meine dreckige Wäsche in die Wäschetonne schmeiße und das Badezimmer endlich verlasse. Ich seufze, als ich auf halben Weg nach unten meinen Vater höre. Allein wie er redet bringt mich fast zum kotzen. Diese permanente Überheblichkeit treibt mir die Galle hoch. Manchmal erinnert er mich an diese schmierigen Spaltenlecker-Handlanger in diesen beschissenen Hollywoodstreifen. Eigentlich nichts erreicht, außer irgendeinem fetten Schwein die Füße zu küssen in der Hoffnung, man würde irgendwann die nötige Anerkennung dafür bekommen. Am Arsch! Alles, was der Wichser irgendwann bekommt, ist ein Herzinfarkt, weil er sich – so cholerisch wie er ist – über jeden noch so kleinen Scheiß aufregt als würde die fucking Welt dadurch untergehen. Er hat die Nase in der Tageszeitung als ich in die Küche komme. Meine Mutter sitzt daneben und tippt auf ihrem beschissenen Tablet rum. Weder der eine, noch der andere sieht auf als ich wortlos den Wasserkocher anstelle und mir eine Tasse aus dem Schrank nehme. Und beide haben kein einziges Wort für mich übrig, als ich mich schließlich mit meinem Tee an den Tisch setze und an ihnen vorbei aus dem Fenster in den Regen starre. „Guten Morgen Mikasa“ durchbricht die dunkle Stimme meines Vaters die Stille und holt mich damit zurück ins hier und jetzt. Natürlich. Das Prinzesschen ist jedes Wort wert. Fick dich doch, Arschloch! Ich umklammere den Rand meiner Tasse etwas fester als ich sie an den Mund führe und einen Schluck daraus nehme um jeden bissigen Kommentar, der mir bereits zur Aussprache bereit auf der Zunge liegt, mit dem Tee runter zu schlucken. Ich hasse sie. Ich hasse es mir mit diesem Miststück ein Haus – eine Familie! – zu teilen. Auch nur die gleiche Luft zu atmen wie sie. Ich hasse es, dass jeder sie wie ein beschissenes Heiligtum behandelt und sie bis in den Himmel lobt. Verreck doch einfach dran! Erstick an deiner beschissenen Perfektion! Als sie sich schließlich an den Tisch setzt, meine Mutter ihr Tablet ausschaltet und mein Vater seine scheiß Zeitung endlich zur Seite legt, stehe ich auf und stelle meine Tasse in die Spüle bevor ich die Treppen nach oben steige. Ich höre dumpf, wie mein Erzeuger so etwas wie „wenn sie bloß etwas mehr wäre wie du“ sagt bevor die Tür meines Zimmers hinter mir ins Schloss fällt. Bastard! Dreckiger scheiß Wichser! Die Tränen, die sich in meinen Augen sammeln kann ich weder der Wut, noch der Enttäuschung oder der Einsamkeit zuordnen. Vielleicht ist es eine Mischung aus all den Emotionen, vielleicht sind es aber auch einfach nur meine beschissenen Hormone die in letzter Zeit immer mehr Achterbahn zu fahren scheinen. Ich hasse es, dass ich diese Sachen so nah an mich ranlasse und ich hasse mich dafür, dass ich es nicht einfach ausblenden kann. Es ist nichts, was nicht schon immer gewesen wäre. Es ist nichts, was ich nicht bereits kenne. Ich wische mir mit dem Handrücken über die Augen, als sich die erste Träne löst und atme einmal tief durch. Versuche mich zu sammeln und die neu aufkommenden Tränen zurück zu halten. Keiner von diesen Wichsern ist auch nur eine einzige Träne wert! Und trotzdem… kann ich dieses dämliche Schluchzen nicht zurückhalten. „Fuck“ fluche ich mit bebender Stimme bevor ich mir die Hand auf den Mund drücke, um dieses absolut erniedrigende Geräusche zumindest zu dämpfen. Scheiße man! Ich will das nicht. Nichts davon! Keine Träne und keins von diesen scheiß Gefühlen. Vier Jahre. Nur noch vier verfickte Jahre. Eine verhältnismäßig kurze Zeit, die ich durchhalten muss bis ich endlich hier wegkann. „Ivy!“ höre ich meinen Vater, durch die Tür gedämpft, nach mir brüllen. Mein Blick fällt auf den Wecker und ich bemerke, dass es Zeit ist um sich auf den Weg zu machen. Mein Magen krampft sich schmerzhaft zusammen, als ich daran denke das dieses Spielchen in der Schule so weitergehen würde. Sogar bis dahin verfolgt mich meine beschissene Schwester! Ich wische mit noch einmal mit der Hand über die Augen, schnappe mir meine Tasche und komme der unausgesprochenen Aufforderung meines Erzeugers nach und laufe mit eiligen Schritten die Stufen nach unten um ihm keinen Grund zu liefern, sich verbal darüber auszulassen. Er sieht mich nicht an, als ich an ihm vorbei zur Garderobe gehe und meine abgetragenen Chucks anziehe und mir meine Lederjacke überwerfe. Meine Mutter sieht auch mehr an mir vorbei, als dass sie mich ansieht, als sie mir Geld für etwas zu Essen zusteckt bevor sie sich knapp und lieblos von mir verabschiedet. Mikasa sitzt bereits im Wagen – natürlich auf dem beschissenen Beifahrersitz, was sonst?! – und tippt auf ihrem scheiß Handy rum als ich auf den Wagen zu gehe und hinten einsteige. Das leise Brummen des schicken Firmenwagens meines Vaters wirkt irgendwie beruhigend. Ich kann für ein paar Minuten das unwohle Gefühl vergessen, das sich sonst so penetrant festsetzt. Erst, als der Wagen zum Stillstand kommt und sich die Beifahrertür öffnet, realisiere ich das wir am Ziel angekommen sind. Dieses beschissene Gymnasium, das mir mit jedem Tag mehr wie Knast vorkommt. Ich hasse es hier. Seufzend greife ich nach meiner Tasche und bin bereits im Begriff die Tür zu öffnen, als mich die Stimme meines Vaters noch einmal zum Innehalten zwingt. „Ivy“ beginnt er und allein an seiner Tonlage erkenne ich, dass ich seinen Worten lieber Aufmerksam lauschen sollte. „Wenn dieses Zeugnis wieder so beschissen aussieht wie das letzte, wird das Konsequenzen für dich haben“ Da ich nichts darauf zu erwidern hab, nicke ich einfach knapp bevor ich fluchtartig den Wagen verlasse und die Tür etwas zu laut zuschlage. Ich höre das Gebrüll meines Vaters, das darauffolgt und mir graut es bereits jetzt davor, nach der Schule nach Hause zu kommen. Ich brauch mir nichts vormachen. Meine Noten sind nicht besser geworden. Eher das Gegenteil ist der Fall. Mittlerweile kann ich wohl froh sein, wenn sie mich überhaupt in die nächste Stufe versetzen. Fuck it! Mikasa ist bereits verschwunden. Vielleicht besser so, sonst hätte ich mir von ihr vermutlich auch noch irgendeinen blöden Klugscheißer-Spruch anhören müssen. Ich hänge mir meine Tasche über die Schulter und steuere direkt das Schulgebäude an. Der Regen ist stärker geworden, die Strähnen meines Ponys kleben mir bereits nass im Gesicht und meine Füße sind nass, als ich endlich das Gebäude betrete. Der Weg kommt mir mit jedem Tag länger vor und das Bedürfnis, dieses beschissene graue Gebäude nie wieder zu betreten wird immer drängender. Die Gänge sind voll, überall drängen sich kleine und größere Gruppen von Schülern und ihre Gespräche vermischen sich zunehmend zu einem undefinierbaren Stimmengewirr. Ich schlängel mich zwischen meinen Mitschülern durch zum Treppenhaus und steige die Treppen bis zum dritten Stock hinauf, folge dem Flur bis zu unserem Klassenzimmer und bin dankbar, als ich sehe das der Flur so gut wie leer ist. Die letzten Minuten vor dem Unterricht will ich mir die blöden Kommentare meiner Mitschüler nicht auch noch antun. Nicht, dass es direkt gegen mich ginge. Das hat aufgehört, als sie gemerkt haben das mich ihre blöden Sprüche nicht im Geringsten kümmern. Naja. Zumindest lasse ich es mir nicht anmerken. Aber selbst meine Klassenkameraden vergleichen mich mit ihr und selbst bei ihnen bekomme ich zunehmend das Gefühl, das ich nicht mal der Dreck unter den Füßen dieser Perfektion einer Frau sein könnte. Ich lehne mich neben der Tür unseres Klassenzimmers an die Wand, streiche mir die nassen Strähnen aus der Stirn und stoße ein tonloses Seufzen aus. Der letzte Schultag. Zumindest für die nächsten sechs Wochen ist das der letzte Tag, den ich hier verbringen muss. Nur drei Stunden, bis ich diese einengenden Mauern hinter mir lassen kann. Die Stille auf dem Flur bleibt nicht lange. Die Flure fangen an sich zu füllen und spätestens als ich den braunen Haarschopf meiner besten Freundin entdecke, wars dass mit der Ruhe für mich. „Ivyyyyyy“ quietscht sie aufgeregt als sie mir um den Hals fällt und mich dabei halb zerquetscht. Ich erwidere ihre Begrüßung eher halbherzig, woraufhin sie mich ein Stück von sich schiebt, mir ins Gesicht sieht und mich kritisch mustert. Und natürlich fällt ihr auf, das irgendwas nicht stimmt. „Was ist los?“ fragt sie auch schon direkt. Ihr besorgter Blick macht mich nervös und ich senke den Blick, stoße ein genervtes Seufzen aus und schüttel den Kopf. „Nichts. Mach dir keine Sorgen“ blocke ich direkt ab. Natürlich passt es ihr nicht. Natürlich schnauft sie beleidigt, aber dennoch fragt sie nicht weiter nach sondern legt einfach den Arm um meine Schulter und drückt mich an ihre Brust. Was sag ich! Sie drückt mein Gesicht förmlich zwischen ihre Brüste und erstickt mich damit! „Hanji lass den Scheiß!“ mecker ich, drücke sie von mir und alles, was sie darauf erwidert ist ein verheißungsvolles Grinsen. Keine Ahnung was sie plant, aber es gefällt mir nicht. Dieses Grinsen bedeutet nie etwas Gutes. Hat es nie. Wird es nie. Jedenfalls nicht für mich. „Wir kriegen Ferien Ivy! Du und ich. Stadt. Heute Nachmittag“ teilt sie mir überschwänglich mit und wackelt dabei dämlich mit ihren Augenbrauen. „Du glaubst doch nicht ernsthaft, dass ich die Ferien über raus darf wenn mein Vater mein Zeugnis sieht oder?“ frage ich sie genervt und seufze. Diese Ferien werden die reinste Katastrophe. Während alle anderen ihren Spaß haben werde ich zwei Wochen mit meiner Familie an der See hocken – ich glaube, das werden die schlimmsten zwei Wochen meines Lebens! - und die restlichen vier Wochen in meinem Zimmer verbringen. Am Schreibtisch. Mit meinem Vater im Nacken, damit ich auch wirklich was für die Schule tue. Fuck my life! Sie öffnet den Mund um etwas zu erwidern, wird aber durch den ankommenden Lehrer unterbrochen. Und irgendwie bin ich froh darüber, dass dieses Thema zumindest vorerst beendet ist. Ich lasse mich auf meinen Platz in der hintersten Reihe sinken während Hanji sich auf ihren in der zweiten Reihe setzt, verschränke meine Arme auf der Tischplatte und bette meinen Kopf darauf. Der Unterricht zieht spurlos an mir vorbei. Selbst als mich dieser Penner in seinem beschissenen Sakko direkt anspricht reagiere ich nicht auf ihn, sondern starre einfach auf einen imaginären Punkt in der Luft. Das er mein Verhalten duldet, liegt vermutlich auch nur daran das heute ohnehin der letzte Tag vor den Ferien ist. Die Noten stehen fest, die Zeugnisse sind gedruckt. Außerdem interessiert sich so gut wie niemand für das, was er uns über Terme erzählt. Selbst die Pause, die wir ausnahmsweise drinnen verbringen dürfen, weil es immer noch wie aus Eimern gießt bin ich nicht aufmerksamer. Hanji redet ohne Punkt und Komma auf mich ein, vermutlich über die Pläne die sie sich für uns überlegt hat. Wirklich zuhören tue ich ihr aber nicht. „Ivyyyy! Du hörst mir ja gar nicht zu!“ ruft sie empört und rüttelt an meinem Arm. Ich schenke ihr einfach nur einen müden, genervten Blick, erwidere aber sonst nichts darauf. Selbst ihr theatralisches Seufzen und das sie den Kopf auf die Tischplatte fallen lässt, veranlasst mich nicht dazu ihr die Aufmerksamkeit zukommen zu lassen, die sie sich von mir wünscht. Und beinahe tut es mir leid, sie so abzuwehren. Aber ich hab weder die Lust, noch die Kraft, ihr begreiflich zu machen, das sie völlig umsonst über irgendwelche tollen Sachen redet die wir unternehmen könnten. Es interessiert mich nicht. Nicht, weil ich keine Lust darauf hätte. Vielmehr um mir selbst die Enttäuschung zu ersparen, wenn meine größte Befürchtung sich bewahrheitet. Die Gespräche werden weniger und leiser, als die nächste Stunde beginnt. Verstummen tun sie aber nicht und als die ersten ihre Zeugnisse bekommen, werden sie sogar noch lauter und reden immer mehr durcheinander. Dieser scheiß Schwanzvergleich geht mir jetzt schon tierisch auf die Nerven. Als ob sich später mal jemand dafür interessieren würde, welche Noten man in der achten Klasse hatte. Als ich meinen Namen durch den Raum hallen höre, erhebe ich mich träge und nehme am Pult mein Zeugnis entgegen. Ich werfe keinen Blick darauf, als ich zurück an meinem Platz bin und packe es einfach zwischen die Seiten meines Collegeblocks. Ab da scheint die Zeit nur so zu rasen. Das erlösende klingeln, dass das Ende des Unterrichts und damit die Ferien ankündigt, ertönt für meinen Geschmack viel zu früh und selbst als ich mir Zeit lasse, meine unangerührten Sachen wieder einpacken, scheint es viel zu schnell zu gehen obwohl Hanji bereits ungeduldig neben mir steht und am Drängeln ist wie ein beschissenes Kleinkind. Als Hanji und ich aus dem Gebäude treten sehe ich bereits von weitem den schwarzen Mercedes meines Vaters. Wie Mikasa sich mit irgendeinem Jungen den Schirm teilt und eilig auf den Wagen zuläuft. Noch unter dem schützenden Dach des Gebäudes stehend wende ich mich an meine Freundin, seufze erneut – heilige Scheiße das wird noch zu einer beschissenen Angewohnheit – und allein der Blick mit dem sie mich ansieht zeigt, dass ich wohl genauso verzweifelt aussehe, wie ich mich fühle. Dennoch sagt sie nichts, zieht mich erneut in eine Umarmung und ich kämpfe wirklich mit meiner Selbstbeherrschung. Vor ihr weinen ist wirklich das letzte, was ich gebrauchen kann. „Es wird schon nicht so schlimm“ meint sie leise, drückt mich noch einmal fest an sich bevor sie mich endgültig loslässt und ich mich mit eiligen Schritten auf den Weg zum Wagen mache. Zu meiner eigenen Überraschung sitzt Mikasa hinten. Der Kerl, mit dem sie zum Wagen gelaufen ist sitzt neben ihr. Ich öffne die Beifahrertür und lasse mich auf den Sitz fallen, schließe die Tür dieses Mal leiser damit mein Vater keinen Grund hat, mich direkt anzufahren. Mein Vater sagt nichts. Begrüßt mich nicht, sondern führt einfach sein Gespräch mit dem brünetten Jungen fort als er den Gang einlegt und losfährt. Nachdem mein Vater endlich seine Schnauze hält, ertönt die angenehme, warme Stimme des jungen Mannes der schräg hinter mir sitzt. Er streckt die Hand zwischen den Sitzen durch nach vorn und hält sie mir hin, ich sehe im Rückspiegel wie er lächelt und als ich mich im Sitz etwas drehe um die Hand zu ergreifen, spüre ich das Knie meiner Schwester in meinem Rücken. „Eren“ stellt er sich knapp vor, drückt meine Hand sanft als ich sie ergreife und lächelt mich warmherzig an. „Ivy“ erwidere ich emotionslos, ziehe die Hand als er sie loslässt augenblicklich zurück und lege sie auf meinem Schoß ab. Das Knie in meinem Rücken ist noch nicht verschwunden, drückt sogar noch fester gegen den Sitz. Aber sie schweigt. Sagt nichts. Behält jeden blöden Kommentar und jedes böse Wort für sich. Vermutlich auch nur, damit er nicht schlecht von ihr denkt. Am Weg, den wir fahren, erkenne ich, das wir auf direktem Weg nach Hause sind. Das Knie ist aus meinem Rücken verschwunden, dafür klammert sich diese beschissene Schlampe jetzt förmlich an die warme Hand, die ich eben noch in meiner hatte. Es ist nicht schwer zu erkennen, dass die beiden ein Paar sind. Oder das sich zumindest eine Beziehung anbahnt. Für einen Moment beobachte ich die beiden durch den Rückspiegel, schließlich wende ich aber den Blick ab und aus dem Seitenfenster und beobachte die vorbeirauschenden Gebäude und Bäume die sich durch die Regentropfen zu einem undefinierbaren Brei aus Farben vermischen. Die Fahrt zieht spurlos an mir vorbei, ich steige wortlos aus dem Wegen als wir in der Einfahrt unseres Hauses zum Stillstand kommen und betrete ebenso schweigend das Haus. Ich bin froh aus den nassen Schuhen zu kommen und alles, was ich will, ist nach oben zu gehen und mich in meinem Zimmer zu verbarrikadieren. Ich will den Moment, in dem mein Vater mein Zeugnis unter die Lupe nimmt, so lange wie möglich herauszögern. Und auch, wenn ich mich beeile, schaffe ich es natürlich nicht rechtzeitig nach oben zu kommen, bevor mein Vater als letzter das Haus betritt. Wir steuern zu Dritt das Wohnzimmer an, in dem meine Mutter sitzt und auf uns zu warten scheint. Ich lasse mich auf den Sessel fallen, meine Tasche landet lieblos zwischen meinen nassen Füßen auf dem Boden. Ich will einfach weg hier. Soweit weg wie irgend möglich. Eren stellt sich meiner Mutter – genauso warm lächelnd wie er es bei mir getan hat – vor und lässt sich schließlich neben meiner Schwester auf dem Zweisitzer nieder. Mein Vater lässt sich auf dem anderen Sofa neben meiner Mutter nieder und nimmt das Zeugnis meiner Schwester entgegen. Der stolze Ausdruck in ihren Augen bringt mich fast zum Kotzen und das Lächeln, das mein Erzeuger für sie übrig hat treibt mir regelrecht die Galle hoch. „Das ist wundervoll mein Schatz“ sagt auch meine Mutter überschwänglich lächelnd. Mein Magen krampft sich zusammen, als ich nach meiner Tasche greife und mein bereits zerknittertes Zeugnis zwischen den Seiten meines Blocks hervorziehe und es an meinen Vater weiterreiche, als er mir die Hand auffordern entgegenstreckt. Der stolze Ausdruck und das Leuchten in seinen Augen verschwindet augenblicklich, als er einen Blick auf das Schriftstück wirft. „Dafür-“ spuckt er mir förmlich entgegen und blickt abwertend auf den wertlosen Zettel in seiner Hand „- hab ich absolut keine Worte. Was machst du in der Schule, hm? Nimm dir ein Beispiel an deiner Schwester!“ Die wütenden, enttäuschten Worte überraschen mich nicht und trotzdem sind sie ein herber Schlag ins Gesicht. Und der mitleidige Blick, den ich auffange als ich aufstehe und meinem Vater das Schriftstück aus der Hand reiße, macht es nicht unbedingt besser. Ganz im Gegenteil. Es macht mich nur noch wütender und setzt mir nur noch mehr zu. „Leck mich!“ fauche ich meinem Erzeuger wütend entgegen, dass das blöde Stück Papier gerissen ist und noch mehr unansehnliche Knicke bekommen hat interessiert mich nicht im Geringsten. Ich schnappe mir meine Tasche, stopfe den Auslöser für den neuen Tiefpunkt meiner Laune in meine Tasche und verlasse fluchtartig das Wohnzimmer. Renne die Treppenstufen förmlich nach oben und lasse die Tür meines Zimmers laut hinter mir ins Schloss fallen ehe ich den Schlüssel im Schloss drehe. Die Tasche kommt polternd auf dem Laminat auf als sie mir aus den zitternden Händen gleitet während ich versuche meine Fassung nicht noch einmal zu verlieren. Meine Augen brennen, als ich mich an die Tür lehne und mich daran auf den Boden sinken lasse, das Gesicht in meinen Händen vergrabe und bereits zum zweiten Mal an diesem Tag versuche das erbärmliche Schluchzen zurück zu halten, dass sich aber dennoch seinen Weg aus meiner Kehle bahnt. Ich komme mir dabei so verdammt schwach und erbärmlich vor. Verfluche meinen Vater und verteufle meine Schwester. Hasse mich selbst, weil ich für alle eine so herbe Enttäuschung bin. Meine Hormone, weil sie dafür sorgen das ich nicht einmal mehr in den Spiegel sehen kann, ohne an mir zu zweifeln. An dem was ich bin und an dem, was ich sehe. Kapitel 1: II ------------- Es dauert eine gefühlte Ewigkeit, bis ich mich endlich wieder eingekriegt hab. Bis die beschissenen Tränen endlich aufgehört haben in Sturzbächen über meine Wangen zu laufen und bis dieses absolut peinliche Schluchzen endlich aufgehört hat. Noch länger dauert es, bis ich mich dazu aufraffen kann endlich aufzustehen. Bis ich mich dazu animieren kann, überhaupt irgendetwas zu tun außer hier vor der Tür zu hocken und mir die Augen auszuheulen, obwohl ich genau das eben eigentlich nicht will! Ich wische mir noch einmal mit der Hand über die Augen ehe ich mich langsam aufrappel und meine Tasche vom Boden aufhebe, nur damit sie neben meinem Schreibtisch erneut unliebsam auf dem Boden landet. Ich will dieses dämliche Scheißteil nicht mehr sehen. Nicht mal dran denken. Alles, was mit dieser beschissenen Schule zu tun hat, einfach vergessen. Mich die nächsten sechs Wochen in meinem Zimmer verbarrikadieren und nur rauskommen, wenn diese Bastarde die sich Familienmitglieder schimpfen schon schlafen. Ich hab das alles hier so unglaublich satt! Ich ziehe das total veraltete Handy aus meiner Hosentasche – tja, ich bin wohl die einzige Person auf diesem gottverdammten Planeten die noch so ein beschissenes Tastenhandy hat! - und lasse mich auf den Drehstuhl an meinem Schreibtisch sinken. Als ich den Bildschirm anschalte, leuchtet mir direkt eine Nachricht von Hanji entgegen. Ich öffne den Nachrichtenverlauf und starre für einen Moment auf die Buchstaben, ohne sie wirklich zu lesen. Ich hasse es, dass ich sie ständig versetzen muss. Keine Ahnung, wann wir das letzte Mal einen Tag zusammen verbracht haben ohne dass ich früher losmusste, weil meine Eltern sonst Stress gemacht hätten. Keine Ahnung wann wir das letzte Mal einfach stundenlang gequatscht haben, ohne dass ich ständig auf die Uhr geschaut hab und ihr damit das Gefühl gegeben hab, das mich diese Treffen ankotzen. Und so ungern ich das auch zugebe… ich vermisse sie. Ich vermisse es, einfach mit ihr in ihrem Bett zu liegen und zu reden. Irgendwelche blöden Geschichten zu hören oder irgendwelche total sinnfreien Filme oder Serien anzusehen. Im Moment… wünsche ich mir nichts sehnlicher als das. Einfach… ein paar Stunden mit meiner besten Freundin.   Shitty Glasses , 12:43 Wie lief’s mit deinem Dad? So schlimm wie erwartet? Wenn’s nicht klappt ist das in Ordnung   Ich, 13:26 Schlimmer! Er hat nicht nur Theater gemacht… er hat mich auch noch vor dem neuen Freund meiner beschissenen Schwester bloßgestellt -.-   Shitty Glasses , 13:27 Ist er süß? ^///^ Er ist bestimmt süß! Ich MUSS ihn sehen! Kann ich vorbeikommen?! Biiiiiiiitteeeeeeeeeee   Tch. Das ist so typisch für sie. Was hab ich auch anderes erwartet? Als es zaghaft an meiner Zimmertür klopft bin ich tatsächlich etwas irritiert. Seufzend schmeiße ich mein Handy auf die Tischplatte, rolle genervt mit den Augen und stehe auf, durchquere das Zimmer und drehe den Schlüssel im Schloss. Zu meiner eigenen Überraschung fliegt mir nicht sofort die Tür entgegen wie es bei Mikasa oder meiner Mutter der Fall gewesen wäre. Und für meinen Vater… war das Klopfen zu leise. Als ich die Tür öffne, steht der brünette Junge, den meine Schwester angeschleppt hat, vor der Tür, die Hand erhoben um erneut an das Holz der Tür zu klopfen in dem Glauben, ich hätte es ignoriert oder schlichtweg nicht gehört. Ein warmes Lächeln bildet sich auf seinen Lippen während er sich verlegen am Hinterkopf kratzt und von einem Fuß auf den anderen tritt. Süß. Er ist wirklich… süß. „Mikasa hat mich gebeten dir Bescheid zu sagen, dass das Essen fertig ist“ er wirkt selbst ein wenig verständnislos – irritiert – und das, obwohl er sich alle Mühe gibt es zu verbergen. „Und wieso sagt sie mir das nicht einfach selbst?“ frage ich gereizter, als ich eigentlich will. Er kann nichts dafür. Er kann nichts dafür, dass mein Vater sich wie der letzte Dreck benimmt und auch nicht dafür, dass meine Schwester das Lieblingskind ist. Er kann nichts dafür, dass er diese kleine Auseinandersetzung mitbekommen hat geschweige denn dafür, dass dieser Wichser von Vater solche Dinge ausgerechnet vor ihm austragen muss. Er kann nichts für die beschissene Situation und ich wette, dass es ihm genauso unangenehm ist wie mir. „Ich-“ „Vergiss es“ seufze ich resignierend, streiche mir die losen Strähnen meines Ponys aus dem Gesicht und trete an ihm vorbei in den Flur, ziehe die Tür hinter mir zu und steuere direkt – ohne ein weiteres Wort an ihn zu verschwenden – die Treppe an. Er zögert kurz, folgt mir aber schließlich die Treppen nach unten, kaum dass ich die erste Stufe genommen hab. Als wir das Esszimmer betreten unterbricht mein Erzeuger sein Gespräch mit meiner Mutter, sieht mich kurz mit einem Blick, der so viel bedeuten soll wie „darüber werden wir später noch sprechen“ an, ehe er das Gespräch erneut aufnimmt. Mikasa sitzt an ihrem angestammten Platz vor Kopf und nimmt sich damit ein gnadenloses Beispiel an unserem Vater, macht ihrem unangefochtenen Titel der Prinzessin alle Ehre. Ich greife nach der Stuhllehne meines Stuhls um ihn nach vorn zu ziehen, lasse aber augenblicklich von meinem Vorhaben ab als ich einen saftigen Tritt von der Seite kassiere. Und Mikasas Blicke… könnten gerade nicht tödlicher sein. Mit fest zusammengebissenen Zähnen – ich schwöre, ich hätte ihr sonst all die Beleidigungen, die mir durch den Kopf schwirren, entgegen gespuckt – rutsche ich schließlich einen Stuhl weiter und mache damit Platz für ihren Prinz Charming. Während des Essens liegt meine vollständige Aufmerksamkeit auf meinem Essen, in dem ich lediglich lustlos herumstocher. Ich hab absolut keinen Hunger. Keinen Appetit. Von der Fragerunde, die meine Eltern hier veranstalten, bekomme ich absolut nichts mit und eigentlich… ist es mir auch völlig egal. Mich interessiert nicht, wie er Mikasa kennengelernt hat und was er an ihr toll findet. Mich interessiert nicht, in welchem Verhältnis die beiden genau zueinanderstehen. Ich will dieses Essen einfach nur hinter mich bringen. Diesen ganzen gottverdammten scheiß Tag! Ich will mich ins Bett verkriechen und am liebsten nie wieder aufstehen. Als mein Vater sich neben mir regt, hebe ich den Blick und bemerke, dass das Essen wohl beendet ist. Die Teller – alle, außer meiner - sind leer und mein Vater macht sich daran, das Esszimmer zu verlassen um anschließend die Stufen nach oben zu steigen. Ich stehe auf, staple routiniert die Teller übereinander und räume das Zeug in die Küche um abzuwaschen. Mittlerweile ist das zu einem festen Bestandteil geworden und ich muss zugeben, dass ich es irgendwie beruhigend finde. Die einfache Arbeit gibt mir ein paar Minuten Ruhe, in denen ich nicht nachdenken muss. In denen niemand etwas von mir erwartet. Ich stelle die Teller in die Spüle, drehe mich zur Tür um den letzte Rest aus dem Esszimmer zu holen und bin positiv überrascht, als Eren mir damit entgegenkommt. Lächelnd. Immer noch… lächelnd. Ich schweige, als er neben mich an die Spüle tritt und die Gläser abstellt. Vermutlich sollte ich mich bedanken… aber irgendwie… bekomme ich gerade nicht einmal das zustande. Gott! Ich bin wirklich erbärmlich. Ich stelle das Wasser an, um die Teller vor zu spülen. Und er… steht immer noch da. Schweigend. Genauso wie ich. Und da ich nicht weiß, was ich sagen soll, besteht das Schweigen einfach weiter. Auch als ich endlich warmes Wasser ins Spülbecken laufen lasse und anfange den ersten Teller zu spülen, steht er noch da und sagt keinen Ton. Er greift sogar schweigend nach dem Geschirrtuch und trocknet den abgestellten Teller ab. „Dass was dein Vater da vorhin gesagt hat…“ „Ist nicht der Rede wert. Soll der Alte doch meckern“ unterbreche ich ihn mit fester Stimme. Das letzte, was ich will, ist das Mitleid von dem Freund meiner beschissenen Schwester. Auch wenn er es vermutlich nur gut meint… aber ich will das einfach nicht hören. „Du hast geweint“ stellt er nüchtern fest. Wobei… nüchtern trifft es eigentlich nicht. Auch, wenn seine Stimme so klingt… seine Augen sprechen eine ganz andere Sprache. Sie funkeln regelrecht, zeigen die Wut, die sich hinter den ruhigen Worten verbirgt, ganz deutlich. „Tch“ schnalze ich abfällig mit der Zunge. Ich will diese Unterhaltung nicht weiterführen. Es ist zwar nicht so, dass mich seine Anwesenheit stören würde, aber ich weiß, was für ein Theater auf mich warten wird, wenn er sich nicht endlich verpisst. Mikasa wird mir den Hals umdrehen! „Wartet meine Schwester nicht auf dich?“ fragte ich und versuche wirklich, meine Stimme so neutral wie möglich klingen zu lassen, aber der Ärger der sich bereits seit heute Morgen angesammelt hat, macht es mir nicht unbedingt leicht. Ein verschmitztes Grinsen huscht über seine Lippen, als er mir den nächsten Teller aus der Hand nimmt und mit den Schultern zuckt, ehe er damit anfängt ihn sorgfältig abzutrocknen. Er schweigt, genauso wie ich, aber dieses Mal ist es irgendwie… anders. Ich kann nicht einmal genau sagen, was es ist. Es wirkt einfach… weniger angespannt. Als hätten die ausgesprochenen Worte dafür gesorgt das sämtliche Anspannung einfach verschwindet. Und dieses Grinsen… hat jegliche Sorge wegen Mikasa binnen weniger Millisekunden zerschlagen. Zunichtegemacht. Im Keim erstickt. Singend in die Hölle fahren lassen. Es könnte mir nicht egaler sein. Jedenfalls im Moment. „Eren, ich lass meine Gäste nur ungern die Drecksarbeit machen. Lass uns nach oben gehen“ durchbricht die klare Stimme meiner Schwester die angenehme Stille und ich brauch ihr nicht mal ins Gesicht zu sehen, um zu wissen, dass sie dabei aussieht wie ein beschissener Engel. Als ich einen kurzen Blick zur Seite werfe, sehe ich sie tatsächlich zuckersüß Lächeln. Diese abgefuckte dreckige… Ich will sie töten. In winzig kleine Fetzen reißen und an die beschissenen Krähen verfüttern! Dieses gottverdammte Miststück! „Das stört mich nicht“ lächelt er aufrichtig und stellt den abgetrockneten Teller ordentlich auf den kleinen Stapel. Und für den Moment glaube ich wirklich, dass er sie einfach – wenn auch nur für diese wenigen Minuten – links liegen lassen würde. Für mich. Ein Mädchen, das er nicht kennt. Die kleine Schwester seiner Freundin. Und ich kann nicht anders, als es als einen kleinen Versöhnungsversuch des Universums zu sehen. „Ich würde gern etwas Zeit mit dir allein verbringen“ ihre Worte sind für mich wie ein Schlag ins Gesicht und das resignierende Seufzen zu meiner Linken… lässt diesen kurzen Moment wie eine Seifenblase zerplatzen. Es holt mich schneller in die Realität zurück, als mir lieb ist. Natürlich… lässt er sie nicht für mich stehen. Das ich überhaupt auch nur eine Sekunde daran gedacht hab, es könnte anders sein… Ich bin wirklich erbärmlich. Naiv und absolut bescheuert. Wer hat mir bitte ins Hirn geschissen?! Wieso sollte es anders sein? Es gibt niemanden, der sich nicht für sie entscheiden würde, wenn er die Wahl hat. Wieso sollte er anders sein? Wieso sollte es ausgerechnet jetzt anders laufen? Wieso sollte sich daran je etwas ändern? Daran… wird sich nie etwas ändern. Ich werd‘ immer nur die zweite Geige spielen. Ganz im Gegensatz zu dir achte ich auf mein Aussehen. Sieh dich an. Kein Wunder das jeder einen riesen Bogen um dich macht! Ich weiß nicht, wieso mir ihre Worte von heute Morgen wieder in den Sinn kommen aber… ich werd‘ sie einfach nicht mehr los. Sie verfolgen mich, während ich den Abwasch allein beende. Sie verfolgen mich, als ich die Treppen nach oben gehe und einen kurzen Moment im Flur verharre ohne wirklich zu wissen wieso. Auch dann noch, als ich mein Zimmer betrete, die Tür erneut hinter mir verriegel und mich vor den großen Spiegel stelle. Als ich die Augen für einen Moment schließe, in der Hoffnung es würde helfen den Kopf frei zu bekommen und auch dann noch, als ich sie wieder öffne und die Person im Spiegel betrachte. Eine Gestalt, von der ich weiß, dass sie zu mir gehört. Von der ich weiß, dass sie eigentlich ich ist und für die ich einfach kein Gefühl von Zugehörigkeit aufbringen kann. Es fühlt sich mehr so an… als würde mir eine andere Person gegenüberstehen und meine Bewegungen nachahmen. Sich synchron mit mir bewegen, als hätten wir es eingeübt. Wie eine Show. Eine Show, die ich satt hab‘ und eine Show, von der ich nicht weiß, wie lange ich sie noch spielen kann, von der ich aber genauso wenig weiß, wie ich aus ihr aussteigen kann. Sieh dich an. Kein Wunder das jeder einen riesen Bogen um dich macht! Ich greife an meinen Hinterkopf und löse das Haargummi, lasse die Finger durch meine hüftlangen Haare fahren ehe ich nach dem Saum meines T-Shirts greife und es mir über den Kopf ziehe. Ich betrachte die freigelegte helle Haut, die sich von der dunklen Farbe der Wäsche abhebt, die schmale Taille und die breiten Hüften. Die weiblichen Kurven. Die Hände, die sich von den langen, schwarzen Haaren lösen und langsam den Oberkörper entlangfahren. Ich kann jedes überflüssige Fettpölsterchen unter meinen Fingern fühlen, frage mich, ob es etwas ändern würde, wären sie nicht da. Ob ich mich wohler in meiner Haut fühlen würde. Ob es etwas bringen würde, sie loszuwerden und wenn ja, wie es am schnellsten geht. Frage mich, ob es das ist was Mikasa meinte. Sieh dich an. Kein Wunder das jeder einen riesen Bogen um dich macht! Die Hände wandern weiter, öffnen den Gürtel, den Knopf der Hose und den Reißverschluss, schieben sich unter den Bund und streifen den Stoff langsam von den langen Beinen. Beine, die vielleicht ins Gesamtbild passen, aber da, wo das Gesamtbild an sich aber nicht passt. Das Bild im Spiegel… ist nicht dass, was ich sehen will wobei ich mir nicht einmal sicher bin, was genau ich da eigentlich sehen will. Ich weiß nicht, was mich so unglaublich stört und ich weiß auch nicht, wie ich dieses Gefühl von… von Ekel, Selbsthass und Verachtung, das ich empfinde, wenn ich mich im Spiegel betrachte, endlich loswerden kann denn… diese ständigen Gedanken, diese penetrante Stimme in meinem Hinterkopf… lassen mich langsam verzweifeln. Sieh dich an. Kein Wunder das jeder einen riesen Bogen um dich macht! „Was mach ich hier eigentlich“ murmel ich leise, schüttel kaum merklich den Kopf und fahre mir mit den Fingern durch die Haare. Das Gefühl, wie sie über meine Haut streifen, dieses leichte aber unangenehme Kribbeln auf der Haut… es stört mich. Und auch, als ich die Haare wieder zusammenbinde, kann ich dieses unangenehme Gefühl auf der Haut immer noch spüren. Nein… es ist nicht einfach nur unangenehm… es ist etwas, das ich einfach nicht ertragen kann. Etwas, das ich nicht spüren will, weil es sich falsch anfühlt. Ich drehe der Gestalt im Spiegel den Rücken zu und steuere zielstrebig den Schreibtisch am Fenster an. Der Regen prasselt immer noch unaufhörlich an die Scheibe und die an ihr herablaufenden Tropfen lassen die Welt dahinter beinahe noch trostloser wirken, als sie es ohnehin bereits tut. Ganz im Gegensatz zu dir achte ich auf mein Aussehen. Sieh dich an. Kein Wunder das jeder einen riesen Bogen um dich macht! Ihre Worte sind plötzlich viel präsenter, als sie es sein sollten. Heute Morgen hab‘ ich diese blöde Bemerkung einfach übergangen, hab keinen weiteren Gedanken daran verschwendet und jetzt… fressen mich die Selbstzweifel förmlich auf. Jetzt… ist das Gefühl etwas daran ändern zu müssen beinahe übermächtig und die Versuchung, eine Veränderung zu erzwingen in dem ich etwas an mir ändere, viel zu groß als dass ich es unterdrücken könnte. Nicht, das ich es gewollt hätte… Meine Augen wandern über die aufgeräumte Tischplatte und bleiben schließlich an dem kleinen Becher hängen, der mir als Stifthalter fungiert. An der Schere, die durch ihre Andersartigkeit zwischen den Stiften hervorsticht und förmlich nach Aufmerksamkeit bettelt. Ich greife danach, umschließe sie fest mit der Hand ehe ich zum Spiegel zurückgehe. Ich betrachte den langen Pferdeschwanz, der über meine Schulter fällt und greife schließlich entschlossen danach. Ich weiß, was ich damit riskiere und im Moment ist es mir völlig egal. Es ist mir egal, das mich mein Vater nachher in Grund und Boden schreien wird und es ist mir egal, das ich Mikasa damit einen weiteren Grund liefere, mir einen blöden Spruch nach dem nächsten zu drücken. Ich weiß, dass meine Mutter nicht begeistert davon sein wird. Und es könnte mir nicht egaler sein. Im Moment… kümmert mich nichts davon auch wenn ich weiß, dass ich später anders darüber denken werde. Im Moment… fühlt es sich richtig an. Ich setze die Schere einige Zentimeter hinter dem Haargummi an, das Gesicht im Spiegel schaut mir entschlossen entgegen und nach einem beruhigenden, tiefen Atemzug beginnen die schwarzen Strähnen nach und nach auf den Parkettbogen zu fallen. Und mit jeder Strähne die ich fallen sehe… geht es mir besser. Mit jeder Strähne… fühle ich mich leichter. Befreiter. Wohler. Irgendwie. Und als die letzte der langen Strähnen langsam zu Boden gleitet, schleicht sich sogar ein kleines Lächeln auf meine Lippen. Nicht zufrieden. Nicht unbedingt glücklicher… aber es ist ein Anfang. Meine Hand hebt sich beinahe automatisch, ich löse das Haargummi und schüttel die Haare aus. Immer noch lächelnd. Immer noch mit einem guten Gefühl im Bauch. Ich steige über die Haare am Boden hinweg, hole meinen Kamm und beginne damit, die Spitzen zu schneiden. Kleine, bedachte Schnitte die aus dem unsauberen Schnitt etwas Ansehnlicheres werden lassen. Etwas, das man vielleicht als Frisur bezeichnen könnte. Etwas, das von einem Frisör durchaus zu retten ist. Die längsten Strähnen reichen mir gerade noch bis zu den Wangenknochen als ich die Schere zur Seite lege und mich erneut eingehend im Spiegel betrachte. Gedankenverloren… zumindest, bis mir die am Boden liegenden Haare wieder einfallen und sich unaufhaltbar in den Vordergrund meiner Gedanken drängen, bis ich mich auf daran mache sie soweit zu beseitigen, wie die begrenzten Mittel, die mein Zimmer hergeben, es zulassen. Ich hab‘ nicht vor dieses Zimmer unnötigerweise zu verlassen. Mir graut es davor, mit meinem Vater zu sprechen. Mir graut es davor, die Konsequenzen für mein Verhalten am Vormittag zu tragen, weil ich nicht weiß wie sie aussehen. Ich seufze, ziehe mir frische Sachen aus dem Schrank und schnappe mir anschließend dieses beschissene Drecksteil von Handy vom Schreibtisch. Und – wie nicht anders zu erwarten – werde ich förmlich von neuen Nachrichten erschlagen. Alle von Hanji. Ohne Ausnahme.   Shitty Glasses , 13:41 Ivyyyyyylein komm schon! BIIIIIITTTTEEEEE!   Shitty Glasses , 13:50 Bitte. Bitte. Bitte. Biiiiiitttteeeeeee! Komm schon ich sterbe hier vor Neugier!   Shitty Glasses , 14:03 Das ist so unfair! ._. Ivylein >.< Mama braucht diese Info’s!   Ich, 17:34 Du schwächelst, Shitty Glasses. Nur drei Nachrichten?! ^^ Du wirst ihn schon noch früh genug zu sehen kriegen. So wie unser Prinzesschen an seinem Arsch klebt, würd’s mich nicht mal wundern, wenn sie ihn mit in den „Familienurlaub“ schleifen würde.   Shitty Glasses , 17:35 Vier! Und ich weiß, wann ich abwarten muss ^^ Also? Ist er süß? Ja oder ja?   Ich, 17:36 Du nervst! -.-   Shitty Glasses , 17:36 Aha! Er ist süß! Iiiiiich wusste es! ^0^   Ein kleines Schmunzeln huscht über meine Lippen während ich das Scheißteil kopfschüttelnd zur Seite lege. Ich denke… dass sie mit diesem Thema nicht locker lassen wird. Dass sie mich förmlich über ihn ausquetschen wird. Und ich weiß… dass es mich nicht stören wird ihr von ihm zu erzählen. Von seinem Lächeln und diesen wahnsinnig schönen grünen Augen. Von seiner zuvorkommenden, höflichen und liebenswerten Art. Und…  - fuck was?! Ich hör mich an wie ‘n beschissenes verliebtes Schulmädchen. Gott! Das ist der beschissene Freund meiner beschissenen Schwester! Ich sollte so etwas nicht einmal auch nur im Ansatz denken! - es gibt schlechtere Themen, unangenehmeres und Dinge, die mich mehr aufregen und aufwühlen. Gleichzeitig weiß ich aber auch, dass wir dieses Gespräch nicht so bald führen werden, wie ich es mir eigentlich wünsche. Nicht vor dem Urlaub. Nicht vor diesen endlos langen zwei Wochen am Meer. Zwei Wochen, die für mich alles andere als Urlaub sein werden. Zwei Wochen, in denen ich meine beschissene Schwester nicht loswerde und ich meinen Eltern nicht zum Großteil der Zeit aus dem Weg gehen kann. Zwei Wochen, die für mich stressiger und nervenaufreibender werden, als dieses ganze beschissene Schuljahr. Das laute Trommeln an meiner Tür reißt mich schließlich aus meinen Gedanken. „Das Abendessen ist fertig. Beweg dich, wir warten!“ die Stimme meines Vaters klingt ungeduldiger und genervter als heute Vormittag und irgendwie… will ich dieses Zimmer nicht verlassen. Ich will nicht runtergehen und mich mit ihm an einen Tisch setzen. Ich will ihn nicht reden hören, nicht wettern und schreien. Für heute… will ich einfach nur noch meine Ruhe. Mein Bett und einen traumlosen Schlaf, der mich für ein paar Stunden von den sich ständig drehenden Gedanken befreit. Der mir ein paar Stunden Ruhe gibt, bevor dass alles von vorn beginnt. Bevor ich von vorn damit beginne zu zweifeln. Damit, nach Fehlern die so unoffensichtlich-offensichtlich sind, dass ich sie einfach nicht finde, egal wie genau ich hinsehe. Damit, mich zu fragen ob es irgendwann anders wird. Ob es irgendwann… besser wird. Und dennoch… stehe ich auf und durchquere das Zimmer, entriegel die Tür und trete und den Flur, nehme die Treppe nach unten und steuere das Esszimmer an. Ich weiß, dass es nicht besser wird, wenn ich mich verschanze. Es zögert die Konfrontation nur weiter heraus, gibt ihm mehr Zeit um sich aufzuregen und noch mehr Wut anzuhäufen, die er mir entgegenbringen kann. Hat einen weiteren Grund, mir Vorhaltungen zu machen und entdeckt einen neuen Fehler, den er mir austreiben will. Als ich durch die Türschwelle ins Esszimmer trete verstummen – wie zum Mittag – sämtliche Gespräche am Tisch. Mein Erzeuger sieht mich an, eine Mischung aus Entsetzen und Wut in den Augen. Meine Mutter hat den Mund geöffnet, als wolle sie etwas sagen und Mikasa… sie sieht aus als würde sie sich zusammenreißen. Als würde sie sich auf die Zunge beißen, um jeden blöden Kommentar runter zu schlucken, weil sie vor Eren nicht schlecht dastehen will. „Was… ist denn mit dir passiert? Hast du dir was in die Haare geschmiert was du nicht mehr rauskriegst oder was soll das?“ Wenn ich ehrlich bin, hab‘ ich schlimmeres von Mikasa erwartet. Ihre abgeneigte Haltung ist zwar deutlich herauszuhören… aber es hätte härter kommen können. Der Gesichtsausdruck meines Vaters dagegen, wie er zerknirschter und wütender wird als ich mich dem Tisch nähere und den Stuhl zurückziehe, lässt auf mehr schließen. Auf etwas, das ich lieber nicht hören will. „Was bist du? ‘Ne Lesbe? ‘Ne beschissene Transe? Hätte ich ‘n Sohn gewollt, hätte ich meine Socken angelassen als ich deine Mutter gefickt hab!“ in seiner Stimme schwingt all die Abneigung und all die Wut, die in seinen Augen so offen zu sehen ist, mit. Es ist förmlich greifbar und es ist mehr der Ton, der mich schlucken lässt als die harschen Worte an sich. Der Ton… ist wie ein Schlag ins Gesicht und die Worte, wie ein Tritt in die Magengrube. Es ist nicht so, als hätte ich etwas anderes erwartet… aber diese offensive Feindseligkeit… ich kann damit nicht umgehen. Und wäre da nicht die warme Hand, die kaum merklich meine unter dem Tisch berührt, beinahe so, als wolle sie mir Halt zusprechen, hätte ich augenblicklich und ohne darüber nachzudenken das Esszimmer wieder verlassen. Und es sind die warmen, aufrichtigen und freundlichen Worte, die mich zumindest einen kurzen Augenblick vergessen lassen. Die mein Unwohlsein und meine Wut auf mich selbst, auf das, was ich getan hab und meine Zweifel einfach fortwischen. Die mich stärken und die mich dazu bringen, mich an den Tisch zu setzen. Die mich dazu bringen, trotzig zu lächeln. Die mir Mut machen. „Mir gefällts“ Kapitel 2: III -------------- Es ist ähnlich wie am Mittag. Mein Appetit hält sich in Grenzen, auch wenn ich den ganzen Tag noch nichts gegessen hab. Meine Eltern schweigen sich aus, wechseln das ein oder andere Wort mit meiner beschissenen Schwester oder Eren, während sie mich links liegen lassen. Ich stochere in dem Essen rum, das meine Mutter aufgetischt hat, schiebe es von einer Seite des Tellers auf die Andere und starre einfach auf die Tischplatte. Mir wird bereits von dem Geruch und dem Anblick schlecht, obwohl ich weiß, dass meine Mutter eine unglaublich gute Köchin ist. Ich spüre eine leichte Berührung an meinem Knie, hebe den Blick und schaue in zwei besorgtaussehende grüne Augen. Der Blick ist intensiv, durchdringend und ich hab ein wenig das Gefühl, als würde er bis in die tiefsten Abgründe meiner Seele blicken. Als könnte er nur mit diesem einen einzigen Blick sehen, was vor so vielen anderen verborgen bleibt. Als könnte er all die verwirrenden Gedanken und all die negativen Gefühle sehen, die in meinem Inneren toben. Meine Mundwinkel ziehen sich für einen kurzen Moment nach oben, bevor ich den Blick von ihm abwende und mich dazu zwinge, zumindest den Salat zu Essen, der sich auf meinem Teller befindet. Ich will nicht, dass er sich sorgt. Er ist nicht die richtige Person dafür. Er sollte sich nicht einmischen. Deswegen... lächel ich. Tue so, als wäre alles okay, auch wenn ich mir sicher bin dass, er sieht, dass dem nicht so ist. Aber er schweigt, sagt nichts und zieht die Hand zurück. Belässt es dabei und kommt meiner stummen Bitte einfach nach. Ich bin dankbar dafür, kann auf das Drama, das damit verbunden wäre, getrost verzichte. Ich zwinge mir den Salat rein, auch wenn mir mit jedem Blatt schlechter wird. Ich hoffe, ich sehe Hanji noch bevor wir am Sonntag ans Meer fahren, ansonsten überleb ich die zwei Wochen auf keinem Fall. Ich hab mehr denn je das Bedürfnis mit ihr zu sprechen. Mich auszukotzen. Von ihr aufgeheitert zu werden indem sie einfach da ist und ist, wie sie nun mal ist. In den Arm genommen zu werden. Ich könnte meine beste Freundin im Moment wirklich gut gebrauchen. Ich bin in Gedanken versunken, blende die Gespräche um mich herum aus. Es interessiert mich ohnehin nicht, wer von denen, was zu sagen hat. Es interessiert mich nicht, was sich Mikasa für die Ferien vorgenommen hat. Mich juckt es herzlich wenig, wie viel Stress mein Vater in seinem verfickten Büro hat. Und mir geht am Arsch vorbei, was meine Mutter heute wieder Interessantes in der Glotze gesehen hat. Vielmehr frage ich mich, wie ich die nächsten zwei Wochen überleben soll. Wie ich die sechs Wochen Sommerferien überstehen soll, ohne durchzudrehen. Wie ich die Schule meistern soll, sobald sie wieder losgeht. Ich frage mich, ob es die Situationen sind, die mir zu schaffen machen. Ob es die Situationen sind, für die ich nicht gemacht bin oder ob es vielleicht das Leben ist, was ich nicht meistern kann. Vielleicht ist es ein blöder Gedanke, aber trotzdem ist er da. Schon seit einer ganzen Weile und je öfter ich über all das hier nachdenke, desto mehr schiebt sich dieser widerliche Gedanke in den Vordergrund. Ich will ihn nicht haben, will auch nicht daran glauben. Ich bin mir sicher, dass irgendwann Zeiten kommen, die besser sind als die hier. Und trotzdem kann ich ihn nicht aus meinem Kopf verbannen. Er schleicht sich immer wieder ein, drängt sich nach vorn und penetriert meine ohnehin schon miese Stimme bis sie ins Bodenlose fällt. Die sanfte Berührung an meiner Schulter reißt mich aus meinen Gedanken und lässt mich aufblicken. Mein Blick folgt der warmen Hand, den Arm hinauf und bleibt schließlich auf dem hübschen Gesicht des Freundes meiner Schwester hängen. Ein herzliches Lächeln liegt auf seinen Lippen, die Hand verharrt noch für einen kurzen Moment auf meiner Schulter, bevor er sie zurückzieht und mir stattdessen entgegenhält. Für einen kurzen Moment bin ich ziemlich verwirrt und ich denke er sieht es. Jeder andere hätte wohl darüber geschmunzelt oder hätte mich auf meine Unaufmerksamkeit aufmerksam gemacht. Eren schweigt, wartet, bis es klick gemacht hat und ich seine Hand entgegennehme. „Hat mich wirklich gefreut, Ivy“ verabschiedet er sich, drückt meine Hand und ich bin mir sicher dass er sie – damit es als normaler Händedruck durchgeht - ein wenig zu lang festhält. Vielleicht ist es aber auch bloße Einbildung, weil ich solche Gesten nicht gewohnt bin. Vielleicht ist es reines Wunschdenken. Oder... es ist eben genau das.   Ich höre Friedrich bereits bellen, als ich das Grundstück betrete und als ich die Klingel betätige, ist diese elende Sabberbacke bereits an der Tür und kratzt wie bescheuert am Plastik. Hanji brüllt - vermutlich noch nicht ganz die Treppe unten – bereits nach ihm, damit er Ruhe gibt. Natürlich macht er das nicht. Sie versucht es immer wieder, aber bisher hat sich Friedrich nicht davon abbringen lassen mich gebührend zu begrüßen, wenn ich zu Besuch komme. Ganz zu meinem Leidwesen. Es ist nicht, so dass ich diesen Hund hassen würde, aber dieses ständige Rumgesabber ist einfach ekelhaft. „Friedrich jetzt geh doch mal ein Stück zur Seite“ lacht meine beste Freundin hinter der Haustür, Friedrich geht scheinbar zur Seite, denn das Kratzen hört endlich auf, und kurz darauf öffnet die Brillenschlange mir die Tür. Bevor sie allerdings dazu kommt mich zur Begrüßung zu umarmen, kommt ihr die sabbernde Bordeaux Dogge zuvor, springt an mir hoch und verteilt ihre Sabberfäden nicht nur auf meinem T-Shirt, sondern auch in meinem Gesicht. Das ist so abartig widerlich! „Ich freu mich auch, dich zu sehen, Sabberbacke“ murre ich, streichel dem großen Hund allerdings trotzdem den Kopf, bevor ich ihn bestimmt von mir schiebe. Hanji macht, macht mir den Weg frei und der erste Gang ist, wie immer, die Gästetoilette am Eingang um die Hundesabber wieder loszuwerden. „Du hast dir die Haare geschnitten?“ es ist weniger eine Frage als eine Feststellung, auch wenn es ganz danach klingt. Ich sehe im Spiegel, wie sie im Türrahmen lehnt und mich angrinst. Überbreit. Und ich weiß bereits jetzt, worauf sie wartet. Ich hab mich gestern nicht mehr dazu bereiterklärt ihr mehr von Eren zu erzählen. Hab mich nach diesem katastrophalen Tag ins Bett gelegt und auf den nächsten Tag gewartet. Geschlafen hab ich wie immer zu wenig. Zwei, vielleicht drei Stunden. Den Rest der Nacht hab ich damit zugebracht an diese beschissenen grünen Augen zu denken. An das herzliche Lächeln und die warme Hand. Und verdammte Scheiße! Genau das sollte ich eigentlich nicht tun! Ich weiß ja nicht mal wieso ich es überhaupt tue! „Alsoooooo? Wie ist der neue Freund deiner Schwester?“ Fragt sie gedehnt, grinst immer noch total bescheuert vor sich hin, als ich mich mit dem Handtuch abtrockne. Friedrich sitzt hinter ihr im Flur und wartet geduldig darauf, dass er mit uns nach oben kommen darf. Ich weiß nicht, ob ich mit ihr darüber reden will. Ob ich ihr von Eren erzählen will. Eigentlich nicht. Und davon, dass ich die halbe Nacht nur an ihn gedacht hab, werde ich ihr ganz sicher auch nichts erzählen. Niemals! „Er ist ganz okay“ erwidere ich, nicht bereit, ihr mehr zu erzählen, als unbedingt nötig. Und Gott sei Dank weiß sie, dass sie bei mir auf Granit beißt. Wenn ich nicht reden will, nimmt sie das hin. Meistens zumindest. Auch dann, wenn ihre eigene Neugier sie fast umbringt. „Ganz okay? Das ist alles?“ Fragt sie völlig entgeistert. Schaut mich an, als hätte der Papst fliegen gelernt und damit die Existenz von Gott bewiesen. Ich zucke lediglich die Schultern, schiebe mich an ihr vorbei in den Flur und steuere die Treppe an. Für einen Moment steht sie einfach da, während Friedrich sich bereits an meine Fersen heftet und mir die Stufen nach oben folgt. „Ja. Das ist alles. Scheint ganz nett zu sein“ ist alles, was ich erwidere. Sie löst sich aus ihrer Starre, folgt uns mit eiligen Schritten die Treppe nach oben und betritt kurz nach mir ihr... Zimmer. Wenn man das denn als Zimmer bezeichnen kann. Für mich grenzt es eher an eine Müllhalde. Überall liegt dreckige Wäsche, ihre Regale sind unaufgeräumt und die Teller stapeln sich bereits auf ihrem Schreibtisch. Widerlich. Einfach ekelhaft. Ich lasse mich auf ihr Bett fallen, schiebe die Sachen, die im Weg sind, einfach zur Seite. Friedrich schaut mich an, wartet geduldig darauf, ob er die Erlaubnis bekommt, aufs Bett zu kommen oder nicht. Ein kleines Lächeln huscht über meine Lippen, bevor ich ihm mit einem Kopfnicken zu verstehen gebe, dass ich einverstanden bin. Die Matratze gibt unter dem Gericht des großen Hundes nach, als er darauf steigt. Seinen Kopf legt er auf meinem Schoß ab, stupst leicht mit der Nase an meine Hand, um mir zu sagen, dass er gekrault werden will. Ich ergebe mich seufzend, kraule ihn hinter dem linken Ohr, weil ich weiß, dass er es liebt, genau da gekrault zu werden, und schaue zu Hanji die sich ihren Schreibtischstuhl ans Bett zieht und sich darauf fallen lässt. „Geht er auf unsere Schule?“ „Keine Ahnung. Kann sein. Würdest du bitte aufhören mit damit auf die Eier zu gehen?“ Wir schweigen eine ganze Weile. Ich kraule Friedrich den Kopf, versuche die ständig laufende Sabber zu ignorieren, die meine Hose komplett einsaut. Und Hanji scheint ihren eigenen Gedanken nachzuhängen. Oder sie wartet einfach darauf das ich von allein Anfange zu reden. „Sie schlimm sieht es aus?“ Frage ich leise, denk Blick gesenkt und auf Friedrich gerichtet. Ich weiß nicht wieso ich mich so vor ihrer Antwort fürchte. Vielleicht weil mir die Worte meines Vaters immer noch nicht aus dem Kopf gehen. Vielleicht weil ich Angst davor hab, dass Eren einfach nur nett sein wollte. Meine kraulenden Bewegungen werden langsamer, bis meine Hand gänzlich zum Stillstand kommt. „Was meinst du?“ Hanji klingt verwirrt. Sie scheint nicht direkt zu wissen, wovon ich eigentlich rede und vielleicht sollte ich sie einfach darum bitten, meine Frage wieder zu vergessen. Vielleicht wäre es besser wenn sie... „Deine Haare? Ich find, dir stehen die kurzen Haare gut. Aber... naja... da muss unbedingt nachgeschnitten werden“ als ich den Blick hebe, um ihr ins Gesicht zu sehen, sehe ich nur ihr breites Lächeln und absolute Aufrichtigkeit. Natürlich. Hanji beschönigt nichts. Sie ist ehrlich und genau das schätze ich so an ihr. Ich schätze es, dass ich ehrlich sein kann und ich schätze es beinahe noch mehr, dass sie ehrlich zu mir ist. Dass sie kein Blatt vor den Mund nimmt, nur, weil sie angst hat, sie könnte mich damit verletzen. Es schlimmer machen oder so. „Wieso fragst du? Hat Mikasa ihre übergroße Fresse aufgerissen?“ Sie klingt ein wenig besorgt, ihr breites Lächeln verschwindet und stattdessen ist da dieser forschende Ausdruck in ihrem Gesicht, den sie immer aufsetzt, wenn sie versucht herauszufinden, was in mir vor sich geht. Ich seufze, fahre damit fort, Friedrich hinter dem Ohr zu kraulen, und senke den Blick auf das faltige, hübsche Gesicht der Bordeaux Dogge. Es ist seltsam, wie sehr mich dieser Hund beruhigen kann. Mich erdet. Manchmal wünsche ich mir, ich hätte einen Eigenen, aber diese Frage brauche ich Zuhause erst gar nicht stellen. Mein Vater hasst Hunde. Katzen sind fast noch schlimmer. Ich hatte nie ein Haustier und eigentlich dachte ich immer, ich würde keins brauchen. Aber manchmal... wünsche ich mir einfach jemanden, der da ist. Der immer da ist. Der nicht urteilt, nicht nachfragt. Der einfach Nähe und Geborgenheit spendet, wenn ich sie brauche. So wie Friedrich es tut, wenn ich hier bin. Ich glaube, er spürt einfach wenn es mir schlecht geht. Mehr als Hanji es tut, auch wenn sie mir ansieht, wenn es mir schlecht geht.  Ich will mir die Worte nicht so zu Herzen nehmen und dennoch kann ich nicht verhindern das sie mir immer wieder durch den Kopf gehen. Ich kann nicht verhindern das sie mich verletzen und mich treffen und ich hasse es. Ich hasse es, dass mein Erzeuger so einen Einfluss auf mich hat. Das er es schafft mich mit wenigen Worten zu verunsichern und völlig aus der Bahn zu werfen. Mich nur das Negative sehen zu lassen, obwohl ich mich lieber über das kleine Kompliment von Eren freuen sollte. „Nein. Die war verhältnismäßig ruhig. Aber mein Vater...“ Friedrich hebt den Kopf, stupst damit gegen meine Hand, als wolle er mir Mut machen, die Worte laut auszusprechen. Mich ermutigen, meinem Vorhaben nachzugehen, mich bei ihr darüber auszulassen. „Mein Vater hat dem Ganzen die Krone aufgesetzt, als er mich gefragt hat, ob ich ´ne beschissene Transe sei und sagte das er, wenn er ´n Sohn hätte haben wollen, die Socken angelassen hätte, als er meine Mutter gefickt hat“.  Ich beiße die Zähne fest zusammen, hebe den Blick und begegne ihrem völlig fassungslosem. Wer könnte es ihr verübeln? Wer könnte irgendwem verübeln genau so zu reagieren? Ich würde vermutlich ähnlich aussehen, wenn man mir davon erzählen würde, bevor ich völlig ausflippen würde. Wenn ich es überhaupt glauben könnte. Wenn meine familiäre Situation anders wäre, wenn ich eine Familie hätte wie Hanjis, dann könnte ich vermutlich nicht glauben das es Väter gibt die so mit ihren Töchtern sprechen. Ich könnte vermutlich nicht glauben, dass es Eltern gibt, die ihre Kinder völlig gegensätzlich behandeln.  „Das ist nicht dein Ernst?!“ Keine Ahnung ob ich Hanji je so... fassungslos gesehen hab. So aufgebracht. So wütend. So aufgewühlt und unruhig. So ungläubig. Und ich weiß wirklich nicht damit umzugehen. Ich weiß nicht wie ich damit umgehen soll, dass meine sonst so quirlige Freundin mit einem Schlag so ruhig und ernst ist. Natürlich hat sie ihre ersten Momente... aber dieser Ausdruck, den sie gerade in den Augen hat, der ist völlig neu für mich. Sie sieht aus, als würde sie meinen Erzeuger in Stücke reißen wollen. Nein. Ich denke das ihr die schlimmsten Foltermetoden durch den Kopf gehen. Ich zucke mit den Schultern. Was hätte ich darauf antworten sollen? Wie hätte ich reagieren sollen? Ich hab keine Ahnung. Ich glaube nicht, dass ich etwas hätte sagen können, dass sie wieder runterkommen lässt. Ihr Gesichtsausdruck ändert sich und mich beschleicht die Befürchtung, dass sie eine Idee hat. Und ich weiß noch nicht, was ich davon halten soll. Sie steht etwas zu schwungvoll auf, der Schreibtischstuhl rollt nach hinten und fällt laut scheppernd um. Friedrich sieht das wohl als sein Zeichen aufzuspringen und auch ich weiß, dass sie wohl nicht vor hat den Rest der Zeit hier im Zimmer zu hocken. Sie umfasst mein Handgelenk, zerrt mich auf die Beine und hinter sich her die Treppe nach unten. Friedrich trottet hinter und her, wartet ab, ob Hanji nach seiner Leine greift oder nicht und verschwindet, als er sieht, dass er wohl hierbleiben muss. Wir verlassen das Haus, laufen die Straße entlang und bleiben an der Bushaltestelle in der Nähe stehen. Die Busanbindung hier ist super, generell kommt man hier gut hin und her, aber ich vermeide die Öffentlichen normalerweise. Ich finde den Gedanken an die vielen fremden Menschen, die Bakterien und den ganzen Dreck ekelerregend. Mein Vater nimmt uns morgens mit, wenn er zur Kanzlei fährt und nimmt uns mittags wieder mit zurück, wenn er Pause macht oder Feierabend hat. Ich vermeide es so gut es geht. Sie schweigt, genauso wie ich während wir auf den Bus warten, der alle halbe Stunde hier hält, und uns in die Stadt bringt. „Was hast du vor?“ Frage ich nach einer Weile, weil ich das Schweigen nicht mehr ertrage. Außerdem bin ich neugierig, will wissen, was in ihrem irren Hirn vor sich geht. „Wir zeigen dem Arsch einfach das ein Mädchen auch mit kurzen Haaren schön sein kann“. Ihre Worte heitern mich nicht so sehr auf wie sie vielleicht sollten. Es ist eine liebe Geste, es ist ein netter Versuch. Aber leider ist es nicht mehr als das. Es baut nicht auf. Es hilft nicht. Es macht es auch nicht erträglicher. Ich weiß nicht einmal genau woran es liegt, aber ihre Worte sorgen dafür, dass ich mich schlagartig noch beschissener fühle. Vielleicht ist es ihre Wortwahl, vielleicht aber auch einfach die Angst das die Reaktion Zuhause noch schlimmer ausfällt. Keine Ahnung.   Ich betrachte mich im Spiegel, schiebe den Arm unter dem Frisörumhang hervor und fahre mit den Fingern durch den frisch ausrasierten Teil im Nacken. Die kurzen, feinen Haare sind weich und ich kann das erste Mal seit einer ganzen Weile behaupten, dass ich mich mit meiner Frisur wirklich wohl fühle. Es fühlt sich richtig an und ich gucke gern in den Spiegel. Mir gefällt der Undercut, die längeren Strähnen des oberen Teils die mir locker ins Gesicht fallen. Der Mittelscheitel, der meinem Gesicht irgendwie schmeichelt und es kantiger wirken lässt. Weniger kindlich. Weniger... feminin. Der junge Mann löst den Kragen des Umhangs und nimmt ihn ab. Ich sehe im Spiegel, dass er lächelt und ich glaube, dass er genau sieht, dass ich zufrieden bin. Das ich gerade in diesem Moment wirklich glücklich bin. „Dankeschön“ murmel ich geistesabwesend, muss mich wirklich dazu zwingen den Blick vom Spiegel abzuwenden und aufzustehen. Ich hätte ewig damit weiter machen können. Es klingt merkwürdig, selbst für mich, aber ich bin das erste Mal seit einer Ewigkeit zufrieden, wenn ich mich ansehe. Ich folge ihm in den vorderen Bereich des Ladens, wo Hanji bereits sehnsüchtig auf mich wartet. Ihr Blick klebt förmlich an mir, verfolgt mich bis zum Tresen. Sie steht von ihrem Stuhl im Wartebereich auf, tritt an meine Seite und strahlt mich regelrecht an. „Du siehst toll aus“ quietscht sie aufgeregt, hippelt neben mir rum während ich den Mann für seine Arbeit bezahle. Ich bin ihr dankbar und es geht mir gut. Wesentlich besser als heute Morgen. Wesentlich besser als in den letzten Tagen und Wochen. Ich kann Lächeln und es ist nicht aufgesetzt. Es fühlt sich richtig an. Ich... fühle mich richtig an. Kapitel 3: IV ------------- Wir sind jetzt schon seit knapp einer Woche an der Südküste von Frankreich und jeder beschäftigt sich mit sich selbst. Es kotzt mich an. Mich kotzt das alles hier an. Die brütende Hitze, die viel zu warmen Nächte, der damit verbundene schlechte Schlaf und die Tatsache, dass ich - obwohl ich eigentlich meine Ruhe hab – eben doch keine Ruhe hab. Meine Gedanken machen es mir unmöglich abzuschalten. Ich fühle mich unwohl. Unwohler als je zuvor. Woran genau es liegt weiß ich nicht. Vielleicht sind es Mikasas abwertende Blicke, die kritischen meines Erzeugers oder die, die ich von meiner Mutter gar nicht erst bekomme. Sie weicht mir regelrecht aus. Geht mir aus dem Weg. Keine Ahnung was ich ihr getan hab. Ob ich wirklich so eine Enttäuschung für sie bin, dass sie mir nicht mal mehr ins Gesicht sehen kann. Ich hasse es. Ich hasse es, unwissend zu sein. Nicht zu wissen, was ich getan hab, dass ich diese Ablehnung verdiene. Ich sitze auf meinem Handtuch am Strand von Bonifacio und sehe meiner beschissenen Schwester und ihrem beschissenen Freund dabei zu wie sie sich den beschissenen Volleyball zuspielen. Meine Laune ist schon seit Tagen im Keller. Kaum haben wir Eren ins Auto geladen – ja, meine Eltern waren so gütig ihn Zuhause abzuholen – ist meine Laune ins Bodenlose gefallen. Wieso? Keine Ahnung. Und bis heute hat sich daran nichts geändert. Meine Eltern sind in der Stadt unterwegs. Vermutlich klappern die beiden eine Boutique nach der anderen ab oder sitzen in einem von den teuren französischen Restaurants und lassen sich mit gutem Wein zulaufen. Mir geht das alles hier so gehörig gegen den Strich. Für mich war der Gedanke mir ein Zimmer mit Mikasa zu teilen schon schlimm genug. Das wir nun einen weiteren Bewohner in unserem Zimmer haben und ich die beiden ständig miteinander tuscheln höre, höre wie meine Schwester ihn vollsülzt oder wie sie am Rummachen sind, macht das Ganze nur noch unerträglicher. Ich war nie scharf darauf Details aus ihrer Beziehung zu erfahren und ich denke, ich kann mich glücklich schätzen, dass die beiden es nicht treiben während ich wenige Meter entfernt versuche zu schlafen. Der Volleyball landet dumpf im Sand, wenige Zentimeter von unserem Platz entfernt. Ich sehe, wie Eren auf mich zu kommt, schlage das Skizzenbuch auf meinen Beinen zu und lege es neben mich auf das Handtuch. Ich will nicht, dass jemand meine Zeichnungen sieht. Das ist etwas, dass ich ganz allein für mich tue. Nicht mal Hanji bekommt sie zu sehen. Und eigentlich will ich, dass das so bleibt. „Willst du nicht mitspielen?“ Fragt er, den Ball unter den Arm geklemmt. Sein gebräunter, trainierter Oberkörper glänzt in der Sonne vom Schweiß und ich kann einfach nicht anders als ihn anzusehen. Einzelne Strähnen kleben ihm in der feuchten Stirn und meine Augen verfolgen wie gebannt diesen einen Schweißtropfen, der sich über seine Schläfe seinen Hals herab schlängelt. Ich weiß, ich sollte so nicht denken. Immerhin ist er der feste Freund meiner älteren Schwester... aber verdammte Scheiße! Dieser Kerl... ist einfach perfekt. „Eren kommst du?“ Ruft meine Schwester ungeduldig nach ihm. Sie versucht schon die ganze Zeit zu vermeiden, dass wir länger als nötig miteinander sprechen. Keine Ahnung ob sie sich sorgen macht, er könnte das Interesse an ihr verlieren. Irgendwann... wird das ganz ohne mein Zutun passieren. Wenn er intelligent ist – und davon gehe ich aus – wird er bald merken, was für eine Person meine Schwester ist. Wenn er merkt, dass sie eigentlich eine arrogante, eitle Bitch ist, wird er sich schneller von ihr abwenden, als ihr lieb ist. „Nein“ ist meine knappe Antwort auf seine Frage. Ich lasse mich auf den Rücken sinken, schließe die Augen und verfluche die Tatsache, nicht in der Ferienwohnung geblieben zu sein. Keine Ahnung wieso ich mit zum Strand gekommen bin. Vielleicht weil Eren mich sonst – wie die Tage davor – damit genervt hätte, bis ich letztendlich doch einknicke, damit ich meine Ruhe bekomme. Und ein Tag am Strand ist mir immer noch lieber als den Tag mit meinen Eltern in der Stadt zu verbringen. Ich bin froh, wenn ich sie nicht länger sehen muss, als nötig. Seit meinem Frisörbesuch mit Hanji ist mein Vater noch schlechter auf mich zu sprechen und meine Mutter... schaut mir seitdem nicht mehr in die Augen. Bin ich wirklich so eine arge Enttäuschung, dass ich es jetzt nicht einmal mehr Wert bin, dass man mir in die Augen sieht? Der Schatten über mir verschwindet und die Sonne knallt mir ins Gesicht. Ich hasse es. Es ist zu warm und der Strand zu voll. Ich will nicht ins Wasser, obwohl es Abkühlung versprechen würde. Ich will mein weites T-Shirt und die Shorts nicht ausziehen, obwohl es dann vielleicht zumindest ein wenig kühler wäre. Ich fühle mich unwohl, ohne dass ich genau sagen kann, woran es liegt. Normalerweise mag ich das Meer. Das seichte Rauschen der Wellen, die salzige Luft. Ich mag die Wärme, die Sonne. Ich liebe den Plage du Petit Spérone. Den weißen Sandstrand, das klare blaue Wasser des Mittelmeers. Ich liebe Südfrankreich, die Sprache. Die Kultur, die Architektur. Das Essen. Aber dieses Jahr kann ich mich über all das irgendwie nicht freuen. Ich kann nichts davon genießen und ich weiß das es weder an meiner Familie noch an Eren liegt. Das vielmehr ich selbst daran schuld bin, dass ich mir selbst im Weg stehe und ich kann einfach beim besten Willen nicht sagen was genau es ist. Ich will es abstellen, will die letzte Woche hier genießen. Ich schaffe es aber einfach nicht. Ich schaffe es nicht mich wohler in meiner Haut zu fühlen und ich glaube, das ist es, was ich im Moment am meisten an diesem Urlaub hasse. Es dauert eine Weile bis die beiden zu unserem Platz zurück kommen. Mikasa hat ihren Kopf auf seinem Schoß liegen und genießt die Sonne, die ihr ins Gesicht scheint, während Eren ihr durch die Haare streicht. Ich hasse sie. Und ich hasse mich, weil ich sie darum beneide. Ich hasse mich, weil ich mir wünsche, ich hätte jemanden, der das gleiche bei mir macht. Ich beiße die Zähne fest zusammen, schnappe mir mein Skizzenbuch und beginne erneut darin zu zeichnen, während ich die beiden beobachte. Ich fühle mich schlecht, weil ich sie darum beneide. Ich fühle mich schlecht, weil ich ihn attraktiv finde. Und ich hasse es, dass ich nicht aufhören kann an ihn zu denken. Dass ich nicht aufhören kann ihn anzusehen. Dass ich ihn gern reden höre. Dass ich gern in seiner Nähe bin. Ich hasse es, dass ich mich bei ihm wohl fühle und genauso hasse ich es, dass er sich für mich einsetzt, wenn mein Vater gegen mich schießt. Ich hasse es, dass er nett zu mir ist, weil ich nicht anders kann, als ihn gern zu haben. Weil ich glaube, dass ich ihn mehr mögen könnte, als ich vielleicht sollte. Die Zeit vergeht langsam, aber sie vergeht. Der Strand wird leerer, die Geräuschkulisse leiser und das Meer dafür umso lauter. Meine Gedanken drehen sich weiter, bleiben immer wieder bei Eren hängen und ich ertappe mich immer wieder dabei wie ich ihn ansehe. Wie ich ihn beobachte, sein Gesicht ansehe. Ich erwische mich dabei, dass ich mir wünsche, dass er mich ansieht und mich für einen Moment in diese unglaublich schönen Augen schauen lässt. Mikasa ist viel zu sehr mit ihm beschäftigt um etwas davon mitzubekommen und falls sie es doch mitbekommt, versteckt sie es gut. Es ist früher Abend, als wir unsere Sachen zusammenpacken und gemeinsam zur Ferienwohnung zurückgehen. Die zwei gehen Hand in Hand vor mir, sind miteinander beschäftigt und für einen Moment frage ich mich, ob sie bemerken würden, wenn ich einfach umdrehe und zurückgehe. Ich weiß, dass wir heute Abend zusammen essengehen werden. Ich weiß, dass es ein edles Restaurant sein wird – so wie immer – und ich weiß ebenso, dass ich mich in eins meiner Sommerkleider zwängen muss. Ich hasse sie. Jedes Einzelne davon. Meine Eltern sind noch nicht da als wir in der Ferienwohnung ankommen. Wir stellen die sandigen Sachen im Flur ab, ich hänge die nassen Sachen der beiden auf, während Mikasa Eren den Vortritt ins Bad überlässt. Sie beobachtet mich dabei, ihr Blick bohrt sich dabei in meinen Rücken und ich frage mich, was sie mir sagen will. „Spuck’s aus oder verpiss dich, Mikasa“ teile ich ihr unbeeindruckt mit, hänge das letzte Handtuch über die Wäscheleine auf dem Balkon und drehe mich anschließend zu ihr um. Sie ist wütend. Wieso auch immer. Es interessiert mich nicht, selbst dann wenn es um Eren gehen sollte. Seitdem sie ihn mit nach Hause gebracht hat, dreht sich alles nur noch um ihn. Ihre ganze Welt scheint nur noch aus ihm zu bestehen und langsam geht sie mir damit tierisch auf die Nerven. „Ich will das du uns in Ruhe lässt. Beschäftige dich irgendwie allein. Geh mit Mama und Papa in die Stadt. Ist mir scheißegal. Aber lass uns in Ruhe!“ Zischt sie wütend, verschränkt demonstrativ die Arme vor der Brust und erdolcht mich quasi mit ihren Blicken. Nicht, dass es mich kümmern würde. Nicht, dass ich Angst vor ihr hätte. Ich bin dieses Thema nur einfach leid. Ich hab es mir nicht ausgesucht. Hab mich nicht aufgezwungen. Und sie tut beinahe so, als würde ich an ihrem Rockzipfel hängen. Ich bin nicht scharf darauf meinen Urlaub mit ihr zu verbringen. Ich war nie scharf darauf mehr Zeit mit ihr zu verbringen als unbedingt nötig. „Wie oft hatten wir das jetzt schon, Mikasa?“ Frage ich seufzend, schiebe mich an ihr vorbei in die kühle Wohnung und steuere unser Nachtquartier an. Ich will mir Sachen holen, damit ich nach Eren ins Badezimmer kann. Ich fühle mich ekelhaft. Geschwitzt und voller Sand. Außerdem wissen wir alle, dass Mikasa von uns definitiv am längsten braucht. „Dann halt dich gefälligst dran“ sie läuft mir hinterher, ihr Blick bohrt sich weiterhin in meinen Rücken und mir geht das alles gerade schon wieder tierisch gegen den Strich. Wir diskutieren mittlerweile jeden Abend darüber während Eren unter der Dusche steht und wir kommen immer wieder zum gleichen Ergebnis. Ich sage ihr, dass sie dafür sorgen soll, dass er aufhört mich zu nerven und ich gehe dafür meine eigenen Wege. Damit hätte jeder von uns das, was er will. Aber so wie es aussieht, kann oder will sie sich gegen ihn einfach nicht durchsetzen. Nicht mein Problem. Wir hören die Tür vom Badezimmer und verstummen. Eren betritt das Schlafzimmer, schenkt mir ein kleines Lächeln ehe er sich auf ihr Bett setzt und in seiner Tasche nach frischen Sachen wühlt. Ich frage mich immer noch, wieso er sich nicht einfach im Badezimmer anziehen kann. Wieso er das hier machen muss. Vielleicht nutzen die zwei aber auch die zwanzig Minuten, die sie allein sind, wenn ich im Bad bin. Wer weiß. Interessiert mich aber auch nicht was die beiden treiben. Ich nehme mir meine Sachen, schiebe mich an Mikasa vorbei und verschwinde im Badezimmer. Der Spiegel ist leicht beschlagen, die Dusche noch nass und der Boden ist vollgetropft. „Tch“ schnalze ich abfällig mit der Zunge, während ich mich frage, was daran so schwierig ist, ein Handtuch auf den Boden zu legen oder zumindest die Wassertropfen aufzuwischen, wenn man fertig ist. Es ist nur eine Belanglosigkeit, aber sie sorgt dafür wieder auf den Boden der Tatsachen zurückzukommen. Eren ist nicht perfekt. Und diese Erkenntnis macht es einfacher ihn für einen Moment aus meinen Gedanken zu verbannen. Ich schäle mich aus meinen Klamotten, trete unter die Dusche und stelle das Wasser an. Ich genieße das warme Wasser auf meiner Haut, schließe die Augen und lege den Kopf in den Nacken. Mit jeder Sekunde, die vergeht, fühle ich mich besser. Sauberer. Wohler. Es fällt mir leichter, die Gedanken abzustellen. Nicht an ihn zu denken. An nichts zu denken. Aber ich weiß, dass mich die Realität einholt, sobald ich die Augen öffne. Sobald ich in den Spiegel schaue sind all die Gedanken wieder da. Die angenehme Ruhe wird schneller vorbei sein, als mir lieb ist. Ich hebe den Kopf, öffne die Augen und blicke an mir hinab. Ich hasse diesen Anblick. Ich hasse meine Brüste, meine Taille und meine breiten Hüften. Ich hasse meine weiblichen Kurven. Ich hasse mich. Meine Augen brennen, meine Brust fühlt sich enger an und mir fällt das Atmen schwerer. Ich hasse es. Ich hasse mich. Ich hasse meinen Körper. Ich hasse meine Sensibilität.  Ich hasse meine Empfindungen. Ich hasse mein Selbstbild. Ich hasse meine Schwäche.  Ich hasse mein Schluchzen.  Ich hasse es zu weinen. Ich hasse es, dass ich nicht aufhören kann. Ich lehne mich an die kalten Fliesen, lasse mich langsam daran auf den Boden rutschen und ziehe die Knie an, schlinge die Arme darum und lege meinen Kopf auf ihnen ab. Ich will nicht weinen. Will nicht zweifeln. Ich will nicht so empfinden. Ich will nicht in den Spiegel sehen und mir wünschen, ich wäre jemand anderes. Ich will nicht an mir zweifeln. Mich nicht selbst verabscheuen. Ich will mir nicht wünschen dieses Spiegelbild nie wieder sehen zu müssen. Ich will nicht das Bedürfnis haben, es gewaltsam zu verändern, in der Hoffnung, es würde danach besser werden. Ich will zufrieden sein, wenn ich mich ansehe. Ich will stolz darauf sein, wer ich bin. Ich will mich nicht selbst so sehr verabscheuen, dass immer wieder darum kämpfen muss diesem selbstzerstörerischen Impuls nicht nachzugeben.  Ich will mich nicht ständig fragen, was mit mir nicht stimmt. Kapitel 4: V ------------ Ich brachte mich im Spiegel, lasse die Hände über den dünnen Stoff des bodenlangen Sommerkleides gleiten und schlucke. Es sieht falsch an mir aus. Passt einfach nicht zu dem, was ich im Spiegel sehe. Ich sehe kein Mädchen, keine Frau. Auch nichts dazwischen. Keine Ahnung, was ich sehe geschweige denn wie ich es benennen soll. Das was ich sehe... bin einfach nicht ich. Das ist alles, was ich weiß. Das laute Klopfen an der Tür reißt mich aus meinen Gedanken, lässt mich den Blick endlich vom Spiegel abwenden und ihm den Rücken zukehren.  Ich denke, ich hab länger gebraucht als gewohnt. Es hat eine gefühlte Ewigkeit gedauert bis ich mich beruhigt hab, noch länger bis ich mich dazu aufraffen konnte endlich aus der Dusche zu steigen und es war eine Qual für mich, mich in dieses gottverdammte Kleid zu zwängen, das meine Mutter so sehr an mir liebt. Sie hat es mir vor zwei Jahren gekauft. Hier in Südfrankreich und hat stolz ausgesehen, als sie mich das erste mal darin gesehen hat. Das ist der einzige Grund, wieso ich mich in dieses Kleid zwänge, obwohl ich es hasse. Ich weiß nicht mal mehr, ob ich dieses Kleid je mochte. Kann nicht sagen, ob ich jemals ein Kleid an mir mochte. Ich kann mich nicht daran erinnern, mich jemals wohl in sowas gefühlt zu haben. Ich seufze, entriegel die Tür und Mikasa stürzt mir förmlich entgegen. Ihre Sachen schmeißt sie unachtsam auf die kleine Kommode, während sie eilig damit beginnt sich aus ihren Sachen vom Strand zu pellen. Sie flucht und schimpft, aber sie sieht mich nicht an. Sie beachtet mich nicht weiter. Vermutlich ist es besser so. Ich bin mir sicher, dass sie gesehen hätte, dass ich geweint hab. Und ich könnte wetten, sie hätte mich damit aufgezogen. Darauf rumgeritten. Gemeint, ich sei selbst schuld. Irgendwie sowas. Ich verlasse das Bad, ziehe die Tür hinter mir zu und bemerke das meine Eltern zurück sind. Meine Mutter sitzt mit ihren Einkäufen auf der großen Sofalandschaft im Wohnzimmer und legt sie ordentlich zusammen, während mein Vater mit Eren auf dem Balkon steht, eine Zigarette in der Hand, sich angeregt mit ihm unterhaltend.  Ich weiß nicht ob ich die Chance nutzen soll mit meiner Mutter zu reden, sie zu fragen, was sie für ein Problem mit mir hat. Ich will es wissen. Diese Unwissenheit macht mich krank und dennoch fürchte ich mich gleichermaßen vor ihrer Antwort.  Was ist, wenn ich sie gar nicht hören will? „Hattet ihr Spaß am Strand?“ Fragt sie, ohne mich dabei anzusehen. Ich lasse mich auf dem Sessel nieder, den sonst mein Vater in Anspruch nimmt, und frage mich, wieso sie sich plötzlich dafür interessiert. Ob es ihr leidtut, dass sie mich die letzten Tage völlig ignoriert hat ohne, dass ich je einen Grund dafür erfahren hätte oder ob es einfach ist, um die lästige Stille aus dem Raum zu verbannen. „Mhm“ mache ich nur, stütze die Ellbogen auf die Knie und vergrabe das Gesicht in meinen Handflächen. Mir geht es nicht gut, ich kann nicht mal genau sagen woran es liegt. Ob es an mir liegt, oder an der Tatsache wie ich diesen Abend verbringen werde.  Ich will den Abend nicht mit meiner Familie in diesem beschissenen Restaurant verbringen. Ich will dieses gottverdammte Kleid nicht tragen. Ich will kein Bild einer Vorzeigetochter mimen, wenn doch alle genau wissen, dass dem nicht so ist. Ich will kein Bild einer intakten Familie profilieren, weil es offensichtlich ist, dass wir das nicht sind.  Wären wir es, würden wir die Tage als Familie zusammen verbringen. Ich würde meine Schwester nicht hassen, würde sie nicht darum beneiden, dass sie die komplette Aufmerksamkeit bekommt, weil ich die gleiche Aufmerksamkeit bekommen würde. Ich würde sie nicht um ihren Freund beneiden, würde mich sogar für sie freuen. Ich würde mich bei Eren nicht so viel wohler fühlen als bei meiner Familie, würde mich vielleicht gar nicht wirklich für ihn interessieren.  Wären wir eine intakte Familie, wäre es egal dass ich nicht so hübsch und so schlau bin wie Mikasa. Sie würden mir die gleiche Liebe entgegenbringen, die sie für Mikasa haben und wir würden öfter Zeit miteinander verbringen.  Wären wir eine intakte Familie, würde ich nicht ständig vor ihnen flüchten wollen. Würde mich nicht ständig schlecht fühlen und hätte vielleicht ab und an das Gefühl das ich so gut bin, wie ich bin. Sie würden akzeptieren, dass ich anders als Mikasa bin und sie würden meine Talente fördern.  Aber wir sind keine intakte Familie, es ist einfach eine Scharade, die wir spielen, sobald wir die Ferienwohnung verlassen. Sobald wir in die Öffentlichkeit treten, sind wir das, was wir nicht sind.  Schauspieler. Selbst hier in der Ferienwohnung, auch wenn die selbst auferlegte Maske langsam aber sicher bröckelt. Immer mehr. Und ich bin mir sicher, dass es nicht mehr lang dauert, bis sie völlig in sich zusammenfällt und alle ihr hässliches Gesicht zeigen. „Das ist schön“ erwidert sie, scheinbar immer noch mit ihren Klamotten beschäftigt. Sie würde bemerken, dass der Tag alles andere als spaßig für mich gewesen ist, wenn sie mir ins Gesicht sehen würde. Sie würde sehen, dass es mir schlecht geht. Sie würde sehen, dass ich eine Umarmung brauchen könnte. Das ein oder andere liebevolle Wort. Ich brauch mir da absolut nichts vormachen. Die werde ich nicht bekommen. Weder die liebevollen Worte, die ich mir wünsche, noch die Umarmung, die ich so bitter nötig hätte. Ich kann mich nicht daran erinnern, wann meine Mutter mich das letzte Mal liebevoll in den Arm genommen hat. Wann ich das letzte mal liebevolle Worte von ihr gehört hab. Ob es je liebevolle Gesten gab. Ich kann lediglich mit Gewissheit sagen, dass mein Vater mir gegenüber nie liebevoll gewesen ist. Er war immer streng, hatte immer zu hohe Erwartungen, denen ich einfach nicht gerecht werden kann. Ich strenge mich an, will es ihm recht machen, aber es ist trotzdem nie gut genug. Und ich bin mir sicher, dass es egal ist, was ich erreiche. Es wird ihm nie gut genug sein. Ich werde ihm nie genug sein. Es sind die zwei Hände, die sich auf meine Schultern legen, die mich aus diesem Sumpf aus schlechten Gedanken ziehen. Es ist der sanfte Druck, der mich realisieren lässt, dass ich mich viel zu sehr diesen Gedanken hingebe, die ich eigentlich verbannen sollte. Die ich gar nicht erst haben sollte. Jedenfalls nicht hier. Nicht jetzt. Ich seufze tonlos, drehe den Kopf und schaue direkt in zwei grün-blaue, durchdringende Augen. Wenn er mir so intensiv in die Augen sieht, bekomme ich immer wieder das Gefühl, dass er in der Lage ist mir bis auf den Grund meiner Seele zu blicken. Zu sehen, was sonst keiner sieht. Dinge, von denen ich selbst vielleicht gar nicht weiß, dass sie überhaupt da sind. Schwachsinn, ich weiß. Aber... „Ist alles okay?“ Fragt er, klingt aufrichtig besorgt. Natürlich. Es ist Eren. Eren, der perfekte Freund meiner perfekten älteren Schwester. Eren, der Einzige in dieser verfickten Ferienwohnung, der sich überhaupt für mich interessiert, der sich überhaupt um mich kümmert. Der Einzige, der sich sorgen macht, wenn ich mal wieder das Essen stehen lasse. Der einzige, der mich bittet, mit an den Strand zu kommen, weil er nicht will, dass ich den Tag allein in unserem Zimmer verbringe. Eren, an den ich viel zu oft denken muss, eben weil er all das tut, obwohl es ihn überhaupt nicht zu interessieren braucht. Nein. Es ist überhaupt nichts okay. „Alles bestens.“  Ich lüge, weil ich nicht weiß, was ich ihm sagen soll, wenn er nach dem Grund fragt. Ich wüsste nicht, was ich ihm erzählen soll. Er würde mich nicht verstehen. Ich verstehe mich ja nicht einmal selbst.  Wie kann ich also von irgendjemandem erwarten, dass er mir helfen kann, wenn ich doch selbst nicht weiß, was ich ändern muss, damit es endlich besser wird. Ich weiß, dass er weiß, dass ich nicht die Wahrheit sage. Ich bin ein furchtbar schlechter Lügner. Ich hasse es zu lügen, hasse es angelogen zu werden, aber ich denke, es ist besser, wenn ich es tue, auch, wenn es offensichtlich ist. Es ist besser für mich. Für ihn. Und für alle anderen.  Für jetzt... ist es nur wichtig diesen Abend hinter mich zu bringen. Mein Vater tritt durch die gläserne Balkontür in den Wohnbereich und schließt sie, sperrt damit die brütende Hitze des Sommers aus. Die Hände auf meinen Schultern verschwinden, wenn auch zögerlich und ich höre, wie Eren sich von mir entfernt und die Schlafräume ansteuert. Ich höre die gedämpfte Stimme meiner Schwester, verstehe aber nicht genau was sie sagt. Ich nehme an, dass sie flucht, weil wir losmüssen, sie aber noch nicht fertig ist. Wenn sie nicht so ´ne eingebildete, arrogante Bitch wäre, würde ihr das nichts ausmachen. Meine Mutter schweigt, genau wie mein Vater und die Stille, die sich im Raum zwischen uns ausbreitet, ist angespannt und drückend, aber keiner von uns durchbricht sie mit irgendwelchen sinnlosen Floskeln, die ohnehin ohne jegliche Bedeutung wären.  Sie sprechen weder miteinander, noch mit mir. Meine Mutter ist weiterhin mit ihren Klamotten beschäftigt und mein Vater sieht ihr einfach schweigend dabei zu. Er sieht mich nicht an, das tut er schon seit Tagen nicht, selbst dann nicht, wenn er mit mir spricht. Als Eren mit meiner beschissenen Schwester den Raum betritt, herrscht plötzlich Aufbruchstimmung. Meine Mutter lässt von ihrem Tun ab, lässt alles einfach liegen und kommt auf die Beine, während mein Vater sich etwas mehr Zeit damit lässt. Mein Geist sträubt sich immer noch dagegen, diesen Abend anzustreben, während mein Körper bereits dabei ist einfach zu funktionieren. Ich stehe auf, gehe an meiner Schwester und ihrem perfekten Sunnyboy vorbei und schnappe mir meine Schuhe. Sandalen, weiß mit gold, passend zu diesem beschissenen weißen Kleid. Ich hasse es. Ich habs von der ersten Sekunde an gehasst. Das Kleid, die Schuhe. Ich meide den Spiegel, will dieses Elend nicht sehen. Wir verlassen die Wohnung. Meine Eltern bilden die Spitze, Mikasa und Eren – händchenhaltend – zwischen ihnen und mir und ich kann nicht anders als ständig auf ihre Hände zu starren und mir zu wünschen, dass es meine Hand ist, die er hält. Es ist unfair von mir. Ich weiß das. Trotzdem sind diese Gedanken da und ich kann sie einfach nicht abschalten. Nicht eine verfickte Sekunde lang. Die Straßen sind belebt und als wir die Innenstadt erreichen wird es immer schwerer ihnen zu folgen ohne sie aus den Augen zu verlieren. Es wäre einfach, langsamer zu werden, sie aus den Augen zu verlieren und einfach mit der Masse zu verschwinden. Ich könnte sagen, ich hätte mich nicht mehr an den Weg erinnert und hätte mich verlaufen, bevor ich zur Ferienwohnung zurückgekehrt bin.  Es würde den Abend für mich leichter machen, gleichzeitig weiß ich, dass ich damit alles nur noch viel schlimmer machen würde. „Ivy!“ Brüllt mein Vater, als ich zurückfalle, nicht sicher ob ich meinen Notfallplan in die Tat umsetzen soll oder nicht. Ich beschleunige meine Schritte, um aufzuholen, schlängel mich eilig zwischen den Passanten hindurch und werde erst langsamer, als ich wieder dicht bei ihnen bin. Wir brauchen etwa eine Viertelstunde bis wir am Restaurant ankommen. Die Terrasse ist bereits gut gefüllt, alle sind elegant gekleidet und ich komme mir zwischen all diesen Menschen so unglaublich deplatziert vor, dass ich mir wünsche, ich hätte nicht auf die Stimme meines Verstandes gehört. Ich hätte einfach verschwinden sollen. Still und heimlich. Mein Erzeuger spricht mit einem der Kellner, sein Französisch ist grottig, aber trotzdem schafft er es, dem Kerl begreiflich zu machen, dass wir einen Tisch reserviert haben. Der Kerl im Anzug schlängelt sich zwischen den vollen Tischen hindurch, bringt uns an einen der wenigen leeren Tische und zündet die Kerze auf dem Tisch an, obwohl die Sonne noch braucht, bis sie untergeht. „Merci beaucoup“ bedankt sich dieses untalentierte Stück Scheiße mit seinem schlechten Französisch und lässt sich am Kopfende des Tisches nieder, als wäre er Napoleon höchstpersönlich. Meine Mutter und Mikasa lassen sich rechts von ihm nieder während Eren und ich die linke Seite des Tisches für uns beanspruchen. Ich frage mich, wieso er nie neben ihr sitz. Eigentlich sollte es mir egal sein aber... trotzdem denke ich immer wieder darüber nach. Ich denke viel zu viel über ihn nach. Denke viel zu oft an ihn. Ich muss damit aufhören. „Hast du schonmal französisch gegessen, Eren?“ Fragt mein Vater, schaut an mir vorbei, um ihn anzusehen. Er weicht mir aus, sieht mich nicht an. Er schüttelt den Kopf, greift nach der Karte, die ihm der Keller gerade entgegenhält und schlägt sie auf ohne meinen Vater eines Blickes zu würdigen.  Der Kellner entschuldigt sich, weil er zu wenig Karten hat und ich sage ihm, dass es in Ordnung ist. Eren schiebt mir, wie zur Bestätigung, die Karte etwas mehr entgegen, damit wir gemeinsam reinschauen können, obwohl ich eigentlich längst weiß, was ich will. Mein Vater schnaubt verächtlich während Mikasa mir einen kräftigen Tritt gegen das Schienbein verpasst. Ich zische leise, werfe ihr einen vernichtenden Blick zu. Nicht mehr, nicht weniger. Ich hab weder Lust, noch Kraft mich mit einem von ihnen zu streiten. Ich bin müde, will diesen Abend einfach hinter mich bringen. Ins Bett, die Augen schließen und einfach alles für einen Moment vergessen. Während ich zum Schein den Kopf in Richtung der Karte neige beobachte ich Erens Gesichtszüge. Er wirkt planlos und ich frage mich, ob er Schwierigkeiten hat, die Karte zu verstehen. Meine Familie ist jedes Jahr in Frankreich und dementsprechend gut ist mein Verständnis. Er dagegen sieht eher ratlos aus. Beinahe wie mein sprachlich völlig untalentierter Erzeuger. „Wenn du Meeresfrüchte magst, kann ich das Blanquette de la mer empfehlen“ murmel ich leise, hoffend das weder mein Vater noch Mikasa etwas davon mitbekommen. Ich will Stress vermeiden und ich weiß, dass ich den zwangsläufig auslösen würde so wie mit allem, was ich sage oder tue. Die knappen Gespräche am Tisch ziehen mehr oder weniger an mir vorbei. Es ist nicht so, als würde mich irgendetwas davon interessieren. Es fällt mir leicht sie einfach auszublenden, in die Menge aus gesichtslosen Fremden zu starren und mir vorzustellen am Strand zu sein. Der Strand würde leerer werden, die Sonne würde langsam hinter dem Horizont verschwinden und die Welt in ein schönes orange-rot tauchen. Ich würde die schöne Spiegelung auf dem Wasser betrachten und ich würde den Sand zwischen den Zehn genießen, mich von den sanften Geräuschen des Meeres beruhigen lassen und mir wünschen nie wieder zurückzumüssen. „Je vous en prie“ Die Stimme des Kellners reißt mich zusammen mit dem vor meiner Nase erscheinenden Teller aus meiner Tagträumerei. Ich zwinge mich zu einem Lächeln, während ich den Kellner ansehe, aber sobald er aus meinem Blickfeld verschwindet, verschwindet auch mein Lächeln.  Keiner sagt etwas, alle beginnen einfach damit zu Essen und ich denke, ich bin froh darum. Ich stochere mehr darin herum, als dass ich esse, aber ich hab schon seit Tagen keinen Appetit. Ich spüre die Blicke von der Seite und ich brauch ihn nicht ansehen, um zu wissen, dass er mich besorgt mustert. Er tut es bereits seit Tagen. Ich kann es ihm nicht verübeln. Mich nervt es, dass es mir gefällt, dass er sich sorgt und ich hasse es, dass ich einfach nicht damit aufhören kann. Ich sehne mich nach dem Ende dieses Urlaubs. Ich sehne mich danach, endlich Abstand zwischen uns zu bekommen, weil ich glaube, dass ich dann aufhören kann, ihn anzuhimmeln als wäre er einer der griechischen Götter. Ich glaube dass es dann einfacher wird, einfach weiter zu machen wie bisher. „Was ist los? Ich dachte, du stehst auf diesen ekelhaften französischen Fraß. Hast du Angst, du könntest noch fetter werden?“ „Was ist los? Ich dachte, du wolltest gut vor deinem Stecher dastehen. Hast du keine Angst, dass er dich sitzen lassen könnte, wenn er sieht was für ´ne beschissene Bitch du bist?“ „Ivy es reicht!“ „Ist das dein beschissener Ernst? Sie darf mich dumm von der Seite anmachen, aber wenn ich etwas gegen deinen geliebten Engel sage, bin ich der Arsch?“ „Senk deine Stimme, die Leute gucken schon“ „Weißt du was?! Fick dich. Fickt euch alle!“ Der Stuhl kippt um, als ich ruckartig aufstehe und dem Tisch den Rücken zukehre. Ich höre nicht, als Eren meinen Namen ruft, kümmere mich nicht darum ob ich einen von den Kellnern anrempel, weil ich mich rücksichtslos zwischen den Tischen hindurch schlängel um so schnell wie möglich von hier wegzukommen.  Sobald ich kann, beschleunige ich erneut die Schritte. Die Menschen auf den Straßen sind weniger geworden, die Restaurants und kleinen Bars dafür umso voller. Die Stadt ist laut, lauter als ich ertragen kann und ich weiß einfach nicht wohin.  Wenn ich zurück zur Ferienwohnung gehe, werd ich nicht lange allein sein. Nach diesem Abgang werden sie das Essen schnell hinter sich bringen. Mein Vater wird mich anschreien, weil ich ihn in der Öffentlichkeit lächerlich gemacht hab, meine beschissene Schwester wird mich anschreien, weil ich sie vor ihrem Freund hab schlecht dastehen lassen, obwohl sie dafür schon selbst sorgt und meine Mutter wird sich wie immer aus allem Raushalten. Eren wird auf meiner Seite sein, wird versuchen den Streit zu schlichten und wird damit alles nur noch schlimmer machen ohne es zu beabsichtigen. So wie die ganze beschissene Woche. Letztlich schlage ich den Weg runter zum Strand ein, hoffe einfach dort die Zeit und Ruhe zu bekommen, die ich brauche um mich wieder zu sammeln und zu beruhigen. Um mich seelisch darauf vorzubereiten was in der Ferienwohnung zweifelslos auf mich warten wird. Je näher ich dem Strand komme, desto langsamer werden meine Schritte und desto mehr zieht sich mein Brustkorb zusammen. Meine Sicht ist verschwommen, mein Kopf drückt und meine Nase ist zu. Ich weiß nicht, ob ich heule, weil ich wütend bin oder ob ich heule, weil mir einfach alles zu viel ist. Alles was ich weiß ist, dass ich jetzt niemanden sehen will. Meine Schritte werden langsamer, als ich den Strand erreiche. Das seichte Rauschen in der Ferne ist irgendwie tröstend, gleichzeitig hinterlässt es ein Gefühl von Sehnsucht, das ich nicht wirklich beschreiben kann. Es ist einfach da, dieses Gefühl etwas zu vermissen, aber was es ist... weiß ich nicht. Ich fahre mir mit dem Handrücken über die Augen, ziehe die Nase hoch und ziehe die Schuhe aus. Ich spüre den feinen, warmen Sand zwischen meinen Zehn, die mittlerweile angenehme Wärme der untergehenden Sonne auf meiner Haut und den sanften, salzigen Wind, der mir vom Meer entgegen weht in den Haaren. Ich gehe weiter, bleibe erst stehen, als das Meerwasser meine Knöchel umspült, das bodenlange Kleid endgültig ruiniert und ich das wunderschöne Glitzern des Wassers aus nächster Nähe betrachten kann. Ich liebe das Meer und ich weiß, dass ich es sehnsüchtig vermissen werde, sobald wir wieder zurückfahren. Es ist beinahe... wie Heimweh. „Ivy!“ Fuck! Wieso kannst du mich nicht einfach in Ruhe lassen?! Kümmer dich gefälligst um deinen eigenen Scheiß! Ich fahre mir erneut über die Augen. Ich weiß zwar, dass er trotzdem wissen wird, dass ich geheult hab, aber ich will nicht, dass er die Tränen in meinem Gesicht sieht. Ich will nicht, dass er sieht, wie erbärmlich und schwach ich bin. Eigentlich will ich gar nicht, dass er hier ist. „Was willst du verdammt?“ Fahre ich ihn wütend an. Meine Stimme ist fester als erwartet und ich bin fast ein wenig Stolz, dass ich ihm böse Blicke zuwerfen kann.  Ich will nicht, dass er glaubt, dass ich ihn oder seine Unterstützung brauche. Ich will nicht, dass er glaubt, er wäre sowas wie mein Held. „Dass eben im Restaurant...“ „Halt dich raus! Kümmer dich einfach um dein beschissenes Prinzesschen, so wie alle anderen auch und lass mich in Ruhe. Ich brauch weder dich, noch deine Hilfe, noch sonst irgendwas von dir! Es geht dich nichts an!“ Nimm mich in den Arm und sag mir, dass alles irgendwann besser wird. Sag mir, dass ich besser bin als jeder Einzelne von denen. Er kommt einen Schritt auf mich zu, während ich einen Schritt zurückgehe. Es ist besser, wenn er sich einfach von mir fernhält. Für ihn. Für mich. Für jeden von uns.  Ich denke mittlerweile sogar, dass es besser gewesen wäre, ich hätte mich nie für das erste Mal bedankt, wo er mir geholfen hat. Ich hätte seine Hand nicht annehmen sollen, als er sie mir gereicht hat. Ich hätte ihn wegstoßen sollen, als er mir helfen wollte.  Es wäre einfacher. Einfacher so zu tun, als wäre nichts gewesen. Es wäre einfacher, ihn einfach nur als den neuen Freund meiner Schlampenschwester zu sehen. Es wäre einfacher, nicht ständig an ihn zu denken. Vielleicht wäre es sogar leichter, ihn nicht zu beachten. So zu tun, als wäre er einfach irgendein Junge. Irgendwer, der mich nichts angeht. „Du hast Recht. Es geht mich nichts an“ Wieso verdammt bist du dann hier und nicht bei ihr? Wenn es dich nichts angeht... wieso zum Fick kannst du mich dann nicht einfach in Ruhe lassen? Ich gehe noch einen Schritt zurück, weil er noch einen auf mich zu kommt. Er steht mittlerweile mit den Füßen im Wasser, seine Chucks sind völlig durchgeweicht. „Und du hast auch Recht damit, dass ich mich einfach raushalten sollte aber...“ Er streckt die Hand nach mir aus, sodass ich erneut einen Schritt zurückgehe. Ich sinke mit den Füßen tiefer in den Sand, die Wellen schlagen gegen meine Beine und ich verliere den Halt, weil ich unvorsichtig bin. Da ist eine Hand, die sich um meinen Unterarm schließt. Kühles Wasser, das plötzlich überall ist und ein Körper, der meinen Sturz federt. Ein Arm, der mich fest umschließt und eine Hand, die sich auf meinen Hinterkopf leg. „Aber ich kann mich nicht raushalten, weil ich dich wirklich gern hab, Ivy.“ „Alles was du tust ist -“ Die weichen, sanften Lippen die sich auf meine pressen, lassen mich sämtliche Wut und sämtlichen Ärger der letzten Tage einfach vergessen. Als wäre nichts passiert.  Da sind nur diese unglaublichen Lippen, die sich sanft und ohne jeden Zwang auf meinen bewegen und das sanfte Kribbeln. Lippen, die mich glauben lassen, das all der Stress, all der Streit und all die bösen Worte mich jetzt hierhin gebracht haben. In die Arme des Jungen, der in meinen Augen perfekt ist. Ohne Makel. Ohne Fehler. Der Junge, der eigentlich viel zu gut für mich ist. Der Junge, den ich einfach nicht verdiene. „Ich werde immer auf deiner Seite sein.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)