Himmelsflieger von Pfeffersosse (Original Only Wichteln 2016 - Seelendieb) ================================================================================ Kapitel 1: Erste Schritte ------------------------- Chris hatte das Gefühl, dass die Schlacht kürzer war als alle anderen zuvor. Er öffnete irgendwann seine Augen wieder und sah, wie die geschundenen Körper der Gegleonen langsam durch die Tür kamen. Seine Freunde waren schnell auf ihre Füße gesprungen und ihren verletzten Eltern zur Hilfe geeilt. Nur zwei blickten sich vergebens um und fanden schnell die Bestätigung, dass sie es nicht geschafft hatten. Einem von ihnen wurde eine blutverschmierte Kette überreicht, einem anderen genauestens geschildert, was passiert war. Er hingegen blieb am Boden sitzen und schloss müde seine Augen. Sein Gefühl hatte ihn wirklich nicht getäuscht, denn seine Eltern waren wirklich nicht mehr zurückgekommen. Ein Freund der Familie kam auf ihn zu und senkte sein Haupt, nur um dann den Kopf leicht zu schütteln. Chris hatte seine Augen zuvor wieder geöffnet und sah, dass sein Gegenüber mit der Fassung kämpfte. Langsam stand er auf und atmete einmal tief durch: „Wie ist es passiert?“ In ihm tobte ein Kampf mehrerer Gefühle, doch er wollte stark bleiben, sich ihnen erst dann hingeben, wenn er alleine war. Denn Schwäche wollte er gerade keine zeigen. „Deine Mutter … sie wurde schwer verletzt und als dein Vater ihr zur Hilfe eilen wollte, explodierte der Atem einer dieser verdammten Himmelsflieger. Es hat auch die Eltern von Timolo und Kira erwischt. Der Radius war …“ Die Stimme des anderen brach und er schüttelte einfach nur seinen Kopf. Tränen ließen seinen Körper beben und er stand kurz vor einem Zusammenbruch. Chris ballte seine Fäuste und nickte: „Ich verstehe. Ich brauch etwas Zeit für mich, entschuldige mich Zet.“ Er klopfte dem anderen kurz auf die Schulter und schlug dann den Weg zu dem Schlafbereich ein, in dem er vor einigen Stunde noch gemeinsam mit seinen Eltern lag. Erinnerungsstücke lagen dort und er musste wieder schlucken. Seine Sicht trübte sich, doch er versuchte weiterhin seine Tränen unter Kontrolle zu halten. Er wollte stark bleiben, nicht jetzt schon nachgeben. Denn die Entscheidung, die er getroffen hatte, musste erst einmal zu Ende geführt werden. Geplant hatte er alles nun schon seit einigen Wochen, doch richtig in die Tat umsetzen erst vor wenigen Tagen. Und nun mit dem Tod seiner Eltern fiel ihm seine Entscheidung, die Gesellschaft zu verlassen, einfacher. Nicht, dass er auch hätte bleiben können, doch er hielt es so langsam nicht mehr aus. Viel zu viele Freunde und Bekannte hatte er schon sterben sehen oder von dessen Tod erfahren. Dabei war er noch nicht sehr alt mit fast 18 Jahren. Und doch zählte er zu einem der Ältesten der neuen Generation. Er schluckte, als er ein Bild entdeckte, auf dem seine Eltern abgebildet waren und legte es zu seinen gepackten Sachen. Es wäre viel zu auffällig gewesen, wenn er diese Erinnerung schon länger eingesteckt hätte. Und auch wenn ihm Gewalt widerstrebte, so griff er in das Versteck seines Vaters und zog einen Dolch hervor. Zum Schneiden konnte man ihn immer benutzen. Er hatte generell ein paar Sachen in den letzten Tagen getan, die er normalerweise verabscheute. Lebensmittel, wenn es auch nur ein paar Körner und etwas Getreide war, hatte er einfach entwendet und sorgfältig in seinem Umhänge-Beutel verstaut. Ein gut gefüllter Wasserschlauch war auch dabei. Zudem befanden sich Kleidung und sonstige Kleinigkeiten im Beutel. Er war normalerweise keiner, der klaute, aber ohne die Körner und das Wasser würde er wohl nicht lange überleben. Seine Hoffnung war, dass er unterwegs Essen finden würde, obwohl er sich gleichzeitig auch sicher war, dass es wohl schwer sein könnte. Denn sein Weg würde ihn zum Frostfeld führen. Noch keiner hatte den Weg hinüber gewagt und er wollte der Erste sein, dem es gelang. Die Gefahr, die damit verbunden war, war ihm vollends bewusst, doch ein Versuch war es wirklich wert. So viel stand für ihn fest. Die einzige Angst, die er hatte, war, dass er nicht genügend Kleidung bei sich tragen würde. Da das Frostfeld sehr eisig war und somit die Temperaturen wohl auch unter dem Gefrierpunkt lagen, würde die lockere und recht alte Kleidung nicht genügend wärmen. Doch er wusste sich keinen wirklichen Rat, weshalb er sich erst einmal auf seinem Nachtlager niederließ und nachdachte. Er blickte sich noch einmal um, damit ihm auch kein wichtiges Detail entging und entschloss sich dann dazu die Nachtlager seiner Eltern auseinanderzunehmen und das wärmende Material einzupacken. Es stellte sich jedoch als schwieriger heraus als er es sich vorgestellt hatte, doch nach einiger Zeit lag neben seinem Beutel ein festverschnürter Stoffballen. Er würde sicherlich noch Probleme bekommen ihn zu transportieren, aber das war jetzt seine kleinste Sorge. Denn er müsste noch nach draußen kommen, ohne dass er gesehen wurde. Und das könnte schwer werden, denn es gab nur einen Ein- und Ausgang dort wo er lebte. Seufzend blickte er auf seine Reiseutensilien und strich sich einmal über die Kleidung, die er gerade trug. Er würde sie wohl zwischendurch wechseln müssen und ging zu seinem eigenen Versteck, in dem sich Schuhe befanden. Es war schwer an gutes Schuhwerk zu kommen, weshalb er diese auch selbst gefertigt hatte. Seine handwerkliche Begabung war ausreichend gewesen, um wetterresistente Schuhe in der unterkunftseigenen Schusterei herzustellen. Es war schwer an Leder oder gleichwertiges Material zu kommen, weshalb oftmals Flugechsenleder verwendet wurde. Auch seine bestanden daraus und waren sehr wetterresistent, sollte man den Worten seines Lehrmeisters glauben. Jeglicher Gegleone, der in die Schlacht zog, wurde einmal in seinem Leben gebeten zu lernen, wie man sich das Schuhwerk selbst herstellt. Er hatte erst später offenbart, dass er nicht kämpfen gehen wurde und das Geschrei seines Lehrmeisters war laut gewesen, dass er das gute Material an ihm ‚verschwendet‘ hätte. Doch Chris empfand es als keine Verschwendung. Denn nun standen die neuen Schuhe vor ihm und würden seine Füße ab jetzt vor den Wetterbedingungen und weniger vor Blut draußen schützen. Denn ans Blutvergießen dachte er dabei überhaupt nicht.   Er streifte sich die Schuhe als letztes über und stand auf, um sein Gepäck an sich zu nehmen. Er hatte doch noch etwas abgewartet, um seine Abreise in die Tat umzusetzen. Sein Herz schlug schneller als er das Gepäck auf seine Schultern hievte und kurz unter dem Gewicht einknickte und keuchte. Er würde sich noch daran gewöhnen, da war er sich sicher. Ein letzter Blick in die verlassene Schlafstätte zeigte ihm, dass er alles erledigt hatte. Sogar eine Notiz hatte er hingelegt, um dem Finder zu erklären, dass sie nicht nach ihm suchen und sich somit keine Sorgen machen müssten. Er hoffte, dass einer seiner Freunde ihn finden würde, doch gleichzeitig hoffte er es nicht. Denn er fühlte sich wie ein Verräter, der seine Freunde einfach im Stich ließ. Dass er ihnen nicht über seine Flucht oder sein Abenteuer, wie er es selbst nannte, erzählt hatte, kam eigentlich nur daher, weil er Angst hatte, dass sie es ausplaudern würden. Doch er wollte nicht zurückgehalten werden, wollte dieses Abenteuer wagen und dem Tod, wenn er ihn wirklich schon holen wollte, in die Augen blicken und sagen können ‚Ich habe etwas erlebt‘. Doch hier, ohne wirkliches Ziel, konnte er sich nicht auf Gevatter Tot freuen. Hier kam es ihm einfach nur als zu einfach vor. Denn ohne wirklich etwas erlebt zu haben zu sterben, wirkte auf ihn einfach nur feige. Weshalb er sich selbst diese Reise auferlegt hatte, um glücklich sterben zu können. Natürlich war das nicht das wahre Ziel, das er anstreben wollte, doch er wollte sich lieber noch nicht allzu sehr auf das freuen, das kommen könnte. Denn wenn es dann doch nicht eintreffen würde, wäre dies schrecklicher als alles andere. Er öffnete vorsichtig die versteckte Öffnung der Schlafstätte und spähte etwas ungelenk in den Korridor. Die Lichter waren erloschen, doch er konnte hie und da noch Stimmen vernehmen. Doch keiner war auf dem Gang, den ihm von der Freiheit trennte, zumindest hoffte er es. Er atmete einmal tief ein und huschte dann, so gut es sein Zustand zuließ, hinaus, in Richtung Ausgang. Immer wenn etwas knarzte oder ein komisches Geräusch ertönte, fühlte er sich ertappt. Seine Sinne waren gespannt und er hörte das Blut in seinen Ohren rauschen. Aufregung hatte seinen Körper heimgesucht und das Gewicht auf seinen Schultern wog für einen kurzen Moment fast überhaupt nichts mehr. Er hatte sein Ziel vor Augen und nur noch eine Hürde zu überwinden. Der Raum, an dem der Ein- und Ausgang grenzte, war eigentlich immer mit Gegleonen gefüllt. Es war der größte Raum und konnte als Gemeinschaftsraum bezeichnet werden. Chris straffte deswegen seine Schultern und positionierte sein Gepäck besser auf ihnen, damit er im Fall der Fälle loslaufen konnte. Nur noch wenige Meter trennten ihn von der Außenwelt, die er schon länger nicht mehr betreten hatte. Nur nachts durfte er manchmal einige Zeit hinaus, da eigentlich nur Kämpfern und Essensbeschaffern der freie Ausgang, egal zu welcher Tageszeit, gewährt war. Er hatte diese Regelung immer als unfair empfunden, doch nun konnte sie ihm egal sein. Ein leichtes Lächeln schlich sich auf sein Gesicht, als er durch die Öffnung des Gemeinschaftraumes trat und sich schnell umblickte. Entweder das Glück war ihm huldig oder er hatte wirklich einen guten Zeitpunkt erwischt, denn er konnte außer dem blinden Emanuel keinen anderen im Zimmer entdecken. Er atmete bereits erleichtert aus, doch zuckte schließlich zusammen als der Mann plötzlich seine Stimme erhob: „Du wirst uns also verlassen, Christofer?“ Er schluckte und fühlte sich ertappt. Als er seinen Blick auf Emanuel warf, saß dieser immer noch in der gleichen Position auf seinem Lieblingssessel, obwohl er längst abgesessen und unbequem geworden war. Chris öffnete einige Male seinen Mund, um zu antworten, doch irgendetwas hielt ihm davon ab. Emanuel lachte leise und schüttelte dann seinen Kopf: „Mach dir keinen Kopf darüber, Kind. Viele würden diesem Leben gerne entrinnen wollen, doch du traust es dir wenigstens zu. Mein herzliches Beileid für deinen Verlust, sicherlich ist dies auch einer der Gründe, weshalb wir dich nicht mehr wiedersehen werden?“ Chris blieb einen Moment still und senkte dann seinen Kopf: „Um ehrlich zu sein, ist es der einzig wahre Grund. Wenn Vater und Mutter den Tod nicht gefunden hätten, wäre ich hiergeblieben. Das war meine selbstauferlegte Kondition, die erfüllt werden musste, um allen hier den Rücken zu kehren. Auch wenn ich weiß, dass ich euch alle vermissen werde.“ Er sprach die Wahrheit, auch wenn sie ausgesprochen schlimmer klang als in seinen Gedanken. Es raschelte und Chris bemerkte, dass Emanuel langsam auf ihn zukam. Er tastete sich vorsichtig den Weg zu dem jungen Mann entlang und legte eine Hand auf seine Schulter: „Wir werden dich auch vermissen, aber man kann und soll einen wegfliegenden Vogel nicht wieder einfangen. Er würde es nur wieder und wieder versuchen und beim letzten Versuch nur kläglich scheitern, weil die Wunden des Zurückgehaltenwerdens zu groß geworden sind.“ Emanuel sprach oftmals seltsame Worte, doch Chris konnte ihn verstehen. Er wartete darauf, ob noch etwas folgen würde und schwieg die ganze Zeit. „Ob du meinen Worten Glauben schenken willst oder nicht ist dir überlassen, aber sei gewarnt. Mit den Himmelsfliegern stimmt etwas nicht. Obwohl ich blind bin, werde ich das Gefühl nicht los, dass es etwas gibt, das sie geheim halten. Aber in all den Jahren, die ich lebe, ist mir keine Antwort auf diese Frage eingefallen. Nimm dich vor ihnen in Acht, auch wenn du ihnen nicht feindlich gesinnt bist“, sagte er ehrfürchtig und kramte in seiner Hosentasche, „Nimm sie. Sie wird dir helfen und mit Sicherheit wenigstens einen von dir fernhalten können.“ Emanuel griff nach Chris Hand und legte ihm einen kleinen kühlen Gegenstand in die Handfläche. Als Chris seinen Blick darauf legte, sah er ein Objekt, das wie eine kleine Flöte geformt war. Er runzelte seine Stirn und wollte einmal hineinpusten, doch der Ältere schüttelte nur den Kopf: „Nein, benutz sie nur im äußersten Notfall. Der Ton, der erzeugt wird, verwirrt die Flugechsen und sie werden für kurze Zeit unkontrolliert am Himmel fliegen. Nimm dich also davor in Acht und benutze sie nur, wenn du dich in Sicherheit bringen kannst. Mein Vater hat sie mir vermacht und erzählt, dass sie schon länger in der Familie war und ihren eigentlichen Zweck nicht mehr erfüllen konnte. Doch als er sie einmal benutzt hatte im Kampf, entdeckte er dass die Flugechsen auf den Ton reagieren.“ Emanuel tätschelte seine Schulter noch einmal und drehte sich dann wieder um: „Du brauchst mir weder zu danken noch etwas dazu zu sagen. Nimm sie als Andenken an unsere gemeinsame Zeit mit und mach dass du wegkommst!“ Das letzte hatte er etwas strenger gesagt, doch Chris entdeckte ein Lächeln auf den Zügen des älteren Mannes. Er legte seine Finger um das kühle Material und lächelte selber. Ein Dank entglitt ihm dennoch von den Lippen und er griff nach dem Lederband, das an dieses kleine Instrument gebunden war und legte es um seinen Hals. Dann nahm er seine Schritte wieder auf, nur um im nächsten Moment Schreie hinter sich zu vernehmen. Man hatte ihn also doch noch entdeckt, aber es störte ihn nicht mehr sonderlich und er rief, trotz Verbotes von Emanuel: „Vielen Dank für alles!“ Dann rannte er los, mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)