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2nd Season: Russian Diaries

von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Liebe Leser,
Erst einmal vielen Dank, dass ihr Jelena so herzlich angenommen habt!
Ich möchte an dieser Stelle eine kleine Anmerkung bezüglich der Altersverhältnisse hinterherschieben:
Jelena ist 59 Jahre alt, Viktors Mutter 68 Jahre alt :)
Flokki Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Liebe Leser,
an dieser Stelle machen wir einen Zeitsprung:
Wir sind nicht mehr im Mai, sondern haben bereits Mitte September :) Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Anleitung: Arabesque
Liebe Leser,
das erste Eislaufprogramm steht an und Yurio macht den Start!
„Arabesque“ ist ein impressionistisch geschriebenes Programm. Das heißt, im Text lest ihr Eindrücke (= Impressionen), die Yuuri hat, während er das Programm ansieht. Ihr könnt die Musik vor, während oder nach dem Kapitel anhören, das überlasse ich euch. Persönlich würde ich empfehlen, die Musik erst nach dem Kapitel anzuhören, damit der Lesefluss bestehen bleibt und ihr euch später in der Musik besser zurecht finden könnt.
Deswegen findet ihr den Link im Nachwort zu diesem Kapitel.
Ich wünsche euch viel Spaß! :)

LG
Flokki Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Anleitung: Deeper Down (WICHTIG: Musik hier!)
Liebe Leser,
Viktors Kurzprogramm steht an! Die Ausarbeitung dieses Programms ist ein Read-Along.
Das heißt, ihr könnt die Performance sozusagen "live" miterleben/mitlesen. Das funktioniert folgendermaßen:
1) Link unten aufrufen, Musik NICHT laufen lassen (also anhalten und auf 0:00 zurücksetzen).
2) Im Kapiteltext findet ihr ein [P] als Indikation für „Play“.
An dieser Stelle könnt ihr die Musik starten und im Idealfall die Performance im Einklang mit der Musik lesen.

3) Hier ist der Link: Deeper Down
Das Lied hat englische Lyrics.

Und jetzt viel Spaß mit Viktors Comeback!
Feedback ist jederzeit erwünscht :)
LG, Flokki Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Anleitung: Find your Story (MUSIK HIER!)
Liebe Leser, endlich ist Yuuri an der Reihe!
„Find your Story“ ist wie „Arabesque“ impressionistisch geschrieben, allerdings würde ich euch diesmal empfehlen, das Lied vor dem Kapitel anzuhören. Es ist sehr leise zu Beginn, also könnt ihr es ruhig etwas lauter stellen.

Hier ist der Link dazu: Find your Story
Die Songs für Phichit, Chris und Sebastian findet ihr im Nachwort separat verlinkt. JJ bleibt noch ein Geheimnis ;)

Und jetzt viel Spaß mit diesem Kapitel!
Eure Flokki Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Anleitung: Find your Story & Storytime (WICHTIG! MUSIK HIER!)
Liebe Leser,
Im Gegensatz zu Kapitel 11 ist „Find your Story“ diesmal ein Read-Along. Es ist das gleiche Prinzip wie bei Viktors „Deeper Down“: Link aufrufen, Musik anhalten, auf 0:00 setzen und wo das [P] im Text ist, könnt ihr die Musik starten. Achtet auf die Pianoanschläge, um euch besser zu orientieren.
Der Link ist hier: Find your Story

Die Kür „Storytime“ ist anders. Bitte keine Musik dazu hören, auch wenn sie unten verlinkt ist. Einfach nur lesen. Das Besondere an „Storytime“ kommt auch ohne Musik zur Geltung.

Wer richtig Gänsehaut haben will, der kann Otabeks „O Fortuna“ ab entsprechender Stelle laufen lassen, aber das ist nur für die ganz Harten unter euch ;P

Und jetzt wünsche euch viel Spaß bei einem Puls von 180,
Flöckchen

Musik Kürprogramme (optional):
Seung-Gil Lee – KOREA: The Music of the Night (Kwang Ho Hong)
Christophe Giacometti – SWISS: Bad Romance (Lady Gaga)
Jean-Jaques Leroy – CANADA: Skyfall (Adele)
Yuri Plisetsky – RUSSIA: Turkish March (W. A. Mozart)
Yuuri Katsuki – JAPAN: Storytime (Dean Kopri)
Otabek Altin – KASACHSTAN: O Fortuna (Carl Orff; bis 2:33) Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Liebe Leser und Yurio-Fans,
das erste Leckerli wartet auf euch! :D
Was das Besondere ist? Wir springen in die Sicht von Yurio! Die ganze FF über ergab sich keine wirkliche Gelegenheit, das kleine Monster richtig zu Wort kommen zu lassen und deswegen wird es jetzt nachgeholt!

Außerdem ist seit dem 3. Oktober auch der erste Teil von Die Sache mit Michal online, schaut mal vorbei ^^

Flokki Komplett anzeigen

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Viktor zurück in Russland – Vorbereitungen

„Viktor, wilkommen zurück!”

„Hey, gut angekommen?”

„Wie war's in Japan, Viktor?“

Haha, was für ein Empfang. Jeder, dem ich in den vertrauten Gänden der St. Petersburger Eishalle begegne, bleibt kurz stehen, um mich zu begrüßen. Als wäre ich mehrere Jahre nicht hier gewesen. Aber für die meisten Angestellten hier gehöre ich quasi zum Inventar dieser Halle, solange trainiere ich hier schon.

Obwohl ich das Gebäude in- und auswendig kenne, fühlt es sich heute merkwürdig fremd an. So wie meine Wohnung gestern. Es war zwar schön, nach der Landung die eisige Luft am Flughafen geatmet zu haben, durch das normale, russische Verkehrschaos geschlittert und den vertrauten Weg nach Hause gegangen zu sein, doch irgendwie hatte es etwas sehr Ernüchterndes an sich. Selbst Makkachin war wesentlich weniger enthusiastisch als ich angenommen hatte, obwohl er sofort alle seine Lieblingsstellen inspiziert hat.

Das Schloss der Eingangstür klickte noch mit demselben Geräusch und beim Betreten stieg mir der altbekannte Geruch von Wänden und Möbeln in die Nase. Aber allein das war schon komisch: Einen Schlüssel zu benutzen und statt warmer, feuchter Badeluft die trockene Winterluft einer unbeheizten Wohnung zu atmen. Ich schaltete das Licht in allen Räumen an und beendete die Stille, die seit neun Monaten über meinem Apartment hing. Da waren immer noch die gleichen Farben, die gleichen Lampen und die gleiche Einrichtung, die mich willkommen daheim heißen wollten und trotzdem hing eine spürbare Leere in der Luft.

Im ersten Moment glaubte ich, es läge daran, dass ein nicht unwesentlicher Teil meine Habe noch per Spedition unterwegs ist. Unschlüssig, was ich mit mir anfangen sollte, war ich zum Sofa gegangen und hatte mich gesetzt. Das Sofa hatte ich in Japan am meisten vermisst, aber die Wiedersehensfreude hielt sich seltsam in Grenzen. Unsicher strich ich mit der Hand über das blaue Polster, nur um festzustellen, dass es sich nicht verändert hatte. Nichts in dieser Wohnung hatte sich verändert.

Ich seufzte.

Auch Makkachin wusste nicht, wohin mit sich. Er schnupperte hier und da; befand, dass soweit alles an der gewohnten Stelle lag, drehte eine Runde um das Sofa und kam zu mir zurück. Er legte seinen Kopf auf mein Knie und blickte mitleidig zu mir hoch. Mein Pudel schien dasselbe zu empfinden. Selbst wenn sich hier nichts verändert hatte und in ein paar Tagen die Einrichtung wieder vorhanden sein würde, so würde das Wichtigste immer noch fehlen: Yuuri.

Es war keine 24 Stunden her, dass wir uns am Flughafen verabschiedet hatten und trotzdem vermisste ich ihn schon so sehr. Meinen geliebten Prinzen...

Mein Blick hing auf dem blauen Polster fest. Für die nächsten Nächte müssten das Sofa und ich uns arrangieren, denn ein Möbelstück hat die Rückreise nach St. Petersburg nicht angetreten: Ursprünglich habe ich das Bett wie alles andere zurückschicken lassen wollen. Das war der Plan, bevor ich wusste, dass Yuuri noch in Barcelona nach der Exhibition den versprochenen Heiratsantrag nachholen würde.

Ich konnte nicht anders, als den Ring an meinem rechten Finger dümmlich grinsend anzustarren. Sofort versteckte ichmein Gesicht hinter meinen Händen. Er hatte mich wirklich gefragt. Auf dem Eis. Ob ich ihn heiraten wollte...! Wenn meine Fans manchmal wegen mir so abgehen, wie ich in dem Moment auf dem Sofa abging, dann bin ich weiß Gott dankbar, dass ich meine Fans nicht sehen kann und mich auch keiner sehen konnte. Die Erinnerung an den Moment, als Yuuri mir die Frage aller Fragen stellte, würde ich niemals mehr vergessen können...

Jedenfalls hat Mari den letzten Tag in Hasetsu, als Yuuri und ich dabei waren, meine restlichen Sachen zusammen zu räumen, vorgeschlagen, dass es vielleicht eine Überlegung wert wäre, das Bett hier zu behalten und „mein Zimmer“ endgültig in „unser Zimmer“ umzufunktionieren. So hätten wir beide einen gewohnten Schlafplatz, sollten wir Yuuris Familie wieder besuchen kommen. Der Vorschlag war gut, also stimmten wir zu und das Bett ist in Hasetsu verblieben. Bis Yuuri also in etwa eineinhalb Wochen bei mir ankommt, würde das Sofa mein Schlafplatz sein. Danach müssten wir relativ schnell ein neues Bett anschaffen, denn das Sofa ist nicht groß genug für uns beide.

Yuuri war der Gedanke, mit mir zusammen ein Bett zu kaufen, überaus peinlich und er meinte, ich könne das ruhig allein entscheiden. Ich müsse nicht wegen ihm auf dem Sofa schlafen.

Da musste ich echt lachen. Einen Antrag vor einem Millionenpublikum kriegt er hin ohne mit der Wimper zu zucken, aber mit mir ein Bett zu kaufen geht gar nicht. Wenn wir hier aber zusammen leben wollen, dann ist es schon wichtig, Yuuri miteinzubeziehen. Diese Wohnung wird auch sein neues Zuhause und ich möchte, dass er sich wohlfühlt. Und ich freue mich darauf. Es wird unsere erste, gemeinsame Anschaffung als verlobtes Paar und auch gar keine so unwichtige...!

„Hi, Viktor! Wann bist du gelandet?“

Milas Stimme reißt mich aus meinen Gedanken, als ich an der Eisbahn in der Mitte des Gebäudes angekomme.

„Gestern Nachmittag“, antworte ich und versuche schnell, das innerliche Grinsen aus meinen Gedanken zu bekommen. Das ganze russische Team kommt auch direkt zu mir gelaufen. Mila, Ekaterina, Georgi... nur Yurio fehlt. Wahrscheinlich ist er noch bei seiner Familie in Moskau.

„Und, wie fühlt es sich an, wieder allein zuhause zu sein?“, fragt Georgi, als säßen wir im gleichen, unfreiwilligen Single-Boot.

„Etwas ungewohnt“, beschwichtige ich und winke die Frage ab.

„Wann wird Yuuri hier ankommen?“, will Ekaterina wissen.

„In eineinhalb Wochen. Vorher kann er sein Visum nicht abholen.“

„So lange noch...?“

„Sag, ist das der Ring von Yuuri?“ Mila deutet auf meine rechte Hand und Ekaterina kichert.

War ja klar, dass das die beiden Tratschen am Meisten interessiert. Von unserem Team bin ich jetzt der Erste, der sich verlobt hat. Eigentlich hatten wir gewettet, Georgi wäre der Erste, aber Anya war wohl anderer Meinung. Verständlicherweise. Und jetzt bin ich's. Dabei wäre ich laut unserer Wette der Letzte gewesen. Nach Yurio.

Ich hebe die Hand und lasse die beiden Frauen den Ring betrachten.

„Ist das echtes Gold?“

„Ja.“

Das ist geraten. Ich habe absolut keine Ahnung. Als ob ich darauf auch geachtet hätte. Ich war viel zu sehr damit beschäftigt zu realisieren, dass Yuuri bei diesem Juwelier kein Souvenir für seine Mutter kaufen wollte, sondern Ringe für ihn und mich... Ich bekomme jetzt noch Gänsehaut, wenn ich daran denke.

„Wow, dann muss Yuuri tief in die Tasche gegriffen haben... Er hat ja auch einen. Ich bin schon ein bisschen neidisch!“

Tja, dann hättest du deinen Eishockey-Lover nicht in den Wind schießen sollen. Aber zugegeben, der Typ war hohl in der Birne. Ist kein Verlust.

„Und wann ist die Hochzeit?“ Wieder Ekaterina. Die zwei sind ganz schön neugierig...

„Yuri hat angedeutet, dass dein Yuuri erst eine Goldmedaille gewinnen muss, bevor es soweit ist. Und dass er schon dafür sorgen wird, dass das nicht passiert,“ versucht Mila mich zu necken. „Kann es sein, dass Yuri ein bisschen eifersüchtig ist?“

Jetzt muss ich lachen. „Ja, aber eher auf mich.“

„Ach so?“ Die Frauen und Georgi schauen irritiert.

„Yurio will es nicht zugeben, aber er hängt sehr an Yuuri“, erkläre ich ihnen. „Er hat sich schon halb mit mir angelegt, weil er Angst hatte, dass Yuuri nicht mehr laufen wird, sollten wir heiraten.“

„Jetzt echt?!“

„Ja, aber sagt ihm das bloß nicht. Sonst zieht er beim nächsten Mal wirklich seine Schlittschuhe an, bevor er mir in den Rücken tritt.“

„Ahahaha, typisch. Das ist unser Yuri“, lacht Mila.

Ich zucke mit den Schultern. „Yurio eben, da ist nicht viel Kraft dahinter.“

„Du hast echt Nerven...“ sagt Georgi. „Adoptiert ihn doch.“

„Haben wir im Grunde doch schon. Er wird Yuuri am Rockzipfel hängen, das weiß ich jetzt schon. Und Yuuri hat Yurio viel zu gern, als dass er etwas dagegen sagen würde.“

Mila schaut mich mit hochgezogener Augenbraue an. „Stört dich das nicht?“

„Nein, warum?“, entgegne ich. „Yurio ist noch ein halbes Kind. Er hat nie einen wirklichen Konkurrenten gehabt, mit dem er sich messen konnte. Oder jemanden, den er übertreffen wollte. Er kann es genauso wenig abwarten, bis Yuuri hier ist und sie wieder zusammen trainieren können. Ihr hättet die Zwei in Japan zusammen sehen sollen. Ein Schweinchen und ein Kätzchen, so niedlich.“ (^ ^)

„So, so...“, grinst Mila spitzbübisch. „Aber er scheint ja auch ganz gut mit Otabek Altin auszukommen. Vielleicht ist das Interesse an dem anderen Yuri gar nicht mehr so groß.“

Hinter ihr sehe Yakov zu uns rüber kommen.

„Vitya, ich dachte eigentlich, du würdest etwas wacher hier erscheinen”, beschwert er sich direkt. Ohne Hallo, ohne Nix, aber das ist Yakov eben. „Was macht ihr überhaupt, hab ich gesagt, dass Pause ist?“

„Wir haben Viktor nur begrüßt“, mokiert sich Mila. „Er war fast ein Jahr lang nicht hier...!“

Yakovs Miene bleibt regungslos, dann wendet er sich wieder zu mir. „Jetlag? Oder warum siehst du so fertig aus?“

„Makkachin hat mich die halbe Nacht nicht schlafen lassen.“

„He?“, schaltet sich Mila wieder ein. „Normalerweise ist Makkachin doch total ruhig?“

„Das ist es nicht. Er hat Yuuri gesucht“, antworte ich und beobachte. Es ist schon interessant, wie die gleiche Information ganz unterschiedlich aufgefasst wird. Mila und Ekaterina verfallen in ein „Awww, wie süüüüß!“, aber Yakov schlägt sich die Hand auf die Stirn als wolle er fragen, ob das mein Ernst ist. Georgi nickt mitfühlend und klopft mir auf die Schulter, als wäre er der Einzige, der mich verstehen könnte.

„Dann mach' deinem Hund klar, dass es hier gerade keinen Yuri gibt. Oder lass' dir was anderes einfallen“, gebietet mir Yakov. „Es kann nicht sein, dass der Hund jetzt über 'ne Woche Theater macht bis der Japaner hier ist und du nicht schläfst. Bring' ihn zu Frau Praslova, wenn's sein muss. Du bist zwar nicht so eingerostet wie ich dachte, aber du bist weit hinter dem, wo du letzte Saison warst. Wenn du wieder vorne mitlaufen willst, dann musst du Gas geben. Was ist mit deinem Gewicht?“

„Unverändert.“

„Wenigstens das. Fang' an dich warm zu machen und ihr anderen macht weiter, klar?“

Yakov hat sich kein bisschen verändert. Er ist immer noch der gleiche Brummbär, aber das ist schon in Ordnung so. Er hat das Herz am rechten Fleck. Dass er es mir überhaupt durchgehen lässt, Yuuri hierher zu holen, ist ihm hoch anzurechnen. Aber die unerwartete Verlobung von vor ein paar Tagen liegt ihm schwer im Magen. Dass Yuuri so schnell Nägel mit Köpfen machen würde, dachte Yakov natürlich genauso wenig wie ich...

Yakov hatte den Auftritt bei der Exhibition Gala von der Tribüne aus verfolgt. Direkt nach unserem Auftritt und Yuuris Kniefall hat er versucht bei mir anzurufen, aber ich hatte mein Handy nicht griffbereit und bemerkte erst am Folgetag die verpassten Anrufe sowie mehrere Nachrichten auf meiner Mailbox. Vor lauter Panik, dass Yuuris Aktion die nötige Professionalität ins Wanken gebracht hat, die wir für die Genehmigungen meiner Trainertätigkeit in Russland und Yuuris Umzug bräuchten, bestanden alle Nachrichten nur aus aufgebrachten Gebrüll. Erst nachdem ich zurückgerufen und versichert hatte, dass Yuuris Antrag offiziell zur Performance gehören würde, konnte er sich ein genuscheltes „Glückwunsch, übrigens“ zum Ende des Telefonats abringen.

Er will auch jetzt noch nichts von der Verlobung wissen, solange nicht alles in trockenen Tüchern ist. Ich kann es zwar nachvollziehen, aber er weiß genau wie ich, dass es kein Geheimnis für immer bleiben wird. Mit der Zeit würde ganz sicher ans Licht kommen, dass der Kniefall nicht als einer vor dem König gemeint war und auch keine PR-relevanten Zwecke bezüglich meines Comebacks hatte, falls das überhaupt irgendjemand geglaubt hat. Und außerdem würde Yuuri bald hier sein.

Wahrscheinlich kann er es sich einfach nicht vorstellen. Oder er hat Bedenken, dass wir unsere Beziehung zu offen leben. Dass wir nicht unterscheiden können zwischen privat und professionell. Dabei ist es nicht so, als würden wir das komplett außer Acht lassen... Nur manchmal vergessen wir es.

„Vitya, eine Sache noch.“

Oha, was kommt jetzt?

„Wie soll das laufen, wenn... wenn er da ist?“

„Er hat einen Namen, du kannst ihn ruhig benutzen.“

„Dann komm' ich durcheinander.“

„Wir nennen Yuri Yurio.“

„Welchen Yuri?“

„Unseren hier.“

„Er heißt aber nicht Yurio.“

„Ich weiß, aber er hört drauf.“

„Ich werde Yuri nicht Yurio nennen. Ich nenn vielleicht den Japaner so.“

„Dann komm ich aber durcheinander.“ D:

„Nerv' mich nicht! Wenn du einen anderen Yuri anschleppst, siehst du zu, wie man sie unterscheiden kann!“

„Mein Verlobter?“, antworte ich herausfordernd, um zu testen, wo die Grenze ist.

„Das hättest du gerne!“, blafft mich Yakov verärgert an. „Bloß weil er dir diesen Ring angesteckt hat, heißt das noch lange nicht, dass ich das ernst nehme! Du und Heiraten, das ist der Witz des Jahrhunderts! Das glaub ich erst, wenn’s soweit ist... Jedenfalls,“ Sein Blick geht an mir vorbei, „...wie soll das werden, wenn dein Yuri hier ist?“

Mein Yuuri. Okay, damit kann ich leben <3

„Sobald er angekommen ist, sind wir einen oder zwei Tage nicht hier, weil ich ihn wegen der Adressummeldung und der Beantragung seines Ausweises begleiten werde. Außerdem haben wir vereinbart, dass er halbtags eine Sprachschule besuchen wird, um Russisch zu lernen, damit er sich selbstständig in der Stadt bewegen kann. Wenn er in der Schule ist, trainiere ich. Die andere Zeit trainiere ich ihn. Wie es sich verteilt, hängt natürlich später vom Unterrichtsplan ab, aber den werden wir spätestens eine Woche nach seiner Anmeldung erfahren. Bis die Schule anfängt, sind wir erst einmal recht flexibel und er hat Zeit, sich einzugewöhnen.“

„Will er erst mit Russisch anfangen, wenn er hier ist?“, brummt Yakov vorwurfsvoll.

„Nein, das kyrillische Alphabet hab ich ihm schon beigebracht. Er ist Japaner, er hat sich das sehr schnell merken können. Also, er kann lesen, auch wenn das, was er vorliest, nicht unbedingt wie das klingt, was da steht. Es hört sich nach Fantasiesprache an, aber das wird.“

„Hm, ich will darüber informiert bleiben.”

„Yakov, ich bin kein Teenager mehr. Ich sag' dir Bescheid, wenn sich die Dinge konkretisieren.“

„Meinetwegen. Und du bist dir sicher, dass du das alles schaffst? Du mutest dir viel zu.“

„Ja, ich weiß. Yuuri und ich haben uns lange darüber unterhalten und das letztendlich als die beste Lösung befunden“, erkläre ich ihm zum keine Ahnung wievielten Mal. „Ich weiß nicht, wie ich dich überzeugen kann, dass es ernst ist. Ich kann und ich will nicht mehr von Yuuri getrennt sein und Yuuri sieht das genauso.“

„Viktor, dass es dich und den Japaner nur noch im Doppelpack gibt, ist mir leider Gottes schmerzlich bewusst. Aber ich mach' mir Sorgen um dich.“

Er macht eine Pause.

„Geknutscht wird aber zuhause! Das will ich in der Halle hier nicht haben, klar?! Schon allein wegen Yuri nicht!“

Ich muss lachen. „Okay, in Ordnung.“

„Ich will's hoffen!“

Du bist der Beste, Yakov. Der Beste, den ich kenne.

Ich hab dich lieb <3

Ich in St. Petersburg – Fangirl-Alarm! Mein neues Zuhause!

Ich schaue aus dem Fenster. Das Flugzeug hat gerade die Wolkendecke durchbrochen und unter mir sehe ich wieder Land. Im Norden fällt mir direkt ein riesiger See auf, jede Menge weißer Schnee und einige vereinzelte Städte. Wir befinden uns im Landeanflug auf den Flughafen Pulkovo, der im Süden von St. Petersburg liegt und es ziept vor Aufregung in meinem ganzen Bauch. In ein paar Minuten werden die Räder auf den Boden aufsetzen und dann würde es nicht mehr lange dauern, bis ich Viktor endlich wieder hätte. Er und Yurio kommen zusammen, um mich abzuholen und ich kann es nicht erwarten, die beiden wiederzusehen.

Das Flugzeug lehnt sich nach links und die Winterlandschaft unter mir verschwindet für einige Sekunden aus meinem Blickfeld, bis es zurück in seine waagerechte Position schwingt. Dann kann ich die ersten, dichteren Ansammlungen von Häusern sehen und den Fluss Newa ausmachen, der sich aus südlicher Richtung durch St. Petersburg zieht und im Meer mündet. Die Tragflächen fahren aus und ich kann die Stadt ist immer deutlicher erkennen, die bereits von hier oben so schön aussieht, als hätte man sie in diese Winterlandschaft gemalt. Ein kurzer Blick auf den Bildschirm im Sitz meines Vordermanns verrät mir, dass es noch zwei Minuten bis zur Landung dauert.

Wir sinken kontinuierlich tiefer und mein Bein beginnt nervös auf- und ab zu wippen. Ich habe ihn so sehr vermisst... Dabei hatte ich in Barcelona noch geglaubt, wir könnten das einfach beenden. Wir hätten das keine Woche durchgehalten. Wahrscheinlich wäre Viktor seinem Trainer schon nach ein paar Tagen wieder ausgebüchst und in den nächsten Flieger zurück nach Japan gestiegen, um ein zweites Mal unangekündigt vor meiner Tür stehen.

Und jetzt... Jetzt sitze ich im Flugzeug, habe Japan erneut den Rücken gekehrt, um mit Viktor zusammen in Russland zu leben.
 

Wupp.
 

Das Flugzeug setzt mit einem unsanften Ruck auf. Es ruckelt und wackelt heftig von links nach rechts und ich werde aus dem Sitz gedrückt, als die Maschine gebremst wird und die Geschwindigkeit rapide abnimmt. Sie rollt die Landebahn immer langsamer entlang, am Flughafen vorbei und überall liegt aufgetürmter Schnee, der von den Bahnen auf Seite geschoben worden ist. Der Himmel ist gräulich bewölkt, aber es ist trocken. Schnell greife ich nach meinen Handy und deaktiviere den Flugmodus. Ich hatte Viktor das letzte Mal geschrieben, bevor ich in Narita gestartet bin und ich hoffe, er hat daran gedacht, dass ich hier keine Email, iMessage oder Line-Nachricht mit meinem japanischen Netz empfangen kann, sondern auf die klassische SMS angewiesen bin.

Zuerst habe ich gar keinen Empfang, dann wählt sich mein Handy in eins der russischen Netze ein und ich bekomme Nachrichten über alle möglichen Tarifoptionen... ich schaue wieder nach draußen und das Flugzeug rollt gemächlich weiter in Richtung Parkposition. Es vibriert erneut.
 

Guten Flug! Ich erwarte dich in ein paar Stunden am Flughafen <3
 

Ok, das war wohl die Antwort auf meine Nachricht vor dem Abflug. Dann vibriert es nochmal.
 

Yuuri, es tut mir furchtbar Leid, aber schaffst du es alleine bis zu Moskovskaya (Московская)? Vor uns sind zwei Containerlaster ineinander gefahren und alles ist dicht. Vor Terminal 1 ist eine Haltestelle für die Linie 39.
 

Öhm... ok. Das ist jetzt etwas krass? Viktor hat mich ja bezüglich des Verkehrs schon vorgewarnt, aber... Es vibiriert nochmal, diesmal von Yurio.
 

Oi Katsudon, vergiss den Bus, der kommt auch nicht durch. Superhirn hat vercheckt, dass wenn es in die eine Richtung nicht geht, es auch nicht in die andere geht. Keine Ahnung, was wir jetzt machen.
 

Das wird ja immer besser... Das Flugzeug hat mittlerweile seine Postition erreicht und die ersten Mitreisenden stehen von ihren Sitzen auf und holen ihre Taschen aus den Gepäckfächern. Ich beginne, Viktor eine Nachricht zurück zu tippen und hoffe, dass das russische Netz besser funktioniert als der Straßenverkehr.
 

Ich bin gelandet, Flugzeug steht. Wo seid ihr? Soll ich versuchen, den Bus zu nehmen?
 

Und Senden. Das Handy lasse ich am besten griffbereit in meiner Jackentasche und ich fange an, meinen Mantel, Schal und Mütze anzuziehen. Laut Wetteranzeige auf dem Bildschirm sind es -4 Grad.

Ich seufze. Irgendwie hab ich mir die Ankunft hier ganz anders vorgestellt.

Brrrzzz. Oh, Yurio.
 

Schreib' mir und nicht dem Alten, der muss fahren und ich will dieses Auto lebend wieder verlassen!!!
 

Was?! Viktor fährt? Bevor ich weiter überlegen kann, ob ich mir jetzt Sorgen machen soll oder nicht, kommt noch eine Nachricht von Yurio:
 

Versuch' doch, den Bus zu nehmen. Es ist uns grad einer aus Richtung Flughafen entgegen gekommen. Offenbar ändern die spontan die Route. Wir drehen jetzt und fahren zu Moskovskaya.
 

Die Passagiere im Gang setzen sich in Bewegung und auch ich stehe von meinem Platz auf.

Ich schätze, Willkommen in Russland, Yuuri.
 

Die Busse zwischen Flughafen und St. Petersburg haben, wie Yurio vermutete, aufgrund des Unfalls tatsächlich die Route geändert. Allerdings bin ich nicht in einem Citybus der Linie 39, sondern in einem roten, mit bunten Koffern beklebten Shuttlebus K33 gestiegen. Statt der angegebenen Zeit von etwa 30 Minuten war ich etwa eine Dreiviertelstunde bis zu Moskovskaya unterwegs und bin heilfroh, als ich das Gefährt wieder verlassen kann und festen Boden unter den Füßen habe.

Zu meiner linken Seite stehen dicht an dicht bräunliche Backsteingebäude und zu meiner Rechten ersteckt sich ein gigantischer Platz mit einem großen, säulengesäumten Gebäude, das über dessen gesamte Länge reicht. Um mich herum herrscht eiliges Gewusel der anderen Passagiere und das beunruhigende Rangieren der Busse bei Schnee und Glatteis, sodass ich mich tummele, schnell die Straßenseite zu wechseln und dorthin zu gehen, wo wir uns treffen wollen. Bei der Größe dieses Platzes, dessen Ende man nicht mal sehen kann, bin ich erleichtert, dass ich sofort die große Statue in der Mitte erkennen kann, zu der ich mich begeben soll. Laut Yurios letzter Nachricht würden sie mir von der anderen Seite aus entgegenkommen, da Viktor wohl erst vor ein paar Minuten einen Parkplatz gefunden hat, von dem aus sie ihn nicht abschleppen würden. Die Sorge scheint nicht unbegründet, denn ich sehe zwei Polizeiautos, die die sechsspurige Straße zwischen Platz und Backsteingebäuden beobachten.

Der frische Schnee knarzt unter meinen Schuhen und es ist verdammt kalt. Sicher, dass das nur -4 und nicht -14 Grad sind? Oder -24? Und der Koffer ist schwer... als ich in Japan aufgebrochen bin, kam er mir gar nicht so schwer vor, aber nach gut 16 Stunden, die ich jetzt unterwegs bin... oder es liegt daran, dass der Koffer sich im Schnee einfach nicht gut ziehen lässt und ständig stecken bleibt.

Gleich ist es soweit... Ich bin nicht mehr allzu weit von der Statue entfernt und der Gedanke an Viktor lässt mich die Müdigkeit vergessen. Mit meinen Augen suche ich unablässig nach den beiden bekannten Gesichtern; Yurio sicherlich mit einer Kapuze auf dem Kopf, Viktor in seinem dunkelblauen Mantel... mein Herz klopft wie verrückt. Und dann entdecke ich sie.

Meine Schritte beschleunigen sich. Sie bleiben kurz stehen, dann hebt Yurio die Hand, winkt und dreht sich um, sodass ich nur noch seinen Rücken sehen kann. Auf der Rückseite der Jacke ist ein Tigerkopf. Jetzt bin ich mir tausend Prozent sicher, dass sie es sind.

Ich winke zurück, beginne zu rennen. Viktor fängt auch an zu rennen.

Dieser blöde Koffer...!

„Yuuri...!“

Ich lasse den Griff einfach los und der Koffer plumpst in den Schnee, aber nur einen Schritt weiter kann ich endlich wieder die Arme um meinen geliebten Viktor schlingen. Ich habe ihn so sehr vermisst.

Ich bin angekommen in meinem neuen Zuhause St. Petersburg.
 

Nach der ersten Welle der Wiedersehensfreude macht sich ein Gefühl des Unglaubens in mir breit. Es ist so unwirklich, hier zu sein, auch wenn ich weiß, dass ich wach bin und alles um mich herum real ist. Gerade haben wir Yurio bei Herrn Feltsman abgesetzt und rollen die Einfahrt rückwärts auf die Straße hinunter und ich hoffe, ich habe ein nur halb so dämliches Grinsen im Gesicht, wie ich es mir gerade vorstelle. Bisher haben Viktor und ich uns entweder in meinem Zuhause in Hasetsu oder auf neutralem Boden im Ausland bewegt, aber seit etwa zwei Stunden befinde ich mich in Viktors gewohnter Umgebung und die Eindrücke überrennen mich. Dabei sitze ich bisher nur mit ihm im selben Auto. Seinem Auto. Ein roter Alfa Romeo Guiletta, gerade mal ein Jahr alt. Das Auto hat er nach dem letzten Sieg bei den Europameisterschaften gekauft, unter anderem, um Makkachin besser transportieren zu können, sollte dieser zum Tierarzt müssen. Viktor meint, er habe gerade mal fünf- oder sechs Mal in dem Auto gesessen, bevor er nach Hasetsu aufgebrochen ist. Das Auto hat folglich seit fast neun Monaten nur in der Garage gestanden und ist quasi wie neu. Es riecht sogar noch etwas so.

Abgesehen von der Aufregung, die ich angesichts der Tatsache verspüre, dass wir uns auf dem Weg zu Viktors Wohnung befinden, kann ich nicht anders, als meine ersten Eindrücke aus dem Flugzeug über St. Petersburg bestätigt zu sehen: Die Stadt ist so wunderschön, dass ich regelrecht an der Fensterscheibe klebe. Die vielen historischen Gebäude, die Kirchen, die Prunkbauten der früheren Herrscher und Zaren, die vielen Ausläufer der Newa mit ihren Brücken... Wahnsinn. Wenn ich das hier in Gedanken mit Detroit vergleiche... Eigentlich ist es überhaupt keinen Vergleich wert. Und hier würde ich ab sofort wohnen. Nicht Tourist sein oder nur zu Besuch bleiben. Wohnen. Mit Viktor zusammen. Oh Gott... mein Puls erhöht sich gerade nicht nur wegen dem russischen Verkehr.

Wir schlängeln uns durch die Straßen und ich gewinne weitere bemerkenswerte Eindrücke, wie das Autofahren hier funktioniert. Nicht weil Viktor ein schlechter Fahrer ist, sondern weil zum Beispiel einige Autos, die wir passieren, interessante Parkplätze gefunden haben. Solange ein Rad auf der Parklücke steht, gilt das offensichtlich als ‚geparkt‘. Und Straßenmarkierung hin oder her, wenn irgendwo noch Platz zum Reinfahren ist, dann stehen auch mal drei Autos auf zwei Spuren nebeneinander an einer Ampel oder rauschen trotz rotem Signal noch drüber... Ob Viktor gerade weniger russisch fährt, weil ich daneben sitze? Vielleicht will ich es gar so genau nicht wissen... In Japan wäre sowas undenkbar; von dem Rechtsverkehr mal abgesehen, der mich auch ohne individuell interpretierte Verkehrsregeln ganz schön irritiert.

Wir biegen schließlich in eine Sackgasse ein und ich meine hinter den Bäumen zu meiner Linken ein großes Gebäude gesehen zu haben, das vielleicht die Eishalle sein könnte. Viktor sagte, zu Fuß seien es etwa zehn bis fünfzehn Minuten, um von seiner Wohnung zur Halle zu kommen.

Die Sackgasse ist nicht länger als einen halben Kilometer und auf beiden Seiten liegen moderne, weiß gestrichene Wohneinheiten mit Balkonen, gepflegten Zufahrten als auch Vorgärten, die gerade von mindestens zehn Zentimeter fluffigem Neuschnee bedeckt sind. Viktor fährt auf eine der Zufahrten und gibt einen Code auf einem Tastenschloss ein, ähnlich wie das Ziehen eines Parktickets. Vor uns öffnet sich das Garagentor und wir rollen nach unten in eine Tiefgarage.

Die Bewohner dieses Hauses haben offenbar private Parkplätze. Wenn ich mich so umschaue, dann stehen hier entweder sehr große oder sehr teure Autos oder sehr große und teure Autos, sodass mir Viktors Alfa Romeo dagegen schon wieder sehr bescheiden vorkommt. Wir halten bei Nummer 4.2 und steigen aus.

„Wie viele Leute wohnen hier?“, frage ich und lasse meinen Blick durch die Garage schweifen. Fast jeder Parkplatz ist belegt.

„Es gibt zehn Wohnungen hier“, erklärt Viktor, während er aussteigt. „Bis zur vierten Etage jeweils zwei Wohnungen auf einem Stockwerk, Etage fünf und sechs haben jeweils nur eine Wohnung.“

„Wo wohnst du?“

„Wo wohnen wir, Yuuri.“ verbessert er mich und in meinen Kopf schwirrt alles nur so durcheinander. „Im vierten Stock, vom Eingang aus gesehen auf der rechten Seite. Deinen Koffer lassen wir noch im Auto. Es sei denn du brauchst irgendwas sofort?“

„Nein, erstmal nicht.“

Viktor nimmt meinen Rucksack von der Rückbank und ich folge ihm, während mein Blick noch einmal in stiller Ehrfurcht über die Autos wandert, die hier stehen. Die Leute, die hier wohnen, müssen verdammt viel Geld haben... Wir steigen eine Treppe nach oben ins Erdgeschoss und betreten einen ansprechenden, stilvollen Flur mit weißen Wänden, glänzend schwarzem Marmorboden und großen Strahlern an der Decke. Ein großer, dunkelroter Teppich liegt auf dem Boden, der wie ich finde wohl eher als Fußabtreter benutzt wird, so durchnässt ist er von dem Schnee, den man von draußen unweigerlich mit hereinbringt. Mit dem Fahrstuhl geht es anschließend in den vierten Stock und mir ist schlecht vor Nervosität, so aufgeregt bin ich, Viktors - stopp - unsere Wohnung zu sehen. Gemein wie er ist, hat er mir natürlich kein einziges Foto in den ganzen anderthalb Wochen Trennung geschickt. Wenn wir per Facetime oder Skype telefoniert haben, hat er immer am gleichen Platz gesessen und ich habe jedes Mal die gleiche, hell tapezierte Wand im Hintergrund gesehen. Beschwert habe ich mich nicht, weil ich weiß, dass er meine Reaktionen sehen will, wenn er neben mir stehen kann, aber ein bisschen weniger Überraschung wäre für meinen Blutdruck sicherlich nicht das Schlechteste gerade.

Der Fahrstuhl hält und wir treten hinaus. Vor uns liegt das Treppenhaus mit einem großen Fenster, von dem aus ich hinunter auf die Straße und die Wipfel der Bäume sehen kann, hintern denen, ihrer Teilung nach zu urteilen, ein Ausläufer der Newa fließt. Auf der anderen Seite steht das Gebäude, dass ich beim Vorbeifahren für die Eishalle gehalten habe.

Links und rechts von uns befinden sich zwei identisch weiße Türen. Viktor wendet sich zur Linken und ich folge ihm. Meine Augen fallen auf das Klingelschild, dass ich versuche zu lesen statt zu erraten. В. Никифоров steht dort und mein Herz klopft wie verrückt. V. Nikiforov. Vor einem Jahr wäre ich nicht mal auf die Idee gekommen, überhaupt einen Fuß nach St. Petersburg zu setzen, geschweige denn, Viktors Adresse zu kennen oder jemals vor seiner Tür zu stehen. Und doch bin ich hier. Ich hatte mir fest vorgenommen, den Fan in mir im Zaum zu halten, aber mit der Aussicht, Viktors Wohnung zum ersten Mal zu betreten, ist das unsagbar schwierig.

Das Schloss klickt, Viktor öffnet die Tür und lässt mich eintreten. Doch bevor ich mich überhaupt irgendwie der Wohnung zuwenden kann, hat Makkachin mich fast umgeworfen. Er bellt vor Freude, wedelt mit seinem Schwanz und springt aufgeregt zwischen Viktor und mir hin und her, unschlüssig wen er zuerst begrüßen soll. Ihn so aufgedreht und munter zu sehen erleichtert mich sehr und ich beuge mich hinunter, um seinen Kopf zu streicheln. Ich hab das große Fellknäuel echt vermisst, das mir zur Begrüßung direkt die Zunge einmal kräftig durchs Gesicht zieht.

„Ruhig, Makkachin. Lass' Yuuri erstmal reinkommen“, lacht Viktor und versucht seinen Hund zu beruhigen. „Wenn du nicht still hältst, musst du auf deinen Platz. Sitz.

Haha, eins der wenigen russischen Wörter, die ich bereits kenne, denke ich und versuche meine Brille von Hundeliebe zu befreien. Im letzten Jahr haben wir vergeblich versucht, Makkachin Kommandos auf Japanisch beizubringen. Folglich mussten ich und meine Familie dann Kommandos auf Russisch lernen und so kennt jeder von uns Sitz, Platz, Bleib, bei Fuß und Aus.

Makkachin hält schließlich bei Viktor still und gibt sich damit zufrieden, von ihm gekrault zu werden. So kann ich mich endlich meiner neuen Umgebung zuwenden. Es gibt einen kleinen Flur, links eine Garderobe mit Spiegel und ein Schuhregal, rechts ist eine Tür und dahinter befindet sich einen Herrendiener. Die Wände sind weiß tapeziert und der Boden besteht gänzlich aus Parkett in Fischgrätenoptik. Der Flur geht ohne weitere Tür in den Wohnraum über und an der Wand fällt mir noch flüchtig ein gemaltes Landschaftsbild auf.

Ich schlüpfe aus meinen Schuhen und bemerke erst jetzt, dass es warm genug ist, auch die Jacke auszuziehen. Es riecht seltsam vertraut, obwohl ich hier noch nie war. Nach Viktor und nach Makkachin. Vorsichtig hänge ich die Jacke auf einen der freien Haken und gehe ein paar Schritte. Ich spüre Viktors Blick auf mir ruhen, er ist bestimmt genauso nervös wie ich.

Der Wohnraum ist sehr groß. In der Mitte seht ein Sofa mit blauen Polstern und Holzbeinen, sowie ein passender Hocker dazu. Bettzeug in dunkelblauen Laken liegt zusammengefaltet auf einer Seite. Stimmt ja, fällt es mir wieder ein, Viktor hat die ganze Zeit über auf dem Sofa geschlafen, weil er sein Bett in Hasetsu gelassen hat. Weiter links in der gegenüberliegenden Ecke sehe ich eine weiß-graue Wohnwand mit einem Fernseher und eine große Fensterfront mit langen, gräulich-braunen und weißen Gardinen. Die Länge der Gardinen überrascht mich und erst mit einem Blick zur Decke bemerke ich, wie hoch diese ist. Dahinter sehe ich eine Glasschiebetür, die auf einen Balkon führt. Makkachins Hundekorb liegt neben der Wohnwand sowie einer seiner Knauknoten. Der Raum wirkt durch die Deckenhöhe und die Gestaltung in schlichten Farben mit einigen elegant ausgewählten Akzenten sehr offen. Viktor hat sich hauptsächlich für verschiedene Blau- und Grautöne bei seinen Möbeln entschieden und irgendwie bringt es mich zum Schmunzeln. Zusammen mit den hellen Wänden wirkt es schon ein bisschen wie ein kleiner Eispalast, in dem der König residiert. Nur ohne jeglichen Pomp, so wie ich aufgrund seiner Einrichtung in Hasetsu schon vermutet habe. Es sind wieder nur die Materialien, die den Unterschied machen: Das Sofa ist mit Wildleder überzogen, der Parkettboden scheint echter Parkett zu sein und auf dem Holz, das bei den Möbeln verwendet wurde, erkennt man noch deutlich die Maserung, sodass es aller Schlichtheit zum Trotz ein rundes, gefülltes und vor allem stilsicheres Bild ergibt. Diese Wohnung trägt eindeutig Viktors Handschrift.

Ich gehe ein paar Schritte weiter in den Raum und wende mich zur linken Seite des Wohnraums. Es gibt eine weitere Tür und ich entdecke Viktors Matroschkas auf dem Sideboard zu meiner Linken. Darüber an der Wand (mein innerer Fan quiekt schrecklich) sehe ich fein säuberlich aufgehängt einige der Goldmedaillen, die Viktor in seiner Karriere gewonnen hat. Abgesehen von den Medaillen, die er in den letzten Jahren beim Grand Prix und den Weltmeisterschaften gewonnen hat, befinden sich hier auch einige aus seiner frühen Seniorzeit, sowie eine olympischen Medaille. Ich muss einmal tief Luft holen, um nicht irgendwie in Ohnmacht zu fallen.

Vielleicht wäre es besser, den Blick in die andere Richtung zu lenken, beschließe ich, und laufe rechts hinter dem Sofa vorbei und wende mich der Küche zu. Wieder rauscht ein Gefühl von Ehrfurcht durch mich durch. Entweder ist Viktors Küche ungewöhnlich groß für einen Ein-Personen-Haushalt oder die in unserem Onsen ist einfach kleiner, als ich bisher angenommen habe. Denn wenn ich ehrlich bin, glaube ich nicht, dass diese Küche unserer professionellen in irgendetwas nachsteht. Links an der Wand befinden sich Kühlschrank und Backofen und der Herd ist in den freistehenden Arbeitsblock integriert. Die Fronten sind aus mattem Edelstahl, die Korpusse türkisfarben und die angeschlossene Arbeitsfläche mit Spüle in dunklem Grau. Hinter dem Arbeitsblock sind noch einmal zwei große Fenster mit den gleichen Gardinen wie an der Balkontüre gegenüber. Ich trete noch einen Schritt näher heran und meine Finger berühren die Oberfläche des Arbeitsblocks. Über mir hängt eine große Abzugshaube und darunter sollte doch eigentlich der Herd sein... ich stutze etwas. Da ist etwas und es hat Markierungen für Töpfe, aber es ist einfach nur flach, schwarz und viereckig. Irritiert stelle direkt davor. Hinter mir höre ich Makkachin, der von Viktor losgelassen wurde und ehe ich mich versehe, habe ich wieder viel Hund um die Beine herum, der gestreichelt werden will.

„Was fasziniert dich?“, fragt Viktor, nachdem er seine Jacke ausgezogen hat und zu mir gekommen ist. Sogleich werde ich von hinten liebevoll umarmt. Sein Blick folgt meinem. „Das Kochfeld?“

„Ich habe sowas bisher nur im Fernseh gesehen.“

„Gibt es das in Japan nicht?“, fragt er erstaunt.

„Bestimmt, aber üblicher ist ein Gasherd... Wir haben auch einen zuhause.“

„Ich weiß. Was hattest du in Detroit?“

„Einen elektischen mit Platten und Knöpfen.“

„Ist dieser hier auch, nur statt der altmodischen Kochplatten mit Drehknöpfen ist das hier ein Kochfeld und funktioniert per Fingerdruck. Schau.“ Viktor streckt die Hand aus und berührt einige auf dem unteren Rand des Feld aufgedruckte Felder und das kleine, rechte Kochfeld leuchtet rot auf. Danach schaltet Viktor es wieder aus.

„Ist das das Einzige, was dich beschäftigt?“, will er amüsiert wissen und vergräbt sein Gesicht zwischen meiner Schulter und meinem Hals. Seine Hände gleiten meine Brust hinunter und wandern tiefer zu meinem Bauch. Ich ziehe die Luft ein, als er meinen Nacken küsst und eine seiner Hände unter meinem Pullover verschwindet.

„Yuuri...“, flüstert er.

Unweigerlich entfährt mir ein leises Stöhnen. Ich spüre seine Wärme, seine Atem... mit einem Mal wird mir wieder bewusst, wie sehr ich ihn und seine Nähe vermisst habe. Ich löse mich aus seiner Umarmung, drehe mich um und sehe ihm in die Augen. Der Rest der Wohnung würde wohl noch etwas warten müssen...

Eine Nacht in Peking – Eros und Katsudon

Ziemlich genau eine Stunde später werde ich wieder aus einem kurzen Dämmerschlaf wach. Aneinander geschmiegt liegen wir nackt auf dem viel zu schmalen Sofa unter Viktors Decke. Makkachin hat sich irgendwohin verzogen, wohin weiß ich nicht. Ein bisschen tut er mir schon leid, da hat er sich so darauf gefreut, uns beide in der Wohnung zu haben und dann wird er nicht beachtet.

Dennoch schließe ich zufrieden mit der Welt wieder die Augen. Ich fühle mich unendlich erleichtert. Mein ganzer Körper hat sich so sehr danach gesehnt, ihn wieder zu berühren, zu halten und ihn lieben zu können... Ich öffne die Augen und sie wandern zu Viktors rechter Hand, die ich in meiner halte. Er umschlingt mich von hinten und ich spüre seinen ruhigen Atem, während er döst. Es war die richtige Entscheidung, denke ich, und fahre mit meinem Daumen über seinen Handrücken. Die Ringe, der Antrag, der Umzug hierher... um nichts auf der Welt würde mich noch einmal von ihm trennen wollen. Dieses Gefühl, dass es dieser eine besondere Mensch ist, der mit einem vereint ist, emotional wie körperlich, ist durch nichts anderes zu ersetzen.

Wenn ich so darüber nachdenke, hat sich unsere Beziehung ziemlich merkwürdig entwickelt, auch wenn ich nicht weiß, wie sich andere Beziehungen normalerweise entwickeln, aber es fangen nicht viele mit zu viel Alkohol an. Nach meiner Niederlage in Sochi hatte ich mich an jenem Bankettabend betrunken und wenn ich mir die Fotos auf Yurios und Chris’ Handy ins Gedächtnis rufe, dann möchte ich den Abend gerne ungeschehen machen. Aber irgendwie hat er auch zu dem geführt, was mich jetzt mit Viktor verbindet... Mein Blick ruht auf dem Ring an seinem Finger und ich muss schmunzeln. Heute sind wir verlobt und das nach gerade mal fünf Monaten Beziehung, wenn ich großzügig rechne. Am Anfang war Viktor nur mein Idol und als solches schier unerreichbar für mich. Der König auf dem Eis. Er ist natürlich immer noch mein Idol, aber vor allem ist er Viktor, den ich so lieben gelernt habe, wie er ist.
 

Zuvor dachte ich eine relativ lange Zeit, in Yuko verliebt zu sein. Doch mit dem Gefühl, das ich Viktor gegenüber empfinde, hatte es rückblickend betrachtet wenig zu tun. Ich fand sie toll, habe sie bewundert und war auch eifersüchtig, als ich erfuhr, dass sie mit Nishigori ausging, aber sie war viel mehr eine beste Freundin, die ich nicht teilen wollte, als eine Frau, die ich begehrte. Auch für das Mädchen aus Detroit, das sich öfters mit mir getroffen hat, habe ich nicht wirklich das empfunden, was ich damals glaubte. Spätestens als ich sie im Krankenhaus von mir stieß, wusste ich sicher, dass sie nicht der Mensch war, den ich in solch aufwühlenden Situationen bei mir haben wollte.

Natürlich beobachtete ich, dass viele um mich herum schon längst Beziehungen führten oder geführt hatten, aber trotzdem hat sich für mich nie etwas Ernstes ergeben. In Detroit habe ich mit Phichit öfters über Beziehungen geredet; wie es wäre eine Freundin zu haben und wie sich das mit unserem Sport und der Uni vereinbaren ließe. Meistens aber lief es darauf hinaus, dass wir uns einredeten, noch Zeit zu haben, weil in Wahrheit keiner von uns zugeben wollte, dass wir irgendwie kein Glück hatten, jemanden für eine Beziehung zu finden. Phichit hat sich in dieser Hinsicht wenig verändert. Er ist unglaublich enthusiastisch, wenn es um die Beziehungen von anderen geht, aber selbst ist er zu sehr auf den Sport fokussiert, als dass er für eine Partnerin Zeit investieren wollen würde.

Vier Monate nach den Grand Prix in Sochi stand Viktor dann plötzlich in unserem Onsen und hat meine unentschlossene Einstellung gegenüber dem Thema Liebe von Grund auf verändert.

Zuerst lief alles wie ein unwirklicher Film vor meinen Augen ab, denn wer würde damit rechnen, dass das eigene Idol einen aus heiterem Himmel heraus trainieren und zur Goldmedaille verhelfen will? Dass er überhaupt da war, war schon zu viel für mich. Als eine Woche später dann auch noch Yurio vor der Tür stand und verlangte, dass Viktor sich an sein Versprechen halten und mit ihm zurück nach Russland gehen würde, dachte ich, ich wäre im falschen Film hoch zwei. Dann Viktors Idee, sein Bleiben oder Gehen in einem Wettbewerb auszutragen. Die Programme Eros und Agape, das Training, Onsen on ice und Katsudon.

Es war alles ein bisschen viel auf einmal, aber im Nachhinein muss ich Yurio sogar dankbar sein, dass er so einen Aufstand gemacht und alles - im wahrsten Sinne des Wortes - losgetreten und mir eine Pistole auf die Brust gesetzt hat, entweder zu handeln oder tatenlos zuzusehen, wie Viktor wieder die Heimreise antritt.

Dass ich den Sieg erringen konnte und Viktor in Hasetsu verblieben ist, stimmte mich zwar überglücklich, aber ich war völlig überfordert mit der Situation und in Gedanken immer wieder damit beschäftigt, herauszufinden, ob er nicht doch eines Morgens nach Russland zurückfliegen wollte.

Mit ein bisschen Hilfe von Yuko und viel Geduld begann ich den Sommer über Viktor in einem anderen Licht zu wahrzunehmen. Nicht mehr als Idol, sondern als Mensch. Je mehr ich mich öffnete, desto mehr tat er es mir gleich und wir lernten uns auf einer ganz anderen Ebene neu kennen. Durch unsere Ausflüge ans Meer oder nach Fukuoka dauerte gar nicht so lange, bis ich anfing, ihn niedlich zu finden und auch die Häufigkeit von kurzen Berührungen zwischen uns nahm kontinuierlich zu.

Die erste Zeit hatte ich alles auf die Art und Weise des Eros-Programms und Viktors Anweisungen dazu geschoben, aber dann kam das Tanabata und auch wenn es nicht als Date geplant war, war es letztendlich eins geworden. Damals hätte ich nie in Betracht gezogen, dass Viktor etwas an mir finden könnte, aber in den folgenden Wochen ließ sich durch kein Programm mehr rechtfertigen, warum wir uns an der Hand hielten, ich ihn küsste und er geküsst werden wollte.

Ich weiß nicht, ob mir je wirklich bewusst war, wie eng wir miteinander waren, als wir zum Cup of China aufgebrochen sind. Es war so selbstverständlich, dass er da war, dass wir zusammen waren, als wäre es niemals anders gewesen. Im Grunde waren wir längst ein Paar, das noch eine, letzte Grenze überwinden musste.
 

Mit seinem Kuss nach meiner Kür hat Viktor diese Grenze schließlich aufgelöst.

Es war ihm gelungen, meine Unsicherheiten zu überbrücken und mir so nahe zu kommen, dass ich seine Nähe nicht als unangenehm empfand, sondern sie brauchte. Ihn brauchte. Seine Drohung als mein Trainer zurückzutreten, sollte ich keinen Podestplatz erringen können, hatte den Kern meiner Angst getroffen. Es ging nicht mehr darum, ob er Verantwortung übernehmen müsste, ob ich erneut an meiner mentalen Schwäche scheiterte oder ob ich noch gewinnen könnte; es ging einzig und allein darum, dass er bei mir bleibt, egal was passiert.

Ich war noch bis kurz vor meiner Kür sauer auf ihn, weil er sich wie ein Trampel verhalten hatte, aber das Weinen hatte mich in einen Gemütszustand versetzt, in dem ich mir frei vorkam, obwohl ich übermüdet, nervlich am Ende und emotional durch war.

Trotzdem war es völlig unangebracht, mir so eine Szene zu gemacht zu haben, nachdem ich mich am Vortag so für ihn ins Zeug gelegt hatte. Meine Nervosität war nichts, womit er nicht hätte rechnen können... Depp. Und dann kam der dreifache Flip. Und mit ihm die Idee, den letzten Vierfachsprung auch als Flip zu springen. Einfach nur, damit Viktor nochmal blöde guckt. Und weil ich's kann.

Aber Viktor hatte trotz meiner spontanen Überraschung sofort die passende Überraschung für mich parat.

Nachdem ich meine Punkte erhalten hatte, standen sofort die ersten Reporter und Morooka bei mir und es dauerte auch nicht mehr lange, bis die Siegerehrung startete. Ich wurde von Phichit für meinen zweiten Platz beinahe mehr gefeiert, wie ich ihn für seinen Ersten hätte feiern sollen. Die Müdigkeit, die Anstrengung, der ganzen Emotionen... All das wirbelte durcheinander, sodass ich gar nicht realisierte, dass sich etwas Neues unter meine Gefühle gemischt hatte. Erst als das Adrenalin in meinem Körper anfing nachzulassen und wir zurück ins Hotel gegangen und es ruhiger um uns geworden war, begann ich die Existenz dieses Unbekannten wahrzunehmen.
 

Ich erinnere mich noch sehr genau, als wir vor meiner Zimmertür im Hotel standen. Ich hatte gerade eine Nachricht von Phichit erhalten und fragte Viktor, ob wir in etwa einer Stunde mit den anderen Phichits Sieg feiern gehen wollten. Eigentlich wollte ich lieber schlafen, aber es war Phichits erster Sieg und da wollte ich nicht Nein sagen. Als Viktor aber nicht antwortete und ich vom Display in seine blauen Augen aufblickte, spiegelte sich in ihnen etwas, dass ich zuvor noch nicht bei ihm gesehen hatte, aber ich spürte sofort, dass es diesem merkwürdigen Gefühl in mir nicht unähnlich war und ich erschrak etwas davor. Gleichzeitig aber hielt es mich völlig gefangen.

Eine kleine Ewigkeit passierte nichts und Viktor antwortete auch nicht auf meine Frage. Sein Blick schien mir Antwort genug zu sein, aber was hätte ich tun sollen? Ich kam mir völlig unvorbereitet vor. Ich war noch nie in dieser Situation gewesen und sein Blick stachelte das merkwürdige Kribbeln in mir nur noch mehr an. Fast wie von selbst erhob sich meine Hand, um sein Gesicht zu berühren. Als ich seine Wange erreichte, schloss er die Augen und lächelte. Er flüsterte meinen Namen, legte seine Hand auf meine und setzte einen Kuss darauf, diesmal vorsichtiger und sanfter als zuvor auf dem Eis. Es war ein Funke und ich wollte mehr.

Als er die Augen wieder öffnete, fasste ich mir ein Herz, trat einen Schritt heran, schloss meine Arme um ihn und küsste ihn auf den Mund, ungeschickt, vielleicht sogar etwas unwirsch. Es war das Einzige, an das ich denken konnte.

Und es fühlte sich fantastisch an. Als würden seine Lippen dieses Kribbeln in meinem Körper weiter anfachen. Ich war innerhalb einer Sekunde süchtig geworden und Viktor begann seinerseits, den Kuss zu erwidern. Als wir uns lösten, nahm er mir die Schlüsselkarte ab und öffnete statt meiner die Tür zu meinem Hotelzimmer. Vor der geöffneten Tür blieb er stehen. Er schien auf etwas zu warten.

Irgendwo aus der Ferne meiner Gedanken versuchte meine Vernunft mich zu warnen, was gleich passieren würde, wenn ich das Zimmer betreten sollte, aber die Rufe verhallten im Nichts. Ich hatte nach Viktors Hand gegriffen, ihn mit in mein Zimmer genommen und letztendlich waren wir zu Phitchits Siegesfeier viel zu spät.
 

Ich kann nicht einschätzen, wie viel Beherrschung es ihn gekostet haben muss, mich bei meinem ersten Mal nicht zu überfordern.

Zuerst küssten wir uns nur. Viktor versuchte vorsichtig zu testen, was mir beim Küssen Gefallen bereitete; ich dagegen war aufgrund meiner Unerfahrenheit wohl eher etwas überenthusiastisch, sodass Viktor ein paar Mal zu lachen anfing und mich bremsen musste. Das war mir zwar überaus peinlich, aber ich schaffte es nicht, mich zurückzunehmen, so eingenommen war ich von den Gefühlen, die Viktors Lippen in mir auslösten. Ich hatte noch nie vorher wirkliche Lust empfunden und sie war übermächtig.

Ich fragte mich, ob es Viktor ähnlich ging. Ob ihm ähnlich heiß war... Er hatte immer noch diesen Trenchcoat an. Ich wollte ihm den Mantel ausziehen. Weg damit und weg mit dem Sakko... weniger Stoff war besser. Gar kein Stoff wäre am besten.

„Wow, Yuuri... du hast es aber ganz schön eilig...“, lachte Viktor, als ich bereits unruhig und nervös an seinem Jackett nestelte. Er trat einen Schritt zurück, um mir mehr Spielraum zu geben, die Knöpfe zu öffnen. Sonderlich geschickt war ich vor Aufregung sicherlich nicht, aber Viktor ließ mir die Zeit und beobachtete mein Tun erwartungsvoll.

„Yuuri...“ Es war schon fast ein Stöhnen. Das Jackett rutschte über seine Schultern, blieb auf Höhe seiner Ellbogen hängen, als er mich zu einem erneuten Kuss an sich heranzog, der diesmal unsere Zungen involvierte. Ich musste mich furchtbar konzentrieren, durch die Nase zu atmen.

Und immer noch so viel Stoff... Ich versuchte, meine Hände wieder zwischen uns zu bekommen, um Viktor endlich aus diesem Haufen Textilien zu befreien, als er wieder anfing, zu lachen.

„Lass mich das machen, Yuuri“, sagte er, sichtlich amüsiert von meiner Ungeduld. „Zieh dich aus, ich will dich sehen...“

Es war vielleicht nicht die Romantischste aller Lösungen, aber sie erfüllte ihren Zweck. Ich entledigte mich von Trainingsanzug, T-Shirt, Unterhemd und -Hose, ohne dabei mehr als nötig den Blick von Viktor abzuwenden. Wir kannten unsere Körper, hatten sie im Onsen oft genug gesehen und dennoch... Unsere Erregung war eindeutig und es war, als stünden wir uns zum ersten Mal nackt gegenüber. Ein bisschen zog sich mein Magen bei diesem Anblick zusammen, so aufgeregt war ich, mir vorzustellen, dass es passieren würde... Wie es passieren würde.

„Yuuri, setz deine Brille ab... oder lass' mich...“

Viktor griff nach den Bügeln und zog mir meine Brille langsam von der Nase. Irgendwie erwartete ich, dass er mich küssen würde und ich hatte die Augen bereits geschlossen, als ich nur seinen Finger auf meinen rechten Arm nach unten fahren spürte, der mir Gänsehaut spießen ließ. Ich öffnete die Augen wieder und sah ihn verschmitzt lächeln; dann drehte er sich um und ging zum Bett. Meine Blicke folgten ihm und ich fluchte innerlich, dass er mir gerade die Brille abgenommen hatte. Viktor legte sie auf den Nachttisch, dann wandte er sich wieder zu mir. Wie in Zeitlupe setzte er sich auf mein Bett, rutschte weiter zur Mitte hin, nahm erst den einen Fuß auf die Matratze, dann den anderen. Mein Mund war staubtrocken geworden und er saß da so unglaublich verführerisch, die blauen Augen nur auf mich gerichtet.

Dann streckte er mir seine offenen Arme entgegen und ich nahm die Einladung an, endlich seine bloße Haut auf meiner zu spüren. Mit einigen schnellen Schritten war ich bei ihm, er zog mich zu sich und dann war da nur noch das Gefühl seiner nackten Haut auf meiner und die Wärme seines Körpers. Unsere Hände waren sofort auf Wanderschaft, jeden Zentimeter des Körpers des Anderen zu erkunden. Ich war so aufgeregt, dass ich manchmal gar nicht wusste, ob meine Hand nun seine Brust oder seinen Bauch streichelte oder ob ich überhaupt gezielt nach einer Stelle suchte, die ich berühren wollte. Solange es einfach nur Viktor wäre, war mir alles recht.

Je länger unser Spiel dauerte, desto fester hielt ich ihn und er mich und wir rollten zur Seite, sodass wir auf einen Ellbogen gestützt nebeneinander zum Liegen kamen. Viktor hatte begonnen, kleine Küsse über meinen ganzen Körper zu verteilen und ich fing an, lauter zu atmen, wahrscheinlich sogar zu stöhnen. Meine Beherrschung war unlängst ein Opfer meiner Ungeduld geworden und mir war, als würde ich es keine Sekunde länger ertragen können, in der ich nicht mit Viktor verbunden wäre.

Ich griff um seinen Oberkörper, um ihn über mich zu ziehen und in Viktors Augen sah ich für einen kurzen Moment Überraschung, die aber sogleich einem lasziven Blick wich.

„Yuuri... so sehr willst du es...? ...Willst du mich diesmal?“, flüsterte er mir mit rasselnder, heißer Stimme entgegen.

Mir war nicht ganz klar, worauf er anspielte, aber wenn nicht er, dann niemand sonst auf der Welt. Zum Nachdenken war später noch Zeit. Ich dachte gar nichts mehr, sondern drückte seinen Hintern nur noch fester auf meinen Körper, um dieses Gefühl nicht zu verlieren... Ich wollte noch so viel mehr von ihm.

„Yuuri... ahhh... Ich will... dich ganz spüren...“, keuchte Viktor und ohne auch nur einen Gedanken zuverschwenden, stemmte ich mich gegen ihn, um ihn auf den Rücken zu drehen; er ließ sich zur Seite fallen und unsere Positionen drehten sich zurück.

Jetzt lag wieder in seinem Schoß und ich wusste nicht warum, aber so fühlte es sich noch viel besser an als gerade zuvor. Wie von selbst begann ich mich an ihn zu reiben und Viktor legte seine Beine auseinander, um mich tiefer sinken zu lassen. Oh Gott, dachte ich, zwischen diesen Beinen lag der Himmel auf Erden.

„Yuuri,“ keuchte er, als ich mich aufrichtete und über ihn beugte, um noch besser in diese wunderschönen, lustverhangenen Augen zu blicken. „Wehe, du denkst jetzt auch nur eine Sekunde an eine Schüssel Katsudon... los, fass' mich an.“
 

Später habe ich mich die ganze Siegesfeier über gefragt, ob man es uns ansah, dass der Kuss noch weitreichendere Folgen gehabt hatte. Wenn überhaupt einer der Anwesenden den Eindruck machte, genau zu wissen, was passiert war, dann war es Christophe Giacometti, der irgendwann mit einem Augenzwinkern zu mir meinte, dass ausnahmsweise eine Silbermedaille Gold wert gewesen sei. Ich war zuerst irritiert und mein Gehirn arbeitete auch nur sehr schleppend, aber nach einer Weile war ich sicher, dass er 'Gold' als Synonym für Viktor gebraucht hatte.

Ob er damit aber nur auf den Kuss anspielte oder auf mehr, kann ich nicht sicher behaupten. Es konnte auch einfach daran gelegen haben, dass uns allen klar war, dass Chris den meisten Sex an diesem Wettkampfwochenende gehabt hatte; mit oder ohne Partner. Ich weiß auch noch, dass ich in meinen müden Gedanken unglaublich hin- und hergerissen war zwischen peinlicher Verlegenheit und unwirklicher Glücksgefühle. Die Freude ergriff mich immer dann, wenn ich daran dachte, wie unglaublich es sich angefühlt hatte, Viktor so nah gewesen zu sein und im selben Moment überwog die irrational beschämende Erkenntnis, dass es niemand anders als der Viktor Nikiforov gewesen war, den ich bereits mein halbes Leben lang verehrt hatte, in dessen Gesicht ich hinab gesehen hatte, als es passierte. Im Gegensatz zu Yuko und dem Mädchen aus Detroit, deren körperliche Nähe ich mir nie richtig hatte vorstellen können, schien es mit Viktor die natürlichste Sache der Welt gewesen zu sein. Und nicht minder durchfuhr es mich, wenn ich daran dachte, dass Viktor das Gleiche empfunden und sich mir nicht weniger hingegeben hatte, wie ich mich ihm.
 

Am frühen Abend sind dann alle Sachen aus meinem Koffer in Schränken und Schubladen verstaut und auch meine Frage, wo wir heute Abend schlafen werden, hat sich beantwortet. Viktor hat eine aufblasbare Matratze besorgt, die groß genug für zwei Personen ist. Es wird eng, aber damit könnte man sich arrangieren, bis das neue Bett in ein paar Tagen da sein wird.

Weil ich mich, wie Viktor behauptet, übertrieben geziert habe, ist er vor meiner Ankunft schon alleine in ein Möbelgeschäft gegangen, hat sich umgesehen und Fotos gemacht, die er mir dann geschickt hat und anhand derer wir dann zusammen entschieden haben. So konnten wir zum einen Zeit sparen und mir ist der Gang ins Geschäft erspart geblieben. Wir haben uns auf ein schlichtes Modell ähnlich zu dem, welches Viktor vorher hatte, geeinigt; allerdings werden bei dem neuen Bett zwei Schubladen als Nachttische dabei sein, eine Ablage am Fußende sowie integriertes Licht. Letzteres war der Punkt, an dem unsere Meinungen am Weitesten auseinander gegangen waren, denn Viktor kann ohne Licht nicht schlafen, aber mich machen diese Stehlampen, die er in Japan neben seinem Bett aufgestellt hatte, völlig kirre. Insofern ist dieses Modell mit Lampen der Kompromiss, mit dem wir beide zufrieden sein können. Es ist auch ganz nebenbei die optisch beste Wahl, denn Viktors Kleiderschrank ist ebenfalls aus hellem Eichenholz mit weißen Fronten, aber ob das jetzt Zufall ist, würde ich so noch nicht unterschreiben. Ich kenne ihn dafür schon zu gut und weiß, dass es ihm gar nicht gefällt, wenn Dinge nicht zusammenpassen. Oder generell Durcheinander herrscht. Viktor ist einer der ordentlichsten Menschen, die ich kenne. Schon in Japan hat immer alles seinen Platz gehabt. Ich habe nicht einmal sein Zimmer betreten und Unordnung bemerkt. Manchmal wundere ich mich, woher das kommt, denn Viktor hängt mit seinen Gedanken oft in einer Seifenblase. Realität ist etwas, mit dem er sich eher schwer tut, aber merkwürdigerweise schafft er es, seine eigenen vier Wände überaus gut in Schuss zu halten. Es ist wahrscheinlich eines dieser Paradoxa, die ich schon öfter bei ihm festgestellt habe. Am Krassesten davon die Abwechslung aus Anhänglichkeit und plötzlichem Verschwinden und das manchmal innerhalb von Sekunden. Er kann stundenlang in meiner Nähe bleiben und es reicht, dass ich mich nur einmal umdrehe und er ist weg. Wohin, keine Ahnung; wann er wieder kommt, auch keine Ahnung und was er dann macht, erst recht keine Ahnung. Irgendwann taucht er wieder auf. Ich habe hin und wieder versucht, ein Muster in diesem Verhalten erkennen zu wollen, aber es ist schlicht und ergreifend unmöglich.

Ein anderes Beispiel, welches mir aber schon recht früh aufgefallen ist, sind die Unterschiede zwischen dem, was er für sich will und dem, was er von anderen erwartet. Geht man nach Viktors Besitz, seiner Garderobe, Pflegeartikeln oder generell persönlichen Gegenständen, könnte man meinen, es müsse einfach nur teuer sein, um ihm zu gefallen. Als wäre er ein sehr oberflächlicher Mensch, dem materielle Dinge und sein Image unheimlich wichtig sind. Und dann reichen so unspektakuläre Dinge wie das Fotoalbum zu seinem Geburtstag, eine Schüssel Katsudon oder ein bisschen mehr Speck auf meinen Hüften und Viktor freut sich, als gäbe es nichts Besseres auf der Welt. Ich hätte ihn wahrscheinlich auch mit einem Ring aus dem Kaugummiautomaten fragen können, ob er mich heiraten will und er hätte immer noch „Ja“ gesagt. Gut, in Anbetracht dessen, dass ich überhaupt keinen Ring bei dieser ersten, spontanen und reichlich verkorksten Aktion am Flughafen dabei hatte und Viktor trotzdem sofort drauf eingestiegen ist, bin ich mir dessen sogar sicher, aber wenn ich dann wieder in seinen Schrank schaue, dessen Inhalt allein wahrscheinlich mehr wert ist als mein gesamter Besitz zusammen, dann stelle ich mir schon die Frage, wie das unter einen Hut passt.

Aber immerhin füge ich mich so wunderbar in dieses Kuriositätenkabinett ein. Wäre Viktor weniger gegensätzlich, käme ich wahrscheinlich gar nicht damit klar, wieso sich der begehrteste Junggeselle Russlands in mich verliebt hat, als ich mich sturzbetrunken und lallend um seinen Hals geworfen habe... Herzlichen Glückwunsch an mich, die peinlichste Aktion meines Lebens ist gleichzeitig der Beginn der Liebesbeziehung mit meinem zukünftigen Ehemann... Ich schätze, das können nicht viele von sich behaupten.

Und gerade ist Viktor wieder dabei, so ein Paradoxon ins Leben zu rufen. Er will seiner Medaillenkollektion an der Wand meine Silbermedaille aus dem Grand Prix hinzuzufügen. Auch wenn das hier niemand außer uns sehen wird, ist mir das trotzdem unglaublich peinlich... es ist ja nicht so, dass ich irgendwas anderes zum Aufhängen hätte. Es ist das Einzige, was ich bisher gewonnen habe und Viktor hat mich gerade wissen lassen, dass er neben dem, was an der Wand hängt, noch eine ganze Kiste mit diversen Pokalen, Auszeichnungen und Medaillen aus seiner Juniorzeit im Keller hat.

Nachdem die Medaille hängt, tritt er ein paar Schritte zurück und betrachtet das Ergebnis.

„Viktor,“ bemerke ich vorsichtig und hoffe, dass ihm auffällt, dass mir das gerade sehr unangenehm ist, „das sieht jetzt so aus, als wäre diese eine silberne Medaille wichtiger als die Goldenen.“

„Warum darf sie denn nicht wichtiger sein, Yuuri?“, fragt Viktor mit einer Selbstverständlichkeit, die mich an meinem Verstand zweifeln lässt. „Du wohnst jetzt hier und es ist deine erste Medaille. Du kannst stolz darauf sein. Sie ist gleichzeitig auch unsere erste Medaille. Von allen, die hier hängen, ist sie die Einzige, die für uns beide Erinnerungen enthält. So gesehen ist sie doch ohne Zweifel die Wichtigste, oder?“

...Was soll ich darauf noch sagen können? Gar nichts, außer diesen Dussel in meine Arme zu ziehen und ihn lieb zu haben.

Er schaut mit breitem Grinsen zu mir herunter.

„Außerdem, Yuuri, soll sie dich daran erinnern, dass du ein Ziel hast. Wenn alles wieder zusammenpasst, gefällt es mir am Besten.“ (> v o)

Oh Mann, Viktor. Das musste ja noch kommen...

Eine Vitrine voller Erinnerungen – Wer ist Frau Praslova?

„Wer ist Jelena?“, frage ich platt, als wir beim Frühstück sitzen und Viktor mir angekündigt hat, dass wir heute eine Frau mit dem Namen Jelena besuchen werden.

„Die beste Frau der Welt“, erklärt er mir mit verträumten Blick. „Für dich heißt sie Frau Praslova.“

„Gut“, entgegne ich, obwohl ich immer noch nicht weiß, wie ich mir Jelena Praslova vorstellen soll. Viktor scheint sie gut zu kennen und er wirkt aufgeregt. Es zieht etwas in meiner Brust, aber ich will versuchen, mir nichts anmerken zu lassen.

Wir machen uns nach dem Frühstück fertig und wir nehmen Makkachin mit. Seit wir die Wohnung verlassen haben, verhält sich Viktor wie ein kleines Kind in ungestümer Vorfreude auf etwas ganz Besonderes. Sogar Makkachin teilt die Freude seines Herrchens, denn der Hund zieht wie bekloppt, sodass ich Probleme habe, ihn an der Leine halten zu können. Und er kennt den Weg offenbar sehr genau, Viktor muss sehr oft mit ihm hier entlang gegangen sein. Das Einzige, was mich mehr irritiert als meine leise köchelnde Eifersucht, ist die Tatsache, dass wir uns immer mehr ins Zentrum der Stadt begeben statt in ein Wohngebiet. Um genau zu sein, laufen wir mitten in die Altstadt hinein und kommen schließlich vor einer nicht ganz billig anmutenden Schneiderei zum Stehen. Dem Namen auf dem Schild nach zu urteilen, das ich mit Mühe und Not entziffern kann, gehört der Laden eben jener Jelena Praslova. Von außen ist das Gebäude historisch anmutend aus der Gründerzeit mit vielen kunstvollen Verzierungen und einer Sandsteinfassade; von innen aber erstrahlt es in modernem Chic. Im Schaufenster sind haufenweise teure Stoffe aus feinsten Materialien auf Schneiderpuppen drapiert oder bereits zu festlichen Roben verarbeitet worden. Ich kann durch die Schaufensterdekorationen weiter hinten reihenweise behängte Kleiderstangen erkennen, dazu elegante, schlanke Schränke und Glasvitrinen, die fein säuberlich mit Perlen, Knöpfen und Pailletten gefüllt sind und auf den Auslagetischen liegen akkurat noch andere, feine Kostbarkeiten aus Leder, Seide, Chiffon, Federn und Seidenblumen. Von der Decke hängt ein riesiger, goldener Chandelier, der dem ganzen Ambiente einen edlen Touch verleiht. Und ich stelle mit Verwunderung fest, dass an die Schneiderei auch ein Friseursalon angeschlossen ist.

„Also Yuuri,“ beginnt Viktor und ich reiße mich von dem Anblick durch die Fensterscheiben los, „Willkommen in der wunderbaren Welt von Jelena.“

Er drückt die Klinke und wir treten ein, begleitet vom Klang einer kleinen Glocke. Kaum im Laden angekommen, löst Viktor den unheimlich nervösen Makkachin von der Leine und ich will noch eingreifen, da rauscht der Hund bellend mit einem Affenzahn in die Hinterräume, ohne dass ich ihn halten kann.

„Er hat da hinten einen Napf und will trinken“, erklärt mir Viktor als er mein hilfloses Gesicht sieht, obwohl ich gar nicht gefragt habe. Aber dann scheint ja alles gut zu sein... Moment! Wie? Makkachin hat einen Napf da hinten?!

Dann höre ich Schritte und eine Frauenstimme, die Makkachin überschwinglich begrüßt. Und schließlich kommt die Besitzerin dieser Stimme um die Ecke und ich möchte im Boden versinken für meine alberne Eifersucht. Jelena Praslova ist sicher um die 60 Jahre alt, sie hat eine mittlere Statur und Größe, trägt ein schwarzes Cocktailkleid mit dezentem Schmuck sowie ein Armkettchen und hat leichtes Makeup aufgetragen. Ihre braun gefärbten Haare hat sie in einem eleganten Knoten auf ihren Hinterkopf gesteckt. Auf der Nase sitzt eine schlanke, rechteckige Brille und sie hat ein bezauberndes Strahlen im Gesicht. Sie erinnert mich ein bisschen an eine gute Fee.

„Viktor, ihr seid ja schon da! Ich war gerade noch dabei, die neue Lieferung durchzugehen, da hab' ich Makkachin gehört.“

Sie kommt uns mit offenen Armen entgegen und sie und Viktor umarmen sich, Küsschen links und rechts. „Du warst noch gar nicht bei mir, seit du wieder hier bist, Junge“, begrüßt sie ihn. Dann fällt ihr Blick auf mich. „Und das muss Yuuri sein, nicht wahr? Willkommen, Yuuri, ich bin Jelena!“

Sie reicht mir ihre Hand und ich schüttele sie etwas unschlüssig, weil ich noch nicht weiß, wie ich Viktors Verhältnis zu dieser scheinbar sehr herzlichen Frau einsortieren soll. Sie betrachtet mich unglaublich interessiert.

„Er ist größer als ich dachte für einen Japaner, aber was hat er für bezaubernde Augen! So ein schönes, klares Braun.“ Ich werde rot. „Ich bin ja ganz aufgeregt. Ich habe schon viel über dich gehört, Yuuri, und jetzt sehe ich dich vor mir; ach, Viktor, er ist wundervoll! Das ist jemand für dich, das spür' ich sofort. Ich glaub', mir kommen die Tränen...“

Viktor nimmt sie in den Arm und lacht. „Ist doch kein Grund zum Weinen. Freu' dich bitte.“

„Oh, das tu ich doch!“, entrüstet sie sich, während sie die Tränen aus den Augenwinkeln wischt. „Und wie! Ich bin einfach zu alt und rührselig mittlerweile. Die kleinsten Sachen und schon kullern die Tränen.“

Viktor lässt sie los und sie richtet sich wieder. „Bitte entschuldigt. Wollt ihr euch zuerst umschauen oder wollen wir erst einmal nach oben? Etwas trinken vielleicht? Ich hab alles da, Kompott, Kaffee, Tee? Oder willst du Yuuri dein Zimmer zeigen?“

Sein Zimmer? Viktor hat hier ein Zimmer? In einer Schneiderei?! So langsam bin ich überfordert. Die Ahnungslosigkeit muss mir deutlich ins Gesicht geschrieben stehen, denn Frau Praslova beginnt zu lachen.

„Hast du ihm nichts erzählt?“

„Dass du aber auch gleich mein Zimmer erwähnen musst ...“, zwinkert Viktor ihr zu.

„Also, Yuuri, - ich darf doch Yuuri sagen? -“, beginnt Frau Praslova und ich nickte etwas unschlüssig. Sie wendet sich in Richtung der Hinterräume und winkt uns zu, ihr zu folgen. „Ich will es dir erklären, aber gehen wir erstmal nach oben. Einfach gesagt, schneidere ich Viktors Kostüme seit er zehn war. De facto hat Viktor aber gewissermaßen bei mir gewohnt. Wenn Herr Feltsman keine Zeit für ihn hatte, war er immer bei mir. Oder er kam noch spät nach der Schule oder seinem Training vorbei. Oder wenn es Streit gegeben hatte.“ Wir biegen um die Ecke in einen langen, hohen Flur, von dem aus mehrere Räume abgehen, die offenbar als Näh- und Lagerzimmer genutzt werden. „Ich werd' es nie vergessen, als er drei Tage am Stück hier gesessen und sich versteckt hat, als er sich den Hund zugelegt hat. Was für ein Drama. Das war der Moment, in dem ich beschlossen hatte, ihm eins der oberen Zimmer freizumachen, in das er sich zurückziehen konnte.“

Ok, das war viel Info auf einmal, die ich erstmal sacken lassen muss. Viktor hat hier also quasi gewohnt, wenn er mit Herr Feltsman Streit hatte? Was für Drama gab es mit Makkachin, dass er sich drei Tage lang versteckt hat? Vor wem überhaupt?

„Die Anschaffung von Makkachin ist ihre Lieblingsgeschichte“, flüstert mit Viktor zu. „Alles halb so wild.“

„Ok...“

Am Ende des Gangs erreichen wir eine elegant gewundene Holztreppe.

„Hier hat sich nichts verändert“, sagt Viktor zu Frau Praslova, als wir zur Wohnung über dem Laden emporsteigen. Ich lasse meine Gedanken kurz schleifen und schaue mich um. Das Ambiente wird altmodischer, aber nicht weniger stilvoll. Es passt so viel besser zur Fassade, denke ich. Die Wohnung von Frau Praslova ist wie sie selbst elegant und freundlich und es gibt eine Menge Blumen, egal ob auf Bildern, als Sträuße oder in Töpfen auf den Fensterbänken. Küche und Wohnraum bilden wie bei Viktor ein großes Zimmer. Typisch wie für einen Altbau sind die Fenster hoch, die weißen Gardinen lang und schwer. An den Wänden stehen Vitrinen aus dunklem Holz, die Porzellan, Matroschkas und eine ganze Menge gerahmter Fotos beinhalten. Mein Blick bleibt direkt an diesen Fotos hängen, noch bevor ich den ganzen Raum einmal betrachtet habe. Es scheinen alles Fotos von Viktor zu sein.

„Ah, du hast sofort meine kleine Galerie entdeckt“, lächelt Frau Praslova. „Hier habe ich alle Bilder von Viktor, die für mich etwas ganz besonderes sind. Der Wert dieser Aufnahmen wäre für die Presse unbezahlbar. Geh ruhig hin, sieh sie dir an.“

Mein Herz klopft wie verrückt, als ich etwas zögerlich näher trete. Frau Praslova überholt mich schnellen Schrittes, öffnet das Vitrinenglas und nimmt zielstrebig ein erstes Foto heraus, um es mir zu zeigen.

„Hier war er das erste Mal bei mir und hat sein erstes Wettkampfkostüm bekommen. Er war gerade zehn geworden“, erzählt sie und gibt mir das Bild in die Hand. Der junge Viktor, mit schulterlangen Haaren, wenig begeistertem Blick und roten Augen, trägt ein feuerrotes, enges Outfit mit schwarzen Rauten und erinnert an eine Mischung aus Harlekin und Spielkarte. Irgendwie gar nicht sein Stil.

„Das hat die Hexe ausgesucht“, erklärt Frau Praslova und sucht Viktors Blick.

„Sie meint Lilia“, fügt Viktor hinzu. Lilia? Die Lilia Baranovskaya?

„Fürchterliche Frau“, bekräftigt Frau Praslova ihre Aussage, während Viktor hinter mich tritt und beide Arme um meine Schultern legt. „Viktor war gerade neu dazu gekommen. Also musste er aus bereits vorhanden Kostümen wählen und hat den Fehler gemacht, zu sagen, dass ihm keins gefällt. Die Frau ist ausgerastet, es gab ein Riesentheater. Sie hat ihn dann in das hier gesteckt und damit war für sie die Sache erledigt. Wenn er seine Vorstellung umsetzen wolle, so hat sie ihn anschrieen, müsse er dafür erstmal was leisten. Was für ein Ton. Einfach schrecklich, ein Kind so anzugehen.“

„Oh ...“, es ist grad alles, was ich sagen kann. Die meisten Informationen, die ich über Viktors Leben habe, beruhen auf Artikeln und Berichten aus dem Fernseh oder irgendwelchen Magazinen, weil er selten etwas von sich erzählt. Mir wird gerade ein ziemlich flau im Magen aufgrund der neuen, unbekannten und vor allem viel privateren Details.

„Lilia und ich sind nie gut miteinander gewesen“, ergänzt Viktor mir gegenüber. „Das weißt du aber. Dass Yurio mit ihr auskommt, erstaunt mich immer wieder.“

„Der junge Yuri Plisetsky?“, erkundigt sich Frau Praslova und zieht dabei die Brille tiefer auf die Nase. „Das kann ich dir sofort beantworten, mein Lieber. Plisetsky ist vornerum ein Rabauke, aber er hat Respekt vor denen, die ihm sagen, wo es lang geht. Er hat große Schwierigkeiten, sich zu artikulieren, in Gesellschaft wie auch auf dem Eis und braucht jemanden, der ihm deutlich sagt, was er machen muss. Ohne Anweisungen bringt er nichts und Anweisungen sind das, was die Hexe bestens geben kann. Er hat viel Potenzial und Talent, aber er wird kein zweiter Nikiforov. Dazu fehlt ihm das, was allgemein als Genie bezeichnet wird.“

Mir steht der Mund etwas offen. Treffender hätte sie Yurio fast nicht beschreiben können. Ich gebe Frau Praslova das Foto zurück und sie gibt mir direkt das nächste.

„Das ist ein Jahr später, mit elf. Da waren die Haare lang genug, dass wir ihn ordentlich frisieren konnten“, schwärmt sie. „Wir haben diese Flechtfrisur daraus gemacht, das hatte dir gut gefallen, nicht, Viktor?“

„Wenn du das sagst; ich weiß das nicht mehr“, lacht er und zuckt mit den Schultern.

Viktors Haare sind in der Tat kunstvoll in französischen Zöpfen um seinen Kopf geflochten. Das Outfit dagegen wirkt sehr traditionell, hat kurze, weite Hosen in schwarz und ein Hemd, dass mit einer Art - wie ich finde - Alpenstickereien versehen ist. Eigentlich fehlen nur noch die Hosenträger.

„Das hat auch sie ausgesucht, nicht?“

„Ja, und natürlich durften die Haare auch nicht so bleiben. Sie hätte sie ihm am Liebsten abgeschnitten“, wird mir berichtet. „Wir ließen die Haare letztendlich als einfachen Zopf im Nacken. Aber ich mag dieses Foto von Viktor, weil er sich hier wenigstens über die Frisur freut.“

Sie nimmt das Bild wieder und reicht mir das nächste, diesmal aber von einer ganz anderen Stelle als die bisherigen beiden. Mein Herz macht einen Hüpfer. Es ist das blau-schwarze Outfit in Federoptik mit Pailletten, zu dem Viktor diesen riesigen Blumenkranz in den Haaren trug.

„Er ist ganz still, Viktor“, bemerkt Frau Praslova. „Wahrscheinlich hast du ihn damit verzaubert. Ach, was red' ich, du hast uns alle verzaubert, als du damit zur Zauberflöte(*) gelaufen bist.“

„Stimmt das, Yuuri?“ fragt Viktor amüsiert.

„Nicht ganz... aber ich erkenne das Outfit. Du hattest Gold bei den Europameisterschaften damit gewonnen“, sage ich, ohne den Blick von dem Foto abzuwenden. Im Hintergrund erkenne ich Herrn Feltsman, aber Lilia Baranovskaya fehlt. Auf den anderen beiden war sie zu sehen gewesen.

„Viktor hatte die erste Seniorsaison herrausragend gut abgeschlossen. Als Herr Feltsman bei mir für einen neuen Termin angerufen hat, habe ich zu ihm gesagt, er möge diesmal seine Frau nicht mitbringen. Der Junge verdiene endlich ein eigenes Kostüm, wenn er so erfolgreich ist. Eins, das zu ihm passt, hab ich gesagt.“

Ich hänge wie gebannt an ihren Lippen und warte, dass sie weitererzählt.

„Mein Herz ging auf, als sie hier waren und Herr Feltsman Viktor eröffnete, er dürfe sich sein Kostüm komplett alleine zusammenstellen. Viktor hat gestrahlt ohne Ende. Herr Feltsman hatte Bedenken, dass er wahllos alles anhäufen würde, was er findet, aber Viktor brachte nur das zu mir, wovon er wusste, wo er es am Kostüm haben wollte. Ich habe kaum etwas ändern müssen. Das Kostüm ist im Grunde so, wie Viktor es sich ausgedacht hat. Als es schließlich fertig war, sagte ich zu Herr Feltsman: Viktor ist wirklich etwas ganz Besonderes. So jung und schon so kreativ und selbstständig, das gibt’s nur ganz selten. Die Choreografien hat er damals ja auch schon selbst gemacht.“

Viktor lacht. „Wenn du so in Erzähllaune bist, dann geh ich doch nach unten und schau mich um.“

„Nur zu, du kennst dich ja aus“, lächelt sie ihn an und Viktor verschwindet die Treppe nach unten. Ich höre noch, wie er nach Makkachin ruft.

Frau Praslova reicht mir derweil ein anderes Foto, auf dem der junge Viktor mit Makkachin zu sehen ist. Es ähnelt dem Bild, dass ich in Yukos Magazin gesehen habe und aufgrund dessen ich mir meinen Hund gekauft hatte. Ich hatte damals meine Eltern um Erlaubnis gefragt und unter der Bedingung, eine gute Note im Mathetest zu schreiben, auch direkt ihre Zusage erhalten. Ganz so einfach schien es bei Viktor nicht gewesen zu sein, wenn er sich drei Tage lang bei Frau Praslova verstecken musste. Dabei sieht das Foto so unbeschwert aus. Viktor lacht ehrlich und glücklich.

„Als ich das Foto gemacht habe, war das Drama noch in vollem Gange“, erzählt Frau Praslova als könne sie meine Gedanken lesen. „Viktor durfte sich eine Belohnung für seinen Weltmeistertitel bei den Juniors aussuchen. Sie, also Herr Feltsman und die Hexe, dachten wahrscheinlich, dass er wie alle Jungs in seinem Alter mit einem Spielecomputer oder was es da alles gab, zurück kommen würde. Humbug, das hätte ich ihnen gleich sagen können. Viktor hat sich nie für sowas interessiert. Aber einen Hund hätte er gerne wieder gehabt. Er hatte oft erwähnt, dass er den Hund seines Onkels vermisst. Die Hexe hat das natürlich geflissentlich überhört, bis Viktor mit dem Pudel vor der Tür stand.“

Ich verstehe und muss sofort lachen. Dann hat Viktor sich also vor ihr versteckt... Lilia Baranovskaya sieht auch nicht so aus, als wäre mit ihr gut Kirschen essen und plötzlich einen Hund im Haus zu haben, wäre auch für meine Eltern nicht einfach gewesen. Mit Yurios Kater scheint sie aber keine Probleme zu haben... wahrscheinlich ist sie eine Katzenfrau.

„Was war mit dem Hund des Onkels?“, frage ich nach.

„Gestorben, da war Viktor glaube ich acht. Jedenfalls hat der Onkel danach keinen Hund mehr angeschafft, er selbst war auch schon alt und gesundheitlich zu angeschlagen, als dass er sich noch um ein Tier hätte kümmern können.“

„Und Viktors Eltern?“

Frau Praslova winkt ab. „Die Mutter doch nicht. Sie war nicht mehr die Jüngste als sie Viktor bekam und einen Hund noch zusätzlich zur Arbeit und dem Kind, nein. Da war es besser, dass sie dem Jungen den Vorrang gegeben hat, schließlich war ihr Bruder krank und der Hof musste auch weitergeführt werden. Viktors Vater hat in einer anderen Stadt gearbeitet und nicht bei der Familie gewohnt.“

Ich fühle mich unangenehm überrumpelt. Hat Viktor denn kein gutes Verhältnis zu seiner eigenen Mutter? Mein Blick wandert wieder auf das Foto. Es stimmt schon, es gibt kein einziges Interview, in dem Viktor über seine Eltern geredet hat.

„Mach dir keine Sorgen“, sagt Frau Praslova mit beruhigender Stimme, als hätte sie schon wieder meine Gedanken erraten. „Viktor hat ein gutes Leben bei seiner Familie gehabt. Die Eltern und der Onkel hatten zusammen einen Hof und Viktor ist als kleiner Junge zwischen Hühnern und Schafen herum gestapft. Er hatte viel Freiraum. Im Winter ist Viktor immer mit dem Hund auf dem zugefrorenen Weier hinter dem Hof spielen gewesen. Er ist mit dem Hund eisgelaufen, Gott, was hätt' ich dafür gegeben, wenn ich das hätte sehen können.“

Oh, ich auch. Das ist eine wirklich schöne Vorstellung.

„Viktor hat seinen Onkel wirklich sehr gern gehabt, der ihm quasi den Vater ersetzt hat. Und der Onkel hat Viktor nicht weniger geliebt. Die wundervolle und unbeschwerte Art habe Viktor von ihm, hat Herr Feltsman gesagt. Getroffen habe ich den Onkel aber nie. Er ist leider viel zu früh gestorben, um Viktors brillante Karriere noch mitzuerleben.“

„Wie alt war Viktor, als sein Onkel gestorben ist?“, frage ich wieder merklich verunsichert. Ein Todesfall in der Familie könnte natürlich eine Erklärung sein, warum er nie von seiner Familie gesprochen hat.

„Neun. Das war kurz nachdem Herr Feltsman ihn unter seine Fittiche genommen hatte“, erklärt Frau Praslova. „Es war aufgrund der Krankheit vorhersehbar und Viktor hatte die Chance, sich zu verabschieden, bevor man ihn nach St. Petersburg geholt hat. Das war sehr wichtig. Viktor hat in den ersten Jahren bei Herrn Feltsman sehr hart trainiert. Mit dem Eislaufen hat er viel verarbeitet. Es war sein Onkel, der die Klassenlehrerin kurz nach Viktors Einschulung darauf hingewiesen hatte, dass Viktor sich auf dem Eis fast besser bewegte als auf normalem Boden. So kam der Stein überhaupt ins Rollen.“

Sie macht ein kurze Pause, um mir Zeit zugeben, alles zu verarbeiten. Auf der einen Seite bin ich froh, all diese Dinge zu erfahren, aber es schmerzt, dass Viktor darüber bisher nie von sich aus darüber geredet hat, außer dieses eine Mal, als ich ihn darum gebeten hatte. Aber einfach mit der Tür ins Haus fallen will ich dann auch nicht... Dann spricht Frau Praslova weiter:

„Sie ließen Viktor im Sportunterricht einige Übungen turnen und stellten fest, dass seine Motorik und Beweglichkeit im Vergleich zu der der anderen Kinder in seinem Alter viel weiter entwickelt war. Also kam er zum Leistungsturnen. Der dortige Betreuer legte seinem Onkel aber schnell nahe, den Jungen doch besser zum Ballett zu schicken, da Viktor neben der enormen Gelenkigkeit ein bemerkenswertes Bewusstsein für Ästhetik und Kreativität besaß, welches er beim Leistungsturnen nie hätte einbringen können.“

„Und dann ist Viktor zum Ballett?“

„Nein, erst einmal nicht“, lächelt sie und sucht ein anderen Foto heraus. Ich muss zweimal hinsehen, bis mir klar wird, dass ich gerade Viktor mit vielleicht fünf oder sechs Jahren sehe. Hätte man es mir einfach so gezeigt, hätte ich wahrscheinlich gefragt, wer das niedliche Mädchen mit den kinnlangen Haaren in Regenjacke und Gummistiefeln ist, das in einer Pfütze steht und sich über den Dreck überall bestens amüsiert. Neben ihm sehe ich den besagten Hund des Onkels. Oder vielmehr einen Bär, dieser Hund ist ja riesig! Selbst Makkachin wirkt dagegen wie ein Welpe.

„Viktor war als Kind wie ein Schmetterling, zart und zerbrechlich. Er hat immer viel vor sich hingeträumt. Der Onkel hatte Recht, ihn erst zwei Jahre später zum Ballett zu schicken. Dort verlangen sie extemen Gehorsam und das hätte er nicht durchgehalten. Dass Viktor später Herrn Feltsman zugeteilt wurde, war das Beste, was ihm passieren konnte. Der Mann erscheint auf den ersten Blick zwar streng und grimmig, aber er hat sofort verstanden, dass Viktor ein Genie ist. Die Hexe weigert sich bis heute, das zu akzeptieren.

„Viktor war immer dann am Besten, wenn man ihn hat einfach machen lassen, ohne ihm reinzureden. Ich meine, natürlich hat Viktor auch Fehler gemacht und das ein oder andere Ding verhauen, aber das gehört dazu. Er ist immer wieder aufgestanden und hat sich weiterentwickelt, weil er Visionen hatte. Und der Erfolg gab ihm schließlich Recht.“

Es folgt eine Pause, in der ich weiterhin das Bild mit dem Hund des Onkels betrachte. Irgendwie ist es kaum zu glauben, dass aus diesem kleinen Jungen in der Pfütze, der so unschuldig und liebenswert lacht, der beste Eiskunstläufer der Welt geworden ist.

„Sag', Yuuri,“ spricht mich Frau Praslova direkt an und lächelt neugierig. „Wann war der Moment, in dem er dich gefangen hat?“

Ich schrecke auf und starre sie mit großen Augen und rotem Gesicht an.

„Womöglich bei seinem Auftritt in der letzten Juniorsaison, weil du dir dieses Outfit für deine Eros-Performance ausgesucht hast?“

Ich sehe ihr erschrocken ein paar Sekunden lang regungslos in die Augen. Dann kann ich nur verlegen nicken und mir wird direkt klar, wer Viktor seine ganzen Kostüme letztes Jahr nach Japan geschickt hat.

Finde deine Geschichte – Die neue Programme!

Als Viktor mit Makkachin wieder zu uns nach oben kommt, hat mir Frau Praslova etwa die Hälfte ihrer Fotovitrine gezeigt und mir viele weitere Anekdoten aus Viktors Leben erzählt. Meine Sorgen waren völlig unbegründet, da Viktor nicht nur in seinem Trainer, sondern auch in Frau Praslova genau die Stütze gefunden hat, die er braucht. Frau Praslova war, seit er nach St. Petersburg kam, die Schneiderin seiner Kostüme, bald die beste Freundin und schließlich eine unersetzliche Bezugsperson. Wenn niemand Zeit für ihn gehabt hat, konnte er immer zu ihr in das Zimmer kommen, das sie eigens für ihn zur Verfügung gestellt hatte und das er später sogar dauerhaft bewohnt hat. Sie war, wenn es ihre Geschäftstätigkeit erlaubte, bei jedem Wettkampf mit dabei; kümmerte sich, wenn er krank war und half ihm bei Wohnungssuche und Umzügen. Auch als Viktor seine fünf Jahre lang anhaltende Siegesserie in den Eislaufstadien der Welt startete, war Frau Praslova immer im Hintergrund mit dabei, indem sie auf Makkachin Acht gab oder all diese Dinge tat, die jede Mutter für ihren Sohn getan hätte und wenn ich nicht wüsste, dass die Beiden nicht blutsverwandt sind, so hätte ich es ab heute geglaubt. Beim Abschied versichert mir Frau Praslova noch, sie jederzeit um Hilfe bitten zu können und ich bin unglaublich dankbar, ihre Bekanntschaft gemacht zu haben.
 

Am nächsten Morgen gehen wir zum ersten Mal zusammen in die Eissporthalle und am Nachmittag werden wir mich in einem Sprachkurs für Russisch einschreiben. Beflügelt von dem herzlichen Treffen mit Frau Praslova steht mir ein kindlicher Enthusiasmus ins Gesicht geschrieben und Viktor freut sich nicht minder darüber, dass ich mich soweit in meinem neuen Umfeld gut aufgenommen fühle und keine all zu großen Bedenken habe, weitere Teile davon kennenzulernen. Dass ich mich nicht wohlfühlen könnte, muss ihn wirklich beschäftigt haben, dabei ist es nicht das erste Mal, dass ich ins Ausland gezogen bin.

Meine Vermutung, dass das große Gebäude hinter den Bäumen die Eissporthalle ist, bewahrheitet sich tatsächlich. Allerdings liegt sie weiter entfernt, als ich es zunächst angenommen hatte. Viktor lässt mich wissen, dass er den Weg gerne joggt, um sich in der Halle nicht mehr allzu lange aufwärmen zu müssen. Sollte der Unterrichtplan es zulassen, würden wir dies ab sofort gemeinsam tun.

Im Gegensatz zur Eishalle in Hasetsu, die eigentlich vorrangig für Besucher gedacht ist, ist diese Halle einzig auf den Zweck ausgelegt, Profisportlern eine Trainingsmöglichkeit zu bieten. Hier trainieren Eiskunstläufer, Eishockeyspieler, Eisschnellläufer, teilweise auch Curlingspieler und das durch alle Altersgruppen hinweg. Die Halle beschäftigt acht verschiedene Trainer und um die fünfzehn weitere Angestellte, die dafür sorgen, dass die Sportler versorgt sind. Wer möchte, kann hier sogar in einer kleinen Kantine essen und Umkleiden sind nach Sportarten oder sogar Teams getrennt. Viktor führt mich herum und ich versuche mir alles im Kopf zu behalten, was er mir erklärt, aber gleichzeitig kriecht doch ein bisschen Nervosität in meine Glieder, weil ich merke, dass nicht nur die Umgebung für mich neu ist, sondern dass auch ich neu in dieser Umgebung bin. Schon nach einigen Minuten spüre ich die neugierigen Blicke des Hallenpersonals im Rücken und gerade weil ich noch kein Russisch verstehe, habe ich ständig den Eindruck, als würden sie über mich reden. Sicherlich wäre meine Anwesenheit hier nur halb so spektakulär, wenn es nicht Viktor wäre, der mich hierher gebracht hat.

Bevor wir in die eigentliche Halle gehen, betreten Viktor und ich kleines Sekretariat, das wie ich später erfahre, das Verwaltungsbüro der Eishalle ist. Ein etwas hagerer, älterer Mann begrüßt uns und wechselt ein paar Worte mit Viktor und verschwindet dann in einem Nebenraum.

„Er holt deine Schlüsselkarte und deinen Ausweis“, sagt Viktor und sieht zu mir. „Mit der Schlüsselkarte kommst du jederzeit in die Halle rein. Den Ausweis solltest du auch immer dabei haben, wenn du hier bist. Das hier ist keine öffentliche, sondern eine private Halle. Okay?“

„Ja.“

„Bist du nervös?“

„Ein bisschen.“ Ein bisschen viel sogar.

„Brauchst du nicht zu sein.“

„Ja...“

Viktor nimmt meine Hand.

„Ich bin auch nervös“, gesteht er mit einem niedlichen Lächeln, „aber wir sind zusammen hier. Und ich bin froh darüber.“

Bevor ich ihm antworten kann, ist der Sekretär zurück und Viktor bleibt nur mein dankbar gemeinter Händedruck dafür, dass er bei mir ist.
 

Nach einigen weiteren Tagen in St. Petersburg stellt sich langsam ein neuer Alltag bei uns ein.

Die Wohnung, die Abläufe und die Stadt werden mir vertraut und meine Angst vor dem Training mit allen russischen Läufern zusammen hat sich, wie alle anderen Ängste und Sorgen zuvor, als genauso unbegründet erwiesen. Die rothaarige Mila, die ich vorher bereits bei einigen Wettkämpfen gesehen habe, ist eine sehr offenherzige Person, die auch durchaus sehr direkt sein kann, aber immer ehrlich und freundlich mit mir umgeht. An Yurio scheint sie einen Narren gefressen zu haben, denn sie beobachtet ihn ständig und ist oft in seiner Nähe. Yurio ist davon leider gar nicht so angetan, denn er ist am Liebsten für sich und wenn überhaupt, dann drückt er sich in meiner Nähe herum.

Mit Georgi habe ich noch nicht so viel gesprochen. Er ist irgendwie ein Eigenbrötler, aber er hat, wie mir Mila sofort am ersten Tag in der Halle berichtete, eine neue Freundin. Ich wusste zwar nicht, dass er eine Freundin gesucht hat, aber wenn dem so ist, Glückwunsch. Jedenfalls hängt er jede freie Minute am Handy, um seiner Angebeteten Nachrichten zu schicken und Mila und ihre Kollegin Ekaterina amüsieren sich prächtig darüber. Übertroffen werden die Frauen nur noch von Viktor, der aus heiterem Himmel begonnen hat, Geschichten über Georgi auszupacken, dass uns die Ohren schlackern. Er muss Viktor gegenüber besonders in seiner Jugend wohl sehr redselig gewesen sein, was Präferenzen und Praktiken angeht, sodass wir vor lauter irrationaler Faszination über diese Geschichten oftmals vergessen, dass Georgi wirklich anwesend ist. Wir erschrecken uns deswegen jedes Mal, wenn er doch unerwartet in ein Gespräch einsteigt und ich bete einfach, dass er niemals, niemals, niemals auch nur einen Satz von dem aufgeschnappt, was Viktor uns da erzählt. Würde mir das passieren, müsste ich glaube ich vor Peinlichkeit sterben...

Was das Training angeht, ist Georgi überraschenderweise so ziemlich der Einzige, der auf Herr Feltsman hört, ohne Widerworte zu geben. Alle anderen tun das mehr oder minder, am wenigsten Viktor und ich wundere mich, wie das überhaupt funktionieren kann, jemanden zu trainieren, dem jede Anweisung links rein und rechts wieder rausgeht. Dass Herr Feltsman überhaupt die Geduld dazu hat ist erstaunlich, denn wenn Yurio oder Mila nicht spuren, ist er meist gleich auf 180. Oder aber er hat bei Viktor einfach schon lange vorher aufgegeben und lässt ihn einfach machen. Viktor ist mit sich selbst streng genug und falls er befindet, dass sein Trainer Recht hat, dann kann man beobachten, wie diese Dinge einfach schleichend integriert werden. Leise, unauffällig; Hauptsache, Viktor kann das für sich entscheiden. So, wie Frau Praslova es mir beschrieben hat.
 

Mit dem Ende der Saison Anfang April kehrt mehr Ruhe in die Eishalle ein. Dafür ist bei meinen Eltern in Japan ganz schön was los, denn wir wurden genötigt, zur Kirschblüte zurück nach Hasetsu zu kommen. Zuerst wollten wir nur zu zweit fliegen. Dann hat sich Yurio selbst eingeladen und uns im selben Atemzug eröffnet, dass er Otabek auch mitbringen will. Von der Aussicht, dass Viktor, Yurio, Otabek und ich in Hasetsu sein würden, haben Yukos Drillinge Axel, Lutz und Loop sofort ihre Chance gewittert und uns vorgeschlagen, „Onsen on Ice“ als Abschlussevent der Hallensaison in Japan zu wiederholen. Viktor, der bis jetzt noch gar nicht wieder bei einem Wettkampf mit dabei war und für solche Aktionen immer zu haben ist, ist natürlich sofort drauf eingegangen und jetzt hat sich das mit einem romantischen Kurztrip zur Kirschblüte erledigt, denn mit der kleinen „Onsen on Ice“-Show vom letzten Jahr hat die kommende Aktion nichts mehr gemeinsam. Georgi, Ekaterina und Mila fanden die Idee nicht weniger aufregend, sodass das gesamte russische Team nach Hasetsu fliegt. Immerhin, denke ich, so lange die Chaostruppe in Japan ist, würde Herr Feltsman ein paar Tage Ruhe haben können.

Außerdem kommen noch Chris, Phichit und - als Reaktion auf Phichits Instagram-Post - auch Seung-Gil Lee (und keiner weiß warum). Ich glaube, ich kriege die Krise. Es versammeln sich mehr als zehn Weltklasse-Eiskunstläufer in der kleinsten Eishalle weit und breit in Japan zu einem inoffiziellen Showevent und die ganze Stadt steht Kopf. Das kann ja was werden...
 

Bei unserer Rückkehr nach St. Petersburg eine Woche später frage ich mich, ob ich nur geträumt habe und dieses ganze Drama einfach nie passiert ist. Ich hätte mir niemals ausgemalt, dass ein einfacher Versprecher Viktor so zusetzen könnte und ihn so eifersüchtig machen würde... Er war betrunken, ok. Es ist auch nicht das erste Mal, dass wir zusammen etwas über den Durst getrunken haben und ich weiß, dass er sehr anhänglich wird, wenn er getrunken hat und viel Aufmerksamkeit verlangt. Aber dass ihm die Vorstellung einer Ex-Freundin in den Kopf hüpft, mit der ich keine Ahnung welche Kamasutra-Stellungen vollführt haben soll, die aber nie existiert hat... Ach, Viktor. Das war genau das, was ich mir nach der Katerkotzerei am Morgen vorgestellt habe. Meinen Verlobten nackt und völlig aufgebracht auf der Schlossmauer(*) des Hasetsu Castle vorzufinden...

Nachdem wir Viktor von der Mauer unten und ihn zu meinen Eltern zurückgebracht hatte, haben wir ihn ins Bett gesteckt und schlafen lassen. Alle anderen habe ich angehalten, von der Aktion nichts zu erwähnen, bis das Showevent vorbei wäre. Yurio hat es zwar unheimlich in den Fingern gejuckt, aber Otabek hat ihm glücklicherweise Einhalt geboten und ich bin dem Kasachen noch bis heute dankbar dafür. Die Sticheleien jedoch, nachdem das Event vorbei war, konnte ich Viktor nicht ersparen und ich habe das Gefühl, dass ihn diese Sache bis an sein Lebensende verfolgen wird. Allerdings haben alle außer Yurio letztendlich Gnade vor Recht ergehen lassen, weil es Viktor anzusehen war, wie peinlich ihm die Aktion war.

Bisher dachte ich auch eigentlich, dass ihm nichts peinlich werden könnte, aber das ist ihm überaus unangenehm gewesen. Nicht, weil er nackt irgendwo herumgeturnt ist. In dieser Hinsicht ist sein Schamgefühl quasi nicht vorhanden. Viel mehr war es ihm unangenehm, weil er mich dazu genötigt hat, mich zu ihm auf die Mauer zu setzen und ich es auch noch gemacht habe. Zum Einen, weil er weiß, dass ich keine Ex-Freundin habe und zum Anderen, weil er findet, ich hätte das nicht für ihn tun müssen.

Glücklicherweise sind im Nachhinein keine Fotos von Viktor auf der Mauer aufgetaucht und es blieb nur bei Gerede über diese reichlich unrühmliche Aktion, sodass Herr Feltsman davon verschont bleiben wird, ganz Russland zu erklären, warum Viktor nackt auf einem öffentlichen Gebäude versucht, einen Fisch zu herauszufordern...
 

Ab Mai beginnt mein Sprachunterricht in Russisch, fünf Tage die Woche, immer vormittags, und auch wenn ich die Schrift schon beherrsche, ist die Aussprache eine Katastrophe und die Grammatik sowieso. Ich habe zwar immer wieder mal ein bisschen mit den Sprachführern geübt, die ich mir aus Japan mitgebracht habe, aber außer ein paar einzelnen Worten ist noch kein vollständiger Satz aus mir herausgekommen.

Viktor beschäftigt sich seit ein paar Tagen mit den Programmen für die nächste Saison und tut dies meist alleine in seinem Arbeitszimmer, sodass ich die Gelegenheit zum Lernen nutze, aber dann verbringe ich die Zeit doch damit zu spekulieren, welche Ideen in seinem Kopf herum kreisen. Ich frage mich auch, ob er die Programminhalte erarbeitet oder ob sie ihm einfach so zufliegen. Wenn ich mir jetzt etwas aussuchen müsste, wüsste ich erst mal gar nicht, wo ich anfangen soll. Viktor kann aus einer Schüssel Reis ein aufregendes Programm schreiben und mir fällt es so schwer, überhaupt nur einen Ansatz zu finden...

Ob er überrascht wäre, wenn ich mich diesmal ganz alleine für etwas entscheiden könnte? Bestimmt. Aber dazu müsste ich eine Idee haben. Das Thema Liebe ist jetzt durch... Wenn es nach seinen Vorstellungen ginge, müsste es etwas sein, das keiner erwarten würde. Aber ich kann ja auch nicht immer die Dinge so angehen wie er, ich müsste wenn dann schon von selbst drauf kommen...

Mein Blick fällt wieder auf die Lehrbücher vor mir, dann schaue ich hinüber zum Sofa, über dessen Lehne Makkachin seinen Kopf hängen lässt. Er schaut mich ganz schön vorwurfsvoll an.

Ist ja schon gut, denke ich und widme mich wieder den russischen Vokabeln.
 

„Wie ich anfange?“ Viktor blickt mit großen Augen über den Rand der Kaffeetasse zu mir, als wir am Folgetag beim Frühstück sitzen. Der Gedanke, mir mein Thema alleine auszusuchen, lässt mich nicht mehr los und ich habe mich entschieden, Viktor einfach zu fragen, wie er anfängt. Er ist mein Trainer und wir sollten darüber reden können. Ich will es diesmal alleine schaffen und für mich selbst entscheiden. Ich brauche nur etwas Starthilfe.

„Ja, also was suchst du zuerst? Die Musik, das Thema, die choreografischen Elemente... womit fängst du an?“, frage ich.

Er schaut mich immer noch mit dem gleichen fragenden Blick an.

„Du arbeitest doch gerade an deinen Programmen, oder?“

„Ja...“

„Und was hast du zuerst ausgesucht?“, wiederhole ich bestimmter und schaue ihm direkt in die Augen.

Viktor setzt die Kaffeetasse ab, aber sein Blick bleibt gleich. Dann zuckt er mit den Schultern und sagt: „Ich weiß es nicht.“

„Eh?“

„Ich denke nicht darüber nach“, antwortet er ehrlich. „Es ist Intuition. Wenn die Idee da ist, ist sie da. Ich setze mich nicht hin und überlege zwanghaft, was ich machen könnte. Es kommt von selbst.“

Das ist dann wohl der Nachteil, sich mit einem Genie zu unterhalten...

„Bist du denn schon fertig?“, frage ich neugierig.

„So gut wie.“ Er trinkt einen Schluck von seinem Kaffee. „Willst du deine neuen Programme alleine aussuchen?“

„Ich will es versuchen.“

Viktors Augen beginnen zu leuchten. „Wow, ich bin gespannt. Wenn du Hilfe brauchst, sag Bescheid.“

„... Viktor, ich habe dich eben gefragt.“

„Oh wow.“ (° v °);

Ich muss unwillkürlich lachen. „Ist schon ok, ich weiß, dass du die Dinge anders angehst als die normalen Leute.“

„Jetzt bist du gemein, Yuuri.“

„Du weißt, wie ich das meine“, sage ich ihm sanft, aber bestimmt. „Du hast ein Gespür dafür und ich tu' mir schon schwer, überhaupt einen Ansatz zu finden.“

Dann wird sein Blick ernster. „Was fühlst du?“

„Eh?“

„Was fühlst du?“, wiederholt er. „Wenn du daran denkst, ein eigenes Programm zu machen, was fühlst du?“

„Äh, Planlosigkeit?“

„Yuuri...!“

Wir schweigen und starren unsere Kaffeetassen an. Dann richtet Viktor noch einmal das Wort an mich:

„Ich kann dir das leider nicht gut erklären, aber denk nicht über das Was im Programm nach, denk über das Was in dir selbst nach. Wenn es dort etwas gibt, das gesehen werden möchte, dann kommt es von alleine, wenn du es lässt.“
 

Wir verabschieden uns an der Haustüre und Viktor geht zu seinem Training und ich in den Unterricht. Während ich mit der U-Bahn durch die Stadt fahre, denke ich über das nach, was beim Frühstück zu mir gesagt hat. Er hat schon Recht. Da ist etwas, aber ich kann es nicht greifen. Es hat noch keine Form, keinen Klang, keinen Charakter, aber es ist deutlich da. Was muss ich tun, um dessen habhaft zu werden? Yurio ist auch nicht gerade der Überflieger an Ideen, aber er hat im Gegensatz zu mir keine Probleme damit, Entscheidungen zu treffen. Vielleicht könnte ich mich mit ihm unterhalten, denn soweit ich weiß, hat er auch noch kein neues Programm bekommen. Lilia soll wohl wieder mit von der Partie sein, aber sicher habe ich das weder von Yurio, noch von Herr Feltsman gehört. Nur Mila hat wieder getratscht.

Zurück in der Eishalle am späten Nachmittag beginne ich in einer kurzen Pause ein Gespräch mit Yurio.

„Wie man sich für eine Programmidee entscheidet?“, wiederholt er meine Frage.

„Ja. Hast du dir schon was überlegt?“

„Nein, was interessiert's auch. Wichtig ist doch nur, dass man damit gewinnen kann. Der Inhalt ist erstmal schnuppe. Man muss es einfach nur richtig machen.“

Da hat er nicht Unrecht. Ein schwaches Programm wird wohl kaum zum Sieg führen und ich stelle fest, dass ich da auch von alleine hätte drauf kommen können. Yurio sieht mich neugierig an.

„Warum fragst du nicht deinen Trainer?“

„Ich will diesmal ohne seine Hilfestellung entscheiden.“

„Tz“, wendet er sich ab. „Viktor würde dir helfen, aber du bist der einzige Idiot auf der ganzen Welt, der das freiwillig ablehnt. So viel Sturheit ist schon dämlich, Katsudon.“

Ich seufze. Auch da hat er nicht ganz Unrecht.
 

Yurio kommt am Abend spontan mit zu uns und wird bei uns übernachten. Herr Feltsman und Lilia Baranovskaya sind terminlich in Moskau und Viktor hat laut Yurio angeblich die bessere Internetverbindung, denn die bei Herr Feltsman wäre genauso steinalt wie der russische Trainer selbst. Wir vermuten jedoch, dass er einfach keine Lust hat, alleine zu bleiben und es nicht zugeben will. Teenager eben.

Nach dem Essen überlassen wir ihm und Makkachin das Sofa und ich beginne mit meinen Aufgaben in Russisch. Meine Blicke verweilen mal bei Yurios Film (soviel zum Thema Internet), mal bei Viktor in der Küche und dann wieder im Leeren. Irgendwie fehlt es an Konzentration. Nachdem Viktor die letzten Teller in die Schränke geräumt hat, setzt er sich zu mir.

„Kommst du voran?“

„Naja, es geht. Willst du nachschauen?“

„Ich meine mit deiner Ideensuche“, sagt er und streicht mir einige Haare aus der Stirn. „Wenn du dir verinnerlichst, was dich ausmacht, weißt du, nach welcher Musik du suchen musst.“

Dann legt er den Kopf auf meine Schulter. „Oder was du am besten kannst. Deine Schritte sind akkurat, deine Pirouetten haben eine perfekte Balance. Was sagt das über die Musik aus, die du brauchst?“

„Dass sie Rhythmus haben sollte?“

„Genau. Was noch?“ Viktor umarmt mich.

Ich überlege und beginne, Viktors Rücken zu streicheln.

„Legato Elemente, die die Spins unterstützen...“

„Weiter, Yuuri“, schnurrt er.

Mein Blick wandert über Viktors Kopf zu Yurio, der mit dem Rücken zu uns sitzt und vollkommen in seinem Film abgetaucht ist. Phichit hatte eine Musik aus einem Film gewählt... die Zuschauer hatten den Film und die Musik gekannt und sind direkt bei seiner Performace gewesen. Guang-Hong, Emile, Michele; sie alle hatten Musikstücke aus Filmen genommen. Ob das ein Ansatzpunkt wäre? Gibt es einen Film, den ich besonders mag? Der eine prägnante, eingängige Musik hat?

Mir fällt nichts ein.

Aber für einen kurzen Moment ist dieses flüchtige Etwas in mir ein Stückchen näher gewesen.
 


 

In den folgenden Tagen gibt Viktor mir immer wieder Hilfestellungen, aber ich komme zu keinem Ergebnis. Immer wenn ich glaube, die Lösung zu gefunden haben, dauert es nur ein paar Stunden, bis ich Zweifel bekomme, warum genau das es nicht sein kann. Je mehr Misserfolge ich anhäufe, desto mehr komme ich zu der Erkenntnis, dass weder die Musik das Problem ist, noch die Tatsache, dass ich keinen Anhaltspunkt finde. Das größte Problem ist, dass ich nicht weiß, was ich will.

Ich liege in unserem Bett und starre an die Decke. Es ist noch viel zu früh am Morgen und ich bin wach geworden, weil Makkachin sich auf meine Füße gelegt hat, aber meine Gedanken drehen sich schon wieder um dieses ungewisse Etwas, das ich nicht greifen kann. Viktor hatte die Idee zu seinem Thema schon nach dem letzten Grand Prix Finale im Kopf und ich bin gedanklich immer noch in meiner ‚letzten‘ Saison stecken geblieben. Es bräuchte einen neuen Anfang, damit ich endlich nach vorne komme...

Wenn ich so darüber nachdenke, haben viele Dinge neu angefangen. Mein ganzes Leben mit Viktor hier in St. Petersburg hat neu angefangen. Unwillentlich lache ich mich bei dem Gedanken schon wieder selbst aus. Ich hatte geglaubt, nach dem Grand Prix wäre alles vorbei. Und jetzt sind wir seit fast einem halben Jahr verlobt und wohnen zusammen. Es würde also erst einmal gar kein Ende in Sicht sein. Die Geschichte würde weitergehen.

Es läuft mir unerwartet und plötzlich eiskalt den Rücken hinunter.

Ich schlucke. Was war das...? Ich habe überall Gänsehaut.
 

„Es ist egal, was du machst, solange du’s nur richtig machst.“
 

Kann ich das wirklich...? Es kribbelt überall.
 

„Ich hatte den Eindruck, dein Körper tanzt die Musik, Yuuri.“
 

Oh Gott... ich glaub es nicht.

„Viktor...!“

„...was yu-i?“

Ich drehe mich aufgeregt zu ihm: „Ich hab's!“
 

Ein paar Tage später besuchen wir Frau Praslova. Als Viktor ihr am Telefon erklärte, dass unsere Themen für die kommende Saison entschieden sind, hat sie uns direkt zu sich eingeladen, um darüber zu sprechen. Kaum dass wir bei ihr am Tisch sitzen und mit selbstgemachten Bliny und Marmelade versorgt worden sind, bringt sie unser Gespräch auch ohne Umschweife auf die Programminhalte zu sprechen. Sie wirkt unglaublich aufgeregt und neugierig.

„Also meine Lieben, was sind eure Themen?“

„Yuuris Thema wird das ‚Geschichten erzählen‘ sein“, erklärt Viktor zufrieden.

„Oha. Dann stellt er einen Poeten oder Dichter dar?“, fragt Frau Praslova und Viktor nickt. Sie dreht sich zu mir und schenkt mir ein anerkennendes Lächeln.

„Genaugenommen den Erzähler auf der Suche nach der Geschichte“, erläutert Viktor weiter und zwinkert mir zu. „Yuuri kann auf sehr natürliche Art und Weise Musik und Choreografie perfekt in seiner Performance vereinen. Das macht seine Läufe so besonders und die Idee liefert ihm alle Möglichkeiten, genau das anzuwenden und auszuschöpfen.“

Ich nicke etwas verlegen, aber ich fühle mich wirklich wohl mit meinem Thema und dass Viktor sofort davon überzeugt war, macht mich schon ein bisschen stolz. Wir haben noch am selben Tag bis spät in die Nacht diskutiert und Ideen gesammelt. Viktor hat auch schnell die passende Musik dazu gefunden und schon gestern hatte er die Choreografie fertig.

„Das klingt sehr vielversprechend“, Frau Praslova zwinkert mir ebenfalls zu. Dann wendet sie sich wieder an Viktor. „Und was steht für dich auf dem Plan? Bestimmt wieder ein sehr unerwartetes Thema.“

Viktor lacht. „Mein Motto, weißt du ja. Deswegen wird mein Thema der ‚Tod‘ sein.“

„Der Tod?!“ platzen Frau Praslova und ich gleichzeitig heraus; sie auf Russisch, ich auf Englisch.

Viktor will den Tod darstellen?! Sofort wird mir unwohl bei dem Gedanken. Von unseren entsetzen Gesichtern ziemlich irritiert, merkt Viktor, dass es einer Klärung bedarf und spricht weiter: „Ganz ruhig, ich hab nicht vor zu sterben und es geht viel mehr um einen bildhaften Tod. Jeder wird erwarten, dass ich nach einem Jahr Pause mit einem Riesenknall zurückkomme und Stärke demonstriere. Wenn ich also überraschen will, dann muss ich-“

„Willst du Yuuri quälen?!“, ruft Frau Praslova. „Ja, es passt zu deinem Motto, ich versteh’ das schon. Das Publikum will einen starken Viktor, du zeigst ihnen einen toten Viktor. Aber bei deinem Talent wird es sich so echt anfühlen, dass du für Yuuri eine ganze Saison lang auf dem Eis tot bist oder was auch immer! Er ist dein zukünftiger Ehemann, ihr wollt heiraten! Hast du daran mal gedacht?“

Viktors Gesicht wird ernst. „Ja, habe ich.“

„Warum dann?“, fragt sie aufgebracht.

„Wenn Yuuri das nicht will, soll er es ändern.“

„Was soll Yuuri daran ändern können, dass du den Tod darstellen willst?“, Frau Praslova schaut mit hilflosem Blick zu mir. Ich habe kaum zugehört, so durcheinander bin ich von der Ankündigung von Viktors Thema.

„Nichts“, antwortet Viktor und sein Ton hat etwas Endgültiges an sich, aber er lächelt. „Beruhige dich, Jelena. Es ist nur ein Programm. Aber mein Thema steht fest.“

Eiskönig oder Eiskönigin? – Yuuris Chihoko? Michal Chateau!

Es ist etwas komisch, alleine zu Frau Praslova zu gehen. Auch wenn es nur um die letzte Anprobe geht, war ich noch nie ohne Viktor oder Makkachin hier.

Als ich den Laden betrete, muss ich jedoch augenblicklich lachen. Yurio und Yakov (der mir im Sommer völlig überraschend das „Du“ angeboten hat) sind ebenfalls hier und Yurio sieht ein bisschen aus, als würde man ihn zum Wäscheständer abrichten wollen. Sein Outfit ist noch weit von seiner Fertigstellung entfernt und wenn ich seinen Gesichtsausdruck richtig deute, dann müssen ihn die Nadeln schon ordentlich gepikst haben.

Ich erkenne sofort, dass der Berg an Stoffen zu dem von Viktor erstellten Kurzprogramm Arabesque gehört. Viktor hatte nicht geplant, auch Yurio ein Programm zu schreiben, aber es hatte sich dann ,so ergeben‘ und Yurio hat sofort zugeschlagen. Er wird ein Outfit im orientalischen Stil bekommen, mit Tüchern und Drapierungen in knalligen, kräftigen Farben wie Gelb, Orange und Azurblau und wie ich sehe auch eine Weste mit vielen, goldenen Applikationen.

„Yuuri, Willkommen!“, begrüßt mich Frau Praslova. Den Schock über Viktors Themenauswahl hatte sie doch recht schnell überwunden, nachdem Viktor noch einmal unter vier Augen mit ihr gesprochen hatte und mittlerweile steht sie uneingeschränkt hinter seiner Idee. „Einen Moment, der junge Mann braucht noch zwei Stecknadeln, dann bin ich bei dir.“

„Oi, Katsudon.“

„Dobre“, brummt Yakov.

„So, das hätten wir“, zwitschert Frau Praslova in bester Laune. „Spiegel ist da vorne, ich bin dann eben hinten, die Kostüme von Yuuri holen.“

Sie verschwindet in Richtung der Lagerräume. Yurio steigt vorsichtig von dem Podest und schlurft zum Spiegel.

„Die Farben stehen dir, sieht gut aus“, bemerke ich ehrlich.

„Ich seh aus wie ein Haufen Stoffreste. Ich kann mir das so unfertig nicht vorstellen“, motzt Yurio, als er sich kritisch betrachtet und dreht. „Warum muss ich diese komischen Fetzen an den Armen haben? Die braucht kein Mensch und nerven bloß.“

„Die Fetzen, wie du sie nennst, gehören zu deiner Performance“, geht Yakov dazwischen. „Vitya hat sich alles sehr gut überlegt. Der Stoff wird gerollt und du bekommst Schnürungen, die du selbst lösen kannst.“

„Yuuri!“, Frau Praslova ist zurück. Sie trägt meine fertigen Outfits in einem blickdichten Kleidersack herein. „Hier, mein Lieber, zieh‘ beide bitte einmal drüber und dann schauen wir, ob es so bleiben kann. Wenn es irgendwo zwickt, sagst du Bescheid.“

„Sind die von Viktor auch schon fertig?“, frage ich, als ich den Kleiderbügel entgegen nehme. Bisher hat Viktor nur Yakov, Frau Praslova und mir sein Thema für diese Saison verraten. Der Programminhalt ist sogar noch geheimer, über den Viktor mit niemandem außer Yakov und Frau Praslova gesprochen hat. Also auch nicht mit mir und auch wenn er ständig wiederholt, dass ich ihn nicht anschauen soll als läge er auf dem Sterbebett, kann ich nicht umhin etwas Unwohlsein zu empfinden, dass er nichts darüber sagt. Auch wenn es wohl im Endeffekt nur um den Überraschungsmoment der Performance geht, den er mir vor dem eigentlichen Debüt nicht nehmen will. Viktor und Yakov trainieren deswegen schon seit Wochen auf einer anderen Eisbahn innerhalb der Halle um generell neugierige Blicke abzuschirmen und dem Erwartungsdruck auf Viktor vorzubeugen, der in den Medien jetzt kurz vor Saisonbeginn exponentiell angestiegen ist.

„Ja, die hängen hinten. Willst du sie sehen? Aber Viktor hat mir verboten, sie jemandem zu zeigen. Selbst Herr Feltsman hat sie noch nicht gesehen, oder?“

„Er hat sie beschrieben“, brummt Yakov wieder. „Das eine ist ganz weiß. Kein Blingbling, keine Applikationen, kein gar nix. Einfach nur weiß.“

Ok... Ja, das scheint mir adäquat für den Tod zu sein und es fröstelt mich. Mit den hellen Haaren und den leuchtend blauen Augen hat die Vorstellung allein bereits etwas sehr Makaberes und Gruseliges an sich.

„Bescheuert. Da kann er sein Comeback auch gleich in einem Bettlaken geben“, lästert Yurio, der auf den Hocker zurück geschlappt ist. „Ehrlich mal. Weiß. Mit seinen grauen Haaren sieht er doch tot aus, wenn alles nur weiß ist. Ich kotz' gleich 'nen Regenbogen, dass er Farbe kriegt.“

Frau Praslova, Yakov und ich tauschen einige Blicke aus, aber keiner sagt etwas. Wir scheinen uns einig, dass das unkommentiert so stehen gelassen werden sollte. Dann wendet sich Frau Praslova wieder mit einem strahlenden Gesichtsausdruck an mich: „Viktor sieht fantastisch in dem weißen Outfit aus. Ich hab fast geweint, als er es vor ein paar Tagen angezogen hat. Yuuri, du kannst dich wirklich drauf freuen. Dein Mann wird umwerfend aussehen.“

Mein Mann. Ich fürchte, ich werde gerade über die Maßen rot im Gesicht. Gerade jetzt, wo das öffentliche Interesse an Viktor so zugenommen hat, klingt es noch viel unglaublicher, wenn ich vor anderen höre, dass sie Viktor als „meinen Mann“ bezeichnen.

„Ich kotz' gleich wirklich“, mault Yurio. „Ich bin so froh, wenn irgendwann diese elende Hochzeit durch ist, dann hat sich das hoffentlich...“

„Ach, hör' auf zu mosern, junger Mann“, schnappt Frau Praslova. „Passt dir alles soweit oder ist es irgendwo zu eng oder zu weit?“

„Passt. Los, befrei' mich aus dem Ding.“

„Gut. Yuuri, wärst du so lieb, deine anzuprobieren?“

„Ja“, sage ich und begebe mich schnellen Schrittes mit den Kostümen in den Händen nach hinten zu den Umkleiden, denn Yakov sieht aus, als wolle er mir gleich ins Gesicht springen, weil gerade einige dieser bösen Worte wie ,Hochzeit‘ oder ,mein Mann‘ gefallen sind. Schon seit Beginn diesen Monats herrscht uns der russische Trainer jeden Tag an, der Presse so wenig Anlass wie möglich zu geben, irgendwelche wilden Geschichten vor den Nationals zu erfinden. Denn dass ich hier bin, lässt sich nicht leugnen und natürlich ist sind die Fans überaus neugierig zu erfahren, welchen Stand das Verhältnis von Viktor und mir wirklich hat.

In der Umkleide angekommen, hole ich erst einmal tief Luft und hänge den Kleiderbügel an den Haken. Die Outfits zu meinem Kurzprogramm und zu meiner Kür. Behutsam nehme ich das Erste aus der Hülle und bekomme augenblicklich Gänsehaut. Es ist das zu meinem Kurzprogramm.

Der Grundton ist mattes Schwarz, aber ich sehe, dass in den Stoff Silberfäden eingewebt sind, so dass es einen ganz eigenen, faszinierenden Schimmer auf sich liegen hat. Zu meinen Füßen hin verläuft die schwarze Farbe allmählich in helles Silber bis hin zu strahlendem Weiß an den Säumen, das funkelt wie frisch gefallener Schnee. Farbliche Highlights bilden die symmetrisch aufgenähten Applikationen in Türkis und Weiß, die an Schleierwolken am Nachthimmel erinnern und die sich über meine Schultern und Arme bis zu meinen Händen fortsetzen. Der Rücken ist bis auf einige dieser Wolkenapplikationen ausschließlich aus Netzstoff und sehr tief geschnitten, was zur blickdichten Vorderseite einen aufreizenden Kontrast bildet. Es sieht schon sehr verführerisch aus; als könnte ich jeden damit in eine Welt aus kühnen Träumen und wilden Fantasien entführen.

Innerhalb kürzester Zeit steht mir die Schamröte ein zweites Mal ins Gesicht geschrieben. Was hat Viktor sich nur dabei gedacht? Auch wenn es mehr Stoff hat wie das Eros-Kostüm, ist es irgendwie viel anzüglicher. Und damit soll ich auftreten? Das ist gerade noch schlimmer, als Frau Praslova „deinen Mann“ sagen zu hören.

Die Vorstellung, dass trotz der ganzen Geheimniskrämerei einigen wenigen deutlich bewusst ist, dass Viktor und ich intim miteinander sind, bringt mich je nach Situation immer noch in Verlegenheit. Am Schlimmsten ist es, wenn Yurio darüber redet und das nicht nur, weil er der Jüngste ist. Yurio ist mittlerweile sehr oft bei uns über Nacht gewesen und ich will mir gar nicht vorstellen, was er alles gehört hat. Denn dass er was gehört hat, musste ich mit Schrecken feststellen, als er sich bei Mila über Makkachin beschwerte, als dieser eine Nacht lang ständig Lärm gemacht hat, weil wir ihn nicht mit ins Schlafzimmer genommen hatten. Er fügte dann noch an, dass er sich nach einer Weile nicht mehr sicher war, was er abstoßender fand: Das Heulen des Hundes oder das von uns.
 

Als ich aus der Umkleide trete, haben Yurio und Yakov das Geschäft bereits verlassen. Frau Praslova ist von meinem Aussehen scheinbar nicht minder begeistert wie von Viktors, denn ihre braunen Augen werden wieder feucht und sie beglückwünscht mich zu einem inspirierenden Outfit, das meinem Thema nur gerecht werden würde. Nachdem sie die letzten Maße genommen und die Änderungen an beiden Kostümen notiert hat, gehe ich mich wieder umziehen und sie schließt den Laden ab.

Ich werde den heutigen Abend bei ihr verbringen, denn Viktor ist mit Makkachin in Moskau um dort für Celebrities on Ice for Kids zu performen, das immer jährlich zu Beginn der neuen Saison stattfindet und dessen Aufzeichnung in zwei Wochen direkt nach den Nationals im Fernsehen ausgestrahlt wird. Russlands Berühmtheiten werden von teilnehmenden Schulen und Kindergärten in Rollen gewählt und müssen dazu eislaufen oder es zumindest versuchen. Viktor tritt dabei nicht im allgemeinen Pulk, sondern als Showact auf und da der Hype immer noch ungebrochen ist, haben sich Russlands Kinder gewünscht, dass der Eiskönig in diesem Jahr eine Eiskönigin wird.

Ein Kamerateam ist deswegen schon in der Eishalle gewesen, um Viktor seine Aufgabe zu überbringen und der Einzige, der es nicht mitbekommen hat, war ich, weil genau an diesem Tag die Zeugnisübergabe meines Sprachkurses stattgefunden hat. Besonders Yurio muss seinen Spaß gehabt haben, denn nach der Ankündigung hat er für mehrere Tage lang zu jeder erdenklichen Gelegenheit Viktor ein „Man trainiert niemanden, den man kaum kennt“ unter die Nase gerieben oder mit Georgi zusammen sehr theatralisch „Let it go“ gesungen.

Auch der Fantasie der Kinder war kein Einhalt geboten, denn kaum hatte der ausstrahlende Sender bekanntgegeben, welchem Prominenten welche Rolle zuteil werden würde, trudelten unzählige Briefe und Fanpost in der Halle ein; viele mit gemalten Bildern von Viktor als Eiskönigin und Makkachin hat nicht selten ein Rentiergeweih oder eine Karottennase verpasst bekommen. Aus diesem Grund hat Viktor auch beschlossen, seinen Pudel mit nach Moskau zu nehmen, damit die Kinder im Studio und der Halle ein bisschen mit ihm schmusen können.

Und so stehen Frau Praslova und ich ohne die Beiden in ihrer Küche und kochen zusammen Boeuf Stroganoff, während wir uns über die Sendung unterhalten und uns fragen, ob Viktor mit seiner Performance schon durch ist. Ich erfahre von ihr, dass Viktor bereits zum sechsten Mal an dieser Sendung teilnimmt und schon in den Jahren zuvor immer das Highlight für die Kinder war, gerade weil er immer ihren Wünschen gefolgt ist. Ich vermute mal, nach dem Essen würde ich Fotos von den vorherigen Auftritten zu sehen bekommen und finde, dass es schlechtere Möglichkeiten gibt, den Abend zu verbringen. Vorher wird Frau Praslova mir noch netterweise helfen, die Fehler in meiner Abschlussprüfung durchzugehen und ich stelle später fest, dass sie bei den Korrekturen nicht minder geduldig ist wie Viktor. Sie lobt meine Schrift und die wenigen orthografischen Fehler, die ich gemacht habe, aber das ist auch das Einzige, was ich bisher gut kann. Trotzdem, so sagt sie, sei Viktor sicher sehr glücklich darüber, dass ich mir die Zeit nehme, seine Sprache zu lernen, auch wenn es mir Schwierigkeiten bereitet.

Es dauert auch nicht lange nachdem wir den Tisch von meinen Büchern und Heften frei geräumt haben, dass Frau Praslova eine Fotobox zu mir bringt, in der sie Ausschnitte aus Zeitschriften und Magazinen gesammelt hat, unter anderem jene von den vorherigen Kids-Performances. Sie erinnert mich damit peinlich genau an meine eigene Mutter, die der selben Angewohnheit gefolgt ist, als ich noch in Japan Eiskunstlauf trainiert habe. Sie hat jeden Schnipsel von mir aufgehoben und der Zeitungsartikel mit der Übergabe der Klassifizierung des JSF steht heute noch gerahmt bei ihr auf dem Nachttisch. Dieser Höhepunkt meiner sportlichen Karriere stand dort sehr lange alleine, bis seit letztem Dezember ein weiterer Zeitungsartikel mit einem Bild von Viktor und mir aus Barcelona und kurz darauf das Foto vom Abend unserer Verlobung dazugekommen sind.

Bald habe ich den Inhalt der ganzen Box vor mir ausgebreitet liegen und darf nach Herzenslust darin stöbern. Sobald mich aber etwas interessiert, muss ich erst selbst versuchen, zu lesen und zu verstehen, bevor Frau Praslova mir die Inhalte der fraglichen Artikel übersetzt. Sie ist gerade dabei, etwas zu trinken aus der Küche holen, als ich einen Artikel über Viktors ersten Senior-Weltmeistertitel aus dem Stapel ziehe und ein zerrissenes Foto heraus flattert. Ich stutze etwas. Das Foto ist eindeutig älter als der erste Weltmeistertitel bei den Seniors. Ich sehe Viktor mit seinen langen Haaren und leuchtenden Augen, aber die Person, die den Arm auf seiner Schulter hat, ist nicht mehr zu erkennen, denn diese Hälfte des Fotos fehlt. Der Hand nach zu urteilen ein Mann, etwa Viktors Größe, gebräunte Haut, aber mehr kann ich nicht über ihn sagen.

„Wer fehlt auf diesem Bild?“, frage ich Frau Praslova, als sie mit einer Flasche Vodka zurückkommt. Ich halte das Bild hoch und sehe, wie ihre Gesichtszüge entgleisen. Offenbar war das eine Frage, die ich nicht hätte stellen sollen zu einem Foto, das ich nicht hätte finden sollen.

„Oh.“

Das ist ihr einziger Kommentar.

Sie kommt an den Tisch und öffnet sogleich den Vodka und schenkt mir ein. Dann sagt sie: „Wenn du die Antwort wirklich wissen willst, dann könntest du den vielleicht gebrauchen.“

„Wenn ich den gebrauchen kann, dann weiß ich die Antwort schon“, entgegne ich und mein Magen zieht sich zusammen. „Wahrscheinlich ein Ex-Freund, oder?“

„Sein Erster“, ergänzt Frau Praslova und lässt sich auf den Stuhl sinken. „Hat Viktor ihn mal erwähnt?“

Ich schüttele den Kopf und sie seufzt schwer. „Keine schöne Geschichte. Ich weiß gar nicht, ob ich dir das erzählen soll. Viktor sollte dir das erzählen.“

„Viktor hat gesagt, Sie könnten mir alles erzählen“, entgegne ich schneller als ich mich abhalten kann und möchte mir sogleich auf die Zunge beißen, denn ich bin mir wirklich nicht sicher, ob ich diese Geschichte hören will. Ich weiß zwar, dass Viktor im Gegensatz zu mir schon Beziehungen gehabt hat, bevor wir zusammen gekommen sind, aber irgendwie war in meiner Vorstellung nie präsent, dass Viktor diesen anderen Partner auch geliebt hat. Aber wenn ich ihn mir auf diesem halben Foto betrachte, dann besteht absolut kein Zweifel daran, dass dieser junge Viktor verliebt war. Ich kann es in seinen Augen sehen.

„Sein Name war Michal“, beginnt Frau Praslova. „Ich weiß eigentlich gar nicht so viel über ihn. Als ich erfuhr, dass mit Viktor was am Laufen ist, war es eigentlich schon wieder vorbei. Herr Feltsman war damals überraschend zu mir gekommen und hatte sich nach Viktor erkundigt. Er meinte Viktor sei ‚völlig neben der Spur‘. Unkonzentriert, ungeduldig, unsauberes Training und mit den Gedanken überall, nur nicht auf dem Eis. Das war sehr ungewöhnlich und auch, dass Herr Feltsman direkt zu mir gekommen war, denn eigentlich hatte auch er immer einen guten Draht zu Viktor. Außerdem überraschte es mich, weil ich in der fraglichen Zeit einen ganz anderen Viktor erlebt hatte. Er hatte gute Laune, hat gestrahlt und viel gelacht. Also beschloss ich Viktor noch am gleichen Abend darauf anzusprechen.“

Sie macht eine Pause und seufzt abermals. „Viktor kam an diesem Abend eine ganze Stunde später wie verabredet und mit verheulten Augen zu mir nach Hause. Ich kann dir sagen, mir ist fast das Herz stehen geblieben. Ich dachte zuerst, der Hund sei tot. Natürlich hab ich ihn sofort gefragt, aber er hat nichts geantwortet und zum ersten Mal sah ich, dass er zornig war. Nicht sauer, sondern richtig zornig. Noch bevor ich einen Ton aus ihm herausbekommen konnte, warum er so zornig war, wollte er, dass ich ihm die Haare abschneide.“

Dass ich den Vodka gebrauchen könnte, war vielleicht doch nicht übertrieben. Ich weiß gar nicht, was ich darauf sagen soll. Frau Praslova fährt fort: „Ich habe natürlich erst versucht, es ihm auszureden. Ich wusste ja auch gar nicht, was los war. Du kannst dir nicht vorstellen, wie hilflos ich mich gefühlt habe, dass er nicht gesagt hat, wie er zu diesem radikalen Entschluss kommt. Erst nach einer halben Ewigkeit und dem Versprechen, dass er mir danach alles beichten würde, habe ich eingewilligt und wir sind nach unten in den Salon. Gott, das war mein schlimmster Abend überhaupt. Ich hab es kaum geschafft, die Schere festzuhalten. Viktor in Tränen auf dem Stuhl vor mir und die langen Haare in meiner Hand. Er hat nur noch gesagt, dass ich sie wegtun soll, er könne sie nicht mehr sehen.“

Jetzt nehme ich tatsächlich einen Schluck des klaren Getreideschnaps. Ich erinnere mich noch, als im Januar 2007 das erste Bild von dem damals 18-jährigen Viktor mit Kurzhaarschnitt publik wurde. Yuko war hin und weg von Viktors neuer Erscheinung und hat vor lauter Verzückung mit der Zeitschrift in den Armen getanzt. Mir dagegen war so, als hätte man mir auf merkwürdige Art und Weise in den Magen geboxt, weil die Haare ab waren. Im ersten Moment war mir das etwas Überraschung zu viel gewesen. Jetzt zu erfahren, dass das Ende einer Liebesbeziehung hinter dem krassen Imagewechsel steht, ruft genau dieses Gefühl wieder hervor, aber es ist mehr als Schlag in die Magengegend, den ich empfinde. Da ist auch sehr viel Eifersucht.

Ich nehme noch einen zweiten Schluck Vodka.

„Ich habe es nicht übers Herz gebracht, die Haare wegzuwerfen“, gesteht mir Frau Praslova und schaut mich etwas schuldbewusst an. „Viktor weiß es nicht, aber ich habe sie immer noch. Als Zopf geflochten liegen sie in einer Schublade in meinem Schlafzimmer.“

„Warum?“, frage ich. Frau Praslova lächelt verhalten und streicht mir über die Arm.

„Wenn ich dir das gesagt habe, bin ich Jelena, ok?“, sagt sie liebevoll, aber auch etwas fordernd. „Wenn wir über so vertrauenswürdige Dinge reden, dann sollten wir einander auch vertrauen, Yuuri. Ich würde es dir nicht erzählen, wenn ich nicht wüsste, dass Viktor dir vertraut.“

Mein Magen zieht sich weiter zusammen, aber ich nicke. Ab sofort dann Jelena...

„Viktor hat, nachdem ich ihm seinen Wunsch erfüllt hatte, Wort gehalten und mit mir ein absolut ehrliches Gespräch geführt. An diesem Abend wurde mir klar, wie sehr dieser Junge jemanden braucht, der ihn versteht und bei dem er sich sicher fühlen kann. Ich habe selbst keine Kinder, aber Viktor bedeutet mir so viel wie ein eigener Sohn. Seine Haare erinnern mich an dieses stille Versprechen.“

Ich kann sie nur mit großen Augen bewundernd anschauen.

„Denk nicht zu viel darüber nach, ja?“, sagt Jelena und ihre Hand tätschelt tröstlich meinen Arm. „Das gehört zum Leben dazu. Viktor hat an dem Abend eine Erfahrung gemacht, die viele in diesem Alter machen oder schon gemacht haben. Das Leben geht weiter. Ich kann dir leider nicht sagen, wie dieser Michal wirklich war. Nur so viel, dass er Viktors Tanzlehrer war. Ich hatte ja erwähnt, dass Viktor mit Ballett im Laufe seiner Jugend wegen der Hexe Schwierigkeiten hatte, aber um seinen künstlerischen Ausdruck zu trainieren, hat er Tanzunterricht bei professionellen Latein- und Standardtänzern bekommen. Dabei hat er Michal kennengelernt.“

„Ah“, sage ich einfach und blicke wieder mit Unbehagen auf das zerrissene Foto, während die Eifersucht weiter in mir brodelt.

„Warum hat er sich von Viktor getrennt?“, fragte ich in verärgertem Ton.

„Getrennt? Es gab nichts, was getrennt werden konnte, zumindest nicht für diesen Michal“, erklärt sich Jelena sarkastischem Ton und nimmt ihrerseits auch einen kräftigen Schluck Vodka. „Er hat sich an Viktor herangemacht, weil Viktor interessant war. Eine kleine Berühmtheit. Es musste ihm klar gewesen sein, dass Viktor sich verliebt hatte. So ganz hab ich das nicht verstanden, aber Viktor hat ihn wohl mit einer Frau streiten gehört, die auch bei ihm Unterricht nahm oder so. In diesem Streit erklärte Michal, dass Viktor sich Dinge eingebildet habe, die nie da gewesen seien. Als ich ihn später in den Armen hielt und ihn fragte, warum er mich gebeten hat, ihm die Haare abzuschneiden, meinte er, dass er keine Illusion mehr sein will. Er wollte als der junge Mann gesehen werden, der er war. Er wollte sicherstellen, dass er nicht nochmal auf die gleiche Art enttäuscht werden kann, wenn er sich wieder verliebt.“

„Und hat er damit bessere Erfahrung gemacht?“, sprudelt es aus mir heraus, obwohl mir zum Heulen zumute ist vor Eifersucht und Zorn auf diesen Michal.

„Das weiß ich nicht, wie siehst du ihn denn?“

„...Eh? Was, wie sehe ich ihn...?“ Beim Anblick meines perplexen Gesichts muss Jelena lachen.

„Yuuri, es gibt niemanden mehr zwischen dir und Michal. Um deine Frage zu beantworten, musst du mir sagen, ob du ihn so lieben kannst, wie er ist. Als Mann. Aber ich denke schon?“

Ich muss erst einmal kräftig schlucken und meine Eifersucht verpufft im Nichts. Ich kann nur vor mich hin stammeln: „Also, ich... dass er ein Mann ist, ist mir durchaus bewusst...“

„Aber?“

„Aber... ich meine... nur ab und zu! Also... manchmal, da...Ist er schon etwas...“

Oh Gott, was brabbele ich da zusammen?! Aber Jelena lacht bei meinem Gestotter nur noch mehr: „Ich weiß, was du sagen willst. Er ist schon ab und zu eine Prinzessin, nicht? Zwar eine äußerst ungewöhnliche mit ganz schön viel Mumm in den Knochen, aber eine Prinzessin.“

Ich starre sie verwundert an. Wie hat diese Frau schon wieder meine Gedanken gelesen?

„Ich meine, wie sonst hätte ihn dieser mysteriöse Playboy in Sochi so einfach um den Finger wickeln können?“ Jelena stupst mich neckisch an und grinst. „Wieso hat er dich und den jungen Plisetsky um seinetwillen in Japan gegeneinander antreten lassen? Wieso hat er lieber auf einen richtigen Antrag von dir gewartet, statt selbst einen zu machen? Nun, weil er gar nicht genug Aufmerksamkeit von seinem geliebten Prinzen bekommen kann.“

Damit hat sie so ziemlich ins Schwarze getroffen. Voll schuldbewusst grinse ich leicht dämlich zurück und höre Yurio und Georgi in meinem Kopf „Let it go“ singen.

Russian Nationals – Yuri Plisetsky: Arabesque

Die Auslosungen für den Grand Prix erscheinen ein paar Tage vor den Russian Nationals zum 25. September. Yakov hat Viktor zu sich gerufen und die Beiden stehen zusammen auf der anderen Seite der Halle und besprechen sich. Yurio, Georgi und ich betrachten sie mit gemischten Gefühlen, denn noch sehen wir nicht den Grund, warum Yakov lieber erst einmal mit Viktor alleine darüber reden will, statt uns allen die Zuteilungen einfach mitteilen. Nach etwa zehn Minuten, die uns wie eine Ewigkeit vorkommen, stehen die Beiden schließlich vor uns. Das Gesicht von Yakov grimmig und ernst ist wie immer, aber Viktors Augen machen einen besorgten Eindruck, der sich wohl sofort in meinem eigenen widerspiegelt.

„Okay, wo treten wir an?“, will Yurio ohne Umschweife wissen. „Muss ich gegen Katsudon oder gegen Viktor?!“

„Weder noch“, entwarnt ihn Yakov, aber Yurios Geschichtsmuskeln bleiben angespannt. Er scheint sich auch noch uneins darüber zu sein, ob er das jetzt gut oder schlecht finden soll. Ich atme jedenfalls ein bisschen auf, schon mal nicht gegen Yurio antreten zu müssen.

„Treten die zwei gegeneinander an?“, Yurio zeigt abwechselnd auf mich und Viktor.

„Auch das nicht“, brummt Yakov. „Das ist die einzige, gute Nachricht. Ihr habt alle drei die Chance ins Finale zu kommen, ohne euch in den Vorentscheiden zu begegnen.“

Yurio macht einen Luftsprung: „Geile Scheiße!“

Dann wendet sich der russische Trainer direkt Georgi zu: „Fangen wir mit dir an. Du wirst zum Skate America und zur Trophée de France fahren. Yuri wird ebenfalls in Amerika antreten. In Frankreich triffst du auf Katsuki. Wenn du ins Finale willst, musst du dich also anstrengen.“

„Das werde ich.“ Georgi gibt sich kämpferisch.

Yurio muss also nach Amerika und ich nach Frankreich. Und keiner von uns wird auf Viktor treffen, resümiere ich.

„Und jetzt zu euch drei.“

Der Ton verheißt nichts Gutes.

„Yuri, du wirst zu deinem zweiten Vorentscheid nach Peking fliegen“, beginnt Yakov. „Ich erwarte in Peking mindestens einen zweiten, wenn nicht sogar den ersten Platz von dir. Du hast gute und realistische Chancen, wieder ins Finale zu kommen.“

„Läuft!“, ruft Yurio, unbeeindruckt von Yakovs Tonfall und noch mit dem gleichen Enthusiasmus wie gerade zuvor. Sofort hat er sein Handy in der Hand, wahrscheinlich um Otabek zu schreiben und zu fragen, wo dieser zugeteilt worden ist. Weiterhin schlussfolgere ich, dass weder ich noch Viktor nach Peking fliegen werden. Yakovs Blick bleibt jetzt an mir hängen.

„Vitya hat nur Vorentscheide ohne wirkliche Gegner. Seine Finalteilnahme ist im Prinzip sicher“, erklärt mir Yakov und sein Ton hat beinah etwas Bedrohliches an sich. Yurio hat seine Nachricht gesendet und ist wieder voll bei unserem Gespräch. Seine grünen Augen wandern von mir zu Viktor zu Yakov und wieder zu mir.

„Es tut mir leid, Yuuri,“ sagt Viktor und ich kann fast erahnen, was ihm zu schaffen macht, „aber das härteste Los von uns allen hast du gezogen.“

Und Volltreffer...

„Wo tritt Katsudon an?“, mischt Yurio sich ein.

„Im Skate Canada und der Trophée de France“, antwortet Viktor. „In Paris steckt die halbe Belegschaft des letzen Finales. Chris, Phichit Chulanont und Frère Jacques wurden ebenfalls nach Paris gelost.“

„Ich seh das Problem nicht“, erwidert Yurio. „Wir waren eine ähnlich starke Gruppe in Moskau letztes Jahr. Das kann vorkommen.“

„Es ist nicht wie letztes Jahr“, widerspricht Yakov mit ernster Stimme. „Letztes Jahr waren die Gruppen vom Leistungsniveau her insgesamt gemischter. Dieses Jahr sind sie sehr homogen. Die Starken bei den Starken und die Schwachen bei den Schwachen. Die einzige Ausnahme bildet Vitya. Er wird in der NHK Trophy antreten und im Rostelecom Cup. Seine stärksten Konkurrenten sind der Koreaner Lee und der Italiener Crispino. Beide überbietet er mit verbundenen Augen. Wenn wir davon ausgehen, dass der Koreaner oder der Italiener zwei zweite Plätze belegen, dann ist auch das zweite Finalticket sicher vergeben. Im Umkehrschluss heißt das, dass es nur noch vier freie Plätze gibt, die der komplette Rest unter sich ausmachen muss. Wer ins Finale will, darf sich in diesem Jahr keine schlechtere Platzierung als einen zweiten Platz erlauben.“

Ich verstehe... Oh weia... Und ich bin im härtesten Vorentscheid mittendrin statt nur dabei?! Gegen Georgi, Phichit, Chris und JJ... Viktor sieht mich an und ich kann ihm die Gedanken von der Stirn ablesen. Für ihn wird es zu einfach, für mich wird es unglaublich schwer.

„In Paris kämpfen fünf der stärksten Läufer um genau diese beiden Plätze. Das gilt auch für dich, Georgi“, schließt Yakov und sieht ihn an, als wolle er ihm sagen, dass er auf keinen Fall nochmal gegen mich und Viktor verlieren soll, aber von Georgis anfänglicher kämpferischer Haltung ist jetzt auch nicht mehr viel übrig. Es fühlt sich an, als wäre dieser Vorentscheid bereits das Finale... Ich muss schlucken und schaue auf das Eis. Das wird verdammt hart...

Viktor scheint meine Gedanken ebenfalls erkannt zu haben und kommt zu mir und nimmt mich in den Arm, flüstert mir zu, dass wir das schaffen und ich hoffe einfach nur, dass er Recht behält.
 

Mit der Bekanntgabe der Auslosungen ist der offizieller Startschuss in die neue Saison gefallen, aber nicht nur bei uns Läufern, sondern auch bei allen Liebhabern des Sports. Viktor und ich haben am Abend nach den Zuteilungen unsere Positionen (und insbesondere meine) in den Vorentscheiden durchgesprochen und selbst wenn es in diesem Jahr beim Grand Prix schwer für mich wird, werde ich alles tun, um wieder ins Finale zu kommen. Allein schon, weil die Möglichkeit besteht, es mit Viktor und Yurio zusammen bestreiten zu können. Es ist eine Chance, die wir bestimmt kein zweites Mal bekommen werden und die Vorstellung von uns drei zusammen auf dem Podium hat etwas Unwirkliches, aber auch gleichzeitig etwas sehr Beflügelndes. Wir können uns nur noch nicht einigen, wie die Reihenfolge dann wäre, denn in unseren Gedankenspielen will natürlich jeder von uns in der Mitte stehen, am aller meisten aber unser Kleinster mit dem größten Ego.
 


 

Russian Nationals, 03. Oktober, Moskau
 

Bevor es aber in Vorentscheide zum Grand Prix geht, starten heute die Russian Nationals. Das Team aus St. Petersburg und ich befinden uns in einem großen Raum in der kleinen Eissporthalle in Moskau und warten darauf, dass der Wettkampf beginnt, der über die Qualifikationen zur EM, der WM und der Olympischen Winterspiele entschieden wird.

Yurio hüpft unablässig von einem Bein auf das andere, um sich warm zu machen, aber er wirkt nervös. Georgi hat sich gerade ganz verzogen, um noch ein paar Zeilen an Anna, seine Freundin, zu tippen. Ich kann die Anspannung auch in Yakovs Gesicht sehen, dessen Muskeln völlig eingefroren scheinen. In weniger als vierzig Minuten ist es soweit, dass Viktor seit seiner Pause erstmals wieder die Eisfläche in einem offiziellen Wettkampf betreten wird. Auch wenn dieser nur auf nationaler Ebene stattfindet, herrscht größtes, internationales Interesse und sie alle versuchen sich in Ehrfurcht zu üben, nun da der wahre König in sein Reich zurückkehrt.

Viktor selbst befindet sich in der Umkleide nebenan, um sein Kostüm anzuziehen. Gegenüber der Presse hat er bis jetzt über die Inhalte seiner Programme erfolgreich Stillschweigen bewahren können, aber seine Verschlossenheit hat die Neugier von Fans und Konkurrenten nur weiter angestachelt. Und die Spekulationen, sowohl über seinen Leistungsstand als auch seine Themenwahl, sind ins Bodenlose geschwappt.

Wirklich getroffen hat den Nagel bis jetzt aber niemand. Niemand würde auf die Idee kommen, dass Viktor im Moment des heißersehnten Comebacks den emotionalen und kreativen Tiefpunkt seiner Karriere offenlegen würde. Weil mein sorgenvolles Gesicht nicht nachlassen wollte, hat Viktor mir zumindest das vorab verraten, damit meinem ausschweifenden Kopfkino Einhalt geboten werden konnte. Schließlich wüsste ich besser als jeder andere, dass er diesen Tiefpunkt überwunden hat und absolut kein Grund besteht, sich verrückt zu machen.

Wie aber würden andere darauf reagieren? Der allgemeinen Stimmung nach zu urteilen erwarteten alle, dass Viktor an seine bisherigen Leistungen nahtlos anknüpft und am Besten mit einem so gewaltigen Paukenschlag, dass ein für alle Mal klar ist, wer auf dem Eis rechtmäßig die Krone trägt. Unter diesem Aspekt kann ich es nur verstehen, dass Viktor vor der Aufführung kein Wort über seinen Programminhalt verlieren will. Er hätte alle Erwartungen enttäuscht, noch bevor er die Möglichkeit gehabt hätte, das Gegenteil zu beweisen. Denn selbst die Kommentatoren des heutigen Wettbewerbs würden erst in diesen Minuten die Informationen zu Viktors Performance erhalten; zu spät also, um vor Beginn noch irgendwem etwas darüber mitzuteilen. Damit bleiben Yakov und Jelena bis zum Auftritt Viktors einzige Mitwisser.

Jelena ist ebenfalls mitangereist und sitzt im Publikum. Sie schickt mir eine Nachricht, dass die Stimmung in der Halle so langsam auf Touren kommt und die Zuschauer sich schon in Fanblocks für Viktor und Yurio geteilt haben. Außerdem wünscht sie Viktor viel Erfolg und fragt in einem PS, ob ich das Outfit bereits gesehen habe. Ich tippe schnell ein Danke auf Russisch zurück und lasse sie wissen, dass Viktor noch in der Umkleide ist. Sofort antwortet sie mit einem OK und der Aufforderung, dass ich meinem Liebsten vor dem Auftritt doch etwas Nettes sagen soll, da er sicher danach fragen würde. Zwinkersmiley. Gut, wenn sie das sagt, dann würde ich mir wohl etwas überlegen müssen...

Das Schloss der Umkleide klickt und Viktor tritt zu uns in den Raum. Entgegen meiner Erwartung kann ich nicht wirklich etwas von seinem Kostüm erkennen, denn er trägt noch seine weiß-rote Trainingsjacke darüber. Mein Blick fällt dennoch sofort auf die weißen Hosenbeine, die ich mir irgendwie ganz anders vorgestellt habe. Dabei sind es nur Hosenbeine. Ich dachte auch, das Outfit würde ein Zweiteiler werden, aber offensichtlich ist es ein Einteiler. Der Stoff ist matt, fließend und sehr fein gewebt. Es wirkt edel und gleichzeitig unheimlich kühl. Der Schnitt ist skinny, aber nicht zu eng, als dass es sexy wirken könnte. Viktor hat weiße Schlittschuhe dazu bekommen, diesmal aber mit normalen, silbernen Kufen, die er gerade neben seine Tasche auf den Boden legt. Dann kommt er zu mir und stellt sich direkt vor mich.

„Ist alles in Ordnung bei dir?“

„Ja, aber ich bin ziemlich nervös... Du nicht?“

„Doch“, lacht er, aber ich sehe es ihm nicht an. „Ich bin so nervös wie schon lange nicht mehr.“

„Jelena sitzt jetzt im Publikum. Sie wünscht dir viel Erfolg.“ Etwas Besseres fällt mir gerade nicht ein, das ich sagen könnte.

„Danke.“ Viktor zieht mich in seine Arme und hält mich fest. Er flüstert: „Du musst das nicht ansehen, wenn es dich zu sehr aufwühlt. Sei in Gedanken bei mir, mehr wünsche ich mir nicht.“

„Ich will dich laufen sehen...“, gebe ich leise zurück und drücke mein Gesicht an seine Brust. Sein Herz pocht wie verrückt.

„Yuuri“, flüstert er weiter und seine Stimme wird schwerer. „Egal was es für Emotionen weckt, sei dir gewiss, dass ich lebe und leben will. Ich will mit dir zusammen sein.“

„Ich weiß…”

„Denk einfach an das, was ich dir gesagt habe.“

„Ja...“

Ich drücke mich noch einmal fester an ihn, bevor ich schließlich loslasse. Viktor hält noch kurz meine Hand und setzt einen Kuss darauf.

„Alter, ich krieg Brechreiz, wenn das die ganze Saison so geht. Macht den Scheiß irgendwo, wo euch keiner sehen kann! Es nervt!“, beschwert sich Yurio, der von seinem Gehopse zu Dehnübungen übergegangen ist. Viktor lässt meine Hand mit einem Lächeln los, um selbst mit Aufwärmübungen zu beginnen.

Als Sieger des letzten Grand Prix wird Yurio als Erster der ersten Gruppe antreten müssen, Viktor startet als letzter der ersten Gruppe. Georgi läuft dazwischen als zweiter und von den anderen drei Läufern habe ich bisher weder etwas gehört, noch jemals einen von ihnen überhaupt gesehen.

Ich schaue auf die Uhr. Noch etwas mehr als eine Viertelstunde, dann ist Yurio dran. Ich bin schon sehr gespannt darauf, Arabesque endlich komplett zu sehen. Da Yurios Training sich immer wieder mit meinem Sprachkurs überschnitten hat, kenne ich das Programm nur in Auszügen. Das fertige Outfit ist jedenfalls auch ohne das Programm schon ein Hingucker, so sehr knallen einem die Farben ins Gesicht. Yurio sieht aus wie ein arabischer Prinz, wie er nicht besser beschrieben werden könnte. Einzig seine blonden Haare und die helle Haut passen nicht ins Bild, aber sie verleihen dem Gesamtbild etwas sehr Exotisches.

Während Yurio und Viktor sich weiter aufwärmen und vorbereiten, gehe ich noch einmal alle Dinge durch, die ich gleich mitnehmen muss. Die Handschuhe, Viktors und meine Pässe, der Schlüssel für den Spind, die Makkachinbox, Viktors Isoflasche und sein Handy... Ich muss schmunzeln. Letztes Jahr war es genau umgekehrt und Viktor hat für mich den Packesel gespielt. Dann fällt mein Blick noch einmal auf unsere Pässe, die ich bisher noch gar nicht wirklich angeschaut habe. Ein Schock durchfährt mich, als ich lese, dass auf meinem Pass nicht „Yuuri Katsuki“ vermerkt worden ist, sondern „Katsuki Nikiforov“!

Mist. Bin ich damit um den Hals wirklich seit heute Morgen rumgelaufen und fürs Fernsehen gefilmt worden?! Hat da einer gepennt, als die Pässe gemacht wurden?!

„Dein Pass steht dir ausgezeichnet, Yuuri.“ schießt es mir durch den Kopf. Deswegen war Viktor beim Einlass zum freien Training gestern auch so amüsiert! Und ich hatte noch gedacht, er veralbert mich wegen dem drei Jahre alten Foto von mir und habe ihm gar keine Antwort drauf gegeben… Warum hat er auch nichts gesagt? Warum hab ich nicht vorher anständig gelesen… Mist... Yakov wird an die Decke gehen, wenn er es bemerkt...

Wobei…Katsuki Nikiforov. Irgendwie klingt das gar nicht so übel.

Mein Handy vibriert wieder. Es ist wieder Jelena, die sagt, dass der Yurio-Fanblock gerade Sprechchöre anstimmt. Ich horche auf und eigentlich war ihre Nachricht unnötig. Ich kann es bis hierher hören, so laut sind die Rufe nach Yuratchka.

„Yurio hat ganz schön viele Fans gewonnen“, bemerke ich und vergesse dabei glatt, dass Yurio Kopfhörer und Viktor Ohrstöpsel trägt und beide nichts hören können. Yakov gibt Yurio just in diesem Moment auch ein Handzeichen, dass er mit nach draußen kommen soll. Viktor sitzt gerade im Spagat auf seiner roten Matte und beobachtet, wie Yakov mit Yurio den Raum verlässt. Ich winke ihm zu und deute mit den Händen, dass ich ebenfalls nach draußen gehen werde, um Yurio anzufeuern. Viktor nickt und senkt den Kopf wieder auf sein Knie. Autsch. Also Spagat ist an sich ist ja schon nicht leicht, aber den Kopf dann noch aufs Knie zu legen schmerzt sicher nicht nur beim Zuschauen... und so jemand hat Bedenken wegen einem Fisch gehabt; ich fass' es nicht.

Die Halle ist brechend voll. Wie von Jelena beschrieben, hat sich auf der von mir aus rechten Seite ein Yurio-Fanblock mit Yuratchka-Bannern und Katzenohrträgerinnen formiert, die beim Eintreffen von Yurio total durchdrehen und eine ohrenbetäubende Lautstärke erreichen. Zur meiner Linken überwiegen die Banner, die Viktor willkommen zurück heißen und sie sind eindeutig in der Überzahl. Das Fernsehen und die Presse haben ein riesiges Aufgebot vor Ort, denn wenn von Viktors Comeback absieht, gibt es heute außerdem das erste Duell zwischen dem alten und dem neuen Sieger des Grand Prix zu verfolgen. Viktor und Yurio sind zuvor noch nie gegeneinander gelaufen und die Spannung, die in der Luft liegt, stellt einem die Haare an den Armen auf.

Kurz darauf ist es soweit, dass Yurio von den Kommentatoren, die ich aufgrund meiner fortgeschrittenen Russischkenntnisse immerhin recht gut verstehe, angekündigt wird und die Eisfläche betritt.

Jemand tippt mich an die Schulter und ich sehe, dass Viktor zu mir an die Bande gekommen ist. Auch die anderen Läufer haben sich in der Halle eingefunden, denn keiner will es verpassen, wenn das kleine Monster mit seinem Kurzprogramm beginnt.

Yurios Auftritt hat zwei Quads, einen Dreifachsprung und eine Dreifach-Zweifach-Kombination. Ob er diesmal mit dem Druck umgehen kann, dass mehr als zwei Drittel der Zuschauer ihn nur auf dem zweiten Platz sehen wollen? Beim Rostelecom Cup im letzten Jahr ist ihm der Druck im Kurzprogramm zum Verhängnis geworden und hat ihn den Sieg gekostet.

Der Blondschopf hat seine Position eingenommen und es geht los. Trommeln und die näselnden Töne einer Pungi erfüllen den Raum mit der orientalischen Musik von Arabesque und Yurio setzt sich in Bewegung, fährt passend zum Auf und Ab der Melodie Schlangenlinien ins Eis, wechselt die Richtung, verbiegt sich dabei, als würde sein Körper keine Knochen besitzen. Bezirzt vom Klang der Flöte windet er sich in immer schwierigere Posen, während er auf einem Fuß über die Eisfläche gleitet. Perfekt. Das ist genau das, was Yurios Qualitäten hervorhebt. Im Ausdruck ist er nicht so souverän, aber seine Flexibilität raubt jedem den Atem.

Die Musik zieht an, wird härter, wie Pferdegetrippel und Yurio springt den ersten Quad, einen Salchow, fehlerfrei. Er beginnt eine Schrittsequenz mit viel Elan und Entschlossenheit, als würde er tatsächlich auf einem dunklen Pferd majestätisch durch die Wüste reiten.

Ich bin wie gebannt. Es passt alles so gut zusammen. Auch wenn Yurio viel gemeckert hat, scheint er in der Performance komplett aufzugehen. Gleich kommt die Kombination, bei der sich die Tücher an seinen Armen öffnen sollen. Ob das wirklich funktioniert? Gleich... und Sprung! Nochmal! Wahnsinn! Die Tücher sind offen!

Wie eine geheimnisvolle Tänzerin aus 1001 Nacht dreht er jetzt seine Pirouetten, begleitet von einem Sprechchor innerhalb der Musik. Yurio entführt uns alle und keiner traut sich, auch nur einmal zu blinzeln. Innerlich ergreift mich die Ehrfurcht, wenn ich mir überlege, dass Viktor genau einen Nachmittag gebraucht hat, um sich dieses Programm aus dem Ärmel zu schütteln. Und das nur, weil ich Yurio einen Mundschutz gegeben habe, weil er sich eine Erkältung eingefangen hatte und gehustet hat wie verrückt... Da frage ich mich, wie verworren die Gedanken eines so brillanten Kopfes eigentlich sein müssen, um von einem Schnupfen auf ein Märchen aus dem Orient zu kommen. Aber es passt so unbeschreiblich gut... Yurio springt den vierfachen Toeloop einwandfrei und die Menge tobt. Die Musik wird dramatischer, schneller und Yurio knüpft wieder an die dynamischen Vorwärts-Rückwärts-Schritte vom Anfang an, sodass er aufgrund seiner Geschwindigkeit die kompletten Diagonalen der Eisfläche ausreizen muss. Stolzes Trommeln leitet seinen letzten Sprung, der direkt in die Endpose übergehen soll, ein: Ein rückwärts angefahrener dreifacher Axel... mein Puls ist beinahe so schnell wie die Trommelschläge... Komm schon, Yurio... gleich... jetzt, Sprung und Davai! Er hat alles geschafft!

Die Yurio-Fans toben, Viktor und ich klatschen Beifall und unser Blondschopf kommt sogleich zum Halten; sichtlich angestrengt, aber zufrieden, dass alles glatt gelaufen ist. Er holt kurz Luft, verbeugt sich und Blumen und Stofftiere landen auf dem Eis. Ich riskiere kurz einen Blick zu Yakov und fühle Erleichterung, dass auch er zufrieden mit Yurios Performance aussieht. Nach so einem so guten ersten Auftritt wäre jede Kritik auch erst einmal fehl am Platz, finde ich.

Georgi hat sich jetzt auch endlich eingefunden, stellt sich neben Yakov und ich muss mich beherrschen, nicht loszuprusten. Hat der Typ ein Talent für einfach nur dämliche Kostüme? Dann schaue ich wieder zu Yurio, der gerade das Eis mit einem Katzenplüschie unterm Arm verlässt.

„Yurio, du warst super“, gratuliert Viktor. „Wirklich sehr gut, so wie ich es von dir sehen wollte!“

„Was hast du gedacht, Alter? Wehe, du verkackst es gleich“, stichelt Yurio und gibt noch kurz den Daumen hoch, bevor Yakov mit ihm zum Kiss & Cry marschiert.

„Keine Sorge“, ruft ihm Viktor hinterher, seinerseits ebenfalls mit einem Daumen hoch.

Ich glaube, mittlerweile bin ich viel nervöser als Viktor selbst. Dass Yurio ein so fesselndes Programm bekommen hat, macht es noch unerträglicher, auf das zu warten, was Viktor sich für sich selbst ausgedacht hat. Es warten alle auf Yurios Wertung und Jubel erfüllt die Halle, als unser liebenswertes Monster fürstlich mit 98.87 Punkten belohnt wird. Für den ersten Wettkampf der Saison ein mehr als anständiges Ergebnis.

Russian Nationals – Viktor Nikiforov: Das Comeback

„Yuuri.“

Ich erschrecke mich fast und als ich mich Viktor zuwende, sehe ich, dass er seine Jacke ausgezogen hat. Du lieber Himmel. Sofort habe ich die Hände vor meinem Mund.

...Mir fehlen gerade die Worte. Jelena hat kein bisschen übertrieben, als sie meinte, Viktor sähe fantastisch in dem weißen Outfit aus. Im Gegensatz zur Hose, die nur aus einem einzigen Stoff besteht, ist ab der Hüfte aufwärts eine wahre Ansammlung an verschiedenen weißen Stoffen, Strukturen und Glanz, die aber perfekt aufeinander abgestimmt sind und das Licht auf die unterschiedlichsten Arten reflektieren und einfangen. Es erinnert an Glasscherben und der Schnitt am Oberkörper ist wahnsinnig eng, sodass Viktors athletischer Körper perfekt betont wird. Über Rücken und Arme sind Lagen aus Chiffon und Seide aufgenäht, die sanft über die Schultern hängen. Mit seinen hellen Haaren und den leuchtend blauen Augen sieht Viktor schon übernatürlich schön aus, dass ich weiche Knie davon bekomme...

„Gefällt es dir?“, fragt er mich und ich schaffe es nur, einen sehr gequiekten Laut von mir zu geben. Viktors Lächeln wird größer. „Ich werte das als Ja. Du bist süß, Yuuri.“

Warum stehen wir mitten bei einem Wettkampf? Hätte er mir das nicht hinten in der Kabine zeigen können? Ich hätte ihn noch einmal umarmen können...! Aber dafür ist es jetzt zu spät. Die Kameras sind auf das Outfit aufmerksam geworden und von überall höre ich das Klicken der Fotoapparate und sehe die Blitzlichter aufleuchten. Viktor hat nicht nur mich fasziniert. Jeder, der ihn sehen kann, ist überwältigt und das, obwohl er das Eis noch nicht mal betreten hat. Schaut irgendjemand eigentlich noch Georgi zu? Ich kann seine Musik hören, aber mein Blick haftet weiterhin an Viktor.

Es will einfach nicht in meinem Kopf hinein. Dass er gleich derjenige sein wird, der sein Programm laufen wird, bringt meine Wahrnehmung, dass es wirklich Viktor Nikiforov ist, mit dem ich im Moskauer Eisstadion stehe, auf ein bisher unerreichtes Level. Normalerweise würde ich jetzt irgendwo vor dem Fernseher sitzen und wie alle anderen ungeduldig seiner Vorstellung entgegen fiebern, ohne einen persönlichen Bezug dazu zu haben. Aber ich stehe vor ihm, bin mitten im Geschehen und erlebe alles genauso intensiv wie Viktor selbst... Als sein Geliebter.

Just fällt mir wieder ein, dass Jelena geschrieben hat, er würde etwas Nettes hören wollen und ich fange an, angestrengt zu überlegen. Ich will ihn unterstützen, aber was ist es, dass er jetzt von mir braucht? Mein Blick fällt auf eines der Banner auf der gegenüberliegenden Seite der Eisfläche. 'Der wahre König betritt sein Reich' lese ich dort. Ich bin zu keinem klaren Gedanken fähig, dabei wäre es umso wichtiger, jetzt die richtigen Worte zu finden! Aber das Einzige, was mir einfällt, ist dass JJ sicher ganz und gar nicht begeistert sein wird, diese Slogans überall in den Medien zu lesen...

Das Klatschen des Publikums zum Ende von Georgis Kurzprogramm reißt mich wieder aus meiner Gedankenblase. Das ging mir jetzt doch etwas zu schnell!

„Vitya, mach dich bereit“, instruiert Yakov, der auf Georgi wartet, um gleich seinen zweiten Gang zur Punktevergabe anzutreten.

„Ja.“

Viktor gibt mir seine Kufenschützer, setzt die Füße auf die Eisfläche und sogleich geht das Geschrei los. Begleitet von Applaus und „Viktor! Viktor! Viktor!“-Rufen, die noch lauter sind, als die Anfeuerungsrufe für Yurio, fährt er übers Eis, um die Zuschauer mit einem strahlenden Lachen zu begrüßen. Die ganze Halle liegt ihm zu Füßen.

Flüchtig erinnert es mich an Sochi. Auch damals war es nicht anders gewesen; das Grand Prix Finale in Russland war eine einzige Show zu Ehren ihres Königs auf dem Eis, der damals keine Erwartung auf einen fünften Sieg in Folge enttäuscht hatte. Ob das jetzt auch bei seinem Comeback gelingen würde? Viktor beendet seine Runde, winkt dem Publikum zu und kommt zurück zu mir an die Bande.

„Willst du mir noch was sagen, bevor ich muss?“

Oh Gott, er fragt wirklich. Ich habe keine Ahnung, was ich sagen könnte! Mir ist so schlecht vor Aufregung. Wenn ich nur wüsste, was er hören will...

Auf den Bildschirmen erscheinen 89,57 Punkte für Georgi.

„Yuuri?“

„Ich liebe dich“, antworte ich ihm hastig. Es ist alles, was mir gerade einfällt und auch alles, was ich fühle. „L-lauf, wie es dir am Besten gefällt.“

„Natürlich“, versichert er, das Gesicht überaus erleichtert und glücklich. Er stößt sich von der Bande ab, fährt zur Mitte der Eisfläche, begleitet von erneutem, tosendem Beifall der Zuschauer. Yurio kommt derweil zu mir geschlurft. Trotz seines guten Ergebnisses scheint auch er weiterhin angespannt bis klar ist, auf welchem Niveau Viktor wirklich läuft.

Der Kommentator beginnt mit seiner Ansage und man gewinnt sofort den Eindruck, dass er den ganzen Tag auf nichts anderes gewartet hat. Er kündigt Viktors Auftritt beinahe doppelt so lange und doppelt so laut an wie die von Yurio und Georgi:
 

„Sehr verehrtes Publikum; der Lauf, auf den wir alle seit Wochen sehnsüchtig gewartet haben! Der fünfmalige Weltmeister und Grand Prix-Gewinner in Folge Viktor Nikiforov wird uns in wenigen Minuten sein Comeback auf der Eisfläche präsentieren! Als Thema seiner diesjährigen Programme zeigt uns Nikiforov den 'Tod' als Ausdruck der emotionalen Tiefphase, die ihn letztes Jahr überraschend zu einer Pause gezwungen hat.“
 

Jetzt ist es raus. Ich sehe in nicht wenigen Gesichtern Erstaunen, Verwirrung und dann Beklommenheit. Auch Yurio starrt Viktor entgeistert an. Nach den ersten Schrecksekunden fangen sich die Zuschauer wieder und klatschen, wenn auch sehr viel verhaltener als zuvor.
 

„Ja, meine Damen und Herren, da kann es einem schon anders werden. Begleitet wird Nikiforovs Interpretation des Thanatos von dem Musikstück Deeper Down. Die Choreografie dazu hat er wie in den Jahren zuvor selbst erstellt. Yuri Plisetskys Arabesque, das wir gerade schon gesehen haben, wurde ebenfalls von Viktor Nikiforov choreografiert, sodass es beinahe so aussieht, als würde er sich auf diese Weise mit Yuri Plisetsky um den Weltrekord duellieren wollen!“
 

Was?! Yurio und mir steht der Mund offen. Von dieser Intention hat Viktor nie etwas gesagt...! Das wäre ja...!
 

„Meine Damen und Herren, es geht los. Das Comeback von Viktor Nikiforov, dem wir alle entgegen gefiebert haben! Der wahre König ist zurück auf dem Eis!“
 

Viktor nimmt seine Pose ein, indem er sich in die Hocke setzt, aber sein linkes Bein ist angewinkelt, um sich abzustoßen. Es wird augenblicklich still. Niemand rührt sich oder traut sich zu blinzeln. Zu meiner Überraschung hat Yurio nach meinem Arm gegriffen und hält sich an mir fest. Offenbar ist er nach diesen Ankündigung nicht mehr ganz so cool drauf, wie er gerne wäre.

Keine Sorge, Yurio, wir stehen das zusammen durch, denke ich und versuche, meinen Atem zu kontrollieren. Viktor weiß, was er tut.
 

[P]
 

Dann beginnt es.
 

Die leisen, klaren Klänge eines Pianos erklingen und begleiten die ersten, eleganten Drehungen, in denen er sich langsam, aber würdevoll aufrichtet. Die Musik ist so schön, aber auch so schwermütig und Viktor dreht sich so leicht, als könnte er fliegen. Er hat uns alle sofort in seinem Bann. In aufrechter Position angekommen, hält er einen Moment inne, hebt die Arme über seinen Kopf und senkt sie zusammen mit seinem Gesicht wieder vor seine Brust, als würde es ihn schmerzen.
 

Er stößt sich sachte ab, die Arme um seinen Oberkörper geschlungen. Hinter ihm wehen Seide und Chiffon schwerelos und schön, die sich wie Flügel durch den Zugwind auffächern. Seine Schritte sind lang, er gleitet sehnsüchtig über das Eis, wechselt in rückwärtiges Fahren, als suchte er etwas, das hinter ihm liegt und von dem er sich weiter entfernt. Ein Inner Eagle lässt ihn im Kreis drehen, nach dem er abermals regungslos verharrt, die Hände auf der Brust, den Blick fokussiert nach vorne.
 

Dann setzt Gesang ein. Eine Frauenstimme singt hell und klar... Ich versuche, den Text zu erfassen. Ein distanzierter Rabe, aus der Ferne betrachtet; dessen Stolz man sich zu eigen gemacht hat, aber nicht mehr braucht. Viktors Schrittfolge ist ausdrucksstark, selbstsicher und präzise, ohne den geringsten Zweifel nimmt er Anlauf, tippt auf das Eis und springt just den vierfachen Flip, für den ihn alle begeistert feiern.

Eine Eule, alt und weise, ist ein steter Begleiter. Viktors Schritte haben sich geändert, ich kann erkennen, wie Yakovs väterliche Art in jeder seiner Bewegungen steckt. Doch jenes von der Eule erlernte Wissen ist nichtig geworden und so springt sich Viktor auch davon frei; ein dreifacher Rittberger, perfekt ausgeführt, dessen Schwung fließend in eine horizontale Pirouette übergeht.

Streicher setzen ein, begleiten die rotierende, strahlende Gestalt; ich habe überall Gänsehaut und bin vor Anspannung wie erstarrt.

Eine furchtlose Taube schenkt bedingungslose Liebe... Ich kann sehen, wie Viktor sie in seinen Drehungen liebevoll und zärtlich umarmt, aber auch sie braucht er nicht mehr... Ein vierfacher Salchow schüttelt die Liebe ab und ich kann spüren, dass Yurio sich fester an mich drückt.

Nach dem Salchow wird die Musik schlagartig dramatischer, eine Männerstimme ist zu hören, Viktor breitet die Arme aus und die leichten Stoffe flattern abermals hinter ihm; ich nehme den weißen Schwan wahr, so wunderschön und vergänglich besungen, dass ich am ganzen Körper erschaudere. Das Eis spiegelt blass die sterbende Gestalt in Form einer makellos ausgeführten Ina Baur und ich traue mich kaum, an den nächsten Sprung zu denken, doch die silbernen Kufen verbleiben dieses Mal auf der Eisfläche.
 

Das Piano erklingt wieder und die Stimmung schwingt jäh mit einer abrupten Drehung um. Die Verzweiflung bahnt sich ihren Weg in seine Bewegungen; man spürt, dass sie in jede Faser des Körpers kriecht. Mir steigen die Tränen in die Augen und Yurios Griff nimmt krampfhafte Züge an. Viktor wirft sich in Richtungswechseln über das Eis, hoffnungslos und dennoch mit so viel Hingabe für das, was er einst geliebt hat... es geht dem Ende zu und meine Beine wollen nachgeben.
 

Die Stimmen erheben sich erneut, den Schwan anzupreisen, zu bewundern und zu verehren und Viktor reißt die Hände vor seinem Gesicht nach oben in die Luft, als flehte er den Himmel um Erlösung an... Ich spüre das gleiche Stechen in der Brust, das ihn befallen hat. Er sieht so erschöpft aus... Sein Lauf wird pathetischer und mein Puls beginnt zu rasen, Viktor springt beinahe manisch eine letzte Kombination aus dreifachem Axel, einfachem Toeloop und dreifachen Salchow; es ist ein vergebliches, letztes Aufbäumen gegen die innere Qual, die ihn zerrüttet...
 

Die Musik reißt ab.
 

Ich traue mich kaum zu blinzeln und mein ganzer Körper bebt, das Blut pocht laut in meinen Ohren. Viktor gleitet in gebrochener Haltung leise über Eis, zieht immer engere Bahnen, dann sind es nur noch Kreise... Sein Körper wird schwerer, langsamer, als würde das Eis ihn zu sich ziehen und ihn aufnehmen wollen... Mein Herz droht zu zerspringen, während ich die letzten, kunstvoll ausgeführten Bewegungen dieses einzigartigen Genies vor meinen Augen verfolge, das dieser Welt entgleitet, auf dem Eis zum Liegen kommt und dessen Tod vom letzten Saitenanschlag der Tasten besiegelt wird.
 


 

In der Halle ist es totenstill. Mein Atem geht völlig unkontrolliert, ich schnaufe beinahe. Erst jetzt merke ich, dass mir wirklich Tränen die Wangen hinablaufen, dass mein Hals völlig trocken ist und dass meine Hände verschwitzt und eiskalt sind. Nur der Druck von Yurios Fingernägeln an meinem rechten Arm erinnert mich daran, dass das hier nicht real ist und Viktor nur ein Programm gelaufen ist. Und dennoch. Alles in mir schreit danach, aufs Eis zu rennen und mich vergewissern zu wollen, dass das Herz in seiner Brust noch schlägt, aber mein Körper versagt mir die Kontrolle über meine Beine. Viktor... Steh auf! So viel Drama muss nun wirklich nicht sein...! Blödmann...!

Mein stummes Flehen wird erhört. Viktor steht ohne ein Anzeichen des sterbenden Schwans auf und verbeugt sich höflich vor seinem Publikum, das immer noch regungslos in seiner Starre verharrt. Nur langsam fühlen sich die ersten Zuschauer zum Klatschen fähig, dann brechen nach und nach die Dämme, bis die ganze Halle zu Jubel und Standing Ovations aufspringt. Ich fange an zu zittern, steige ebenfalls in den Jubel mit ein und kann gar nichts mehr kontrollieren... Was für eine brillante, meisterhafte Vorstellung! Meine Tränen fließen, diesmal vor Freude, und ich klatsche Beifall mit dem letzten bisschen Kraft, das in meinen Armen und Händen noch geblieben ist. Das Publikum wirft Blumen, Stofftiere und -herzen auf die Eisfläche; sie feiern ihren Viktor Nikiforov für ein überwältigendes Programm, das seinem Genie nur gerecht geworden ist.

Nach einer gefühlten Ewigkeit in der Mitte der Eisfläche setzt er an, zu mir zurück zu kommen. Mein Herz ist kurz davor zu explodieren, so sehr will ich ihn umarmen. Ich weiß ganz genau, dass ich ihn heute Nacht nicht loslassen werde... Und will schon die Arme nach ihm ausstrecken, als ich bemerke, dass ich immer noch ein Klammeräffchen am rechten Arm habe, das das verhindert.

Als Viktor vor uns zum Stehen kommt, grinst er etwas schuldbewusst.

„Ich dachte ja, dass es für dich emotional wird, Yuuri,“ beginnt er dennoch amüsiert, „aber dass es Yurio so mitnimmt, überrascht mich jetzt.“

„Mach' dich bloß nicht lustig, Arschloch!“, brüllt Yurio ihm ertappt entgegen und lässt mich augenblicklich los. Unter den blonden Strähnen kann ich sehen, das auch seine Augen nass geworden sind. „Verpiss' dich!“

„Ich weiß“, antwortet Viktor verständnisvoll. Yurio macht ohne ein weiteres Wort kehrt und ist schnellen Schrittes nach hinten in die Umkleiden verschwunden. Wir schauen ihm einen kurzen Moment nach, dann wendet Viktor sich mir zu und legt eine Hand sachte auf meinen Arm. „Alles in Ordnung?“

„Ja“, antworte ich und versuche dabei stärker zu klingen, als ich mich fühle. Mit immer noch zitternden Händen reiche ihm die Schützer für seine Kufen als auch seine Jacke. Jetzt hätte ich die Arme frei, ihn zu umarmen, aber ich bin völlig kraftlos. Außerdem schaut mich Yakov mit einem überaus warnenden Ausdruck im Gesicht an, ja nichts Unüberlegtes zu tun. Irgendwie schaffe ich es dennoch, meine Füße in Bewegung zu setzen und zu dritt laufen wir zum Kiss & Cry. Ein weiterer, kurzer Blick zu dem russischen Trainer verrät mir, dass das Programm auch an ihm nicht spurlos vorüber gegangen ist... Gemeinsam nehmen wir auf der Bank Platz und ich warte nur darauf, dass Yakov beginnt, Viktor zu erklären, wann und wo er gepatzt hat, aber es bleibt still. Das erleichtert mich, denn einen zeternden Yakov könnte ich jetzt nicht ertragen, dafür sind die Emotionen noch zu frisch und die Stimmung zu aufgewühlt...

Wie viele Punkte würde Viktor bekommen? Mehr als Hundert sollten es allemal sein... Er selbst scheint ebenfalls etwas unsicher. Er weiß, dass er gut gelaufen ist, aber wie gut, dass würde sich jetzt erst zeigen. Es dauert seltsamerweise länger als bei Yurio und Georgi, habe ich den Eindruck, oder ist das nur Einbildung?

Aber dann erscheinen die Punkte auf den Bildschirmen und werden verlesen.

Der Atem stockt uns ein zweites Mal. Kann man so eine Punktzahl einfach aus dem Stand heraus laufen?
 

112,78 Punkte.
 

Das Publikum rastet erneut aus und der Druck, der auf Viktor gelastet hat, fällt wie ein Stein von ihm ab. Er springt auf, schlägt die Hände vors Gesicht und schreit seine Erleichterung heraus. Yakov zieht ihn direkt wieder zu sich auf die Bank, hält ihn fest im Arm und ruft den Kameras entgegen: „Das ist unser Vitya! Unser Vitya! Ein Teufelskerl!“

Ich kann nur zusehen. Viktor muss unglaublich hart trainiert haben, um das abliefern zu können und Yakov, die Zuschauer, wahrscheinlich ganz Russland; sie alle sind völlig aus dem Häuschen, 'ihren Vitya', den sie lieben und verehren, wiederzuhaben.

Ich beobachte die Szene eine kurze Weile, dann senke ich meinen Blick auf meine Knie. Das wird wirklich eine harte Saison. Ich freue mich zwar, dass Viktor so viele Punkte bekommen hat, aber wenn er 112 Punkte einfach so läuft, dann wird es selbst für einen JJ in Topform unmöglich sein, am Ende an ihm vorbei zu ziehen, geschweige denn, dass Yurio oder ich das könnten...

„Vitya“, beginnt Yakov und holt mich damit wieder zurück ins Geschehen. Viktor hat immer noch seine Hände vor seinem Gesicht und ich sehe, dass er zittert, obwohl Yakov in festhält. „Meinen vollsten Respekt. Ich hätte damit gerechnet, dass du vielleicht um die 100 oder 105 Punkte läufst, so wie es im Training aussah. Aber das war eine Nummer für sich. Woher der Unterschied?“

Eh? War Viktor im Training nicht so gut? Viktor nimmt die Hände von seinen geröteten Wangen und schenkt Yakov ein verlegenes Lächeln.

„Der Unterschied sitzt neben mir“, gesteht er und sieht zu mir herüber. „Ich weiß nicht, zum wievielten Male ich es dir schon sage, Yakov, aber Yuuri ist das Beste, was mi-.“

„Schon gut, schon gut, so langsam glaube ich das wirklich“, resigniert sein Trainer, um das Thema zu beenden und Viktor mit einer Handbewegung Schweigen zu gebieten.

„Aber das mal beiseite,“ setzt er wieder an und lässt Viktor los. Ok, jetzt kommt die Standpauke. „Bei deiner eingesprungenen Pirouette wärst du fast aus der Balance gekommen, pass' beim nächsten Mal mehr auf. Und dieser Wallewallestoff an den Armen bremst dich zu sehr für den Rittberger, du brauchst mehr Geschwindigkeit. Das war haarscharf, dass du rum gekommen bist. Und die Ina-“

„Yakov,“ unterbricht Viktor seinen Trainer lachend und klopft ihm auf die Schulter, „lass' gut sein, bitte. Merk's dir und wir reden morgen früh.“

Abschließend winken wir noch einmal in die Kameras vor uns und Viktor zeigt den Zuschauern ein Herz und zwinkert dazu, bevor wir aufstehen und ich ihn den russischen Berichterstattern überlassen muss, die sich schon fast darum prügeln, wer die erste Frage stellen darf.

Auf dem Eis steht der nächste Läufer schon längst bereit. Nach Viktor laufen zu müssen ist ein überaus unglückliches Los. Vor allem nach dieser Vorstellung, denke ich.
 

Das Ergebnis beim Kurzprogramm bleibt am Ende wie erwartet. Viktor führt die Rangliste mit einem 14 Punkte-Vorsprung zu Yurio an, Georgi bleibt dahinter auf dem dritten Platz. Der Läufer nach Viktor ist bis auf 1,23 Punkte an Georgi herangekommen, worüber Yakov nicht sonderlich erfreut ist. Während wir uns zum Aufbrechen fertig machen, höre ich, wie Yakov auf Georgi einredet und ihn anhält, morgen keine Patzer zu machen. Yurio hängt am Handy und telefoniert, so wie es klingt, mit seinem Großvater, der auch morgen wieder zum Wettkampf kommen wird, um ihn zu unterstützen. Viktor telefoniert ebenfalls, allerdings mit Jelena, die sich schon wieder auf dem Rückweg nach St. Petersburg befindet, um Makkachin nicht länger als nötig beim Hundesitter zu lassen. Auf meinem Handy ist eine Flut an Nachrichten aus Japan eingegangen; unter anderem von meinen Eltern, meiner Schwester, Yuko und Minako-sensei, die die Übertragung im Internet verfolgt haben. Während Yuko und Mari mich fragen, ob es Yurio gut geht und wie er sich auf morgen vorbereiten will, kommen meine Eltern und Minako-sensei gar nicht mehr aus den Lobgesängen über Viktors Programm raus. Auch Morooka, der für das japanische Fernsehen die nationalen und internationalen Wettkämpfe kommentiert, hat eine Nachricht hinterlassen, dass man es in der Redaktion nach diesem grandiosen Auftritt gar nicht mehr abwarten könne, bis Viktor mit seinen Programmen bei der NHK Trophy in Sapporo antreten wird. Im Spaß fügt er an, dass ich mich von meinem Trainer ja nicht abhängen lassen soll. Ich muss schmunzeln und schaue zu Viktor, der immer noch mit Jelena telefoniert, weil sie wahrscheinlich jedes kleinste Detail von ihm erfahren will. Sie muss unendlich stolz auf die Leistung sein, die Viktor heute Abend gezeigt hat.

Ich wende mich wieder meinem Handy zu. Die offiziellen Wettkampfpressefotos verbreiten sich rasend schnell und erste Videos von Viktors Auftritt erscheinen online, deren Klicks unaufhaltsam in die Höhe schießen. Ich werde mir wohl wirklich etwas einfallen lassen müssen, um nicht wirklich abgehängt zu werden... Christophe Giacometti hat bereits einen Kommentar unter dem ersten Pressefoto hinterlassen („Vic is back – now the show starts for real again.“), genauso wie viele andere Eiskunstläufer aus aller Welt, die Viktor gratulieren, ihm den Kampf ansagen oder sich bedanken, dass er ihnen mit diesem Auftritt neue Inspiration, Motivation und Kampfgeist einflößt hat. Und es gibt haufenweise Fankommentare:
 

„He's a GOD!“ #victornikiforov
 

„What a beautiful tale, I can't stop crying over this. (;___;) <3 “ #victorcomeback
 

„We have him back, God bless this man!“
 

„OMGOMGOMG, I'm dying!!!!!“ #victoryforrussia
 

„Someone please tell me he's still a bachelor. I fell in love at first sight!“

- „Sorry to disappoint you, but we all hope he's still a bachelor ;-)“
 

„He's so beautiful! <3 <3 <3“ #victorcomeback
 

„A masterpiece. I'm in awe.“ #victornikiforov #victorcomeback
 

„The Japanese boy can go home after tonight's show :DDD“ #victorcomeback
 

„Can't wait to see the free program tomorrow! Go, Victor!“ #victornikiforov
 

„He's the true king! Doesn't need a king-song for everyone to notice :P“ #jjisnotking #victoryforrussia
 

„Victor(y) for Russia!!!“ #victorcomeback #victoryforrussia
 

„Saw that shitty ring on his finger. When will he remove that?!“ #victorcomeback #victoryforrussia

- „He better removed the whole guy :D Tailed behind him like a dog.“
 

Ich sollte vielleicht aufhören, das zu lesen. Es folgen noch über 80 Kommentare allein unter diesem einen Foto und ich habe den bitteren Eindruck, dass in dieser Saison nicht nur die Wettkämpfe hart werden...

Russian Rockstar – Mit einem kleinen Unterschied

Die Russian Nationals enden wie es das Kurzprogramm schon angedeutet hat. Viktors Comeback ist ein Erfolg auf der gesamten Linie: Dem fehlerfreien Kurzprogramm folgte eine fehlerfreie Kür und der Abstand zu Yurio zählt am Ende satte 21 Punkte, was von der internationalen Berichterstattung als direkte Kampfansage zur Rückeroberung aller möglichen Titel gefeiert wird.

Yurio geht mit dem Ergebnis für seine Verhältnisse erstaunlich locker um; das heißt, er posaunt bereits herum, dass Viktor sein ganzes Pulver für das Comeback verschossen habe und jetzt nichts mehr nachkommen würde. Das glaube ich persönlich jetzt nicht, aber das ist eben seine Art zu zeigen, dass es ihn ärgert, nur Zweiter geworden zu sein. Georgi konnte seinen dritten Platz behaupten und so gewinnt bei den Herren das komplette Team aus St. Petersburg vor dem Team aus Moskau.
 

Ab jetzt wird es für uns richtig stressig werden.

Bereits in der Vorbereitungsphase auf die Nationals habe ich feststellen müssen, dass neben dem vielen Training und den Terminen auch plötzlich eine Vielzahl von Leuten wie aus dem Nichts aufgetaucht ist, um die Marke 'Viktor Nikiforov' bestmöglich zu promoten und wieder dahin zu bringen, wo sie vor einem Jahr noch gewesen ist.

Ich wusste zum Beispiel nicht, dass es für das St. Petersburger Team eine Managerin gibt. Vielmehr ist sie aber Viktors persönliche Managerin als gleichzeitig auch die von Yurio, Georgi, Mila und Ekaterina. Dann gibt es noch einen Personal Trainer und einen Physiotherapeuten und wenn ich mir überlege, dass Jelena im Hintergrund auch noch durch die Kostüme und das Styling beteiligt ist, dann kümmern sich, Yakov mit eingerechnet, fünf Personen darum, dass Viktor die Leistung liefert, die alle sehen wollen. Dazu kommen noch die ganzen Sponsoren, Ausstatter, die Journalisten und natürlich die Fans. Yakov hat mir vorab schon ins Gewissen geredet, dass wenn Viktor bei den Nationals gewinnen sollte, ich mich darauf einstellen könne, dass das ganz anders ablaufen würde als bei mir in der letzten Saison. Nach einem Jahr „Viktor für mich alleine“, wie Yakov es mir ziemlich deutlich machte, „müsse ich damit klar kommen, dass bei einem Sieg endgültig Schluss mit dieser Zwei-Mann-Show wäre.“
 

Ich dachte, ich könnte es ganz gut einschätzen. Aber jetzt ist es soweit und ich fühle mich wie das fünfte Rad am Wagen. Die Kommentare auf Instagram, die ich gelesen habe, waren nur ein Vorgeschmack zu dem, was uns nach der Siegerehrung erwartet. Viktor selbst nimmt den Trubel sehr gelassen, schließlich ist er das Geschwader von Menschen um sich herum gewohnt, aber ich habe große Schwierigkeiten, mich in die neue Situation einzufinden. Ständig steht jemand anderes bei uns, ständig will irgendjemand etwas von ihm, überall sind Kameras, Fotoapparate blitzen, dazu die Fans, die total am Ausrasten sind, wenn er nur in ihre Richtung schaut. Viktor gibt geduldig und freundlich Autogramme, nimmt Geschenke entgegen, posiert für Selfies und gibt Antworten auf die Fragen von Reportern. Die kurze Stecke zwischen Eishalle und Hotel müssen wir mit dem Taxi zurücklegen, weil der Weg bereits von Besuchern, Fans und Schaulustigen, die noch schnell ein Foto knipsen wollen, völlig überfüllt ist. Im Vorbeifahren höre ich einen Reporter für einen Livebericht noch in sein Mikrofon rufen „He's the Russian Rockstar of Figure Skating!“ und es scheint mir kein bisschen übertrieben zu sein.

Es erinnert mich peinlich genau an das Grand Prix Finale in Sochi... Ich war damals einer der Ersten gewesen, der am Vortag des Grand Prix zum freien Training erschienen ist. Nicht, weil ich es nicht mehr abwarten konnte, mein Idol zu sehen, sondern weil Celestino-sensei bereits bei unserer Abreise in Detroit gesagt hatte, dass wir unbedingt jeden Tag vor den Russen in der Halle ankommen müssten, wenn wir uns nicht durch die Fanmassen von Viktor schlagen wollten. Trotz unserer frühen Ankunft standen schon so viele weibliche Fans Spalier, dass zusätzlich zum Hallenpersonal zwei zusätzliche Sicherheitskräfte den Eingang überwachten. Prinzipiell fingen alle Fans an zu kreischen, sobald auch nur ein Auto vorbeifuhr oder ein anderer Eisläufer die Halle betrat, sodass ich mich fragte, ob ich es überhaupt mitbekommen würde, wenn Viktor einträfe. Etwa eine halbe Stunde nach meiner Ankunft war es dann soweit und ich kam mir dumm vor, es wirklich in Frage gestellt zu haben, ob man den Unterschied hören könnte. Es war, als stünde man plötzlich mitten auf einem Rockkonzert, so laut war das Gekreische von draußen.

Mein Herz schlug mir bis zum Hals, weil ich wusste, dass Viktor jeden Augenblick in diese Halle kommen würde, aber es dauerte eine gefühlte Ewigkeit, bis die Lautstärke der Fans verhalten abnahm, sodass man annehmen konnte, dass er es in das Gebäude geschafft hatte. Die anderen Mitglieder des russischen Teams waren schon lange vorher eingetroffen und hatten bereits mit Aufwärmübungen begonnen, als schließlich Viktor „Russian Rockstar“ Nikiforov in Begleitung von Yakov und einem anderen, blonden Mann in die Halle kam. Der Name des blonden Mannes war mir in Sochi unbekannt; heute weiß ich, dass es der Physiotherapeut Dr. Tschekowsky war. Von Viktor selbst war kaum etwas zu sehen gewesen, denn kaum war er in der Halle, war er auch schon wieder in einer der Umkleiden verschwunden.

Damals habe ich nur von abseits zugeschaut, heute stecke ich mittendrin in diesem bizarren Schauspiel und ich hätte mir im Leben nicht vorgestellt, dass es so krass werden würde.
 

Als wir es endlich in unser Hotelzimmer geschafft haben, bin ich heilfroh, dass außer Viktor und mir niemand anders im Raum ist. Ich fühle mich fix und alle, obwohl ich gar nichts gemacht habe. Es hat auch nicht wirklich jemand bemerkt, dass ich überhaupt da war. Der Einzige, der immer mal wieder einen scheuen Blick nach hinten riskiert hat, um zu sehen, wo ich war, war Viktor selbst. Seinem Gesicht habe ich ansehen können, dass er mich am liebsten an die Hand genommen hätte, was uns von Yakov und der Managerin im Vorfeld aber mehr als nur einmal untersagt worden ist, um uns selbst zu schützen und Negativschlagzeilen vorzubeugen. Schließlich seien wir in diesem Jahr auf dem Eis Konkurrenten und nicht Romeo und Julia.

Viktor ist gerade in die Dusche gestiegen, als ein Anruf auf seinem Handy ankommt. Da er das schon vermutet hat, hat er mich gebeten abzunehmen, sofern es sich um Yakov, Jelena oder die Managerin handeln würde. Es ist Yakov.

„Hallo.“

„Vitya?“

„Nein, hier ist Yuuri. Viktor ist-“

Klack. Yakov hat aufgelegt.

Was war das denn? Noch während ich mich wundere, schreibt Yakov eine Nachricht auf Viktors Handy in Englisch:
 

Victor shall come to the lobby in twenty minutes. Alone.
 

„Yuuri? Wer war das?“, ruft Viktor aus dem Bad und ich höre, dass er das Wasser abdreht.

„Yakov. Du sollst in zwanzig Minuten in der Lobby sein.“

„Was gibt es?“

„Hat er nicht gesagt. Er hat direkt aufgelegt, als er mich gehört hat, aber er hat eine Nachricht geschrieben.“

Es kommt keine Antwort, ich höre Gerubbel von Frottee auf Haut und kurz darauf steht er vor mir, greift wortlos nach seinem Handy und wählt Yakovs Nummer zurück. Er sieht nicht nicht gerade begeistert aus.

„Yakov, was ist? Warum redest du nicht mit Yuuri?“

Ich höre zu und beobachte.

„Mir hat niemand was gesagt von einem Termin. Termine laufen über Tatjana.“

Tatjana...? Die Managerin, erinnere ich mich. Sie wird ab morgen früh auch hier in Moskau sein, um Viktor zurück nach St. Petersburg und von dort aus direkt zu einem Interview zu begleiten... Auch so etwas, womit ich nicht gerechnet habe. Wir haben unterschiedliche Rückflüge bekommen. Ich fliege mit Yakov und dem Team zusammen; Viktor und die Managerin fliegen getrennt von uns mit einer früheren Maschine.

„Yakov, ich bin noch keine halbe Stunde im Hotelzimmer, ich hab nicht mal richtig geduscht. Termine nur in Rücksprache mit Tatjana.“

Ich seufze und vermute, noch eine Nachfrage und Viktor geht der Hut hoch... Er ist angestrengt und müde und eigentlich wollten wir beide nur noch auf seinen Sieg anstoßen. Es bleibt aber verdächtig still. Yakov hält einen Monolog und Viktor hört ihm mit missgestimmten Blick weiter zu. Wie in Zeitlupe lässt der wenig erfreute Gesichtsausdruck allmählich nach und weicht Resignation. Ich kann die Antwort aus seinem Gesicht ablesen. Viktor wird in die Lobby gehen.

„Ich komme für eine halbe Stunde maximal. Mehr nicht. Ich habe ein Privatleben, Yakov.“

Er legt auf und sieht sofort, dass ich enttäuscht bin, dass er mich alleine lässt. Viktor setzt sich neben mich und umarmt mich, aber es beruhigt mich nur bedingt.

„Eine halbe Stunde“, flüstert er mir zu. „Yakov ist von einem Vorstandmitglied von Rostelecom angesprochen worden, weil ich ja auch in den Rostelecom Cup gelost worden bin und du weißt ja, dass das der Hauptsponsor ist... es tut so mir Leid, Yuuri.“

Viktor gibt mir einen Kuss und sieht mich mitleidig an. Ich nicke stumm und er steht auf, geht zu seinem Koffer und nimmt sich Unterwäsche, Shirt, Pullover und Hose heraus. Dabei fällt mein Blick auf das blaue Kästchen.

„Bald“, sagt Viktor in versöhnlichem Ton zu mir.

„Hm...“
 

Der nächste Tag wird nur bedingt besser.

Die Euphorie über Viktors gelungenes Comeback ist über Nacht von Moskau aus auf die gesamte Nation und darüber hinaus geschwappt und ich muss weiter eine unangenehme Erfahrung nach der anderen machen und auf die harte Tour lernen, was es heißt, mit dem besten Sportler des Landes liiert zu sein. Vor dem Hotel haben sich erneut große Gruppen von Fans versammelt (offenbar hat Viktor mehr als nur einen Fanclub), die zusammen mit Yurios Fanclub den kompletten Eingangsbereich einnehmen, sodass wir das Hotel durch die Hintertür verlassen müssen. Dort warten bereits zwei Großraumtaxen und eine Frau auf uns. Sie ist groß, schlank, hat kurze, blonde Haare und trägt ein graues Businesskostüm. Sie scheint um die Mitte dreißig zu sein und ihr Gesicht ähnelt dem einer Bulldogge. Tatjana Yakovleva, die Managerin, begrüßt uns einen nach dem anderen und gibt schließlich die Anweisung, dass Mila, Ekaterina, Georgi und Yurio zusammen mit Dr. Tschekowsky ins zweite Auto steigen sollen, während Viktor, Yakov, ich und sie selbst im ersten Taxi Platz nehmen werden. Ihr Ton ist sehr streng, aber trotzdem habe ich nicht das Gefühl, dass sie mir unsympathisch ist. Vielmehr scheint sie ihren Job ernst zu nehmen und bemüht zu sein, für jeden das Optimum rauszuholen.

Während der Fahrt stellt sie vorrangig mir, aber auch Viktor Fragen sowohl zu unserem Trainer-Schüler-Verhältnis als auch zu unserer Beziehung, um letztendlich unsere Privatsphäre entsprechend wahren zu können. Es ist mir teilweise sehr peinlich, wenn ich bedenke, dass Yakov mit uns im Taxi sitzt, selbst wenn er vorne beim Fahrer Platz genommen hat und die Rückbänke durch einen Sichtschutz von den Vordersitzen getrennt sind. Aber das würde sich jetzt nicht mehr ändern lassen.

Am Flughafen angekommen fährt unser Taxi einen anderen Weg und wir halten abseits des normalen Haupteingangs. Dort werden wir bereits von einer Flugbegleiterin von Rossija erwartet. Sie wird Viktor und Tatjana auf direktem Weg zu Boarding führen, sodass die beiden die Flughafenhalle gar nicht erst passieren müssen. Wir steigen aus und die Dame begrüßt uns mit einem freundlichen Lächeln. Sie lässt sich von Viktor und Tajana die Ausweise zeigen und ich bemerke, dass über ihrem Arm bereits die Gepäcktags hängen. Mit einem Danke gibt sie die Ausweise inklusive Boardingpass zurück und winkt einen Kollegen mit einem Gepäckwagen zu sich. Die Tags werden ohne ein weiteres Wort flink um die Griffe der beiden Koffer gewickelt, der Kollege lädt auf und verschwindet direkt wieder in Richtung Flughafenhalle. Das war der schnellste Check-in, den ich je erlebt habe.

Ich seufze und fühle mich unglaublich gehetzt und unruhig. Vor allem aber fehl am Platz. Aus meinem Unterbewusstsein drängen weitere Erinnerungen aus der Zeit nach oben, als ich selbst Viktor noch aus der Ferne beobachtet habe. Sie vermischen sich mit dem Hier und Jetzt und seit einer gefühlten Ewigkeit sehe ich Viktor plötzlich nicht mehr als Viktor, sondern wieder als dieses unerreichbare Idol vor mir, das er früher einmal für mich war. Wie in Sochi damals verbirgt sich Viktors Gesicht hinter einem dicken Schal und Sonnenbrille, auf seinen Kopf sitzt eine Beaniemütze, um die Haare zu verdecken, und der lange Mantel tut sein Übriges.

Ich muss schlucken und fühle mich ziemlich verloren. Von meinem Viktor, der gestern Abend noch spät zu mir ins Bett gekrochen ist und sich an mich gekuschelt hat, sehe ich in diesen Momenten überhaupt nichts mehr. Auch wenn ich weiß, dass er natürlich immer noch mein Viktor ist; nur dass er es einfach nicht zeigen kann.

„Yuuri, Yakov, wir gehen los.“

„Gut. “

„Wir sehen uns in St. Petersburg.“ Viktor schaut noch einmal zu mir. „Alles okay?“

„J-ja“, lüge ich schnell, aber ich weiß, dass er mich schon längst durchschaut hat. Viktor stupst mir mit einem rechten Zeigefinger auf die Nase und lässt ihn dort verweilen.

„Mach' nicht so ein trauriges Gesicht, Yuuri“, ermahnt er mich in liebevollem Ton. „Es gibt einen Unterschied zu früher. Du siehst ihn direkt vor dir.“

Ich halte kurz inne. Dann muss ich zögerlich lächeln und glaube, ich werde auch ein bisschen rot. Ja, einen kleinen Unterschied gibt es und ich fühle mich direkt seltsam beruhigt dadurch. Selbst dieser unerreichbare Viktor trägt immer noch meinen Ring an seinem Finger.
 

Dass Viktor nicht mit uns durch die Halle zum Check-in geht, ist Segen und Fluch zugleich. Neben einigen Fotografen und zwei Reporterteams warten auch hier kleinere Gruppen von Fans und ich wünschte mir, ich würde etwas weniger auffallen, aber als einziger Japaner innerhalb unserer Gruppe trage ich quasi Leuchtreklame um den Hals. Mila erklärt mir im Vorbeigehen, dass Viktors Fanclubs, Victoria und Golden Maiden, sich zwar gegenseitig nicht riechen können, in einer Sache aber der absolut gleichen Meinung sind: Dass Viktor ihnen gehört und niemandem sonst und einer der beiden Clubs verleiht seinem Unmut über meine Anwesenheit auch sehr deutlich mit einem Banner Ausdruck.

„Schau nicht hin, Yuuri.“ flüstert mir Mila mitfühlend zu, als wir die Aufschrift „Victor to us, Katsuki back to Japan“ hinter uns lassen. „Die Weiber von Golden Maiden haben 'nen Vollschuss. Wir hatten schon einige Scherereien mit denen. Viktor ist für sie ein Gott, der nur existiert, um irgendwann den ganzen Club zu schwängern. Ignorier' sie und bleib' bei mir und Ekaterina, ja?“

Das ist leichter gesagt als getan. Nicht nur, weil Viktor mein Trainer ist, sondern auch wegen des verpatzten Namensschilds bei den Nationals bin ich ein willkommenes Opfer der Reporter und werde ständig auf Viktor angesprochen, egal ob in professioneller Hinsicht oder klatschartiger Natur; beispielsweise ob das Namensschild einer Hochzeit vorweg gegriffen hat. Die strenge Anweisung von Tatjana heute morgen in diesem Fall lautete: „Das Namensschild ist ein Fehler gewesen, ansonsten kein Kommentar“. Ich weiß gar nicht, wie oft ich diesen Satz bis zum Abschluss des Check-ins wiederholt habe...

Nachdem wir die Handgepäckkontrolle passiert haben, wird es ruhiger um uns herum, aber es warten andere, stille Überraschungen auf mich: Als wir einen Zeitschriftenladen passieren, fällt mir auf, dass es kaum eine Tageszeitung gibt, die nicht irgendwo auf der Titelseite ein Bild von Viktor abgedruckt hat. Einige haben Bilder direkt aus den Nationals genommen, andere wiederum ältere Aufnahmen, aber Viktor ist überall präsent.

Mein Handy vibriert.
 

Alles okay bei dir?
 

Ja, wir sind gleich am Gate. Warum?
 

Tatjana hat ein Foto von dir vorm Check-in auf dem Twitteraccount einer Zeitschrift gefunden. Wurdest du bedrängt?
 

Ich zögere. Eigentlich ja, aber soll ich ihm das schreiben? Es kommt eine weitere Nachricht von Viktor; es ist der Link zu besagtem Foto, dazu der Text: „Bewährungsprobe! Überschattet der grandiose Sieg von Nikiforov das Verhältnis zu seinem Schüler?!“

Im Hintergrund ist auch das Banner „Victor to us, Katsuki back to Japan“ zu erkennen. Na super.

Viktor tippt weiter:
 

Das nächste Mal kommst du mit mir.
 

So schlimm war es nicht, antworte ich.
 

Aber mir ist es lieber, wenn du bei mir bist.
 

„Katsudon!“

Ich blicke vom Handy auf. Yurio, Mila, Ekaterina, Georgi und Yakov haben sich in der Nähe unseres Gates an einen Tisch gesetzt und schauen mich an. Ich tippe Viktor noch schnell ein „Mir auch“ zurück, dann setze ich mich zu ihnen. Sie haben alle, außer Yakov, ein Blatt Papier vor sich liegen und einen Stift in der Hand.

Yurio grinst mich herausfordernd an: „Spielst du mit uns Stadt, Land, Fluss(*)?“

„Äh, ich kenne das Spiel nicht“, entgegne ich etwas unsicher.

„Mega einfach. Wir erklären dir's“, sagt er. „Wir machen das immer am Flughafen zum Zeitvertreib. Und vielleicht bist du ja cleverer als Mr Superstar?“

„Ist Viktor gut in dem Spiel?“

Einen kurzen Moment herrscht Stille, dann bricht der Tisch in Gelächter aus. Irgendwas sagt mir, dass das Gegenteil der Fall ist. Etwas irritiert schaue in die Runde, denn selbst Yakov hat seine Mühe, ein Lachen zu unterdrücken. Georgi beruhigt sich als Erster und klopft mir auf die Schulter.

„Sagen wir mal, Viktor ist kreativ in dem Spiel. Das wäre die nette Variante zu sagen, dass seine Haare viel heller sind, als das, was drunter ist.“

„Die Ente!“, johlt Mila und hält sich schon den Bauch vor Lachen. Jetzt kann auch Yakov nicht mehr an sich halten und lacht, aber gleichzeitig senkt er den Kopf und schüttelt ihn. Jetzt würde ich zu gerne wissen, worum es geht... ich habe noch nie erlebt, dass so kollektiv Witze über Viktor gemacht wurden, abgesehen von den Chihoko-Witzen natürlich.

„Also, Katsudon, das Spiel geht so:“, versucht Yurio mich trotz allem Gegluckse aufzuklären. „Wir suchen zuerst Kategorien aus, wie 'Stadt', 'Land', 'Fluss', 'Berg', 'Tier' und so weiter. Dann geht einer im Kopf das Alphabet durch. Ein anderer sagt Stopp. Und mit dem Buchstaben muss man dann eben eine Stadt, ein Land, einen Fluss etc. aufschreiben und zwar so schnell wie möglich.“

„Gut, verstehe. Und das kann Viktor nicht?“

„Er kann das schon“, wiederholt Georgi und muss auch schon fast wieder lachen. „Aber die Antworten sind wie gesagt... sehr kreativ eben.“

„Wir machen dieses Spiel oft, damit sie in den Köpfen während der Saison fit bleiben und nicht alles Schulwissen wieder vergessen“, schaltet sich Yakov in die Unterhaltung ein, um das was kommt noch zu irgendwie zu entschuldigen. „Aber Vitya hat schon immer ein Gedächtnis wie ein Sieb gehabt.“

„Bei der Ente saßen wir alle zusammen in Pulkovo in der Lounge, weil wir wegen schlechtem Wetter nicht starten konnten“, kichert Mila weiter. „Viktor hat geschlafen und wir hatten ohne ihn angefangen. Aber auf seine Antworten wollten wir nicht verzichten, also hat Georgi ihn gerufen, er solle ihm schnell einen Vogel mit 'G' nennen.“

„Aber Ente beginnt doch mit 'E'?“, stelle ich verdutzt fest. Also soviel Russisch kann ich, um das zu wissen.

„Schon, Katsudon,“ grinst Yurio und muss sich beherrschen, nicht schon wieder zu lachen, „Viktor hat ja auch 'Gebratene Ente' geantwortet.“

Erneut brechen Mila, Ekaterina, Georgi und Yurio in Gelächter aus.

Ich bin sprachlos und möchte weinen. Oder mitlachen. Ich glaube, kreativ ist in der Tat die einzig richtige Beschreibung, so eine Antwort durchgehen zu lassen. Und leider besteht auch keinerlei Zweifel, dass Viktor zu so einer Antwort fähig ist. Da muss ich mich echt fragen, was erstaunlicher ist: Dass Viktor mit mir zusammen ist oder dass er es zu einem Rockstar-Image gebracht hat.
 

Zurück in St. Petersburg haben wir noch etwa zweieinhalb Wochen Zeit, bis die Vorentscheide zum Grand Prix beginnen. Tatjana kommt gleich am Tag nach unserer Rückkehr zu uns nach Hause, um mit Viktor eine Vorauswahl von Interviews, Werbeverträgen und Fernsehauftritten durchzugehen. Da Viktors Zeit in dieser Saison wegen mir sehr begrenzt ist, müssen die Anfragen stark reduziert werden.

„Also, Viktor,“ beginnt unser Besuch direkt, noch bevor sie auf dem Sofa Platz genommen hat. Tatjana ist eine Frau, die keine Zeit verschwendet haben will. Diesen Eindruck hatte ich bereits während der Fragerunde mit ihr im Taxi gewonnen, aber sie ist dabei durchaus entspannt und verbreitet keine Hektik in dem Sinne. Auf dem Weg zum Sofa redet sie weiter: „du hast mehr Anfragen als erwartet, die prügeln sich regelrecht um dich. Deswegen habe ich gestern Abend schon die Vorauswahl getroffen. Die Fernsehauftritte werden alle abgesagt, schließlich sieht man dich bei den Wettkämpfen im Fernsehen und davon abgesehen kostet dich das zu viel Zeit. Für Interviews gibt Yakov dir einen Tag, und ich werde drei verschiedene Magazine einladen. Zwei Nationale, ein Internationales. Einen weiteren Tag wirst du eine Werbekampagne shooten und die würde ich auch nicht in Erwägung ziehen, wenn das nicht ein wirklich großer Fisch an der Angel wäre.“

Ich schaue Viktor irritiert an und frage leise: „Ich dachte, sie will die Anfragen besprechen und uns nicht einfach die Entscheidung mitteilen?“

„Sei unbesorgt. Sie macht den Job seit über vier Jahren für mich. Sie weiß, was sie tut.“

Viktor nimmt meine Hand und wir folgen Tatjana zum Sofa, auf dem sie bereits einiges an Papierkram neben sich auf der Sitzfläche ausgebreitet hat. Auf ihren Beinen liegt ein Tablet und sie ruft gerade die entsprechenden Anfragen in ihren Emails auf. Weil nicht mehr genug Platz zum Sitzen für uns beide ist, zieht mich Viktor auf seinen Schoß und er legt seinen Kopf auf meinen Rücken. Tatjana gibt ihm direkt zwei zusammen geheftete Stapel in die Hand, ohne von ihrem Tablet aufzuschauen.

„Das sind die nationalen Interviews. Lies' dir die Fragen kurz durch. Die unseriösen hab ich bereits ausgestrichen.“

Viktor greift unter meinen Armen durch und nimmt die Fragebögen entgegen. Er hält sie so, dass ich mitlesen kann. Oder zumindest das, was ich verstehe.

„Standard“, kommentiert Viktor trocken, nachdem er die Blätter kurz überflogen hat. „'Wie fühlen Sie sich nach Ihrem Sieg?', 'Werden Sie den Sieg im Grand Prix anstreben?', 'Wie intensiv haben Sie sich vorbereitet?'... 'Wäre es erstrebenswert, Ihrem eigenen Schüler Yuuri Katsuki gegenüberzutreten?' Was?“

„Ich habe alle Fragen in denen Yuuri erwähnt wird raus genommen, bis auf die, die mit dem Sport und den Wettkämpfen zu tun haben“, erläutert Tatjana. „Die sind legitim. Aber der Großteil der Fragen dreht sich eher darum, ob ihr liiert seid, was diese Ringe wirklich bedeuten, ob die Rivalität auf dem Eis eure Beziehung beeinträchtigt und so weiter.“

„Gut, danke dir. Ich bereite dann die Antworten vor“, antwortet Viktor und legt die Fragebögen zur Seite.

„Und was ist dieser große Fisch in Sachen Werbung?“, frage ich neugierig.

„Ja“, sagt Tatjana und sieht von ihrem Tablet zu uns rüber. „Halt dich fest.“

Viktor und ich warten gespannt.

„Wenn du an Weihnachten und Werbung denkst, was kommt dir in den Sinn?“

Viktor überlegt, aber ich kann nicht widerstehen und murmele: „Gebratene Ente?“

„Was? Yuuri!!!“ Viktor sieht mich völlig schockiert an, während ich mich beherrschen muss, nicht zu sehr zu lachen. Tatjana überspielt den Kommentar gekonnt und wartet einen Moment, bevor sie ihre Frage noch einmal wiederholt:

„Also, Weihnachten und Werbung. An was denkst du?“

„Keine Ahnung. Jeder macht viel Werbung zu Weihnachten.“

„Fällt dir eine Marke ein, die jedes Jahr um Weihnachten besonders einprägend wirbt?“

Es bleibt still. Dann werden seine Augen groß und er drückt sich an mich. „Eine fällt mir ein. Wegen den Trucks.“

Tatjana nickt.

„Was?!“ Viktors Augen weiten sich und meine nicht minder.

„Ja,“ lächelt die Managerin zufrieden, „genau die wollen dein Gesicht auf der diesjährigen Weihnachtskampagne. Auf das fertige Foto kommt dann noch ein kleiner, computeranimierter Eisbär.“

Ok... Das ist jetzt wirklich…krass.

Croissant, Baguette, Eiffeltürm – Bienvenue à Paris! (with love)

Der anfängliche Enthusiasmus darüber, dass Viktor, Yurio und ich in unterschiedlichen Vorentscheiden antreten, schlägt etwa eine Woche vor dem Beginn des Skate Canada rasant in kalte Ernüchterung und puren Stress bezüglich der Organisation von Flügen und Training um. Besonders Yakov mokiert sich darüber, dass für Viktor an zwei Wochenenden das Training aufgrund seiner Trainerverpflichtungen mir gegenüber ausfallen muss und so werden die Trainingspläne neu angepasst, damit Viktor unterm Strich noch auf eine ähnliche Anzahl Trainingsstunden kommt.

Für uns privat hat das den großen Nachteil, dass Viktor und ich kaum noch Zeit außerhalb der Eishalle zusammen verbringen können und ich die Abende meist mit Makkachin alleine bin. Wenn Viktor schließlich vom Training oder anderen Terminen nach Hause kommt, reicht die Zeit für ihn nur noch, um etwas zu essen, zu baden und danach direkt ins Bett zu fallen. Oft sitze ich mit ihm im Badezimmer und massiere ihm den Rücken oder die Beine, um die Muskeln zu lockern. Diese halbe Stunde ist derzeit die einzige, gemeinsame Zeit, die wir als Paar verbringen können und unter dem Aspekt gesehen, kann ich es gar nicht erwarten, bis die Saison vorbei ist. Mir fehlt Viktors Nähe und Aufmerksamkeit und ich weiß, dass es ihm nicht anders geht. Aber wir haben uns das so ausgesucht und jetzt müssen wir da durch.
 

Die Vorentscheide zum Grand Prix beginnen ab dem 20. Oktober in Québéc, Kanada. Es ist gleichzeitig der mein erster Wettkampf und wir fliegen über den großen Teich. Yurio kann es auch kaum noch abwarten, bis er zu seinem ersten Wettkampf, dem Skate America, starten kann. Otabek wird dort ebenfalls antreten und seit der Kasache in den Sommerferien hier in St. Petersburg zu Besuch war, macht Yurio Georgi in Sachen Handykommunikation eindeutig Konkurrenz. Zuvor aber wird mir Otabek in Kanada begegnen, von wo aus er direkt nach Amerika weiterfliegen und innerhalb von zehn Tagen mit seinen Vorentscheiden fertig sein wird. Neben Otabek kenne ich nur noch Jean-Jacques Leroy unter den Läufern im Skate Canada und Viktor schätzt, dass wir drei die ersten Plätze unter uns ausmachen werden.
 

Am 22. Oktober bewahrheitet sich Viktors Einschätzung auch und ich kann den zweiten Platz vor Otabek belegen; Gold geht im Heimspiel wie erwartet an JJ. Bei unserer Rückkehr nach St. Petersburg sitzen Yurio und Georgi bereits auf gepackten Koffern und sind nur einen Tag später mit Yakov und Lilia nach Amerika unterwegs. Für Yurio geht es von Amerika in Begleitung von Lilia direkt weiter nach China; Yakov kommt mit Georgi wieder zurück nach Russland, um dessen und vor allem Viktors Training weiter voranzutreiben.
 

Anfang November nach dem Cup of China kann das russische Team zum ersten Mal jubeln, denn Yurio qualifiziert sich mit Gold in beiden Vorentscheiden für das Finale. Er steht damit offiziell als erster Finalist im Grand Prix fest.

Nur eine Woche später gewinnt Viktor den vierten Vorentscheid unter den Begeisterungstürmen meiner Landsleute in Sapporo. Über den zweiten Rang freut sich (oder auch nicht) Seung-Gil Lee. Damit ist auch der Koreaner in Reichweite eines festen Tickets fürs Finale gekommen, sollte er im letzten Wettkampf in Russland ebenfalls den zweiten Platz belegen können. Zu Viktors Enttäuschung liegt Sapporo leider nicht in Reichweite von Hasetsu, sodass wir Japan ohne einen Besuch bei meiner Familie wieder verlassen müssen. Aber eine Schüssel Katsudon muss sein. Allerdings nur für Sieger, sagt er. Also nicht für mich. Dieser Arschkeks.
 

Während Yurio also schon für das Finale trainiert und Viktor noch nicht mal in die Verlegenheit von Nervosität gekommen ist, steigt bei mir die Anspannung um ein Vielfaches, denn der nächste Vorentscheid ist die Trophée de France. Die Presse hatte nach den Auslosungen mit „Vorfinale“ getitelt, mittlerweile spricht sie aber vom „Hexenkessel in Paris“, um die Dramatik zu steigern, denn es ist kaum möglich, eine Prognose über das Ergebnis des fünften Vorentscheids zu treffen. JJ hat vor mir in Kanada gewonnen; der letztjährige Sieger in Frankreich hieß allerdings Christophe Giacometti. Chris habe ich wiederum letztes Jahr sowohl in Peking als auch in Barcelona überboten, aber seine Motivation ist diese Saison wesentlich höher als im letzten Jahr. Er ist fest entschlossen, Viktor im Finale gegenüberzutreten und auch JJ will es sich nicht nehmen lassen, im direkten Duell endlich die Krone für sich zu erobern. Ebenso will ich die Chance nicht verpassen, das Finale als einzig möglichen, gemeinsamen Wettkampf mit Viktor bestreiten zu können.

Und dennoch wird sich einer von uns drei von seinem Wunsch, Viktor im Finale zu begegnen, an diesem Wochenende in Paris verabschieden müssen. Nur die ersten beiden Plätze sichern sich den Startplatz im Finale. Viktor sagt es zwar nicht, aber auch er ist in Gedanken ständig bei den Ergebnissen. Wir sind jedes erdenkliche Szenario schon unzählige Male durchgegangen, aber gebracht hat es nichts, außer uns wieder zu der Erkenntnis zu bringen, dass ich einfach gewinnen sollte. Viktor weiß auch, dass wenn ich nur Dritter werde, die Möglichkeit besteht, dass kein Geringerer als er selbst mich mit einem Sieg im Rostelecom Cup aus den Finalplatzierungen wirft.

Ich hatte es mir irgendwie fröhlicher vorgestellt, wenn Viktor ein aktiver Teil der letztjährigen Gruppe werden würde, aber je weiter es voranschreitet, desto mehr bekomme ich den Eindruck, dass er nur der Gejagte ist, den einfach alle übertreffen wollen. Dass Viktor durch die Auslosungen in den Vorentscheiden auf keinen seiner ernsthaften Verfolger trifft, macht es nur noch schlimmer. Die Verbissenheit ist allgegenwärtig und von dem Teamgefühl der letzten Saison ist wenig zu spüren, was mich zusätzlich zu dem ganzen Trubel um Viktors Person noch betroffener macht.
 

Um all den Gedanken und Sorgen wenigstens für einen Tag zu entkommen, planen Viktor und ich, bereits am Mittwochnachmittag vor dem Wettkampf in Paris anzureisen. Viktor hat so von der Stadt an der Seine geschwärmt, dass wir schon kurz nach den Auslosungen beschlossen hatten, wie in Barcelona einen Tag lang die Stadt zu besichtigen. Nach den letzten Wochen ohne wirkliche Zeit füreinander ist dieser eine Tag wie ein Lichtblick für uns. Da ich selbst noch nie in Paris war, blättern wir einen Tag vor Abreise zusammen durch einen Reiseführer, aber allein durch die Bilder wird mir klar, dass Paris viel zu viel zu bieten hat, als dass ein Tag ausreichen würde, alles zu sehen.

Auf einen Besuch des Eiffelturms können wir uns schnell einigen und ich hätte gerne das Schloss in Versailles gesehen, aber Viktor meint, es läge zu weit außerhalb. Stattdessen schlägt er mir den Louvre vor, von wo aus wir bei trockenem Wetter in Richtung der Pont Neuf entlang der Seine spazieren gehen und anschließend Notre Dame besichtigen könnten. Danach noch einen Schlenker durch die Innenstadt an der Champs d'Elysées vorbei und dann wäre der Tag auch gut durchgeplant. Zuviel wäre auch nicht gut, denn schließlich muss ich noch einen Wettkampf bestreiten. Und um uns die Warterei an den Kassen zu ersparen, reservieren wir alle nötigen Eintrittskarten im Voraus im Internet, Viktors Französischkenntnissen sei Dank. Außerdem buchen wir uns ein anderes Hotel als das, in dem wir für den Wettkampf offiziell einchecken müssen und bevor es losgeht, muss ich Viktor noch versprechen, dass wir nicht über das Turnier reden, solange wir privat in Paris sind und im Grunde bin ich für den Vorschlag sogar dankbar.
 

Makkachin geben wir am frühen Mittwochmittag bei Jelena ab und fahren von ihrer Schneiderei aus mit dem Taxi zum Flughafen. Den Flughafen Pulkovo kenne ich inzwischen auch schon in- und auswendig, so oft sind wir in dieser Saison von dort gestartet und wieder gelandet. In Paris am Flughafen Charles-de-Gaulle dagegen ist alles neu und ich muss mich tummeln, Schritt mit Viktor zu halten, weil ich viel zu abgelenkt bin, um ihm hinterher zu kommen. Als er bemerkt, dass mir ständig etwas anderes ins Auge springt, muss er lachen und macht langsamer. Er findet es süß, dass ich von bloßen Croissants und Baguettes so fasziniert sein kann, aber da muss er gerade Reden schwingen...! Das nächste Mal filme ich ihn heimlich, wenn er in Japan irgendwas entdeckt, das er noch nicht kennt. So wie andere Sorten Kitkat letzten Smmer. Grüner Tee. Normaler Tee. Dunkle Schokolade. Himbeer. Erdbeer. Melone. Minze. Käsekuchen. Anko. Sake. Wasabi. Keine Ahnung, wie viele Sorten wir schlussendlich beisammen hatten...

An der Hotelrezeption werde ich dann zum ersten Mal Zeuge, Viktor richtig Französisch sprechen zu hören. Ich kann kaum einen Unterschied zwischen seinem Französisch und dem der Rezeptionistin ausmachen. Für mich ist es immer wieder beeindruckend, wie manche Leute von einer Sprache in die andere wechseln können, ohne darüber nachdenken zu müssen. Zuhause kann Viktor mit Jelena auf Russisch telefonieren, gleichzeitig einen Post für Instagram auf Englisch tippen, und mir noch kurze Antworten auf Japanisch durch die Wohnung rufen. Und jetzt noch Französisch. Puh.

Nach dem Check-in im Hotel ist es bereits spät und dunkel. Weil wir aber nicht herumsitzen wollen, beschließen wir, zum Montmartre zu gehen, um von dort aus einen Blick über Paris bei Nacht zu genießen. Sacré Cœur thront hell erleuchtet und majestätisch auf dem Hügel und bietet uns ein wirklich beeindruckendes Bild. Die Stufen nach oben haben es zwar ganz schön in sich, aber die Mühe lohnt. Der Ausblick über die Lichter der Stadt ist fantastisch. Es bläst uns ein frischer Wind um die Nase, als wir an der Brüstung stehen und über die Stadt blicken. In der Ferne sehen wir den Eiffelturm. Nach einer Weile beginnt Viktor zu lachen.

„Das letzte Mal als wir so einen Ausblick zusammen hatten, saßen wir nackt auf einer Mauer.“

„Ja...“, antworte ich etwas verlegen.

„Ich danke dir.“

„Eh? Wofür?“

„Dass du zu mir gekommen bist.“ Viktor hat den Blick auf seine Arme gesenkt, mit denen er sich auf der Brüstung abstützt. Dann lächelt liebevoll zu mir herüber. „Du hättest mich einfach da oben sitzen lassen und gehen können. Ich habe mich nie wirklich dafür bedankt.“

„Du bist ganz schön sentimental heute, Viktor“, necke ich ihn ein bisschen.

„Ich bin nervös. Du nicht?“

„Doch“, sage ich, greife um seinen Arm und lege meinen Kopf an seine Schulter. „Für immer an deiner Seite, hast du vergessen?“

„Nein...“
 

Es ist wirklich lange her, dass wir einen Tag nur für uns gehabt haben, zu zweit, ohne Training, ohne Makkachin oder Yurio. Vielleicht ist es auch das Feeling von Paris, aber es tut unglaublich gut, Viktors Aufmerksamkeit für mich und nur für mich alleine zu haben. Einfach nur ein verliebtes Paar zu sein, dem die Welt egal sein kann, solange man zusammen ist. Viktor scheint das Gleiche zu empfinden, denn seit wir in Richtung der Île de France schlendern, strahlt er wieder diese kindliche Zufriedenheit aus, die mir sagt, dass er glücklicher nicht sein könnte und ich lasse mich gerne davon mitreißen. Als wir uns vor Notre Dame in die Schlange nach drinnen einreihen, kommt er ins Plaudern und erzählt mir allerlei Dinge, die er erlebt hat, als er in der Vergangenheit Paris für Wettkämpfe besucht hat. Wenn Chris ebenfalls angetreten ist, hat Viktor seine wenige Freizeit oft mit ihm zusammen verbracht. Die Beiden sind nicht nur einmal Yakov und Chris' Trainer Gérard ausgebüxt und erst spät in der Nacht wieder zurückgekommen, um just bei ihrer Ankunft den entsprechenden Rüffel zu kassieren. Gérard hat Viktor nicht selten beschuldigt, ein fürchterlicher Unruhestifter zu sein, aber er habe es ihm nie übel genommen; wahrscheinlich weil Chris es wiederum Gérard übel genommen hätte, wenn Viktor zu viel Schelte bekommen hätte (und Yakov wird seinen Teil auch beigetragen haben).

Ich höre gerne zu, wenn Viktor mich an seiner Vergangenheit abseits der Wettkampfberichterstattungen teilhaben lässt und ich nicht alles aus Jelenas Mund erfahren muss. Es zeigt mir, dass er mir vertraut und sich bei mir sicher fühlt. Als wir die Kathedrale betreten, beschleicht mich für einen kurzen Moment der Gedanke, ob Chris auch einmal in Viktor verliebt war und es zieht in meiner Brust. Prompt folgt der Gedanke an Michal. Für mich ist er immer noch Gespenst ohne Gesicht, von dem nur sein Name existiert und die Gewissheit, dass er der Erste war, den Viktor geliebt hat.

Ich seufze und bin gleichzeitig sauer auf mich. Viktor und ich haben gerade ein Date in der Stadt der Liebe. Warum denke ich an sowas? Michal ist Vergangenheit und das weiß ich... Aber ich vermute, es ist der Umstand, dass wir gerade ein Date haben und weil die Zeit mit Viktor als Paar in letzter Zeit wirklich rar geworden ist, dass ich ihn gerade überhaupt nicht teilen will. Auch nicht in Gedanken. Und erst recht nicht mit seinem Ex-Freund.
 

Am Abend falle ich müde, aber zufrieden in unser Hotelbett. Wir haben alles gesehen, was wir uns vorgenommen hatten. Notre Dame war irgendwie kleiner, als ich gedacht hatte, aber dafür bin ich vom Louvre positiv überrascht. Viktor hat nicht zu viel versprochen, was die Ausstellungsstücke angeht; aber auch die Prunkgemächer von Napoleon III. und die Glaspyramide am Eingang waren nicht minder beeindruckend und sind einer ehemaligen Kaiserresidenz würdig. Und dass wir die Tickets schon vorab hatten, war genial. Kein Anstehen, einfach durch. Yay!

Am Eiffelturm, der durch die graue Farbe viel massiver und schwerer wirkt wie der Tokyo Tower, haben wir, wie so ziemlich alle Touristen, erst einmal Fotos von uns mit dem Turm im Hintergrund gemacht. Ein paar normale Selfies, um sie an meine Eltern und Jelena weiterzuschicken, ein paar Dämliche, auf denen wir herumalbern und von denen wir direkt eines an Yurio gesendet haben („Vive la France!“, zurück kam „Scheiß' die Wand an, ihr nervt!“) und ein paar Vertrautere für uns beide.

Auf der anderen Seite der Seine sind wir auf dem Place de Trocadéro die Treppen zu einer Aussichtsterrasse hinauf gegangen, um von dort einen noch besseren Blick über das Areal des Eiffelturms zu haben. Viktor hat uns in einem nahegelegenen Café zwei Milchkaffee und Petit pain au chocolat gekauft, die wir auf der Hand gegessen und einfach nur den Menschen und ihrem Treiben um uns herum zugesehen haben. Mit der Métro ging es wieder zurück ins Stadtzentrum, um zu bummeln. Wir haben in einer Seitenstraße ein kleines schwarz-weißes Kätzchen getroffen, das sich von mir hat auf den Arm nehmen und schmusen lassen (und nochmal ein Bild an Yurio, diesmal von meinem Handy aus; „Vive le chat!“; darauf nur ein „Katsudon mit Katzedon, wtf“).

Nach unserer Bummeltour haben wir nur noch ein Restaurant zum Abendessen gesucht. Die Auswahl an Landesküchen in Paris war aufgrund der Internationalität der Stadt riesig und trotzdem sind wir letzten Endes beim Japaner gelandet, weil wir beide die japanische Küche mögen und uns ausnahmsweise nicht nach irgendwelchen Überraschungen war. Der Besitzer des Restaurants hat Viktor und mich sogar erkannt und uns zum Nachtisch Mochi serviert, damit ich übermorgen beim Vorentscheid Glück habe und mein Bestes geben kann. Danach sind wir satt und zufrieden ins Hotel zurück gekehrt.

Viktor duscht gerade und ich höre entspannt dem Geplätscher von Wasser aus dem Badezimmer zu. Es war alles in allem einfach ein wundervoller Tag und ich fühle mich so frei wie schon lange nicht mehr.

Am Bettende stehen fein säuberlich unsere Einkäufe des heutigen Tages. Mein Anteil besteht hauptsächlich aus Mitbringsel für meine Familie, sowie einer Packung Baisers und Macarons, die ich auf Empfehlung von Minako-sensei bei Ladurée gekauft habe. Viktor dagegen hat nur ein Souvenir für Jelena gekauft; einen Anhänger für ein Pandora-Armband, das er ihr vor sechs Jahren als Dank für ihre Unterstützung geschenkt hat und das seither jedes Jahr um einen Anhänger reicher wird. Wenn es das Armband ist, das Jelena immer trägt, ist die Geste doppelt schön und es macht mich glücklich, dass sie und Viktor einem echten Mutter-Sohn-Verhältnis in absolut nichts nachstehen.

Und damit ist der Inhalt von drei unserer sechs Tüten erklärt und der Rest gehört meinem lieben Vitya. Zu seiner Verteidigung muss ich wirklich sagen, dass er nicht oft für sich selbst einkaufen geht. Außerdem weiß ich inzwischen auch, wie es auf seinem Konto aussieht (oh Gott, ich weiß es wirklich...) und dass ihn das, was da vor mir steht, nicht zu interessieren braucht. Und der Pullover, den er sich gekauft hat, ist wirklich toll. Kaschmir, hält mollig warm und sieht trotzdem modern und stylish aus. Ich habe nur meine Bedenken, dass er nicht lange so bleibt, denn spätestens wenn Makkachin einmal drüber ist, hat sich das mit der feinen Wolle wahrscheinlich.

Ich drehe mich auf die Seite zur Bettkante hin und betrachte meine Hand. Morgen wechseln wir das Hotel; am Abend gibt es ein erstes, freies Training. Und dann geht es los... Der Tag heute war so schön und Viktor sah so glücklich aus... Er hat es wirklich genossen, hat viel gelacht. Es ist wieder dieser feine Unterschied, den nur die sehen können, die er nah genug an sich heranlässt... sein echtes Lachen. Seit die Wettkämpfe angefangen haben, sehe ich dieses Lachen nur noch selten.

Er hat zu viel um die Ohren. Das Training, die Termine, die Turniere... Ich hätte nicht gedacht, dass sich der Unterschied so schnell und so stark bemerkbar machen würde. Es stimmt mich in diesem Moment trauriger als dass ich mich darüber freue, dass wir diese Saison gemeinsam erleben. Wenn ich übermorgen aus dem Turnier ausscheide, wozu dann die ganze Mühe? Ich muss mindestens Zweiter werden, ein dritter Platz reicht nicht. Der dritte Platz reicht nur dann sicher, wenn Seung-Gil schlechter als Zweiter im Rostelecom Cup abschneidet und ich Otabeks Gesamtbestleistung bei diesem Grand Prix überbiete. Das ist nicht unmöglich, aber zu unsicher, um darauf zu bauen. Besser wären zwei fehlerfreie Performances und ein erster oder zweiter Platz morgen...

„Yuuri...“, schnurrt es hinter mir und ein warmer, noch leicht feuchter Körper schmiegt sich an meinen Rücken. Die nassen Haare kitzeln meinen Nacken, als Viktor einen Kuss in meinen Nacken setzt. „Du grübelst schon wieder. Das wollten wir doch für heute sein lassen.“

Wenn das so einfach wäre...

Viktor streichelt mir zärtlich über die Wange und zieht mir vorsichtig die Brille von der Nase.

„Yuuri... ich will mit dir schlafen“, raunt er mir ins Ohr und ein wohliger Schauer durchfährt mich. Ich rolle zurück auf den Rücken, um ihm in sein schönes Gesicht schauen zu können. Da ist es wieder, dieses ehrliche Strahlen in den blauen Augen, das ich so sehr an ihm liebe. Und ich sehe auch, wie die Lust leise darin glitzert. Viktor beugt sich zu mir und gibt mir einen Kuss.

„Mhm, Viktor?“

„Ja?“

„Sollten wir es heute nicht etwas anders machen als sonst?“

Er schaut mich verwirrt an.

„Schau mal, du bist schon nackt, ich noch nicht und diese Nacht ist nur für uns“, beginne ich und meine Mundwinkel formen ein vielversprechendes Grinsen. „Was wäre da die beste Lösung?“

Innerlich muss ich noch mehr grinsen. Überrasche ich ihn damit gerade wirklich? Er blickt mich weiter mit großen Augen ungläubig an.

Ich richte mich auf und drehe Viktor auf den Rücken.

„Mach's dir bequem, Vitya. Und schau mir gut zu.“

Trophée de France – Yuuri Katsuki: Find your Story

Trophée de France, 18. November - 19. November, Paris
 

Zum freien Training am Wettkampfmorgen erscheinen alle überpünktlich.

Es ist fast eine Wiederholung des letzten Finales, lediglich Georgi und ein junger Deutscher zählen nicht zur Startaufstellung von Barcelona. Obwohl wir Läufer uns eigentlich gut untereinander verstehen, redet heute kaum jemand mehr als nötig mit dem anderen. Phichit ist der Einzige, der sich mir und den anderen gegenüber normal verhält, aber die veränderte Stimmung fällt auch ihm auf. Viktor und Chris reden zwar miteinander, aber Chris ist nicht so locker wie sonst. JJ bleibt seltsamerweise für sich, ohne einem von uns die Ohren abzukauen oder unnötige Infos zu verteilen. Eigentlich lässt er sich ja von nichts und niemandem beeindrucken, aber dem heutigen Vorentscheid scheint auch er mit etwas mehr Respekt zu begegnen. Vielleicht, weil auch er erkannt hat, wie dämlich sein Gelaber im letzten Jahr war, denn Viktors Ergebnisse bei den Russian Nationals und der NHK Trophy haben in Zahlen belegt, dass Viktor trotz Pause in einer ganz anderen Liga läuft. Aber irgendwie glaube ich das dann doch wieder nicht. JJ wird sich nie ändern - because it's JJ-Style! ...Ok, der war schlecht.
 

Schon seit das Training heute Morgen begonnen hat, bemerke ich immer wieder, wie nicht nur der Kanadier, sondern auch Chris und Georgi Viktor mit ihren Blicken belauern. Manchmal huschen ihre Augen nur flüchtig zu Viktor, manchmal starren sie ihn an, ohne sich Mühe zu geben, es zu verstecken. Sie kommen mir vor wie Raubtiere, die den perfekten Moment abpassen wollen, ihre Beute zu jagen und sich als derjenige Läufer zu verewigen, der es geschafft hat, den legendären Viktor Nikiforov zu bezwingen. An Yurios Sieg vom letzten Jahr scheint niemand mehr zu denken.

Ich bin mir auch sicher, dass Viktor diese Blicke längst bemerkt hat. Er kann es besser überspielen, aber ich weiß, dass er den Ehrgeiz der Verfolgergruppe im Nacken spürt. Dass er heute von der Trainerbank aus zusehen wird, stachelt seine Herausforderer nur zusätzlich an und es entsteht der Eindruck, als wollten sie ihm jetzt schon einen Vorgeschmack auf das geben, was ihn im Finale erwarten wird. Es ist überaus skurril und doch muss ich unwillentlich grinsen. Viktors Interesse gilt nicht den Duellen mit Georgi, Chris, JJ oder irgendeinem anderen Läufer. Das ist ihm völlig egal. Viktor will nur seine Rekorde zurück. Dafür hat er für sich, Yurio und mich mit seinen Programmen eine kleine Arena geschaffen, in die kein anderer eingreifen kann. Er will sich auf seinem Niveau mit Yurio und mir messen und das hat schon etwas Unwirkliches, aber auch Geniales an sich. Dagegen ist das Imponiergehabe dieser stolzen Pfaue irgendwie... ich trau mich fast gar nicht es zu denken, lächerlich, aber es ist nicht zu leugnen, dass die Aussicht auf ein direktes Duell mit Viktor sie zu Höchstleistungen anspornt.

Ich darf sie auf keinen Fall unterschätzen. In Kanada hat es für den zweiten Platz gereicht, aber die Konkurrenz war eine ganz andere. Heute darf ich keinen Fehler machen. Damit das gelingt, haben wir meine Sprünge im Vergleich zur Performance in Kanada geändert. Meine Sprungkombination ist jetzt dieselbe wie bei On Love: Eros im letzten Jahr: Dreifacher Axel, vierfacher Toeloop und Salchow in Kombination mit einem dreifachen Toeloop, die ich alle sicher landen kann und die bei perfekter Ausführung auch mehr als 100 Punkte ergeben sollten. Und mehr als 100 Punkte im Kurzprogramm müssten es laut Viktor auch werden, wenn ich gewinnen will. Trotzdem soll ich kein unnötiges Risiko eingehen. Den vierfachen Flip wollen wir zwar erst zum Finale wieder einbauen, aber wenn ich mir in Erinnerung rufe, was Chris und JJ beim Training schon gezeigt haben, wäre es doch eine Überlegung wert... Wenn ich die Sprünge einfach so ohne Absprache ändere, wird Viktor wieder grummelig sein, aber ich will gewinnen. Auf der Trainerbank ist er wie Yakov; alles nach Plan. Wenn er selbst auf dem Eis steht, gibt es nur noch seine eigenen Regeln, aber so ist er wenigstens nie lange grummelig, weil er weiß, dass er es selbst nicht anders machen würde...

Nach dem Training gehen wir alle still schweigend unserer Wege, um uns am Abend zum Kurzprogramm in genau derselben Stille wieder zu begegnen. Morooka, der wie immer die Wettkämpfe für das japanische Fernsehen moderiert, erscheint zur Auslosung der Startreihenfolge, um mir seinerseits noch viel Erfolg zu wünschen. Ich ziehe die Nummer 4 und muss als Erster in der zweiten Gruppe ran. Den Anfang macht Phichit, gefolgt von Chris und dem deutschen Läufer. Danach folgen ich, JJ und Georgi als letzter.

Je näher es dem Start des Wettkampfes entgegen geht, desto unruhiger werde ich. Eigentlich dachte ich, ich wäre die Wankelmütigkeit los, aber der innere Druck reißt meine Selbstbeherrschung Stück für Stück ein, ohne dass ich irgendetwas dagegen tun kann. Ich muss aufhören, nachzudenken! Es sind nicht die Dinge um mich herum, sondern vielmehr bin ich es selbst, der den Druck aufbaut! Aus einem unerfindlichen Grund schwebt seit heute morgen Viktors glückliches Gesicht von vorgestern vor meinem inneren Auge, als wollte es mich ermahnen, bloß nichts zu verhauen... Als könnte Viktor sich plötzlich in Luft auflösen, wenn ich es nicht schaffe, ins Finale zu kommen. Ich muss aufhören, zu denken!

So sehr ich es aber versuche, es hilft nichts. Schon bald haben meine Gedanken eine Eigendynamik entwickelt, die ich kaum noch kontrollieren kann und ich spüre, dass mich meine mentale Schwäche überrennt. Im Vergleich zum letzten Jahr haben wir zwar vor Beginn der Saison darüber gesprochen, wie wir uns verhalten können, falls mit mir die Pferde durchgehen, aber es ist unsagbar schwierig. Viktor steht bei mir, hält mich im Arm und schweigt, bis ich mich gleich aufwärmen muss. Seine Hand streichelt ab und an sachte durch meine Haare, dass ich runterkommen kann und als niemand schaut, setzt er einen Kuss auf meine Stirn. In seinen blauen Augen liegt ein ähnlich lauernder Blick wie in den Augen seiner Verfolger heute morgen, nur dass Viktor nicht lauert um anzugreifen, sondern um zu beschützen. Ich bin ihm unendlich dankbar, dass er bei mir ist, auch wenn es sein glückliches Gesicht ist, das mich gerade in dieses tiefe Loch stürzt...

Dann wird es langsam Zeit für Phichit sich bereit zu machen. Im Gegensatz zu mir setzt ihm der hohe Leistungsdruck bei diesem Vorentscheid nicht zu. Er hat Spaß an seiner Performance und zögert nicht, uns das ab der ersten Sekunde zu zeigen, als er zu He's a Pirate sein Kurzprogramm läuft. Von allen Teilnehmern ist Phichit derjenige, der die größte, natürliche Ausstrahlung besitzt und das merkt man sofort. Das Publikum grölt, die Stimmung ist direkt auf Anschlag und sogar ich vergesse für einen kurzen Moment die Aufregung. Phichit hat sich von der strahlenden Garde seiner Majestät in einen exzentrischen Piraten gewandelt. Was für eine Vorstellung!

Als Nächstes ist Chris an der Reihe. Sein Programm ist von der Thematik her weniger überraschend, aber mit nicht weniger Power dahinter: Pokerface hält die Stimmung von Phichit's Performance und Chris will offenbar noch einen drauf setzen. Es ist echt heftig, was er da aufs Eis hämmert... Yurio hatte gesagt, die Vorstellung in Detroit wäre so olàlà gewesen, aber das was wir hier gerade sehen, ist alles andere als nur olàlà. Der Unterschied ist aber nicht überraschend, denn Chris ist vom Wettkampftyp her eher ein langsamer Starter, der mit einem Knall plötzlich unter den Besten rangiert und dieser Knall scheint gerade gekommen zu sein. Seine Sprünge bleiben fehlerlos und er kassiert 103,54 Punkte für sein Pokerface. Das Publikum kommt heute definitiv auf seine Kosten.

Der deutsche Neuzugang steht auch schon bereit und ich bete innerlich, dass er nicht auch so ein Stimmungslied wie Chris und Phichit hat, denn sonst würden bei mir gleich alle in ein tiefes Loch fallen und das nicht nur, weil ich nervlich durch bin. Als die Musik beginnt scheinen meine Gebete erhört, denn das Lied ist sehr melancholisch. Es ist auf Deutsch und das einzige Wort, das ich verstehe, ist Symphonie, aber auch ohne den Text jagt mir das Lied Gänsehaut ein.

Ich schließe die Augen, hole tief Luft. Ich darf nicht weiter zuhören. Um zumindest die letzten Minuten den Wettkampf noch ausblenden und abschalten können, lasse ich mir von Viktor meine Ohrstöpsel geben. Die Stille in meinem Kopf tut unendlich gut... Ich stehe auf und wiederhole noch einmal einige Dehnübungen, um meine Gedanken davon abzuhalten, tiefer in das Loch zu kriechen. Find your story... Darum geht es jetzt. Ich muss mich konzentrieren. Ein Blick auf die Anzeigebildschirme verrät mir, dass Sebastian Wagner 82,64 Punkte erhalten hat. Chris ist also nach wie vor das Maß der Dinge.

Dann ist es Zeit, aufs Eis zu gehen. Ich setze den ersten Fuß auf und spüre direkt, dass es sich sträubt, mich so anzunehmen.
 

„Es ist soweit, Katsuki Yuuri geht an den Start. Nach einer souveränen Leistung in Kanada hoffen wir, dass er das Niveau halten und uns erneut als Geschichtenerzähler verzaubern kann. Das diesjährige Thema vom Finden einer Geschichte ist eine, wie wir finden, durchaus ungewöhnliche Wahl. Da er sich schwer getan haben soll, sich für ein Thema zu entscheiden, soll sein Programm genau diese Odyssee ausdrücken. Die Choreografie stammt von seinem Coach Viktor Nikiforov. Das Stück heißt Find your story.“
 

„Mésdames et Monsieurs, le prochain coureur représentant le Japon, Yuuri Katsuki.“
 

Meine Startposition bei diesem Programm ist nicht die Mitte, sie liegt nur etwa zwei Meter von der Bande entfernt. Trage mich so weit es geht..., flüstere ich dem Eis unter mir zu. Es liegt nicht an meinem Willen. Ich kenne mein Ziel und trotzdem kann ich meine Emotionen nicht mehr unter Kontrolle halten. Ich darf Viktor nicht enttäuschen... nicht heute!
 

Die Musik beginnt still.

Wie ein Windhauch, der zaghaft und bestimmt stärker wird, zieht das Cello einsam über die Eisfläche. Es gibt hier nichts außer mir. Ich höre die Töne der Glöckchen aus Nimmerland, der so eintönig wie spielerisch in diese Welt der Leere kommen. Ich bewege mich wie eine Marionette, abgehakt, allmählich flüssiger; ganz so, als kämen die Zahnräder in mir langsam in Bewegung. Zuerst nur mein Oberkörper, dann folgen langsam meine Hände und Füße und ich beginne erste Kreise auf der Stelle zu drehen. Erst im Uhrzeigersinn, dann entgegen. Die Spieluhr wird aufgezogen.

Der tiefe Anschlag der Saiten eines Piano setzt mich in Bewegung und ich laufe los. Dort ist etwas, das meine Aufmerksamkeit auf sich ziehen will. Ich gleite am Rand entlang, beginne eine kurze Schrittsequenz, die mit dem nächsten Anschlag zu einer Pirouette wird, bei der ich mich kurz von unten nach oben drehe. Noch bin ich unentschlossen. Ich bin der ideenlose Schreiber, der ohne Inspiration umherwandert.

Dann der nächste Saitenanschlag, stärker. Dieses Etwas, es ruft mich, ist schüchtern. Es packt meine Neugier, aber wie kann ich es zu Gesicht bekommen? Vorsichtig ziehe ich meine Bahnen am Rand der Eisfläche entlang. Ich nehme Geschwindigkeit auf, bereite den erste Sprung vor, der vierfache Toeloop – springe und habe es erblickt. Ich halte einen kurzen Moment inne, fange an zu tanzen und Streicher begleiten mich. Was ist es? Meine Arme bewegen sich grazil um meinen Körper, während ich einen engeren Kreis laufe. Ich fühle es deutlich und das Cello begleitet weiter meine Unentschlossenheit in einem sachten Auf und Ab, als ich eine weitere Pirouette drehe, nun von oben nach unten. Aus der Drehung ziehe ich eine weitere Runde, wieder dichter zur Mitte hin, entscheide mich dafür, werde schneller, um den nächsten Sprung mit dem nächsten Anschlag, dem stärksten Klang, vorzubereiten. Der vierfacher Salchow mit dreifachem Toeloop. Ich springe und auch wenn ich gewackelt habe, ich bin fest entschlossen, es greifen zu wollen.

Ein helles Echo von Stimmen erklingt. Ich spüre, dass es eine Form annehmen will, gesehen werden will, faszinieren will... sich mir offenbaren will. Die Dramatik in der Musik nimmt Fahrt auf, ich ziehe einen letzten Kreis um den dritten Sprung zu vollführen und ich bin nur noch wenige Meter von dieser wundervollen Geschichte entfernt. Gleich! Beim Absprung zum dreifachen Axel strecke meine Hand aus, versuche sie zu greifen; diese Geschichte, die mich angelockt hat -
 

und verpasse sie.
 

Ich stolpere, meine Hände setzen auf das Eis auf, aber ich kann mich fangen, stehe ruckartig auf und bremse, die Endpose passt gerade so. Entsetzt schlage ich die Hände vor mein Gesicht.

Nein... Der Schluss war so nicht gedacht, eigentlich hätte ich sie greifen sollen...!

Ich sacke auf die Knie. Warum? Warum habe ich sie nicht greifen können...? Der Axel gelingt mir so gut wie immer und dann ausgerechnet jetzt...! Durch meine krampfenden Finger hindurch suche ich aufgewühlt nach Viktor. Er steht am Aufgang und wartet mit einem tröstlichen Lächeln im Gesicht auf mich.

Ich hab's vermasselt...
 

Nach den Kurzprogrammen führt JJ mit 107,75 Punkten vor Chris. Phichit konnte sich zuvor mit seinem Programm 91,59 Punkte sichern und ich liege knapp davor mit 94,46 Punkten. Den fünften und sechsten Rang belegen Georgi und Sebastian. Für die Kür morgen muss ich mir also dringend etwas einfallen lassen, um das Blatt noch wenden zu können...

Die Nacht über schlafe ich schlecht. Ich bin ständig wach und unruhig, sodass Viktor neben mir auch nicht wirklich schlafen kann, aber er beschwert sich nicht. Während dem Frühstück und dem Training sprechen wir kaum miteinander und auch wenn ich davon überzeugt bin, dass es an der Müdigkeit liegt, werde ich das Gefühl nicht los, dass je länger Viktor so still ist, ich doch für das Schweigen zwischen uns verantwortlich bin. Ich weiß, dass er mir keine Schuld an der Situation gibt, aber trotzdem schaffe ich es nicht, aus der negativen Stimmung herauszukommen... Ich weiß auch nicht, was ich sagen sollte. Da ist dieser Drang sich zu entschuldigen, aber es wäre gleichbedeutend mit Aufgeben und ich will nicht aufgeben.

Als wir uns am frühen Abend fertig machen, um zur Halle zu gehen, versucht Viktor mir noch einmal gut zuzureden: „Yuuri, wir sind in Wettkämpfen. Jeder tut sein Bestes, zu jedem Zeitpunkt.“

Ja, ist mir schon klar...

„Wir treffen Entscheidungen in dem Glauben, dass sie uns zum Besseren verhelfen. Es sind die Ergebnisse, die nur einen Sieger kennen. Aber für genau diesen Sieg nehmen wir an Wettkämpfen teil.“

„Es tut mir Leid.“

Aber mein Ton sagt etwas anderes. Mittlerweile bin ich einfach nur noch sauer auf mich und dass Viktor mit einer Moralpredigt um die Ecke kommt, macht es gerade nicht besser.

„Das Einzige, was dir Leid tun sollte, ist wenn du nicht dein Bestes gibst, Yuuri.“
 

Am Ende liegt das Ergebnis meiner Kür bei 199,23 Punkten, weil ich mich entschieden habe, den vorgesehenen Sprüngen nicht zu folgen und daraus resultierend gepatzt habe. Beim vierfachen Salchow habe ich mit beiden Füßen aufgesetzt und ich bin, ungeachtet von Viktors Anweisung, einen vierfachen Flip gesprungen, bei dem ich nur noch mit Hand auf das Gleichgewicht halten konnte. Und einen Plan B gab es natürlich nicht.

Noch während wir im Kiss & Cry sitzen, wandert mein Blick angespannt zu Viktor, nachdem die Punkterichter meine Wertung bekannt gegeben haben. Er sieht nicht böse aus, aber auch nicht viel mehr. Genaugenommen ist sein Gesicht vollkommen ausdruckslos und das erscheint mir das vernichtendste Urteil überhaupt zu sein.

„Viktor, ich-“

„Es ist gut, Yuuri“, unterbricht er mich sofort und steht von Bank auf. „Komm, lass' uns andere Plätze suchen.“

„Aber ich wollte-“

„Yuuri. Es ist gut. Noch ist nichts entschieden“, sagt er und reicht mir seine Hand.

Aber im Grunde ist es entschieden. Von meinen Fehlern beflügelt haut vor allem Chris noch einmal raus, was geht, sodass er und JJ ihre Positionen im finalen Ranking sogar noch tauschen. Chris gewinnt mit nur zwei Zählern Vorsprung im Hexenkessel von Paris und zieht unter tosendem Applaus der französischen Eiskunstlauffans ins Finale ein. Auch JJ gelingt mit seinem zweiten Platz der Finaleinzug, sodass drei Finalisten bereits feststehen.

Und für mich ist es der ungeliebte dritte Platz, den ich aus Frankreich mit nach Hause nehme. Auch wenn rein rechnerisch die Hoffnung noch nicht gestorben ist, so liegt es nicht mehr in meiner Macht, aus eigener Kraft ins Finale zu kommen. Ich habe meine Chance nicht genutzt.
 

Zurück in St. Petersburg wird die Stimmung nicht gerade besser. Yurio ist von meinem Ergebnis bitter enttäuscht und ignoriert mich seit unserer Rückkehr permanent. Ich kann es ihm nicht einmal übel nehmen, denn eigentlich ist er nur traurig über meine wackelige Position. Auch die Teilnahme von Otabek im Finale ist noch nicht sicher und die Aussicht, keinen von uns im Finale als Gegner zu haben, macht unserem Blondschopf schwer zu schaffen. Er hängt wie ich in einem Motivationsloch und treibt Yakov damit zur Weißglut. Aber auch Viktor hat mit meiner trotzigen Einstellung zu kämpfen, dabei kann er überhaupt nichts dafür; es waren meine Entscheidungen, die zum Misserfolg geführt haben und auch wenn ich merke, dass seine Geduld langsam dem Ende zugeht, kann ich das Beleidigtsein mit mir selbst nicht abstellen. Erst recht beim Training nicht, denn solange rein theoretisch noch die Chance besteht, will Viktor weitermachen und er hat damit auch nicht Unrecht, aber ich bin gerade wenig empfänglich dafür.

„Yuuri, mach' fünf Minuten Pause. Du konzentrierst dich nicht.“

„Ich konzentriere mich.“

„Das tust du nicht. Mach kurz Pause, dann geht’s weiter.“

„Ich brauche keine Pause.“

„Yuuri.“ Viktors Blick wird starr.

„Ich brauche keine Pause“, wiederhole ich, wohl wissend, dass es an Viktors Nerven zehrt.

„Dann mach' weiter, aber ich brauche eine.“

Yakov horcht auf und dreht sich zu uns um. In seinem Gesicht zeigt sich Unglauben. Ein genervter Viktor ist in der Tat nicht das, was man alle Tage erlebt und er kennt Viktor nun schon sehr lange.

Viktor wendet sich ab und gleitet in Richtung Bande.

„Du brauchst dazu nicht wegzugehen“, sage ich.

„Yuuri, überspann' den Bogen nicht“, warnt er. „Ich komme wieder, ja? Mach selbst Pause oder mach weiter, es ist mir gleich, aber ich brauche einen kurzen Moment für mich. Deine Laune ist nur schwer zu ertragen. Ich kann nichts dafür, dass du nicht das gesprungen bist, was du springen solltest.“

„Dann geh' nach Hause, wenn du keine Lust mehr hast.“

„Yuuri, es reicht!“

Wir ernten unglaubwürdige Blicke von allen Seiten. Dass auch bei uns der Haussegen schief hängen kann, ist für alle Anwesenden scheinbar eine neue Erfahrung. Noch bevor Viktor weiter etwas zu mir sagen oder gehen kann, steht Yurio zwischen uns. Er zieht ein Gesicht, das ich so bei ihm noch nie gesehen habe. Es ist eine Grimasse zwischen Fassungslosigkeit und Wut.

„Sag' mal, habt ihr zwei 'nen Knall?!“

„Yurio, halt' dich da raus.“ Viktors Ton ist äußerst bestimmt.

„Wir wollen hier auch trainieren, diskutiert woanders, klar?!“

„Yurio, halt' dich raus!“

„Ihr Vollidioten!“

Jetzt reicht es auch Yakov. Für gewöhnlich tanzen Yurio und Viktor ihm auf der Nase herum, aber der Ton, den der russische Trainer anschlägt, lässt einem das Blut in den Adern gefrieren. Er wirft uns alle drei vor die Tür und herrscht uns an, erst dann wieder einen Fuß in diese Halle zu setzen, wenn wir unsere Angelegenheiten in den Griff bekommen hätten. Von dem Rauswurf völlig überrumpelt, ist Yurio kurz davor zu randalieren, weil er gar nicht mehr weiß, wohin mit seinen ganzen Emotionen.

Mit Worten, so müssen wir allerdings feststellen, ist Yurio nicht mehr beizukommen und er macht den Eindruck, nicht weit davon entfernt zu sein, Viktor sonst wohin zu treten, sodass dieser sich gezwungen sieht, Yurio in den Schwitzkasten zu nehmen, um ihn davon abzuhalten. Es ist wie David gegen Goliath und ich kann nicht fassen, was sich da vor meinen Augen abspielt. In einer Kurzschlussreaktion entscheide ich mich, die beiden Streithähne zu umarmen, um dieser schrecklichen Situation irgendwie Einhalt zu gebieten, die ich provoziert habe. Es ist vielleicht nicht die cleverste Idee, aber es tut mir fürchterlich weh, Yurio so aufgebracht zu sehen und Viktor schon beinahe handgreiflich. Ich weiß nicht, welche Gedanken ihnen in dem Moment der Umarmung durch den Kopf gehen, aber Yurio hört nach einem Schreckmoment auf, um sich zu schlagen und Viktors Arme lockern sich spürbar.

Da stehen wir nun zu dritt vor der Eishalle, Viktor hält Yurio vor sich fest, Yurio gegen Viktors Brust gesunken und beide von mir umarmt. Keiner von uns sagt einen Ton, aber das nicht ganz freiwillige Gruppenkuscheln erfüllt seinen Zweck. Ich fühle große Erleichterung, dass Yurio langsam wieder runterkommt und kann nicht umhin, so etwas wie elterliche Fürsorge für diesen Rabauken zu empfinden, dem wir offenbar viel wichtiger sind, als er sich eingestehen will. Er ist nur deswegen so außer sich, weil er uns gern hat und es nicht erträgt, dass wir streiten. Viktors und mein Blick treffen sich über Yurios Kopf und uns wird klar, dass wir etwas Dummes getan haben und in Gedanken schämen wir uns für unser Verhalten.

Kurz darauf kommt Yakov nochmals nach uns schauen. Als Yurio ihn sieht, befreit er sich aus Viktors Armen, der ihn ohne Widerstand gehen lässt.

„Bis morgen habt ihr euren Scheiß geklärt, klar?“, ruft er uns noch zu und verschwindet mit seinem Trainer wieder nach drinnen, der uns einen ähnlich ermahnenden Blick zuwirft als wollte er sagen: „Und wehe, wenn nicht.“

Dann ist es wieder still und ich verfalle ins Nachdenken. Die Notwendigkeit, Yurio zu beruhigen zu müssen, hat meinen Blickwinkel auf die ganze Situation verschoben. Im Gegensatz zu mir versuchen er und Viktor das Beste aus der Situation zu machen und sie kämpfen weiter, während ich mich nur in Selbstmitleid gesuhlt habe. Keiner von beiden hat mir ernsthaft die Schuld an dem unglücklichen Ergebnis gegeben. Ich sollte wirklich nicht so egoistisch sein... Viktor hatte Recht, als er sagte, dass wir in Wettkämpfen stehen und man die Ergebnisse nehmen muss, wie sie kommen. Es gehört dazu. Auch jetzt stehen die Beiden noch hinter mir, obwohl mich nur noch eine Fügung des Schicksals vor dem Ausscheiden bewahren kann. Aber für Viktor und Yurio ist der Wettkampf noch nicht zu Ende. Sie werden im Finale stehen und brauchen meine Unterstützung...

„Viktor?“

„Yuuri?“

„Es tut mir Leid.”

„Mir auch.”

„Ich war sauer auf mich. Ich wollte Yurio und vor allem dich nicht enttäuschen.“

„Das hast du doch gar nicht.“

„Du hast schon jetzt so viel Kraft diese Saison investiert; ich wollte nicht, dass es umsonst ist.“

„Yuuri, wir hatten so ein Gespräch schon mal, kann das sein? Ich habe die Kraft gerne investiert. Ich bin nicht dein Trainer aus Mitleid oder aus einer Ausrede heraus. Ich mache es, weil du es mir wert bist. Und Rückschläge gehören dazu. Deswegen werde ich aber nicht aufhören oder dich fallen lassen. Ich würde mir wünschen, dass du sehen kannst, dass du dich nicht verstecken musst vor dem, was du erreichst.“

Du hast ja Recht...

„Ich weiß, dass du ehrgeizig bist; dass du immer alles perfekt machen willst und dich dieser dritte Platz anfuchst, weil du glaubst, dass du dein Soll nicht erreicht hast. Aber das verlangt niemand. Niemand denkt so von dir. Begrab' das Kriegsbeil mit der selbst, Yuuri. Mir würde es sehr viel bedeuten, wenn du weiterhin für dich um den Sieg kämpfst. Letztendlich kann nur einer von uns drei der Gewinner sein.“

„Also wirst du auch um den Sieg laufen, Viktor?”

„Natürlich.“

„Dann gib' alles, was du hast. Sonst bin ich auf ewig mit dir beleidigt“, sage ich und schaue ihn vorwurfsvoll an.

„Wow, mach' mir keine Angst.“ (° _ °)

„Ich mein’s ernst... gib dein Bestes“, wiederhole ich mit Nachdruck. Dann wird mein Ton sanfter. „Immerhin bist du es dann, der mich rauswirft. Dir erlaube ich das...“

Zuerst sagt Viktor nichts, dann hellen sich seine Züge deutlich auf und er lächelt mich erleichtert an.

„... Danke, Yuuri.“

Wir schauen uns eine Weile verlegen an.

„Alles wieder gut?“

„Alles wieder gut.“
 

Nach unserem Gespräch gehen wir Hand in Hand zurück in die Eishalle. Die Fronten zwischen uns sind geklärt und mein Training kann wieder normal weitergehen. Yurio ist schon bald wieder unser laut fauchendes Kätzchen und selbst Yakov scheint überaus erleichtert. Als Viktors Trainer hat er natürlich auch ein Interesse daran, dass Viktor die letzten Tage vor dem Abflug zum Rostelecom Cup nicht damit verbringt, sich mit mir zu streiten. Und eine kleine Hoffnung gibt es ja immer noch.

Mein Training beenden Viktor und ich dennoch früher als angesetzt. Stattdessen will Viktor noch einige Runden alleine drehen und wir beschließen, ihm dabei zuzuschauen. Da außer ihm keiner von uns mehr in einem Vorentscheid antreten muss, soll Viktor die beiden letzten verbliebenen Tage die Eisfläche für sich alleine bekommen.

Ich kann es schlecht in Worte fassen, aber je länger ich ihm zusehe, desto mehr beschleicht mich das Gefühl, dass er bisher vielleicht doch mit Rücksicht auf mich und Yurio gelaufen ist. Ich kann es mir nicht anders erklären, denn irgendwas ist anders. Es erinnert mich entfernt an seinen Schneeflockentanz, aber es kann auch sein, dass ich mir das einbilde.

Am nächsten Tag ist der Unterschied jedoch nicht mehr zu leugnen. Seit meiner Drohung, ihm böse zu sein, wenn er nicht sein Bestes gibt, habe ich zum ersten Mal diese Saison das Gefühl, dass Viktor einzig und allein von sportlichem Ehrgeiz angetrieben ist. Mit jedem weiteren Durchgang erwacht in Viktors Performance etwas, das man nicht lernen kann, sondern das einem in die Wiege gelegt worden ist. Es war keine Einbildung gestern, da ist das gleiche Leuchten, das ich damals in Hasetsu bei ihm gesehen habe. Wo es her kommt, vermag ich nicht sagen zu können, aber es füllt Viktor gänzlich aus und wir alle können es deutlich sehen. Wenn das, was wir gerade geboten bekommen, der schmale Grad zwischen Naturtalent und Genie ist, dann ist er weitaus gewaltiger, als ich jemals geglaubt hätte.

Rostelecom Cup – Ich liebe Umarmungen!

Rostelecom Cup, 25. November – 26. November, Moskau
 

Wir reisen, Tatjana und Dr. Tschekowsky mit eingerechnet, zu siebt zum Rostelecom Cup an. Auch Yurio und Mila wollen mit von der Partie sein, wenn Viktor im letzten Vorentscheid des Grand Prix antritt, allerdings befinden sie sich nicht mit uns im offiziellen Bereich, sondern sitzen normal im Publikum.

Zu meiner und Viktors Überraschung sind wir nach dem Kurzprogramm von Yurio zu seinem Großvater zum Essen eingeladen worden. Viktor hat die Einladung heute morgen auf sein Handy bekommen und meinte völlig perplex zu mir, dass das ja fast einem Ritterschlag gleich käme und was um alles in der Welt wir falsch gemacht haben, um zu dieser Ehre zu kommen. Nun gewusst habe ich es zwar nicht, aber nach einem kurzen Blick auf Yurios Instagram hatte ich eine starke Vermutung.

Yurio hat Otabek ebenfalls nach Moskau eingeladen; offiziell deswegen, damit dieser live dabei sein kann, wenn sich entscheidet, ob er seinen Finalplatz behalten kann oder nicht. Inoffiziell gehe ich davon aus, dass Yurio einfach Zeit mit Otabek als einem Freund verbringen will. Leider hat Yurio sich vor dem Skate America mehr als einmal eindeutig zweideutig ausgedrückt, sodass es von Viktors Seite aus ständig Sticheleien auf den Blondschopf gehagelt hat. Daraus resultierend bin ich über den groben Ablauf in Amerika wohl informiert geblieben, aber Viktor war nicht eingeweiht worden und das rächte sich.

Yurio hat mich für seine Verhältnisse regelrecht mit Fotos zugespammt, allerdings mit der Drohung, kein Einziges davon Viktor zu zeigen oder weiterzuleiten. Weil ich Viktor kenne und Yurio den Spaß mit Otabek nicht verderben wollte, habe ich mich an die Anweisung gehalten, aber im Endeffekt hat es nichts geholfen. Die Informationen sind auf Umwegen doch bei Viktor angekommen, denn Otabek ist zwar kein Freund großer Worte oder reger Emotionen, aber das ein oder andere Foto hat er natürlich auch auf seinem Instagram-Account hochgeladen. Diese waren zwar weniger expressiv als die, die Yurio mir geschickt hatte; aber enthielten dennoch jene subtilen Nuancen, die unheimlich interessant für diejenigen sind, die wissen, sie zu deuten. Und Viktor wusste das viel zu genau.

Es war nur ein Foto von ihren Getränken bei Starbucks. An sich nichts Besonderes oder Auffälliges, schließlich waren wir auch schon oft zusammen mit Yurio bei Starbucks. Die Besonderheit lag im Detail. Otabek hatte einen dunkeln Mokka, Yurio einen hellen. Schön daran zu erkennen, weil die Getränkekürzel und die Namen auf die Becher geschrieben werden. Ich glaube, Otabek war sich gar nicht bewusst, wie viel diese beiden Kaffeebecher aussagen würden und er konnte auch nicht wissen, dass Viktor über einen sechsten Sinn und eine viel zu blühende Fantasie verfügt. Denn Yurio trinkt normalerweise keinen Kaffee und hasst generell alles, was mit Kaffee in Berührung gekommen ist. Folglich musste Viktor, der Yurios Gemotze schon viel zu oft miterlebt hat, nicht mal mehr nachdenken, um zu erraten, wie der Hase lief. Yurio tat mir wirklich leid, von Viktor so über den Fortschritt seines „Dates“ zugetextet worden zu sein, aber ich musste so lachen... Ein Foto und die ganze Mühe war umsonst. Ein liebevolles „F*** you!“ gefolgt von allerlei aussagekräftigen Smileys hat dem Ganzen für Viktor noch das Krönchen aufgesetzt und brachte Yurio noch mehr Sticheleien ein.

Dass Yurio jetzt Viktor direkt angeschrieben und eingeladen hat, war daher genau das Richtige. Es wirkt wie ein Maulkorb, weil Viktor gar nicht weiß, was er davon halten soll, sodass er in seinem Kopf schon die bizarrsten Szenarien sieht, warum Yurio ausgerechnet uns beide dabei haben will, wenn Otabek zu ihm und seinem Großvater zu Besuch kommt. Wahrscheinlich gibt es nicht mal einen besonderen Grund. Nur eben den, dass Viktor nicht weiß, was er denken soll und still ist. Und da hat Yurio ihn eindeutig überlistet.
 

Im Vergleich zur Atmosphäre in Paris ist die Stimmung in Moskau bei dem heutigen Vorentscheid nahezu entspannt und wird beherrscht von der Ordnung der vergangenen Jahre: Viktor wird wie immer gewinnen, der Rest ist beinahe schon egal und darüber sind sich alle unausgesprochen einig. Bei den Läufern, die sich nicht um Sieg oder Niederlage kümmern müssen, sorgt das für eine merkwürdig lockere Einstellung im Bezug auf das Endendergebnis. Einzig Seung-Gil Lee und Michele Crispino wirken nervös und angespannt, denn für sie besteht immer noch die Möglichkeit einer Finalteilnahme. Es wird ein ganz knappes Rennen, wer dieses letzte, verbliebene Ticket bekommt, das im Moment noch ich innehabe. Die besten Chancen hat Seung-Gil, dem ein dritter Platz genügen würde. Michele bräuchte für ein sicheres Ticket mindestens den zweiten Platz; der dritte würde nur reichen, wenn er Otabeks Bestleistung überbietet, an der auch ich gescheitert bin. Für mich reicht es nur noch, wenn Seung-Gil vierter und Michele fünfter werden würden. Aber in Anbetracht ihrer heutigen Konkurrenz ist das schwer vorstellbar, denn die übrigen drei Läufer liegen weit hinter ihnen und von Viktor brauchen wir erst gar nicht anzufangen.

Als der Rostelecom Cup startet, vermittelt die erste Gruppe an Läufern den Eindruck, auf Klassenfahrt zu sein. Michele Crispino ist als Erster der zweiten Gruppe an der Reihe, danach Seung-Gil Lee, als letztes Viktor. Auf den Fernsehbildschirmen kann ich Sara Crispino bei ihrem Bruder stehen sehen, aber irgendwie suchen ihre Augen ständig den Kontakt zu dem Koreaner – und das erfolglos. Seung-Gil blendet einfach wieder alles aus, wie immer. Wenn mir das nur auch mal so leicht fallen würde...!

Der Kameraausschnitt auf dem Bildschirm vor mir wechselt und ich sehe, dass Viktor mit dem Aufwärmen begonnen hat. Diesmal darf ich nicht mit nach draußen in die eigentliche Eishalle und muss im Hintergrund bleiben, denn im Gegensatz zu den Russian Nationals gab es im Vorfeld keine Möglichkeit für mich einen Backstagepass zu organisieren. Ich bin weder offizieller Teilnehmer des Rostelecom Cups, noch hab ich in irgendeiner Art und Weise Berechtigung, hier zu sein und mich als mentale Unterstützung in den offiziellen Bereich der Eishalle durchzuschleusen, wäre im Vorfeld nur ein gefundenes Fressen für die Journalisten gewesen.

Mein Blick wandert unwillkürlich zu dem improvisierten Ausweis, den man mir beim Einlass gegeben hat. Viktor hat meine Anwesenheit mit Trainingszwecken begründet, aber ich bin mir relativ sicher, dass das vom Hallenpersonal niemand geglaubt hat. Schließlich waren wir bei Nationals schon zusammen hier. Sie wollten vielmehr ihrem Nationalhelden die Bitte nicht abschlagen und so gab es nach einigem Hin und Her ein Stück Papier in Schutzhülle zum Umhängen für mich. Die einzige Bedingung für diese Ausnahmeregelung war, dass ich mich nur Backstage bewegen und nicht in die eigentliche Halle treten darf. Spätestens ab dann muss auch Viktor bemerkt haben, dass man den eigentlichen Sinn und Zweck erraten hatte, denn wenn ich nur über die Fernseher zuschauen könnte, würde das wohl kaum irgendeinen Trainingszweck erfüllen. Da wäre es schlauer gewesen, mich ins Publikum zu setzen, denn zum Fernsehen hätte ich auch zuhause bleiben können.

Also sitze ich alleine auf einem Klappstuhl in einem der Flure und beobachte Micheles Programm auf dem Fernsehbildschirm vor mir. Ich soll mich so unauffällig wie möglich verhalten und auch nicht durch irgendwelche Kamerabilder laufen, was jedoch schwierig ist, denn Viktor ist seit unserer Ankunft in Moskau von Kameras, Fotografen und Fans umschwärmt wie von Motten, die um das Feuer fliegen. Es ist für mich schon traurige Routine geworden, dass sobald Viktor als Läufer antritt, keine Chance mehr besteht, irgendwie an ihn heranzukommen. Ein gewisser Abstand ist nötig, um ihm dennoch nah sein zu können, auch wenn das mit einer gewissen Widersprüchlichkeit einhergeht.

Zu meiner großen Erleichterung fallen die Punkte zum Ende von Micheles Programm nicht so hoch aus wie erwartet. Der Italiener ist in der Kür weitaus stärker als im Kurzprogramm und die Chance, dass er so unter meiner Leistung bleibt, ist etwas gestiegen. Genau andersrum verhält es bei Seung-Gil, der im Kurzprogramm die besseren Punkte erzielt und der nach seiner Performance mit einer Personal Best von 94,67 Punkten auch derzeit auf dem ersten Rang liegt. Noch.

Viktor steht bereit, das Eis zum zweiten Heimspiel der Saison zu betreten. Yakov redet noch mit ihm und hält dabei all die Dinge in den Händen, die bei den Nationals noch ich getragen habe. Als Viktor die Füße schließlich aufs Eis setzt, beginnt das Publikum augenblicklich laut zu klatschen und zu johlen. Und die überschwängliche Euphorie hat auch einen konkreten Anlass, denn Viktor trägt zum ersten Mal in dieser Saison seine Schlittschuhe mit den goldenen Kufen. Er hat es vorher zwar nicht explizit angekündigt, aber das ist seine Art subtil zu zeigen, dass er den Weltrekord im Visier hat und in ein paar Sekunden den ersten, ernsthaften Versuch zur Rückeroberung unternehmen wird. Mit dieser Vermutung bin auch nicht alleine, die goldenen Schlittschuhe werden von Fans und Presse auf genau dieselbe Weise interpretiert und entsprechend zelebriert.

Gleicht gilt es... Viktor hat so hart dafür gearbeitet, so viel Zeit geopfert... Es muss einfach klappen. Ich bin noch viel unruhiger als bei seinen Läufen zuvor, obwohl ich das Programm mittlerweile auswendig kenne... Yurio ist bestimmt nicht minder nervös. Bisher kam er mit Arabesque nicht über 111,45 Punkte hinaus, die Viktor bereits bei der Premiere zu Beginn der Saison überboten hatte. Wenn der Rekord gleich eingestellt werden würde, dann käme das einem Ausnahmezustand gleich.
 

Viktor nimmt seine Position auf dem Eis ein und ich halte den Atem an.

Meine Lippen berühren den Ring an meinem Finger und auch wenn ich ihm nichts mehr auf den Weg geben konnte, in Gedanken bin ich immer bei ihm. Das Eis ist bei ihm. Es wird ihn tragen, ich bin mir sicher.

Gib dein Bestes, Viktor.

Es beginnt von Neuem.

Viktor dreht die ersten Pirouetten und ich starre ohne zu blinzeln auf das Geschehen vor mir. Unfähig mich davon abzuhalten, nestele ich unruhig an meinen Jackenärmeln. Mein Bein wippt auf und ab, während ich die Performance verfolge. Viktors Ausdruck heute ist anders als der, den ich bisher gesehen habe; er ist wehleidiger und es greift sofort auf mich über... Er läuft mit so viel Stolz, Grazie und dennoch so sehnsüchtig... Gleich der erste Sprung... Mein Herzschlag beschleunigt sich weiter, der Flip ist durch und das Publikum feiert, aber der Jubel wirkt seltsam leise und von weit her. Mein Blick wird leer und plötzlich bin ich wie weggetreten.
 

Als die Lautstärke zurückkehrt und ich durch das tosende Geschrei der Zuschauer aus meiner Trance gerissen werde und wieder realisiere, wo ich bin, erinnere ich mich gar nicht mehr, die Performance zu Ende gesehen zu haben. Aber sie ist zu Ende; Viktor steht gerade vom Eis auf, um sich bei den Zuschauern und der Jury zu bedanken. Der Kommentator ruft ins Mikrofon und der Beifall reißt nicht ab. Ich bin ziemlich verwirrt. Meine Hände sind eiskalt und in meinem Kopf formieren sich erste, wirre Gedanken. Was war das? Hat Viktor den Rittberger besser gesprungen, so wie Yakov das wollte? Ist die Dreifachkombination geglückt? Ich starre wieder auf den Bildschirm. Yakov und Viktor sind auf dem Weg zum Kiss & Cry... Viktor hält einen Olaf-Plüschie... Sie setzen sich und warten. Worauf nochmal?... Ach ja, die Punkte... Der Rekord. Stimmt. Yurios Rekord... lag bei wie vielen Punkten nochmal...? 118,56 Punkten...
 

„The score for Victor Nikiforov...“
 

Die Anzeigetafel zeigt 119,03 Punkte.
 

Nach einer Sekunde der Schockstarre bricht unter den Zuschauern die Hölle los und auch ich springe ungläubig von meinem Stuhl auf. Yakov ist ebenfalls aufgesprungen; er reißt beide Fäuste in die Luft als Zeichen des Sieges, dann drückt er Viktor an sich, der selbst völlig fassungslos daneben steht. Die Lautsprecher wirken plötzlich wie Megafone, so laut schreit der Kommentator:
 

„Ist das zu glauben, meine Damen und Herren, Viktor Nikiforov holt seinen Rekord zurück, hier beim Heimspiel in Moskau! 119,03 Punkte! Neuer Weltrekord! Das ist die zu erwarten gewesene Führung mit gigantischem Vorsprung! Diesen Rückstand wird der Koreaner Lee nicht mehr aufholen können, der Sieger im Rostelecom Cup steht bereits fest!

Nikiforov ist damit der klare Favorit, den siebten Gesamtsieg in der Grand Prix-Serie nach Hause zu holen! Mit 28 Jahren ist er der älteste Teilnehmer, aber man merkt nichts davon; auch nicht, dass er pausiert hat, liebe Zuschauer, der Mann ist der blanke Wahnsinn; was er auf's Eis zaubern kann, das gelingt keinem Zweiten!“
 

Das Publikum feiert, die Standing Ovations halten an, einige haben angefangen zu singen und Yakov bekommt bereits von einigen umstehenden Trainerkollegen, Mitarbeitern und Offiziellen die Hand geschüttelt. Das Einzige, das nicht in dieses Bild kollektiver, überschwänglicher Freude passen will, ist dass derjenige, der sich am meisten freuen sollte, es nicht tut: Viktor hat sich wieder gesetzt und den Blick auf den Boden gesenkt.

Seine Gesichtszüge sind noch völlig regungslos von der Überwältigung, dass es ihm gelungen ist. Man könnte fast sagen, er sieht auf eine niedliche Art und Weise bedröppelt aus, wie er mit großen, ungläubigen Augen und Olaf auf seinem Schoß da sitzt... Aber da ist dieser unglaublich starke Schmerz in der Brust, dass ich nicht bei ihm sein kann. Ich kann nicht einmal nach draußen gehen und ihm offen zujubeln. Ich platze fast vor Freude und Stolz über seinen Erfolg, aber jeder von uns ist damit allein gelassen.

Ist es die Situation oder die aufgewühlten Emotionen, die es gerade so unerträglich machen, auch nur für eine kurze Zeit voneinander getrennt zu sein? Viktor wendet den Kopf langsam zur Seite, aber nicht zu der Yakovs, sondern zur entgegengesetzten. Er schaut in Richtung des Flurs, in dem ich sitze. Wieder durchfährt mich dieser stechende Schmerz.

Die Reporter drängen schon vor den Kiss & Cry, Viktor zu seinem Weltrekord zu befragen. Ich sehe, dass Yakov Viktors Blick bemerkt hat, ihn antippt und beginnt, mit ernster Miene auf ihn einzureden. Dann richteten sich beide auf, Yakov klopft Viktor auf die Schulter, schiebt ihn so gut er kann an den Pressemitarbeitern vorbei, die alles versuchen, die Mikrofone doch vor Viktors Gesicht zu bekommen:

„Viktor, was für ein grandioser Lauf! Wie fühlt es sich an, zum siebten Mal einen Weltrekord im Kurzprogramm gelaufen zu sein?“

„Herzlichen Glückwunsch, möchten Sie ihren Fans etwas sagen?“

„Was hat Sie zu dieser Leistung beflügelt?“

Viktor antwortet nicht, stattdessen stellt sich Yakov zwischen ihn und die Reporter: „Die Performance war sehr emotional für ihn. Geben Sie ihm einem Moment zum Verschnaufen.“

„Herr Feltsman, können Sie uns dann ein paar Worte sagen? Haben Sie mit einem solchen Ergebnis gerechnet?“

„Viktor hat hart dafür gearbeitet. Er hat das Ziel klar vor Augen gehabt und konnte die Leistung im Richtung Moment abrufen.“

Die Aufmerksamkeit verschiebt sich hin zu Yakov und Viktors Schritte beschleunigen sich ein wenig. Kommt er etwa hierher? Oder doch nicht? Sein Kopf ist gesenkt, aber er kommt in meine Richtung... Mein Herz schlägt wie verrückt, ich schaue auf das Ende des Flurs, dann wieder auf den Fernsehbildschirm. Auf dem gerade nur Yakov zu sehen ist, der an Viktors Stelle die Presse bedient. Dann wieder der Flur. War der Kiss & Cry so weit von hier weg? Wo ist Viktor? Ein flüchtiger Blick zurück auf den Bildschirm. Immer noch Yakov. Wieder zum Flur.

Mein Herz vergisst für einen kurzen Moment zu schlagen. Da steht er; er schaut zu mir, Olaf schaut zu mir. Er kommt, so schnell es ihm die Schlittschuhe auf normalem Boden erlauben, in meine Richtung gelaufen, ich sprinte ihm entgegen, Olaf landet auf dem Boden und sofort schließe ich meinen Viktor fest in die Arme, fühle die Jacke, die Wärme, den Herzschlag.

„Yuuri...“, flüstert er und drückt mich noch fester an sich. Er ist so groß, wenn er die Schlittschuhe anhat...

„Herzlichen Glückwunsch, Viktor“, gratuliere ich und fahre seinen Rücken auf und ab.

„Yuuri, ich habe dich gespürt, die ganze Zeit...“

„...Eh?“

„Ich kann es nicht erklären. Aber du warst bei mir...“

Zuerst bin ich etwas überrascht, aber dann muss ich lächeln. Niedlich, denke ich, wie er es immer noch nicht glauben kann, dass er es wirklich geschafft hat. Ich stelle mich auf die Zehenspitzen, um ihm einen Kuss zu geben und kaum dass sich unsere Lippen für einen kurzen Moment berühren, steigen ihm die Tränen in die blauen Augen. Er fängt an, schief zu grinsen.

„Ich konnte laufen... Yuuri.“

Darauf muss ich lachen.

„Ja, du kannst laufen. Jetzt freu' dich endlich, Viktor. Du hast den Rekord zurückerobert“, fordere ich ihn auf. Es dauert noch einen kurzen Moment, aber dann weicht das letzte bisschen Zurückhaltung losgelöster Freude, ich werde hochgehoben und unsere gemeinsamen Jubelschreie erfüllen den Gang.

Er kann es wirklich wieder.
 

Der Rest des Abends verläuft, aufgrund des eingestellten Rekords, völlig anders als geplant. Während Viktor mit Tatjana und Yakov, dem Präsidenten von Rostelecom, dessen Frau, dem Präsidenten des Eiskunstlaufverbands und einigen weiteren hohen Persönlichkeiten zum Feiern gehen muss, nehme ich die Einladung von Yurio an und fahre mit ihm, Otabek und seinem Großvater zu dessen Wohnung. Großvater Nikolai sieht mit dem dichten Vollbart und den teils grauen, teils noch dunkelbraunen Haaren etwas wild aus, aber in seinen Augen sehe ich, dass er ein herzensguter Mensch ist.

Als ich dann aber vor seinem kleinen, grünen Wagen stehe, bin ich irgendwie doch froh, dass wir nur zu viert sind, denn zu fünft und einem 1,80m großen Viktor wäre das wie Tetris geworden, bei dem wir nicht einmal die erste Reihe geschafft hätten.

Die anschließende Fahrt durch Moskau gestaltet sich als eine weitere Herausforderung bezüglich meiner Erfahrungen mit russischen Fahrstilen, was diesmal aber darin begründet liegt, dass bereits einige Eiskunstlauffans mit russischen Flaggen und Vodka in den Händen auf den Straßen zu sehen sind. Es ist irgendwie überwältigend und beängstigend zugleich. Es freut mich zwar, wie sehr die gesamte Nation hinter Viktor steht, aber das ist zu viel...

Ob Yurio uns alle deswegen bei sich zuhause haben wollte? Den Rekord verloren zu haben und jetzt vorbei an feiernden Menschen durch die Straßen Moskaus fahren zu müssen, muss bitter für ihn sein. Vorsichtig riskiere ich einen Blick in den Rückspiegel und stelle erleichtert fest, dass Yurio und Otabek gar keine Acht auf das haben, was draußen passiert. Sie schauen irgendetwas auf Otabeks Handy an, teilen sich die Kopfhörer und ich bin beruhigt, dass der Kasache Yurio von dem Geschehen um sie herum ablenken kann. Ich drehe mich wieder nach vorne und versuche, während der verbliebenen Fahrt mein Bestes, mich mit Großvater Nikolai auf Russisch zu unterhalten. Yurio hört uns trotz Handyvideo mit einem Ohr zu und verbessert mich ständig. Hauptsächlich kritisiert er meine Aussprache, die auch Viktor immer wieder vergeblich versucht zu verbessern. Dabei kann ich nichts dafür, die meisten Töne bekomme ich einfach nicht aus mir heraus, egal wie sehr ich es auch versuche! Und Otabek schweigt die Fahrt über, Überraschung.
 

Yurios Großvater wohnt in einem großen Block, der seiner Fassade nach zu urteilen schon einige Jahrzehnte auf dem Buckel hat und der von den Spuren der zahlreichen, kalten russischen Winter gezeichnet ist. Aber das muss ja nichts heißen, ermahne ich mich. So manches Haus in Japan sieht von außen auch nicht schön aus, deswegen muss es drinnen nicht ungemütlich sein. Oder es liegt daran, dass ich bisher nur unsere Wohnung und die von Jelena zum Vergleich heranziehen kann und beide keine günstigen Quartiere sind.

Wir betreten das Gebäude und Yurio zeigt mir auf den ca. dreißig Briefkästen, dass offenbar seine ganze Familie hier wohnt. Es gibt in der Tat einige Briefkästen, auf denen „Plisetsky“ angeschlagen steht. Sein Großvater wohnt im Erdgeschoss, die Eltern weiter oben im dritten. In den vierten ist vor ein paar Monaten seine Schwester mit ihrem „Scholli“ umgezogen und ich wundere mich, denn Yurio hat bisher nie erwähnt, dass er eine Schwester hat. Ich frage mich, ob sie genauso ein Hitzkopf ist wie er?

In der Wohnung von Großvater Nikolai angekommen, fühle ich mich ein wenig an die Wohnung meiner Eltern in Japan erinnert. Erdige Farben, schlichte Möbelstücke aus Holz mit Polsterbezügen, Tapeten und gelbes, elektrisches Licht. Man könnte den Eindruck gewinnen, es sei eine triste Wohnung, aber das ist sie keinesfalls. Das innige Verhältnis von Yurio und seinem Großvater füllt die Wohnung vollständig aus und ich fühle mich kein bisschen unwohl. An den Wänden hängen eine Menge Fotos von Familienausflügen, aber hauptsächlich von Yurio bei verschiedenen Wettbewerben. Ich lasse meine Blicke etwas weiter durch den Raum schweifen. Egal wo ich hinschaue, überall scheint sich etwas zu befinden, das ihm gehört. Sei es die PS Portable oder die PS4 mit einigen Spielen, die Kopfhörer, die Leoprintdecke auf dem Sofa, die angebrochene Tüte Chips oder die Flasche Pepsi auf dem Tisch oder der Hoodie über dem Sessel.

In Gedanken muss ich lachen. Teilweise sah es bei uns zuhause ähnlich aus, bevor Viktor von dem ganzen Durcheinander genug hatte und die Yurio-Box eingeführt hat. In diese Box hat er rigoros alles geworfen, was weder ihm noch mir oder Makkachin gehörte, sodass Yuri in den ersten Tagen seine Kleidung, Ladekabel und Blurays völlig durcheinander gewürfelt in dieser Box vorgefunden hat. Das sorgte anfangs für einige Diskussionen, aber mittlerweile hat auch Yurio erkannt, dass diese Box der sicherste Platz für seine Sachen ist und seit geraumer Zeit dürfen wir beide auch gar nicht mehr an sein Eigentum heran. Yurio hat seinem Namen auf dem Deckel nämlich ein „ONLY! Else you die!!!“ hinzugefügt und Viktor grinst jedes Mal triumphierend, wenn sein Blick auf die Box fällt.

Jetzt aber schlappt der kleine Chaosverursacher in Hausschuhen mit Tigerköpfen in die Küche, um seinem Opa zu helfen und es fasziniert mich zu sehen, dass Yurio schon seit der Autofahrt so entspannt und losgelöst scheint. Ich kann mich natürlich auch irren, aber just in dem Moment trifft mein Blick auf den von Otabek. Er hat scheinbar genau dasselbe gedacht und grinst verlegen, weil er weiß, dass es größtenteils sein Verdienst ist.
 

Das Abendessen ist deftig und salzig, wie ich das aus der russischen Küche mittlerweile gewohnt bin. Es gibt eine Suppe mit Einlage und Rindfleisch, Rassolnik, dazu hat Yurio selbst einige Piroszki gebacken und wir trinken Kompott. Ich glaube, das ist das russischste Essen, das ich bisher gegessen habe, aber es erinnert mich an Ramen und an Kyuushuu, sodass der kulinarische Unterschied plötzlich gar nicht mehr so groß scheint.

Nach dem Essen verziehen sich Otabek und Yurio auf die Couch und beginnen, Gran Tourismo auf der PS4 zu spielen. Ich helfe zuerst noch Großvater Nikolai, den Tisch abzuräumen und gebe mich dann damit zufrieden, den beiden Teenagern bei ihren Autorennen zuzuschauen. Otabek ist im Laufe des Abendessens immer gesprächiger geworden und so wie es aussieht, haben die Beiden bereits vergessen, dass ich auch noch da bin, so fixiert sind sie auf ihr Spiel. Gerade Yurio ist sehr emotional dabei und ich überlege, ob ich für Viktor nicht doch ein Foto machen sollte. Das wäre zwar ganz schön fies, aber auf der anderen Seite ist so ein Yurio eine absolute Seltenheit. Denn abgesehen davon, dass er gerade das Spiel beschimpft, weil er gegen Otabek in der dritten Runde in Folge verloren hat, sind heute Abend keinerlei Kraftausdrücke aus seinem Mund zu hören gewesen. Was mehr als beachtlich ist, wenn man bedenkt, dass er seinen Weltrekord an Viktor verloren hat. Aber ich würde den Teufel tun, ihn jetzt daran zu erinnern.
 

Zum Ende des Rostelecom Cups nimmt Viktor wie erwartet seinen zweiten Sieg mit nach Hause und steht damit auf der Rangliste für das Grand Prix-Finale aufgrund der höheren Gesamtpunktzahl von 321,75 Punkten vor Yurio auf dem ersten Platz. Als Dritter qualifiziert sich mit einem Sieg und einem zweiten Platz Jean-Jaques Leroy mit 28 Rangpunkten. Vierter unter den Finalisten ist aufgrund seines Sieges in Paris und dem dritten Platz in Amerika Christophe Giacometti. Das fünfte Ticket ist die einzige Überraschung in der Finalaufstellung und geht an Seung-Gil Lee, der in Moskau durch eine fehlerfreie Kür Michele Crispino hinter sich gelassen hat und erneut Zweiter wurde. Er schiebt sich dadurch mit einem Rangpunkt mehr vor Otabek Altin, der das letzte Finalticket behalten kann.

Und damit ist für mich dieser Grand Prix auf dem undankbarsten Platz von allen, dem siebten in der Gesamtwertung, zu Ende.

Trotzdem werde ich am 8. Dezember mit nach Wien in Österreich fliegen, um meine beiden wichtigsten Menschen durch das Finale zu begleiten und zu unterstützen. Einer von beiden wird gewinnen, da bin ich mir absolut sicher.

Notaufnahme! – Das Aus im Finale?!

Wenn ich gewusst hätte, dass das passiert, wäre ich mit Makkachin nach draußen gegangen. Es ist der 4. Dezember und stockfinstere Nacht, als wir mit Blaulicht durch die Straßen von St. Petersburg fahren.

Ich sitze mit im Krankenwagen und stehe unter Schock. Ich kann noch nicht mal sagen, wie es passiert ist. Er wollte nur kurz mit Makkachin vor die Tür. Ich habe derweil noch das Geschirr weggeräumt, als ich einen dumpfen Ton und aufgebrachtes Bellen gehört habe. Da war er keine fünf Minuten aus der Wohnung. Ich bin ans Fenster gegangen, habe nach unten gesehen und sah ihn rücklings in der Einfahrt liegen, Makkachin keifend daneben. Vor Schreck habe ich fast den Topf durch die Küche geworfen. Ich habe sofort nach meinem Handy und dem Schlüssel gegriffen, meine Jacke übergezogen und bin so schnell ich konnte nach unten gerannt. Viktor saß bereits wieder aufrecht, als ich ihn erreichte, sodass ich im ersten Moment glaubte, es sei doch nichts Schlimmes passiert.

Die Erleichterung hielt jedoch nur kurz, weil er sich gleich wieder auf den Boden legte und brabbelte, ihm werde schwarz vor Augen. Auf der eiskalten Einfahrt konnte ich ihn nicht liegen lassen, doch der Versuch, ihn wieder aufzurichten und nach drinnen zu bringen, scheiterte kläglich, denn ein fast ohnmächtiger Viktor war zu schwer für mich alleine. Ich wusste vor lauter Panik keine andere Lösung mehr, als Jelena anzurufen, dass sie den Notruf verständigt. Sie hat mich kaum verstanden, so undeutlich habe ich am Telefon geredet. Ich kam mir völlig hilf- und nutzlos vor.

Ich kniete neben Viktor und sein Kopf lag auf meinem Schoß, Makkachin dicht an uns gedrängt, um uns warm zu halten und die Minuten, bis der Krankenwagen in die Straße einbog, fühlten sich an wie eine Ewigkeit. Viktor hatte sich nicht mehr bewegt, trotz mehrfacher Versuche, mit ihm zu reden und als ich schließlich die Sirene näher kommen hörte und den Krankenwagen dann auch sah, waren meine Nerven bereits so durch vor Sorge um ihn, dass ich kaum Erleichterung verspürte.

Es war, als hätte ich alles vergessen, was ich je gelernt habe und ich konnte den Sanitätern keine einzige Frage beantworten. Irgendwie habe ich noch begriffen, dass ich den Hund nach oben bringen und unsere Sachen holen soll, aber mehr auch nicht. Einzig, dass sie überaus ruhig und routiniert mit Viktor umgingen und dass er ihnen kurzzeitig Antwort gegeben hat, schaffe es dann, mich etwas aufatmen zu lassen. Der Fahrer des Krankenwagens und einer der Sanitäter konnten ihn gemeinsam aufrichten, während ihre Kollegin im Wagen eine Bahre bereit machte. Der relativ abrupte Wechsel von horizontaler in vertikale Lage führte jedoch dazu, dass Viktor sich erbrechen musste und mir war zum Heulen zumute, ihn so sehen zu müssen.
 

Jetzt liegt er in Wärmedecken gewickelt vor mir im Krankenwagen und ich halte seine Hand. Er ist immer noch unterkühlt. Die Einfahrt bei uns ist zwar frei von Schnee und Eis, aber wir haben unter null Grad und er lag dort für gut eine halbe Stunde, bis er in den Krankenwagen gehoben wurde... Weil er nur kurz raus wollte, hatte er die dicke Jacke natürlich nicht mitgenommen, sondern nur schnell seinen Poncho übergeworfen... Dieser Dummkopf. Ich bin krank vor Sorge und kann es einfach nicht fassen. Warum passiert sowas jetzt? Jetzt?

Die Frau unter den Sanitätern tippt mich an: „Can I ask question? All ok?“

Sie versucht es auf Englisch. In ihrer einen Hand hat sie ihr Handy, wahrscheinlich hat sie eine Übersetzungshilfe benutzt oder zumindest nach Wörtern gesucht. In der anderen hält sie ein Klemmbrett und einen Stift. Ich nicke zögerlich. Sie wird wahrscheinlich Personalien und Unfallhergang erfragen wollen.

„You got ID-card? Or something?“

Ich lasse Viktors Hand los und greife nach meiner Tasche und krame die Ausweise raus. In der Eile habe ich nur meine und seine Geldbörse in die erstbeste Tasche geworfen, die ich finden konnte. Zuerst gebe ich ihr den Ausweis von Viktor, dann meinen. Ihre Augen weiten sich beim Anblick und sie sieht mich erst ungläubig und dann mitleidig an. Ich kann mir gut vorstellen, dass sie wahrscheinlich nicht damit gerechnet hat, heute abend Viktor Nikiforov ins Krankenhaus fahren zu müssen. Sie fängt sich wieder und beginnt, ihr Formular auszufüllen.

„He has got concussion. Hit ground with head, here“, erklärt sie und tippt sich mit dem Stift gegen den rechten Hinterkopf. „We drive hospital now.“

Ich nicke, aber weiß gar nicht, wie ich die Informationen verarbeiten soll und ob Gehirnerschütterung jetzt Gutes oder Schlechtes bedeutet. Ich nehme Viktors Hand wieder in meine und mein Bein wippt nervös auf und ab. Ich beobachte unruhig, wie sie weiter auf dem Formular verschiedene Kästchen ankreuzt und Notizen macht, als könnte ich aus ihren Bewegungen ablesen, wie es weitergeht. Dann spüre ich, dass Viktor meine Hand etwas drückt.

„Viktor?“, frage ich sofort. Die Augen sind noch geschlossen. „Hörst du mich?“

„Yuuri... mir ist schlecht.“ Er redet Russisch. Englisch wäre vielleicht auch etwas zu viel verlangt, aber ich verstehe ihn. Die Sanitäterin neben mir legt augenblicklich das Formular beiseite, stellt sich direkt neben ihn und greift sicherheitshalber nach dem Plastikbeutel, in dem sich schon der Großteil unseres Abendessens befindet.

„Müssen Sie sich übergeben?“

„...nein.“

„Ist Ihnen schwindelig? Tut Ihnen etwas weh?“

„Mein Kopf... und mein Fuß...“

Es durchfährt mich wie ein Stromschlag. Sein Fuß?

„Links oder rechts?“

„...links.“

Sofort stellt sie den Plastikbeutel beiseite und geht zum Fußende der Bahre, dreht Viktors Fuß zur Seite, um an den Reißverschluss seines Stiefels zu gelangen, als Viktor schon schmerzhaft das Gesicht verzieht und stöhnt. Oh nein... Ich werde leicht panisch, als die Sanitäterin versucht, den Schuh langsam vom Fuß zu streifen und Viktor sich verkrampft. Er drückt meine Hand fester bis der Schuh ausgezogen ist und noch bevor sie die Socke herunterrollen kann, sehen wir überdeutlich, dass der ganze Knöchel geschwollen ist.

Das ist jetzt nicht wahr.

Die Sanitäterin entfernt noch die Socke und der Knöchel ist nicht nur dick, sondern auch blau.

Das ist jetzt nicht wahr... Mir wird regelrecht schlecht.

Das darf nicht wahr sein!
 

Im Krankenhaus wird Viktor in der Notaufnahme komplett untersucht und geröntgt. Er hat keine Knochenbrüche, weder in den Beinen noch an Wirbelsäule oder Hinterkopf davon getragen, aber was man mir bezüglich seines Fußes versucht zu erklären, klingt wie eine Verstauchung oder Prellung und folglich hat Viktor einen Kompressionsverband mit Schiene bekommen. Auch wenn es besser ist als ein Bruch, darf er den Fuß für die nächsten fünf Tage absolut nicht belasten, sondern soll ihn komplett ruhig stellen.

Viktor selbst ist immer noch benommen aufgrund der Gehirnerschütterung und hat mittlerweile auch eine dicke Beule am Hinterkopf, als er vom behandelnden Arzt zum Unfallhergang befragt wird. Er sagt, er wisse noch, dass er aus der Tür war und gewartet habe, bis Makkachin neben der kleinen Mauer zur Einfahrt sein Geschäft verrichtet hatte und er es beseitigen wollte, als Makkachin sich vor einem Auto erschreckt habe und wie von allen guten Geistern verlassen zurück auf ihn zu rannte. Weil er in gebückter Haltung war, habe er Makkachin zuerst nicht gesehen und vor Schreck und Sorge mit dem Hund zusammen zu prallen, dann ausweichen zu wollen. Er wisse noch, dass er einen Schritt zur dem Mäuerchen hinmachte, danach sei er erst wieder in der Einfahrt zu sich gekommen und habe versucht sich aufzurichten. Das war, kurz bevor ich zu ihm gekommen war.

Der Arzt nickt während Viktors Schilderung einige Male, ganz so, als wäre so weit alles plausibel und befragt mich schließlich über die Höhe jenes Mäuerchens und der Falltiefe. Die kleine Mauer verläuft parallel zur Einfahrt und ist auf Seite des Vorgartens nur etwa zwanzig Zentimeter hoch. Auf Seiten der Einfahrt geht es schon recht steil hinunter, aber Viktor lang weit vorne, sodass er nicht tiefer gefallen ist wie auf flachem Boden. Die Frage, warum Viktor sich nicht richtig abgefangen habe, beantwortet Viktor damit, dass er die Hände immer noch mit Anderem voll hatte und ich muss beschämt auf den Boden starren. Den Rest schlussfolgert der Arzt wie folgt: Viktor muss in Folge seines Ausweichversuchs an dem Mäuerchen hängen geblieben und dadurch rücklings a

in die Tiefgarageneinfahrt gefallen sein. Er erklärt weiter, dass Stolpern an sich noch nicht zwangsläufig zu einer Verstauchung des Knöchels führe, aber die Bänder und Gelenke in beiden Füßen seien durch die doppelte Trainingsbelastung zu stark beansprucht gewesen, sodass sie der abrupten, reflexartigen Bewegung, den Stutz abzufangen und die Balance zu halten, nicht mehr standgehalten haben. Bei der niedrigen Höhe der Mauer sei auch nicht auszuschießen, dass Viktor unglücklich auf die Kante getreten und abgerutscht sei.

Da Viktor auch nach der Untersuchung immer noch mit Übelkeit und Schwindel zu kämpfen hat, beschließt der Arzt, ihn über Nacht zur Beobachtung im Krankenhaus zu lassen. Es ist schon weit nach elf Uhr, als er ein Einzelzimmer im Krankenhaus zugewiesen bekommt. Die Schwester legt ihm noch eine Infusion gegen die Schmerzen und es dauert nicht lange, bis er schließlich eingeschlafen ist. Mit der ernüchternden Erkenntnis, heute nichts mehr für ihn tun zu können, verabschiede ich mich schweren Herzens und dem leisen Versprechen, morgen sofort zu ihm ins Krankenhaus zurück zu kommen. Ich bin fix und fertig mit den Nerven.

Im Empfangsbereich des Krankenhauses wartet zu meiner Überraschung Jelena auf mich und ich stelle mit Schrecken fest, dass ich mich gar nicht mehr bei ihr gemeldet habe, seit sie den Notruf gewählt hat.

„Yuuri, oh Gott sei Dank, da bist du endlich! Was ist mit Viktor? Ist er verletzt? Was ist passiert?! Sag’ doch was!“ Auch sie sieht völlig fertig und aufgebracht aus. Sie rattert alles so schnell herunter, dass ihre Stimme sich fast überschlägt. Dennoch kommt es mir vor wie in Zeitlupe und schaffe es lediglich zu einem müden Lächeln. Wahrscheinlich geht es Viktor durch die Infusion von uns drei gerade noch am Besten.

„Er soll zur Beobachtung heute Nacht hier bleiben, aber er darf morgen wieder nach Hause“, antworte ich ihr mit schlechtem Gewissen. „Es tut mir Leid, ich hab gar nicht mehr angerufen... ich war so in Sorge, ich habe mich so verloren gefühlt...“

„Ach Yuuri,“ beginnt Jelena und schließt mich in die Arme. „Hauptsache, Viktor ist nichts schlimmes passiert. Erzähl’s mir im Auto. Komm’, ich fahr dich heim.“

Nichts Schlimmes... das kommt ganz auf den Blickwinkel an. Das Finale ist in vier Tagen. Mit einem verstauchten Knöchel wird Viktor nicht daran teilnehmen können und er selbst hat es noch nicht realisiert...
 

Am nächsten Morgen wollte ich Yakov eigentlich nur Bescheid sagen, dass wir später kommen, allerdings hätte ich mir auch denken können, dass die Nachricht, dass ich Viktor aus dem Krankenhaus abholen muss, ihm einen halben Herzinfarkt beschert. Hysterisch hat er allerlei Dinge ins Telefon gebrüllt, von denen ich nur die Hälfte verstanden habe und es klang so, als würde auch er sich auf den Weg in Krankenhaus machen.

Ich sitze also in unserer Küche und warte auf Jelena, die mich wieder abholen kommt, sodass wir zusammen zu Viktor fahren können. Während ich still das Handy auf dem Tisch im Kreis drehe, ruht mein Blick auf Makkachin. Er liegt auf seinem Platz wie ein Häufchen Elend. Er spürt, dass es seinem Herrchen nicht gut geht, dass es mir nicht gut geht und er spürt wohl auch, dass seine Panikattacke gestern Abend Schuld an der Misere hat. Ich wollte ihn nach meiner Rückkehr mitten in der Nacht noch mit ins Bett lassen, aber er blieb pinsend und betrübt im Wohnzimmer auf der Couch, bis ich endgültig die Schnauze voll hatte und ihn ins Schlafzimmer getragen habe, damit wenigstens für ein paar Stunden noch Ruhe war.
 

Als wir im Krankenhaus ankommen, wird mir bewusst, dass ich vor lauter Aufregung gestern vergessen habe, welche Zimmernummer Viktor hat, bzw. dass ich sie gar nicht wahrgenommen und mir demnach auch nicht gemerkt habe. Den Weg zum Zimmer erst recht nicht. Also stehen Jelena und ich bei unserer Ankunft an der Rezeption, um die Zimmernummer zu erfragen. Jelena übernimmt das Reden und ich höre nur zu, doch die Mitarbeiterin ist wenig kooperativ.

„Es tut mir Leid. Auskunft bezüglich der Zimmernummer kann ich nun wirklich nicht einfach so geben“, erklärt die Frau, nachdem Sie im Computer nachgesehen hat. „Sonst könnte ja jeder kommen.“

„Wir wollen ihn abholen!“, ereifert sich Jelena.

„Ich darf Ihnen keine Auskunft geben, bitte verstehen Sie“, beharrt die Angestellte.

„Wir waren gestern Nacht schon hier!“ Jelena bleibt hartnäckig und deutet dann auf mich. „Er ist mit ihm im Krankenwagen hier ankommen!“

Die Rezeptionistin sieht aus, als würde sie meine Anwesenheit jetzt erst bemerken und zieht eine Augenbraue nach oben. „Sie gehören zur Familie? Können Sie sich ausweisen, bitte?“

Es dauert einen Moment, bis ich die Situation begreife, warum sie mich, einen Japaner, fragt ob ich zur Familie gehöre und dann trifft mich die Erkenntnis wie ein Blitz.

Noch hin- und hergerissen, wie ich den Umstand bewerten soll, hole ich meinen Ausweis aus der Tasche und zeige ihn der Angestellten. Sie beäugt ihn intensiv und zuckt schließlich mit den Schultern. Dann nimmt sie einen Zettel und notiert die Nummer. Bevor sie ihn mir gibt, fragt sie mich: „Die Dame darf mit?“

„Ja“, entgegne ich. „Sie ist eine sehr gute Freundin.“

„Dann hab ich nichts gesagt. Aufzüge sind da hinten.“

Bevor Jelena, die völlig perplex die Szene beobachtet hat, irgendetwas fragen kann, nehme ich den Zettel und meinen Ausweis entgegen und hechte in Richtung der Aufzüge. Sie folgt mir schnellen Schrittes.

„Yuuri, wie kommt es, dass-“

„Nicht hier, ok?“, falle ich ihr ins Wort und betrete den Fahrstuhl.

Grand Prix Final – Storytime!

Grand Prix Final of Figure Skating, Short Program; 9th December, Vienna
 

„Meine Damen und Herren, ich heiße Sie live aus Wien in Österreich zum Finale des Grand Prix of Figure Skating willkommen. Mein Name ist Morooka. Ich freue mich, erneut Oda-san als Co-Moderator in diesem Finale begrüßen zu dürfen.“
 

„Guten Abend, Morooka-san.“
 

„Guten Abend.

Ja, Oda-san, wir können auf das heutige Finale wirklich gespannt sein. Es waren sensationelle Vorrunden, die wir diese Saison erlebt haben! Ein großartiger Auftakt in Kanada, die neue Generation am Start in Amerika, die erste Finalentscheidung in Peking, das Comeback des Jahres in Japan, der Hexenkessel von Paris, gekrönt von einem neuen Weltrekord in Russland!

Und hier sind die sechs Besten, die sich ihren Startplatz gesichert haben. Und damit sind wir auch schon bei der ersten Überraschung an diesem Finalabend, zumindest aus japanischer Sicht: Auf dem sechsten Rang; zuerst ausgeschieden in Paris, jetzt durch einen Ausfall wieder im Wettkampf angekommen: Unser Geschichtenerzähler, der 25-Jährige Katsuki Yuuri!

Auf dem fünften Rang mit Programmen, die die Gänsehaut nur so sprießen lassen und noch mehr Ambitionen auf den Sieg als im letzten Jahr, Otabek Altin, 19 Jahre, aus Kasachstan!

Auf dem vierten Rang überraschend durch zwei zweite Plätze in den Vorrunden und damit zum ersten Mal im Finale des Grand Prix, der 22-jährige Seung-Gil Lee aus Korea, der uns alle mit seinen Interpretationen zum Phantom der Oper begeistert hat!

Auf dem dritten Rang wohlverdient durch einen grandiosen Sieg beim Showdown in Paris: Christophe Giacometti, 26 Jahre, aus der Schweiz! In dieser Saison will er seinen Traum vom Sieg endlich wahr werden lassen!

Auf dem zweiten Rang: Jean-Jaques Leroy, 20 Jahre, der ebenfalls nachholen will, was ihm im letzten Jahr durch einen Blackout im Kurzprogramm nicht gelungen ist! Nach Giacometti ist der Kanadier der stärkste Läufer in der Verfolgung auf die Spitze!

Und auf dem ersten Rang sehen wir den Sieger des letzten Jahres, Yuri Plisetsky, der mit zwei Siegen in den Vorrunden zum neuen Favorit auf den Titel avanciert ist! Die Titelverteidigung ist das erklärte Ziel des 16-jährigen Durchstarters aus Russland!“
 

„Und damit sind wir leider bei der schlechten Nachricht für dieses Finale angekommen, Morooka-san. Es ist ein Jammer zu sagen, dass der bisherige Spitzenreiter und Titelfavorit Viktor Nikiforov durch eine Verletzung am Fuß die Teilnahme an diesem Grand Prix Finale absagen musste.“
 

„Ja. Viktor Nikiforov hatte nicht nur beide Vorentscheide gewonnen und die höchste Gesamtpunktzahl in den Vorrunden erlaufen, sondern zugleich den Rekord im Kurzprogramm von Yuri Plisetsky aus dem Vorjahr eingestellt. Er wird dem Finale heute von abseits der Eisfläche als Trainer zusehen. Wir können daher nicht einschätzen, wie intensiv Katsuki Yuuri sich innerhalb von ein paar wenigen Tagen noch auf die Finalteilnahme vorbereiten konnte, aber wir hoffen natürlich das Beste.“
 

Es ist für mich immer noch nicht greifbar, dass ich hier stehe.

Jelena und ich haben eine Nacht lang Zeit gehabt, uns mit der Tatsache, dass Viktor nicht am Finale teilnehmen können würde, auseinanderzusetzen. Aber dass es bedeuten könnte, dass ich dadurch wieder in den Wettkampf rutsche, war uns nicht in den Sinn gekommen. Yakov hat noch vom Krankenhaus aus mit einem der verantwortlichen Organisatoren telefoniert und keine Stunde später war ich für das Finale nachnominiert worden.

Jetzt stehen wir hier in umgekehrten Rollen. Das Schicksal will es, dass ich heute die Schlittschuhe anziehe und Viktor mir von der Bande aus zusieht.
 

Die Nachricht, dass Viktor ausfallen würde und ich statt seiner am Finale teilnehmen werde, insbesondere Chris und JJ hart getroffen. Man sieht JJ die herbe Enttäuschung an und Chris gibt sich keine Mühe zu verbergen, dass er überaus angepisst ist. Beim freien Training gestern hat er kein Wort mit Viktor gewechselt. Das Duell mit der lebenden Legende, für das die Beiden alles gegeben hatten, ist durch ihre Finger geronnen wie der Sand durch das Stundenglas.

Es ist aber nicht nur die Mimik und Gestik der Beiden, die mich deutlich spüren lassen, dass ich hier unerwünscht bin. Viktors Ausscheiden hat so kurz vor dem Finale auch in der Presse für viel Irritation und Zündstoff gesorgt. Einige böse Zungen sprechen von Vorsatz, von Betrug und Sabotage. Alles nur, damit ich doch wieder ins Finale einsteigen kann.

Um Viktor weitgehend davon abzuschirmen hat Yakov eingewilligt, dessen Trainerpflichten zu übernehmen. Dr. Tschekowsky ist mit uns angereist, um ein Auge auf Viktor zu haben, denn trotz der wetternden Pressestimmen stand es für Viktor absolut nicht zur Diskussion, mich alleine nach Wien fliegen zu lassen.

Dass Viktor beim Finale anwesend ist, hat vielen seiner Fans die Sorge um seinen Gesundheitszustand zwar genommen, aber ließ natürlich auch all jene aufhorchen, die sich um ein faires Finale betrogen fühlen. Das Personal des Grand Prix beäugt uns entweder mitleidig oder argwöhnisch und auch das Publikum ist sich uneins, ob es mich unterstützen oder spüren lassen soll, wen es lieber auf dem Eis gesehen hätte.

Ich komme mir völlig isoliert vor. Yurio sieht immer wieder mit einem Blick zu mir, der mich ermahnt, mich zusammenzureißen, als wir die Eisfläche zum Aufwärmen betreten. Otabek hingegen betrachtet Yurio mit sorgenvollen Augen, denn er weiß, dass Yurios Gedanken ausschließlich bei mir sind. Dass Chris und JJ nach wie vor Schwierigkeiten haben, den Verlust ihres Duells zu verwinden, kann ich ebenfalls sehen. Sie erinnern mich in ihrer Selbstverliebtheit stark an mein Verhalten in Paris, als ich vor lauter Ärgernis über mich selbst den Blick für das Wesentliche verloren hatte. Der Einzige, der so teilnahmslos wie immer seine Routine durchgeht, ist Seung-Gil Lee.

Nach der Aufwärmphase bleibe ich als Letzter auf dem Eis zurück. Viktor steht an der Bande und wartet auf mich, Yakov beobachtet uns aus einigen Metern Entfernung.

„Yuuri, du hast nichts zu verlieren“, ermutigt er mich.

„Ich weiß,“ antworte ich ehrlich. „Das letzte Mal wollte ich, dass du am Ende wieder lachend auf dem Eis stehen kannst. Heute möchte ich für dich auf dem Eis stehen können.“

„Yuuri...“

„Sag nicht, dass ich das nicht muss. Ich muss es nicht. Aber ich will.“

Ich nehme seine Hand und setze einen Kuss darauf. „Ich bin immer bei Euch, mein König.“

Die blauen Augen weiten sich und die Wangen verfärben sich rosa. Ich werde angekündigt, lasse seine Hand los und gleite nur ein paar Meter zu meiner Startposition nahe der Bande.
 

„Katsuki Yuuri steht bereit. In Paris hat ein Sturz beim dreifachen Axel ihn wertvolle Punkte im Kurzprogramm gekostet. Wie wird er heute mit dem Druck umgehen können, dass die meisten Zuschauer sich schon auf eine weitere, brillante Vorstellung des meisterhaften Todes von Viktor Nikiforov gefreut haben?

Hoffen wir, dass Katsuki Yuuri seine Geschichte diesmal finden und die Fans von Viktor Nikiforov über sein Ausscheiden hinweg trösten kann!“
 

Es trifft mich völlig unvorbereitet. Mit einem Mal pocht mein Herz dreimal so schnell, mein Puls beginnt zu rasen und mein Blick ist starr auf die Mitte der Eisfläche gerichtet.
 

[P]
 

Die Musik beginnt.
 

Viktor... was hast du... das ist... ungeheuerlich... Ich bin in Versuchung, mich nach dir umzudrehen, doch ich hänge fest an dem Bild vor meinem inneren Auge. Der leere Hauch und die leisen Glöckchen um mich herum lassen das Adrenalin ungehindert durch meinen Körper rauschen.

Das Cello erfüllt leise die Luft... auf der Eisfläche bin ich alleine, aber heute kann ihn jeder vor sich sehen, den gefallenen Meister... unsichtbar liegt er in der Mitte der Eisfläche und sie beweinen sein Scheiden. Schauer jagen ihre Rücken hinunter, als die Spieluhr erklingt und ich mich in Bewegung versetzen lasse. Links herum, rechts herum. Diesmal muss ich nicht suchen, was mich ruft. Meine Kufen tragen mich leise am Rand entlang. Ich kann dich spüren.

Der Anschlag des Pianos, meine Schritte, die mich näher tragen. Deine einst so helle Gestalt, verzweifelt, gebrochen, dem Tod so nah...

Der nächste Anschlag. Ich will dir ein Zeichen geben. Meine Pirouette ist erfüllt von Magie... Sie ist wie ein Zauber; niemand kann sie so perfekt vollführen wie ich... Kannst du mich auch spüren? Mein Blick ruht fest auf der Mitte als ich den ersten Kreis ziehe, schneller werde... ich will deine Aufmerksamkeit, der erste Sprung - dein Sprung – Viktor! Du bist nicht allein!
 

Du hast von Beginn an damit gerechnet, nicht bis zum Ende durchhalten zu können... Darum hast du mich nie die Mitte der Eisfläche passieren lassen. Es ist der Ort, an dem du gefallen bist. Ich schlinge meine Arme um mich; meine Pirouetten sind erfüllt von Sehnsucht nach deinem lebendigen Ich... Mein Herz schmerzt, ich muss dich erreichen!

Streicher begleiten mich und ich beginne, die Musik mit meinem Körper zu tanzen.

Ich bin nicht auf der Suche, die Geschichte zu finden. Ich bin die Geschichte selbst. Das Lebenselixier des Künstlers. Ich habe die Macht, alles zu verändern.
 

Ich halte inne.
 

Das Cello spielt melancholische Wellen, die auf mich überschwappen, aber ich darf nicht verweilen; ich muss weiter, gleite näher gen Mitte. Das Klagen der Massen ist so groß, ihr Lamentieren begleitet mich... Hab' keine Angst. Nur ich kann es schaffen, dir zu neuer Gestalt zu verhelfen und Leben und Liebe zu dir zurückzubringen, die dir einst verloren gegangen sind.

Ich bin auf dem Weg zu dir; bin bereit, alles dafür zu geben, sie begreifen zu lassen, wie sehr du mich brauchst... Mit dem nächsten Sprung, der Kombination von Salchow und Toeloop, beim lautesten Saitenanschlag will ich dich aufwecken... Ich bin stark genug. Geliebter! Sieh' mich an!
 

Das helle Echo erklingt, ich drehe mich auf dem Eis weiter, fahre rückwärts. Die Töne schwingen höher und ich kann sehen wie du dich mit ihnen erhebst, auferstehst... ich will dich berühren, dich halten... uns trennen nur noch wenige Sekunden. Der Chor und die Streicher kehren zurück, werden lauter, als begleiteten sie unsere Suche; ich wechsele die Richtung nach vorne, ziehe den letzten Kreis, kann es nicht mehr zurückhalten... der letzte Sprung auf dem Weg zu dir. Meine Füße verlassen den Boden; jetzt, Viktor, greif meine Hand!
 

Diesmal verfehle ich dich nicht, erreiche dich, nehme dich mit mir. In aufrechter Haltung kommen wir auf dem Eis auf.

Liebevoll und sicher halte ich dich in meinen Armen. Niemals soll der Tod dich bekommen.
 

Wir bleiben zusammen. Für immer.
 


 

Meine Füße kommen zum Stehen. Das Programm ist zu Ende und ich zittere überall. Ich schnappe nach Luft von der Anstrengung. Bin ich wieder in der Realität? Viktor... wo bist du? Ich kann nur Yakov auf mich warten sehen. Das Publikum kann ich nicht hören, ich fühle mich wie in einem Vakuum. Ohne auf etwas zu achten verlasse ich auf wackeligen Beinen das Eis, die Lautstärke dringt nur nach und nach an meine Ohren; es herrscht ein fürchterlicher Lärm. Die Leute scheinen durchzudrehen.

„Viktor hat sich nach hinten zurückgezogen“, höre ich Yakovs raue Stimme, als ich das Ende der Eisfläche erreiche. Überrumpelt blicke ich ihn mit leeren Augen an. Ich fühle mich völlig orientierungslos.

„Interpretier' es nicht falsch“, warnt Yakov. „Vitya hat gespürt, dass du seine Intentionen verstanden hast. Das hat ihn emotional überrannt, deswegen ist er gegangen. Außerdem,“ Yakov senkt seine Stimme und es liegt ein ernster Ton darin, „die Gemüter sind gereizt. Wenn rauskommt, was ihr zwei gemacht habt, dann ist hier die Hölle los, also haltet euch zurück. Verstanden?“

Ich nicke und ich bemerke, dass mir Tränen die Wangen hinunter laufen.

Yakov begleitet mich zum Kiss & Cry und wir nehmen Platz. Während wir auf die Punkte warten, schweifen meine Blicke zu Otabek, der als Nächster performen muss, und zu Yurio, der ihm noch einmal zuruft und ihn anfeuert. Es macht mich schwermütig, die Beiden so zusammen zu sehen. Viktors Comeback hat viel Aufmerksamkeit von Yurio abgegriffen und ihm Freiheit gegeben. Freiheit, die er in die Freundschaft mit Otabek investiert hat. Sollte Yurio einmal ähnlich erfolgreich werden wie Viktor, dann müsste er seinen Gefährten nicht erst noch suchen, sondern hätte ihn bereits an seiner Seite. Er müsste sich für Otabek nicht mehr rechtfertigen. Es ist anders als bei Viktor und mir. Viktor hat immer alleine im Rampenlicht gestanden, war Everybody's Darling und nichts hat die Vorstellung je getrübt, dass Viktor einmal nicht mehr nur ihnen allein gehören würde. Aber das ist vorbei und sie müssen akzeptieren, dass es mich gibt.
 

Der Einzige, der Viktor mit Leben füllen kann, bin ich.
 


 

----[ PAUSE ]----
 


 

Grand Prix Final of Figure Skating, Free Program; 10th December, Vienna
 

Starting order; Free program:
 

6. Seung-Gil Lee – KOREA

281,44 (91,44)

5. Christophe Giacometti – SWISS

309,65 (97,57)

4. Jean-Jaques Leroy – CANADA

306,87 (104,21)

3. Yuri Plisetsky – RUSSIA

(107,81)

2. Yuuri Katsuki – JAPAN

(109,23)

1. Otabek Altin – KASACHSTAN

(112,71)
 

„Meine Damen und Herren, die erste Hälfte der Küren des diesjährigen Finales ist bereits vorbei!

Jean-Jaques Leroy und Christophe Giacometti, die sich gestern noch schwer getan haben, in dieses Finale zu finden, haben ihre Form wiedergefunden. Leroy liegt mit seiner mit Interpretation von Skyfall nur wenige Punkte hinter Giacomettis Bad Romance, der zurzeit mit 309,65 Punkten das Ranking anführt.“
 

„Ja, Morooka-san, das war eine brillante, fehlerfrei gelaufene Kür, die zu Recht die Führung nach der ersten Hälfte inne hat. Als nächstes sehen wir den Drittplatzierten von gestern, Yuri Plisetsky. Er liegt mit 107,81 Punkten nur knapp hinter Katsuki Yuuri. Wir dürfen sehr gespannt sein, ob die drei Besten vom Vortag ihre Platzierungen beibehalten können oder ob noch einmal durchgewürfelt wird.“
 

„Yuri Plisetsky steht bereit; er läuft zu Mozarts Türkischem Marsch, der klassischen Ergänzung zum gestrigen Kurzprogramm Arabesque im Rahmen des diesjährigen Orient-Themas. Die Choreografie stammt erneut von der Bolshoi-Primadonna Lilia Baranovskaya.“
 

Yurio betritt das Eis, aber er ist aufgewühlt und durcheinander.

Ich kann es ihm nicht verübeln. Meine sehr gute Leistung im gestrigen Kurzprogramm hat die Gemüter bezüglich Viktors Unfall und meiner Finalteilnahme zwar etwas besänftigt und den Anfeindungen den Wind aus den Segeln genommen, aber über Nacht loderte die Gerüchteküche erneut auf, als hätte man sie nicht nur angefacht, sondern Öl hineingegossen. Und ich war nicht ganz unschuldig daran:

Victor Nikiforov and Japanese Figure Skater Yuuri Katsuki secretly married?! Is this the answer to the switch in the Final?!

Das ist die Schlagzeile, die seit heute Morgen überall ist. Ein Bild von meinem Handkuss vor dem Kurzprogramm prangt als Aufwartung an den Liebsten betitelt darunter, gefolgt von einem kleineren Foto aus Paris.

Es zeigt Viktor und mich, wie wir eine Touristin darum bitten, ein Foto von uns zu machen. Daneben ist eine Vergrößerung von Viktors ausgestreckter Hand mit seinem Handy abgedruckt. Bei dem Ring, der sich an seinem Ringfinger befindet, soll es sich laut dem Artikel nicht um den Paarring aus dem letzten Jahr handeln, so mutmaßen die Autoren. Warum der Ring ein anderer Ring sein soll, bleiben sie dem Leser allerdings schuldig. Es ist haltlose Behauptung, wenn man bedenkt, dass der Ring aufgrund der Schatten und schlechten Vergrößerung einfach nur dunkel aussieht. Aber für diejenigen, die der Schlagzeile Glauben schenken wollen, reicht es aus, nicht erkennen zu können, ob es sich wirklich um den Paarring handelt oder nicht. Und das trifft ziemlich genau auf die gesamte Medienwelt und ihr Publikum zu.

Das Frühstück heute Morgen war mehr eine Krisensitzung als irgendetwas anderes. Um nicht noch weiter Aufsehen zu erregen, hat Tatjana uns nahegelegt, für heute keine Ringe zu tragen, bis das Finale vorbei wäre. Wir waren beide verunsichert, haben ihr unsere Ringe dann aber schweren Herzens anvertraut.

Während ich Yurio zusehe und auf meinen Auftritt im Anschluss warte, wandert mein Daumen ständig nervös zu meinen Ringfinger, um zu fühlen, warum es sich anders anfühlt, nur um jedes Mal neu festzustellen, dass der Ring fehlt. Es macht mich nervös und es kommt mir vor, als hätte man uns gezwungen, auf mehr als nur ein Stück Metall zu verzichten. Dabei wissen Viktor und ich sehr genau, dass es nur für die Dauer dieses Abends sein würde. Aber seit einigen wenigen Stunden schon fühlen wir uns gewaltsam voneinander getrennt.

Yurio patzt.

Er ist in Gedanken nicht bei der Sache und läuft unkonzentriert. Erst mein Ausscheiden, dann der Unfall von Viktor, die Anfeindungen mir gegenüber bezüglich des unerwarteten Finaleinzugs und jetzt das. Es nimmt ihn mehr mit als ihm lieb ist und seine Trainerin ist ihm keine große Hilfe, mit seiner Sorge um Viktor und mich klar zu kommen. Für sie steht nur fest, dass Viktor und ich an der ganzen Situation selbst Schuld sind und damit hat sich ihr Mitgefühl erübrigt. Yakov muss sich für Viktor um mich kümmern, sodass lediglich Otabek Yurio eine Stütze sein kann, aber selbst er konnte vor der Kür keine beruhigenden Worte für unser liebenswertes Monster finden, das die ganze Welt zusammenschreien würde, nur um uns zu verteidigen.

Am Ende der Kür reicht es für Yurio, bis auf zwei Zähler an Christophe heranzukommen – der Sieg hat sich damit für ihn erledigt und die Schweizer in der Halle flippen aus. Mit JJ und Yurio hinter Christophe erscheint es ihnen schon wie die Entscheidung um den Titel, der zum ersten Mal seit Langem an die Schweiz gehen könnte.

Jetzt bin ich an der Reihe. Es fühlt sich an wie der Gang zum Galgen, aber ich will nicht aufgeben. Noch einmal wird mich Viktor nicht durch seine Choreografie retten können. Diesmal muss ich es alleine schaffen.
 

„Der nächste Läufer ist YURI KATSUKI aus Japan!“
 

Seht alle gut her.
 

_________________________
 

Yuuri... Was geht in deinem Kopf vor sich? Ich hätte damit gerechnet, dass dir die Spekulationen um unseren Beziehungsstatus mehr zusetzen würden. Aber nichts ist passiert. Du hast wieder diesen Schalter umgelegt, von dem ich immer noch nicht sagen kann, wo er herrührt. Was festigt dich derart, dass das alles an dir vorüber geht?

Ich sitze angespannt in der Umkleide und verfolge den Wettkampf als Livestream auf Tatjanas Tablet. Yurio hat dem Druck nicht standgehalten; er ist eingeknickt, obwohl er nicht direkt betroffen ist und ich fühle mich schuldig, weil ich der Quell der Unruhe in diesem Finale bin.

Wenn die Welt da draußen es nur akzeptieren könnte, wie sehr ich dich brauche... Ich wäre der glücklichste Mensch auf der ganzen Welt.
 

Du stehst bereit.

Mein geliebter Yuuri...
 

„Meine Damen und Herren, it's Storytime!“
 

In deiner Welt gibt es nur ein Piano. Das stimmgewaltigste aller Instrumente, das so vielseitig ist wie kaum ein anderes. Es ist die Urgewalt der Musik und als einziges deiner Gabe würdig, die Melodien mit deinem Körper zum Leben erwecken zu können. Es ist nicht irgendeine Geschichte, die du uns erzählst. Es ist unsere Geschichte.
 

Bevor du an jenem Abend in mein Leben getreten bist, hat mich die Einsamkeit meiner Welt schier erdrückt. Presse, Aufwärmen, Warten, raus aufs Eis, runter vom Eis, Punkte abholen, Siegerehrung. Immer die gleiche Leere, immer nur dieselben, unpersönlichen Worte, ohne einen Platz für Träume. Der ganze Aufwand für ein paar Minuten Freiheit auf dem Eis, in die ich alle meine Hoffnung gelegt hatte, doch noch einen Partner für mich finden zu können.

Und dann bin ich dir begegnet, einem unschuldigen Verführer, der Geschichten getanzt und damit völlig unerwartet eine Reise in die tiefsten Sehnsüchte meines Herzens unternommen hat.
 

Doch ich blieb danach nur ein einsamer Sieger, der verbraucht und leer am Ufer des Totenflusses wartete und dessen ganze Welt nur noch aus einer einzigen, letzten Schneeflocke in seiner Hand bestand.

Ich war noch nie gut darin, mich und meine Gefühle der Welt mit Worten zu erklären. Seit ich denken kann, habe ich in Geschichten gelebt und Welten daraus erschaffen. Das Eis war meine Bühne, auf der ich alle Welt in Staunen versetzt habe.

Aber irgendwann war auch das letzte Kapitel erzählt, die letzte Seite gefüllt, die Ideen verschwunden und als ich nicht mehr wusste, wohin mit mir, hast du mich gerufen, Yuuri, und ich ließ mich bei dir fallen.
 

Du hast mich mit auf deine Reise genommen, bist das Ziel meiner Suche geworden und schließlich mein neues Zuhause. Ich kann mir ein Leben ohne deine Liebe nicht mehr vorstellen; sie gibt mir Geborgenheit und das Gefühl, dass du meine Welt verstehst und sie genauso liebst wie ich.

Ich werde niemals vergessen können, wie wir unsere erste Nacht verbracht und uns geliebt haben. Deine Ungeduld und Unerfahrenheit haben mich in Höhen getragen, die ich schon lange nicht mehr gespürt hatte. Ich habe es nie bereut, für dich alles zurückgelassen und die größte Dummheit meines Lebens begangen zu haben.
 

Du hast mich immer wieder begeistert, mich aufs Neue überrascht und meine Erwartungen übertroffen. Durch dich kann ich Gefühle wieder neu empfinden, sie durchströmen mich bis in die Fingerspitzen und sie beginnen, neue Geschichten zu erzählen.

Es ist das glückliche Ende des Spiels des Geschichtenerzählers, als der du mich verführt hast.

Deine Lippen zu küssen berauscht mich immer wieder, trägt mich hinaus ins Leben und eröffnet mir unendlich viele Möglichkeiten.
 

Erst durch deine Liebe nehmen meine Geschichten auf dem Eis wieder ihre wahre Gestalt an, Yuuri.
 

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„Meine Damen und Herren, es ist unglaublich, ist das der Sieg für Katsuki Yuuri?! Er zaubert uns eine Kür aufs Eis, die einen sprachlos macht! Wo nimmt der junge Mann bloß diese Energie her? Das war ein ganz anderes Niveau als das, welches wir in Paris gesehen haben! Wenn wir es richtig gesehen haben, dann hat Katsuki nach dem dreifachen Axel zum Wechsel in die zweite Hälfte auch Elemente aus einem Tango in seiner Schrittsequenz gehabt. Damit hätte er die Aussagekraft seiner ohnehin schon ausdrucksstarken Schritte noch weiter perfektioniert!“
 

„Eine wirklich phänomenale Kür, Morooka-san, bei der man spüren konnte, wie tief die Bindung zu seinem Trainer Viktor Nikiforov gehen muss. Man hatte geradezu das Gefühl, durch die Kurzprogramme von Nikiforov und ihm selbst geführt worden zu sein, mit dem vierfachen Flip und Toeloop am Ende, als wollte er uns sagen, dass er und Viktor Nikiforov nach dieser Kür nebeneinander auf dem Eis stehen. Ich habe wirklich noch Gänsehaut davon!“
 

„Nicht nur Sie, Oda-san! Katsuki Yuuri und Austauschtrainer Yakov Feltsman begeben sich jetzt zum Kiss & Cry. Wir warten gespannt auf die Punkte... mit mehr als 200 Punkten würde er an Giacometti vorbei ziehen! Aber nach dieser Wahnsinnskür sollte das doch auf jeden Fall gereicht haben...!

Es sind sogar 208,16 Punkte!!! Katsuki Yuuri übernimmt die Führung kurz vor Schluss! Meine Damen und Herren, war das schon die Entscheidung?! Erst ausgeschieden und jetzt könnte er den Sack zumachen, das wäre ja unglaublich!“
 

Yakov und ich starren nur auf die Anzeigetafel. Mein Herz schlägt wie verrückt... Es ist nur noch Otabek dran... Ich fange an zu zittern und durch meinen Körper rauscht das Adrenalin. Kann es das wirklich gewesen sein? Meine Augen heften sich an den Kasachen.

Seine Kür beginnt.

Das würden die nervenaufreibendsten Minuten meiner Karriere werden... Diese starke, epische Musik lässt einem das Blut in den Adern gefrieren, es ist ein Showdown der Superlative. O Fortuna… Das Glück ist hold der Sieger im Kampf. Kein Stück könnte gerade bezeichnender sein, als dieses.

Meine Hände sind zu Fäusten geballt, ich kann die Fingernägel in meinen Handflächen schmerzlich spüren... Yakov deutet mir, dass ich aufstehen soll, aber ich bin wie versteinert und hänge fest an Otabeks Vorstellung. Der russische Trainer packt mich unsanft am Arm und ich setze mich ungelenk in Bewegung, zurück zu unseren Plätzen. Meine Finger sind eiskalt, in meinem Kopf wirbelt alles durcheinander. Könnte er wahr geworden sein, der Traum vom Sieg? Könnte ich am Ende wirklich Gold für Viktor gewonnen haben...? Schon letztes Jahr war ich an diesem Punkt, so knapp davor das Ziel zu erreichen, während Yurio seine Kür gelaufen ist. Und obwohl Yurio damals gestrauchelt hat, hat er mich um ein paar Hunderstel überholen können... Und Otabek... Was könnte er bewirken? Welche Seite der Münze würde heute Abend nach oben zeigen? Sieg? Oder die erneute Niederlage?

Dann schrecke ich auf und mache einige hastige Schritte in Richtung Bande. Otabeks Landung beim vierfachen Salchow war unsauber. Hat Yurios Unruhe sich etwa bei ihm niedergeschlagen? Er dreht weiter seine Pirouetten und mir ist, als ob alles in mir nach oben kommen wollte... Wie hypnotisiert verfolge ich diesen finalen Entscheidungskampf, der sich vor meinen Augen abspielt. Am Ende kann es nur einen Sieger geben und mit dem letzten Ton wird das Schicksal seine Wahl treffen.
 

Viktor, kannst du meine Stimme hören, die dich ruft?

An jenem Abend war ich nur ein betrunkener, unschuldiger Verführer, der dir Träume gezeigt hat.

Ich zog mich still aus deiner Welt zurück, aber du hast mich dennoch sehnsüchtig in deinem Herzen bewahrt.

Ich hätte nie geglaubt, dass ich selbst der Wegweiser war, der dich zu mir nach Hause geführt und dir ein Licht in deine Welt gebracht hat.

Ich bin die Geschichte, die dich wieder lebendig werden lässt.

Dein Geliebter, der dich aufgefangen und dir aus der letzten Schneeflocke eine neue Welt geschaffen hat.
 

Die Menge applaudiert euphorisch.

Otabeks Kür ist vorbei und das Grand Prix Finale kennt einen neuen Sieger. Jetzt kann niemand mehr eingreifen. Meine Augen hängen an seiner Gestalt, wie er das Eis verlässt und ich atme laut ein und aus. In wenigen Sekunden würde das Ergebnis bekanntgegeben gegeben. Wäre es wahr, dann...
 

Wenn du Gold gewinnst, heiraten wir, Yuuri.
 

Viktor... Du bist wieder Backstage. Ich würde dich so gerne sehen... Meine Augen wandern zur gegenüberliegenden Seite der Halle, dort wohin du dich zurückgezogen hast und ich fühle wieder, dass der Ring an meinem Finger fehlt.

Und dann sehe ich, wie du an deinen Krücken aus dem Backstagebereich zurück in die Halle trittst. Ich mache mich sofort auf, um zu dir zu eilen, aber noch bevor ich auch nur einen Schritt machen kann, ertönen die Lautsprecher und die Punktansage hallt durch das Stadion. Ich stoppe abrupt in meiner Bewegung.
 

„The score for Otabek Altin...“
 

Und dann ist alles stumm.

Ich realisiere gar nichts mehr.
 

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„Meine Damen und Herren, es ist entschieden! Wir haben einen Sieger! Katsuki Yuuri gewinnt das Grand Prix Finale vor Christophe Giacometti und Yuri Plisetsky! Das ist die Sensation, ich weiß gar nicht mehr, was ich sagen soll! Heute Abend steht alles Kopf! Was für eine Leistung, Oda-san, was für eine Leistung! Mehr geht nicht!“
 

„Mehr geht wirklich nicht. Ich weiß auch gar nicht, was man dazu noch sagen soll. Katsuki Yuuri hat sich in nur zwei Jahren vom Außenseiter zum Weltrekordhalter und Goldmedaillengewinner gewandelt. Es war Ende der Saison 15/16, als Viktor Nikiforov von heute auf morgen ins Trainingslager wechselte, um Katsuki zu trainieren, der bereits zum ersten offiziellen Wettkampf beim letztjährigen Cup of China einen Neustart hinlegte, wie ihn keiner für möglich gehalten hatte.“
 

„Absolut, was haben wir mit den Beiden für eine Reise erlebt, welche sie uns mit diesem Wintermärchen krönen! Und wenn man den jüngsten Schlagzeilen glauben darf, dann steht auch privat alles auf Goldkurs!“
 

„Jaaa, die weiblichen Fans von Viktor Nikiforov werden nach dem Schock heute Morgen auch noch einen schweren Abend haben, aber meine Damen, schauen Sie diesem überwältigten Mann in die Augen; für mich persönlich besteht kein Zweifel, dass er den Einen für sich gefunden hat, der jetzt in wenigen Augenblicken seine Medaille in Empfang nehmen wird!“
 

Ich fühle mich wie in Watte gepackt. Ich sehe Yurio links von mir, auf der rechten Seite steht Chris.

Auf den Schock folgte unwirkliche Euphorie, auf die Euphorie folgte kalte Ernüchterung. Obwohl ich gekämpft und mir diesen Sieg verdient habe, fühlt es sich trotzdem nicht richtig an. Ich stehe hier alleine, während derjenige, der eigentlich hier stehen sollte, auf der anderen Seite der Eisfläche wartet.

„Meine sehr verehrten Zuschauer, die Siegerehrung beginnt! Auf dem dritten Platz des diesjährigen Finales mit zwei Siegen in den Vorentscheiden, dem exotischen Kurzprogramm Arabesque und einer technisch hoch anspruchsvollen Kür, Yuri Plisetsky aus Russland!“

Das Publikum klatscht und feiert. Yurio sieht dennoch unberührt davon aus. Er ist enttäuscht von sich, weil er weiß, dass er es hätte besser machen können.

„Auf dem zweiten Platz sehen wir, nach Anlaufschwierigkeiten im Kurzprogramm, den Mann, der wie kein anderer mit perfekter Haltung überzeugt hat und der nach drei überragend gelungenen Quads auch nicht niedriger hätte platziert werden dürfen – Christophe Giacometti aus der Schweiz!“

Noch einmal Applaus und Beifall, aber es klingt eher verhalten. Die Schweiz muss sich erneut damit zufrieden geben, dass es wieder nur Silber gereicht hat. So nah am Titel war Chris noch nie zuvor und es hat wieder nicht gereicht.

Eigentlich sollte ich mich freuen. In der Ferne meiner leeren Gedanken tue ich das auch, aber die Freude will noch nicht übergreifen.

„Auf dem ersten Platz die Überraschung dieses Finales! Erst war er weg, dann wieder drin, mit einem großartigen Start gestern und heute dann die perfekte Kür! Was für eine Performance in diesem Finale; meine Damen und Herren, zum ersten Mal in der Mitte des Podiums überhaupt, Katsuki Yuuri aus Japan!“

Der Applaus und die Jubelschreie kommen von irgendwo her. Ich neige geistesabwesend den Kopf, man hängt mir die goldene Medaille um den Hals, ich erhalte Blumen; Kameras blitzen und blenden mich fürchterlich. Yurio und Chris treten zu mir in die Mitte, das Gruppenfoto der Sieger. Es wird stiller und meine Gedanken drehen sich nur darum, wie ich so schnell wie möglich zu Viktor zu gelangen kann.

Dann reißen mich die Stimmen der Kommentatoren abrupt aus meiner Trance.

„Es gibt offenbar Diskussionen abseits der Eisfläche.“

„Ja, es ist Jean-Jaques Leroy, der auf Viktor Nikiforov einredet... Sogar Trainer Yakov Feltsman scheint gerade dazwischen gehen zu wollen.“

„Es sieht so aus, als würde heftig gestritten werden... was passiert da? Jean-Jaques Leroy ist auf Viktor Nikiforov zugegangen und hebt die Hand-?! Was...?! ...Leroy gibt dem verletzten Nikiforov Stütze und sie gehen zusammen in Richtung der Eisfläche! Passiert hier das, was ich denke?! Erleben wir gerade die nächste Sensation an diesem Abend?!“

Ich bekomme überall Gänsehaut. Während ich mit leerem Blick geradeaus starre, realisiere ich noch, wie Chris zu meiner Rechten verschwindet und sein Rücken sich weiter von mir entfernt.

„Meine Damen und Herren, Christophe Giacometti kommt Jean-Jaques Leroy zur Hilfe! Die beiden härtesten Verfolger im Feld bringen Viktor Nikiforov über das Eis zu Katsuki Yuuri! Sehen Sie sich das an, das sind Bilder für die Ewigkeit! Da richten sich einem alle Haare an den Armen auf...!“

Sie bringen dich. Sie bringen dich wirklich zu mir. Ist das ganz sicher kein Traum?

Du kommst näher.

Ich kann dein Gesicht sehen.

Du lächelst überglücklich.

„Yuuri...“

Ich weiß, nicht was ich sagen soll. Mir schießen die Tränen in die Augen und mir ist, als wollte alles in mir explodieren. Ich steige vom Podest hinunter auf den ausgelegten Teppich. In meinem Kopf herrscht ein einziges Chaos. Wie ferngesteuert nehme ich mir die Medaille von Hals und halte sie dir entgegen.

„Yuuri, wir haben ihn nicht hierher gebracht, damit er deine Goldmedaille küsst.“ ermahnt mich Chris, aber er zwinkert. „Häng' sie dir wieder um und dann aber richtig.“

Mir schießt das Blut in die Wangen.

Ich sehe, dass auch du einen Hauch Rosa im Gesicht trägst.

Dann müssen wir beide unwillkürlich kurz lachen, bis sich unsere Blicke treffen und die Welt um uns herum verstummt.
 

„Wollen wir...?“

„... Wir wollen.“
 

Es ist das Foto des Abends. Nicht das von der Siegerehrung, nicht das Gruppenbild, sondern dieses von dem Moment, in dem wir uns in den Armen liegen, das Versteckspiel sein Ende gefunden hat und das Geheimnis kein Geheimnis mehr ist.
 

Ich bin 25 Jahre alt, Weltrekordhalter, Goldmedaillengewinner und der glücklichste Mensch auf der Welt.
 

Mein Name ist Yuuri Nikiforov.

Hochzeitsfieber! – Mit Gold nach Hasetsu!

Viktor und ich haben heimlich vor der Trophée de France in Paris geheiratet. Wegen meinem harten Los in den Vorentscheiden hat Viktor befürchtet, dass ich mir, vom sportlichen Leistungsdruck abgesehen, auch noch wegen der versprochen Hochzeit Druck aufbauen würde und hat mich direkt am Abend nach der Bekanntgabe der Grand Prix-Zuteilungen gefragt, ob ich ihn auch ohne Goldmedaille heiraten wollen würde. Ich war völlig überrumpelt, aber wirklich, was für eine Frage... es war die schönste Überraschung, die er mir je bereitet hat.

Vor unserem Besuch bei Notre Dame haben wir unseren Termin in einem der Pariser Standesämter wahrgenommen und unsere Paarbilder am Eiffelturm sind nichts Geringeres als von anderen Touristen geschossene Hochzeitsfotos. Das Foto, das am Tag des Finales durch die Medien ging und als Heiratsbeweis betitelt wurde, hat in dieser Hinsicht unwissentlich die Wahrheit gesagt. Viktor hat allerdings immer noch unseren Paarring aus Barcelona am Finger getragen.

Wir haben die Ringe in Moskau vor den Nationals gravieren lassen und seitdem ein anderes, goldenes Paar getragen. Wir waren uns beide einig, dass wir keine anderen Ringe als unsere Eheringe haben wollten als jene aus Barcelona. In Paris haben wir sie für diesen einen Tag wieder getragen. Danach waren sie zurück in das blaue Kästchen gewandert, bis, das war der neue Deal, ich eine Goldmedaille gewonnen hätte.

Nach unserer Rückkehr aus Österreich haben wir einen Tag später erneut die Koffer gepackt und sind mit Makkachin nach Japan abgeflogen, um dem ganzen Rummel in Russland bezüglich meines Sieges, aber vor allem der Klatschpresse und dem nationalen Schock, dass Viktor Nikiforov nicht nur eventuell mit mir liiert, sondern mit mir verheiratet ist, zu entgehen. Der Besuch bei meiner Familie war ohnehin geplant, sodass wir direkt starten konnten. In Hasetsu haben meine Familie und alle anderen uns sofort bei der Ankunft zur Rede gestellt und ganz schön blöd geschaut, als wir ohne zu überlegen sofort gestanden und unsere Eheringe präsentiert haben. Und nachdem der erste Schock allgemeiner Freude gewichen ist und wir von Glückwünschen überhäuft worden sind, soll gefeiert werden. Denn dass es eine Feier gibt, stand für meine Familie vollkommen außer Frage.
 

Wir sind also kurz nach unserer Ankunft angehalten, ein Datum auszuwählen und damit Viktor zukünftig einen Grund haben soll, an seinem Geburtstag etwas zu feiern, fällt die Entscheidung auf den 25. Dezember. Nicht, dass Viktor und ich wesentlich länger in Japan bleiben könnten. Die Saison läuft und die japanischen Meisterschaften Anfang Januar in Nagano stehen auf dem Plan. Da wir insgesamt also weniger als zwei Wochen Zeit haben, die Feier zu organisieren, laufen die Vorbereitungen bei Familie und Freunden direkt auf Hochtouren. Hinzu kommt, dass ich kaum helfen kann, weil ich Termine und Interviews bezüglich meiner Goldmedaille wahrnehmen muss und auch das Training nicht komplett abbrechen darf, aber immerhin ist Viktor die meiste Zeit verfügbar, da er seinen Fuß jetzt endlich schonen soll. Und Mutter achtet peinlich genau darauf, dass er nicht doch zu mir in die Eishalle entwischt. Minako-sensei blockt weitere Anfragen so gut sie kann und auch Tatjana tut in Russland ihr Bestes, mir und Viktor von internationaler Seite den Rücken frei zu halten.

Von der ganzen öffentlichen Aufmerksamkeit einmal abgesehen, habe ich jetzt schon Bammel, was das für eine krasse Feier wird. Jelena hat mir, kaum dass Viktor ihr am Telefon eröffnet hatte, die Hochzeit an seinem Geburtstag zu feiern, sofort ausführlich erklärt, wie Hochzeiten auf Russisch ablaufen und mir schwant so einiges. Ich glaube, gegensätzlicher wie in unserem Fall könnten die Traditionen bei Hochzeiten kaum sein, denn die einzige Gemeinsamkeit von japanischen und russischen Hochzeitsbräuchen scheint mir die große Anzahl der Gästen zu sein, die es aber nicht geben wird. Hallejuja.

Während wir Japaner Hochzeiten gesittet mit vielen Reden und vorsichtig darin versteckten Witzen feiern, können die Russen gar nicht genug Gaudi mit irgendwelchen bekloppten, teils peinlichen, Spielen und viel Musik haben. In erster Linie müssen also Viktor und ich uns einig werden, wie wir unsere Hochzeit überhaupt feiern wollen, um all diese kulturellen Differenzen unter einen Hut zu bringen. Viktor meinte, im Notfall gäbe es von Anfang an Vodka statt Wasser für die japanische Verwandschaft und dann hätte sich das Problem mit ein paar Gläsern, aber ich hoffe soweit muss es nicht kommen.

Direkt nach dem Gespräch mit Jelena sitzen wir mit meinen Eltern zusammen, um eine Gästeliste zu schreiben, die erst mal viel länger wird, als wir dachten. Dabei soll es eigentlich gar keine so große Feier werden und wir müssen uns gut überlegen, wie wir am Besten den Kopf aus der Schlinge ziehen, ohne dass es für meine Familie unangenehm wäre. Als Besitzer des einzigen Onsen in der ganzen Stadt mit einem Sohn, der gerade seine erste Goldmedaille im Grand Prix gewonnen hat und dem niemand Geringeres als Viktor Nikiforov angetraut ist, scheint eine klein ausgelegte Hochzeit eher mit Mission Impossible vergleichbar als mit einer realistisch lösbaren Aufgabe. Das einzige Trostpflaster ist, dass von Viktors Seite aus nicht viele Gäste zu erwarten sind, denn außer den üblichen Verdächtigen aus der St. Petersburger Eishalle, Tatjana, Dr. Tschekowsky, Chris, dessen Freund, Trainer Gérard und natürlich Jelena wird niemand so spontan nach Japan kommen können. Wir haben zwar auch Viktors Eltern kontaktiert, allerdings trauen sie sich aufgrund ihres hohen Alters die weite Reise nicht mehr zu. Stattdessen haben sie uns nach dem Saisonende zu sich nach Hause in die russische Provinz eingeladen, damit ich Mama Eva und Papa Igor auch endlich einmal kennenlernen werde.

Auf meiner Seite der Gästeliste sieht es dagegen um einiges voller aus. Als Erstes ist da mal viel Verwandtschaft: Eltern und Schwester, Großeltern, dann zwei Tanten und ein Onkel mit ihren Familien; also auch Cousins und Cousinen, die ich alle seit meinem Mittelschulabschluss nicht mehr gesehen habe und die ihrerseits teilweise schon verheiratet sind und Kinder haben. Glücklicherweise sind einige unter ihnen wegen Weihnachten schon verplant und können so spontan nicht mehr zusagen, sodass es mir unter Anderem erspart bleibt, Viktor erklären zu müssen, dass eine meiner Cousinen tatsächlich Chihiko heißt.

Dann sind da natürlich noch Yuko und ihre Familie, Minako-sensei, der Chef der Eishalle mit Frau und Kindern, die Angestellten meiner Eltern, Morooka-san, der Bürgermeister, einen Vertreter des JSF, sowie meine beiden früheren japanischen Trainer und Celestino-sensei. Und natürlich noch die ganzen Eiskunstlaufkollegen, die wir von den Wettbewerben kennen. Letztendlich nehmen aber nur Phichit und Otabek die Einladung zur Feier an, da die meisten anderen Läufer Weihnachten bei ihren Familien verbringen werden.

Die Gästeliste ist also fertig erstellt, Einladungen gehen per Email raus und als Nächstes muss ein Raum gefunden werden. Große Räumlichkeiten für Hochzeiten sind in Japan selten, wenn man nicht gerade ein auf Hochzeiten spezialisiertes Hotel buchen will. Allerdings sind diese Räume dann für gut hundert oder mehr Personen gedacht und für unsere Verhältnisse zu groß. Abgesehen davon ist die Auswahl in Hasetsu begrenzt und gerade für den 25. Dezember ist so kurzfristig nichts mehr zu bekommen. Im Spaß meinte Minako-sensei, wir sollten einfach in die Eishalle gehen. Aus dem Spaß ist dann erschreckender Weise in Windeseile Ernst geworden, denn über der Halle gibt es in der Tat einen großen Raum, der abseits der Saison als Lagerraum für Technik und Sportgeräte (z.b. für Eishockeytore) genutzt wird. Da sich während der Saison alles in Eisbahnnähe befindet und dieser Raum in der Vergangenheit schon öfter für Events und Firmenfeiern genutzt worden ist, ist nach einem kurzen Telefonat mit Nishigori und dem Besitzer der Eishalle die Sache entschieden und wir atmen auf, dass die Suche nach einer Räumlichkeit so schnell abgeschlossen werden konnte. Es gibt zwar sicher schönere Räumlichkeiten und Viktor scheint von der Turnhallen-Optik etwas enttäuscht zu sein (Russen mögen da wohl mehr Bling-Bling), aber daraufhin meinte ich, dass dann eben alle von Anfang an Vodka trinken müssen, damit die russische Seite sich die Halle schön trinken kann. Fand er nicht lustig, aber ich.

Um das Essen wird sich ein befreundeter Koch meiner Eltern kümmern und Jelena kommt bereits in zwei Tagen angereist, um uns bei der Organisation zu helfen. Für die Feier will sie einige russische Speisen vorzubereiten und vor allem will sie am Tag der Feier ein Brot und eine Torte backen. Keine Hochzeit ohne Brotbiss, Torte und Tortenanschnitt, hat sie gesagt. Wer mehr Brot beißen kann bzw. die Hand auf dem Messer oben hat, der hat in der Ehe die Hosen an und ich konnte schon an ihrer Stimme hören, dass das von größtem Interesse ist. Und nicht nur bei ihr. Für alle weiblichen Gäste scheint die Torte das Thema zu sein, dabei ist Viktor und mir diese Anschnittsgeschichte relativ egal. Wir wissen auch ohne Torte und Brotbiss, wer das Alphatier bei uns zuhause ist. Er hat braunes, lockiges Fell und darf als Einziger weder von dem Einen, noch von dem Anderen abbeißen, ne, Makkachin? Wuff!

Weiterhin müssen wir auf allgemeines Drängen hin noch Trauzeugen bestimmen, auch wenn die Trauung schon längst vorbei ist. Im Gegensatz zu anderen Dingen ist das allerdings einfach zu entscheiden und so werden Chris und Phichit nachträglich als Trauzeugen benannt. Phichit ist zwar bitter enttäuscht zu erfahren, dass die eigentlichen Zeremonie bereits vorbei ist, aber Trauzeuge zu sein scheint ihn ganz gut darüber hinweg trösten. Chris dagegen hat es schon mehr oder minder geahnt und ist bereits bestens vorbereitet, allerlei Peinlichkeiten auszuhecken. Zumindest klang es am Telefon so und ich habe die Befürchtung, dass eine Stange eine tragende Rolle dabei spielen wird. Außerdem wird Chris die Aufgaben des Tamaba, dem Hochzeitsleiter, wie er bei einer russischen Hochzeit üblich ist, übernehmen und Minako-sensei wird auf eigenen Wunsch für die japanische Seite übersetzen.

Kaum dass Jelena schließlich in Hasetsu angekommen ist, liegt sie uns auch schon mit der Garderobe in den Ohren. Meine Familie ist direkt in die Diskussion miteingestiegen, denn das Wechseln der Kleidung beim Brautpaar ist Teil japanischer Hochzeitsbräuche, sodass sich meine Familie und Jelena vollkommen einig sind, dass Viktor und ich eine halbe Modenschau über uns ergehen lassen müssen. Am Morgen vor der Feier werden wir in Hakama vor unserem lokalen Schrein von einem Hochzeitsfotografen abgelichtet und bei der Feier am Abend Anzüge tragen, die uns Jelena (nur ganz zufällig) aus Russland mitgebracht hat. Bevor die Party schließlich richtig steigen wird, werden wir in einfache, schwarze Hosen und weiße Hemden wechseln; ich ein eher klassisches, figurbetontes Modell mit Kentkragen und Viktor ein taillenfreies, legeres Modell mit tieferem Ausschnitt. Zudem wird jeder von uns ein rotes Band tragen und Viktor hat sich statt einem Blumenstrauß einen Blumenkranz gewünscht und ich werde dazu passend ein Gesteck fürs Revers bekommen.

Als letzten Punkt bleibt noch die Musik abzuklären und die wird vorrangig der Selbstmach-DJ aka Playlist übernehmen, aber Nishigori ist bemüht, eine kleine Karaokemaschine zu besorgen, damit beide Seiten in Sachen Partystimmung auf ihre Kosten kommen. Otabek haben wir zwar auch gefragt, aber er meinte, ohne anständiges Pult sei nichts zu wollen. Außerdem soll er Gast sein, nicht DJ, woran uns Yurio in einem Schwall von nicht so nett gemeinten Textnachrichten erinnerte.
 


 

25. Dezember 2017, Hasetsu. Hochzeitstag.
 

Der Tag bricht schneller an, als uns lieb ist. Gefühlt sind wir immer noch mit Vorbereitungen beschäftigt, dabei legen wir gerade nach einer viel zu kurzen Nacht die Hakama an und haben schon den ersten Problemfall, denn obwohl wir das größte Modell genommen haben, das auf die Schnelle aufzutreiben war, ist die Hose Viktor zu kurz. Idealerweise sollte der Stoff auf dem Boden aufstehen, aber es fehlen etwa 2-3cm und man sieht beide Füße, was für unsere japanischen Augen sehr befremdlich aussieht. Fotos im Stehen also nur ohne Füße, ansonsten muss Viktor sich hinknien. Die größere Sorge war jedoch sein verstauchter Fuß, der soweit aber gut verheilt ist, sodass Dr. Tschekowsky uns grünes Licht gibt, am Abend sogar zusammen tanzen zu dürfen.

Während die Aufnahmen mit dem japanischen Fotografen gemacht werden, ist lediglich meine Schwester anwesend um zu assistieren, aber wir hätten sie kaum gebraucht. Mir wird erst jetzt bewusst, wie gut Viktor Japanisch versteht und sich selbst artikulieren kann. Im Familienkreis ist es mir nie wirklich aufgefallen, genauso wenig, wenn wir nur zu zweit miteinander reden, aber dass er mit dem Fotografen ohne jegliches Englisch klarkommt, haut mich gerade ein bisschen aus den Socken.

Als wir zurück bei meinen Eltern ankommen, warten Yurio, Otabek, Phichit und Chris bereits auf uns, um den Ablauf mit uns durchzusprechen. Bevor wir aber dazu kommen, werden wir in die Küche gerufen und müssen Jelenas Fortschritt an der Torte begutachten, welche ganz anders aussieht, als ich erwartet habe. Ich hatte die Horrorvision von einer dreistöckigen, kitschigen Torte mit diesen kleinen Figürchen vor Augen, aber es entspricht gar nicht dem, was ich sehe. Die Torte ist eher ein Kuchen, rechteckig mit abgerundeten Ecken und ohne Etagen; mit weißem Fondant überzogen und leicht bläulich glänzender Lebensmittelfarbe eingefärbt. Ich habe die Vermutung, dass es später wie eine Eisfläche aussehen soll und Viktor scheint dasselbe zu denken. Die Verzierungen fehlen allerdings noch und meine Mutter kommt aus dem Grinsen gar nicht mehr raus. Ich glaube, die Torte wird äußerlich ein japanischer Kawaii-Overload mit russischem, alkohollastigem Innenleben.

Anschließend gehen wir mit den anderen nach oben, um das Programm für den Abend abzuklären: Die Eishalle wird den Tagesbetrieb am späten Nachmittag beenden und ab sieben Uhr können sich die Gäste dort einfinden. Yuko und ihre Drillinge übernehmen den Empfang und verteilen Gastgeschenke an die Hochzeitsgesellschaft. Unsere kleine Trauzeugengruppe wird als letztes an der Halle ankommen und erst jetzt fange ich an zu realisieren, dass es wirklich los geht und bekomme schlagartig Lampenfieber. In Paris waren Viktor und ich zwar auch nervös, als wir uns unser Versprechen gaben und die Ringe tauschten, aber wir waren nur für uns. In ein paar Stunden würden einige zig Leute zuschauen und es ist immer etwas ganz anderes, wenn man die Leute, die zuschauen, persönlich kennt.

Unsere Freunde weihen uns soweit in die Geschehnisse ein, als dass uns beim Betreten der Halle der Brotbiss und eine erste, gemeinsame Aufgabe erwarten wird. Danach werden alle zusammen nach oben in den eigentlichen Raum gehen, wo der nächste japanische Programmpunkt anstünde: Die Reden. Nach den Trauzeugen werden auch die Väter ein paar Worte zur Begrüßung der Gesellschaft und zum Brautpaar sagen und da Viktors Eltern nicht anwesend sind, hat nach langem Betteln Yakov eingewilligt, diesen Part zu übernehmen. Als Letztes bin ich an der Reihe, unsere Gäste willkommen zu heißen und danach das Hochzeitsessen anzukündigen. Wie Viktor es geschafft hat, sich herauszuwinden und nichts sagen zu müssen, ist mir gerade nicht so präsent, aber ich kenne seine Wieseltaktiken und frage jetzt auch nicht mehr nach. Außerdem kennt jeder im Großen und Ganzen die einzelnen Stationen von Viktors Leben und ich vermute, dass zu späterer Stunde noch irgendwelche Fotos aus Jelenas Sammelsurium im Beamer landen werden. Damit wären Anekdoten aus Viktors Leben auch genüge getan, denn was Fotos angeht, ist Viktor eindeutig von größerem Interesse. Ein kleiner Yuuri am Strand ist süß und niedlich, aber ein kleiner Viktor mit Suppenschüssel inklusive Inhalt auf dem Kopf ist viel lustiger. Auf den graublonden Haaren kommt die Rote-Beete-Suppe aber auch so gut zur Geltung!

Was das Essen angeht, so werden Viktor und ich, wie in Japan üblich, eine Meerbrasse serviert bekommen, die dem Hochzeitspaar Glück bringen soll. Unsere Gäste können zwischen drei Don-Gerichten wählen, die zusammen mit Sashimi, Tintenfisch, gefüllten Auberginen, Wurzelgemüse und Tonkotsusuppe in schwarzen Bento-Boxen serviert werden. Und welchem Russen das nicht salzig genug ist, der wäre dank Jelenas kalter Vorspeisen bestens versorgt.

Und sobald dann das Essen vorbei ist, erklärt Chris, läuft die Schonfrist für uns ab. Mit der Torte soll die Gaudi beginnen, aber uns wird versprochen, dass sie sich bei allen Vorhaben rückversichert haben, ob die japanische Seite diese befremdlich finden würde oder nicht. Ich muss trotzdem seufzen, wenn ich mir das Grinsen auf Chris' Lippen betrachte. Ich zweifle ja nicht daran, dass sie gefragt haben – nur, ob sie sich daran halten werden...
 

Kurz vor sieben Uhr geht es los. Viktor und ich haben in unsere Anzüge gewechselt und wir setzen uns in Bewegung in Richtung der Eishalle. Soweit mit unseren Trauzeugen besprochen, laufen alle genannten Punkte ab wie geplant. Nur das Ende der angekündigten Schonfrist verschiebt sich nach vorne und endet für Viktor bereits beim Servieren unseres Hochzeitsessens, wovon Chris, Phichit, Yurio und Otabek zu ihrer Verteidigung aber nichts wussten.

Der Koch, Takeda-san, präsentiert uns die Meerbrasse nämlich noch vor dem Zerlegen am Stück und mit Bambuststäben fixiert als Shachihoko.

Neben dem perfekt geschmückten Fisch ist aus Reis und Algenblättern sogar Hasetsu Castle nahezu perfekt nachgebaut worden und Takeda-san wird von unseren Gästen für dieses Kunstwerk hochleben lassen. Viktor tut mir (nur ein bisschen) leid, dass er dieser wenig glorreichen Aktion nicht mal heute entgehen kann und Takeda-san lässt sich das Mikrofon von Chris geben, um uns zu gratulieren und selbst einige Worte zu seiner Kreation zu sagen.

Er erklärt, dass es wahrscheinlich keine bessere Voraussetzung für ein gemeinsames Leben geben könne, als selbst in den peinlichsten Momenten unbeirrbar bei seinem Partner zu stehen. Dass ich Viktor nicht hatte hängen lassen, als ich zu ihm auf Mauer gestiegen bin, sei so beispiellos gewesen, dass sich Shachihoko innerhalb diesen Jahres von einem Schutzpatron des Schlosses zu einem Glücksbringer für verliebte Paare in Hasetsu gewandelt habe. Auch der Bürgermeister kommt an dieser Stelle zu Takeda-san, der ihm das Mikrofon übergibt und wir erfahren weiterhin, dass im Internet unter dem Hashtag #loveshachihoko mittlerweile über hundert Fotos von Pärchen mit dem Schloss im Hintergrund existieren, die sich eine ebenso tiefgreifende Partnerschaft erhoffen. Da Viktor und ich in Russland wohnen, haben wir davon nichts mitbekommen und als der Bürgermeister uns noch einige dieser Fotos zeigt (nicht wenige, auf denen tatsächlich ein Antrag gemacht wurde), ist es bei Viktor vorbei, sein Kopf liegt auf meiner Schulter und die Tränen kullern still, sodass ich ihm erst einmal ein bisschen gut zureden muss, bevor es weitergehen kann.

Nachdem das Essen ohne weitere Zwischenfälle verlaufen ist, erwarten alle mit Spannung die Torte. Chris kündigt diese überaus enthusiastisch an und ich erkenne wieder dieses fiese Grinsen in seinen Mundwinkeln. Wenn Viktor bereits mit Shachihoko konfrontiert worden ist, dann hätte ich so eine Vermutung, wer als Nächstes sein Fett abbekommen könnte...

Und ich behalte Recht. Viktor und ich haben beide, von dem was wir zuvor gesehen haben, auf eine wie eine Eislaufbahn aufgebaute Torte geschlossen. Als sie dann von Jelena und meiner Mutter hereingetragen wird, möchte ich am Liebsten im Boden versinken, doch Viktor kriegt sich nicht mehr ein vor Lachen. Jelena und meine Mutter haben die Torte keiner Eislaufbahn nachempfunden.

Sie haben unser Onsen modelliert.

Auf der einen Seite steht ein ziemlich erschrockenes, schwarzhaariges Chibi-Figürchen (ich) und auf der anderen Seite sitzt im Wasser, nackig und nur halb zu sehen, ein anderes mit weißen Haaren (Viktor). Dazwischen steht auf einem großen, pinken Herz mit weißer Schrift „Be my coach, Victor!“

Das Gelächter über die eingefangene Szene ist ohrenbetäubend und erst recht bei unseren Eiskunstlaufkollegen der Hit,so dass Phichit in Windeseile ein Foto davon auf seinem Instagram hat. Von meiner Verwandschaft werden Viktor und ich sofort angehalten, die Geschichte hinter der Torte zu erzählen, aber wie sind uns unausgesprochen einig, nicht zu erwähnen, dass Viktor sich bei dieser ersten Begegnung direkt aus dem Wasser erhoben und mir freien Blick auf alles gewährt hat.

Der folglich anstehende und von allen Damen heiß herbeigesehnte Tortenanschnitt fällt dagegen aus, weil Viktor „Arschkeks“ Nikiforov mich ablenkt und die Torte alleine anschneidet. Bitter enttäuscht darüber wird verlangt, dass Viktor sich als Entschädigung von mir füttern lassen muss. Ich ziehe die Augenbraue nach oben und schaue ihn mit einem vorwurfsvollen Blick an, den er mir mit einem schiefen Grinsen und Schulterzucken beantwortet. Oh Mann. Es weiß zwar keiner außer uns beiden, aber genau darauf hat er es angelegt. Er lässt sich gerne von mir füttern und hält folglich brav still, um sich die Gabel in den Mund schieben zu lassen. So sind alle Damen in absolute Verzückung versetzt und jeder hat am Ende, was er wollte. Und es interessiert auch niemanden mehr, wer die Hand oben gehabt hätte, Gott sei Dank.

Während unsere Gäste noch mit Kuchenessen beschäftigt sind, verschwinden Viktor und ich in das Büro der Halle um unsere Anzüge endlich loszuwerden und in die bequemen Hemden wechseln. Und dann der Schock: Viktors Blumenkranz ist weg. Ich eile zu Jelena und meiner Mutter, um zu fragen, wo der Kranz ist, als es dunkel im Raum wird und Chris einen gemeinen Dieb aus St. Petersburg ankündigt, der die Braut beklaut hat und das Diebesgut ausgelöst haben will. Yurio und Otabek stehen auf einem der hintersten Tische, Otabek mit einem von Viktors goldenen Schlittschuhen und Yurio - mein Herz bleibt stehen - mit dem Blumenkranz als Trophäe auf dem Kopf. Oh nein, denke ich, und werde leicht panisch. Den Schlittschuh zu nehmen ist eine Sache, aber den Blumenkranz zu klaue eine ganz andere! Wenn er bei dieser Aktion in Mitleidenschaft gezogen werden würde, weiß ich, dass hier jemand gleich ganz und gar nicht mehr glücklich ist. Gerade Yurio sollte das doch auch wissen...!

Das Missfallen steht Viktor auch deutlich ins Gesicht geschrieben, als er zu uns in den Raum tritt. Just klärt Yurio die Gesellschaft auf, dass der echte Kranz gut versteckt ist und er lediglich einen aus Kunstblüten auf dem Kopf trägt. Ich atme auf. Meine Nerven. Mit der Ankündigung hätte er keine Sekunde länger warten dürfen. In dem gedämmten Licht war nicht auszumachen, ob auf seinem Kopf echte oder künstliche Blumen sind...

Von Otabek bekommen Viktor und ich die Aufgabe, unseren Gästen Geld zu entlocken und in Viktors Schlittschuh zu sammeln, um den Kranz auszulösen. Die Aktion sorgt für ordentlich Stimmung und ich sehe, dass Yurio einen Heidenspaß daran hat, uns beide durch die Gegend zu scheuchen. Nach etwa zwanzig Minuten ist es damit auch schon wieder vorbei, der Unterhaltungsfaktor bei meiner Verwandtschaft war groß und Yurio bringt uns den Hochzeitskranz noch original in der weißen Schachtel verpackt, nachdem Otabek den Schlittschuh mit der Auslöse entgegen genommen hat.

Eigentlich sollte es keine Show geben, wenn Viktor den Kranz aufsetzt, aber jeder, der es irgendwie bewerkstelligen kann, versucht einen Blick darauf zu erhaschen, wie er die Schachtel öffnet. Die Floristin hat ganze Arbeit geleistet, denn der Kranz sieht genau so aus, wie Viktor ihn sich vorgestellt hat. Er besteht aus kleinen Buschröschen in grünlichem Weiß, die dicht an dicht mit Perlensträngen verbunden und in einen Bastkranz geflochten sind; dazwischen Schleierkraut und kleine, grüne Weinblätter, die mit einem Hauch goldener Farbe überzogen sind. In der Annahme, die Trägerin des Kranzes sei eine Frau, hat die Floristin als Zugabe eine weiße Spitze und Tüll an einem Haarkamm befestigt, den wir, wie ich auf dem Kärtchen lesen kann, wohl hinten im Kranz befestigen können.

„Yuuri, du musst Viktor den Kranz mit dem Schleier aufsetzen!“, ruft Mila enthusiastisch, als sie die Zugabe bemerkt. „Oder? Wer ist dafür?!“

Gesehen, alle. Ich schaue Viktor an und er lacht. Ich will schon nach dem Kranz greifen, als Mila mich erneut unterbricht:

„Halt, Stopp! Wir brauchen alle noch Gläser! Yuuri, warte! Viktor, erklär' ihm Groko. Dann kann er es den anderen erklären. Georgi, Anna, wir holen den Vodka.“

Viktor schaut sie mit großen Augen an, aber Mila grinst nur breit zurück und Georgi und seine Freundin Anna folgen ihr mit einem So-ist-es-nun-mal-Blick. Dann erklärt mir Viktor, dass alle Gäste jetzt ein Glas Vodka bekommen, dass ge-ext werden muss. Damit der Alkohol nicht so bitter schmeckt, rufen alle davor „Groko“, als Signal für das Brautpaar sich zu küssen, um damit den bitteren Geschmack des Vodkas zu überdecken. Ich werde sofort rot im Gesicht. Soll das heißen, wir sollen uns auf Kommando küssen? Vor allen Leuten hier? Vor meiner ganzen Verwandtschaft?!

„Willst du mich nicht küssen, Yuuri?“ Er zieht eine gekünstelte Schnute. „Du hast mich beim Grand Prix vor viel mehr Menschen geküsst...“

„Doch, schon... es ist nur so ungewohnt, das vor meiner Familie zu tun, gerade für Japaner...“, sage ich etwas beschämt und just in dem Moment beendet meine Schwester die japanische Erklärung von Groko, der ein Sprechchor aus „Küssen! Küssen! Küssen!“ folgt. Danke, liebe Verwandtschaft, ihr seid die unjapanischsten Japaner, die ich kenne...

Wir warten also bis jeder ein Glas mit Vodka bekommen hat und Mila übernimmt ungefragt, aber im allgemeinen Konsens, die Leitung der Aktion und meine Schwester fungiert weiterhin als Übersetzerin ins Japanische. Alle Gäste stellen sich im Kreis um uns herum auf, Viktor und ich stehen in der Mitte und ich halte den Kranz in den Händen. Zur musikalischen Untermalung will Mila noch Once upon a December auf Russisch laufen lassen. Sie findet das sehr passend, weil es gerade Dezember ist, erklärt sie, aber mich beschleicht das Gefühl, dass sie gerade ihre Idealvorstellung einer Hochzeit uns zukommen lässt.

Die Musik beginnt, der Klang der Spieluhr hat etwas Nostalgisches an sich und ist so verträumt. So wie der Blick von dem, der mich anlächelt und der langsam den Kopf senkt. Vorsichtig hebe ich den Kranz über seinen Kopf, setze ihn ihm auf und versichere mich, dass alles fest sitzt. Dann richtet Viktor sich auf und aus dem Lächeln ist ein verliebtes Lachen geworden.

Er hält meine Hände fest und beginnt, sie sanft in der Musik hin und her zu wiegen. Wie von selbst steige ich in seine Bewegungen mit ein und wir beginnen zu tanzen. Zuerst noch spielerisch, dann romantischer... unsere Körper rücken näher aneinander und ich verliere das Gefühl dafür, wo wir überhaupt sind.

Wir tanzen Walzer, ich beginne zu führen und wir gleiten in unsere eigene Welt. Wir drehen uns, der Schleier schwingt sanft mit den Bewegungen. Die Erinnerung an die Gala Exhibition kommt zurück und meine Hände greifen sachte nach seinem Gesicht, er schließt die Augen, genießt meine Berührung.

Wenn die Musik gleich aufhören wird... dann schau mich an.

Und als wäre es Magie öffnet er die Augen, als ich meine Hand langsam in seinen Nacken gleiten lasse. Wir kommen langsam zum Stehen, meine andere Hand löst den Schleier und ich ziehe ihn zu mir, bis unsere Lippen sich berühren und die Realität für einen kurzen Moment gänzlich verschwindet...

An Groko hat keiner mehr gedacht. Mila hat es mit der Musik zu gut gemeint und die ein oder andere Träne ist zerdrückt worden. Oder auch ein Sturzbach. Phichit ist völlig hin und weg und ruft uns direkt nachdem wir den Kuss beendet haben zu, dass wir mit dieser Vorstellung alles wett gemacht hätten und er gar nicht wisse, wie oft er dieses Video schauen werde. Jelena fällt Viktor in die Arme und drückt ihn an sich; sie ist so unsagbar stolz auf „ihren Jungen“ und weiß kaum wohin mit ihrer Freude. Sogar Yakov hat ein leichtes Lächeln im Gesicht und ich muss verstohlen zurück grinsen. Irgendwie habe ich das unwirkliche Gefühl, dass auch er gerade seinen Frieden mit unserer Hochzeit geschlossen hat. Aus dem Augenwinkel bekomme ich noch mit, wie Yurio Phichit androht ein paar Hamster mit seinen Schlittschuhen zu schlachten, sollte er auf die Idee kommen, auch nur eine Sekunde dieses Tanzvideos ins Internet zu stellen. Über die Wirksamkeit dieser Drohung kann ich nur staunen und beginne zu lachen, je entsetzer Phichit dreinschaut. Er zweifelt scheinbar nicht daran, dass Yurio das ernst meint.
 

Als die emotionale Ergriffenheit wieder nachlässt (dafür haben alle einen doppelten Vodka gebraucht) ist es schon weit nach 22 Uhr und so langsam können einige die Beine nicht mehr stillhalten und wollen tanzen. Es werden einige Tische beiseite geschoben, um den entsprechenden Platz zu schaffen, allerdings sehe ich auch, dass Phichit begonnen hat, den Beamer aufzubauen und ich glaube nicht, dass dieser für irgendwelche Lichteffekte zweckentfremdet werden würde.

Chris verkündet prompt, er hätte genau das Richtige für uns, um die Tanzfläche zu eröffnen.

Ich hätte mir gerne eine etwas längere Pause vor der nächsten Aktion gewünscht, aber Chris kennt kein Erbarmen und wir stehen erneut bei ihm vor versammelter Mannschaft, Phichit gibt vom Beamer aus das OK per Daumenhoch.

„Alors, liebe Gäste, bevor wir unsere beiden Herzchen hier gleich die Tanzfläche eröffnen lassen, muss ich noch ein paar kleine Schandtaten ans Licht bringen, damit wir alle den Hintergrund verstehen können“, spricht er ins Mikro. „Dazu brauche ich eine Assistentin und wir haben uns für Yuko Nishigori entschieden. Kommst du bitte zu mir?“

Etwas unsicher, aber durchaus neugierig, kommt Yuko zu Chris.

„Du bist ja jetzt schon lange eine Freundin von Yuuri und wir haben erfahren, dass ihr beide früher Fans von Viktor wart, ja? Stimmt es, dass deine Töchter Yuuri gefilmt und das Video von Stammi vicino im Internet hochgeladen haben?“

„Ja“, gesteht sie mit einem peinlich berührten Lächeln.

„Und dir ist bewusst, dass sozusagen deine Mädels für diese Hochzeit zur Verantwortung zu ziehen sind?“

Yuko vergräbt das Gesicht in den Händen. Chris klopft ihr auf die Schulter.

„Keine Bange. Deine Mädels sind fein raus. Dass Viktor in Hasetsu vor Yuuris Tür stand, hat niemand außer demjenigen verbockt, der das Schweineglück hat, von Viktor geheiratet worden zu sein.“

Oh Gott, sie werden doch nicht...?!

„Schau mal, kennst du das Foto?“

Ein „Ohhhh“ geht durch den Raum, aber es ist ein sehr verhaltenes „Ohhhh“. Kein Poledance-Bild, Gott sei Dank... Es zeigt mich und Viktor beim Dance Battle.

„Nein... ?“, antwortet Yuko irritiert.

„Hast du eine Ahnung, wann das aufgenommen wurde?“, fragt Chris weiter.

Sie schüttelt den Kopf und ich sehe eine Menge ratloser Gesichter bei meiner Verwandschaft und viel Gegrinse und Gekichere bei den Eislaufkollegen.

„13. Dezember 2015 in Sochi! Ganze vier Monate bevor deine Mädels das Video hochgeladen haben – jetzt bist du sprachlos, oder? Und das hört hier nicht auf, schau mal das hier. Und da sind sie noch ein Stückchen näher... Schwupps! Jetzt hat Yuuri Viktor an der Hand. Wie lieb die sich anlachen. Süß, oder?“, kommentiert er die folgenden Bilder. „Euer kleiner Yuuri ist gar nicht so unschuldig an Viktors Auftauchen, wie ihr alle meint.“

Yuko und einige andere, vor allem meine Eltern, starren die Bilder an, ich senke meinen Blick auf den Fußboden und Viktor neben mir kichert.

„Und weil Viktor so viel Spaß an diesem Abend hatte, haben wir uns gedacht, wir wiederholen das und lassen sie nochmal genau so tanzen. Und wir haben ein Lied ausgewählt, dass dem Abend mehr als gerecht wird.“

Oh Gott, er kommt jetzt aber nicht mit You can leave your hat on, oder?!

„Wir machen dann mal Platz und ihr zwei bereitet euch mental vor. Alles improvisieren, wie ihr das in Sochi so schön gemacht habt.“

„Kennen wir das Lied überhaupt?“, will Viktor wissen.

Chris zwinkert uns zu. „Wär' mir egal gewesen, aber ich wette darum. Ich geb' euch den Tipp, dass Yuuri seinen Eros ruhig etwas zeigen kann, aber Füße bleiben auf dem Boden. Vor allem bei dir, Viktor, wir wollen keinen zweiten Ausrutscher. Phichit, ich würde sagen, zu kannst.“

„Okay!“

„Und wer frägt mich?!“, protestiere ich, aber dann hören wir es schon.

Leute, ihr habt einen Vollknall.

Viktor lacht sofort laut los und schlägt die Hände vors Gesicht, während ich nur ungläubig dastehen kann.

Ihr habt wirklich einen Schuss weg.

Aber ihr bereitet uns gerade die Zeit unseres Lebens und dafür lieben wir euch.

Zugabe: Lass uns heiraten

25. September 2017, St. Petersburg
 

„Yuuri… kommst du kurz?“

Ich bin verunsichert. Er war so still, seit die Auslosungen heute Nachmittag bekannt gegeben wurden. Irgendwas beschäftigt ihn und ich würde zu gerne wissen, was. Ich gehe ins Schlafzimmer und finde ihn auf dem Bett sitzend, Beine angezogen, den Kopf auf den verschränkten Armen. Er betrachtet mich scheinbar mit gemischten Gefühlen, denn festlegen kann ich nicht, was dieser Ausdruck bedeutet.

„Kommst du ganz her?“

Etwas zögerlich setze ich mich neben ihn auf die Bettkante. Irgendwie ist das unheimlich. Viktor hebt den Kopf, streckt die Beine aus und rutscht weiter von seiner zu meiner Seite hin, um mir Platz zu machen. Bevor ich auch nur richtig auf dem Bett sitze, hat er mich umarmt, zieht mich auf sich und beginnt, mich zu küssen. Will er einfach nur Sex? In dieser Verfassung komme ich aber irgendwie nicht in Stimmung dafür... Als wir den Kuss beenden, stütze ich mich links und rechts von ihm ab und schaue ihm direkt in die blauen Augen.

„Viktor, was ist los mit dir?“

Ich muss es wissen. Er macht mir Sorgen in diesem merkwürdigen Zustand.

„Ich muss dich etwas fragen, Yuuri, aber ich will dich nicht als dein Trainer fragen“, beginnt er schließlich und ich verstehe noch weniger, worauf das hinaus laufen soll. „Als dein Trainer habe ich eine gewisse Verantwortung dafür zu sorgen, dass du unter den besten Voraussetzungen laufen kannst, aber ich will nicht, dass du denkst, ich hätte rein professionelle Gründe.“

„Ich verstehe nicht, was du meinst“, antworte ich irritiert. Er zieht mich wieder zu sich und umarmt mich.

„Yuuri... würdest du mich auch ohne Goldmedaille heiraten?“

Was, wie?! Wo kommt das denn auf einmal her?!

Nach eine Schrecksekunde kann ich mich wieder fangen. Ich glaube verstanden zu haben, wo der Schuh drückt... Ach, Viktor...

„Ich würde dich jederzeit heiraten. Sonst hätte ich dich nicht gefragt“, antworte ich ehrlich.

„Ich will nicht mehr warten.“

Ich muss lächeln und drücke ihn ein bisschen fester an mich.

„Yuuri... Ich will nicht, dass du dich vernachlässigt fühlst, wenn ich wieder in der Öffentlichkeit stehe. Ich will nicht, dass du denkst, ich würde mich nicht um dich als meinen Partner sorgen. Und ich will nicht, dass du dir wegen der versprochenen Hochzeit weiteren Druck machst, weil du denkst, du müsstest dich beweisen... du musst dich nicht beweisen, nicht mir.“

Ich bin geplättet und weiß absolut nicht, was ich darauf sagen soll.

„Ich habe Angst, Yuuri... Ich habe dich einmal verloren, ich will dich nicht nochmal verlieren.“

Viktor, du schaffst mich gerade. Echt. Ich möchte weinen, so glücklich bin ich, von dir geliebt zu werden.

„Dann lass uns heiraten, Viktor“, antworte ich ehrlich und streichle ihm über die Wange.

Er richtet sich etwas auf und betrachtet mich etwas ungläubig.

„Ja?“

„Ja“, versichere ich. Er grinst verlegen und gibt mit mir ein Küsschen. Dann einen Kuss. Noch einen. Dann beginnt er, mich richtig zu küssen und an meiner Lippe zu nuckeln.

„Yuuri... ich liebe dich“, flüstert er.

„Ich dich auch.“ So langsam komme ich doch in Stimmung und muss schmunzeln, als Viktor mich mit glücklich strahlenden Augen ansieht.

„Hast du Lust auf mich bekommen?“

Ich grinse und bin wirklich froh, dass er mich das nicht als mein Trainer fragt.
 

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16. November 2017, Paris
 

„Hast du alles?”

„Ja.”

Es geht los. Es geht wirklich los. Zuerst war es noch Wochen entfernt. Dann nur noch Tage. Gestern sind wir hier gelandet. Und jetzt ist es soweit.

Viktor und ich heiraten heute. Wir laufen Hand in Hand direkt zu dem Standesamt, in dem wir um 10 Uhr unseren Termin bekommen haben. Es liegt nur wenige Straßen von unserem Hotel entfernt und meine Beine fühlen sich an, als seien sie aus Wackelpudding. Ich frage mich ernsthaft, wie ich es geschafft habe, vor dem Heiratsantrag noch eine komplette Kür gelaufen zu sein. Im Moment wäre ich nicht fähig, auch nur ein Bein in den rechten Winkel zu bekommen, geschweige denn das Gleichgewicht dafür halten zu können, aber Viktor geht es ähnlich. Im Gesicht sieht man es ihm nicht an, aber seine Hand ist schwitzig und sie zittert.

Irgendwie schaffen wir es bis in das kleine Zimmer, in dem die Trauung stattfinden soll. Die Standesbeamtin schüttelt uns die Hände und begrüßt uns auf zuerst auf Französisch, dann auf Englisch. Schließlich bittet sie uns Platz zu nehmen.

„Isch begrüße Sie ´erzlich bei uns und isch ´offe, Sie sind nischt allzu nervös.“

Mir ist schlecht vor Aufregung.

„Sind Sie zum ersten Mal in Paris?“, fragt sie.

„Pour lui c’est la première fois“, antwortet ihr Viktor. Was auch immer.

„Vous parlez très bien, monsieur. Vous êtes...?“, strahlt sie ihn an.

„Nikiforov. Son nom est Katsuki.“

„Merci“, antwortet sie und lächelt dann zu mir herüber. „Gefällt Ihnen Paris?“

„J-ja.“ Oh Gott, ich sollte nicht mehr reden. Ich muss später noch genug reden. Scheinbar begreift die Beamtin, dass es besser ist, nicht mehr mit mir zu sprechen. Sie wendet sich stattdessen wieder Viktor zu.
 

Ich erinnere mich an nichts mehr, was geredet wurde, aber wir stehen uns gegenüber und die Ringe sind gerade auf einem Kissen herein gebracht worden. Ich kann die Situation immer noch nicht begreifen. Nicht, weil er einmal mein größtes Idol war, sondern weil mir in diesen Momenten vollends bewusst wird, wie sehr ich von dem Menschen mir gegenüber geliebt werde, dass er im Begriff ist, sich mir den Rest seines Lebens anzuvertrauen... Ich habe keinerlei Gefühl mehr im Körper, weder den Beinen, den Armen oder den Händen, so überwältigt bin ich von der Bedeutung dessen, was wir gerade tun.
 

Wie in Barcelona, ermahne ich mich. Du hast es schon mal geschafft, du schaffst es jetzt auch.
 

Es gelingt mir tatsächlich. Als ich meine Hand zurückziehe, glänzt an Viktors rechtem Ringfinger wieder dasselbe Gold aus Barcelona, aber diesmal sagt es nicht „Danke“, sondern „Für immer“. Mir schießen die Tränen in die Augen, als ich sehe, dass er nach meiner Hand greift. Ich spüre sein Tun viel mehr, als dass ich es vor mir sehe... Hör' nicht auf, Viktor, bitte nicht... Aber dann trage auch ich wieder das gleiche Gold an meinem Finger, das uns seit Barcelona zusammenhält. Wir haben es wirklich getan.

Ich weiß nicht, wohin mit meinen Emotionen. Ich könnte tanzen, schreien, muss gleichzeitig lachen und weinen und Viktor geht es nicht anders; er kann es genau so wenig begreifen, dass es offiziell ist.
 

In unsere Ringe haben wir eine Schneeflocke eingravieren lassen und jeder von uns trägt eine Hälfte davon. Sie erinnert uns an einen ganz besonderen Moment, der nur uns beiden gehört hat.
 

Hanarezu ni soba ni ite war eine Liebeserklärung, wie sie vollkommener nicht hätte sein können.

Wir haben sie an diesem Tag gemeinsam in die Welt hinausgetragen.
 

Die Schneeflocke in unseren Ringen symbolisiert all das: Die Kür, den Moment, das Eis und das Versprechen, für immer Seite and Seite stehen zu wollen.
 

Wir nennen alles auf dem Eis Liebe.
 

Dann grinsen wir uns dümmlich an, weichen unseren Blicken verlegen aus und bleiben doch wieder aneinander hängen. Unser Lächeln wird liebevoller, wir schließen die Augen und lösen jenes auf dem Eis gesprochene Versprechen mit unseren Lippen ein.
 

Ab hier und jetzt für immer an deiner Seite.
 

~ENDE~

Leckerli: Ein aufgebrachtes Kätzchen!

(Handlung zwischen Kapitel 13 und 14)
 

Ich klopfe an die Tür und öffne sie behutsam einen Spalt. „Viktor? Bist du wach?“

„Yuuri? Ja, komm‘ rein…“

Jelena und ich betreten das Zimmer und auch wenn ich gestern Abend schon einmal hier war, kann ich mich nicht daran erinnern, diesen Raum betreten zu haben. Viktors Zimmer ist etwas größer als ein Einzelzimmer in Japan, aber nicht weniger steril und puristisch eingerichtet. Das Kopfteil des Betts ist hochgestellt worden, sodass Viktor nicht mehr liegt, sondern sitzen kann und man hat ihm die Infusion entfernt.

„Viktor, Schatz, wie geht es dir? Ich hab mir solche Sorgen gemacht!“ Jelena ist sofort bei ihm und drückt ihn an sich. Ich stelle erst einmal die Tasche ab, dann trete auch ich näher an das Krankenbett heran, aber mein Blick bleibt an den Krücken hängen, die an die Wand gelehnt sind. Es läuft mir eiskalt den Rücken hinunter und ich wende mich hin zu Viktor und Jelena.

„Du siehst furchtbar aus, hast du schon was zu essen bekommen? Was macht dein Kopf?“, fragt Jelena besorgt, während eine ihrer Hände Viktors Gesicht tätschelt und die andere dabei ist, seine Haare etwas ordentlicher auf seinem Kopf zu sortieren. Viktor lässt sie still gewähren, aber sein Blick ruht auf mir. Ich kann die Emotionen darin nicht genau definieren, aber ich glaube, ich erwidere den Blick auf die gleiche Weise. Es ist eine Mischung aus Hilflosigkeit, Verzweiflung und Mitleid über die Situation.

„Jelena, kannst du uns einen Moment allein lassen?“, bitte ich sie vorsichtig. Sie schaut kurz irritiert zu mir, dann zu Viktor, dessen Augen immer noch unverändert auf mich gerichtet sind. Dann versteht sie, gibt Viktor noch einen Kuss auf die Wange und geht wortlos zur Tür.

„Ich warte draußen“, lässt sie uns noch pro forma wissen, als sie schon auf dem Flur steht. Sie schließt die Tür vorsichtig mit einem leisen Ton.

Einige Augenblicke lang herrscht eine bedrückende Stille zwischen uns. Dann setze ich mich neben Viktor auf das Bett und nehme ihn in den Arm.

Es dauert nur eine Sekunde, bis alles aus ihm herausbricht und ich habe keine Ahnung, was ich sagen könnte, um die Situation besser zu machen. Es schmerzt mich genauso sehr wie ihn und ich drücke ihn fester an mich. Das Finale hat sich für Viktor erledigt...
 

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Yakovs Gebrüll hat mich in aller Herrgottsfrühe geweckt. Ich hab ihn gehört, wie er aufgebracht mit jemandem telefoniert hat. So früh am Morgen, warum zur Hölle. Dann hab ich Fetzen der Unterhaltung aufgeschnappt. Er hat Englisch geredet; es ging um Krankenhaus, Notruf und Katsudon. Und dass Viktor etwas passiert ist. Yakov war total von der Rolle. Lilia hat auch schon im Wohnzimmer gestanden, genervt vom Lärm und dann fingen die Diskussionen an. Wie jedes Mal, wenn es um Viktor geht. Was mit ihm ist und ob das Theater sein muss und dass Yakov endlich die Sentimentalität loswerden soll... Die Beiden werden sich über Viktor nie einig werden. Und wer kriegt den ganzen Rotz ab? Ich. Der Morgen war bisher echt für'n Arsch gewesen.

Wir sind gerade im Krankenhaus angekommen und laufen gehetzt den Gang entlang.

„Frau Praslova?!“

„Herr Feltsman? Yuri Plisetsky?“

Die Schneidertante ist ja auch da... Ist der ganze Hofstall gerufen worden?

„Wo ist Viktor? Wie geht es ihm?!“

„Viktor geht es den Umständen entsprechend gut“, antwortet sie und Yakov will schon das Zimmer betreten, als sie sich ihm in den Weg stellt. „Yuuri ist bei ihm. Die Beiden haben etwas zu klären, lassen wir sie.“

„Ich muss mit ihm reden, das Finale ist in vier Tagen! Ich bin sein Trainer!“, poltert Yakov.

„Und Yuuri ist sein Verlobter“, gebietet die Tante in strengem Ton. „Es tut mir Leid, aber es wird kein Finale geben, Herr Feltsman. Dazu muss ich kein Arzt sein. Sein Fuß ist fest bandagiert.“

Yakov entgleisen die Gesichtszüge. Und mir steht der Mund genauso offen. Das ist ein schlechter Witz, oder?! Katsudon ist schon raus und der Alte jetzt auch?!... Die verarscht mich?!

„Gebrochen?“, Yakov spricht aus, was ich denke.

Die Tante schüttelt den Kopf. „Nein, aber verstaucht, soweit ich weiß.“

„Tschekowsky ist unterwegs“, sagt Yakov mit zittriger Stimme.

Ey Scheiße, ich kotz‘ gleich. Muss ich jetzt allein unsere Ehre hochhalten...? Ihr seid solche Arschgeigen... Und Yakov muss echt jedes Mal übertreiben, wenn es um Viktor geht. Viktor bekommt von jedem hier den Arsch gepudert und er und diese Schneidertante müssen immer mit in der ersten Reihe sein, das nervt tierisch...! Er liegt ja wohl nicht im Sterben. Lilia hat sowas von Recht, man muss Alterssentimentalität nicht googlen, um zu checken, dass Yakov absolut durch ist. Und ich sitz‘ ja wohl viel tiefer in der Kacke jetzt!

„Ich muss mit Viktor sprechen und wissen, was los ist. Wenn er wirklich ausfällt, dann wirft das das ganze Finale um, die Organisatoren müssen informiert werden!“

„Herr Feltsman, das wird noch ein paar Minuten Zeit haben können!“

„Wenn die Organisatoren eine Nachnominierung in Erwägung ziehen, dann besteht die Möglichkeit, dass Katsuki wieder drin ist.“

„Was?!“, entfährt es mir. Yakov schaut mich an als wär‘ ich blöd im Hirn. Moment... Katsudon ist Siebter nach Punkten... Wenn Viktor raus ist, dann könnte er...? Jetzt ohne Scheiß?!

„Apropos Katsuki. Herr Feltsman, wie haben Sie die Zimmernummer erfahren?“, fragt die Tante.

„Als Trainer habe ich für solche Fälle eine Ausnahmegenehmigung, die von Viktor unterzeichnet ist. Anders würde das wohl kaum möglich sein. Das sollten Sie wissen.“

„Yuuri hatte vor lauter Aufregung gestern Nacht die Zimmernummer vergessen“, redet die Tante weiter als hätte sie Yakov nicht gehört. „Nun, da ich nicht mit Viktor verwandt bin, wollte man mir am Empfang keine Auskunft geben. Aber Yuuri hat man Auskunft gegeben und ich frage mich warum.“

„Sie sind verlobt“, werfe ich genervt dazwischen. Mann, was muss da groß rum machen...

„Das gilt aber nicht als Familienangehöriger, junger Mann. Sie müssten verheiratet sein, damit es anerkannt wird.“

Das weiß ich, ich bin nicht bescheuert, aber ich versuche gerade Katsudon den Arsch zu retten!

„Also ich weiß nichts von einer angeblichen Hochzeit!“, poltert Yakov.

„Ich auch nicht“, stimmt die Tante zu. „Ich kann es mir auch nicht vorstellen, dass sie das einfach klammheimlich durchziehen würden, ohne irgendjemandem etwas zu sagen...“

Ey, ihr habt sowas von keine Ahnung. Die Schachtel im Schrank. Die Fotos aus Paris. Wenn Yakov das jetzt auch noch erfährt, dann haben wir hier gleich den zweiten Notfall, aber mit Wiederbelebungsmaßnahmen... Diese Vollidioten, warum konnten die es nicht einfach allen sagen, so wie jeder normale Mensch das auch getan hätte...?! Stattdessen steh' ich jetzt hier und kann den Postboten spielen...

„...Ihr wisst das nicht von mir, klar?!“, rufe ich genervt. Beide starren mich an. Wenn die den Braten eh schon riechen, kann ich auch nichts mehr retten.

„Yuri, wovon redest du?“, sagt Yakov und sieht mich entgeistert an.

„Lass' den Ärger bloß nicht an mir aus!“, blaffe ich zurück. „Ich kann nix dafür, ok?! Viktor hat so 'ne dämliche Kiste bei sich zuhause für mein Zeug aufgestellt und gedroht, dass er meine Sachen wegwirft, wenn ich sie weiter rumliegen lasse und ich soll sie stattdessen in diese Kiste schmeißen. Als ob der mir was zu sagen hätte! Ich hab gedacht, er blufft! Aber der Arsch hat's wirklich gemacht! Ich hab' die ganze Wohnung auf den Kopf gestellt, um wenigstens noch die Bluray von Otabek zu finden!“

Ich muss Luft holen und die Tante fixiert mich mit ihrem Blick.

„Deine Bluray ist bei mir, junger Mann. Viktor wirft nicht einfach deine Sachen weg, was denkst du von ihm?“, sagt sie in strengem Ton. „Komm' die Tage bei mir vorbei und du bekommst sie wieder.“

Was?! Will die grad mir erzählen, Otabeks Bluray liegt seit über einem Monat bei ihr?! Ey, wie lange wollte Viktor die da noch liegen lassen?! Der hat‘s doch garantiert wieder vergessen!

„Und was wolltest du uns eigentlich damit sagen?“, fährt sie unbeirrt fort.

„…Oi, ist ja gut!“, setze ich genervt wieder an. „Jedenfalls hab' ich mein Zeug gesucht, ok?! Und dabei ein zweites Paar Ringe gefunden.“

„Nicht wahr!“, ruft die Tante erschrocken und starrt mich mit großen Augen an. Yakov sieht aus, als hätte ich einen Mord gestanden.

„Ich sag's euch noch mal, ihr habt den Scheiß nicht von mir, klar?! Viktor häutet mich, wenn er mitbekommt, dass ich im Schlafzimmer war!“

Yakov geht einen Schritt auf mich zu, er ist kreidebleich. „Bist du sicher?!“

Ich mache ein paar Schritte wieder zurück. „Ja, ich bin sicher, war 'n blaues Kästchen, zwei goldene Ringe, innen graviert.“

„...ich bin sprachlos.“ Die Tante sieht fix und alle aus. Ihre Hand liegt auf der Brust, sie holt tief Luft.

„Warum hast du nichts gesagt?!“, geht mich Yakov an.

„Was hätt' ich denn sagen sollen, dass ich in Viktors Schränken nach meinen Sachen gesucht hab'? Bestimmt nicht!“

Mann, warum muss immer so ein Aufriss sein, wenn Katsudon und Viktor irgendeinen Scheiß machen... Dann geht die Tür auf. Katsudon!

„Jele-“, er bricht ab. „Yurio, Yakov?“

Warum hat das so lang gedauert?! Wenigstens einer, der hoffentlich noch Hirn hat...!

„Wird Zeit, ich muss zu Viktor.“

Sofort versucht Yakov ins Zimmer zu kommen, aber Katsudon stellt sich ihm wie die Tante in den Weg und lässt ihn nicht vorbei.

„Entschuldigen Sie, Yakov. Ich weiß, Sie machen sich Sorgen, aber Viktor hat eine Gehirnerschütterung gehabt und der halbe Gang kann Sie hören.“

„Ich bin sein-“

„Trainer, ich weiß“, schneidet Katsudon bestimmt das Wort ab. Er macht keine Anstalten, aus der Tür zu treten. Dann geht er einen Schritt auf Yakov zu und umarmt ihn.

„Bitte... Wir hatten alle eine lange Nacht. Beruhigen Sie sich, Viktor zuliebe.“

Alter, wenn Yakov so einfa-?

„Ihr schafft mich endgültig...“

HA? Nicht sein Ernst...?!

„Jelena, kommst du bitte?“ Dann dreht sich Katsudon zu mir. „Du auch, Yurio?“

Was geht hier ab... aber gut, meinetwegen. Und dann ist endlich Schluss mit diesem Theater!
 

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Wir werden es ihnen sagen. Jelena vermutet es wahrscheinlich eh schon und spätestens, wenn sie meinen Ausweis nochmal sehen wollen würde, käme alles raus.

„Yuuri und ich haben euch etwas mitzuteilen“, beginnt Viktor, als alle im Zimmer sind und die Tür geschlossen ist. Ich halte seine Hand, streichele mit dem Daumen darüber. Yakov haben wir geraten, sich am Besten hinzusetzen. „Wir haben geheiratet.“

Augenblicklich schlägt Yakov die Hände vors Gesicht: „Heilige Maria, Mutter Gottes...!“

„Oh, Herr Feltsman, bitte!“

Noch lässt sich Viktor nicht beirren, aber er greift fester um meine Hand. „Yuuri hat meinen Nachnamen angenommen. In seinem Ausweis steht ebenfalls Nikiforov.“

Yakov nimmt die Hände vom Gesicht. Er sieht zum Fürchten aus.

„Das kann nicht euer Ernst sein, Viktor“, beginnt er. Sein Ton ist auch zum Fürchten. „Was sag' ich den Veranstaltern gleich? Viktor hat sich den Fuß verletzt und kann nicht teilnehmen, aber Katsuki rutscht nach und heißt jetzt auch Nikiforov? Hast du eine Ahnung, wie das klingt?!“

„Hast du eine Ahnung, wie du klingst?“ Viktor wird lauter.

Jetzt drücke ich seine Hand etwas fester und fahre mit der anderen seinen Rücken auf und ab. Er hat schon vermutet, dass Yakov an die Decke gehen würde...

„Seit Yuuri hier ist, behandelst du mich wie ein rohes Ei; als wäre ich wieder 17 und hätte im Leben nichts begriffen! Du stellst selbst nach zwei Jahren, die ich mit Yuuri schon zusammen bin, noch in Frage, ob das überhaupt ernst sein kann! Als ob das nur eine Spinnerei von mir wäre!“

„Vitya... wie redest du mit mir?“

„Ich weiß, dass du es nur gut meinst, Yakov. Aber du siehst immer noch den Teenager in mir, nur der bin ich nicht mehr! Ich führe mein eigenes Leben und ich will es mit Yuuri zusammen verbringen!“

„Viktor, Schatz, reg‘ dich nicht auf“, versucht Jelena zu schlichten.

Ich streiche mit etwas mehr Druck über Viktors Rücken. So aufgebracht erlebe selbst ich ihn nur sehr selten...

„Ich hab zwanzig Jahre lang den Hampelmann gemacht, es reicht jetzt!“

„Schhhh, Viktor...“, versuche ich ihn ebenfalls zu beruhigen. Sofort hält er inne und legt dann langsam den Kopf auf meine Schulter. Dann wende ich an seiner Stelle an Yakov.

„Ich weiß nicht, was sagen kann, damit Sie es akzeptieren können“, beginne ich mit ruhiger Stimme und halte weiter die Hand von Viktor. „Sie wollen nur das Beste für ihn, aber wir alle machen diesbezüglich einen großen Fehler. Wir hören nur auf das, was wir selbst für das Richtige halten. Auch ich habe schon über Viktors Kopf hinweg entschieden, ohne dabei in Betracht zu ziehen, was Viktor überhaupt möchte. Ich hatte Angst davor, ihn nicht mehr als den auf dem Eis sehen zu können, der er die letzten Jahre gewesen ist. Und diese Angst teilen jetzt Sie und alle seine Fans, aber das macht ihn nur unglücklich. Wenn Sie es verstehen könnten, dann-“

„Ey, was soll der Bullshit?!“, platzt es aus Yurio heraus. „Katsudon ist das Beste, was Viktor je passieren konnte! Was uns allen passieren konnte! Kriegt das endlich mal jemand in seinen Schädel rein?!“

Er sieht aus, als würde er gleich anfangen zu heulen. Was ist denn in ihn gefahren, dass er Viktor und mich so in Schutz nimmt…?

„Yuri, du hast keine Ahnung, wovon du gerade redest!“

„Herr Feltsman! Jetzt reicht es aber wirklich!“, erbost sich Jelena lautstark. „Zum Teufel, worüber streiten wir hier überhaupt?! Warum sind wir hier?! Viktor hat einen Unfall gehabt und wir können froh sein, dass es nur ein verstauchter Fuß ist, von dem wir hier reden! Er hätte sich den Kopf bei seinem Sturz ernsthaft verletzten können, dann hätten wir vielleicht ganz andere Dinge zu beklagen! Und statt dankbar zu sein, dass er einen Schutzengel hatte, diskutieren wir über eine Hochzeit! Das ist absolut lächerlich, wirklich!“

Keiner traut sich etwas zu sagen. Dass Jelena so laut werden kann, überrascht mich sehr, aber ich bin ihr und Yurio unendlich dankbar, dass sie uns so verteidigen. Nach eine Verschnaufpause spricht Jelena weiter, allerdings in viel gefassterem Ton: „Der junge Mann hat vollkommen Recht. Ich habe keinen Zweifel, dass Yuuri der Richtige für Viktor ist. Und Viktor hat ein Leben außerhalb der Öffentlichkeit verdient; das muss auch endlich mal gesagt werden.“

Dann wendet sie sich uns beiden zu. „Ich freu‘ mich so für euch. Herzlichen Glückwunsch. Wirklich, ich gönne es euch von ganzem Herzen. Und Herr Feltsman meint es auch nur gut. Er hat dich lieb, Viktor. Und das ist das Problem, genau wie Yuuri gesagt hat. Deine Fans lieben dich, die ganze Nation liebt dich. Du hast uns allen so viel gegeben in den letzten Jahren, dass der Abschied schwer fällt. Aber du hast Recht, deinem eigenen Weg zu folgen und du musst dich vor niemandem dafür rechtfertigen. Oder, Herr Feltsman? Haben Sie und Ihre Frau sich vor ganz Russland gerechtfertigt, als Sie geheiratet haben?“

„Nein, das war aber au-!“

„Dann gehe ich davon aus, dass diese Heirat auch keiner Rechtfertigung bedarf“, übertönt Jelena den russischen Trainer. „Sie werden den Veranstaltern die Dinge berichten, wie sie sind. Viktor hat einen Unfall gehabt und wird nicht teilnehmen können. Wenn die Veranstalter Yuuri nachrutschen lassen, dann wird er als der antreten, der er ist.“

Eh?! Was, war das vorhin etwa ernst gemeint?! Ich soll wieder antreten?! Ich schaue völlig perplex zwischen Yakov und Jelena hin und her.

„Das wird sich zeigen“, knurrt Yakov. „Erstmal muss Katsuki entscheiden, ob er nochmal in den Wettkampf einsteigen will.“

Viktor fängt leise an zu kichern. „Yuuri heißt nicht mehr Katsuki, Yakov. Du musst ihn jetzt bei seinem Vornamen nennen, sonst schauen zwei.“

„Und Yuris haben wir keine zwei oder was, du helles Licht?!“ (ÒmÓ)/

„Wups, stimmt ja! Hab‘ ich gar nicht dran gedacht...“, lacht Viktor etwas lauter. „Das ist jetzt blöd für dich, Yakov. Steigst du doch auf Yurio um?“

„NEIN! Ich will nichts davon hören!“

Viktor lacht nur noch mehr und irgendwie steigen jetzt wir alle mit ein. Auch Yurio.

Dann treffen sich die Blicke von Viktor und mir und ich weiß, dass unsere Entscheidung für das Finale gefallen ist.

Leckerli: Zu Besuch bei Mama und Papa Nikiforov

Am Ende der Saison ist es soweit, dass Viktor und ich seine Eltern besuchen fahren wollen. Seit unserer Hochzeit sind nun mehr als drei Monate vergangen und das Wetter in Russland ist wieder etwas stabiler, sodass wir die Autofahrt in die russische Provinz ohne größere Überraschungen von Schnee und Kälte antreten können.

Wir werden drei Tage bleiben. Viktor meinte, für einen ersten Besuch reiche das vollkommen aus und so sind an einem Freitagmorgen unsere Sachen gepackt, Makkachin liegt bei umgeklappter Rückbank neben unseren Reisetaschen im Auto und wir fahren los. Etwa zwei Stunden wird es dauern, um von St. Petersburg in den kleinen Ort, dessen Name ich mir nicht merken kann, zu gelangen.

Kaum haben wir die Stadt hinter uns gelassen, wirbeln alle Bilder, die Viktor noch vor seinem Umzug nach St. Petersburg zeigen, in meinem Kopf durcheinander. Viktor in der Pfütze mit den Gummistiefeln. Viktor nackt auf einem der Schafe. Viktor mit der Suppenschüssel auf dem Kopf. So niedlich. Ich kann’s kaum erwarten, den Ort zu sehen, an dem alles angefangen hat und ich bin unglaublich gespannt, endlich seine Eltern kennenzulernen.

Dass Viktor ab und zu mit seinen Eltern telefoniert, ist mir im Laufe des letzten Sommers aufgefallen, nachdem mein Sprachkurs angefangen hatte. Es lag daran, dass ich fast immer erkannt habe, wenn er mit Jelena oder Yakov telefoniert hat, aber dann waren da noch diese anderen Gespräche, bei denen Viktor immer überaus komisch geredet hat. Ich habe nie etwas verstanden, egal wie sehr ich mich auch konzentriert habe. Erst als ich bereits anfing, an meinem Verstand zu zweifeln und ihn darauf ansprach, erklärte er mir, dass er mit seinen Eltern telefonierte und dabei Dialekt redete. Die Antwort überraschte mich doppelt, denn mir war nicht klar, dass Viktor neben normalem Russisch, Englisch, Französisch und Japanisch auch noch einen Dialekt beherrscht und dann war da natürlich die erleichternde Tatsache, dass er doch Kontakt zu seinen Eltern pflegte, wenn auch nur telefonisch.

Als wir nach etwas mehr als zwei Stunden in den Ort abfahren, frage ich mich einen kurzen Moment, ob wir wirklich richtig sind. Es ist ein wirklich kleines Dorf, vielleicht ein paar hundert Einwohner. Ich bin erstaunt, dass hier überhaupt jemand wohnt, denn es sieht sehr einfach aus, sehr ländlich und viel Natur, aber es hat einen gewissen Charme. Wir sind an zwei, drei Geschäften, einer Gastwirtschaft und an einer Kirche vorbeigefahren, aber sonst scheinen hier nur kleinere Häuser zu stehen und davon auch nicht besonders viele. Außerdem gibt es absolut nichts, was darauf hindeuten könnte, dass hier ein fünffacher Weltmeister seine Kindheit verbracht hat.

Die Bewohner von Hasetsu hatten nach meiner Silbermedaille im vorletzten Jahr nicht gezögert, Poster von mir überall an jede erdenkliche Straßenecke zu kleben und nach der letztjährigen Goldmedaille stand sowieso alles Kopf. Wirklich etwas davon mitbekommen habe ich zwar nicht, weil wir zu sehr mit Hochzeitsvorbereitungen beschäftigt waren und ich nur den Weg zwischen unserem Onsen und der Eishalle wahrgenommen habe, aber meiner Schwester nach zu urteilen muss die ganze Stadt tapeziert gewesen sein.

Und hier ist irgendwie... nichts. Gut, hier ist auch generell nichts, aber... Es ist gespenstisch normal. Wir stehen vor einer gepflasterten Hofeinfahrt am Rand des Dorfes, das Hoftor vor uns ist aus dunklem Holz und dahinter liegt den Hügel hinauf vermutlich das Haus von Viktors Eltern. Ansonsten sehe ich nur die Straße, die wir vom Ortsmitte hierher gefahren sind auf der einen Seite und weite, weite Felder mit ein paar vereinzelten Bäumen auf der anderen.

„Sie können kein Englisch“, lässt mich Viktor wissen, als er die Handbremse anzieht. „Und du weißt ja, sie reden Dialekt. Du wirst mit dem was du gelernt hast leider nicht viel verstehen, aber sie würden sich freuen, wenn du dich trotzdem vorstellen würdest. Kriegst du das hin?“

„Ich denke schon.“

„Und noch etwas.“ Er schaut mich etwas eindringlicher an. „Sie sind schon älter und sie sind furchtbar nervös. Sie haben nichts gegen unsere Beziehung oder gegen dich, das weißt du. Es ist nur ungewohnt. Dass ich überhaupt jemanden mitbringe, ist schon eine Sensation für sich, aber du bist ja nicht irgendwer, sondern ihr Schwiegersohn. Das ist jetzt ziemlich viel auf einmal und sie müssen sich erstmal dran gewöhnen.“

Jetzt bin ich schlagartig verunsichert. Ich habe irgendwie gar nicht auf dem Schirm gehabt, dass sie ja nicht einfach nur Viktors Eltern, sondern auch meine Schwiegereltern sind! Mein Gesicht muss meinen Erkenntnisschock verraten haben, denn Viktor fügt direkt mit einem Lächeln hinzu: „Du brauchst keine Angst zu haben, Yuuri. Sie freuen sich auf dich.“

Ich hoffe mal, dass er Recht hat.

Wir steigen aus, lassen Makkachin vom Rücksitz und Viktor öffnet das Tor. Er besitzt also auch einen Schlüssel für hier und Makkachin trottet neugierig schnuppernd und ohne zu zögern in den Hof. Im Vergleich zu unserer oder Jelenas Wohnung muss dieser Hof auf dem Land für Makkachin wie das Paradies sein. So viel zu entdecken und vor allem viel Grund, Gras und Dreck.

Dann fällt mein Blick wieder auf das Wohnhaus, dass sich den Hügel hinaufzieht. Es hat einen Stock über dem Erdgeschoss, einen Balkon und die Fassade muss erst vor ein paar Jahren neu gestrichen worden sein, denn die pastellgelbe Farbe scheint noch frisch und ohne größere Verschmutzungen. Gegenüber dem Wohnhaus wächst an einer Mauer entlang wilder Efeu und ein kleines Blumenbeet liegt darunter. Bevor ich mich aber weiter umschauen kann, macht es Klick und die Wohnungstür wird von innen geöffnet.

Ich muss mich anhalten, nicht zu sehr zu starren, jetzt da ich Viktors Mutter zum ersten Mal gegenüber stehe. Sie hat das gleiche Gesicht, die gleichen Augen, die gleiche Haarfarbe. Trotz des hohen Alters von fast siebzig Jahren sieht Eva Nikiforova körperlich noch erstaunlich fit aus. Die Haare sind ganz kurz, sie ist etwa so groß wie ich und sehr schlank. Sie trägt ein hellblaues Damenshirt, braune Stoffhosen und darüber eine dicke Strickjacke. Es ist ein sehr legerer Look im Vergleich zu der sehr gepflegten Garderobe von Jelena und als sie uns sieht, lachen ihre Augen mehr als ihr Mund. Ich hoffe doch wirklich, dass sie sich freut.

„Vitya, Borsch, schee, dass ner do sin. Is des Yuuri?“

Ok, ich hab das erste und das letzte Wort verstanden. Und was zur Hölle hat sie direkt mit Borscht? Sagt sie das wegen der Suppenschüssel-Sache...? Dann umarmen Viktor seine Mutter und die Freude schleicht nun doch in ihre Mundwinkel und von dort in das ganze Gesicht. Viktor lacht sie an und drückt seine Mutter gleich nochmal.

„Bische allee?“

Oh Gott, das klingt so falsch. Viktor, rede wieder normal, bitte.

„Naa, de Vadder is hinne im Gaade bei de Hingel gugge.“

Viktor lacht wieder, auch wenn ich nicht weiß, was lustig war. Dann dreht er sich zu mir. „Yuuri, das ist meine Mutter Eva.“

Etwas unsicher strecke ich meine Hand aus. „E-es freut mich, Sie kennenzulernen.“

Sie schüttelt sie. „Hallo Yuuri. Ich bin Eva Nikiforova, die Mutter von Viktor.“ Oha. Sie kann doch normales Russisch. „Ich muss mich entschuldigen. Wir reden hier viel Dialekt, awwer wenn ich mich anstrenge, geht es etwas besser.“

„Das ist in Ordnung“, antworte ich unsicher. Etwas anderes fällt mir auch irgendwie nicht ein.

„Eva, is de Borsch schun do?“, ruft eine laute, tiefe Stimme. Schon wieder Borscht, gibt es Suppe später zum Essen?! Ich drehe mich nach links und bemerke erst jetzt die Scheune, die weiter den Hügel hinauf am Ende des gepflasterten Innenhofs liegt und deren Tor offen steht. Von dort kommt Viktors Vater aus einer Seitentür innerhalb der Scheune auf uns zu und auf den ersten Blick hat er äußerlich wenig mit seinem Sohn gemeinsam, abgesehen von seinem Lachen.

Man sieht, dass auch Igor Nikiforov noch überaus stramm und fit für sein Alter ist. In jungen Jahren muss er wohl ebenfalls viel Sport gemacht oder sich zumindest körperlich betätigt haben, schließe ich. Die Haare sind abrasiert, aber man kann noch die Stellen erkennen, wo einmal welche gewesen sind. Er hat eine Brille auf der Nase, braune Augen und trägt eine dunkelgrüne Hose, einen gestrickten Pullover, der ein ähnliches Muster wie die Jacke von Viktors Mutter hat sowie einen Anorak darüber.

Statt einer Umarmung schlagen Vater und Sohn die Hände ein. „Hun lang nix mer vun der g’heert. In de Weldg’schicht rumg’flohe bischde widder. Un hosch uns e Oahängsl aus China mitg‘brung.“

„Japan, Vadder.“

„Is doch‘s selwe. E Schlitzaa is Schlitzaa. Duschde uns enanner mo vorstelle?“

„Yuuri, das ist mein Vater.“

Ich strecke erneut die Hand aus, und während ich sie geschüttelt bekomme, werde ich von oben bis unten genauestens betrachtet.

„Der is jo gar net so korz wie isch gedenkt hun. Awwer e Sprienzje. Hesch der net e bissel en kräftischere aussuche kenne?“

„Vadder, loss gut soi.“

„Eijo, was du isch misch do noihenge, des is eier Sach‘.“

Was auch immer. Wir werden von Viktors Mutter nach drinnen gebeten, die sich weiterhin Mühe gibt, normales Russisch mit mir zu reden. Nachdem wir im Wohnzimmer Platz genommen haben, verschwinden beide Elternteile um etwas zu trinken zu holen und ich kann mich einen Moment lang umschauen. Es ist recht dunkel in diesem Wohnzimmer und das tiefbraune Holz der Schränke und die grauen Steinfliesen des Kamins verstärken diesen Eindruck, aber die Einrichtung an sich ist nicht ungemütlich. Das Sofa zumindest ist neuer und will nicht so ganz zum Rest des Zimmers passen, aber man sitzt gut, wie ich finde. Auf den Fensterbänken stehen viele Blumen und kleine Spitzengardinen hängen an den Scheiben. Auch auf dem Tisch liegt eine sehr schöne Spitzendecke, die mir schon beim Eintreten direkt aufgefallen ist.

„Mutter macht das selbst“, sagt Viktor. „Ihr Hobby. Im Winter sitzt sie immer am Liebsten hier beim Kamin und macht diese Decken.“

„Ok... Die ist echt schön... sieht nach viel Arbeit aus“, antworte ich.

Viktor lacht. „Ja, ist es.“

Bevor er weiter etwas sagen kann, sind die Eltern zurück und es beginnt eine lustige Frage-Antwort-Runde zwischen ihnen und Viktor. Wie wir uns kennengelernt haben, warum das mit der Hochzeit erst gar kein Thema war und dann doch so hoppladihopp geheiratet wurde und, und, und. Nach etwa einer Stunde habe ich mich an den Klang des Dialekts gewöhnt, auch wenn ich ihn kein bisschen besser verstehe. Viktors Vater ist etwas ruppig im Ton und Viktor klärt mich auf, dass er früher in einer anderen Stadt gewohnt und die Familie nur wenige Tage im Jahr gesehen hat. Vater und Sohn kennen sich deswegen nicht übermäßig gut und Herr Nikiforov hätte wohl lieber einen Eishockey-Weltmeister statt einem Eiskunstlauf-Weltmeister, aber letztendlich sei „en Weltmeeschter en Weltmeeschter un des wär aa was.“

Viktors Mutter ist vom Typ her eher normal und einfach gestrickt. Sie interessiert sich für Viktor, aber man merkt ihr an, dass sie sich schwertut, Viktors Erklärungen zu folgen. Sie macht auch ein bisschen den Eindruck, als täte es ihr leid, Viktor nicht so unterstützen zu können, wie sie es gerne wollte und ich beginne langsam zu verstehen, wo der Unterschied zwischen Frau Nikiforova und Jelena liegt. Jelena hat die Vorstellungskraft, Viktors Leistung in vollem Maße anzuerkennen und Viktor aufzubauen und ihn nach vorne zu bringen. Das fehlt Viktors Mutter, aber das macht sie nicht zu einem schlechteren Menschen. Sie liebt ihren Sohn auf ihre eigene Art und Weise.

Nachdem die Fragerunde ihr vorläufiges Ende gefunden hat, bin ich froh, wieder aufstehen zu können. Das Sitzen im Auto und jetzt im Wohnzimmer war dann doch etwas viel und ich lasse mich von Viktor im Hof herumführen. Die Scheune ist gleichsam die Garage und von dort aus gelangt man über drei Stufen und eine Tür in den dahinter gelegenen Garten. Dort befindet sich auch der Hühnerstall, den Jelena mir gegenüber bereits ganz am Anfang erwähnt hat. Vom Garten aus hat man einen Blick über ein weites Areal und in der Ferne sehe ich inmitten der großen Wiese einen weiteren Stall. Die Fläche ist eingezäunt und zur Linken wachsen, wahrscheinlich durch den großen Weiher begünstigt, einige Bäume, dichte, hohe Büsche und Gräser, die sich fast den ganzen Zaun entlang bis zum Stall um einen Feldweg säumen.

„Schafe haben meine Eltern keine mehr“, beantwortet Viktor meine unausgesprochene Frage. „Zu viel Arbeit. Von den Hühnern aber wollen sie sich nicht trennen, auch wenn sie nur darüber meckern.“

„Wollen sie hier wohnen bleiben?“

„Ja. Sie sind Landmenschen. Ich hab ihnen schon angeboten, nach St. Petersburg zu kommen, aber sie bleiben lieber hier. Sie sind zufrieden, mit dem was sie haben.“

„Dann ist ja gut.“ Etwas anderes fällt mir nicht ein.

„Komm, ich zeig‘ dir meinen Lieblingsplatz“, schlägt Viktor vor. „Ich war dort immer mit Wrasi spielen.“
 

Viktor geht mit mir über den Hof zurück an der andere Seite der Scheune vorbei und eine kleinen Pfad zu dem Weiher hinunter, an dem ich einige Sekunden stehen bleibe. Das muss der Weiher sein, auf dem der kleine Viktor das Eislaufen geübt hat und versuche mir vorzustellen, wie er wohl zugefroren ausgesehen hat und wie Viktor darauf Schlittschuh lief. Wahrscheinlich kommt meine Vorstellung nur halb so nah an die Realität heran, aber es reicht aus, dass ich lächeln muss und greife nach seiner Hand.

„Ich war immer am liebsten bei den Tieren,“ erzählt Viktor, als wir den Weg entlang schlendern. „Ich konnte es nie abwarten, dass Jewi mich mit zu den Schafen genommen hat.“

„Jewi?“

„Jewgeni, mein Onkel. Ich hab ihn als Kind immer Jewi genannt. Er hat dann immer gelacht und Vikki statt Vitya zu mir gesagt. Dann habe ich mich beschwert, dass das wie ein Mädchen klingt.“

Darüber muss ich lachen. „Du sahst aber wirklich aus wie eins. Du warst echt niedlich als Kind.“

„Ja, von wegen“, protestiert Viktor, aber er steigt in mein Lachen ein. „Du warst viel niedlicher. Und deine Eltern haben so schöne Fotos von dir gemacht. Und was macht meine? Dokumentiert ausgiebig jede Sauerei, die ich veranstaltet habe oder fotografiert mich, wenn ich nackt durch die Gegend gerannt bin.“

„Wahrscheinlich bist du einfach ständig nackt durch die Gegend gerannt und sie hatte einfach keine andere Chance?“, ziehe ich ihn auf und stupse ihm mit dem Finger in die Seite.

Er lacht. „Das kann auch sein... Yuuri, lass' das.“

Wir erreichen eine Gabelung. Links geht es weiter an der Weide entlang, rechts steht ein schulterhohes Schwenktor aus Holzstämmen, von dem aus man zu dem leerstehenden Stall gelangen kann. Es ist mit Ketten und einem Vorhängeschloss gesichert.

„Das letzte Mal war da noch kein Schloss...“, kommentiert Viktor überrascht. Er sieht auch etwas enttäuscht aus.

„Wolltest du in den Stall?“

„Ja.“

„Und was wolltest du da machen?“, frage ich etwas irritiert.

„Dich ausziehen und eine Sauerei veranstalten.“

„Ok, und jetzt ernsthaft?“

„Das war ernst.“

Bitte was?! Hat er gerade angedeutet, dass wir es von jetzt auf gleich in dem Stall machen sollen?! Ich frage überrumpelt: „Wolltest du mir nicht deinen Lieblingsplatz zeigen?“

„Warum bist du so entsetzt, Yuuri?“ Viktor schaut mich mit großen Augen an. „Zum Einen ist das mein Lieblingsplatz und zum Anderen hatten wir schon lange keinen Sex mehr außerhalb unseres Schlafzimmers. Es wäre jetzt nicht das erste Mal, dass wir es an einem etwas ungewöhnlicheren Ort tun... wir hatten auch Sex im Onsen deiner Eltern. Mehrmals.

„Ja, aber wo sollen wir es hier machen, Viktor? Ich kann dich nirgends hinlegen, es ist überall dreckig und es ist noch viel zu kalt, um sich auszuziehen.“

Er schaut enttäuscht.

„Es ist nicht so, dass ich nicht wollte...“, füge ich hastig hinzu. Genau genommen läuft in meinem Kopf schon ein Film und die Vorstellung, es mit ihm an einem beinah unschuldigen Ort wie diesem zu tun, ist unheimlich verlockend. Ich spüre es bereits deutlich...

„Yuuri… macht es dich an, dir vorzustellen, dass wir es hier tun?”

Viktor kommt dicht an mich heran, greift nach meinen Hüften und stellt die Beine auseinander, sodass wir auf gleiche Höhe kommen und er sich gegen mich reiben kann. Vielleicht ist das doch keine schlechte Idee... Er fühlt mich und ein Grinsen zieht sich über sein Gesicht. „Hm, ich würde sagen ja.“

„Du legst es darauf an...“ Ich kann nicht anders als die Einladung anzunehmen. Ich greife um ihn herum und fasse an seinen Hintern.

„Yuuri... ich hab Lust auf dich“, flüstert er mir ins Ohr. „Ich will...“

„Ja? Sag es, sonst mache ich nichts“, antworte ich auffordernd und knete seinen Hintern fester. Er stöhnt.

„Was willst du, Viktor?“, frage ich noch einmal fordernder und ich packe ihn fester. Er wird es sagen müssen. Gerade eben hat er es noch locker über die Lippen gebracht, aber er muss schon etwas genauer werden. Die Lust benebelt ihn und es ist ein aufregendes Spiel, ihm diese Worte noch einmal zu entlocken, wenn die Stimme heißer und die Wörter schmutziger sind.

„Yuuri... fick‘ mich...“

Meine Mundwinkel formen ein zufriedenes Grinsen. Das leichte Rosa auf seinen Wangen und das Funkeln in seinen blauen Augen... Es erregt mich, ihn so zu sehen und zu wissen, dass ich der Einzige bin, dem er sich so zeigt. Aber es geht noch besser. Viel besser. Ich lasse seinen Hintern los, um mir die Brille abzusetzen. Sie verschwindet schnell in meiner Jackentasche und ich greife nach Viktors Nacken um ihn zu mir zu ziehen und zu küssen.

Ahh... Und er ist ungeduldig. Ich spüre seine Hand schon an meiner Hose, die zwischen meinen Beinen auf und abfährt. Er weiß viel zu genau, wie er das Spiel mit mir zu spielen hat... Und es fühlt sich gut an...

„Viktor... wir haben gar nichts dabei“, erinnere ich ihn, als wir unseren Kuss beenden. Aber eigentlich ist es nur eine Randbemerkung ohne Bedeutung. Es wird Viktor nicht davon abhalten, mir seine Kehrseite anzubieten, um befriedigt zu werden. Aber er schaut überrascht, als sei ihm dieser Umstand jetzt erst aufgefallen, dass ich darüber schmunzeln muss. Ich liebe es, wenn er nur noch mich im Kopf hat und alles andere vergisst...
 

Etwa eine halbe Stunde später sind wir auf dem Rückweg und ich muss mich anstrengen, dass Grinsen aus meinem Gesicht zu bekommen, aber Viktor hat ähnlich Probleme damit. Auf eine merkwürdige Art und Weise fühlt es sich an als wären wir nicht mehr 25 und 29, sondern eher 15 und 19, weil wir etwas getan haben, was man in diesem Alter nur zu gerne vor den Eltern geheim halten will. Dabei ist es eigentlich völliger Blödsinn. Wir sind verheiratet, Viktors Eltern werden sich ihren Teil auch denken können, aber vielleicht ist es der Umstand, dass wir zum ersten Mal hier sind, dass wir gerade bei jeder Kleinigkeit anfangen zu kichern und lachen. Aber solange es keiner außer uns hört und mitbekommt, ist alles in Ordnung. Und es gibt ein kleines Geheimnis mehr, das nur wir beide teilen.
 


 

„Saach emol, Borsch,“ beginnt Viktors Vater am Abend beim Essen. Mittlerweile habe ich verstanden, dass wenn sie „Borsch“ sagen, Viktor gemeint ist und es nicht um Borscht, die Suppe, geht. Allerdings essen wir gerade tatsächlich Borscht zum Abendessen. „Ich hun do so e Ding kaaft ver im Audo se filme, falls mer eener in de Kaare fahrd. Du weeschd doch wie so e Ding funktioniere dut.“

„Eine Dashcam?“, fragt Viktor. Solange ich anwesend bin, hat Viktor mir versprochen, keinen Dialekt zu reden, sodass ich den Gesprächen besser folgen kann und ich bin ihm sehr dankbar dafür. Auch wenn seine Mutter sich weiterhin Mühe gibt und ich ihr einigermaßen folgen kann, wenn sie langsam redet, kann ich Viktors Vater kein bisschen verstehen, der offensichtlich wirklich nur im Dialekt reden kann, weil er es nie anders gelernt hat.

„Ja, so heest des.“

„Vadder, es ist spät und dunkel. Wir schauen morgen danach, ok?“

„Aller hopp. Awwer ich bring der die Oaleitdung, dann kannsche schun emol lese“, sagt er bestimmt.

„Ja“, seufzt Viktor. „Ich schau's mir später noch an.“

Herr Nikiforov steht auf und geht in Richtung Wohnzimmer, wir bleiben mit Viktors Mutter am Küchentisch zurück. Dann dreht sich Viktor zu mir und wechselt auf Englisch. „Es ist immer dasselbe. Kaum bin ich hier, muss ich ihm irgendwas erklären. Ob das der Fernseher ist, die Kaffeemaschine oder jetzt eben die Dashcam. Frag' nicht nach dem Drama, als er ein Handy gekauft hatte. Hat bei mir angerufen und wollte, dass ich ihm erkläre, wie das funktioniert, obwohl ich durchs Telefon ja nicht mal sehen konnte, was er da gerade macht!“

Ich muss mich arg beherrschen nicht zu lachen. Aber nicht wegen Viktors Vater, sondern weil Viktor mindestens genauso gut dämliche Fragen stellen kann, wenn gedanklich mal wieder im Off ist. Und natürlich, weil offensichtlich auch ein fünffacher Weltmeister nicht von dämlichen Fragen seitens der Verwandtschaft verschont bleibt.

Sein Vater kommt zurück und gibt Viktor die Anleitung in die Hand. Viktor stützt die Ellbogen auf den Tisch und blättert lustlos einmal durch. Dann schaut Herr Nikiforov zu seiner Frau. „Was gebbt’sn eischentlich zum Kaffee moije? Wissen die Zwee des schun?“

„Ei, Kuche natürlich.“

„Mutter!“ Viktor haut sich die Anleitung vors Gesicht. „Des is doch wohl klar. Vadder meint was für einen.“

Jetzt kann ich echt nicht mehr. Ich drehe mich zur Seite und versuche, ein lautes Lachen zu unterdrücken. Auch Frau Nikiforova hat Schwierigkeiten, dass Lachen gänzlich zu unterdrücken, als sie die Banalität ihrer Antwort bemerkt.

„Her sach emol, dei freches Mundwerk hosche immer noch!“, beschwert sie sich und fällt wieder in den Dialekt zurück. Viktor duckt sich etwas und grinst seine Mutter schuldbewusst an. „Do, dein Mann lacht schun! N Riwwelkuche hun isch g’macht!“

Hatte ich den Eindruck, meine Familie wäre manchmal peinlich? Ja, manchmal sind sie verdammt peinlich, aber das, was die Drei hier veranstalten, hat gute Chancen, die beste Real-Life-Comedy zu werden, die ich je erlebt habe. Also geklaut hat Viktor seine Dusseligkeit eindeutig nicht.

„Nur geriwwelt odder aa mit was drin?“, fragt Viktors Vater, als hätte er die letzten Sätze gar nicht registriert und während ich versuche, mich zu beruhigen, fällt mir wieder ein, dass Viktor gesagt hat, sein Vater esse sehr gerne Kuchen. Daher gehe ich davon aus, dass Viktors Mutter backen kann, auch wenn ich keinen Plan habe, wie ich mir diesen Riwwelkuche vorzustellen habe. Hm. Ich könnte ja...

„Viktor?“, frage ich unschuldig. Gott, die Vorlage ist zu steil, es nicht zu versuchen. „Aus was besteht dieser Kuchen?“

„Aus Teig, Yu-“

Ich brech' weg. Das war so klar! Gerade weil ich ihn vor ein paar Tagen gefragt hatte, mit was er das Chili con carne kochen will und er mit „Fleisch“ geantwortet hat. Viktor hat dann versucht, sich rauszureden, weil er dachte, ich wisse nicht, was con carne heißt, aber der Fail war offensichtlich. Yurio hat sich den ganzen Abend über nicht mehr eingekriegt und gefragt, wie ich das jeden Tag aushalten kann ohne die Krise zu bekommen, wenn er solche Sachen loslässt.

Ganz einfach die Liebe. Ich hab ihn geheiratet, jetzt muss ich damit leben.

Aber ich tu es gerne und weil Viktor gerade ziemlich schockiert darüber ist, dass ich ihn ins offene Messer hab laufen lassen, muss ich erst mal wieder ein bisschen Wiedergutmachung betreiben. Insbesondere weil ich von seiner Mutter aufgeklärt werde, dass besagter Riwwelkuche tatsächlich nur aus Teig und Streuseln besteht und Viktor so gesehen nicht falsch geantwortet hat.

Sicherheitshalber wechsele ich aber auf Japanisch, um ihm ein bisschen die Seele zu streicheln.

Mein süßer, dusseliger Vitya. Ich liebe dich. Und deine Eltern auch.


Nachwort zu diesem Kapitel:
[Hey Yurio, kommst du mit zum Flughafen? / Katsudon abholen? Wenn’s sein muss. Wie kommen wir hin? / Wir fahren mit meinem Auto natürlich! / Wann bist du das letzte Mal Auto gefahren?! / Irgendwann im Sommer letztes Jahr. / ...ich hab Angst.]

Zweites Kapitel: Ich in St. Petersburg – Fangirl-Alarm! Mein neues Zuhause!
Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
[Erinnerst du dich noch an unseren Anfang, Yuuri? / Ja, du hast mich auf der Eisfläche umgehauen. / Nein, du hast wohl eher mich umgehauen <3 / Viktor, Makkachin ist auch noch hier! / Stört das? / Jaaaa!]

3. Kapitel: Eine Nacht in Peking – Eros und Katsudon!


Zusatzinformation: St. Petersburg & Moskovskaya Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
[Yuuri, ich muss dir morgen unbedingt jemanden vorstellen <3 / Wen denn, Viktor? / Die beste Frau der Welt <3 / Aha? Und was macht sie zur besten Frau der Welt? / Einfach alles. Ich liebe sie <3 / WAS?!]

Kapitel 4: Eine Vitrine voller Erinnerungen – Wer ist Frau Praslova?


Zusatzinfos: Viktors Wohnung
Für alle, die interessiert und über 18 sind: Hier ist die vollständige Version der Rückblende: Eine Nacht in Peking - Eros und Katsudon (OS) Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
[Hast du schon Ideen für die Programme kommende Saison, Viktor? / Klar, bin so gut wie fertig. / Eeeehhhh? So schnell?/ Sicher. Yuuri, hast du dir schon was überlegt? / Katsudon hat doch nur verquirlte Eier im Kopf... / Du hast auch noch nichts, Yurio! / Hachja, dann muss ich wohl wieder ran. Wie wär’s mit Dick und Doof? :D / VIKTOR!]

5. Kapitel: Finde deine Geschichte – Die neuen Programme!


Anmerkungen:
(*) Ich habe gelesen, dass das Kostüm zu Tschaikowskys „Die Zuckerfee“ gehören soll, aber es überzeugt mich nicht. Sorry. Mein erster Gedanke zu diesem Outfit war und wird „Der Vogelfänger“ aus Mozarts „Die Zauberflöte“ bleiben. Ich finde, es passt so viel besser zum Kostüm und zu Viktor. Verzeiht mir, dass ich mir die künstlerische Freiheit nehme und das Outfit damit neu besetze. Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
[Wenn Viktor im Fernsehen auftritt, machen wir uns einen schönen Abend zu zweit, nicht, Yuuri? Was möchtest du essen? / Machen Sie sich keine Umstände, bitte. / Ach was, für dich gerne, mein Lieber. / Was ist das für ein zerissenes Foto? / Oh... / Oi Alter, let it gooooo~]

6. Kapitel: Eiskönig oder Eiskönigin? – Yuuri’s Chihoko?! Michal Chateau!



(*) Im Original sitzen sie auf dem Dach. Aber es wäre ein ziemlich dämlich konstruiertes Ninja-Schloss, wenn man betrunken noch bis aufs Dach klettern könnte, oder? ;P Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
[Hey Yurio, fesch siehst du aus. Wie ein Knallbonbon! :D / Halt die Klappe, Viktor! / Ist mit dem Blödsinn jetzt endlich mal Schluss auf den billigen Trainerplätzen?! / Ruhig, Yakov. Wir machen nur noch schnell ein Foto für Otabek von unserer Orienttänzerin hier. / Victor, I'm wearing my knife shoes!]

7. Kapitel: Russian Nationals – Yuri Plisetsky: Arabesque


Zusatzinfos: Aussprache über Michal Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
[So, jetzt ist der Alte dran. / Ich bin ganz schön aufgeregt. Wie das Programm wohl wird? / Wenn er ein Bettlaken trägt, kann’s ja nicht sehr spannend sein. / Yuri, ist jetzt endlich Ruhe! / Lass' ihn, Yakov. Wer das Maul am Weitesten aufreißt, wird gleich am Meisten überrascht ;D ]

8. Kapitel: Russian Nationals – Viktor Nikiforov: Das Comeback


Und hier ist noch der Link zur Musik: Arabesque Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
[Wo kommen diese ganzen Fanmassen her? / Was hast du gedacht, Katsudon? Viktor hat ein paar mehr Fans als du. / Genau genommen ganz Russland, Yurio ;-) / Tz, das hättest du gerne! / Da stehen einige nicht so nette Dinge auf den Bannern, Viktor. / Ignorier' sie, Yuuri, und bleib bei mir, ja?]

9. Kapitel: Russian Rockstar – Mit einem kleinen Unterschied
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Nachwort zu diesem Kapitel:
[Yuuri, bald fliegen wir nach Paris <3 / Viktor, nicht so laut! Yakov kann uns hören... / Katsudon, kannste was für Detroit empfehlen? / Eh, wieso? / Irgendwas cooles, wo man abhängen kann... / Yuuri, Otabek ist auch beim Skate Amerika, ob Yurio ein Date hat? / Halt dich raus, Alter!]

10. Kapitel: Croissant, Baguette, Eiffeltürm – Bienvenue à Paris! (with love)


Zusatzinfos: Interview mit Viktor Nikiforov

(*) Ich konnte nicht herausfinden, ob man das Spiel in Russland kennt oder nicht. Aber ich wollte die Ente unbedingt drin haben XD“ Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
[Endlich sind die zwei weg. Göttliche Ruhe ~ / Warum sind sie überhaupt so früh weg?! Hab' ich denen das erlaubt?! Georgi und ich fliegen erst morgen! / Und wenn schon, Yakov. Ab übermorgen geht Katsudon der Arsch eh auf Grundeis. // Hey, wieso sind alle so pessimistisch wegen mir?!]

11. Kapitel: Trophée de France – Yuuri Katsuki: Find your Story
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Nachwort zu diesem Kapitel:
[Yuuri, Yurio hat uns zu seinen Großvater eingeladen. / Eh, wirklich? / Ja, ihr nervt oft, aber eigentlich seid ihr ganz ok. / Wow... wir sind nicht mehr peinlich, Yuuri! :D / Du übertreibst, Viktor. Ich glaube nicht, dass wir Yurio peinlich sind. / Du nicht, Katsudon. Deine Dramaqueen schon. / Waaaas, Yuuri! Ich bin keine Dramaqueen D: / …........ the fuck you are.]

12. Kapitel: Rostelecom Cup – Ich liebe Umarmungen!



Additional Songs:
Phichit Chulanont: He's a pirate (Pirates of the Carribean)
Christophe Giacometti: Pokerface (Lady Gaga)
Sebastian Wagner: Symphonie (Silbermond) Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
[Yuuri, ich geh noch mal schnell mit Makkachin. / Ok, nimm aber die Jacke mit, es ist kalt. / Brauch' ich nicht, bin gleich wieder da. / Viktor, du sollst dich nicht erkälten. Zieh' deine Jacke an. / Schon gut, was immer du sagst <3]

Kapitel 13: Das Aus im Finale?!
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Nachwort zu diesem Kapitel:
[Yakov, was ist jetzt mit Katsudon und Viktor?! / Keine Zeit, ich muss sofort ins Krankenhaus! / Was, ich komme mit! / Dann mach' hin, ich ruf' Tschekowsky an! Lilia, wir fahren! / Meine Güte, Yakov! Er liegt nicht im Sterben! Verschwindet alle beide, ich habe von diesem Affenzirkus jetzt schon Migräne!]

Kapitel 14: Grand Prix Final, Vienna
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Nachwort zu diesem Kapitel:
[Hi, verheirateter Mann. / Chris, Yurio, was gibt's? / Wir fallen für ein paar Hochzeitsbeweisfotos in das nikiforov’sche Hotelzimmer ein. Wo ist dein Gatte? / Interviews? Goldgewinner sind viel gefragte Leute (> v o) / ...Du bist ganz schön frech, dafür dass du aus dem Finale fein raus warst. Was Yuuri wohl dazu sagen würde, wenn ich mich nackt zu dir ins Bett lege? / Oi, dann mach' ich Schweizer Käse aus dir, ich hab' genug von dieser Fotokacke! Außer Katsudon legt sich niemand mehr zu dem Alten ins Bett!!!]

Kapitel 15: Hochzeitsfieber! - Mit Gold nach Hasetsu!




Liebe Leser! (° v °)/
Wir haben einen Sieger!
Und weil wir jetzt alle sicherlich ein paar Lebensgeister brauchen, wird im nächsten Kapitel nicht nur Hochzeit gefeiert, sondern ich verlinke auch einen Weblog, in dem ihr neben einer weiteren Fail-Compilation auch die kompletten Listings aller Songs aller Läufer inklusive der Exhibition-Songs finden könnt. Außerdem gibt es für alle Interessierten eine Erklärung, warum die Lieder für den jeweiligen Läufer so gewählt wurden, wie sie sind und was dahinter steht.
Über ein Feedback zu diesem Finale würde ich mich jederzeit sehr freuen! <3
Flokki Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
MUSIK:
Groko/Blumentanz: Once upon a December
Eröffnungstanz: Überraschung

Liebe Leser!

Vielen Dank, dass ihr bis zum Schluss dabei geblieben seid und hoffentlich gerade mit einem breiten Grinsen vorm Bildschirm sitzt oder durchs Zimmer tanzt! Wenn euch die Geschichte gefallen hat, freue ich mich über einen Kommi, einen Favo oder eine Weiterempfehlung ^^
Und hier die gute Nachricht: Das ein oder andere Leckerli liegt noch still und leise bei mir und schaut mich mit großen Augen an und will gelesen werden. Außerdem ist da noch „Die Sache mit Michal“... Also! Die Hauptstory ist vorbei, aber ein bisschen Lesefutter gibt es noch!
Die Sidestory „Die Sache mit Michal“ wird am 3. Oktober starten. Bitte verzeiht, dass ich die komplette Zusatzgeschichte auf Adult setzen werde, denn drei von fünf Kapiteln enthalten deutliche Szenen und müssten generell gekennzeichnet werden, sodass es kaum Sinn macht, nur zwei Kapitel für alle offen zu belassen.

Und wie versprochen gibt es in diesem Nachwort auch den Link zum nächsten Weblogeintrag, der die Auflistung aller Songs, eine Fail-Compilation als auch ein paar Worte von mir zu der jeweiligen Songauswahl beinhaltet:
Weblog Russian Diaries File 5: Complete Song Listing & Fail Compilation

Ich möchte mich an dieser Stelle auch nochmal bei allen bedanken, die so viel Geduld mit mir hatten und diese Geschichte überhaupt möglich gemacht haben. Ihr seid die Besten <3

Eure Flokki

Edit 14.08.2018:
Auch wenn diese FF schon fast ein Jahr alt ist, ich freue mich immer über Rückmeldungen, eure Gedanken, Kommentare oder Favoriten :)
Vielen Dank! Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Liebe Leser,
Überraschung, Kapitel 16! :D
Die Russian Diaries haben diesen Monat insgesamt 170 Leser erreicht - ich bin ein bisschen geplättet und möchte mich mit dieser Zugabe bei euch bedanken <3
Sie ist kein Teil der eigentlichen Leckerlis, aber ich möchte sie dennoch mit euch teilen, um das größte Geschenk zu enthüllen, dass mir während der Arbeit an dieser FF gemacht wurde.
Sie setze lieblich wie ein kleiner Stern in meine Hand, wollte gern gehabt werden und sie hat zusammen gebracht, was zusammen gehörte.
Hier ist der letzte Weblog zu dieser Fanfiction:

Storytime - untold

Ich habe auch die Kostüme der Kurzprogramme gezeichnet, also reinschauen lohnt sich! :D

Flokati Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Liebe Leser,
jetzt ist es vorbei. Wirklich vorbei.
Vielen Dank für eure Treue, die vielen Favoriten und die vielen Klicks - ich hätte echt nicht damit gerechnet! <3
Ein bisschen schuldig fühle ich mich, dieses Kapitel zensiert zu haben, aber um alle teilhaben zu lassen und eine Klassifizierung zu vermeiden, musste das sein (_ _)"

Schaut vielleicht noch fix in meinem Weblog vorbei, denn es gibt eine weitere Ankündigung, die an fleißige Leser natürlich zuerst weitergegeben wird:
Weblog: Danke und Ankündigung
Wenn euch meine Geschichten gefallen und ihr gerne mehr lesen wollt, seid so lieb und hinterlasst mir Favoriten und/oder Kommentare, das spornt die Autorin an! (^^)
Bis zum nächsten Mal,
Flokki Komplett anzeigen

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Kommentare zu dieser Fanfic (67)
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Von:  -Darkness-
2018-05-19T15:53:46+00:00 19.05.2018 17:53
So ich habe, jetzt alles schön nach Chronologie gelesen und bin immer noch sprachlos.
Ich weis nicht welcher der Teile mir am besten gefallen hat, ich kann es auch nicht mal bestimmen, denn jeder der Teile war einfach nur genial. Du hast es so gut in die Serie mit eingebunden, dass man sich das alles so gut vorstellen konnte, da müsste man den Anime nicht einmal kennen XD.
Aber als ich dann noch 2nd Season: Russian Diaries gelesen habe, war es endgültig vorbei, ich liebe diese FF einfach nur mehr und das was du daraus gezaubert hast, die Musik, das Programm, die Kür, dass muss ja ne verdammt harte Arbeit gewesen sein aber ehrlich, total ….. mir fällt dazu einfach kein passendes Wort ein.

Kapitel 14 war am Emotionalsten, ich konnte mir das alles so gut Bildlich vorstellen, so gut hast du es beschrieben und alleine wie Yuuri das Kurzprogramm gelaufen war und Victor verschwunden ist….
Und dann noch, die Gedanken von Victor bei der anderen Kür…. Die Kommentatoren, das war klasse, ich habe regelrecht mitgefiebert und eine Gänsehautbekommen. Sorry ich bin immer noch hin und weg obwohl ich es ja schon seit gestern, durch hatte komm ich leider erst heute dazu etwas zu schreiben.
Und dann die nächste Überraschung, ich habe mich ja schon gewundert warum Yuuri zu Victor ins Zimmer durfte und dann, erst als ich das nächste Kapitel gelesen habe, mir ist regelrecht die Luft weggeblieben, ich habe den Satz da zweimal lesen müssen XD
Es war schön das du den 25.12 als Datum ausgesucht hast, jetzt hat Victor wenigstens einen Grund zum Feiern XD und das du das Lied auf Russisch ausgesucht hast fand ich auch gut, es hört sich in russischen genauso schön, wie auf Englisch oder Deutsch an. Es ist nun mal ein verdammt schönes Lied
Das Leckerli das zum Teil aus Yurios Sicht war, fand ich echt zum Lachen, man kann ihn sehr gut verstehen, alles dreht sich immer nur um Victor… der arme aber was er dann loslässt. Ich liebe diesen Absatz XD
„Sie sind verlobt.“ werfe ich genervt dazwischen. Mann, was muss da groß rum machen... „Das gilt aber nicht als familienangehörig, junger Mann. Sie müssten verheiratet sein, damit es anerkannt wird.“ Das weiß ich, ich bin nicht bescheuert, aber ich versuche gerade Katsudon den Arsch zu retten!
Aber nicht nur der, es war einfach alles was Yurio über die heimliche Hochzeit erzählt hat, das kreidebleiche Gesicht von Yakov hätte ich zu gerne gesehen auch wie Yurio sich gegen Yakov gestellt hatte, von wegen er soll nicht so sein….
Der Besuch bei Victors Eltern war auch schön beschrieben alleine der Dialekt, ich habe mir zu Anfang auch ein klein wenig schwergetan aber dann konnte ich es lesen und sogar verstehen. Wenn man es einmal kann, ist es nicht mal so schwer.
Wie schon zum Anfang gesagt, ich liebe diese FF egal ob es jetzt der Teil war oder die anderen in der Chronologie, mir fehlt jetzt nur mehr die Side Story und ob ich die Lese… da muss ich noch viel überlegen, denn irgendwie interessiert es mich ja schon, was da zuvor war.
Na auf jeden Fall landen alle diese Chronologisch gelesenen FFs bei mir in die Favoriten Liste, das ist schon mal klar, denn was anderes kommt ja nicht in Frage XD

So das war es auch schon wieder von mir, ich hoffe ich lese noch mehr von dir und deinen super genialen Geschichten, bis dahin

Lg Darkness




Antwort von:  Flokati
21.05.2018 13:57
Liebe Darkness,
vielen Dank für deinen Kommentar! Ich freue mich sehr darüber, dass dir meine FFs so gut gefallen haben :D
Insbesondere diese FF hat viel Zeit und Kraft gekostet und zu lesen, dass es die Mühe wert war, bedeutet mir sehr viel. Mit Yurio und Viktors Eltern hatte ich zum Ende den meisten Spaß, gerade weil bach dem großen Finale doch noch etwas Neues für die Geschichte war :)
Ich werde mich bemühen auch in Zukunft schönes Geschichten zu schreiben.
LG
Flokati
Von:  YUAL-Jury
2018-05-08T12:06:23+00:00 08.05.2018 14:06
Hallo Flokati,

wir bewundern dein Bestreben dich stets weiterentwickeln zu wollen (Rückfragen zu unserer Meinung), obwohl du uns bereits mit einer Kürgeschichte von den Kufen gehauen hast. Deine Liebe zum Detail (direkte Fehlerrecherche von Tippfehlern) und dein Eifer für das Schreiben bestätigen uns noch einmal mehr bei unserer Kür-Wahl. So sehr dir die Geschichte am Herzen liegt, so sehr wollen wir noch einmal betonen, wie gut sie uns gefallen hat.

Unvergesslich im Gedächtnis geblieben ist uns das Read Along aus Kapitel 8 - Russian Nationals – Viktor Nikiforov: Das Comeback. Wir möchten hier nur ungern etwas über den Inhalt verraten, empfehlen aber jedem zukünftigen Leser, dem Autorenhinweis zu folgen und das Lied zum angegebenen Zeitpunkt zu starten. Die beschriebenen Bewegungsabläufe visualisieren den Eiskunstlauf mühelos, so dass es auch Nichtkennern der Sportart ein Leichtes ist, dem Tanz auf dem Eis zu folgen. Ergänzende Metaphern, die einen faszinierenden Bogen zum gewählten Kostüm schlagen, erzeugen Spannung, Mitgefühl und bei einem der Jury-Mitglieder sogar eine richtige Gänsehaut.

Grundsätzlich fungieren die verlinkten Lieder als interessantes und ergänzendes Feature, was die unterschiedlichen Stile der Küren innovativ hervorhebt oder zusätzlich unterstreicht. Beispielsweise die heroisch wachsende und sich steigernde Melodie in Kapitel 11 - Trophée de France – Yuuri Katsuki: Find your Story, die von Yuuri in seiner Kür adaptiert wird, während er sich mit seinen eigenen emotionalen Unsicherheiten auseinander setzen muss.

Yuuris charakterliche Entwicklung hat uns darüber hinaus in der gesamten Fanfiction überzeugt. Du hast seinen künstlerischen Werdegang auf dem Eis aus der ersten Staffel des Animes in seine charakterliche Festigung in dieser schriftlich festgehaltenen Staffel transportiert und mit tollen Ergänzungen und Weiterentwicklungen im Privatleben des jungen Paares gearbeitet, ohne dass Yuuri uns in irgendeiner Weise out of character erschienen wäre.

Solltest du dich an einer dritten Staffel versuchen, zögere nicht, uns als Jury in die Jury zu setzen, damit wir den Protagonisten volle Punktzahlen zuwerfen können. ;-)

Bleib auf jeden Fall am Ball bzw. auf dem Eis an den Kufen, und bereichere Animexx weiterhin mit wundervollen Ideen und Geschichten.

Sportliche Grüße,
die YUAL-Jury
Antwort von:  Flokati
11.05.2018 07:29
Vielen lieben Dank für das ausführlichen Erläuterungen und für die ganze Unterstützung! :)
Ich werde natürlich am Ball bleiben, um weiterhin schöne und spannende Geschichten zu schreiben.
Liebe Grüße,
Flokati
Von:  YUAL-Jury
2018-03-20T11:39:45+00:00 20.03.2018 12:39
Hallo Flokati!

Ja, wir kamen zum Entschluss, dich zu küren – nun freuen wir uns, dass DU dich freust! :D
Zwar sind seitdem ein paar Tage ins Land gegangen, doch wir möchten noch ein wenig ausführlicher werden.

Gut gefallen hat uns dein angenehmes Erzähltempo, dem der Leser stets gut folgen kann, ebenso wie deine lebhaften Beschreibungen – vor allem die der Eiskunstläufe des Wettbewerbes! Deine Charaktere entwickeln sich toll und bleiben immer gut in character.

Etwas gestört haben uns die Smileys im Erzähltext, die dort nicht so richtig hinpassen wollen. Auch einige Schreibfehler hatten sich eingeschlichen.

Diese kleinen Schwächen haben uns von unserer Entscheidung aber nicht abgehalten, wie du siehst. Wir haben deine Geschichte sehr gerne gelesen und gekürt!

Mach weiter so!

Viele liebe Grüße
YUAL-Jury

Antwort von:  Flokati
20.03.2018 20:33
Hallo liebe Jury :)

Vielen Dank für euren Kommentar!
Also gerade weil schon ein paar Tage vergangen sind, kann ich direkt sagen, dass ich sofort nach der Kür nochmal alle Kapitel durchgesehen habe, um Schreibfehler auszumerzen, sodass jetzt hoffentlich keine mehr zu finden sind.

Die Smileys sind exklusiv für Viktor. Ich habe mir erlaubt, sie an einigen Stellen zu platzieren, um Viktors wunderbare Mimik aus dem Anime etwas besser in die FF zu integrieren zu können. Ich hoffe, diese Erklärung kann euch mit den Smileys etwas versöhnlicher stimmen und es ist ja nicht so, als würden sie den Text überlagern ;)

Es freut mich, dass das Erzählttempo angenehm war und die Charaktere ihren Vorlagen gerecht werden. Mein größtes Sorgenkind dabei war gleichzeitig mein größtes Vergnügen, denn die Programme zu entwickeln war nicht nur eine Herausforderung kreativ wie schriftstellerisch, sondern auch unglaublich spannend, um das "Genie" zum Leben zu erwecken.

Ich werde mich bemühen, auch in Zukunft schöne Geschichten zu schreiben :)

LG,
Flokati
Von:  vorsicht_bissig
2018-03-14T12:06:29+00:00 14.03.2018 13:06
Danke, für diese schöne kleine Überraschung ^^
Dieser kleine intime Einblick beruhgt mich jetzt wieder nach dem ganzen "I had the time of my life". XD
Antwort von:  Flokati
14.03.2018 17:59
Feier‘ so viel du willst, ich bin glücklich, wenn meine Geschichte das geschafft hat!
Vielen, vielen Dank für die ganzen Kommentare! Ich hab das jetzt schon so oft getippt, aber sei dir gewiss, dass ich mich wahnsinnig darüber freue! <3
Antwort von:  vorsicht_bissig
14.03.2018 19:18
Nein! Danke dir! Das war echt mit Abstand die beste FF die ich je gelesen hab.
So gut geschrieben!! Ich freue mich jetzt schon auf das was da noch so von dir kommt. Bis dahin lese ich deine anderen FFs zu Yuri on ice. Die Beijing hab ich schon gelesen. *g*
Jetzt kommt als nächstes die Sidestory!! <3 Und ich glaube ich mag den Typen jetzt schon nicht! XD
Die Lieder von Nightwish zu den Küren hab ich übrigens meiner Yuri on Ice Playlist hinzugefügt. ^^ Die gehören für mich jetzt irgendwie dazu. xD
Antwort von:  Flokati
15.03.2018 07:56
Sehr gerne, ich hoffe, du hast genauso viel Spaß wie mit dieser ^^
Awww, aber ich muss gestehen, dass es mir genauso geht. Viktor ohne Deeper Down und Yuuri ohne Storytime geht nicht mehr *lach*
Von:  vorsicht_bissig
2018-03-14T11:48:42+00:00 14.03.2018 12:48
Wie geil!!! Ich liebe alles! Die Torte, das Once upon a December, die Bildershow und der Eröffnungstanz ist einfach der Hammer! XD XD

Ich feiere den Tanz grad übelst! Hat mir noch nie so viel Spaß gemacht dieses Lied zu hören! ^^

Danke für diese supergeile, tolle, mitreissende, gefühlvolle, realitätsnahe Fanfiction!!! <3 <3
Habe überall mitgefiebert, mitgelitten und mich mitgefreut! Einfach ein rieeeeesiges DANKE!!

Versüßt die Wartezeit auf den Film und die vllt 2. Staffel ungemein!!! <3
Antwort von:  Flokati
14.03.2018 17:55
Jetzt werde ich langsam auch sprachlos - auch im positiven Sinne. Vielen, vielen Dank!!!
Von:  vorsicht_bissig
2018-03-14T11:14:51+00:00 14.03.2018 12:14
Ouuuu!!!! <3 <3 <3
Mir fällt nichts ein was ich dazu schreiben könnte!!
Ich liebe es!
Antwort von:  Flokati
14.03.2018 17:52
Vielen Dank, das freut mich wirklich, wenn es mir gelungen ist, Sprachlosigkeit im positiven Sinne hervorzurufen :)
Von:  vorsicht_bissig
2018-03-14T10:45:07+00:00 14.03.2018 11:45
Omg Omg OMG OMG!!! Haben die zwei einfach still und heimlich geheiratet??? O.O XD XD <3 <3 <3
<-- Total aufgeregt XD
Antwort von:  Flokati
14.03.2018 17:51
Vielleicht. Vielleicht auch nicht ;3
Von:  vorsicht_bissig
2018-03-14T10:19:10+00:00 14.03.2018 11:19
Ich hab auch dieses Mal während des Laufs Gänsehaut bekommen. Es wirkt so real. Man kann sich alles komplett vorstellen. Ich hab mir die Musik vor dem Kapitel angehört und dann auch während des Laufs. Es war eeeeecht ergreifend! Nimmt mich total mit! <3 <3
Antwort von:  Flokati
14.03.2018 17:51
Vielen Dank! :D
Von:  vorsicht_bissig
2018-03-14T09:17:33+00:00 14.03.2018 10:17
Wow! Ich gebe es ganz offen und ehrlich zu, ich hab während der Kür geheult. <3
Es ist so gut geschrieben und du hast es so gut auf die Musik abgestimmt und die Gefühle... <3
Und dieser blöde Twitter Kommentar - der soll gefälligst die Klappe halten! Ich geb ihm gleich shitty ring!

Ich bin total in der Story drin! xD
Antwort von:  Flokati
14.03.2018 17:49
Auch hier vielen Dank! Deeper Down war auch für mich das emotionalste Programm und so viel Zeit gefordert, deswegen bin ich erleichtert, zu lesen, dass es die Schinderei wert war (_ _)
Von:  vorsicht_bissig
2018-03-14T08:53:13+00:00 14.03.2018 09:53
Geil! Einfach nur geil! Hab gerade dieses Kapitel gelesen und mir gleich im Anschluss die Musik angehört. Und als ich die Augen geschlossen habe konnte ich Yurio dazu tanzen sehen, wie du ihn beschrieben hast! <3 <3 <3 Geil! Hoffentlich sterbe ich nächstes Kapitel nicht, wenn Victor Tod tanzt ^^
Antwort von:  Flokati
14.03.2018 17:47
Vielen Dank, das freut mich sehr :D


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