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Between evil voices and innocent hearts

Weltenträume
von

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Evil Voices

Überall war Blut, eine zähflüssige Substanz. Sie bedeckte beinahe vollständig den Boden und klebte auch an mir, dadurch nahm ich den modrigen Geruch noch deutlicher wahr. In zahlreichen Farben fluoreszierte das Blut in der Dunkelheit magisch, wie ein kunstvolles Werk auf einer schwarzen Leinwand.

Einzig mein schwerer Atem verhallte in der Nacht, ich fühlte mich ausgelaugt und wurde müde. Die Stille um mich herum verstärkte das Gefühl der Erschöpfung in mir. Vielleicht klangen meine Atemzüge deswegen seltsam wohltuend, weil sie mir sagten, dass ich noch lebte.

Obwohl mein Herz wie verrückt raste und jeder einzelne Schlag mir noch mehr Luft zu rauben schien, spürte ich eine unbeschreibliche Leichtigkeit in meiner Brust. Mein Kopf war wie leergefegt, keinerlei Gedanken beschäftigten mich in diesem Moment. So frei habe ich mich schon lange nicht mehr gefühlt. Keuchend beugte ich meinen Oberkörper ein Stück nach vorne, hockte mich hin und stützte mich mit einer Hand auf meinem Knie ab, in der anderen hielt ich das Schwert fest umklammert.

Mit dieser Waffe hatte ich diesem Wesen den Garaus gemacht und immer wieder die Klinge in es hineingebohrt, bis irgendwann nur noch eine große Lache unter mir war, die aus den kläglichen Überresten meines Opfers bestand. Ich und mein Schwert waren der Richter gewesen, zum ersten Mal in meinem Leben. An diese Rolle könnte ich mich durchaus gewöhnen, ganz wie er es mir vorhergesagt hatte.

„Das fühlt sich gut an, hm?“, hauchte seine Stimme mir verführerisch ins Ohr. „Du hättest das schon viel früher haben können.“

Mir lief ein Schauer über den Rücken und ich bekam Gänsehaut. Zwischen meinen Atemzügen schluckte ich schwer und schüttelte den Kopf, ohne zu wissen, was ich mit dieser Geste ausdrücken wollte. Immerhin waren sämtliche Gedanken fort und mein Körper musste sich erst mal von dem Adrenalinschub erholen, dabei hätte der ruhig länger anhalten können.

Sacht tätschelte er mir den Kopf, als wollte er ein kleines Kind loben. „Jedenfalls warst du großartig. Selbst als Zuschauer war das richtig anregend, mein Körper hat sich an deiner Energie gelabt.“

Schweigend legte ich den Kopf in den Nacken und sah ihn mit gerunzelter Stirn an, meine Lungen verlangten nach wie vor nach mehr Luft. Er schmunzelte aber nur leicht und erwiderte meinen Blick, mit einer unerschütterlichen Stärke und Überzeugung. Woher nahm er dieses Selbstvertrauen nur, das er ausstrahlte? Seine Stimme, seine Blicke und sogar seine Haltung, jedes Detail an ihm strotzte geradezu vor Selbstsicherheit. Bei ihm erlebte man niemals einen einzigen schwachen Moment.

„Ich will damit sagen, dass du und ich in Kombination unschlagbar wären, unsere Energien würden hervorragend miteinander harmonieren.“

Seufzend sackte mein Kopf wieder nach vorne. Gerade rechtzeitig, um zu sehen, wie das Blut sich zu verändern begann. Die wirre Mischung aus Farben kam in Bewegung. Winzige Würfel bildeten sich aus der klebrigen Flüssigkeit und hoben sich nach und nach ab, versuchten, sich voneinander zu lösen und federleicht in die Luft aufzusteigen. Jedes einzelne Teil bestand nur aus einer Farbe, womit sich das Wirrwarr auflöste und sie wieder klarer zu erkennen waren.

Bald flogen haufenweise dieser bunten Würfel herum und glühten schwach, doch kurze Zeit später lösten sie sich in Asche auf und verschmolzen mit der Dunkelheit. Nur einer blieb übrig, er war etwas größer als die anderen und strahlte stärker, in einem hellen Rot. Gebannt starrte ich auf den Würfel vor mir und kam plötzlich schnell zur Ruhe.

Flink schnappte sich mein Begleiter den Gegenstand aus der Luft, blieb jedoch dabei hinter mir stehen und rückte dichter an mich heran. Spielerisch drehte er den Würfel zwischen seinen Fingern und hielt ihn genau vor meine Augen, die sich davon gefangennehmen ließen.

„Ich werde dich nicht nochmal fragen, sondern gehe davon aus, dass du dich entschieden hast“, flüsterte er eindringlich. „Du wirst deine Entscheidung nicht bereuen. Lass uns zusammen das Leid in uns einfach auslöschen und gleich alles andere mit dazu, das uns wieder verletzen könnte. Wir können zusammen unseren Frieden finden.“

Kein Widerspruch kam über meine Lippen, nicht mehr. Im Moment fühlte ich mich zu gut, als etwas gegen diese Pläne einwenden zu können. Ich war sorglos, und wenn ich mich mit ihm zusammenschloss, wäre es möglich, das auch in Zukunft erleben zu können. Egal, ob er nur wegen meiner Energie so besessen davon war, mich für sich zu gewinnen, oder es einen anderen Grund gab, er hatte mich überzeugt.

Gegen seine Worte kam ich nicht an, seine Stimme haftete sich in meiner Seele fest, und schlich um mein Herz herum, das sich wirklich nur nach einem friedlichen Leben sehnte.

Fordernd drückte er den Würfel gegen meine Lippen, die sich wie von selbst öffneten. Plötzlich brannte es schmerzhaft auf meiner Zunge. Stöhnend kniff ich die Augen zusammen und wollte den Würfel wieder ausspucken, aber er hielt mir den Mund mit einer Hand zu und drückte die andere gegen meine Brust.

„Komm, du musst dich nur noch einmal zusammenreißen, dann wirst du keine Probleme mehr haben. Schluck es runter.“

Da ich keine Kraft mehr dazu hatte, mich aus seinem Griff zu befreien und den Würfel nicht mehr loswerden konnte, tat ich einfach, was er sagte, und schluckte. Es brannte so sehr, wie richtiges Feuer. Vor Schmerz liefen mir Tränen über die Wangen, dabei war ich viel schlimmere Dinge gewohnt. Eigentlich war das hier im Vergleich dazu ziemlich angenehm.

„Tut mir leid, gleich wird es besser“, beruhigte er mich und küsste meinen Nacken. „Alles wird besser sein, von jetzt an.“

Durch den Würfel, der sich durch meine Speiseröhre drängte, konnte ich darauf nichts sagen. Mit geschlossenen Augen ließ ich mich einfach auf dieses Spiel ein, aber ich konnte nichts dagegen tun, dass das Gesicht desjenigen vor mir erschien, in den ich immer noch verliebt war. Die Tatsache, ihn an jemand anderen verloren zu haben, schmerzte wesentlich mehr als dieses höllische Brennen in meinem Hals, mit dem sich der Wunsch nach noch mehr Zerstörung einschlich.

Zerstörung, flüsterte etwas in mir erwartungsvoll und löste dabei einen Zustand der Euphorie aus. Zerstören! Lass uns alles zerstören, das uns Schmerzen zufügt. Zerstören wir einfach alles!

Etwas nistete sich in mir ein und schlug seine ersten Wurzeln.

Liebeskummer ist scheiße

Ich liebte Kieran.

Seit ich ihn kannte, hatte ich das Gefühl, nicht mutterseelenallein mit meinen Problemen zu sein. Er war mir sehr ähnlich, und das gab mir in seiner Nähe eine Ruhe, dank der ich ein bisschen daran glauben konnte, dass es doch wirklich für jeden Menschen Hoffnung gab, auch für jemanden wie mich, einen durch und durch verkorksten Teenager.

Mich hinderte die Tatsache, dass Kieran, wie ich, ein Mann war, nicht daran, ihn zu lieben. Egal, wie meine Umwelt darauf reagieren würde, ich wollte ihm so nahe sein wie kein anderer. Verurteilt wurde ich für meine Existenz sowieso schon gefühlt mein Leben lang, also hielt ich ein paar anklagende Blicke und Sprüche mehr auch noch aus. Ich wäre dazu bereit gewesen, alles Negative auf mich zu nehmen und von Kieran abzuschirmen, solange er meine Liebe erwiderte.

Diese Hoffnung auf eine Zukunft, am besten mit ihm zusammen, hatte mir ungeahnte Kraft gegeben. Leider jagte mir das Leben dann aber wieder mal gnadenlos ein Messer in den Rücken. Diesmal war es eher ein ganzes Schwert, das ein Loch in meine Brust riss. Jedes Mal, wenn ich die beiden zusammen sah, ohne mich.

Ja, Kieran war inzwischen vergeben. Obwohl es dafür schon eine Weile deutliche Anzeichen gegeben hatte, konnte ich das nicht verhindern. Erst recht weil der andere, Kierans jetziger Partner, mein bester und einziger Freund war: Faren.

Ironischerweise stand Faren eigentlich nur auf Frauen, aber bei Kieran fühlte er anders, wie er mir erklärt hatte. Ausgerechnet bei der Person, für die auch ich mich interessierte. Statt ihm das zu sagen, schwieg ich über meine Gefühle und gab Faren auch noch Ratschläge, wie er vorgehen sollte. Schließlich konnte ich mich gut in Kieran hineinversetzen und dadurch als hervorragender Berater fungieren.

Dumm von mir, nicht wahr?

Nein, es ging einfach nicht anders.

Faren war ein großartiger Kerl, wirklich. An ihm gab es nichts auszusetzen.

Obwohl wir uns ziemlich ähnlich sahen, abgesehen von der Frisur und der Haarfarbe sowie dem Körperbau, war er ganz anders als ich. Optisch könnte Faren mein Zwilling sein, doch wir unterschieden uns. Alles an ihm strahlte stets vor Optimismus und Tatendrang, er war kontaktfreudig und hilfsbereit, voller Lebensfreude. Außerdem sah er umwerfend gut aus und kleidete sich, im Gegensatz zu mir, wie ein Model.

Was sollte Kieran denn mit mir anfangen? Sicher, genau wie ich zweifelte er an sich selbst, kam sich wertlos und überflüssig vor, und wünschte sich nichts sehnlicher, als nützlich zu sein, und Anerkennung zu gewinnen. Seine verzweifelten Gedanken deckten sich gut mit meinen, was vielleicht schlecht war. Schlecht für sein Wohl.

Ich besaß keinerlei Lebensfreude, wie Faren sie in sich trug. Mehrmals am Tag kämpfte ich gegen den Drang an, einfach vor ein Auto zu springen oder mich von einer Brücke zu stürzen. Bei jeder einzelnen Handlung oder Aussage von mir, befürchtete ich, etwas Falsches getan zu haben. An meiner Seite würde Kieran nur noch tiefer nach unten gezogen werden, ganz bestimmt.

Jemand wie Faren könnte ihn aufbauen und ihm Selbstvertrauen schenken. Tatsächlich zeigte sich das bereits nach wenigen Wochen, seit sie offiziell ein Paar waren. Oft wirkte Kieran genervt von Farens freizügigen Witzen und seiner aufdringlichen Art, lächelte dafür aber auch immer mehr, was ich vorher noch nie bei ihm gesehen hatte. So blass wie am Anfang war Kieran auch nicht mehr, mit jedem Tag schien es ihm besser zu gehen.

Auch heute.

Alleine saß ich heimlich draußen am Tisch eines Cafés herum, während die beiden auf der anderen Straßenseite gerade eine Imbissbude unsicher machten, wobei ich sie unbemerkt im Auge behielt. Genau genommen war Faren derjenige gewesen, der unbedingt dort essen gehen wollte, soweit ich wusste, um Kieran etwas Neues zu zeigen. Sie bestellten sich einen Haufen ungesundes Zeug, aber Fast Food schmeckte eben zu sehr, niemand konnte das leugnen.

Zuerst war Kieran alles andere als begeistert, doch nach den ersten Bissen eines Hamburgers und wenigen Wortwechseln, geschah es wieder: Er lächelte. Ganz dezent, man bemerkte es kaum, aber ich konnte es gar nicht übersehen. Verlegen hoben sich seine Mundwinkel minimal, seine Haltung war entspannt. Ihm ging es gut.

Das tiefschwarze, kurze Haar sah seidig weich aus und verdeckte noch immer sein linkes Auge komplett, weil es vorne auf einer Seite länger über die Stirn hinaus verlief, als auf der anderen. Sacht spielte der warme Sommerwind mit einigen Strähnen und brachte sie in Bewegung. Durch das Sonnenlicht wirkte das Dunkelbraun seiner Augen wesentlich heller als gewöhnlich, dabei mochte ich es, wenn man sich bei ihrem Anblick in die Tiefen seiner Seele verlor.

Trotz seines feminin erscheinenden Gesichts und der etwas geringen Größe, mangelte es Kieran nicht an Männlichkeit. Wie jeder harte Kerl konnte er offen seine Meinung sagen, zumindest bei Faren und einigen bestimmten Personen, sobald ihm etwas nicht in den Kram passte. Und doch lag in seinen ernsten Blicken stets eine gewisser Ausdruck verborgen, der mein Herz schwach werden ließ.

Ich wünschte, ich könnte einfach zu ihm gehen und meine Gefühle gestehen, aber damit würde ich alles kaputt machen. Mein gutes Verhältnis zu Faren und das Glück, von dem Kieran jede Sekunde verdient hatte. Ganz zu schweigen davon, dass ich so ein gutes Leben nicht verdiente. Mit mir verschwendete man nur seine Zeit, ich war nicht mehr zu verbessern.

Seufzend nahm ich einen langen Schluck von dem Wasser, das ich mir bestellt hatte – mein nächster Geburtstag würde mich endlich volljährig machen, dann durfte ich legal Alkohol trinken. Schweiß lief mir von der Stirn, ich verglühte in dieser Sommerhitze. Wäre ich an Farens Stelle, hätte ich mit Kieran eine Eisdiele aufgesucht, um für Abkühlung zu sorgen. Der Tag besaß noch einige Stunden, also kam das vielleicht noch.

„Boah, hoffentlich wird es gegen Abend etwas weniger heiß“, murmelte ich genervt vor mich hin.

Plötzlich vibrierte etwas in meiner Hosentasche, was bei einem jungen Mann wie mir nur eines bedeuten konnte: Mein Handy wollte mir etwas mitteilen – wäre Faren hier, hätten wir darüber jetzt eine schmutzige Bemerkung gemacht und gelacht.

Momentan war mir aber nicht zum Lachen zumute, doch ich konnte erschreckend gut schauspielern, wenn ich wollte. So gut, dass Faren nicht mal meine Gefühle für Kieran mitbekommen hatte. In letzter Zeit fiel es mir schwer, den gut gelaunten und sorglosen Ferris zu spielen. Von Jahr zu Jahr legte ich diese Fassade ab und blieb so, wie ich war. Unsicher, in mich gekehrt und freudlos.

Etwas zu fest stellte ich das Glas zurück auf den Tisch, das laute Klirren hallte unheilvoll in meinen Ohren nach, und ich holte das Handy hervor. Viele Kontakte besaß ich nicht, weil ich kein sozial eingestellter Typ war. Freunde strengten mich meistens nur an, Faren bildete eine Ausnahme. Er hatte mich letztes Jahr von einem Selbstmord abgehalten und mir seitdem die Freundschaft geschworen.

Viele Möglichkeiten, wer sich bei mir melden könnte, gab es also nicht, und meine größte Befürchtung wurde direkt bestätigt, kaum dass ich meinen Nachrichtenordner öffnete.

Wo bist du, ist alles in Ordnung? Ich hoffe, du hast einfach nur deinen Termin vergessen. Ruf mich bitte an oder komm in der nächsten halben Stunde vorbei, ich warte auf dich.

So lautete die Textnachricht – wann lernte diese Person wohl endlich, einen kostenlosen Messenger zu benutzen? Ich hatte es schon oft genug erklärt und tat das nicht noch einmal.

Statt weiter meine Gedanken für solche Kleinigkeiten zu verschwenden, warf ich rasch einen Blick auf die Uhrzeit. Anscheinend war ich eine Stunde zu spät dran. Da brachte mir auch die Erinnerung an diesen Termin nichts mehr, die auf dem Display aufleuchtete und ich bisher gekonnt ignoriert haben musste, weil ich mich nur auf Kieran konzentriert hatte.

„Ich hab echt keinen Bock auf diese dämliche Sitzung“, meckerte ich das Handy an, als könnte ich dadurch direkt mit der Person sprechen, von der die Nachricht stammte. „Das bringt doch eh nichts. Wann checkst du das mal? Du solltest es aufgeben, und deine Nachrichten nicht wie ein verliebtes Schulmädchen beenden.“

Dummerweise arbeitete mein schlechtes Gewissen ziemlich gründlich, weshalb ich von meinem Platz aufstand und dabei das Handy wieder einsteckte. Im Augenwinkel nahm ich wahr, wie eine Bedienung aus dem Café eilte, um mich daran zu erinnern, dass ich noch zahlen musste. Geld hatte ich aber nicht dabei, keinen einzigen Cent.

Zu gern hätte ich noch einen letzten Blick auf Kieran erhascht, musste jedoch die Beine in die Hand nehmen und mich aus dem Staub machen, bevor die Bedienung in meine Reichweite kam. Fassungslos rief sie mir hinterher, doch ich beachtete sie nicht, sondern rannte geschwind davon. Bald lag das Café weit hinter mir und niemand schien mich zu verfolgen.

Natürlich meldete sich auch jetzt mein schlechtes Gewissen zu Wort, das ich grob zurückwies. Mit mir hatte man nichts als Ärger, so war das eben. Sollte man mich ruhig Mimimi-Ferris nennen, aber wenigstens dieser Rolle wollte ich gerecht werden, sonst blieb mir überhaupt nichts mehr. Davon abgesehen zahlte ich für ein lächerliches Glas Wasser sicher keinen überteuerten Preis.

Erschöpft hielt ich nach einer Weile an und schnappte nach Luft. Mir war furchtbar heiß, ich konnte den Sommer nicht ausstehen. Mein Körper verglühte, wogegen mein Schweiß nicht half. Tropfen für Tropfen fiel vor meinen Füßen zu Boden und bildete eine eigene, kleine Pfütze. Wäre die Sonne so gnädig, mich einfach anständig in Brand zu stecken, hätte das Café heute wegen mir kein Minus machen müssen.

„Ich bin so armselig“, lachte ich heiser. „Das hätte ich Kieran nicht zumuten können.“

Zwischen die Schweißtropfen mischten sich plötzlich noch einige Tränen. Schnell riss ich mich wieder zusammen und ging weiter, in einem normalen Schritttempo. Bei dieser Hitze war jeder mit sich selbst beschäftigt, also konnte ich mich einfach zwischen der Menge bewegen, ohne angesprochen zu werden. Wie immer war die Stadt an einem Werktag überaus lebhaft und aktiv, was ich etwas nervig fand.

Ohne andere Menschen wäre die Welt viel ruhiger und friedlicher. Frei von irgendwelchen Erwartungen und gesellschaftlichen Regeln, an die sich gehalten werden sollte, wollte man nicht ausgeschlossen werden.

Ich hasste das alles so sehr.

Ich wollte nicht mehr.

Um nicht auf dumme Gedanken zu kommen, dachte ich unterwegs lieber an Kieran und nahm dabei den Schmerz in der Brust in Kauf. Dass ich an diesem Tag bereits ebenfalls von jemanden gestalkt wurde, so wie ich Kieran und Faren verfolgte, davon ahnte ich noch nichts.
 

***
 

Jedes Mal, wenn ich zwischen diesen Häuserreihen stand, wollte ich sofort zurückweichen und weglaufen. Ich passte nicht hierher, ganz und gar nicht. Ein Beweis dafür waren die misstrauischen Blicke der Bewohner in dieser Gegend, sobald sie mich sahen.

Kein Wunder, es handelte sich um eine ruhige und gepflegte Lage, wo nur Leute wohnten, die sich etwas leisten konnten. Nicht die Super-Reichen, arm war hier dennoch niemand. Es war wie eine eigene Welt, dabei konnte ich mich schon in die normale Gesellschaft nicht anständig eingliedern.

Kleine Häuser, gemütliche Vorgärten mit schneeweißen Zäunen, eigene Garagen und Gehwege, von denen man locker hätte essen können, so sauber wurden sie gehalten. Quasi das Spießerhausen der Stadt, wie aus zahlreichen Filmen entsprungen. Mein Weg führte mich zum Ende der leeren Straße, wo ein Gebäude lag, das etwas älter wirkte als die anderen in dieser Wohngegend.

Zwei Stockwerke, ein Keller und Dachboden, mit Garage. Der Garten befand sich hinter dem Haus, geschützt vor neugierigen Blicken der Nachbarn, daher sah der Eingangsbereich recht unspektakulär aus. Nicht mal Blumen dekorierten den vorderen Teil, worüber sich erstaunlich viele beschwerten – hatten die etwa sonst keine anderen Probleme? Einfach lächerlich.

Neben der Türklingel war ein Schild befestigt, das auf den Eigentümer des Hauses hinwies:

Vincent Valentine

Gesprächs- und Verhaltenstherapie

Termine nach telefonischer Absprache

Hier wohnte ich aktuell, seit ein paar Wochen. Habe nicht mitgezählt. Im Grunde war es wahrscheinlich nur eine von vielen vorläufigen Unterbringungen, bei denen ich bald an einem endlosen Hin-und-her-Spielchen mitmachen müsste, bis ich volljährig war und auf die Straße gesetzt werden konnte. Niemand nahm einfach so aus Nettigkeit jemanden bei sich auf, auch kein Therapeut. Für Vincent war ich nur ein Job von vielen.

Trotzdem behauptete er andauernd das Gegenteil, dass er mir aus freien Stücken helfen wollte. Er gehörte nicht zur naiven Sorte, so dachte ich, darum konnte ich ihm nicht glauben. Zu seinem Glück lebte niemand ewig, irgendwann erwischte es mich auch mal. Spätestens dann, wenn ich mich mit Alkohol abschoss.

Statt zu klingeln, schloss ich die Tür mit meinem Schlüssel auf und betrat das Haus. Drinnen war es nicht mehr so heiß wie draußen, es herrschte sogar eine angenehm kühle Temperatur. Auch die Einrichtung hatte den Charme der Vergangenheit, gemischt mit einigen modernen Elementen. Als Familienmensch hätte ich gerne auch in so einem Haus gelebt, es vermittelte Gemütlichkeit.

Zügig schritt ich geradeaus, durch die zweite Tür im Gang, und fing an zu sprechen, noch bevor ich richtig im Raum war. „Hey, Vince. Sorry, hab total die Zeit vergessen.“

Ähnlich wie Faren hätte auch Vincent locker als Model arbeiten können, nur dass er in dem Bereich mehr mit seiner Größe und der schlanken Statur punkten würde. Sein schwarzes Haar blieb stets kurz geschnitten, sah aber immer ungekämmt und etwas wellig aus. Alltagskleidung schien Vincent nicht zu kennen, denn ich habe ihn bislang nur in seinen schwarzen Anzügen und dem weißen Hemd herumlaufen sehen. Seit einer Anmerkung meinerseits verzichtete er wenigstens auf eine Krawatte.

Mit übereinander geschlagenen Beinen saß Vincent in einem Sessel vor einem übergroßen Aquarium – der Blickfang in diesem Behandlungszimmer – und war in eine Akte vertieft, die auf seinem Schoß lag, samt Füller. Natürlich musste das die Bibel zu meiner Wenigkeit sein, durch die Vincent Stück für Stück versuchte, den Kern meiner Probleme zu finden und zu beseitigen.

Als er den Kopf hob und mich ansah, verschmolz das helle Blau seiner Augen kurzzeitig mit dem Licht des Aquariums hinter ihm. Immerzu blieb Vincents Blick ausdruckslos, egal wie sehr ich ihn auch provozierte oder aus der Reserve zwingen wollte. Irgendwie vereinbarte sich das nicht so recht mit der Klarheit, die seine Augenfarbe besaß, und der Aufmerksamkeit, mit der Vincent jedes kleinste Detail bemerkte.

„Schön, dass du dich dazu entschlossen hast, doch noch zur Sitzung zu erscheinen, Ferris“, begrüßte Vincent mich, so geduldig und ruhig wie ich es von ihm kannte. Der melodische Klang seiner Stimme erinnerte mich ein wenig an Kieran. „Setz dich.“

Abwehrend hob ich die Hände. „Nee, lass mal. Ich bin nur gekommen, um dir zu sagen, dass ich kündige.“

„Bei einer Therapie kann man nicht kündigen“, wies Vincent mich darauf hin. Könnte er diese verdammte Nüchternheit nicht mal ablegen und zeigen, was er dachte und fühlte? Bei ihm wusste ich nie, woran ich war. „Du kannst die heutige Sitzung höchstens verschieben.“

„Toll, dann schiebe ich es nur etwas auf, aber muss den Mist so oder so mitmachen.“

„So sieht es aus.“ Ohne eine Miene zu verziehen, deutete Vincent mit dem Füller zu der Couch, die ihm gegenüber stand. „Also, setz dich.“

„Hartnäckige Nervensäge“, murrte ich leise.

„Das Vergnügen ist ganz auf meiner Seite, Ferris.“

Widerwillig überwand ich die Distanz zwischen uns und ließ mich wie ein schwerer Sack auf die Couch fallen. Zwischen uns stand nur noch ein Glastisch, auf dem gerade nichts lag. Demonstrativ beugte ich mich etwas zur Seite, um nur das Aquarium hinter Vincent im Blick zu haben. Verschiedene Arten von Fischen lebten darin, manche schimmerten in bunten Farben, andere stachen mit ihrer außergewöhnlichen Gestalt hervor. Manchmal beneidete ich sie darum, dass sie Tag für Tag herumschwimmen konnten. Auf mich wirkte das ungemein beruhigend.

„Wie fühlst du dich?“, eröffnete Vincent die Sitzung – seine Standardfrage.

Aus Erfahrung wusste ich, dass es nichts brachte, ihn zu ignorieren und zu schweigen, also antwortete ich ihm sofort: „Die Frage nervt. Was soll ich darauf denn sagen? Liebeskummer ist scheiße.“

Ein leises Kratzen ertönte, er notierte sich etwas in der Akte. Ich musste den Blick nicht vom Aquarium lösen, um das zu wissen.

„Bist du heute Kieran und Faren gefolgt?“

Typisch, er sprach offen die wunden Punkte an. Ihm konnte man nichts vormachen, Vincent durchschaute alles, wie ein Gedankenleser.

„Ja, na und?“

„Warum hast du das getan?“

„Weiß ich nicht“, blockte ich ab. „Mir war danach.“

„Wie hast du dich dabei gefühlt?“

„Du immer mit deinen Gefühlen“, klagte ich stöhnend. „Scheiße habe ich mich gefühlt. Hört du mir denn nicht zu?“

Wieder begann er zu schreiben. Zögerlich lenkte ich den Blick zurück zu ihm und beobachtete ihn dabei. Jede seiner Bewegungen floss wie Wasser, seine Augen nahmen die geschriebenen Worte in sich auf. Mir war nicht danach, mit ihm zu reden. Gleich endete es sowieso wie gewohnt, weil er die Fragen stellte, die ich nicht hören wollte.

„Bist du ihnen deswegen gefolgt?“, wollte Vincent wissen und sah mich dabei abwartend an.

Kein Vorurteil, keine Erwartungen oder Forderungen. Nichts von alldem spiegelte sich in seinen Augen wider, nur eine Geduld, mit der ich nicht umgehen konnte. Automatisch wurde mein Tonfall patziger. „Worauf willst du damit hinaus?“

„Du neigst dazu, dich selbst zu verletzen, in dem Glauben, es verdient zu haben“, erklärte Vincent, womit er mir offenbarte, dass er mich durchschaut hatte. „So, dass es niemand sieht. Als du Kieran und Faren gefolgt bist, wolltest du dich schlecht fühlen.“

Also war heute einer dieser Tage, in denen Vincent in die Offensive ging. Mit dieser Taktik konnte ich noch weniger umgehen, das müsste er wissen. Automatisch fuhr ich von meinem Platz hoch und schrie ihn an.

„Tu nicht so, als wüsstest du, wie ich ticke! Niemand weiß das!“

Kieran war der einzige, der mich verstand, weil er ähnlich fühlte wie ich. Jetzt konnte ich mich ihm nicht mehr zuwenden, ohne seine Beziehung zu Faren zu stören. Ich war wieder alleine.

„Das hier bringt gar nichts! Wenn mir danach ist, haue ich einfach wieder ab!“

„So wie aus dem Waisenhaus?“, hakte Vincent nach.

Schnaubend wandte ich mich ab und stampfte Richtung Tür. „Du wirst froh sein, sobald du mich los bist, so wie jeder andere!“

Ein Knall hallte durch das Haus und ließ es leicht erzittern, zumindest in meiner Vorstellung. Aufgewühlt stieg ich die Treppe in den ersten Stock hinauf und zog mich in mein Zimmer zurück, wo ich mich vorerst einschloss. Schnell dröhnte mir über ein Paar Kopfhörer laute Musik in die Ohren, doch das reichte nicht aus, damit meine Gedanken sich in Luft auflösten.

Ich rollte mich auf dem Bett zusammen und fluchte innerlich. „Tut mir leid, Vincent ... aber mir ist echt nicht mehr zu helfen.“

Ich will nicht wieder jemanden verletzen

Ich hörte seltsame Geräusche.

Anfangs klang es nach einem verzerrten Knistern und Knacken, wie aus einem defekten Radio, das keinen anständigen Empfang mehr bekam und deshalb irgendwo in einem Keller gedämpft seine letzten Töne von sich gab. Noch waren diese Klagelaute weit entfernt, aber sie schienen langsam an Lautstärke zu gewinnen und bedrängten mich immer mehr.

Die Töne wurden schriller und hallten ewig in den Ohren nach. Bald waren es keine simplen Störgeräusche mehr, es entstanden Stimmen. Hohe, klare Stimmen, ein regelrechter Chor. Richtige Worte sprachen sie nicht, sie summten und stöhnten nur, manche schrien sogar leise, und erschufen dadurch im Zusammenspiel eine eigene obskure Melodie.

Wie ein Echo blieb sie in meinem Kopf, wiederholte sich die ganze Zeit. Schnell spielte sich die Tonfolge in mehrfacher Form ab und wurde unerträglich, ich konnte nicht mehr klar denken. Meine Ohren fingen an zu schmerzen und mein Körper verkrampfte sich. Unruhig wälzte ich mich hin und her.

Als dann plötzlich etwas in meinen Ohren zersplitterte, zumindest fühlte es sich vom Schmerz her so an, schreckte ich sofort aus meinem Halbschlaf hoch, und fasste mir panisch an den Kopf.

Schlagartig herrschte Stille, ich konnte nichts mehr hören. Zuerst dachte ich, taub geworden zu sein, jedoch hatten sich auch die Schmerzen in Luft aufgelöst. Vorsichtshalber tastete ich trotzdem meine Ohren ab, aber ich konnte kein Blut oder etwas in der Art finden, also musste alles in Ordnung sein.

„Himmel“, keuchte ich angespannt und fuhr mir durch die verschwitzten Haare. „Wie spät ist es?“

Blind griff ich nach meinem Handy und musste feststellen, dass der Akku inzwischen den Geist aufgegeben hatte, darum hörte ich auch keine Musik mehr. Vielleicht zahlte meine Gesundheit es mir jetzt zurück, weil ich meine Ohren oft zu laut beschallte – Vincent hatte das auch schon negativ angemerkt. Damit aufhören wollte ich aber nicht, das war mein Körper. Also konnte ich mit dem machen, was ich wollte.

Im Ernstfall stand mir deswegen auch das Recht zu, mein Leben selbst zu beenden, wenn ich keinen Ausweg mehr sah. Darüber wollte ich entscheiden dürfen.

Kopfschüttelnd rutschte ich zur Bettkante und stand auf, um einen Blick aus dem Fenster zu werfen. Draußen war es dunkel. Anscheinend hatte ich einige Stunden geschlafen. Der Himmel war pechschwarz, aber die Straßenlaternen und der Mond kämpften gegen die Finsternis an. Ein ziemlich einsamer und trostloser Job, erst recht weil nicht mal mehr Menschen unterwegs waren, für die sich dieser Aufwand lohnte. Sogar die Sterne ließen sich nicht blicken.

Gähnend öffnete ich das Fenster und ließ mich von der angenehm kühlen Nachtluft richtig aufwecken. Wenigstens um diese Uhrzeit blieb ich von der Hitze verschont.

Abwesend schweifte mein Blick über die Umgebung, aber die nervigen Gedanken drängten sich schnell wieder erfolgreich in den Vordergrund. Ob Vincent wütend auf mich war? Oder enttäuscht? Schon mehrere Male hatte ich eine Sitzung einfach durch eine Flucht mittendrin abgebrochen und Vincent respektlos angeschrien. Dabei stellte er mir nur Fragen, niemals Anforderungen.

Es machte mich wahnsinnig, dass ich nicht wusste, was er über mich dachte. Andauernd hielt er sein Pokerface aufrecht. In meinen Augen musste ich für ihn der nervigste und schwierigste Fall von allen sein, doch er konnte mich aufgrund seiner Ehre als Therapeut nicht so leicht aufgeben, so dachte ich. Er konnte mich unmöglich in irgendeiner Form mögen.

„Ich falle auf diese Taktik nicht rein“, beschloss ich ernst.

Das laute Knurren meines Magens meldete sich daraufhin zu Wort und erinnerte mich daran, dass ich schon länger nicht mehr richtig gegessen hatte. Mein Appetit ließ seit einiger Zeit zu wünschen übrig, ich bekam kaum etwas runter. Leider forderte der Körper das, was er brauchte, auf seine Weise ein, das musste ich schon erleben.

„Hm?“

Blinzelnd beugte ich mich ein wenig aus dem Fenster, meine Augen verengten sich zu Schlitzen. Mir war, als hätte ich gerade eben etwas gesehen. Jemanden, der wie Kieran aussah, aber ich entdeckte niemanden. Jeder in diesem Spießerhausen blieb um diese Uhrzeit brav in seinen sicheren vier Wänden und schlief, davon war ich überzeugt.

„Erst höre ich komische Geräusche und jetzt bekomme ich auch noch Hallus. Was sollte Kieran hier wollen? Er wird mich sicher nicht mit Faren verwechseln.“

Vielleicht könnte es mich ein bisschen von meinen düsteren Gedanken ablenken, wenn ich etwas essen würde, also wandte ich mich vom Fenster ab und verließ mein Zimmer, das ursprünglich nur als Übernachtungsmöglichkeit für Gäste gedacht gewesen war. Leise schlich ich über den Holzflur zur Treppe, die, zu meiner Erleichterung, keine Stellen besaß, wo die Stufen klischeehaft knarzten.

So erreichte ich geräuschlos das Erdgeschoss und lauschte dort erst mal aufmerksam.

Im Behandlungszimmer war undeutlich Vincents Stimme zu hören, der sich mit jemandem unterhielt. Da in den Sprechpausen keine weitere Person das Wort erhob, vermutete ich, dass er ein Telefonat führte. Mitten in der Nacht. Ungewöhnlich war das nicht, denn Vincent war mit Leib und Seele eine Nachteule. Schlaf schien er gar nicht zu kennen, jedenfalls kannte ich ihn nur im wachen Zustand. Nicht mal Mittagsschläfchen hielt er.

Solange Vincent abgelenkt war, nutzte ich die Gelegenheit und schlich unbemerkt im Dunkeln weiter in die Küche, wo mein Magen sich etwas Essbares erhoffte. Zielsicher ging ich auf den Kühlschrank zu und öffnete diesen, wodurch der Raum ein wenig beleuchtet wurde. Unförmige Schatten entstanden durch das klägliche Licht.

Wieder mal hatte Vincent – oder eher dessen Schwester – jeden freien Platz im Inneren gefüllt, so dass es an Essen nicht mangelte. Mir sprang aber sofort eine Frischhaltebox ins Auge, auf der gut sichtbar ein Zettel klebte, beschrieben mit einer auffälligen Farbe:

Für Ferris. Mach dir das in der Mikrowelle warm. Eis ist auch wieder da. Vincent.

Eine Weile konnte ich nur dastehen und las diese Nachricht mindestens zehn Mal durch, bis ich das wirklich realisieren konnte. Vincent hatte mir etwas vom Mittagessen aufbewahrt und sogar neues Eis besorgt. Das bekam ich in meiner appetitlosen Phase am besten runter, aber eigentlich betitelte Vincent das andauernd als zu ungesund. Und doch hatte er es besorgt, damit ich notfalls zumindest davon aß.

„Fuck ... warum bist du so nett zu mir?“ Auf einmal klang meine Stimme furchtbar heiser. „Hör auf damit.“

Sonst fing ich noch an, Vincent richtig ins Herz zu schließen, aber das wollte ich nicht. Letztendlich lief es nur darauf hinaus, dass er irgendwann doch noch erkannte, was für ein hoffnungsloser Fall ich war, und mich abschob. Das könnte ich nicht mehr ertragen, nicht nachdem ich schon Kieran aufgeben musste, weil ich ihn an Faren verloren hatte.

Ohne etwas aus dem Kühlschrank zu nehmen, schloss ich diesen wieder und lehnte mich mit der Stirn dagegen. Erneut begannen meine Gedanken zu kreisen und alles aufzuwühlen. Ich malte mir unzählige Möglichkeiten aus, wie mein Leben in Zukunft aussehen könnte, sollte ich bei Vincent bleiben. Mir kamen nur die schlimmsten Aussichten in den Sinn, keine einzige gute.

Als mir das bewusst wurde, brach in mir etwas zusammen. Hier konnte ich nicht bleiben. Je länger ich blieb, desto mehr litt das Verhältnis zu Vincent darunter. Mir wäre es lieber, es an einem halbwegs friedlichen Punkt zu beenden, bevor auch das ein schlechtes Ende nahm. Das sollte für uns beide die beste Lösung sein.

Mit diesen Entschluss löste ich mich vom Kühlschrank und huschte zurück in den Gang, direkt Richtung Haustür. Noch immer war Vincent in ein Gespräch vertieft, von dem ich nichts mitbekam. Umso besser, dann konnte ich gehen, ohne nochmal mit ihm reden zu müssen. Von dem Zeug, das noch in meinem Zimmer herumlag, hatte ich das meiste ohnehin von Vincent geschenkt bekommen, also ließ ich es ihm hier. Hauptsache ich hatte mein Handy dabei, der Rest war mir herzlich egal.

An der Haustür ließ ich auch meinen Schlüssel auf der Ablage neben dem Garderobenständer liegen und legte meine Hand auf die Klinke. Aus dem Waisenhaus abzuhauen war mir wesentlich leichter gefallen, wie ich gerade merkte. Bedrückt warf ich einen letzten Blick über die Schulter, meine Brust wurde schwer. Nur dieses eine Mal noch musste ich Vincent Probleme und Sorgen bereiten, aber danach käme sein Leben wieder in Ordnung. Mit Patienten, bei denen eine Therapie mehr Erfolg versprach, als bei mir.

„Danke für alles, Vincent“, flüsterte ich für mich, dann drückte ich die Klinke nach unten.
 

***
 

Ziellos schlurfte ich durch die Straßen der Stadt, keine Menschenseele weit und breit. In Vincents Wohnviertel war das nachvollziehbar gewesen, aber mitten in der Einkaufspassage oder im Park lungerten sonst normalerweise Jugendliche herum, manchmal auch ein Obdachloser. Nicht mal Autos waren unterwegs, dabei mussten einige Leute bestimmt noch zur Spätschicht – wann auch immer die in der Arbeitswelt genau anfing.

„Wo soll ich jetzt überhaupt hingehen?“, fragte ich mich selbst ratlos.

Auf jeden Fall nicht zurück zu Vincent. Faren wollte ich auch nicht zur Last fallen, zumal er sich voll und ganz auf Kieran konzentrieren und ihn glücklich machen sollte. Ins Waisenhaus ließ ich mich ebenfalls nicht nochmal stecken, dafür war ich sowieso bald zu alt. Wohin sollte ich also gehen?

Kurzzeitig blitzte vor meinem geistigen Auge das Bild eines Hauses auf, das in Flammen stand. Zornig schlugen sie bis in den Himmel hinauf. Sirenen lärmten über die Straßen. Alles begann zu flimmern und die Hitze in der Luft brannte in meinen Lungen.

„Nein!“, schrie ich laut, um diese Erinnerung wieder zu verscheuchen. Müde legte ich eine Hand auf meine Stirn, die sich nicht heiß, sondern eiskalt anfühlte. „Ich kann nirgendwo hingehen. Ich will nicht wieder jemanden verletzen.“

Demnach gab es nur eine Lösung: Sterben.

Faren hätte mir auf der Stelle eine Predigt gehalten, wüsste er, was ich gerade dachte. Auch er musste mit mir schon einiges durchmachen. Jetzt gab es aber Kieran in seinem Leben. Wahrscheinlich bemerkte er es gar nicht, wenn ich spurlos verschwand.

Niemand wird dich vermissen, hauchte eine Flüsterstimme mir boshaft ins Ohr. Niemand. Du solltest besser sterben.

Pures Eis schien das Blut in meinen Adern zu gefrieren. Erschrocken fuhr ich herum und stolperte einige Schritte nach hinten, meine Beine fühlten sich weich an. Niemand zu sehen. Nach wie vor war ich die einzige Person in Sichtweite, aber woher war dann diese Stimme gekommen? Irgendwie hatte es sich angefühlt, als hätte mir der Tod persönlich ins Ohr geflüstert.

„Alter, ich bin echt im Arsch. Jetzt fange ich auch noch an, Stimmen zu hören.“

Dagegen hätte Vincent mir garantiert irgendwelche Tabletten empfehlen können, so als Therapeut. Von Faren dagegen hätte ich eher eine Flasche Bier angeboten bekommen, um mich zu entspannen. Was würde Kieran tun? Obwohl wir uns ähnlich waren, konnte ich mir diese Frage nicht beantworten. Traurig, ich kannte ihn nicht so gut, wie ich es mir wünschte.

Komm, meldete sich die Stimme erneut zu Wort. Sie fegte wie ein eisiger Windhauch über meinen Körper. Komm, ich helfe dir dabei zu sterben.

Zähneknirschend drehte ich mich von einer Seite zur anderen, suchte mit den Augen die Schatten ab. Irgendwie wirkte die ruhige Einkaufspassage plötzlich größer als vorhin, und verschwommen, wie ein Bild, das man zu stark vergrößert hatte und unscharf geworden war. Etwas stimmte nicht. Drehte ich komplett durch?

„Ich habe keine Angst vor dem Tod!“, stellte ich klar, wenn auch etwas nervös. „Aber ich bestimme meinen ganz allein! Wer du auch bist, hör auf mit diesem scheiß Spiel und zeig dich!“

Ich zuckte zusammen, denn als Antwort ertönte im Chor das Geräusch von Schritten. Wildes Klacken und Stampfen, von überall her, wie eine Menschenmenge, die in Panik verfallen vor etwas wegrannte. Diesem Fluchtverhalten schloss ich mich nicht an, egal wie schnell mein Herz schon raste, mit den Schritten im Einklang. Nicht weglaufen. Nicht weglaufen. Nicht weglaufen.

„Es reicht!“, kreischte ich wütend, die Kraft in meiner Stimme schien direkt aus meiner Brust zu kommen. „Zeig dich! Zeig dich, verdammt!“

Schmerzvolles Splittern in den Ohren, schon wieder. Keuchend verzog ich das Gesicht und kniff die Augen zusammen, schüttelte meinen ganzen Körper. Holte tief Luft. Meine Augen öffneten sich und dann sah ich endlich etwas. Genau vor mir. Etwas, das keinesfalls real sein konnte, aber es starrte mich gierig an, mit zwei golden glühenden Augenhöhlen.

Es war ein dürres, menschenähnliches Wesen, locker doppelt so groß wie ich, dessen Körper vollständig mit schwarzem Teer oder etwas in der Art bedeckt war, das zu Boden tropfte. Dort ätzte es in Sekunden Löcher in den Boden. Heißer Dampf stieg von der zähflüssigen Masse auf, aus der diese unheimliche Gestalt bestand. Sämtliche Gliedmaßen waren viel zu lang gewachsen und hingen schlaff nach unten.

Ich war nicht dazu fähig, mich zu bewegen. Verstört konnte ich nur dastehen und dieses Etwas anstarren. Das sah ich nicht zum ersten Mal. So ein Ding hatte ich schon mal gesehen, in Verbindung mit Feuer. Nur dunkel erinnerte ich mich daran. Kaum hörbar flüsterte die Stimme noch einmal auf mich ein, wobei die Augenhöhlen des Wesen stärker aufleuchteten. Mein Verstand drohte in diese brennenden Abgründe gerissen zu werden.

„Sterben“, wiederholte ich, wie in Trance. „Ja, lass mich-“

Schweig!“, unterbrach mich jemand bestimmt, eine Männerstimme.

Aus dem Nichts ertrank meine Umgebung plötzlich in einem Meer aus gleißendem Licht, ich konnte nichts mehr sehen. Mit tränenden Augen versuchte ich dennoch, etwas zu erkennen, drehte mich im Kreis, wie zuvor. Verwirrung wandelte sich allmählich zu Panik, weil ich keine Ahnung hatte, was hier los war. Mir wurde furchtbar schlecht.

Ganz kurz wünschte ich mir, ich hätte einfach dankbar das Essen zu mir genommen, das Vincent für mich in den Kühlschrank gestellt hatte, und mich anschließend bei ihm für mein Verhalten entschuldigt, ihm Besserung geschworen, egal wie unwahrscheinlich das bei mir war.

„Ich glaube kaum, dass du wirklich auf solch eine Weise hättest sterben wollen. Du solltest dich etwas mehr zusammenreißen“, tadelte mich der Mann halbherzig, dessen Stimme sich in das Geschehen eingemischt hatte – eigentlich klang er sogar noch recht jung. „Erst das Echo provozieren und ihm dann noch Gestalt verleihen, obwohl du keinen Schimmer davon hast, wie du dagegen kämpfen musst. Du bist echt eine Nummer.“

„Was?“, brachte ich irritiert hervor.

Zwischen dem Licht erschien eine Gestalt vor mir, jedoch nicht dieses abstrakte Wesen aus Teer. Diesmal sah es wie ein normaler Mensch aus, aber wie sicher konnte ich mir da sein? Meine Augen waren noch geblendet und brannten wegen der Helligkeit. Sie strahlte so sehr, es war kaum auszuhalten.

Die Person näherte sich mir gezielt, mit einem rot glühenden Würfel zwischen den Lippen. Dieser verschwand allerdings einfach im Mund des Mannes und er schluckte den Gegenstand ohne Mühe hinunter. Als hätte jemand Öl ins Feuer geschüttet, brannte das Licht gleichzeitig noch heller.

„Du verschwendest dein Talent“, meinte der andere seufzend. Etwas berührte mich sacht am Kinn. „Aber schonen wir zunächst deinen zerbrechlichen Verstand und sprechen ein anderes Mal darüber.“

So nahe, wie die Person mir inzwischen war, konnte ich endlich einige wenige Details seines Gesichts erkennen. Meine Überraschung über diesen Anblick ließ sich nicht verbergen. Nicht, weil seine Augen genauso unheimlich rötlich glühten, wie der Würfel eben, sondern weil auch dieser Typ mir seltsam vertraut vorkam. Jedenfalls auf den ersten Blick.

„Bist du ...“, begann ich unsicher.

Schlaf ein, Ferris.

Es war ein Befehl, der in meinem Geist widerhallte und die Kontrolle über mich gewann. Solch eine tiefe, klare Stimme, frei von jeglichen Zweifeln oder Unsicherheit. Mir war, als könnte man so jemandem nur Folge leisten. Ich wollte nicht, aber es geschah einfach.

Meine Augenlider wurden schwer, ich schlief ein. Versunken in diesem grellen Licht.

Ich will dir nur helfen

Ich sah noch dieses grelle, penetrante Licht vor mir und spürte das Brennen in meinen Augen, als ich diese langsam öffnete.

Plötzlich hatte sich meine gesamte Umgebung verändert. Auf dem Rücken liegend, starrte ich die Deckenpaneelen aus hellem Holz über mir an, und war völlig ratlos. Wo war ich? Das alles konnte kaum ein Traum gewesen sein, so etwas passierte den Protagonisten nur in schlechten Fiktionen – wo ich wahrscheinlich eher der Antagonist wäre, statt ein Held.

Wenigstens war die Helligkeit wieder normal und blendete nicht mehr wie eine Supernova. Es schien schwaches Tageslicht zu sein, das den Ort erfüllte, kein künstliches. Mein Kopf sackte von einer Seite zur anderen, damit ich mir einen ersten Überblick verschaffen konnte. Hierbei handelte es sich nicht um einen Raum aus dem trostlosen Waisenhaus oder von Vincents Bleibe in Spießerhausen, wie ich sofort erkannte.

Meine Wenigkeit lag auf einem großen, protzigen Ledersofa in Türkis, mitten in einem geräumig wirkenden Wohnzimmer. Ein Deckenventilator sorgte für einen angenehmen Luftstrom, ohne Lärm zu verursachen. Vor mir stand ein Glastisch, der noch mehr Platz einnahm, als der von Vincent, und sogar über eine weitere Platte unter der oberen verfügte, wo man etwas ablegen konnte. Nur wenige Schritte weiter lächelte mir verführerisch ein Flachbildfernseher entgegen, im Kinoformat.

Schon diese ersten Eindrücke genügten mir, um sagen zu können: Ich musste irgendwie in Ober-Spießerhausen gelandet sein, bestimmt nur eine Verwechslung. Vielleicht hatte ich doch nur geträumt und war dabei schlafgewandelt. Obendrein musste ich auch noch Einbruch und Hausfriedensbruch begangen haben – oder war beides das gleiche?

Vorsichtig richtete ich mich auf und konnte direkt auf meiner linken Seite durch eine Fensterfront nach draußen schauen. Dort ging gerade die Sonne auf, was erklärte, warum das Tageslicht noch so kläglich ausfiel. Vom Wohnzimmer aus konnte man durch eine Tür in den Garten hinausgehen, den ich ebenfalls durch das blitzblanke Glas bestaunen durfte. Peinlich genau geschnittenes Gras und eine Menge gepflegte Pflanzenpracht, zwischen der man es sich auf weißen Liegestühlen gemütlich machen konnte.

„Alter, ich bin erledigt“, flüsterte ich angespannt. „Jetzt lande ich garantiert im Knast.“

Alles nur, weil ich zu unfähig für das Leben war und auch noch das Schlafwandeln angefangen habe. Würde mich nicht wundern, wenn ich hier in der Villa des Bürgermeisters oder so gelandet war. Hoffentlich war ich nicht im Schlaf über jemanden hergefallen oder hatte einen umgebracht, dann konnte ich mich wirklich endgültig erschießen.

Ein kurzes Klacken ließ mich erschrocken zusammenzucken und schlucken. Da das Geräusch hinter mir ertönt war, blieb mir keine andere Wahl, als einen Blick über die Schulter zu werfen. Theoretisch könnte ich auch einfach aufspringen und wegrennen, so wie ich es in letzter Zeit öfter tat, aber diesmal könnte der Besitzer dieses Anwesens mich mit einer Schrotflinte abknallen. Nicht, dass es schlimm wäre oder schade um mich, nur wollte ich nicht unbedingt auf diese Weise sterben.

„Deine Anspannung nervt“, seufzte jemand. „Du solltest weniger nachdenken.“

Mir lief es sofort eiskalt den Rücken herunter, denn die Stimme kannte ich. Sie war das letzte gewesen, was ich gehörte hatte, kurz bevor ich das Bewusstsein verlor. Also handelte es sich hierbei um eine Entführung? Hastig drehte ich mich auf dem Sofa um und machte mich auf alles gefasst, nur nicht darauf, was ich zu Gesicht bekam, obwohl es kein furchtbarer Anblick war.

„Du bist das“, stellte ich verwirrt fest.

Das dunkelbraune Augenpaar des anderen fixierte mich fest, es versuchte mich geradezu zu verschlingen. Tatsächlich wirkte es wie ein schwarzer Abgrund, je länger ich den Blick erwiderte, ganz anders als bei Kieran. Trotzdem hatte dieser Mann Ähnlichkeit mit ihm, wirkte jedoch wesentlich reifer, weshalb ich ihn auch als Erwachsenen einstufen konnte.

Er saß auf einem gepolsterten Holzstuhl an einem zweiten Tisch, der hinter dem Sofa stand. Wegen der Rückenlehne hatte ich diese Seite vorhin nicht einsehen können. Vermutlich handelte es sich um den Essbereich, ich zählte noch fünf weitere Stühle. Auf dem Tisch ruhte ein Laptop, den er eben geschlossen haben und somit das klackende Geräusch verursacht haben musste.

Ungläubig schüttelte ich den Kopf. „Du bist nicht Kieran, oder?“

Sie sahen sich ähnlich, aber gleichzeitig auch nicht. Die etwas feminine Gesichtsform war die gleiche, genau wie das tiefschwarze, kurz geschnittene Haar, nur war die Frisur bei dieser Person etwas anders als bei Kieran. Beide Augen lagen frei, keine langen Strähnen verdeckten eines davon, sie fielen ihm dennoch weit über die Stirn. Seine Haare standen an manchen Stellen etwas ab, bei Kieran lagen sie überwiegend glatt und ordentlich.

Von der Größe her glichen sie sich dann wieder, auch der Körperbau war ähnlich. Nur die Haltung dieses Jungen war erschreckend selbstbewusst, nahezu furchtlos. Diese Ausstrahlung unterstrich sein stechender, ernster Blick zusätzlich. Selbst sein Kleidungsstil verriet, dass er sich nicht zu verstecken versuchte, anders als Kieran. Fast kam er an den von Faren heran, nur eine Spur wilder.

„Mitnichten“, betonte er, scheinbar abgeneigt von dieser Vorstellung. „Aber du bist nicht der Erste, der mich das fragt. Umgekehrt ist das seltsamerweise niemals der Fall.“

Aus irgendeinem Grund ließ mich seine Stimme schaudern. Etwas in ihr war derart eindringlich, dass es mich gefangen nahm. Richtig unheimlich.

Sollte ich mich entschuldigen? Unsicher schwieg ich, ohne den Blick abzuwenden. Ich befürchtete, es bitter zu bereuen, wenn ich ihn auch nur eine Sekunde aus den Augen ließe. Was sollte ich sagen? Gerade kam ich mir wirklich hilflos vor, wie ein Kleinkind. Nicht mal soziale Interaktionen lagen mir.

„Da du anscheinend deine Zunge verschluckt hast, liegt es wohl an mir, das Ganze aufzuklären“, fuhr der andere fort, diesmal ohne irgendeine emotionale Regung. „Mein Name ist Ciar.“

„Ciar?“, wiederholte ich mühevoll.

„Das hast du richtig verstanden, Ciar Belfond.“

Belfond?! So lautete der Familienname von Kieran, aber das konnte nicht sein. Gab es etwa noch andere Leute in der Stadt, die so hießen? Eigentlich hatte mir Kieran nie sonderlich viel über seine Familie erzählt, fiel mir ein. Dieses Thema behagte ihm nicht, darum sprachen wir nicht darüber.

„Verstehe, Kieran hat dir nichts von mir erzählt, hm?“ Ciar rollte leicht mit den Augen. „Typisch, dabei sollte man zu seinem älteren Zwillingsbruder stehen, meiner Meinung nach.“

Jetzt setzte mein Gehirn aus. Zwillinge? Kieran hatte ernsthaft einen solchen Bruder? Dann wirkte dieser auch noch ganz anders als er, wie das genaue Gegenteil von ihm. Davon hatte ich bis zu diesem Zeitpunkt keine Ahnung gehabt. Ob Faren es wusste?

Schlagartig begann meine Brust wieder zu schmerzen. Ich war nicht Kierans Partner, also sollte ich es mir nicht so sehr zu Herzen nehmen, doch es machte mich traurig. Es war verletzend, nur so wenig über Kieran zu wissen, obwohl ich mich ihm so nahe fühlte.

„Ah, okay“, stammelte ich erst, räusperte mich aber dann, um endlich etwas mehr Haltung anzunehmen und durch seinen festen Blick nicht gänzlich unterzugehen. „Nett, dich kennenzulernen.“

Nett.“ Etwas daran ließ Ciar schmunzeln. „Schon klar.“

Ich ließ mich davon nicht beirren und stellte eine wichtige Frage: „Wo bin ich hier?“

„Oh, das dürfte dir gefallen.“ Theatralisch breitete Ciar die Arme aus. „Willkommen im Hause der Belfonds, wo auch der werte Kieran sein Leben fristet, in seinem Zimmerchen.“

„Kieran wohnt hier?“

Sollte Ciar wirklich dessen Zwillingsbruder sein, wäre das nicht verwunderlich. Bis zu einem gewissen Alter lebte man in der Regel mit der Familie zusammen, auch noch einige Jahre über die Volljährigkeit hinaus – ja, Kieran war bereits erwachsen, ebenso wie Faren.

Was mich so sehr schockte, war die Tatsache, dass jemand wie Kieran in solch einem prunkvollen Schloss hauste. Sicher mochte ich übertreiben, doch wer lange Zeit im Waisenhaus leben musste, der konnte das hier nur als edel betrachten. Schon das Wohnzimmer bot eine Menge Lebensraum. Wie viele Zimmer gab es noch? Wie viele Stockwerke? Wie viele Personen genau lebten hier? Das wollte ich alles zu gern wissen.

„Er hält das geheim, weil ihm das unangenehm ist“, erklärte Ciar und winkte dabei über die Schulter. „Kieran will nicht für einen reichen, eingebildeten Schnösel gehalten werden, der sich deswegen von anderen distanziert, weil er sich für etwas Besseres hält. Ziemlich albern, oder?“

„Finde ich nicht“, rutschte es mir heraus, wie von selbst.

Das klang ganz nach Kieran. Jemand wie er würde niemals mit dem angeben, was er hatte, weil ihm solche Werte nicht wichtig waren. Faren würde vor Begeisterung ausflippen, könnte er diese Bude sehen. So weit waren sie in ihrer Beziehung bestimmt noch nicht gekommen, Kieran blieb bei solch persönlichen Enthüllungen verschlossen und konnte dabei erstaunlich stur bleiben.

„Ciar, musst du Ferris diese Dinge über mich unbedingt erzählen?“, beklagte sich auf einmal das Gesprächsthema persönlich.

Aus einem der anderen Räume kam in diesem Augenblick Kieran zu uns ins Wohnzimmer, mit einem Tablett in der Hand, das mit einem ordentlichen Frühstück gedeckt war. Zum ersten Mal sah ich ihn in Alltagskleidung, die man nur zu Hause trug. Zwar handelte es sich dabei nur um ein einfaches Shirt und eine lockere Hose, aber es brachte mich sofort in Verlegenheit, die ich mühevoll zu unterdrücken versuchte.

„Sorry, Kieran“, warf ich rasch ein.

„Du musst dich nicht entschuldigen“, beruhigte er mich und lenkte den Blick vielsagend zu Ciar.

Dieser zuckte unschuldig mit den Schultern und wandte sich wieder dem Laptop zu, den er öffnete. „Ich hab doch nur die Wahrheit gesagt. Anders als du sehe ich keinen Grund darin, krampfhaft alles geheimzuhalten, Bruderherz.“

Kierans Brustkorb hob und senkte sich sichtbar, was mir seinen stummen Seufzer enthüllte, den er daraufhin ausstieß, statt etwas zu sagen. Er brachte das Tablett zu mir an den Tisch und stellte es dort ab, mit der Erklärung, dass ich mich stärken sollte. Darauf waren mehrere Brötchen und Belag angerichtet, so dass ich mir selbst etwas zusammenstellen konnte. Als Alternative stand auch noch Müsli mit Milch dabei und Wasser.

Der Gedanke daran, dass Kieran dieses Frühstück vielleicht sogar selbst für mich gemacht hatte, weckte einen gigantischen Kohldampf in mir, wie ich ihn ewig nicht mehr hatte. Oder es gab hier einen Butler, der solche Arbeiten erledigte, aber mir gefiel die andere Option besser. Dieses warme Gefühl milderte vorerst den Schmerz in meiner Brust.

Ich wandte mich lächelnd an Kieran. „Vielen Dank, das wäre nicht nötig gewesen.“

„Das Frühstück ist eine wichtige Mahlzeit, deshalb ist das selbstverständlich.“

„Sagt der, der von uns allen hier am wenigsten isst und immer dazu angetrieben werden muss“, mischte Ciar sich aus dem Hintergrund ein.

Gekonnt ignorierte Kieran ihn. „Wie geht es dir, Ferris?“

„Ganz gut“, log ich. „Ich bin nur etwas verwirrt. Wie bin ich hierher gekommen?“

Mir war noch nicht ganz klar, ob ich diesem skurrilen Wesen letzte Nacht wirklich begegnet war oder nicht. Am liebsten wäre es mir, es gäbe eine andere Erklärung dafür. Sonst würde Ciar mir nur sofort noch unheimlicher werden. Kein normaler Mensch könnte gegen so ein seltsames Geschöpf gewinnen, falls überhaupt ein Kampf stattgefunden hatte. Erinnern konnte ich mich an keinen, aber mit meinem Kopf stimmte sowieso einiges nicht.

„Ich habe dich gefunden“, antwortete Ciar mir, der aufgestanden war und sich neben mir mit den Armen auf der Rückenlehne des Sofas abstützte. „Nach meinem Feierabend habe ich dich auf dem Weg nach Hause zufällig im Park entdeckt, wo du auf einer Bank geschlafen hast.“

Ich starrte ihn verblüfft an. „Bitte?“

„Und da ich nicht so schwach bin wie Kieran“, stichelte Ciar, während er weitersprach, „habe ich dich kurzerhand über meine Schulter geworfen und mitgenommen. Mein Auto parkte ganz in der Nähe.“

Im Vergleich zu der Version mit diesem grässlichen – mir gehen die Adjektive dafür nicht aus – Monster aus Teer, klang diese erschreckend lahm. Nahezu so peinlich, dass ich im Erdboden versinken wollte. Erst recht als Kieran auch noch einen naheliegenden Verdacht äußerte, in Form einer weiteren Frage: „Hast du Alkohol getrunken?“

Hätte nur noch der elterliche, vorwurfsvolle Tonfall gefehlt, doch Kieran klang zum Glück nur besorgt. Allerdings war das auch schon schlimm genug, denn ich wollte ihm keine Last sein. Wenn ich nicht mit ihm zusammen sein konnte, wollte ich zumindest eine sorglose Freundschaft mit ihm führen, in der er sich keine Gedanken um mein Wohl machen musste. Wir sollten beide einfach Spaß zusammen haben.

„Ja, mir war mal danach, mich endlich abzuschießen“, scherzte ich, gespielt heiter, winkte jedoch sofort ab. „Nein, habe ich natürlich nicht. Echt.“

Skeptisch musterte Kieran mich genauer. „Was hast du dann nachts draußen auf einer Parkbank gemacht?“

Spontan wollte mir keine logisch nachvollziehbare Lüge einfallen und lange warten durfte ich mit der Antwort auch nicht, sonst weckte ich Kierans Misstrauen nur noch mehr. Blieb mir also nur die Wahrheit, um mich davor zu bewahren, mich in irgendwelche wirren Geschichten zu verzetteln.

„Ich hatte eine kleine Auseinandersetzung mit Vincent“, gestand ich. „Darum bin ich später dann einfach abgehauen. Das ist so im Affekt passiert.“

Den Teil mit dem außerirdischen Wesen ließ ich bewusst aus, schon weil ich von Kieran nicht für verrückt erklärt werden wollte. Sonst ging er nur auf Abstand. Im Moment wusste ich nicht mal selbst, ob das überhaupt ein reales Geschehen war. Außerdem hatte ich Kieran schon gebeichtet, dass ich aktuell bei einem Therapeuten wohnte, was Überwindung genug gewesen war. Zu meiner Erleichterung verurteilte er mich deswegen nicht, wahrscheinlich weil Kieran selbst regelmäßig bei Vincent in Behandlung war – dort hatten wir uns kennengelernt.

„Zum Glück ist dir nichts passiert“, kommentierte Kieran das Ganze, sprach aber etwas strenger weiter. „Nachts draußen auf einer Parkbank zu schlafen ist gefährlich. Es gibt genug Leute, die dich als leichtes Opfer gesehen hätten, um dich zu überfallen oder einfach nur Frust an dir auszulassen.“

Lachend versuchte ich, die Stimmung zu entspannen und vor allem Kieran zu beruhigen. „Überfallen? Ich hab doch gar nichts, bin ein armer Schlucker. Und hey, mir ist ja nichts passiert. Im Notfall hätte ich mich schon wehren können.“

Zweifelnd hob Kieran eine Augenbraue. „Nicht, wenn du betrunken warst.“

„Ey, jetzt sei mal nicht so misstrauisch. Das war ich nicht“, versicherte ich ihm und legte bedeutungsvoll eine Hand auf die Brust. „Ich schwöre es dir, hoch und heilig! Bestimmt war ich nur kaputt von Vincents Sitzung. Du kennst das doch.“

Das hätte ich vor Ciar besser nicht sagen sollen, denn Kieran warf unauffällig einen Blick zu diesem. Ihm stand ins Gesicht geschrieben, wie unangenehm ihm das war und dass er unter diesen Umstand litt. Da ich Ciar bislang nicht bei Vincent gesehen hatte, ahnte ich, dass Kieran sich dafür schämen musste, als einziger von ihnen psychische Probleme zu haben. Niemand war stolz darauf, zu einem Therapeuten gehen zu müssen. Ich verstand das nur zu gut.

Ciar schien das Thema aber überraschend kalt zu lassen, er verzog keine Miene. Etwas an ihm strahlte sogar Langeweile aus. Warum ging er dann nicht zurück an den Laptop? Ob er Dank erwartete? Eigentlich wäre das in der Tat angebracht, nur wollte ich das nicht gerade jetzt erledigen. Mir war dieser Typ nicht ganz geheuer. Seine Anwesenheit beunruhigte mich, doch dank Kierans Nähe wurde dieses Gefühl ein wenig abgeschwächt.

„Am besten isst du erst mal“, bat Kieran mich und deutete in eine Richtung, aber da ich mich hier nicht auskannte, wusste ich nicht, wohin genau. „Ich werde Vincent anrufen und ihm Bescheid sagen, dass du bei uns bist. Er wird sich Sorgen um dich machen.“

Ich biss die Zähne zusammen und musste mich bemühen, ihn nicht lauthals davon abzuhalten. Durch diesen Anruf ging das alles nur wieder von vorne los und endete irgendwann erneut genau wie gestern, das hatte keinen Sinn. Schlimmstenfalls schloss Vincent ab heute stets gründlich sämtliche Türen und Fenster ab, damit ich nicht mehr so leicht weglaufen konnte. Wir alle würden uns nur ewig im Kreis drehen und keinen Ausweg aus diesem Elend finden.

Leider konnte ich das vor Kieran nicht zeigen. Ihm war es wichtig, dass ich zurück zu Vincent ging und nicht auf der Straße lebte. Er glaubte mehr an meine Heilung als ich selbst, gerade ihn wollte ich nicht enttäuschen. Vincent käme damit zurecht, aber Kieran wollte ich keine Sorgen bereiten. Also musste ich diese Spirale offenbar vorerst weiter in Kauf nehmen und aushalten.

„Gute Idee~“, sagte ich widerwillig. „Danke, Kieran.“

Nickend wandte er sich von uns ab und ging wieder davon, verschwand durch eine der Türen. Sofort kehrte der Schmerz in meiner Brust zurück und das Loch in meinem Herzen riss noch weiter auf. Wie verlassen und einsam ich mir vorkam. Andere würden es bestreiten und behaupten, ich sei noch jung, aber ich wusste bereits, dass ich diesen Schmerz niemals mehr in meinem Leben loswerden könnte. Ebenso wenig wie meine Unfähigkeit, mit der ich keinen Anschluss in der Gesellschaft fand.

Ich bin nicht perfekt.

Ich bin nicht mal halbwegs annehmbar.

Ich bin ein absolutes Wrack – seht das doch endlich mal ein!

„Willst du deinen Schmerz loswerden?“, riss mich Ciars Stimme aus meiner Trance.

Erschrocken fuhr ich zur Seite. „Was?“

Den hatte ich schon vollkommen verdrängt, er war auch noch da. Ausgerechnet dieser Kerl, den man glatt als bösen Zwilling von Kieran bezeichnen könnte. Ehrlich, etwas an ihm machte mir Angst, ich konnte es nur nicht benennen. Woher kannte er überhaupt meinen Namen und wusste, wie ich aussehe? Kieran plauderte mit ihm sicherlich nicht über seine wenigen Freunde, dafür war er nicht der Typ.

„Ich weiß, wie du deine Schmerzen spielend einfach loswerden könntest“, fuhr Ciar verheißungsvoll fort. „Oder leidest du so gerne?“

Wie auf Stichwort fuhr ich vom Sofa hoch. „Nein, tue ich nicht!“

„Dachte ich mir.“ Seltsam zufrieden kehrte Ciar zu seinem Laptop zurück und nahm diesen vom Tisch. „Ich melde mich bei dir, wenn es so weit ist.“

„Wovon redest du da? Was willst du eigentlich von mir?“

„Ich will dir nur helfen“, erwiderte Ciar, derart ernst, dass es wie eine Drohung klang, sollte ich ihn weiter nerven. „Wir können uns gegenseitig helfen. Lass dich überraschen.“

Ohne mich noch eines Blickes zu würdigen, ging er daraufhin ebenfalls auf eine der Türen zu und verließ das Wohnzimmer. Nun stand ich alleine da, perplex und überfordert.

Kein Wunder, dass Kieran nie von ihm erzählt hat, dachte ich für mich. Der spinnt doch total!

Seltsam, so etwas zu denken, wenn man selbst nicht ganz normal war. Egal, ich sollte Ciar so schnell wie möglich vergessen. Bald musste ich mich doch wieder mit Vincent auseinander setzen, was um einiges anstrengender werden dürfte. Darum nahm ich Platz, um mich dem Frühstück widmen zu können und mich dafür entsprechend zu stärken.

Vielleicht konnte ich Vincent ein wenig beschwichtigen, wenn er wusste, dass ich anständig gegessen hatte. Es wäre schön, den restlichen Tag über möglichst friedlich verbringen zu können. Besonders nach dieser Nacht wollte ich die letzten Stunden nur noch vergessen und versuchen, weiterhin zu überleben. Wenigstens noch eine Weile, für Kieran.

Vincent wartet doch auf uns

Hier saß ich nun, in einem protzigen Luxuswagen, einer großen Familienkutsche. Obwohl ich ein Kerl bin, verstehe ich nicht viel von Autos. Wer im Waisenhaus aufwuchs, der konnte froh genug sein, wenn man mit öffentlichen Verkehrsmitteln fahren durfte, denn war die Schule in der Nähe, mussten die Kinder laufen, um Geld zu sparen. Deshalb kam ich in der Vergangenheit selten in den Genuss, von vier Rädern durch die Gegend kutschiert zu werden.

Trotzdem ahnte sogar ich als Laie, dass dieser geräumige Wagen gewiss nicht billig gewesen sein konnte. Ein Blick auf die zahlreichen Funktionen und Extras, die das Armaturenbrett zu bieten hatte, bestätigte diese Vermutung. Besonders das eingebaute Navigationssystem und der kleine Bildschirm, dank dem es sich leichter rückwärts einparken ließ, brachten mich zum Staunen. So etwas hatte ich noch nie gesehen, für mich war das die reinste Science-Fiction.

„Anschnallen“, forderte der Fahrer neben mir.

Der war ein regelrechter Zwei-Meter-Mann, mit den körperlichen Eigenschaften einer Ziehharmonika. Im Ernst, es war mir ein Rätsel, wie jemand von solcher Größe sich in ein Auto zwängen konnte, erst recht auf der Fahrerseite, wo es durch das Lenkrad und allen anderen Steuerelementen noch beengter sein musste. Vielleicht besaß der Typ keine Knochen und bestand nur aus Gummi, aber seine Haltung sah überraschend normal aus.

Zwar mochte dieser Wagen angenehm groß sein und mehr Platz bieten als manch anderer, doch es sollte normalerweise dennoch nicht einfach für ihn sein, hier drin zu sitzen. Wie auch immer, eigentlich konnte mir das egal sein, nur sah ich einen derart hoch gewachsenen Mann heute ebenfalls zum ersten Mal in meinem Leben. Zu viele neue Eindrücke an einem Tag.

„Stimmt etwas nicht?“, fragte er plötzlich.

Erst jetzt bemerkte ich, dass ich ihn die ganze Zeit schweigend anstarrte. Nicht gerade höflich, wie ich wusste, auch wenn ich gute Gründe dafür aufzählen könnte, warum ich ihn so genau musterte. Hoffentlich fühlte er sich nicht in irgendeiner Form beleidigt von meinem Starren.

Hastig schüttelte ich den Kopf. „Nein, nein. Alles okay.“

„Gut.“ Der Klang seiner tiefen Stimme war ebenso melodisch wie bei Kieran, das musste bei denen in der Familie liegen. „Wenn du dich dann anschnallen würdest, könnten wir endlich losfahren.“

„Oh, ja klar. Sorry.“

Zügig kam ich seiner Forderung nach, er selbst war schon längst bereit und wartete nur noch auf mich. Anscheinend hatte ihn also nicht mein Starren gestört, sondern mein tatenloses Herumsitzen. Immerhin wollte er mich nach Hause fahren, zu Vincent, obwohl er garantiert bessere Dinge zu tun hätte, als sich um einen Ausreißer zu kümmern. Dabei hatte ich versichert, alleine zurechtzukommen, aber weder er noch Kieran waren davon begeistert gewesen. Sie mussten glauben, ich würde die Chance dazu nutzen, nochmal abzuhauen.

Also hatte ich nachgeben müssen, zumal ich es mir ausgerechnet mit dieser Person nicht verscherzen wollte. Bei meinem Fahrer handelte es sich nämlich um Hiwa Belfond, den Vater von Kieran und diesem unheimlichen Ciar. Muskulös war er nicht, eher etwas schmächtig, was sein ellenlanges, dunkelbraunes Haar gut kaschierte. Das pflegte er bestimmt nicht selbst, so ordentlich wie es aussah. Diese Haarpracht machte wahrlich jeder Frau ernsthafte Konkurrenz.

Hiwa wäre schon wieder jemand in meinem Umfeld, der locker als Model arbeiten könnte – ich kam mir langsam wie das schwarze Schaf in der Herde vor. Sein Gesicht wirkte aber eher wie das eines Totengräbers oder Politikers, der seine Seele an den Teufel verkauft hatte. Die Augenbrauen blieben dauerhaft zusammengezogen und seine Mundwinkel hingen weit unten. Alles an Hiwas Mimik war verhärtet und strahlte einen Ernst aus, der den Tod persönlich einschüchtern könnte.

Einzig seine braunen Augen besaßen etwas Weiches, sogar Warmes, das beruhigend wirkte. Sie erinnerten mich stark an die von Kieran, weshalb ich seinen Vater nur mögen konnte. Dabei kannten wir uns erst seit etwa zehn Minuten. Hiwa redete nicht viel, habe ich schon festgestellt.

Eine Brille würde ihm voll stehen, dachte ich für mich. Passend zu seinem Business-Anzug.

Mich würde brennend interessieren, was für einen Beruf Hiwa ausübte, dass er sich und seiner Familie solch ein luxuriöses Leben bieten konnte, aber ich wollte ihn nicht noch mehr nerven. Gut möglich, dass er deswegen so ein ernstes Gesicht machte, weil ich in seinen Augen ein Störenfried war. Traurigerweise wäre Hiwa somit die erste Person, die vernünftig war und schlechte Menschen auf den ersten Blick erkannte, statt all ihre Energie und Zeit vergeblich in jemanden hineinzustecken.

Wäre ich mit Kieran zusammengekommen, anstelle von Faren, hätte ich Hiwa irgendwann unter anderen Umständen kennengelernt. Spätestens ab dem Zeitpunkt wäre unsere Beziehung bestimmt auseinander gebrochen. Wie sollte jemand wie ich Hiwa von sich überzeugen? Ich hatte die Schule abgebrochen, keine Ausbildung in Sicht und stammte aus dem Waisenhaus, aus dem ich einfach geflohen war. So sah nicht gerade der Partner aus, den man sich für sein Kind wünschte.

Meine Liebe zu Kieran hätte so oder so keine Chance gehabt.

Reiß dich zusammen!, ermahnte ich mich selbst, bevor diese Gedanken ausarten konnten. Es ist vorbei, damit habe ich mich abgefunden.

Das Gefühl der Liebe ließ sich aber leider nicht so leicht abstellen. Ich wollte das nicht aufgeben. Seit den letzten Jahren war es nach langem etwas Gutes gewesen, das ich erlebte. Jetzt endete es zwar in Kummer, doch ich wollte nicht endgültig loslassen. Sonst käme ich nur wieder zu dem Schluss, dass mich niemand mehr bräuchte.

Abwesend warf ich einen Blick aus dem Fenster. Inzwischen fuhren wir bereits durch die Stadt, nach Spießerhausen. Wann hatte Hiwa den Motor gestartet? Der Wagen bewegte sich derart geschmeidig, beinahe schwebend, dass ich keinerlei Bewegungen wahrnahm, als würden wir immer noch stehen. Draußen rauschte aber die Außenwelt an uns vorbei, wie ein schneller Fluss, der neben uns ins Unendliche führte.

„Ich hasse ihn. Warum tue ich mir das überhaupt an?“

Sofort huschte mein Blick zu Hiwa, doch er konzentrierte sich auf den Verkehr. Er hatte nichts gesagt. Es sei denn, er konnte seine Stimme verstellen und auf einmal wie eine Frau klingen.

Irritiert sah ich nochmal nach draußen und überlegte, was ich eben gehört haben könnte. Das Radio lief nicht und die Fenster waren allesamt geschlossen, am Morgen blieb man noch von der Hitze verschont.

Instinktiv holte ich mein Handy hervor, doch es war noch nicht wieder aufgeladen worden und somit stumm.

Bildete ich mir etwas ein? Ich hatte vorhin klar und deutlich eine Frau sprechen hören, als stünde sie direkt neben mir und würde mit mir sprechen. Mir kam das Monster von letzter Nacht in den Sinn. Falls das wirklich passiert war, könnte so etwas dann auch am Tag auftauchen? Nein, sonst wäre das schon längst aufgefallen und die Medien wären voll davon.

„Kotzt mich das an, ey! Ich könnte die Alte echt abstechen!“

„Wenn ich eh nur Abschaum bin, kann ich auch einfach klauen.“

„Soll das Mistvieh doch an der nächsten Straßenecke verrotten.“

Nervös sah ich suchend aus dem Fenster. Noch mehr Stimmen, jede klang nach einer anderen Person. Ein Mann. Ein Kind. Noch ein Mann. Mein Griff um das Handy wurde schwächer und es fiel mir auf den Schoß, was ich nicht bemerkte. Wie versteinert saß ich da und wollte meinen Augen nicht trauen.

Zwischen den Menschen, die schon in der Stadt unterwegs waren und Einkäufe erledigten oder anderen Pflichten nachgingen, gab es einige Leute, deren Anblick mich zutiefst verstörte. Wie selbstverständlich bewegten sie sich zwischen ihren Artgenossen und taten so, als seien sie ganz normal. Womöglich wussten sie nicht mal, wie ihre wahre Gestalt aussah.

Statt normalen Gesichtern sah ich bei einigen nur verschwommene Fratzen, mit tiefen Augenhöhlen, aus denen eine schwarze Flüssigkeit wie Tränen nach draußen floss. Sie blieb an ihren Körpern haften und breiteten sich wie Wurzeln aus, je mehr von dieser Substanz hervorkam. Ich sah eine Gestalt, die fast vollständig von der flüssigen Masse in einen klebrigen Kokon eingehüllt worden war, doch sie lief weiter, als würde sie das nicht einschränken.

„Der Arsch wird schon sehen, was er davon hat, mich zu betrügen!“

„Ich will nicht nach Hause, wenn Papa da ist ...“

„Scheiß auf alles, ich halte das ohne Alkohol und Drogen nicht aus.“

Aus den verzogenen Mündern dieser Gestalten kamen diese Stimmen, sie sagten diese beängstigenden Dinge. Mal war es ein bestialisches Maul, ein breites Grinsen mit scharfen Zähnen oder nur ein tiefer Schlund aus Trauer und Verzweiflung.

„Fuck, was ist das?!“, sprach ich ungewollt laut aus, wobei ich versuchte so weit wie möglich von dem Fenster wegzurücken.

Hiwas Stimme ertönte neben mir, der dunkle Klang und der geduldige Tonfall war wie ein Segen zwischen den kranken Aussagen der Gestalten. „Was ist los? Fühlst du dich nicht gut?“

Hilfesuchend wandte ich den Blick zu ihm und deutete zitternd nach draußen. „Diese komischen Dinger, ich meine ... keine Ahnung, was das ist, aber irgendetwas stimmt da nicht.“

Ich sah in seinen Augen keine Skepsis oder gar Abscheu, stattdessen schien ein Funken Sorge aufzuflackern, doch seine Mimik blieb vollkommen ernst. Prüfend warf er einen Blick in sämtliche Richtungen, ohne sich vom Verkehr ablenken zu lassen.

„Tut mir leid, ich sehe nichts Ungewöhnliches.“

„Nicht?“, brachte ich heiser hervor.

„Soll ich anhalten?“

„Nein!“ Mir war bewusst, wie panisch ich wirken musste, deswegen versuchte ich, etwas gefasster weiterzusprechen. „Nein, das passt schon. Fahr einfach weiter, Vincent wartet doch auf uns.“

„Bist du sicher?“ Einen Moment lang hielt Hiwa inne. „Wie du meinst, aber sag Bescheid, falls ich doch anhalten soll.“

Murmelnd versicherte ich ihm, dass ich das tun würde, und rutschte tiefer in meinen Sitz. Angespannt starrte ich nur noch in den Fußraum und vermied es, nochmal nach draußen zu schauen. Dummerweise half das nicht gegen die Stimmen, die weiterhin mein Gehör erreichten.

„Wie mich diese Bettler und dreckigen Schmarotzer anwidern, die sollte man alle wegsperren.“

„Ich möchte wissen, wie sich das anfühlt, lebendes Fleisch zu zerschneiden.“

„Wenn ich diese scheiß Einrichtung in Brand stecke, hab ich endlich meine Ruhe.“

Meine Hände vergruben sich in dem Stoff meiner Hose und ich wagte kaum zu atmen, um nicht bemerkt zu werden. Keine Ahnung, ob diese Gestalten mich überhaupt wahrnehmen könnten, aber ich wollte es nicht riskieren. In ihren Worten lag so viel Hass, Trauer, Wut und Verzweiflung, dass es schon beim Zuhören erdrückend war. Hatten die etwas mit dem Wesen aus Teer zu tun? Woher kamen die plötzlich?

Bin ich denn wirklich schon so im Arsch, dass mein Verstand sich schon in der Zwischenhölle verirrt hatte?

„Vincent“, flüsterte ich verängstigt. „Hilf mir.“

Ich nahm freiwillig jede Pille zu mir, die er mir geben würde, wenn ich dafür diese Stimmen nicht mehr hören musste. Wie froh ich auf einmal war, dass wir gerade zu Vincent fuhren. Aus irgendeinem Grund kam es mir bei ihm sicher vor. Mit meinen eigenen Problemen und düsteren Gedanken konnte ich mich noch arrangieren, weil ich sie kannte und gewohnt war, diese fremden Einwirkungen jedoch machten mich wahnsinnig. Damit konnte ich nicht umgehen.

Als aus heiterem Himmel mein Handy auf meinem Schoß vibrierte, zuckte ich so heftig zusammen, dass es geradewegs in den Fußraum fiel. Fluchend wollte ich mich danach bücken, zumindest so weit der Sicherheitsgurt es zulassen würde, doch ich kam nicht dazu.

In meinem Augenwinkel blitzte kurzzeitig ein Teil der Vorderscheibe des Wagens auf, wodurch etwas meine Aufmerksamkeit auf sich zog. Mir wurde schlagartig schlecht, als ich das Wesen aus Teer erblickte, direkt vor dem Auto. Mit ausgebreiteten Armen stand es da und riss das Maul so weit auf, dass ein pechschwarzer Tunnel entstand, auf den wir zusteuerten.

Ich vergaß jegliche Logik, meine Angst nahm Überhand.

„Halt an!“, schrie ich.

Tatsächlich reagierte Hiwa darauf mit einer scharfen Vollbremsung, durch die ich nach vorne geschleudert wurde, aber mein Gurt hielt mich im Sitz. Aufgrund dieser ruckartigen Bewegung wurde mir schwindelig und für den Bruchteil einer Sekunde schwarz vor Augen. Ich hatte das Gefühl, jeden Augenblick setzte mein Herz aus, so schnell schlug es.

„Ferris, was ist mit dir?“, hörte ich Hiwa fragen.

Blinzelnd erwiderte ich seinen Blick, etwas orientierungslos. „Da ... da war ...“

Mühevoll suchte ich nach Worten, aber meine Fähigkeit zu sprechen schien mir abhanden gekommen zu sein. Keinen anständigen Satz brachte ich zustande und konnte nur mit offenem Mund dasitzen, während Hiwa mich wartend ansah.

Zögerlich schielte ich nach vorne, um zu überprüfen, ob vor uns immer noch eine Gefahr drohte. Natürlich geschah das, was kommen musste: Es war nichts mehr zu sehen.

Ungläubig richtete ich mich etwas im Sitz auf und hielt nach diesem Wesen Ausschau, das hier in der Nähe sein musste. Ich hatte es doch gesehen!

Aber nichts.

Nur die friedliche, menschenleere Gegend von Spießerhausen. Wenige Meter weiter endete die Straße bei Vincents Haus, wir waren so gut wie da.

„Schon gut“, beruhigte Hiwa mich und legte sachte eine Hand auf meine Schulter. „Wir können das letzte Stück zu Fuß gehen.“

Er musste mich für verrückt halten, so viel war sicher. In Hiwas Augen war ich völlig durchgeknallt, er wollte mich bestimmt nur noch so schnell wie möglich loswerden. Ehrlich gesagt verstand ich das sogar, denn ich wusste selbst nicht mehr, ob hier etwas Übernatürliches vor sich ging oder ich dringend in eine Klinik eingewiesen werden sollte.

Ich stand komplett neben mir, nichts in meinem Kopf ergab mehr einen Sinn. Darum musste Hiwa mir beim Aussteigen helfen und mich die nächsten Schritte zu Vincents Haus führen, was er ohne Beschwerde auf sich nahm. Bevor wir unser Ziel erreichen konnten, kam uns bereits Vincent entgegen. Beim Bremsen musste ein lautes Quietschen entstanden sein, durch das er auf uns aufmerksam gemacht worden war.

„Da bist du ja“, sagte er beruhigt, als er zu uns stieß. Dankend nahm er Hiwa die Aufgabe ab, mich zu führen, und legte einen Arm um meine Schultern. „Komm, wir gehen besser erst mal rein.“

Vincent stellte keine Fragen, sondern leitete mich zur Haustür. Unterwegs wechselte er einige Worte mit Hiwa, die beiden schienen sich zu kennen. Worüber genau sie sich austauschten, bekam ich nicht mit, so abwesend war ich. Im Moment wollte ich nur ins Haus und niemals wieder nach draußen gehen. Solange ich drinnen blieb, bei Vincent, der einen klaren Verstand besaß, kamen diese Stimmen und Erscheinungen hoffentlich nicht so bald zurück.

Du hast jede Strafe verdient

„Sie wird ihre Wirkung niemals entfalten, solange du sie nur weiterhin so ausgiebig unter die Lupe nimmst“, wies Vincent mich auf eine wesentliche Tatsache hin.

„Hm“, kommentierte ich darauf knapp, halb abwesend.

Zwischen Daumen und Zeigefinger hielt ich eine kleine, blau-weiße Kapsel in der Hand, die ich schon seit einer Weile schweigend betrachtete. Es handelte sich um ein Arzneimittel, das Vincent mir gegeben hatte, um mir zu helfen, mich wieder zu stabilisieren. Wann war ich das überhaupt jemals gewesen? Egal, jedenfalls erreichte ich hiermit also endgültig den Status als verzweifelter Irrer.

Da ich Vincents bedrängenden Blick auf mir spürte, brachte ich es endlich hinter mich und ließ die Kapsel in meinen Mund wandern, bevor ich mit etwas Wasser nachspülte. Nur ein Schluck, schon war das Ding weg. Selbst wenn es nichts weiter als ein Beruhigungsmittel war, musste ich zugeben, dass ich es begrüßen würde, sollte ich dadurch nicht mehr von irgendwelchen Halluzinationen heimgesucht werden. Schon im Auto, während der Fahrt hierher, hatte ich das bereits gedacht.

„Zufrieden?“

„Du weißt, dass ich dir nur helfen will, oder?“, konterte Vincent mit einer Gegenfrage.

Falls er sich gerade gekränkt fühlte, weil ich so klang, als würde er mich nur mit Medikamenten ruhigstellen wollen, hielt er seine emotionslose Maske wahrlich erfolgreich aufrecht.

Seine Worte ließen mich erschöpft seufzen. „Das hab ich heute schon mal gehört.“

An diesen Ciar wollte ich nicht mehr denken, also sprach ich sofort weiter, ehe Vincent darauf eingehen konnte. „Ist dieser Hiwa etwa schon wieder weg?“

„Mr. Belfond“, korrigierte Vincent mich und antwortete mit einem Nicken. „Er hatte nicht viel Zeit, weil er noch dringend etwas erledigen muss.“

„Aha“, gab ich verstehend von mir. „Kann es sein, dass ihr euch kennt?“

„In der Tat, wir sind alte Freunde.“

Wie erstaunlich, er verriet mir endlich mal etwas über sich, statt darauf hinzuweisen, dass es nicht um ihn ging. Wirklich ins Detail schien Vincent aber nicht gehen zu wollen, denn er beließ es nur bei diesem einen Satz. Typisch, selber sprach er nur das Nötigste. Ob viele Therapeuten so waren?

Meine Hand fuhr langsam über meinen Nacken, bis ich mich wagte, zögerlich weiter nachzuhaken. „Hat er etwas gesagt?“

„Wozu?“, wollte Vincent genauer wissen.

„Über mich.“

Irgendetwas musste Hiwa bezüglich meiner Person geäußert haben, dessen war ich mir absolut sicher. Vielleicht hatte er es nicht deutlich ausgesprochen, aber Vincent war intelligent genug, auch solche Aussagen zu erkennen, die ihm durch die Blume mitgeteilt wurden. Andernfalls müsste ich seinen Titel als Therapeut anzweifeln.

Aufmerksam ruhte Vincents Blick immer noch auf mir. „Ist es dir wichtig, was er über dich denkt?“

„Oh, komm, Vincent“, reagierte ich zutiefst genervt und warf dabei den Kopf zurück. „Er ist Kierans Vater! Natürlich interessiert es mich, was er von mir hält.“

Interesse ist normal, jedem Menschen geht es so.“

Als ob ich das nicht schon vorher gewusst hätte. Worauf wollte er jetzt wieder hinaus?

„Wie wichtig einem die Meinung eines anderen über sich ist, geht dagegen in eine ganz andere Richtung“, sprach Vincent weiter, seine Tonlage blieb dabei die ganze Zeit konstant. „Für dich wäre es wichtiger, zu ergründen, was du selbst von dir denkst. Davon hängt deine Wirkung auf andere ab.“

In einem Comic wäre mein Kopf in dieser Sekunde von etlichen hervorstehenden Äderchen übersät, die darstellen sollten, wie verärgert oder genervt eine Figur sich fühlte. Anscheinend durfte man von einem Therapeuten keine simple Antwort auf eine Frage erwarten, nicht von Vincent. Manchmal wünschte ich mir nur ein normales Gespräch mit ihm, bei dem ich nicht dauernd befürchten musste, von ihm analysiert oder beraten zu werden. Darauf wartete ich vermutlich vergeblich ...

Deswegen würde unser Verhältnis zueinander stets eine gewisse Distanz beibehalten. Aus uns konnten keine Freunde werden, doch darüber sollte ich vielleicht froh sein. So blieb ihm einiges an Kummer wegen mir erspart.

„Ich komm auf so ein Gerede jetzt echt nicht klar“, sagte ich offen heraus. „Und kannst du dich nicht mal mit an den Tisch setzen, statt da rumzustehen und mich zu beobachten? Das macht mich nervös.“

Wir befanden uns in der Küche, wo ein hölzerner Esstisch stand, an dem ich seit meiner Ankunft herumsaß. Anfangs war ich noch zu durcheinander und neben mir gewesen, wegen diesen Stimmen und der Erscheinung, darum hatte Vincent mich zuerst hierher gebracht. Nach einigen Gläsern Wasser und Ruhe konnte ich wieder etwas klarer denken, unterdessen hatte er nach einem geeigneten Medikament für mich recherchiert.

Irgendwann dazwischen musste Hiwa gegangen sein. Mir fiel ein, dass ich ihn in meiner Panik auch noch ungefragt geduzt hatte. Sollte er sich über mich bei Kieran beschweren, könnte ich mir das niemals verzeihen. Besonders ihn wollte ich nicht in Verlegenheit bringen, aber dabei hatte ich nach dieser Autofahrt höchstwahrscheinlich ebenfalls versagt.

Nächstes Mal, sollte es erneut so weit kommen, tat ich besser alles, um zu Fuß gehen zu können. Meinetwegen alleine, wenn Kieran einen anderen Termin hatte, wie es heute der Fall gewesen war. Was mochte das für einer sein? Natürlich hatte er mir das nicht verraten und ich wusste aus eigener Erfahrung wie lästig es sein konnte zu etwas gedrängt zu werden, also war diesbezüglich kein einziges Wort über meine Lippen gekommen.

„Du solltest ins Bett gehen“, schlug Vincent unvermittelt vor, obwohl er gerade erst eine Minute mit mir am Tisch saß. „Das Medikament wird dich gut schlafen lassen.“

Träge erhob ich mich von meinem Platz und hob schlaff die Arme nach oben. „Yay, also eine richtig harte Droge.“

„Ferris ...“

„Ja, ja, schon gut. Ich krieg heute eh nix mehr zustande.“

Nicht, dass es ohne Halluzinationen anders gewesen wäre. Jeder Tag endete bei mir ohne Erfolge, ich schöpfte das volle Potenzial der Verschwendung meisterhaft aus.

Vincent blieb sitzen und ich glaubte, mir einzubilden, wie er kurzzeitig ein wenig die Stirn runzelte, doch das musste abermals nichts als Einbildung sein. „Du kannst mich jederzeit rufen, falls du etwas brauchst.“

Mir schwirrte ein Spruch durch den Kopf, der das Thema Butler beinhaltete, behielt das jedoch für mich. Unnötig reizen wollte ich Vincent nicht, zumindest nicht außerhalb der Sitzungen. Außerdem hatte er mich bislang noch nicht vorwurfsvoll mit einer Predigt bestraft, weil ich nachts ohne ein Wort verschwunden war.

Einerseits erleichterte mich das, andererseits ...

„Was ist los?“, hörte ich Vincent fragen.

Auf einmal war ich derjenige, der dastand und ihn schweigend anstarrte. Beinahe hätte ich ihn gefragt, ob er wütend auf mich war, doch ich winkte nur rasch ab.

„Nichts, ich brauch wohl nur echt etwas Schlaf.“

Ich wandte mich von ihm ab und ging zur Tür, nachdem ich ihm verfrüht eine gute Nacht gewünscht hatte – Vincent würde sowieso nicht schlafen. Auf dem Weg in mein Zimmer gähnte ich mehrmals vor mich hin, mit jedem Schritt stieg die Müdigkeit. Entweder lag das an der Kapsel oder an den letzten Ereignissen, möglicherweise auch an beidem.

Schlimmer war aber die Ungewissheit darüber, was Vincent dachte. Noch mehr als bei Hiwa, bei dem ich mich tierisch blamiert hatte. Nicht sagen zu können, ob der Mann, der einem ein Dach über dem Kopf bot und versuchte, aus einem Wrack noch etwas herauszuholen, wegen meiner Flucht wütend war oder gar enttäuscht, machte mich am meisten unruhig.
 

***
 

Es vergingen drei Tage, an denen ich überwiegend schlief und in meinen Wachphasen so benebelt war wie ein Zombie. Angeblich sei das normal, laut Vincent. So oft wie in letzter Zeit hatte ich diese Bezeichnung noch niemals in meinem Leben gehört, erst recht nicht in Kombination mit mir. Von Normalität war ich endlos weit entfernt.

In den nächsten Wochen mussten mein Körper und das Medikament sich zunächst richtig aufeinander einspielen, danach würde ich dann nicht mehr mit dieser furchtbaren Trägheit und Benommenheit zu kämpfen haben. Ehrlich gesagt glaubte ich nicht daran, weshalb ich die Kapsel am vierten Tag bereits nicht mehr herunterschluckte, sondern heimlich unter meiner Zunge versteckte und später aus dem Fenster warf.

Wieder mal konnte ich etwas nicht durchziehen, aber: Wer wollte sich freiwillig rund um die Uhr derart abgeschossen fühlen, dass einem wirklich nur noch herumliegen und pennen im Leben blieb? Dann könnte ich mich genauso gut direkt vor den nächsten Zug stürzen, diese Option versprach mehr Erfolg gegen all meine Probleme.

Nur auf diese Stimmen und das Wesen beschränkt konnte ich glücklicherweise nicht mehr klagen. Seit dem letzten Mal hatte ich nichts mehr gehört oder gesehen, nichts das verstörend und übernatürlich wäre.

An diesem Tag – Sonntag – lungerte ich wie üblich auf meinem Bett herum, in mein Handy vertieft. Kieran hatte sich inzwischen nochmal aufrichtig dafür entschuldigt, dass er nicht mitfahren konnte, um mich nach Hause zu bringen. Natürlich versicherte ich ihm, er müsse sich deswegen keine Gedanken machen und bekam es über eine Textnachricht endlich doch noch hin, ihn zu fragen, zu was für einen Termin er gegangen war. Auf eine Antwort darauf wartete ich noch.

Auch Faren hatte mir mehrmals geschrieben, ziemlich besorgt um mich. Er bestand darauf, unbedingt etwas mit mir zu unternehmen, sobald ich mich dafür fit genug fühlte, und erinnerte mich daran, dass ich nächstes Mal zu ihm kommen sollte, statt mich auf einer Parkbank zu räkeln – seine unbeschwerte Art war immer überraschend erheiternd.

Faren sollte aber die Zeit besser mit Kieran verbringen, nicht mit mir. Genau das wollte ich ihm gerade schreiben, doch mittendrin verließ mich jeglicher Antrieb dazu. Auf dem Profilbild von Faren im Messenger, über den wir uns gegenseitig texteten, war er zusammen mit Kieran zu sehen. Beide wirkten so harmonisch und glücklich, obwohl Kieran nicht lächelte. Dafür sah ich es deutlich in seinen Augen.

Irgendwann vibrierte das Handy stark und riss mich dadurch zurück in die Realität. Mir liefen Tränen über die Augen, wie ich nebenbei bemerkte, als ich überprüfte, ob ich von Kieran eine Antwort bekommen hatte. Grob wischte ich mit einer Hand mein Gesicht halbwegs trocken und ging meine Kontakte durch. Keiner von ihnen hatte mir geschrieben.

Dafür wartete eine Nachricht von einer unbekannten Nummer darauf, von mir geöffnet und gelesen zu werden. Misstrauisch war ich deswegen nicht, sicher war es nur irgendeine Werbung. Entsprechend genervt tippte ich die Sprechblase an und ein neues Chatfenster erschien auf dem Display. Grummelnd setzte ich mich aufrecht hin und las mir flüchtig den Text durch, der als erstes zu sehen war:

Na, vegetierst du vor dich hin? Mach lieber etwas Sinnvolles und treffe dich mit mir, dann zeige ich dir, wie man Schmerzen und Probleme ganz leicht verschwinden lassen kann. Komm heute Abend gegen 20 Uhr zu diesem Haus, den Weg dorthin dürftest du nur zu gut kennen. Ich warte dort auf dich, aber nicht ewig, also komm nicht zu spät.

Ciar? Vom Inhalt her klang es nach ihm. Immerhin hatte er angedroht, sich zu melden. Ich konnte noch nicht so recht glauben, dass er das ernst meinte. Woher hatte er meine Nummer? Von Kieran? Freiwillig würde er niemandem so etwas Persönliches ohne Erlaubnis weitergeben, also musste Ciar sie sich bei ihm abgelesen und somit geklaut haben.

Unter der Textnachricht folgte ein Foto. Eigentlich wollte ich es mir nicht ansehen, aber diese verdammte Neugier war stärker. Leider. Kaum erfassten meine Augen das Gebäude, zu dem ich kommen sollte, wünschte ich, dass ich diese Einladung einfach ignoriert hätte.

„Nein, das kann nicht sein.“ Meine Stimme zitterte. „Woher hat er das?“

Dieses Foto. Das Haus. Ewig hatte ich es nicht mehr gesehen, nicht in diesem unbeschädigten Zustand. Beinahe wie eine unschuldige Erinnerung, die zum Leben erwachte, bevor alles ins Chaos gestürzt war. Seitdem hielt ich diese Geschichte bewusst in meinem Inneren verschlossen und erzählte niemandem davon. Was in der Vergangenheit passiert war, wollte ich vergessen, doch es ließ sich nur bis zu einem gewissen Grad verdrängen.

Ich atmete viel zu schnell, während ich ungläubig das Foto ansah. Ein böser Fluch, der mich gefangennehmen und quälen wollte. Verkrampft hielt ich das Handy fest und hörte es leise durch den Druck, den ich ausübte, knacken.

Keine Ahnung, wie lange dieser Zustand anhielt, doch es gelang mir schließlich, eine Antwort an Ciar zu verfassen. Eine Sprachnachricht, weil mir zum Tippen die Geduld fehlte. Zudem wollte ich ihn deutlich spüren lassen, was ich von seinem Spielchen hielt.

„Was bist du für ein kranker Psycho?!“, schrie ich aufgebracht, während die Aufnahme lief. „Woher hast du dieses Foto?! Du willst mir doch nicht helfen, sondern mich fertig machen! Denkst du echt, das lasse ich so leicht mit mir machen?! Glaub ja nicht, dass ich nicht zurückschlagen könnte! Lass mich in Ruhe, kapiert?! Das geht dich nichts an!“

Gegen Ende verließ mich meine Stimme und erstickte nahezu, darum musste das vorerst genügen. Während die Sprachnachricht gesendet wurde, bemühte ich mich, meinen Atem wieder unter Kontrolle zu bekommen. Schwindel wollte mich zurück ans Bett fesseln, alles drehte sich.

Gab es den Hauch einer Chance, dass ich mir diese Nachricht nur einbildete? Möglich wäre es. Vielleicht weil ich heute diese Kapsel nicht genommen hatte, womöglich wirkte sie doch besser als erwartet. Sollte ich in den Garten hinausgehen und sie suchen? Oder Vincent meinen Fehler gestehen und mir von ihm eine neue geben lassen?

Das Handy vibrierte erneut und zog sofort meine Aufmerksamkeit auf sich. Offenbar hatte Ciar mir diesmal ebenfalls eine Sprachnachricht geschickt, die ich angespannt abspielte.

„Wir können gern heute Abend diskutieren, wenn du so wild darauf bist. Komm einfach um 20 Uhr zum Treffpunkt, mehr gibt es nicht zu sagen.“

Unterkühlt und ohne Mitgefühl. Sogar durch das Gerät hindurch spürte ich, wie seine Stimme mich zum Frösteln brachte. Er zeigte keinerlei Reaktion auf meinen emotionalen Ausbruch, sondern wollte nur, dass ich seiner Einladung folgte. Alles, was er wollte, war Gehorsamkeit.

„Ferris?“, drang Vincents Stimme durch die geschlossene Tür, an die er klopfte. „Ist etwas passiert? Ich habe dich schreien hören.“

Auch das noch. Hastig warf ich das Handy achtlos zur Seite und schüttelte meinen gesamten Körper, in einem Versuch, meine Anspannung ein bisschen zu lösen. Davon, was damals geschehen war, durfte Vincent nichts erfahren. Niemand. Schon deswegen hatte ich keine andere Wahl, als mich mit Ciar zu treffen und ihn zur Rede zu stellen.

„Alles gut, komm rein.“

Mit dieser Erlaubnis öffnete Vincent die Tür und betrat das Zimmer. „Hast du nach mir gerufen?“

„Ach, nein“, lachte ich halbherzig und tischte ihm eine Lüge auf. „Ich habe nur gerade eine Stelle von einem Song laut mitgesungen, den ich gehört habe. Sag mal, Vincent? Darf ich dich um was bitten.“

Sein Gesicht zeigte es nicht, doch er musste überrascht sein. Solch eine Initiative kannte er nicht von mir. Einzig an seiner Stimme bemerkte ich, wie sehr ich ihn überrumpelt haben musste, denn sie klang auf einmal etwas unsicher.

„Sicher, was kann ich für dich tun?“
 

***
 

Erfolgreich war es mir gelungen, Vincent davon zu überzeugen, mir einen abendlichen Spaziergang zu gewähren. Etwas frische Luft konnte niemals schaden, besonders nachdem man das Haus die letzten Tage nicht mehr verlassen hatte. Mit dem Versprechen, jederzeit über mein Handy erreichbar zu sein und zurück nach Hause zu kommen, sobald mir unterwegs schlecht werden sollte, durfte ich gehen.

Klar, ich hätte einfach nochmal abhauen können, ohne ihm etwas zu sagen. So oft, wie Vincent seit meiner ersten Flucht nach mir sah, wäre das aber nicht lange unbemerkt geblieben. Ihm fiel es sogar auf, wenn ich zwischendurch nur kurz in die Küche oder ins Bad ging. Er wachte wie ein Luchs, dabei war er mein Therapeut, nicht mein Vater.

Dank seiner Erlaubnis konnte ich gegen Abend ohne schlechtes Gewissen und professionelle Stealth-Einlagen das Haus verlassen. Durch die Einnahme des Medikaments gestern fühlte ich mich etwas schwach auf den Beinen, aber da ich auf die letzte Kapsel verzichtet hatte, war es recht erträglich. Seltsamer Zufall, dass Ciar mit dieser Einladung genau zum richtigen Zeitpunkt um die Ecke kam.

Beim Gedanken an ihn begann Wut in mir aufzukochen, mein Blick verfinsterte sich. Was auch immer der Kerl plante, ich ließ mich nicht als Spielzeug missbrauchen.

„Du hast es verdient“, hauchte eine Stimme anklagend. „Du hast jede Strafe verdient.“

Auf der Stelle erstarrte ich zu Eis. Nein. Nein, bitte nicht. Nicht schon wieder.

Mein Kopf war schwer wie Blei, als ich ihn anhob und meinen Blick vom Boden löste, um geradeaus zu schauen. Einige Meter vor mir kam eine Person auf mich zu, eine Frau, umschlungen von den pechschwarzen Strängen aus Tränen, von denen sie allmählich in einen Kokon eingewickelt wurde. Ihr Mund besaß noch eine halbwegs gewöhnliche Form und war nur etwas langgezogen, die leeren Augenhöhlen schienen mich einsaugen zu wollen.

Unfähig, mich zu bewegen, stand ich da, und ertrank innerlich in Schuldgefühlen. Schritt für Schritt kam sie näher, ihr langes Haar wehte wie ein Schleier hinter ihr her. Unentwegt wiederholte sie ihre Sätze, von denen ich mich angesprochen und verurteilt fühlte. Sie konnte nur mich damit meinen, weil es der Wahrheit entsprach. In der Tat hätte ich das alles verdient, daran hatte ich bis jetzt noch gar nicht gedacht.

Bedeutete das, ich wurde bestraft? Für das, was ich damals getan hatte? In dem Fall wäre Ciar eher ein gerechter Richter, als ein Psycho.

Kurz bevor die Frau, dieses Wesen, nur noch einen Meter von mir entfernt war, kniff ich die Augen zusammen und murmelte reumütig eine Entschuldigung. Jede Sekunde erwartete ich Schmerzen oder etwas anderes, mit dem das Leid, verursacht durch meine damalige Tat, ausgeglichen werden sollte. Ich wartete, aber nichts geschah. Gar nichts. Nach einer Weile wurde die Stimme leiser, bis sie gänzlich verstummte.

Verwirrt öffnete ich die Augen wieder und warf einen Blick über die Schulter. Unbeirrt lief die Frau weiter, folgte ihrem Weg. War sie soeben nur an mir vorbeigegangen, ohne etwas zu tun? Hatte sie am Ende gar nicht mich gemeint?

Ich stolperte zur Seite und sackte zusammen, weil meine Knie weich wurden. Weit war ich noch nicht gekommen, nur eine kleine Strecke durch Spießerhausen hatte ich bisher zurückgelegt. Demnach hielt ich mich noch in dieser Umgebung auf, wo Ruhe und Frieden herrschte. Gegen diese Uhrzeit spazierten nicht mehr viele Leute herum, im Moment war ich der einzige Mensch in Sichtweite und hockte wie ein Penner am Rande des Gehweges.

Mir blieb aber nichts anderes übrig, als bald wieder aufzustehen und weiterzugehen, sonst käme ich zu spät zum Treffpunkt. Solange mich diese Wesen ignorierten, gelang mir das sicher auch. Trotzdem ließ mich dieser Gedanke nicht mehr los. Die Befürchtung, dass ich von einer höheren Macht bestraft wurde und das wehrlos über mich ergehen lassen sollte, wenn in mir noch etwas Menschlichkeit steckte.

Mein restlicher Weg verlief nicht sonderlich ruhiger, denn hier und da nahm ich noch mehr Stimmen wahr oder sah halb eingewobene Menschen, denen ihr Unheil gar nicht auffiel. Anscheinend musste ich von nun an mit dieser Fähigkeit leben – mir wurde ständig geraten, alles etwas positiver zu sehen. Für mich traf es aber mehr, dass es sich um eine Strafe in Form eines Fluches handelte.

Seltsamerweise schien dieser Fluch mich nicht direkt angehen zu wollen, jeder lief an mir vorbei und diese klebrige Masse aus Tränen blieb ebenfalls an der jeweiligen Person haften. Also genügte es vorerst, zu versuchen, sich nicht von den düsteren Aussagen dieser Stimmen erdrücken zu lassen und wegzuhören. Kein leichtes Unterfangen, dagegen kam mir eine Abschlussprüfung an einer elitären Universität wie ein Kinderspiel vor.

Ich legte einen Teil der Strecke zu Fuß zurück und den anderen mit öffentlichen Verkehrsmitteln. Lag dieses Haus wirklich so weit entfernt? Mir war stets so, als müsste ich nur kurz um die nächste Straßenecke biegen, um wieder dort anzukommen. In Wirklichkeit musste ich sogar die Stadt verlassen, weil es ein Stück außerhalb davon lag. Abgelegen in einer landwirtschaftlichen Gegend, wo es auch einige wenige Bauernhöfe gab.

Der Bus, in dem ich inzwischen saß, ruckelte ein wenig. Wir fuhren gerade an dem Ortsschild der Stadt vorbei, das Besucher herzlich in Cherrygrove willkommen hieß, die immerzu blühende Stadt. Damit waren die vielen Kirschblütenbäume gemeint, dank denen der Ort einen gewissen Bekanntheitsgrad genoss. Sie blühten wesentlich länger als gewöhnlich, aber niemand konnte sich so recht erklären warum. Mir war das ziemlich egal.

Aufgrund der Sommerzeit hatte ich das Gefühl, es wäre noch Mittag, doch das täuschte. Nach einigen Minuten Busfahrt stieg ich an der einzigen Haltestelle von Limbten aus, ein winziges Dorf, das neben Cherrygrove existierte und noch zu dieser Ortschaft gehörte. Hier gab es nicht viel zu sehen, nur einige Wohnhäuser, die sich an zwei Händen abzählen ließen, einen Supermarkt und ein Gebäude, in dem Kindergarten und Grundschule vereint wurden.

Das größte Highlight dürfte der Friedhof sein, der einiges an Fläche einnahm und zur Hälfte Limbten ausmachte. Dazu gehörte eine Kirche, natürlich übertraf sie jedes andere Gebäude im Dorf. Mehr gab es aber schon nicht zu erzählen, außer, dass ich hier einst lebte. Genauer gesagt bis zu meinem siebten Lebensjahr, dann geschah etwas Schlimmes, mit dem ich mich jetzt wieder konfrontiert sah.

„Es ist immer noch ein Trümmerhaufen“, stellte ich betrübt fest.

Ich war da, genau dort, wo Ciar mich haben wollte. Bei dem Haus auf dem Foto, doch lagen vor mir nur noch traurige Ruinen. Seit zehn Jahren unberührt und vergessen, auch von mir. Niemand schien sich dafür verantwortlich gefühlt oder es aufgekauft zu haben, um hier etwas Neues aufzubauen.

Vor mir sah ich noch die dichten Rauchschwaden, von denen der Himmel zum Zeitpunkt des Brandes verdunkelt worden war. Ein Feuer hatte das Bauwerk beinahe gänzlich zerstört, bevor es endlich gelöscht werden konnte. Wie sich diese unerträgliche Hitze angefühlt hatte, wusste ich auch heute noch zu gut. Schon der Gedanke daran machte mir das Atmen schwer. Hier wollte ich nicht sein, es schmerzte zu sehr.

Laut der Uhrzeit, die mir mein Handy zeigte, war ich zehn Minuten zu spät dran. Das ließ mich freudlos lachen. Zu ironisch. Jetzt, als ich wieder davor stand, kamen mir die letzten zehn Jahre meiner Abwesenheit wirklich nur wie Minuten vor. Lange wollte ich nicht bleiben, nur mit Ciar sprechen und danach das Ganze erneut vergessen.

„Mal sehen, ob der Kerl sich fein genug dafür war, auf mich zu warten“, flüsterte ich und steckte das Handy zurück in die Hosentasche, ehe ich mich mit einem tiefen Atemzug dem verbrannten Haus näherte. „Wehe, du bist nicht da.“

Haben wir einen Deal?

Mir entglitt ein erschrockener Laut, weil nur nach wenigen Schritten der Boden unter mir nachgab und ich mit einem Bein absackte. Der Großteil des Hauses hatte aus Holz bestanden, aber auch ein Bauwerk aus Stein wäre jetzt nicht mehr sonderlich stabil, nach einem großen Brand.

Das hätte mir eigentlich vor dem Betreten klar sein sollen. Hier befand ich mich in Lebensgefahr. Ehrlich gesagt bereitete mir das kaum Sorgen.

Ich wollte sowieso schon oft sterben und hatte bereits mehrmals versucht mich umzubringen. Deswegen nahm ich diese riskante Aktion vermutlich gar nicht so schlimm wahr. Tatsächlich setzten mir die düsteren Erinnerungen an damals und die damit verbundenen Stimmung mehr zu, Gefahr störte mich nicht so sehr – es sei denn, ein surreales Monster wie jenes in dieser einen Nacht versuchte mich zu töten.

Zum Glück hatte mein Gewicht nur ein kleines Loch in den Boden gerissen, also konnte ich mein Bein mit etwas Feingefühl – in meinem Fall blieb es trotzdem grob – wieder herausziehen, doch einige Splitter und scharfe Kanten rissen meine Hose etwas auf. Ein leicht brennender Schmerz verriet mir, dass ich mir dabei obendrauf auch noch die Haut leicht aufschnitt. So viel zum Feingefühl meinerseits.

Fluchend schlich ich vorsichtig an dem Loch vorbei und hielt diesmal gründlich nach morschen Stellen Ausschau, damit ich sie umgehen könnte, statt nächstes Mal eventuell richtig durch den Boden zu stürzen. Schon als Kind war mir jeder Keller immer unheimlich gewesen, wie ein Ort des Bösen. Meine Fantasie war gerne mit mir durchgegangen.

Suchend schweifte mein Blick über die traurigen Überreste der Ruine, mein altes Zuhause. Noch sorgte das Tageslicht dafür, dass ich etwas sehen konnte, was nicht viel war. Durch die mit Dreck und Ruß verschmierten Fenster wandelten sich die letzten Sonnenstrahlen zu einem matten Schein, der kurz davor war zu ersticken. Irgendwann musste eben auch im Sommer Platz für die dunkle Tageszeit gemacht werden.

„Oh Mann, sieht das krass aus ...“

Alles war durch das Feuer stark in Mitleidenschaft gezogen worden und die schwarzen Rückstände gaben mir den Eindruck, kein gewöhnliches Haus betreten zu haben, sondern eher eine Höhle oder die verdorbene Dunkelheit persönlich. Leider erkannte ich nichts wirklich wieder, mir kam der Ort fremd vor.

Vom oberen Stockwerk sollte ich mich besser fernhalten, denn es war zum Teil eingestürzt und nur noch ein sensibles Konstrukt aus verkommenen Rückständen, die verzweifelt versuchten, das restliche Gesamtbild irgendwie zusammenzuhalten.

Jeder meiner Schritte verursachte ein unheilvolles Knirschen und Knacken, wodurch meine Schuldgefühle lebendiger wurden. Angestrengt versuchte ich, in meinem Kopf den ursprünglichen Zustand des Hauses wieder herzustellen, aber es gelang mir nicht. Nur das zerstörerische Flackern der unzähligen Flammen kam mir in den Sinn, dort fingen meine Erinnerungen an. Davor schien es nichts mehr zu geben. Nicht viel.

Dabei sollte ich mich an meine Familie erinnern. An meinen Vater, meine Mutter und meine kleine Schwester. Mir wollte nicht mal ihr Name einfallen, geschweige denn der unserer Familie. Seit ich im Waisenhaus gelebt hatte, hieß ich nur noch Ferris Livio, so wie der Erbauer und Leiter dieser Einrichtung. Bei Kindern ohne jegliche Hinterbliebenen und fehlende Hintergrundgeschichte war dieses Vorgehen üblich.

Für mich war das normal, Livio gehörte nun zu mir. Nur vage konnte ich mich daran entsinnen, lautstark gebettelt und gefleht zu haben, meinen alten Namen ablegen zu dürfen. Ihn weiterhin zu tragen war mir falsch vorgekommen. Livio betrachtete ich als eine Art Stempel, um anderen direkt klarzumachen, mit wem sie es zu tun hatten.

Ferris, spielst du mit mir?

Sofort fuhr ich herum und hielt den Atem an, während ich nach einer anderen Person Ausschau hielt. Weit und breit niemand zu entdecken. Eigentlich könnte mich hier nur Ciar erwarten, es sei denn, er plante, mich zusammen mit einer Sekte an ihren Gott zu opfern oder so. Vielleicht wurde aus mir dann auch ein Wesen aus Teer – aus Hass. Wenigstens wäre das eine Erklärung dafür, woher diese Kreaturen kommen könnten, auch wenn es ein altbekanntes Klischee bedienen würde.

Komm schon, spiel mit mir!“, bat die Stimme mich erneut.

Sie gehörte einem kleinen Mädchen, wie ich heraushörte, das konnte nicht Ciar sein. Ob sich ein Kind aus diesem Dorf hierher verirrt hatte? Auch ich würde solche Orte aus Neugier erkunden wollen, um vor meinen Freunden damit anzugeben, wie mutig ich sei. Ängstlich klang das Mädchen jedenfalls nicht, was mich etwas verwunderte. Sogar ich fühlte mich unwohl.

„Moment“, murmelte ich angespannt. „Du kennst meinen Namen?“

Unmöglich. Selbst wenn dieses Kind älter als zehn Jahre war, konnte sie mich nicht kennen, oder sich zumindest nicht an mich erinnern, weil sie noch zu klein gewesen war. Ein ungutes Gefühl machte sich in mir breit. Obwohl es nichts brachte, wich ich nervös zurück.

Du bist so gemein!“, jammerte das Mädchen traurig. „Warum spielst du nie mit mir? Magst du mich etwa nicht?

„Nur wieder eine von diesen Stimmen“, sagte ich mir selbst, um mich zu beruhigen. „Einfach ignorieren.“

Möglicherweise war jemand gerade draußen in der Nähe, der ebenfalls von seinen eigenen Tränen in einen Kokon eingeschlossen wurde. Mir gefiel es nicht, dass ich die Stimmen so deutlich hören konnte. Jetzt auch noch ohne jeglichen Sichtkontakt. Können die nicht einfach still sein und schweigend klagen? Ich bat auch nicht ständig andere darum, mich endlich umzubringen, weil ich nicht mehr leben wollte.

Also ich mag dich! Ich hab dich total lieb.

Das Handy in meiner Hosentasche vibrierte plötzlich so stark, dass ich zusammenzuckte. Vincent wurde bestimmt schon ungeduldig. Rasch holte ich es heraus und tat so, als gäbe es diese Mädchenstimme gar nicht, was als Zeichen genügen sollte. Ich wollte weder etwas spielen noch mich rechtfertigen. Wo steckte Ciar?!

Schlagartig wurde mir schlecht, als ich auf das Display sah. Die Anzeige spielte komplett verrückt. Ein Störbild wechselte sich regelmäßig mit kurzen Videoaufnahmen von Feuer in den verschiedensten Formen und Situationen ab. Eine Herdplatte, Waldbrände, ein Grill, Wunderkerzen, Zigaretten, Einäscherung ... das ständige Flackern schmerzte in den Augen.

Warum magst du mich nicht?“, drang die Stimme nun deutlich aus dem Handy hervor, unmenschlich verzerrt. „Warum?

Aus Reflex schrie ich das Display einfach an: „Hör auf! Halt die Klappe!“

Meine Hand verkrampfte sich. Unaufhörlich wurden mir diese Szenen mit Feuer vorgespielt, es nahm kein Ende. Zähneknirschend versuchte ich, das Gerät wieder unter Kontrolle zu bringen oder auszuschalten, aber natürlich ohne Erfolg. Der Spuk ließ sich nicht so leicht beenden.

Warum?“, wiederholte die Stimme sich vorwurfsvoll. „Warum? Warum? Warum?

„Schnauze hab ich gesagt!“

Kraftvoll schmiss ich das Handy auf den Boden, es drehte sich einmal um sich selbst und blieb nur einen Schritt entfernt von mir liegen. Instinktiv trat ich mit dem Fuß darauf, in einem hilflosen Versuch, es zum Schweigen zu bringen. Drehte die gesamte Welt durch? Jahrelang hatte ich weder Stimmen gehört noch irgendwelche Halluzinationen gehabt, warum passierte mir so etwas plötzlich immer öfter? Wenn das wirklich eine Strafe sein sollte, kam sie reichlich spät.

„Ich hab genug von dem Scheiß!“, fluchte ich aufgebracht und trat weiter wie besessen auf mein Handy ein. „Nerv mich nicht!“

Nerv mich nicht, das ist nichts für Babys. Geh weg, ich spiele alleine damit.

Abrupt hielt ich inne und starrte keuchend auf den Boden. War das gerade meine eigene Stimme gewesen? In meinem Kopf? Ein Funken der Erinnerung flackerte in mir auf und ließ mich schwer schlucken. Richtig, ich wollte unbedingt mit Feuer spielen, aber meine kleine Schwester hatte mich die ganze Zeit genervt, weil ich sie nicht mitmachen ließ.

„Ich hab nur kurz nicht hingesehen“, erinnerte ich mich. „Plötzlich war das Feuer viel zu groß geworden ...“

„Beeindruckend“, kommentierte jemand das Ganze ungerührt. „Du erinnerst dich also noch.“

Diesmal wusste ich sofort, wer es war. Obwohl ich diese Stimme noch nicht oft gehört hatte, konnte sie sich in meinem Gedächtnis verankern. Sie hinterließ einen gewissen Eindruck, der mich nicht mehr losließ. Ciars Selbstbewusstsein durchflutete auch in diesem Moment den Ort und nahm ihn allein mit seiner Anwesenheit in Beschlag.

Noch hatte ich ihn nicht entdeckt, weshalb ich mich wieder suchend im Kreis drehte. „Lass diese Spielchen. Wo bist du?“

„Hier“, antwortete Ciar, seine Stimme erklang direkt neben mir. „Du bist ziemlich blind, was?“

Ich schreckte zurück, als ich feststellte, dass er wirklich an meiner Seite stand. Sein Blick folgte mir aufmerksam, doch er selbst rührte sich nicht. Woher war er gekommen? Falls er schon lange in meiner Nähe gewesen war, hätte ich ihn schon früher bemerken müssen. Machte er einen auf Ninja oder was?

„Ich finde das gar nicht lustig“, grummelte ich. „Soll das hier versteckte Kamera sein? Langsam kommt mir das alles zu verrückt vor, so etwas könnte nicht mal ich mir einbilden. Verarschst du mich einfach nur?“

Genervt verdrehte Ciar die Augen. „Uh-uh, das wäre nicht mein Niveau. Ich hab doch gesagt, dass ich dir helfen will.“

„Helfen? Im Moment fühle ich mich ziemlich terrorisiert.“

„Dafür kann ich nichts“, reagierte Ciar gelassen und bückte sich nach meinem Handy, das er vom Boden aufhob. Es gab keinen Ton mehr von sich, wie ich erst jetzt bemerkte. „Es sind die Echos, die versuchen, dich wahnsinnig zu machen.“

Mit dieser Ansage reichte er mir mein Eigentum. Perplex nahm ich es zögerlich entgegen und betrachtete es misstrauisch. Durch meine Tritte war das Display zum Teil zersplittert und nur noch pechschwarz. Ob mich das beruhigen oder frustrieren sollte, konnte ich gerade nicht einschätzen. Etwas anderes beschäftigte mich jetzt viel mehr.

„Echos? So was hast du doch schon mal gesagt.“ Bei unserer ersten Begegnung, als er mich gerettet hatte. „Damit will ich nichts zu tun haben.“

Ciar schmunzelte über meine Worte. „Ich fürchte, du hast keine Wahl. Anscheinend ziehst du Echos magisch an, weil deine Fähigkeiten langsam erwachen.“

„Das interessiert mich trotzdem nicht!“, fauchte ich gereizt. „Sag mir lieber, wieso du mich ausgerechnet hierher bestellt hast! Was weißt du?!“

Wütend wollte ich ihn am Kragen packen, doch bevor ich ihn berühren konnte, drehte sich vor meinen Augen alles und ich prallte mit den Rücken so heftig auf dem Boden auf, dass mir kurz die Luft wegblieb. Einen Moment lang lag ich nur da und blinzelte leicht benebelt. Über mir beugte sich Ciar in mein Sichtfeld und schüttelte den Kopf.

„Mich anzugreifen solltest du dir abgewöhnen. Du magst Talent haben, aber ich bin um Welten besser als du.“

Hatte er mich abgewehrt? Wow, davon habe ich gar nichts mitbekommen. Als der Schwindel nachließ, richtete ich mich wieder auf und kam schwankend auf die Beine. Vorsichtshalber lehnte ich mich an die nächstgelegene Wand an, die hoffentlich noch stabil genug war. Ich pustete mir ungehalten einige Haarsträhnen aus der Stirn und steckte mein demoliertes Handy erst mal ein – vielleicht ließ es sich retten.

„Na schön“, gab ich nach. „Dann sag, was du loswerden willst.“

„Das hätte ich sowieso getan“, versicherte Ciar mir. Er legte eine bedeutungsvolle Pause ein, ehe er weitersprach. „Glaubst du an übernatürliche Dinge?“

„Du meinst so etwas wie Gott, Geister oder Dämonen?“ Müde atmete ich durch. „Nicht wirklich. Warum? Willst du mich für eine geheime Spezialeinheit anwerben? Darf ich dann einen schwarzen Anzug tragen und das Gedächtnis anderer Leute löschen?“

Anscheinend missfiel Ciar mein Gerede, denn sein Blick verfinsterte sich und seine Augen schienen rötlich zu schimmern. „Nimm das gefälligst ernst, sonst kann ich auch ganz anders werden.“

Diese Drohung jagte mir einen Schauer über den Rücken, seine Stimme legte sich wie Frost über meine Haut. Hastig hob ich die Hände, um zu signalisieren, dass ich verstanden hatte und er fortfahren sollte. Wie schlimm konnte dieses Drama schon noch werden?

„Du kennst bestimmt das Sprichwort, dass die Augen die Fenster zur Seele seien“, begann Ciar und lief ein paar Schritte zur Seite. So leichtfüßig, als würde er über den Boden schweben. „Mit unserer Stimme verhält es sich ähnlich. Worte können, richtig eingesetzt, unsere Seele widerspiegeln und die Energie freigeben, aus der sie besteht. Du hast das unbewusst auch schon getan.“

Kopfschüttelnd runzelte ich die Stirn. Was Ciar da sagte, klang verdächtig nach einem Science-Fiction Streifen, der bald in die Kinos kam. Allerdings konnte ich nicht bestreiten, wie seltsam real sich die letzten Ereignisse angefühlt hatten, in denen ich verrückte Sachen sah und vor allem hörte. Konnte das nicht einfach nur Einbildung sein?

„Wir beide, Leute wie wir, kann man als so etwas wie Begabte bezeichnen“, erklärte Ciar, derart überzeugend, dass man es nur glauben konnte. „Wir handeln kontrolliert, Echos dagegen werden von Gefühlen wie Verzweiflung, Hass und ähnlichem geleitet. Sie sind wie primitive Tiere, die wahllos einem einzigen Instinkt folgen.“

An der Stelle verkniff ich mir einen Witz über Zombies, so gut er auch gepasst hätte. Allmählich gewann Ciar mein Interesse. Immerhin könnte er mir vielleicht tatsächlich helfen, diese schrägen Gestalten und Stimmen wieder loszuwerden.

„Und was sind diese Echos jetzt genau?“, hakte ich ungeduldig nach.

Schweigend starrte Ciar mich an. Es folgte ein intensiver Augenkontakt, der sich alles andere als gut anfühlte. Dachte er gerade über etwas nach oder erwartete er etwas von mir? Seine Gesichtszüge waren verhärtet. Genau wie Vincent war er schwer zu lesen, aber wenigstens zeigte er Emotionen, wenn auch welche, die einem Furcht einflößten.

„Echos sind Seelenrückstände des Bösen“, antwortete Ciar schließlich, ohne den Blick abzuwenden oder gar zu blinzeln. „Werden sie nicht aufgespürt und vernichtet, können sie sich zu Flüchen weiterentwickeln oder sogar zu Dämonen. Beides stellt eine große Gefahr für die Menschheit und die Welt dar.“

„... Was?“

Es klang verrückt, wie ein Märchen. Dennoch packte mich etwas daran. Eine winzige Ahnung, tief in meinem Inneren, dass Ciar die Wahrheit sagte. Sprachlos senkte ich den Kopf und versuchte meine Gedanken zu ordnen. Irgendwie wurde mir furchtbar schlecht.

Das Wesen aus Teer war also ein Echo? Waren die Menschen, die schwarze Tränen weinten, von denen befallen oder so ähnlich?

„Ferris?“

Ciars Stimme besaß in dieser Sekunde etwas Klares, das mich verwundert aufschauen ließ. „Ja?“

„Als du diesem einen Echo kürzlich begegnest bist, hast du es sicher gewusst, nicht wahr?“ Eindringlich suchten seine Augen etwas in mir, beinahe erwartungsvoll, jedoch auch seltsam unruhig. „Du hast gewusst, dass du so ein Wesen schon einmal getroffen hast, richtig?“

„Ah ...“ Meine Stimme versagte, sie wurde heiser. „Ich ... richtig.“

In Verbindung mit Feuer. Zu dem Zeitpunkt war die Erinnerung verschleiert gewesen – hatte ich das alles so erfolgreich verdrängt und vergessen? Ich wusste, dass ich diese Echos kannte, von irgendwoher. Mein allererstes Treffen lag zehn Jahre zurück und fand einst hier statt, in diesem Haus. Bedeutete das ...

„Ich will dir wirklich helfen“, betonte Ciar nachdrücklich und kam etwas näher auf mich zu. „Ich möchte dir die Chance geben, Rache zu üben und das Herz des Echos zu verschlingen, das dir so viel Leid zugefügt hat.“

„Warte-“, warf ich nervös ein.

Unbeirrt sprach Ciar weiter. „Jedes Echo hinterlässt ein Herz in Form eines Würfels. Seelen lösen sich niemals vollständig auf, sondern nehmen nur andere Formen an. Mit diesen Herzen kann man seine Fähigkeiten immens steigern und lockt so die Echos wie ein Magnet zu sich. Das macht es einfach, sie zu erledigen und weitere Herzen zu ergattern.“

„Jetzt warte doch mal!“, versuchte ich erneut, meine Worte loszuwerden. „Rache üben? Was meinst du damit? Wie soll das gehen?“

Entweder beachtete Ciar meine Fragen nicht oder wollte unbedingt zu Ende erklären, denn er machte weiter und weiter. Während er sprach, schob er eine Hand in die Innentasche seiner Weste, die er über einem Top trug, um etwas herauszuholen.

„Du musst wissen, dass die Herzen eine Art Speicherfunktion besitzen. Unter gewissen Umständen und Einwirkungen, können die Echos wieder neu entstehen und weiter Unheil anrichten.“

Etwas rot Glühendes ruhte in Ciars Hand, als er sie mir entgegen streckte. Ein kleiner Würfel. Aus dem Nichts dröhnte ein Herzschlag durch das leblose Haus, pochte laut in meinen Ohren. Wie hypnotisiert starrte ich auf den Würfel, dessen Licht einen ungeahnten Hass in mir entfachte. In mir entstand etwas, das ich nicht benennen konnte.

Leise knackten meine Hände, die ich zu Fäusten geballt hatte. Vor Anspannung zitterte mein gesamter Körper. Zum ersten Mal seit langem empfand ich keine Trauer, Reue oder den Wunsch danach, endlich von dieser Welt zu verschwinden, denn das alles wurde von diesem Hass übertroffen. Reine Wut und der Drang danach, zu zerstören.

„Ist er das?“, hauchte ich, ungewohnt tief.

„Ja, das ist er“, bestätigte Ciar, vollkommen souverän. „Das Echo, das den Brand verursacht und deine Familie getötet hat.“

Mein Verstand setzte aus. Schreiend schnappte ich mit der Hand nach dem Würfel, doch Ciar war schneller als ich und wich mir mühelos aus. Unzufrieden schnalzte er mit der Zunge und drehte das Herz spielerisch zwischen seinen Fingern.

„Nicht so schnell. Ich handle niemals ohne Eigennutz, merk dir das.“

„Was verdammt nochmal willst du?!“, keifte ich wütend. „Ich dachte, du willst mir die Chance zur Rache geben?!“

Belehrend hob Ciar den Zeigefinger, mit der Hand, in der er auch den Würfel trug. „Die bekommst du auch, unter einer Bedingung: Wenn du das Echo eigenhändig auslöschen kannst, musst du sein Herz verschlingen und dich mit mir zusammentun. Ich verfolge nämlich ein Ziel, das uns beiden für immer jedes Leid ersparen wird. Also? Haben wir einen Deal?“

„Fick dich!“, platzte es aus mir heraus. Aufgewühlt schüttelte ich den Kopf und stampfte mit den Füßen auf den Boden. „Ich hab die Schnauze voll davon, mich von anderen manipulieren zu lassen! Wenn du mir nicht wirklich helfen willst, verpiss dich und lass mich in Ruhe!“

Von meinem Gefühlsausbruch ließ Ciar sich nicht aus der Ruhe bringen, er blieb unerschütterlich. Flüsternd steckte er den Würfel wieder ein und winkte anschließend ab. „Fein, ich gebe dir Bedenkzeit. Du weißt ja, wo ich wohne, falls du dich entscheiden solltest. So lange bewahre ich den Würfel für dich auf. Lass mich aber nicht zu lange warten.“

Einfach so wandte er sich nach dieser Ansage von mir ab und machte Anstalten zu gehen, was in mir noch mehr unkontrollierbare Gefühle zum Explodieren brachte. Zielstrebig wollte ich ihm folgen, kam aber nicht weit. Erneut brach mir der Boden unter den Füßen weg, diesmal sackte ich noch tiefer als letztes Mal.

Anscheinend hing ich irgendwo fest, ich kam nicht so leicht heraus wie zuvor. Je mehr ich an meinem Bein zog und zerrte, desto tiefer sank ich und verlor meine Kraft. Erschöpft sackte ich auch mit meinem restlichen Körper auf den Boden und schluchzte, während ich gleichzeitig einen Fluch nach dem anderen von mir gab.

„Es muss nicht sein, dass du so sehr leidest“, hörte ich Ciar sagen, doch seine Stimme schien schon weiter entfernt zu sein. „Denk über mein Angebot nach, sonst kann ich nicht mehr viel für dich tun.“

„Warte!“, rief ich ihm heiser hinterher. „Komm zurück! Bitte ... lass mich nicht allein.“

Nicht hier. Nicht an diesem Ort, wo ich nicht sein wollte. Wo mich alles schmerzte.

Ciar war längst fort, als ich verzweifelt vor mich hin weinte. Noch immer steckte mein Bein fest und mir fehlte der Antrieb, überhaupt einen weiteren Befreiungsversuch zu unternehmen. Vor meinen Augen strahlte noch das unheilverkündende Glühen des Würfels und die Stimme des Mädchen hallte in meinem Kopf nach. Meine kleine Schwester.

„Ich kann das nicht“, schluckte ich hilflos. „Selbst wenn ich Rache übe, was dann? Ich will einfach nicht mehr.“

Eine vertraute Melodie ertönte, wie aus heiterem Himmel. Der Klingelton meines Handys.

Ich benötigte eine halbe Ewigkeit, bis ich realisierte, was genau das bedeutete. Es verstrich eine weitere endlose Zeitspanne, bis ich das Gerät irgendwie aus der Hosentasche gefischt bekam, ohne es dabei herunterfallen zu lassen.

Ungläubig musste ich feststellen, dass die Risse im Display verschwunden waren. Wie durch Zauberhand sah mein Handy aus wie vorher, unbeschädigt und funktionsfähig. Bei dem Anrufer, der gerade versuchte mich zu erreichen, handelte es sich um Faren. Erleichtert nahm ich ihn entgegen und hielt mir kraftlos das Gerät ans Ohr.

Ich wollte hier einfach nur weg. Faren käme mich bestimmt abholen.

Vergiss mich!

„Alter, im Ernst: Wenn du das nächste Mal vorhast, einen Lost Place zu erkunden, weihe mich doch bitte ein, damit ich dich begleiten kann.“ Ein gespielt dramatisches Seufzen folgte. „Ich wollte so etwas eh schon immer mal machen. Zu schade, dass Urban Explorer kein richtiger Beruf ist, oder? Nur eine Berufung. Das wäre eine verdammt coole Arbeit.“

Es war typisch für Faren. Er versuchte mühevoll, mich mit seiner lockeren und positiven Art aufzuheitern. Gewöhnlich gelang ihm das sogar ganz leicht, weil wir beide den gleichen Humor und ähnliche Interessen besaßen. Außerdem konnte man seinem Charme nur verfallen, auch auf freundschaftliche Weise. Im Moment konnte ich mich von seiner guten Laune trotzdem nicht begeistern lassen.

„Hey, geht das wirklich mit deinem Bein?“, hakte Faren nochmal nach, hörbar besorgt.

Ich wollte nicken, aber ich krächzte doch nur ein knappes „Ja“ heraus, während ich abwesend aus dem Fenster starrte.

„Okay, wenn du meinst. Aber sag Bescheid, falls ich dich doch ins Krankenhaus fahren soll oder so.“

Diesmal nickte ich nur schweigend.

Faren sagte darauf erst mal nichts mehr.

Noch während des Telefonats hatte er sich ins Auto gesetzt und war losgefahren, um mich abzuholen, anscheinend ziemlich überstürzt. Sein Haar sah etwas zerwühlt aus und er trug nur einfache Hausschlappen zu seiner grauen Jogginghose. Wenigstens hatte er sich in seiner Eile noch eine Jacke über sein Shirt angezogen, abends konnte es doch etwas kühl werden.

Flüchtig warf ich einen Blick in den Seitenspiegel. Meine Haare sahen katastrophal aus, so wie eh und je. Im Nacken hatte ich sie mir zusammengebunden, jedoch gab es noch genug Strähnen, die mir ins Gesicht hingen und völlig wirr verliefen. Sie waren lang geworden, schon über meine Schultern hinweg. Eigentlich sollte ich sie mir dringend abschneiden und färben. Dieses knallige Blau war kaum auszuhalten, wie ein Leuchtsignal.

„Och, so knapp“, hörte ich Faren murmeln, als er an einer Ampel halten musste, weil sie von Grün auf Rot wechselte.

Wartend strich Faren mit einer Hand über seinen Kinnbart. Ob er heute einen freien Tag gehabt hatte und deswegen danach aussah, als hätte er bis zum Abend gepennt? Immerhin befanden wir uns noch im Wochenende. Sonntags schlief Faren gern lange aus und faulenzte zu Hause herum, es sei denn, er traf Freunde oder musste mir, wie heute, aus der Patsche helfen.

Als er gehört hatte, dass ich in Limbten in einem Haus feststeckte, war seine Verwirrung groß gewesen. Warum ich dort war, wusste er bis jetzt noch nicht und er fragte auch nicht nach. Jedenfalls nicht direkt. Vermutlich wollte er mich nicht bedrängen, weil mir anzusehen war, dass es mir nicht gut ging. Kaum zu glauben, wie meisterhaft ich damals eine fröhliche Stimmung vorspielen konnte. Dafür hätte ich gar keine Nerven mehr übrig.

Draußen war es richtig dunkel geworden. Vincent hatte mich inzwischen längst angerufen, weil er sich Sorgen um mich machte, aber Faren war derjenige gewesen, der ihm erklärte, was los war. Sonst wäre ich gar nicht dran gegangen, sondern hätte es klingeln lassen. Da Faren aber meinte, ich könnte das Vincent nicht antun, hatte ich ihm erlaubt, an meiner Stelle den Anruf anzunehmen.

Nach einer Weile konnte Faren weiterfahren, wir hatten grünes Licht. Stimmen hörte ich gerade keine, was wohl daran lag, dass zu dieser Zeit kaum noch Menschen unterwegs waren. Der Wagen schnurrte leise und ruckelte nur selten. Keine Ahnung, was für ein Auto das genau war. Wie schon erwähnt kannte ich mich in der Richtung nicht aus. Seit Faren mich einmal kurz ans Steuer gelassen hatte, weil er mir das Fahren beibringen wollte, wussten wir, dass ich nicht mit Talent gesegnet war. Die Reparatur, das Resultat für dieses Experiment, war nicht billig gewesen.

„Sag mal, hast du nicht Lust, einfach mit zu mir zu kommen?“, brach Faren die Stille wieder, ohne den Blick von der Straße abzuwenden. „Ich mag dich so nicht bei Vince abliefern. Wir können uns bei mir eine schöne Zeit machen. Du weißt schon, zocken, Fast-Food verschlingen, Musik laut aufdrehen und so. Wär doch was.“

„Muss nicht sein“, lehnte ich dankend ab, ohne wirklich darüber nachzudenken.

„Doch“, widersprach Faren entschlossen. Sicher legte er sich in Gedanken schon eine ausführliche Planung für einen grandiosen Abend voller Bromance zusammen. „In letzter Zeit hängen wir gar nicht mehr zusammen ab, was meine Schuld ist. Du bist mir genauso wichtig wie Kieran, darum bestehe ich darauf, dass wir endlich wieder was zusammen machen.“

Kieran. Großartig, warum rammte mir das Schicksal nicht noch mehr Messer in die Brust? War dieser Tag bislang nicht schon aufreibend genug gewesen? Natürlich nicht, ich musste auch noch an meine unglückliche Liebe zu Kieran erinnert werden.

Faren kann nichts dafür, ermahnte ich mich selbst. Er weiß ja nichts davon.

Darum bemühte ich mich, nicht noch aufgewühlter zu klingen. „Muss trotzdem nicht heute sein, ich will nur noch pennen.“

„Kein Problem, das kannst du auch bei mir machen“, blieb Faren hartnäckig und grinste dabei verspielt. „Versuch gar nicht erst, vor mir zu flüchten. Du kennst mich. Ich bin nicht leicht abzuschütteln.“

Wie wahr. Sobald Faren etwas wollte, tat er alles, um es zu bekommen. Manchmal konnte er dabei schrecklich aufdringlich werden, aber er meinte es nur gut. Er würde niemals jemanden zu etwas zwingen, das der Person schaden könnte, selbst wenn diese es anders sah. Bei mir waren seine Bemühungen verschenkte Lebenszeit. Merkte er das nicht?

„Faren, ich hab echt keinen Bock“, entschuldigte ich mich, weiter aus dem Fenster starrend. „Ein anderes Mal, okay?“

Er reagierte nicht sofort auf meine Worte, sondern schien innerlich mit sich zu hadern, wie er weitermachen sollte, um mich doch noch zu überzeugen. „Schade, wir hätten sicher Spaß gehabt.“

„Kann sein.“ Eigentlich hatte man mit Faren immer Spaß, Langeweile kannte man mit ihm nicht. „Aber du solltest dich sowieso lieber um Kieran kümmern.“

Bevor mir klar wurde, was ich gerade gesagt hatte, war es bereits zu spät. Faren griff diese Aussage auf, voller Verwunderung, und weitete das Thema aus, zu meinem Leidwesen.

„Das tue ich doch. Laut Kieran kümmere ich mich viel zu intensiv um ihn, er hat kaum Luft zum Atmen und beklagt sich darüber, dass ich zu anhänglich sei.“

Ich biss mir auf die Lippen, konnte es mir jedoch nicht verkneifen, etwas darauf zu sagen: „Das behauptet er doch nur so, weil er sich insgeheim über deine Aufmerksamkeit freut.“

„Ja, ich weiß“, entgegnete Faren, mit einem verliebten Tonfall in der Stimme. „Er ist richtig süß~.“

Innerlich flehte ich darum, dass wir nicht mehr weiter über Kieran redeten. Auch ohne Farens Schwärmereien wusste ich, wie toll Kieran war. Ich liebte ihn immerhin auch. Ich war schon lange vor Faren in ihn verliebt gewesen.

„Mach dir keine Gedanken wegen Kieran“, fuhr Faren fort. Ahnungslos darüber, was er mir damit antat. „Er wird es verstehen, wenn ich auch mal wieder was mit dir mache. Du bist doch auch sein Freund. Falls es dir so große Sorgen macht, kann ich ihn einfach auch einladen und wir machen was zu dritt. Das lässt sich alles einrichten.“

„Ich will aber nicht, verdammt!“, wandte ich schreiend ein. Meine Stimme war noch angeschlagen und daher etwas kraftlos, doch an meinen Emotionen änderte das nichts. „Mach dir meinetwegen einen schönen Abend mit Kieran, ihr könnt tun und lassen, was ihr wollt! Seid glücklich, lebt! Lasst mich nur mit alldem in Ruhe! Ich bleib halt lieber alleine!“

Plötzlich stoppte der Wagen, was mich sofort aus meinem Gefühlsausbruch herausriss und verwirrt zu Faren schauen ließ. Dieser war gerade dabei, den Motor auszuschalten. Wir waren weder bei Vincent, noch in der Nähe von Farens Wohnung. Etwas stimmte nicht. Warum hatte Faren auf einmal am Straßenrand geparkt, irgendwo in der Stadt? Ich ahnte etwas, das mir die Kehle zuschnürte.

„Sorry“, brachte ich dennoch leise hervor. „Ich wollte nicht-“

„Nein“, unterbrach Faren mich ruhig und schüttelte den Kopf. „Kann es sein, dass ich ein totaler Idiot bin?“

„Hä? Quatsch, bist du nicht. Ich bin nur nicht gut drauf, das ist alles.“

„Du redest dich ständig heraus.“ Zaghaft schlug Faren mit der Hand gegen das Lenkrad. „Das hätte mir viel früher auffallen müssen.“

Sein Blick schwenkte zu mir. In seinen Augen flackerte etwas auf, das wie der Funke einer Erkenntnis aussah. Unbewusst sackte ich im Sitz zusammen. Der Ausdruck in Farens Gesicht gefiel mir nicht. Sobald jemand wie er derart ernst wirkte, wie in diesem Moment, bedeutete das nichts Gutes. Hinzu kam dieser Hauch von Schmerz und aufkeimender Reue, die ihm anzusehen war. Es war unerträglich, solche Emotionen bei jemand anderem zu erleben, weil ich sie zu gut nachempfinden konnte.

„Du machst das immer“, sagte Faren unruhig. „Immer weichst du aus. Sobald es um Kieran geht, schließt du das Thema schnellstmöglich ab. Du betonst immer, dass ich mich gut um Kieran kümmern soll und er es verdient hat. Du ziehst dich zurück, wenn Kieran auftaucht oder verhältst dich in letzter Zeit so, als wäre bei dir alles in bester Ordnung in seinem Beisein. Nicht mal mit mir willst du etwas unternehmen, weil ich Zeit mit Kieran verbringen soll.“

Hastig warf ich etwas ein, um die Richtung zu ändern, in die das Gespräch zu verlaufen drohte: „Mann, Faren, ich sagte doch, ich bin heute nur nicht gut drauf. Mach daraus keine große Sache, ja? Fahr mich zu Vincent. Da schlafe ich mich aus und morgen können wir dann nochmal reden.“

Ich wusste, dass es nur Wunschdenken meinerseits war. Aus der Nummer kam ich nicht mehr heraus. An Farens Stelle hätte jeder genauer Bescheid wissen wollen – außer Typen wie ich, die so etwas eher verdrängen, um dann still und heimlich alleine deswegen herumzujammern.

„Ich will nur eines wissen.“ Bittend hielt Faren Augenkontakt und sprach geduldig weiter. „Kann es sein, dass du auch etwas für Kieran empfindest? Mehr als nur Freundschaft?“

Nein. Das sollte ich schnell abstreiten, bevor es zu spät war. Zwar öffnete sich mein Mund, aber es kam kein Ton heraus. Egal, was ich sagen würde, ich könnte nicht überzeugend genug sein. Nicht nach allem, was passiert war. Im Grunde war Faren sich schon sicher und suchte nur noch die letzte Bestätigung dafür. Am Ende war er doch darauf gekommen. So lange hatte ich es geheim halten können, aber ich versagte schon wieder.

Ich brach den Blickkontakt ab. Fluchtartig öffnete ich geschwind meinen Gurt und wollte die Beifahrertür aufreißen, doch Faren reagierte ebenso schnell und hielt mich am Arm fest. Natürlich ließ er mich nicht einfach abhauen.

„Warte, lass uns darüber reden!“, forderte er, unerwartet gefasst. „Weglaufen nützt doch jetzt nichts.“

„Reden auch nicht!“ Ich traute mich nicht mehr, ihm nochmal in die Augen zu schauen, und starrte stur nach draußen. „Es ist gut so, wie es ist.“

„Überhaupt nicht, du leidest doch darunter.“

„Sag mir nicht, was ich zu fühlen habe!“

„Ferris“, redete er mitfühlend auf mich ein. „Beruhige dich. Wir können bestimmt eine Lösung finden. Ich werde eine finden.“

Sollte das ein Witz sein? Hierbei gab es keine Lösung, außer, dass ich mich damit abfand, und dass versuchte ich schon die ganze Zeit. Jetzt war Faren meinetwegen garantiert voller höllischer Schuldgefühle und kam sich wie ein Arschloch vor, der seinem besten Freund die Liebe seines Lebens gestohlen hatte. Genau das wollte ich von Anfang an vermeiden.

Ich kriege es nie hin, dachte ich verzweifelt. Immer verletze ich andere, selbst wenn ich mit aller Macht versuche, das zu verhindern.

Es wäre so viel besser, könnte Faren mich vergessen. Eigentlich hätte er mich gar nicht erst treffen, geschweige denn retten sollen. Vincent, Kieran, Ciar, Faren … was stimmte mit denen nicht? Hört endlich auf, mir helfen zu wollen! Ihr macht es nur schlimmer.

In meiner Brust wuchs ein unbeschreibliches Brennen heran, das zusammen mit meiner Stimme explodierte, als ich meinen Willen laut herausschrie: „Lass mich los! Kümmere dich nicht um mich, vergiss mich!

Tatsächlich lockerte sich Farens Griff um meinen Arm sofort, begleitet von einem schmerzvollen Keuchen. Kaum huschte mein Blick ungläubig zu ihm, verlor er scheinbar das Bewusstsein und stieß mit dem Kopf gegen das Fenster. Sein gesamter Körper wurde schlaff und rutschte tiefer.

Genau wie er atmete ich schwer. Mein Hals war seltsam trocken und mir war heiß, das brennende Gefühl in meiner Brust hatte sich ausgebreitet. Etwas war vorhin mit meinen Worten aus meinem Inneren ausgebrochen. Ich wusste nicht, was es war, aber ich musste an Ciars Erklärungen denken, über Echos und Begabte, die mit ihrer Stimme der eigenen Seele einen Weg geben konnten, ihre Energie zu befreien.

Vorsichtig streckte ich eine Hand nach Faren aus und berührte ihn an der Schulter. Zitternd versuchte ich, ihn zu schütteln und aufzuwecken, was auch immer er hatte. Obwohl ich der Wache von uns war, fühlte ich mich ohnmächtig. Vor Schock konnte ich nicht klar denken und wusste nicht, was ich am besten tun sollte. Wie ein hilfloses Kind.

Wie eine Ewigkeit saß ich da und starrte Faren nur tatenlos an, umgeben von einer erdrückenden Stille. Zu gern hätte ich jetzt seine Stimme gehört. Irgendeinen bescheuerten Witz, über den nur wir beide lachen konnten. Erst als schließlich Blut aus Farens Nase lief, weckte das endlich wieder meinen Verstand, der dafür sorgte, dass ich mit dem Handy eilig einen Krankenwagen anrief.

Unbeholfen versuchte ich zu erklären, wo wir mit dem Wagen standen. Anscheinend stammelte ich dabei so undeutlich, dass die Person am Telefon einige Fragen mehrmals wiederholte, mit einer professionellen und erfahrenen Ruhe, die mich nur erst recht verrückt machte. Hier ging es um meinen besten Freund. Jemand, der am Leben hing und stets darum kämpfte, auch in schlechten Zeiten. So jemand durfte nicht sterben!

„Scheiße ...“, nuschelte der bewusstlose Faren neben mir auf einmal. „Mein Schädel ...“

Abrupt versagte meine Stimme und ich erstarrte, während ich beobachtete, wie Faren langsam wieder zu sich kam. Zuerst bemerkte er mich gar nicht, weil er noch zu benebelt war und über heftige Kopfschmerzen klagte. Irgendwann musste ihm aber auffallen, dass ich noch neben ihm saß, was bald darauf geschah.

Anfangs schien er zu glauben, sich mich nur einzubilden. Erschöpft richtete er sich anständig im Sitz auf und sah sich orientierungslos um. Am anderen Ende der Leitung sprach noch jemand zu mir, der fragte, was los sei und warum ich nichts mehr sagte. Aber ich konnte nichts darauf erwidern. Mir gelang es nicht mal, Faren ein Taschentuch anzubieten, womit er sich das Blut unter der Nase wegwischen könnte.

Ich hielt den Atem an, kaum dass er mich erneut ansah und diesmal der Blick länger auf mir ruhte. Mehrmals blinzelte er und beugte sich ein wenig näher in meine Richtung.

„Hä?“ Ratlos musterte Faren mich und kniff die Augen zusammen. „Wer bist du?“

Etwas brach in mir zusammen. Sprachlos ließ ich das Handy sinken und erwiderte Farens Blick mit geweiteten Augen. Das war kein Scherz, er hatte wirklich keinen Schimmer mehr, wer ich war oder in welcher Situation er sich befand. Genau wie gewünscht. Wie meine Worte es verlangt hatten, nur wenige Minuten zuvor.

„Hey, krass, du siehst ja voll aus wie ich.“ Genauso erstaunt war Faren bei unserem ersten Treffen schon gewesen. „Was geht denn hier ab? Hab ich zu viel getrunken?“

„T-tut mir leid ...“

Statt Faren aufzuklären und ihn zu beruhigen, folgte ich dem Drang, vor dieser Verantwortung zu fliehen, und stürzte regelrecht aus dem Wagen. Rannte schwankend über die Straße, ohne auf mögliche weitere Fahrer zu achten, die ich in einen Unfall verwickeln könnte. Blind stürmte ich in die nächstgelegene Gasse hinein und lief einfach so weit ich konnte, weg von Faren.

Mein Bein schmerzte und Schweiß lief über meine Stirn, trotz der kühlen Abendluft, die mich begleitete. Straßenlaternen sorgten mit ihrem matten Lichtschein für eine bedrückende Atmosphäre. Sirenen heulten in der Ferne auf. Vermutlich der Krankenwagen, den ich für Faren gerufen hatte. Er war mir nicht gefolgt. Warum sollte er? Für ihn war ich nur noch ein fremder, schräger Kerl, der ihn in seiner Verwirrung sitzenließ. Sicher dachte er, nur zu träumen.

Auch ich wünschte mir, dass ich bloß in einem Alptraum feststeckte.

 
 

***

 

Es war aber kein Alptraum.

So etwas passierte mir nicht zum ersten Mal. Dunkel erinnerte ich mich daran, in meiner Kindheit den anderen ungewollt Angst eingejagt zu haben. Einen Hexer hatten sie mich genannt. Schon damals wusste ich nicht, was diese merkwürdigen Fähigkeiten bedeuteten, mit denen ich leben musste.

Jedes Mal, wenn ich genau das sagte, was ich fühlte und wollte, geschahen solche Dinge wie mit Faren. Personen verhielten sich aus heiterem Himmel anders oder taten etwas, das sie normalerweise nicht machen wollten. Zuerst hatte mich das begeistert. Klar, als Kind war es oft zu spät, bis man erkannte, wie schlimm etwas in Wahrheit war.

„Pass doch auf, Spinner!“, beschwerte sich ein Autofahrer lautstark bei mir, der abbremsen musste, weil ich gedankenverloren bei Rot über die Straße ging. Das Hupen war in dieser nächtlichen Stille wie ein Hammerschlag auf den Kopf. „Mach mal hinne, hau ab!“

Mit quietschenden Reifen fuhr er weiter, nachdem ich die letzten Schritte hinter mich gebracht und die andere Straßenseite erreicht hatte. Schweigend schweifte mein Blick über die Bremsspuren auf dem Asphalt, bevor ich weiterging und meinen Gedanken folgte.

Ziellos ging ich durch die Stadt, an einigen Kirschblütenbäumen vorbei. Außer mir gab es nur wenige Menschen, die ebenso geisterhaft umher streiften wie ich oder irgendwo herumsaßen und aus eigenen Gründen ihrer Existenz auf diese Weise nachgingen. Manche rauchten, tranken Alkohol, beschäftigten sich mit dem Handy oder hatten einen Partner dabei, für einen romantischen Spaziergang bei Nacht.

Solange ich niemandem im Weg stand, beachtete mich keiner. Mir wurde bewusst, warum bestimmte Geschehnisse in meinem Leben so unglücklich verlaufen waren. Nach dem Brand, bei dem meine Familie starb, hatte ich angefangen, meine wahren Gefühle zu verstecken und etwas vorzuspielen. Gute Laune und Zufriedenheit. Eine Stimmung, mit der ich nicht aus Versehen irgendetwas aussprechen konnte, das einen Wunsch oder ein Verlangen beinhaltete.

Irgendwie musste es mir gelungen sein, meine Fähigkeiten dadurch abzuschwächen und sie gerieten in Vergessenheit. Sonst hätte mir schon mindestens die letzten zwei Jahre über andauernd so etwas passieren müssen wie heute mit Faren. Laut Ciar erwachten meine Fähigkeit nun langsam – erneut. Woran mochte das liegen?

Vielleicht weil ich auch ohne sie meinen Platz in der Welt nicht fand. Ach, wer weiß warum. So oder so machte es die Lage nicht besser. Ich fühlte mich verlorener als jemals zuvor in meinem Leben. Als Freak mit solch unheimlichen Fähigkeiten wollte ich erst recht nicht länger existieren, das war unmöglich. Für Ciar schien das allerdings ein Kinderspiel zu sein.

Ciar … ob ich zu ihm gehen sollte? Er könnte mir beibringen, mit diesen Fähigkeiten so umzugehen, dass sie keinem mehr schadeten – und mir möglicherweise sogar Vorteile verschafften. Bevor ich wieder an Selbstmord dachte, wäre das einen Versuch wert. Angeblich wüsste er auch einen Weg, wie ich all mein Leid loswerden könnte. Reizvoll klang das schon …

„Das letzte Mal“, hauchte ich mir selbst zu und blieb stehen. „Das ist mein letzter Versuch, doch noch die Kurve zu bekommen. Danach wähle ich den Notausgang.“

Mein Entschluss stand fest, also holte ich mein Handy hervor, mit dem ich Ciar schreiben wollte. Dummerweise stand der Akku kurz vor einem Herzstillstand und ließ wahrscheinlich nicht mal mehr einen Blick ins Adressbuch zu. Danke, Schicksal, mit den Steinen meinst du es wirklich etwas zu gut.

Jemand stieß plötzlich so heftig gegen mich, dass ich um mein Gleichgewicht kämpfen musste. Ein pochender Schmerz zog sich durch meine Schulter.

„Mach die Augen auf, Junge. Steh hier nicht so nutzlos herum.“

Genervt bohrte sich der Blick eines Anzugträgers in mich hinein, ganz klassisch mit Aktenkoffer und Brille. Jemand, der sich, zu recht, wichtiger vorkam als ich. Gut möglich, dass er von der Arbeit kam und endlich Feierabend hatte. Nur ein paar Schritte weiter war ich an einem Parkplatz vorbeigekommen, wo sein Auto stehen könnte.

Auf der einen Seite wollte ich mich entschuldigen, aber auf der anderen war er derjenige gewesen, der mich angerempelt hatte. Dieser Gedanke entfachte einen Funken Wut in mir – ich hatte nichts getan, nur dagestanden. Ich mochte arbeitslos sein und keinen Wert haben, aber deshalb war es noch lange nicht gerecht, dass ich mich dumm anmachen lassen musste.

Gerade wollte der Mann kopfschüttelnd weitergehen, doch ich hielt ihn auf: „Warte.

Sofort gehorchte er mir und blieb stehen, bevor er wirklich dazu kam, den ersten Schritt zu machen. Mit wachsender Irritation wandte er sich mir wieder zu. „Was ist denn noch?“

Jetzt konnte ich testen, ob ich diese Fähigkeiten wirklich in mir trug oder nur ein Verrückter war. Fordernd streckte ich ihm eine Hand entgegen und sprach sogleich den nächsten Befehl aus: „Gib mir all dein Geld.

Mich würde es wundern, hätte er keines dabei. Schon der Anzug sah unverschämt teuer aus. Einer wie er, der womöglich von einem Meeting zum nächsten rennen musste, spazierte niemals ohne Geld durch die Gegend. Sonst könnte er sich kein Taxi, einen überteuerten Kaffee oder das Trinkgeld für eine reizende Bedienung leisten.

Wie erwartet wurde ich nicht enttäuscht: Widerwillig griff er in eine Innentasche seines Blazers, aus der eine Geldbörse zum Vorschein kam. Das Knistern der zahlreichen Scheine war hypnotisierend, als er sie nach und nach herausholte, um sie mir in die Hand zu drücken. Panik flimmerte in seinen Augen, da er nicht begreifen konnte, warum er etwas gegen seinen Willen tat. So konnte ich ihn nicht ziehen lassen.

„Danke“, rutschte es mir heraus, ehe ich ihm die letzten Befehle gab. „Jetzt verschwinde und vergiss mich.

Artig tat er, was ich von ihm verlangte. Zügig drehte er sich um und schritt weiter den Weg entlang, den er ursprünglich sowieso gehen wollte, ohne noch einmal anzuhalten. Zwar mochte mein Handeln absolut souverän gewirkt haben, aber umso überraschter war ich jetzt, dass es funktioniert hatte. Das Geld in meiner Hand war echt. Ich hatte den Mann tun lassen, wonach mir war. Einfach so. Creepy.

Zögerlich zählte ich die Geldscheine und war verblüfft, wie viel ich diesem Typen abgezogen hatte. Mit dieser Summe könnte ich vorerst in einem Hotelzimmer übernachten, was mir wie eine gute Idee vorkam. Dort wäre es mir auch möglich, mein Handy aufzuladen und zur Ruhe zu kommen. Hoffentlich ließ man mich überhaupt einchecken, so wie ich aussah. Niemand würde mich für jemanden halten, der genug Geld parat hatte.

„Was soll's, ich versuche mal mein Glück.“

Sorgfältig steckte ich die Geldscheine ein und ging weiter, diesmal mit dem Ziel, ein Hotel zu finden. Allzu schwierig dürfte das nicht sein, Cherrygrove war ein beliebter Urlaubsort, auch für kleinere Ausflüge. Also gäbe es sicher auch Übernachtungsmöglichkeiten für die Mittelschicht, so dass ich nicht weiter auffallen dürfte, wenn ich mir ein Zimmer nahm – sofern das nachts möglich war.

Morgen würde ich mich dann mit Ciar treffen und ihm meine Entscheidung mitteilen. Mehr Scheiße, als ich in diesen paar Stunden schon angerichtet hatte, konnte ich kaum noch bauen.

Ich habe nichts mehr zu verlieren

Am nächsten Tag schienen sich meine speziellen Kräfte einfach ganz plötzlich wieder in Luft aufgelöst zu haben. Puff, und weg. Genauso unerwartet wie sie in Erscheinung getreten waren.

Morgens im Hotel hatte ich es gemerkt, als ich mich beim Auschecken vor der Zahlung drücken wollte, obwohl es mir nicht an Geld mangelte. Meine Stimme erzielte nicht mehr den Effekt, dass andere ihren Befehlen willenlos folgten, was mir eine extrem peinliche Szene mit der Bedienung am Tresen beschert hatte. Voller Scham zahlte ich den Betrag für das Zimmer und verließ daraufhin hastig das Gebäude.

Jetzt war ich schon mehr als die Hälfte meines hinterhältig ergaunerten Geldes los und noch dazu mit Ratlosigkeit gestraft. Konnte ich die Magie meiner Stimme nur zu bestimmten Zeiten und Bedingungen nutzen? Gab es bestimmte Worte, von denen ich Gebrauch machen sollte? Vielleicht musste ich emotional aufgewühlt sein, eben wie gestern. Nach einigen Stunden Schlaf hatte sich meine Stimmung mittlerweile verändert und ich war etwas zur Ruhe gekommen. Noch verstand ich diesen ganzen Kram nicht wirklich.

Meine Erinnerungen an die Vergangenheit blieben zu lückenhaft, daraus konnte ich also keinen Nutzen ziehen. Egal, ich überließ es besser Ciar, mich noch mehr aufzuklären. Dank der Nacht im Hotel konnte ich mein Handy wieder zum Leben erwecken und ihn kontaktieren, damit wir uns trafen.

Tatsächlich hatte ich direkt an diesem Nachmittag ein Rendezvous mit Ciar, den ich nicht lange hatte bitten müssen, bis er einwilligte. Bestimmt konnte er es kaum noch erwarten, zu erfahren, wie meine Entscheidung lautete. Er ging sicher schon davon aus, mich für seine Seite gewonnen zu haben – was für eine das genau sein mochte, blieb mir ebenfalls schleierhaft.

Auch Vincent war sich und seinem Verantwortungsbewusstsein treu geblieben, denn er hatte mir in der Zwischenzeit mehrmals geschrieben. Da ich am Tag zuvor nicht mehr nach Hause gekommen war, sorgte er sich um mich, worauf ich ihm die Ausrede vorlegte, dass Faren mich mit zu sich genommen und ich bei ihm übernachtete hätte. Das lag zwischen Wahrheit und Lüge. Gegen eine Pyjama-Party mit Faren hatte Vincent nichts einzuwenden gehabt, doch erinnerte er mich anschließend an meine Tabletten und bot mir an, sie mir zu früher Stunde vorbeizubringen.

Darauf hatte ich ihm nicht mehr geantwortet. Mir war sowieso klar, dass Vincent es tun würde, selbst wenn ich ablehnte, also sparte ich mir das. Laut ihm wäre es äußerst wichtig, dieses Medikament jeden Tag, regelmäßig, einzunehmen. Falls Faren sich immer noch nicht an mich erinnerte, dürfte das für Vincent ein verrückter Besuch werden. Ein bisschen leid tat mir das schon.

Ob es Faren gut ging? Nicht mal auf den Social Media Seiten, auf denen er angemeldet war und sie normalerweise mit Leidenschaft aktuell hielt, konnte ich etwas über seinen Zustand erfahren, weil dort seit gestern Abend tote Hose herrschte. Kieran zu fragen wagte ich mich erst recht nicht. Ich hoffte einfach das Beste. Ich nahm mir vor, Faren mal aufzusuchen, sobald ich mit Ciar alles geregelt hatte, um mich zu versichern, dass er gesund war.

Seufzend legte ich den Kopf in den Nacken und schloss die Augen. „Die Kette der Ereignisse bricht echt nicht ab.“

Mir kam es so vor, als hätte sie sich fest um meinen Hals geschlungen und ließ mich nicht mehr los. Manchmal wünschte ich mir ein stinknormales, langweiliges Leben, in dem ich mich nur mit Kleinigkeiten herumplagte und sie zu einem größeren Problem machte, als sie in Wirklichkeit waren. Für den einen oder anderen übertrieb ich es vermutlich auch schon zur Genüge.

Viel herumlaufen konnte ich mit meinem Bein noch nicht, ohne dass es schmerzte, darum hatte ich mir einen Platz zum Warten ausgesucht, wo Ciar mich problemlos finden sollte. Das leise Plätschern des Wassers aus dem Stadtbrunnen, auf dessen Rand ich saß, wusste mich zu beruhigen. Deshalb konzentrierte ich mich voll und ganz darauf, statt all den Stimmen zu lauschen, die an Negativität kaum zu übertreffen waren.

Auf dem Marktplatz am Ende der Einkaufsstraße war eine Menge los, viele Menschen hielten sich in dieser Gegend auf. Arbeiter, Kinder, Rentner … Dementsprechend drosch eine Vielzahl von diesen inneren Stimmen auf mich ein, die das verdorbene Verlangen der besessenen Personen aufblühen ließen. Aus einigen schwarzen Kokons ragten wirklich winzige Knospen hervor.

Wenn ich dafür sorge, dass Mama etwas passiert, hätte ich Papa für mich ganz alleine.

Diesem ach so süßen Welpen letztens den Hals umzudrehen hat echt so was von gut getan.

Pff, ich könnte jeden von euch einfach umbringen, noch bevor ihr das richtig checkt.

Ich sperre sie ein und lasse sie da drin verrotten, niemand wird sie jemals finden.

Keuchend presste ich beide Hände auf meine Ohren und verzog das Gesicht. „Haltet die Klappe. Ich will das nicht hören.“

„Dann darfst du nicht nur so armselig darum bitten“, übertönte eine weitere Stimme selbstsicher alle anderen und riss gekonnt meine Aufmerksamkeit auf sich. „So funktioniert das nicht. Du musst klar und deutlich sagen, was du verlangst. All deinen Willen in Worte ausdrücken und es befehlen.“

Blinzelnd löste ich die Hände von meinen Ohren und blickte irritiert auf, aber diese Emotion wandelte sich sofort, als ich Ciar vor mir stehen sah. Seine standhafte Haltung wirkte wie ein unzerbrechliches Schild und die Tiefe seiner Augen quoll über von seinem Selbstbewusstsein. Seltsam, auf einmal verlor sogar ich jegliche Anspannung und Anzeichen von Furcht. Durch die warme Sommersonne wurde das Schwarz seiner Haare noch intensiver.

„Pass gut auf“, fuhr er fort. Sein Blick löste sich keine Sekunde lang von mir, als seine Stimme diesen hypnotischen Unterton bekam. „Schweigt, ihr rastlosen Seelen und Echos. Behaltet eure Gedanken für euch.

Etwas an seinen Worten erschien derart leicht und klar, dass sie sich von einer sanften Brise forttragen ließen, um wirklich jedes Ziel dieses Befehls zu erreichen. Vor meinem geistigen Auge stellte ich mir einen farbigen Nebel vor, der sich in der Luft verteilte und unvermeidlich eingeatmet wurde, wodurch Ciars Stimme auf jeden Fall einen Weg fand, ihre Opfer zu beeinflussen.

Erstaunt stellte ich fest, dass es still wurde. Nach wie vor konnte man das Gerede der Menschen hören, die in eine Unterhaltung verwickelt waren oder nur etwas vor sich hin murmelten, doch kein einziger Gedanke war mehr darunter, den ich ungewollt mitbekommen könnte. Unglaublich, welch Wohltat es war, sie nicht hören zu müssen.

„Wow, danke“, brach es erleichtert aus mir heraus.

Lässig winkte Ciar ab. „Dafür? Spare dir den Dank, das war weniger als eine Kleinigkeit. Aber nett, dass du so leicht zu beeindrucken bist.“

Super, hätte ich ihn besser mal kritisiert, statt mich bedankt. Als ob dieser Typ nicht schon eingebildet genug wäre, aber seinetwegen war ich diese Stimmen vorerst wieder los. Da konnte ich nur dankbar sein. Am besten schenkte ich ihm diese Art der Beachtung gar nicht mehr und behielt das demnächst für mich.

Ich rutschte vom Brunnenrand und sah ihn fragend an. „Hast du das Ding dabei?“

„Das Herz meinst du?“

„Ja, diesen Würfel halt.“

„Selbstverständlich.“ Ciar tippte sich mit dem Daumen gegen die Brust. „So etwas Wichtiges würde ich niemals vergessen, merk dir das besser.“

„Jaja, werde ich.“ Falls mein Gehirn großzügig genug war, das nicht zu vergessen, was es oft viel zu gerne tat. „Ich will es tun, also gib schon her.“

Erwartungsvoll streckte ich die Hand aus und wartete darauf, den Würfel von Ciar zu bekommen, doch der hob nur eine Augenbraue. „Du willst also deine Rache?“

„Ja, Mann, will ich“, bestätigte ich ungeduldig.

„Und du bist dafür bereit, mit mir zusammenzuarbeiten?“

„Das auch, ja. Wie oft willst du noch ein Ja von mir hören?“

„Oh, also ich kann davon nicht genug bekommen“, gestand Ciar belustigt. „Mir ist es jedenfalls nur recht, dass du dich so schnell entschieden hast. Besiegeln wir das Ganze.“

Mit diesem Entschluss griff Ciar nach meiner Hand und schüttelte sie, wobei er einen festen Druck ausübte – er fühlte sich kalt an, dabei war es wieder furchtbar heiß an diesem Tag. Ich ließ ihn ausnahmsweise machen und gönnte ihm diese Förmlichkeit. Als er seine Hand wieder von meiner löste, vermisste ich dieses kühle Gefühl irgendwie, weil es wie eine kleine Erfrischung gewesen war.

„Schön, gehen wir was essen“, beschloss Ciar und wischte sich dabei die Hand an der Hose ab. „Du schwitzt ganz schön, weißt du das?“

Wirklich? Ciar hielt sich wohl nicht damit zurück, laut zu sagen, was er dachte, selbst wenn es sich um offensichtliche Dinge handelte. Sorry, dass ich meinem Körper das Schwitzen nicht verbieten kann. Behalte deine Kälte ruhig weiter für dich, da schwitze ich liebend gern weiter.

„Ach was? Sag bloß, du Genie“, reagierte ich zynisch. „Und warum sollten wir essen gehen? Es geht nur um den Würfel, die Echos und dieses Zeug. Ich hab nicht vor, mit dir einen auf Kumpels zu machen.“

„Entspann dich. Mir geht es nur darum, dass wir etwas essen gehen“, blieb Ciar dabei und winkte mich bereits mit sich, als er sich zum Gehen abwandte. „Du musst gestärkt sein, wenn du gegen das Echo antrittst. Du nützt mir nichts mehr, wenn du bei dem Kampf draufgehst. Außerdem können diese Wesen nur im Dunkeln richtig aktiv werden, wir müssen eh auf den Abend warten.“

Ach so, darum ging es ihm also. Hatten Echos etwas gegen Tageslicht? Merkwürdig, dass alles, was übernatürlich war und den Menschen schadete, nur nachts richtig in Erscheinung trat. Woran lag das? Wussten die, wie doppelt unheimlich sie zu dieser Zeit wirkten? Wahrscheinlich gab es nicht mal eine halbwegs logische Erklärung dafür, ich dachte besser nicht darüber nach.

„Moment mal“, warf ich ungläubig ein, als mir etwas bewusst wurde. „Warum wolltest du dich dann tagsüber mit mir treffen, wenn wir erst abends richtig loslegen können?“

Stand mir etwa eine ellenlange Erklärung über die Welt der Echos und die sogenannten Begabten bevor? Momentan hatte ich gar nicht die Geduld und den Kopf dafür, mir so viele neue Informationen einzuprägen. Nicht umsonst war ich ein Versager in der Schule gewesen. Auch die Lernerei hatte mir damals nicht sonderlich geholfen, mir etwas langfristig zu merken.

Der Anflug eines amüsierten Lächelns war auf Ciars Gesicht zu erkennen, was mich erst recht aus der Bahn warf. „Sei nicht gleich so schockiert. Ich hatte halt Lust, dich früher zu treffen, und keinen Bock darauf, mit meiner Familie zu essen.“

Das machte es nicht besser, sondern verwirrte mich umso mehr. „Hä? Mit mir aber schon? Soll das ein Witz sein?“

„Mach dich nicht schlechter als du bist“, verlangte Ciar, langsam etwas gereizt. „Du bist gar keine so schlechte Partie.“

Ohne weitere Erklärungen lief er nach dieser Aussage voraus und ließ mich perplex stehen. Keine schlechte Partie? Wie war das denn bitte gemeint? Allmählich könnte Ciar ruhig mal Klartext reden, wenn wir zukünftig wegen diesen Echos so etwas wie Partner werden würden – oder was genau meine Rolle in seinen Plänen sein sollte.

Bevor er sich zu weit von mir entfernte, hechtete ich ihm lieber hinterher und holte bald auf, trotz dem stechenden Ziehen in meinem Bein. Davon ließ ich mir ihm gegenüber nichts anmerken und ging ganz normal neben ihm her. Zum Glück hatte ich noch etwas Geld übrig und müsste mich nicht von ihm einladen lassen.

Macht uns Platz“, hauchte Ciar fordernd, wieder schwebte seine Stimme mit dem Wind weiter und entfaltete seine Wirkung schnell.

Zwischen den morgendlichen Menschenmassen bildete sich ein freier Pfad, den wir ungestört benutzen konnten. Bemerkten die anderen überhaupt nicht, wie seltsam das war, dass man uns unbewusst Platz machte? Mir würde so etwas sofort auffallen, aber jeder machte wie gewohnt mit seinem Alltag weiter.

Ich runzelte die Stirn. „Du tust wohl gern so, als wärst du Jesus, was?“

„Moses war derjenige, der das Meer geteilt hat, nicht Jesus“, klärte Ciar mich auf.

„Ist doch egal, wer es war. Schadet es den Leuten nicht, wenn sie so beeinflusst werden?“

Eine Frage, die mir geradezu auf der Seele brannte. Zu sehen, wie Ciar ungeniert mehr als einen Menschen gleichzeitig manipulierte, stärkte meine Hoffnung, dass ich Farens Gesundheit nicht ernsthaft gefährdet hatte und er in Ordnung war. Er musste okay sein, auch für Kieran.

„Nicht, wenn man es richtig macht“, antwortete Ciar trocken und schielte kurz zu mir. „Warum?“

„Ach, nichts weiter. Ist ja nicht so, dass es total krass ist, wenn jemand unbemerkt andere nach seiner Pfeife tanzen lassen kann und dann auch noch so tut, als wäre es völlig normal.“

„Lass den Sarkasmus, das steht dir ganz und gar nicht“, warnte er. Ein kaum hörbares Knurren versteckte sich in seiner Stimme. „Für mich ist es halt wirklich normal – und ungemein praktisch.“

Widersprechen konnte ich dem nicht, das war es in der Tat. Ob es richtig war, darüber ließ sich allerdings streiten, aber da ich es auch schon getan hatte, sollte ich meinen Mund halten. Sicherheit darüber, wie es mit Faren weitergehen würde, hatte ich trotzdem nach wie vor nicht. Bei meinem Pech und Ungeschick hatte ich es garantiert falsch gemacht und ihm nachhaltig geschadet. Mein schlechtes Gewissen fraß mich innerlich auf.

Plötzlich spürte ich, wie Ciar nach meinem Arm griff und ihn über seine eigene Schulter legte, während er die andere Hand stützend um meine Hüfte legte. „Du humpelst. Kann man sich ja kaum mit ansehen, das Elend.“

„Na und? Das kann dir doch egal sein“, sagte ich abweisend.

Der Versuch, mich aus seinem Griff zu befreien, scheiterte kläglich, weil er sich nicht so leicht abschütteln ließ. „Bald lasse ich es dir echt irgendwo gut sichtbar hin tätowieren, damit ich nicht dauernd wiederholen muss, dass ich dir nur helfen will.“

„Hör mal, ich habe ja wohl allen Grund, misstrauisch zu sein“, zischte ich. Sein Gehabe ließ ich mir ganz sicher nicht wie ein schüchternes Schulmädchen gefallen. „Wir haben bislang niemals ein Wort miteinander gewechselt und ich wusste bis vor kurzem nicht mal, dass es dich gibt. Dann hast du auch noch diese Special Powerz und gibst dich die ganze Zeit so schrecklich wichtig. Du bestellst mich zu einem Ort, der schlechte Erinnerungen in mir weckt und hast zufällig auch noch das Dingsbums des Echos dabei, wegen dem meine Familie gestorben ist. Erkläre mir bitte mal, wie ich dir da trauen soll?“

Anscheinend hat das gesessen. Schnaubend ließ Ciar mich los, stieß mich sogar leicht weg und erhöhte das Schritttempo, nur um weiter vorne zu sein. Erst wollte ich anmerken, dass es ihn nicht gerade weniger verdächtig machte, darauf nichts zu erwidern, doch so nötig hatte ich es nicht. Eigentlich wollte ich das alles nur so schnell wie möglich hinter mich bringen und herausfinden, ob und wie Ciars Plan funktionierte.

„Ich verstehe dich, das ist der Grund“, drang seine Stimme leise zu mir, wie ein flüchtiger Gedanke. Hörte ich das wirklich oder bildete ich mir das ein? „Auch ich bin unglücklich verliebt.“

„W-wie bitte?“, stotterte ich.

Jemand wie Ciar kannte das Gefühl der Liebe? Bislang erschien er mir nicht wie ein Typ, der viel Wert auf Emotionen legte und eher auf Erfolg sowie Macht erpicht war. Und wie kam er darauf, mich verstehen zu können? Ich hasste es, wenn andere das leichtfertig behaupteten. Außer Kieran hatte ich mich bisher mit niemandem verbunden und daher verstanden gefühlt. Also konnte ich Ciars Behauptung nicht ernst nehmen.

„Ah ja? In wen bist du denn verliebt?“, wollte ich dennoch wissen.

Da blockte er sofort ab. „Geht dich nichts an. Besiege zuerst das Echo, dann verrate ich es dir vielleicht danach.“

„Kein Problem, wenn du mir erklärst wie.“

„Habe ich vor, beim Essen.“

Schweigen. Den restlichen Weg über hatten wir uns nichts mehr zu sagen. Humpelnd folgte ich Ciar und hielt mit ihm Schritt, wofür ich die Schmerzen einfach hinnahm. Jammern hätte mir nichts genützt. Stattdessen versank ich in meinen Gedanken und ließ mich derweil weiter von Ciar führen, der auf dieses Essen bestand.

Von hinten betrachtet sah er Kieran beinahe zum Verwechseln ähnlich. Ich fragte mich, was er insgeheim vorhatte. Wozu machte er dieses Theater mit, wenn er es mir einfach befehlen könnte, sich ihm anzuschließen? Konnte er nicht oder wollte er sich diese Mühe wirklich machen? Möglicherweise war er wegen etwas derart verzweifelt, dass er nach jedem Strohhalm griff. In dem Fall könnte er mich durchaus verstehen.

Nein, Ciar war niemand, der verzweifelte. Er wusste genau, was er wollte und wie er es bekam. Etwas anderes sollte ich mir nicht vormachen und mir auch nicht von ihm einreden lassen. Letztendlich wartete ich sowieso nur darauf, endlich den Notausgang nehmen zu können und mir nie wieder den Kopf über etwas zerbrechen zu müssen.

 
 

***

 

Der restliche Nachmittag verlief relativ unspektakulär, was ich nicht anders erwartet hatte. So konnte ich mir in aller Ruhe ein genaues Bild von Ferris' Zustand machen und einschätzen, ob er den Kampf gegen das Echo halbwegs überstehen könnte. Notfalls musste ich eingreifen, das wäre kein Problem, aber er sollte seine Chance bekommen. Er hatte sie sich verdient.

Zum Essen war meine Wahl auf eine Eisdiele gefallen, womit ich Ferris sichtlich überrascht hatte, weil es genau das einzige Lebensmittel war, von dem er sich zurzeit ernährte. Für mich war das keine große Kunst gewesen, denn ich kannte ihn eben besser als er ahnte. Zu diesem Zeitpunkt musste er das aber noch nicht wissen.

Auch von meinem Plan, für den ich Ferris unbedingt als Partner haben wollte, hatte ich ihm nichts erzählt. Darüber war er zwar verärgert gewesen, doch ich ging das Risiko nicht ein, ihn kurz vor dem Ziel abzuschrecken und zu verlieren. Zuerst sollte er selbst die Erfahrung machen, wie befreiend und großartig das Gefühl war, mit dem ich ihn vertraut machen wollte. Das mein besonderes Geschenk für ihn war.

Schließlich brach der Abend an und wir mussten nur noch auf die absolute Dunkelheit warten. Für unser Vorhaben wählte ich den Parkplatz eines Supermarktes, der längst geschlossen hatte und somit eine leere Fläche bot, auf der wir genügend Platz hatten. Weitere Wege aus der Stadt heraus wollte ich Ferris wegen seinem verletzten Bein nicht zumuten, nötig wäre das ohnehin nicht.

„Ist das hier nicht viel zu offen und einsichtig?“, gab Ferris zu bedenken und sah sich nervös nach möglichen Zeugen um. „Eine versteckte Gasse oder so wäre doch besser.“

„Viel zu umständlich. Ich werde einfach einen stillen Raum erschaffen.“

„Einen was?“

Seine Unwissenheit war geradezu … putzig. Irgendwie schade, dass er früher oder später in alle Einzelheiten der Jagd eingeweiht und dann nicht mehr so leicht zu verblüffen wäre. Aus dem Grund genoss ich das in vollen Zügen, solange diese Zeit anhielt. Dementsprechend zurückhaltend blieb ich mit meiner Antwort, die ihn nur vertrösten sollte.

„Lass mich einfach machen und schau zu.“

Konzentriert atmete ich ein und aus, spürte, wie meine Lungen sich mit Luft füllten und meinen Körper belebten. Hitze sammelte sich in meiner Brust an. All meine Gedanken, Gefühle und Eindrücke lenkte ich zu diesem einen Punkt, um die Energie freizusetzen, die ich benötigte. Ich formte meine Seele durch Worte zu etwas Materiellem, einer Waffe, einzig durch meinen Willen und meiner Vorstellungskraft.

Energisch riss ich die Hand nach oben. Das Brennen in meiner Brust breitete sich aus, bis in meine Augen. Ein rötlicher Schimmer legte sich über sie, was ich daran merkte, dass sich meine Sicht ebenso verfärbte. Aus dem Nichts erschien eine Waffe, eine Pistole, die sich aus winzigen Sandkörnern zusammensetze und selbstständig in der Luft schwebte, nur knapp über meiner Handfläche. An ihrem Lauf war seitlich das Ziffernblatt einer Uhr befestigt, mitsamt ihrem Mechanismus, der über den Abzug aktiviert wurde.

Es war keine gewöhnliche Handfeuerwaffe. Schon ihr strahlendes Silber und die verschnörkelten Verzierungen in Gold verströmten eine magische Atmosphäre. Die Kombination zwischen der Pistole und einer Uhr war meisterhaft ausgereift, als wären sie schon immer eins gewesen. Flink schnappte ich mir die Waffe aus der Luft mit der Hand und betätigte ohne jegliches Zögern den Abzug.

Stille!“, rief ich kraftvoll gen Nachthimmel, an dem nur wenige Sterne schwach funkelten. „Umhülle uns!

Sofort erwachte die Uhr am Lauf zum Leben und erfüllte die Umgebung mit einem gleichmäßigen Ticken, das ein wenig betäubend wirkte. Ein Knall verkündete, dass sich ein Schuss gelöst hatte. Zu sehen war nur eine helle Lichtkugel, die geradewegs nach oben flog und plötzlich explodierte. Über uns regnete ein Fluss aus strahlender Energie hinab, ein Teil des Parkplatzes wurde zu einem Raum zusammengefasst, in dem wir standen. Umgeben von Wänden aus blendendem Licht.

Ferris knirschte mit den Zähnen und hob eine Hand vor das Gesicht. „Alter, ist das hell. Genau wie an dem einen Abend.“

„Als ich dich gerettet habe, ja“, erinnerte ich ihn gern an meine heldenhafte Tat. Spielerisch drehte ich die Pistole in der Hand, bis sie sich wieder spurlos auflöste. „In einem solchen Raum befinden wir uns auf einer anderen Ebene, in der Stille. So etwas entsteht durch eine Krümmung in der Realität. Außenstehende können uns nicht mehr sehen und auch nicht mitbekommen was hier passiert. Sie bekommen höchstens einen kalten Schauer, wenn sie hier vorbeigehen sollten.“

„Boah ...“ Wie ein Kleinkind starrte Ferris mich mit großen Augen an. „Im Ernst?“

„Nee, du träumst das alles nur“, neckte ich ihn.

„Sehr witzig ...“

Empört strich er sich einige Haarsträhnen aus der Stirn und ließ die Hand wieder sinken, blinzelte jedoch ununterbrochen, weil er an dieses helle Licht nicht gewohnt war. Unterdessen nahm ich die Gelegenheit wahr, ihm eine letzte, wichtige Frage zu stellen, bevor ich ihm gab, was er bekommen sollte.

„Sag mal, was genau hat dich dazu gebracht, diesem Deal zuzustimmen?“

Schweigend warf Ferris mir einen ausdruckslosen Blick zu und starrte danach auf den Boden. Seine Antwort kam beängstigend schnell, wenn man bedachte, was sie beinhaltete: „Ich habe nichts mehr zu verlieren.“

Etwas in mir reagierte empfindlich auf diese Worte, es schmerzte sogar ein bisschen. Hatte er keinerlei Hoffnung mehr und sich komplett aufgegeben? Sollte dem so sein, wurde es höchste Zeit, ihn von seinen Leiden zu befreien. Dann sah er die Dinge sicherlich wieder etwas anders, so wie ich. Alles konnte gut werden.

„Eine traurige Einstellung“, kommentierte ich seine Antwort kühl. „Also schön, fangen wir an.“

Ich schnippte mit den Fingern und rief dadurch den Würfel zu mir, der vor mir erschien. Betörend rief er mit seinem rötlichen Glühen nach mir, aber dieses Herz war für Ferris bestimmt, weshalb ich der Versuchung widerstand. Nur ein letztes Mal berührte ich den Würfel, um ihn zu werfen, einige Meter weiter, wo er schwebend wartete.

Nickend wandte ich mich an Ferris. „Du weißt, was zu tun ist?“

„Ja, weiß ich.“

Gebannt fixierte er den Blick auf das Herz, seine Anspannung war so stark, dass sie auf mich überzugehen drohte. Schon bevor ich den nächsten Schritt tun konnte, geriet seine Seele in Aufruhr. Ich konnte sie hören. Ein Chor aus reiner Verzweiflung und Hilflosigkeit. Sie zu entfesseln, dürfte äußerst interessant werden.

„Gut, also wie abgesprochen, für den Anfang helfe ich dir.“ Einige Schritte wich ich zurück und sorgte dafür, dass Ferris den nötigen Freiraum für seinen Kampf hatte. „Entfessle deine Seele, Ferris!

Innerhalb von Sekunden nahm seine Seele Gestalt an. Ein riesiges Gefühlschaos, das aus Ferris ausbrach. Blaue Energie drang aus seinem Körper hervor und floss wie Wasser um ihn herum. Tatsächlich wirkte seine Aura wie ein tiefes Meer, in das man endlos hinab sinken könnte. Beruhigend und einschüchternd zugleich. Trauer und Sehnsucht sprudelten am Meeresboden. Das Rauschen des Wassers vermittelte Frieden und tobende Wut.

Echo!“, schrie Ferris mit voller Kraft alles davon heraus. „Ich will Rache!

Sofort zog sich die blaue Energie zusammen und formte ein gewaltiges Schwert, das viel zu schwer aussah, besonders für den unsportlichen Ferris. Unzählige Risse zogen sich durch die breite Klinge und doch fiel sie nicht auseinander, sondern blieb stabil – ein nettes Abbild seiner Seele. Er packte den Griff des Schwertes mit beiden Händen und hielt es mit Leichtigkeit oben, als er auf den Würfel zustürmte.

Nur ein gezielter Hieb und das Herz wurde in zwei Teile gespalten, zerbrach mit einem lauten Klirren, das unheilvoll im Raum verhallte. Ich war es längst gewohnt, dieses schmerzhafte Splittern in den eigenen Ohren. Mich kümmerte das nicht mehr. Bosheit quoll aus dem zerstörten Würfel hervor, eine schwarze, dickflüssige Materie. Teer.

Kampfbereit stand Ferris da, mit erhobenen Schwert und wartete die Geburt des Echos ab. Ebenso wie ich.

Ich höre Stimmen

„Den Rest überlasse ich ganz dir“, sagte Ciar monoton. „Meine Hilfsbereitschaft ist für heute schon bis zum Anschlag ausgereizt.“

Eindeutig eine indirekte Aufforderung an mich, dass ich mich anstrengen und ihm eine erstklassige Show bieten sollte. Seine eintönige Tonlage vermittelte mir den Eindruck, als erwartete Ciar nicht sonderlich viel von dem folgenden Kampf, um einer Enttäuschung vorzubeugen. Merkwürdig, bisher hatte er mit seinem Verhalten eher ausgesagt, diesen Zeitpunkt kaum abwarten zu können. Womöglich interpretierte ich nur etwas Falsches hinein.

„Hilfe werde ich eh nicht mehr brauchen“, behauptete ich leichtfertig, mein Blick blieb fest auf den Würfel gerichtet. „Wir wollen ja nicht deine Gewohnheiten durcheinander bringen.“

„Du wirst mir etwas zu frech, Grünschnabel.“

Wieso führten wir dieses Gespräch überhaupt? Ich wollte mich nur noch um das Echo kümmern, darum verzichtete ich darauf, das Wortgefecht fortzuführen und schwieg. Glücklicherweise tat Ciar es mir gleich und blieb vorerst stumm. Allerdings könnte ich ohne sein Zutun in dieser Sekunde nicht hier stehen, dessen war ich mir bewusst.

Dank Ciars Hilfe, seinem Befehl vorhin, konnte ich meine Fähigkeiten wieder nutzen. Angeblich benötigte es eine Menge Übung sowie Erfahrung, bis man sie uneingeschränkt zu kontrollieren und jederzeit zu nutzen wusste. So hatte er es mir in der Eisdiele erklärt. Deswegen sei es nötig gewesen, die Sensibilität meiner Seele zu erhöhen, damit sie auf jeden Fall auf meinen Willen, ausgedrückt in Worten, reagierte und sich über die Stimme kanalisieren konnte – klang kompliziert und doch einleuchtend.

Durch diese Energie war es möglich, richtige Waffen zu schmieden. Sie spiegelten in gewisser Weise bildlich die eigene Seele wider. Warum bei mir ausgerechnet ein – demoliertes – Schwert dabei herauskam, darüber machte ich mir noch keine Gedanken. Mich interessierte nur das Echo, all meine Sinne waren von nun an darauf konzentriert.

Zerschlug man mit einer Seelenwaffe das inaktive Herz eines Echos, löste das in irgendeiner Form Negativität aus. Jedes Detail hatte ich bei Ciars Erklärungen nicht verstanden, musste ich zugeben. Jedenfalls nährte der Würfel sich davon und begann ein weiteres Mal zu blühen, setzte das Echo wie ein Puzzle wieder zusammen und holte es ins Leben zurück. Oder besser: Diese Existenz wurde schlicht repariert und fortgesetzt.

Als ich den Würfel durch meinen Hieb zerteilt hatte, hörte ich dieses Splittern. Genau wie in der einen Nacht, in der ich von einem anderen Echo angegriffen worden war. Wie Glas, das im Gehörgang zersplitterte und stechende Schmerzen verursachte. Erst wollte ich durch Ertasten nachprüfen, ob ich diesmal blutete, doch ich ließ es bleiben. Selbst wenn es so wäre, kümmerte mich das herzlich wenig.

Ich sah kampfbereit zu, wie aus dem winzigen Würfel endlos mehr und mehr schwarze Pampe hervorquoll, geradezu ausgebrochen wurde. War dieses Herz im Inneren ein Schwarzes Loch? Leise konnte ich es schlagen hören. Fast kam es mir vor, dass es über mich und meine Dummheit still und heimlich lachte. Jeder einzelne Herzschlag verkündete Unheil, verstärkte die Schmerzen in meinen Ohren. Mit zusammengebissenen Zähnen blieb ich standhaft.

Allmählich formte sich das Innenleben des Würfels zu etwas zusammen, das sich, mit viel Fantasie, als eine menschliche Gestalt erkennen ließ. Viel zu groß gewachsen, sie überragte mich bei weitem. Knochendürre Glieder wuchsen nach und nach aus der Masse heraus, bildeten Arme und Beine. Insgesamt wirkte das Konstrukt wie ein ausgetrockneter, verformter Baum, dem jegliches Leben ausgesaugt worden war.

Vor meinen Augen fing die Luft an zu flimmern und es wurde spürbar wärmer. Hungrig fraßen sich die einzelnen Tropfen, die sich nicht im Gesamtbild dieser Kreatur halten konnten, in den Boden hinein. An zwei Stellen bildeten sich in der teerartigen Masse Aushöhlungen, wodurch ich mich sofort beobachtet fühlte, und das nicht von Ciar. Aus den Tiefen dieser Abgründe bohrte sich der Blick einer Bestie in mich hinein, der des Echos.

Plötzlich entflammte ein goldenes Glühen in den Aushöhlungen, die abstrakte Gestalt bäumte sich auf und schien ihren ersten Atemzug zu nehmen, zumindest sah es danach aus. Maßlose Gier stand mir gegenüber. Schon in den ersten paar Sekunden fühlte ich, wie es bereits durch seine bloße Anwesenheit an meinen Emotionen nagte, am liebsten hätte es gleich meine gesamte Seele verschlungen.

Da war es.

Ein Echo, genau wie Ciar es prophezeit hatte.

Auf einmal wich ein Teil der Kraft aus meinen Gliedern, klirrend sank die Klinge des Schwertes zu Boden. Mir wurde furchtbar übel, mein kläglicher Mageninhalt – der nur aus Eis und einem Milchshake bestand – drohte, sich nach draußen zu kämpfen. Irgendwie wusste ich selbst nicht, was ich in Wahrheit erwartet hatte. Bis gerade eben schien ich insgeheim noch gezweifelt zu haben.

Daran, ob diese Echos wirklich real waren oder ich nur verzweifelt versuchte, meine Schuld auf imaginäre Monster abzuwälzen wie ein Feigling. Das war doch verständlich, oder? Meine Zweifel lösten sich beim Anblick des Echos aber endlich auf und mich überfiel Klarheit. Tatsächlich kam eine Erinnerung in mir hoch, statt das Essen.

Obwohl dieses Echo dem anderen zum Verwechseln ähnlich sah, verströmte es ein gänzlich anderes Verlangen. Vielleicht war es bei diesem aber nur hochgradig entwickelt, diese Gier nach … Macht. Der Macht, die man durch die Energie von Seelen gewinnen konnte. Wie seltsam vertraut mir das Gefühl erschien, nicht weil ich es selbst jemals empfunden hatte, sondern es einst durch äußere Einwirkungen erleben musste.

Ich sah meine kleine Schwester vor mir, in meiner Vorstellung, damals, in unserem Haus. Als noch alles in Ordnung zu sein schien. War es das? Etwas in mir verneinte diese Frage.

An jenem Tag, vor zehn Jahren, hatte ich unbedingt mit Feuer spielen wollen. Mir war es gelungen, heimlich die Streichhölzer aus der Küche zu klauen, und nutzte altes Zeitungspapier aus dem Müll. Anfangs waren die Flammen noch klein gewesen, schwach und ausgehungert. Oft erstickten sie wieder und erloschen, es war wirklich nur wie ein Spiel gewesen.

Dann kam irgendwann meine Schwester dazu, wie aus dem Nichts, überraschte mich. Ertappte mich quasi auf frischer Tat. Natürlich wollte sie unbedingt mitspielen, doch ich wies sie hartnäckig ab. Aus irgendeinem Grund wollte ich alleine sein und sie nicht dabei haben. Sie nervte und nervte immer weiter, egal wie oft ich sie zurückwies.

Deshalb wurde ich schließlich lauter und schrie sie an, wofür ich meinen Blick nur einen kurzen Moment vom Feuer abgewandt hatte. Von einer Sekunde zur nächsten war es außer Kontrolle geraten, entfachte zu einem zornigen Brand, der sich rasend schnell ausbreitete. Mitten in dieser unerträglichen Hitze und dem Lärm der Zerstörung hatte ich es in meiner Panik entdeckt, das Echo.

Es war dort gewesen, ein stiller Beobachter, auf seine Chance wartend. Ähnlich wie das Feuer brannte das goldene Augenpaar, blendend hell. Verschlang die Energie, die von mir ausging und wurde stärker. Wegen des Echos gewann auch das Feuer an Größe und Kraft, es labte sich an dem, was es ausstrahlte. Deshalb ließ sich der Brand nicht mehr so leicht aufhalten, geschweige denn löschen.

„... Du bist schuld“, urteilte ich fassungslos.

Mein Kiefer schmerzte beim Sprechen, weil ich unbewusst die Zähne fest zusammengebissen hatte, während die Erinnerung zurückgekommen war. Schnaubend hob ich das Schwert wieder an und hielt es verkrampft am Griff fest, weil ich es auf keinen Fall aus Versehen verlieren wollte.

„Weil du da warst, musste das so schlimm enden!“, ließ ich alles heraus. „Die ganzen Jahre über war ich davon überzeugt, dass ich derjenige bin, der meine Familie getötet hatte. Aber in Wahrheit warst du schuld! Du hast sie getötet!“

Gerade, als sich erneut ein unheilvolles Klirren in meinen Ohren anzubahnen drohte, sorgte ich sofort dafür, dass es verstummte: „Schweig!

Unbeholfen machte das Echo mit seinen Beinen, die, ironischerweise, so zerbrechlich wie Streichhölzer waren, einen Schritt zur Seite. Offenbar war es von meinem Befehl überrascht.

„Wage es ja nicht, das abzustreiten oder überhaupt irgendetwas zu sagen“, warnte ich es wütend. „Du wirst mir auch nichts mehr einflüstern, um mich zu beeinflussen. Alles, was du noch tun darfst, ist, deine Strafe zu ertragen! Erstarre!

Kurze, prägnante Befehle. Ciar meinte, die wirkten am besten und benötigten obendrein nicht viel Zeit oder gar Überlegungen. Wie sich herausstellte, schien er wirklich mit allem recht zu behalten. Auf der Stelle erstarrte das Echo und zitterte nur noch stark, wahrscheinlich weil es sich gegen die Bewegungslosigkeit zu wehren versuchte. Zu meiner Genugtuung ohne ersichtlichen Erfolg, denn es kam nicht mehr vom Fleck. Klebte regelrecht am Boden fest.

„Ich mach dich fertig“, flüsterte ich mir selbst zu, mit bebender Stimme. „Das bekommst du alles zurück. Nur deinetwegen ...“

Schreiend stürmte ich auf das Echo zu, schien mich zu teleportieren, so plötzlich stand ich vor ihm. Gezielt rammte ich das Schwert in die Schwärze hinein und vergrub mich sogar samt meinen Armen darin. Zwar stieg heißer Dampf vom Teer auf, aber ich spürte keine Hitze, eher Eiseskälte. Absolute Abwesenheit von menschlichen Emotionen, von denen Wärme ausgehen könnte. Wie Nadelstiche drang dieses frostige Gefühl in meinen Körper ein und versuchte mich zu lähmen, mir einen Schock zu versetzen.

Pech für das Echo, dass ich mit dieser Art von Kälte durchaus schon vertraut war.

„Vergiss es!“, brüllte ich drohend. „Das bringt dir auch nichts!“

Kraftvoll riss ich das Schwert heraus, nur um es erneut in den Körper des Echos zu rammen und ein weiteres Loch im dickflüssigen Gebilde zu erschaffen. Nochmal. Und nochmal. Mehrere Male. Bald strömte mir ein stechend fauliger Geruch entgegen, der meine Übelkeit von vorhin wieder anregte, aber ich ignorierte das einfach. Stattdessen lud ich den ganzen anderen Müll, von dem ich seit Jahren belastet wurde, auf das Echo ab.

„Meine Familie ist tot!“

Ich stach zu.

„Mich selbst kann ich nur noch hassen!“

Ich stach zu.

„Jede Art von Hilfe gönne ich mir nicht.“

Ich stach zu.

„Scheiße, ich kann das einfach nicht mehr ...“

Ich stach zu, meine Stimme wurde schwächer.

„Nicht mal an das Gesicht meines Vaters oder meiner Mutter kann ich mich erinnern, alles ausgelöscht.“

Ich zog das Schwert heraus und taumelte ein wenig zurück, schnappte nach Luft.

„Ich kann auch nicht sagen, wie meine Schwester hieß.“

Inzwischen bestanden meine Worte nur noch aus unverständlichem Schluchzen und heiseren Lauten, die ich irgendwie loswerden wollte, um mich besser zu fühlen. Nicht mal mehr leben wollte ich. Wozu?

Ein qualvolles Stöhnen riss mich aus diesem dunklen Loch heraus und verlangte meine Aufmerksamkeit. Zuerst war ich etwas orientierungslos und benötigte einen Augenblick, bis ich wieder wusste, wo ich gerade war und was ich hier eigentlich tat. Das traurige Gestell aus Teer vor mir war von zahlreichen Stichwunden übersät, aus denen sogar so etwas wie Blut floss.

Es bestand aus zahlreichen bunten Farben, Energie, die das Echo bislang in sich aufgenommen haben musste. Darauf kam ich sogar ohne einen Hinweis von Ciar, es lag ziemlich nahe. Sämtliche negativen und positiven Emotionen, dargestellt in einer unendlichen Zahl von Farben, helle sowie dunkle. Manche davon hatte ich noch nie gesehen. Alles, woraus eine Seele bestand und Energie schuf. Diebesgut, das dem Echo nicht gehörte.

Je mehr es davon verlor, desto kläglicher wurden die Laute, die es gedämpft von sich gab. Auch das goldene Glühen in den Augenhöhlen war deutlich verblasst und verlor weiterhin an Leuchtkraft. Anscheinend konnte es ohne diese Energie seine Existenz nicht aufrecht erhalten und würde zerfallen. Falls das stimmte, wollte ich das zu gerne sehen. Das musste ich erleben.

Abrupt endete die kurze Verschnaufpause für das Echo, denn ich stach abermals mit dem Schwert zu, so fest und tief wie ich konnte. Während er schwächer wurde, gewann ich an Stärke. Zu sehen, wie es allmählich jämmerlich einging fühlte sich unerwartet gut an, absolut befreiend. Mehr und mehr schrumpfte der Klumpen, aus dem vor wenigen Sekunden noch die grobe Form eines Menschen bestanden hatte, in sich zusammen.

Ohne weitere Pausen fuhr ich fort und ließ das Echo noch mehr bluten. Bald erreichte das Gefühl dieser obskuren Euphorie ihren Höhepunkt und mir genügte ein einzelner Hieb nicht mehr, sondern ich wollte es voll und ganz zerstören. So langsam musste ich es endgültig beenden und dafür sorgen, dass dieses Echo sich davon niemals erholen könnte, selbst wenn es eines Tages noch einmal wiedergeboren werden sollte.

Automatisch kamen diese Worte über meine Lippen: „Ich brauche mehr Kraft.

Dieser Wille erreichte erfolgreich meine Seele und schmiedete tatsächlich noch mehr Waffen für mich, Kopien des Schwertes, das ich bereits in den Händen hielt. Selbstständig schwebten sie in der Luft und sammelten sich um mich herum, wie Soldaten, jederzeit zum Angriff bereit. Bald waren es insgesamt zehn Stück, meines eingeschlossen. Nur noch ein letzter Hieb, dann sollte es genug sein.

Zerbreche!

Meine letzten Kraftreserven legte ich in diesen Schlag, dem alle anderen Schwerter wie durch Magie folgten. Eine gewaltige Farbfontäne sprudelte meterhoch in die Luft, kaum dass die Klingen auch die restlichen Spuren des Echos perforierten, so dass nichts mehr davon übrig blieb. Nichts außer Blut.

Überall war es, eine zähflüssige Substanz. Es bedeckte beinahe vollständig den Boden und klebte auch an mir, dadurch nahm ich den modrigen Geruch noch deutlicher wahr. Würgend schluckte ich den bitteren Geschmack des Schleims herunter, der zwischendurch in meinen Mund geraten war, so sehr war ich in meinen Tobsuchtsanfall aufgegangen. Widerlicher als das konnte nicht mal verschimmeltes Essen sein.

Blinzelnd stand ich da, betrachtete das Blut. In zahlreichen Farben fluoreszierte es in der Dunkelheit magisch, wie ein kunstvolles Werk auf einer schwarzen Leinwand. Das sah irgendwie traumhaft schön und faszinierend aus. Ein prächtiger Lohn nach diesem Kampf. Eigentlich war es vielmehr eine einseitige Folterung gewesen, immerhin war das Echo nicht mal dazu gekommen, sich zu wehren.

Egal, ich hatte es geschafft. Diese Gefahr war beseitigt. Einzig mein schwerer Atem verhallte in der Nacht, ich fühlte mich ausgelaugt und wurde müde. Die Stille um mich herum verstärkte das Gefühl der Erschöpfung in mir. Vielleicht klangen meine Atemzüge deswegen seltsam wohltuend, weil sie mir sagten, dass ich noch lebte – ich hatte das nicht nur geträumt.

Obwohl mein Herz wie verrückt raste und jeder einzelne Schlag mir noch mehr Luft zu rauben schien, spürte ich eine unbeschreibliche Leichtigkeit in meiner Brust. Mein Kopf war wie leergefegt, keinerlei Gedanken beschäftigten mich in diesem Moment. So frei hatte ich mich schon lange nicht mehr gefühlt. Keuchend beugte ich meinen Oberkörper ein Stück nach vorne, hockte mich hin und stützte mich mit einer Hand auf meinem Knie ab, in der anderen hielt ich das Schwert fest umklammert, das mich zum Richter gemacht hatte. Zum ersten Mal in meinem Leben. An diese Rolle könnte ich mich durchaus gewöhnen, ganz wie er es mir vorhergesagt hatte. Mir ging es besser, meine Rache hatte ich bekommen.

„Das fühlt sich gut an, hm?“, hauchte Ciars Stimme mir verführerisch ins Ohr. „Du hättest das schon viel früher haben können.“

Mir lief ein Schauer über den Rücken und ich bekam Gänsehaut. Richtig, er war auch noch da und hatte die ganze Zeit zugesehen. Zwischen meinen Atemzügen schluckte ich nochmal schwer und schüttelte den Kopf, ohne zu wissen, was ich mit dieser Geste ausdrücken wollte. Immerhin waren sämtliche Gedanken fort und mein Körper musste sich erst mal von dem Adrenalinschub erholen, dabei hätte der ruhig länger anhalten können.

Sacht tätschelte Ciar mir den Kopf, als wollte er ein kleines Kind loben. „Jedenfalls warst du großartig. Selbst als Zuschauer war das richtig anregend, mein Körper hat sich an deiner Energie gelabt.“

Schweigend legte ich den Kopf in den Nacken und sah ihn mit gerunzelter Stirn an, meine Lungen verlangten nach wie vor nach mehr Luft. Er schmunzelte aber nur leicht und erwiderte meinen Blick, über seinen Augen lag wieder dieser rötliche Schimmer. Entweder lag es daran, dass ich mich gerade einfach nur gut fühlte, oder etwas daran wirkte tatsächlich betörend.

„Ich will damit sagen, dass du und ich in Kombination unschlagbar wären, unsere Energien würden hervorragend miteinander harmonieren.“

Ach so, darum ging es ihm. Seufzend sackte mein Kopf wieder nach vorne. Gerade rechtzeitig, um zu sehen, wie das Blut sich zu verändern begann. Die wirre Mischung aus Farben kam in Bewegung. Winzige Würfel bildeten sich aus der klebrigen Flüssigkeit und hoben sich nach und nach ab, versuchten, sich voneinander zu lösen und federleicht in die Luft zu schweben. Jedes einzelne Teil bestand nur aus einer Farbe, womit sich das Wirrwarr auflöste und sie wieder klarer zu erkennen waren.

Bald flogen haufenweise dieser bunten Würfel herum und glühten schwach, doch kurze Zeit später lösten sie sich in Asche auf und verschmolzen mit der Dunkelheit. Nur einer blieb übrig, er war etwas größer als die anderen und strahlte stärker, in einem hellen Rot. Gebannt starrte ich auf den Würfel vor mir und kam plötzlich schnell zur Ruhe, was seltsam war. Das war das Herz des Echos.

Flink schnappte sich Ciar den Würfel aus der Luft, blieb jedoch dabei hinter mir stehen und rückte dichter an mich heran. Spielerisch drehte er den Gegenstand zwischen seinen Fingern und hielt ihn genau vor meine Augen, die sich davon gefangennehmen ließen.

„Ich werde dich nicht nochmal fragen, sondern gehe davon aus, dass du dich entschieden hast“, flüsterte er eindringlich. „Du wirst deine Entscheidung nicht bereuen. Lass uns zusammen das Leid in uns einfach auslöschen und gleich alles andere mit dazu, das uns wieder verletzen könnte. Wir können zusammen unseren Frieden finden.“

Kein Widerspruch kam über meine Lippen, nicht mehr. Im Moment fühlte ich mich zu gut, als etwas gegen diese Pläne einwenden zu können. Ich war sorglos, und wenn ich mich mit ihm zusammenschloss, wäre es möglich, das auch in Zukunft erleben zu können. Egal, ob er nur wegen meiner Energie so besessen davon war, mich für sich zu gewinnen, oder es einen anderen Grund gab, er hatte mich überzeugt.

Gegen seine Worte kam ich nicht an, seine Stimme haftete sich in meiner Seele fest, und schlich um mein Herz herum, das sich wirklich nur nach einem friedlichen Leben sehnte. Nach Frieden an sich, den ich bislang im Leben nicht finden konnte.

Fordernd drückte Ciar den Würfel gegen meine Lippen, die sich wie von selbst öffneten. Plötzlich brannte es schmerzhaft auf meiner Zunge. Stöhnend kniff ich die Augen zusammen, und wollte den Würfel wieder ausspucken, aber er hielt mir den Mund mit einer Hand zu, und drückte die andere gegen meine Brust.

„Komm, du musst dich nur noch einmal zusammenreißen, dann wirst du keine Probleme mehr haben. Schluck es runter.“

Da ich keine Kraft mehr dazu hatte, mich aus seinem Griff zu befreien und den Würfel nicht mehr loswerden konnte, tat ich einfach, was er sagte, und schluckte. Es brannte so sehr, wie richtiges Feuer. Vor Schmerz liefen mir Tränen über die Wangen, dabei war ich viel schlimmere Dinge gewohnt. Eigentlich war das hier im Vergleich dazu ziemlich angenehm.

„Tut mir leid, gleich wird es besser“, beruhigte er mich und küsste meinen Nacken. „Alles wird besser sein, von jetzt an.“

Durch den Würfel, der sich durch meine Speiseröhre drängte, konnte ich darauf nichts sagen, aber etwas an Ciar war auf einmal seltsam anders. Einerseits wirkte er einmal mehr beängstigend unheimlich und fordernd, andererseits ging er jedoch auch ungewohnt sanft mit mir um. Behutsam brachte er mich dazu, mich mit dem Rücken auf den Boden zu legen und ließ zu, dass ich seinen Schoß als Kopfkissen benutzte.

„Ich passe schon auf“, versprach Ciar mir und löste seine Hand von meinem Mund, um mir stattdessen beruhigend über das verklebte Haar zu streichen. „Versuche, dich zu entspannen.“

Ich begriff gar nichts mehr. Mit geschlossenen Augen ließ ich mich einfach auf dieses Spiel ein, aber ich konnte nichts dagegen tun, dass das Gesicht desjenigen vor mir erschien, in den ich immer noch verliebt war. Vermutlich weil Ciar sich gerade so fürsorglich verhielt.

Die Tatsache, Kieran an jemand anderen verloren zu haben, schmerzte wesentlich mehr als dieses höllische Brennen in meinem Hals, mit dem sich der Wunsch nach noch mehr Zerstörung einschlich. So wie ich das Echo zerstört hatte.

Zerstörung, flüsterte etwas in mir erwartungsvoll und löste dabei einen Zustand der Euphorie aus. Zerstören! Lass uns alles zerstören, das uns Schmerzen zufügt. Zerstören wir einfach alles!

„Ciar“, brachte ich heiser hervor. „Ich höre Stimmen.“

„Keine Sorge, das ist normal. Das vergeht bald wieder.“

„Okay ...“

Noch mehr zu sprechen war mir zu anstrengend, daher ließ ich es zu, dass sich etwas in mir einnistete und seine ersten Wurzeln schlug. Sonderlich gut klangen sie zwar nicht, aber anfangs dachte ich auch von Ciar, er wäre ein gefährlicher Verrückter. Das wohlige Kribbeln in meinem Nacken hielt noch eine ganze Weile an und beruhigte mich, so dass ich einfach liegenbleiben konnte, bis das Brennen durch den Würfel nachlassen würde.

 
 

***

 

Ferris' Seele kam zur Ruhe, die blaue Energie verflüchtigte sich. Auch das Schwert verschwand und zersprang in Hunderte Funken, deren Licht ebenso erlosch. Bald dürfte sich auch der stille Raum auflösen, in dem wir uns befanden, doch bis dahin bekäme ich Ferris schon auf die Beine und würde ihn mit meinem Wagen sicher nach Hause bringen.

Mir war klar, dass er an Kieran denken musste, als sich sein Gesichtsausdruck entspannte, während er mit geschlossenen Augen dalag. Meinetwegen sollte er sich ruhig nach meinem Bruder sehnen, solange es ihn zufrieden stimmte, doch das passte mir dennoch nicht in den Kram. Sonst litt er immerzu nur wegen Kieran, sobald er ihn sah oder von ihm die Rede war. Dass mein Bruder beliebter war als ich, daran hatte ich mich schon vor langer Zeit gewöhnt. Den Ärger darüber konnte ich aber nicht so leicht abstellen.

„Trotzdem bist du jetzt bei mir und nicht bei ihm“, verkündete ich meinen Sieg, überaus befriedigt. „Letztendlich hab ich dich erwischt.“

Mein persönlicher Moment des Triumphs wurde verfrüht von einem störenden Geräusch unterbrochen, ein Signalton, der von Ferris' Handy stammen musste. Er befand sich momentan in einem dösigen Zustand, also nutzte ich die Gelegenheit, meiner Neugierde nachzugehen und tastete in seinen Hosentaschen nach dem Gerät. Schwer zu finden war es nicht, kurz darauf hielt ich es schon in der Hand.

Laut der Anzeige auf dem Display hatte ihm jemand eine Nachricht geschrieben, doch mich interessierte zuerst, wen ich alles in seinem Adressbuch vorfinden könnte. Mich, Vincent, Faren, Kieran und das war es auch schon. Wow, wahrlich kläglich. Umso besser für mich, das bedeutete, es gäbe weniger Störenfriede. Demnächst benötigte ich Ferris' Aufmerksamkeit für mich ganz alleine.

Da sich der Blick ins Adressbuch nicht wirklich gelohnt hatte, öffnete ich erwartungsvoll die Nachricht. Sofort verfinsterte sich mein Gesicht, als ich sah, dass sie von Kieran war. Wie konnte er sich noch erlauben, Ferris zu schreiben? Am liebsten hätte ich den Text gleich gelöscht, ohne mir anzusehen, was er aussagte, doch auch hierbei blieb ich zu neugierig. Misstrauisch las ich die Zeilen, von denen es nicht viele gab. Typisch, Kieran behielt den Großteil seines Wortschatzes für sich und fasste sich kurz:

Ferris, wo bist du? Vincent meint, du hast ihm geschrieben, dass du bei Faren geschlafen hättest. Du weißt, das stimmt nicht. Bist du in Ordnung? Melde dich bitte, wir machen uns alle Sorgen.

Gut, das waren überraschend viele Worte, für jemanden wie Kieran. Missbilligend knirschte ich mit den Zähnen, mein Daumen schwebte über der Taste, mit der ich die Nachricht kinderleicht löschen könnte. Gerade wollte ich den Moment so richtig genießen, da meldete sich auf einmal auch noch mein eigenes Handy zu Wort, ebenfalls mit dem Signalton dafür, dass mir jemand geschrieben hatte.

„Meine Güte, was wollt ihr alle ausgerechnet jetzt?“, fragte ich genervt.

Wenige Handgriffe und leise Flüche später öffnete ich die Nachricht an mich. Kieran. Genau wie bei Ferris. Dummer Zufall oder versuchte mein Bruder aus heiterem Himmel, mich zu mobben? Genervt las ich, was er von mir wollte:

Ciar, wo bist du?

Ein anderer Text fiel ihm wohl nicht ein, was?

Irgendjemand muss Farens Erinnerung an Ferris gelöscht haben. Ich musste ihn zur Krankenstation unseres Onkels bringen. Weißt du vielleicht etwas darüber?

Kieran wollte mich eindeutig verarschen. Bedeutete das, er schrieb sowohl mir als auch Ferris nur, weil es ihm um Faren ging? Er sollte froh sein, so einen großartigen Mann abbekommen zu haben und uns damit gefälligst mal gepflegt in Ruhe lassen. Ich war sowieso immer noch davon überzeugt, dass Kieran ihn nur mit einem Befehl dazu gebracht hatte, sich in ihn zu verlieben. Anders konnte das niemals gewesen sein, sonst müsste ich an Farens Geschmack zweifeln. Der Typ war zu gut für Kieran.

Ferris murmelte leise, weshalb ich hellhörig wurde und mich auf ihn konzentrierte. „Was ist los?“

„Etwas“, erwiderte ich knapp, führte das Ganze jedoch weiter aus. „Sag mal, hast du dir gegenüber Faren gewünscht, dass er dich vergessen soll?“

Schon als er nur die Augen halb öffnete, erkannte ich die den Funken Reue, der schlagartig das befreite Gefühl verdrängte, mit dem Ferris bis eben noch gesegnet gewesen war. Er musste gar nichts sagen, ich dachte mir meinen Teil. Seufzend steckte ich beide Handys ein.

„Na toll, du hältst einen echt auf Trab“, beschwerte ich mich halbherzig – im Grunde wurde es so niemals langweilig. „Komm, steh auf. Ich nehme dich erst mal mit zu mir. Wir müssen jeden weiteren Schritt jetzt ziemlich gut planen.“

Bestimmt suchte Kieran gerade wie verrückt nach Ferris, ebenso wie Vincent, demnach hätten wir bei mir zu Hause Ruhe und niemand könnte uns stören. Meine Eltern und der Rest der Familie waren oft nicht dort anzutreffen, also perfekt dafür geeignet, diese Nacht verstreichen zu lassen. Widerworte gab Ferris auch nicht und ließ sich von mir aufhelfen, danach stützte ich ihn für die nächsten Meter.

Ich ließ den stillen Raum hinter uns und steuerte auf eine bestimmte Ecke des Parkplatzes zu, wo ich vor einigen Tagen mal mit dem Auto gestanden hatte. Mit Hilfe des Manipulators, der Pistole mit der Uhr am Lauf, konnte ich einige Stunden zurückdrehen, bis ich die Zeit erreichte, die ich benötigte. Praktisch, ohne diese Fähigkeiten wollte ich nicht mehr auskommen müssen.

Sobald ich Ferris bei mir zu Hause im Bett liegen hätte, könnte auch ich mich endlich entspannen und auf die zukünftigen Ereignisse freuen. Meinem Plan stand nichts mehr im Wege, dafür würde ich sorgen.

Warum ausgerechnet Vincent?

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

Ich rede nicht von Freundschaft

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Ich brauche erst mal Abstand

„Du solltest wirklich lieber die Jacke überziehen“, bekam ich von der Seite zu hören. „Heute Morgen ist es überraschend kühl. Ich möchte nicht, dass du dich erkältest.“

„Und ich möchte das selbst entscheiden können“, wies ich diesen Rat ab. „Du bist mein Therapeut, nicht mein Vater.“

Vincent seufzte leise, einer seiner seltenen emotionalen Momente, das allerhöchste der Gefühle. „Diese Diskussion hatten wir schon oft genug, Ferris. Es ist nicht entscheidend, in welcher Form ein Mensch zu einer anderen Person steht. Der Titel ist nicht wichtig, wenn man sich um jemanden sorgt.“

„Erspare mir solche Vorträge, ich bin noch viel zu müde dafür.“ Ich ahmte sein Seufzen nach, reichlich genervt. „Ich bin nicht aus Zucker und will keine Jacke. Punkt.“

Anscheinend tat Vincent aber gerne so, als wäre er mein Vater, oder vielmehr eine übertrieben fürsorgliche Mutter. Obwohl ich ihm vor unserem Aufbruch klar und deutlich gesagt hatte, dass ich keine Jacke bräuchte, trug er sie trotzdem bei sich, nur um sie mir eventuell doch noch andrehen zu können. Sie hing über Vincents rechter Schulter, beinahe peinlich lässig. Manchmal kam er mir um einiges sturer vor als ich.

Ironischerweise war Vincent, wie gewohnt, in seinem Anzug unterwegs. Ohne Jacke, wohlgemerkt, als könnte dieses Business-Outfit ihn bereits ausreichend vor Kälte schützen, mein langärmeliges Shirt aber nicht. Mittags käme ohnehin die Sonne wieder heraus und würde versuchen mich wie ein Spiegelei zu brutzeln, also war dieses Theater vollkommen überflüssig.

„Ich trage die Verantwortung für dich.“ Vincent redete weiter, dabei hatte ich das Gespräch eigentlich schon für beendet erklärt. „Darum-“

„Mein Beileid.“

„Ferris ...“

„Ich sag schon Bescheid, wenn mir kalt ist, okay?“, wehrte ich ab. „Sei damit zufrieden, mehr biete ich nicht an.“

Mir war bewusst, wie frech ich mich gerade verhielt. Damit folgte ich nicht sonderlich erfolgreich Ciars Forderung, mich gegenüber Vincent möglichst normal zu verhalten. Für den war ich nur ein lästiger Job von vielen, den er vergessen konnte, sobald er ihn erledigt hatte. Wie sollte ich mit diesem Wissen bei seiner heuchlerischen Fürsorge nicht zickig reagieren? Völlig unmöglich.

Wenigstens blieb Vincent vorerst still, so dass wir den restlichen Weg halbwegs entspannt hinter uns bringen konnten. Er begleitete mich an diesem Tag zu Faren. Vor genau einer Woche war es das letzte Thema in meiner Unterhaltung mit Ciar gewesen, bevor er mich endlich ziehen gelassen hatte. Ich sollte versuchen meinen Kontakt zu Faren einigermaßen wieder zu stabilisieren, um dem Echo-Institut keinen Grund zu geben, mich noch gründlicher im Auge behalten zu müssen. Da ich derjenige gewesen war, den Faren nach seinem Gedächtnisverlust als erstes zu Gesicht bekommen hatte, bot das natürlich den perfekten Nährboden für Misstrauen, was meine Person betraf.

Mich interessierte es sowieso, wie es Faren inzwischen ging, deshalb störte es mich nicht, ihn zu besuchen. Vincents Begleitung kam mir um einiges schlimmer vor. Laut ihm konnte ich frische Luft und etwas Bewegung gut gebrauchen, darum waren wir zu Fuß unterwegs. Auch mein Schlafrhythmus musste langsam in Ordnung gebracht werden, behauptete er, darum hatte ich mich früh morgens aus dem Bett quälen müssen. Dabei schlief Faren an seinen freien Tagen auch immer bis zum Mittag.

Welcher Wochentag war überhaupt? Keine Ahnung, mein Zeitgefühl war total im Arsch. Wenn man keinen Pflichten nachgehen musste, wie Schule oder Arbeit, verlor Zeit schnell an Bedeutung. Jeder Tag gehörte voll und ganz mir, was auch dem Wochenende die sonstige Wertschätzung nahm. In meinem Leben herrschte absoluter Stillstand. Dank Ciar und der Jagd nach Echos bald vielleicht nicht mehr, wie ich insgeheim hoffte.

Ciar … dieser Penner, dachte ich halbherzig.

Vor einer Woche, noch am selben Tag unserer Unterhaltung, war ich von ihm an der Haustür mit einem weiteren Kuss – ohne Absprache oder Vorwarnung – verabschiedet worden, vor den Augen aller Anwesenden. Kieran, seine Schwester Reni und Vincent, sie hatten es alle gesehen. Wir waren also seitdem offiziell ein Paar, bevor ich darüber nochmal in Ruhe hätte nachdenken können.

Ausgerechnet von jemandem wie Ciar hätte ich solch eine absurde Tarnung nicht erwartet. Ab jetzt konnte er als schwul abgestempelt werden, worunter seine Männlichkeit mit Sicherheit furchtbar leiden dürfte. Wahrscheinlich hatte er das nicht weit genug durchdacht, aber es war zu spät. Nun musste er mit diesem Stempel und dem Spott anderer Leute leben, so wie ich mit meinem verkümmerten Zeitgefühl.

„Wir sind da“, merkte Vincent an, weil ich tief in Gedanken versunken war.

Tatsächlich, wir standen vor dem gut gepflegten Gebäude, in dem Faren mit seiner Familie in einer der recht günstigen Wohnungen lebte. Traurigerweise fühlte es sich so an, als wäre ich zum ersten Mal hier, aber dem war nicht so. Vor wenigen Monaten hatte ich noch ziemlich oft bei Faren übernachtet, doch das kam mir in diesem Augenblick alles nur noch wie eine Illusion vor. Hatten wir uns wirklich nicht nur draußen verabredet und zusammen etwas unternommen?

An meiner Stelle übernahm Vincent das Klingeln, vermutlich damit ich es mir nicht einfach anders überlegte und plötzlich kehrt machte. Kurz darauf gab uns ein schriller Ton zu verstehen, dass wir eintreten konnten. Ciar und alles andere waren sofort vergessen, nachdem ich den ersten Schritt ins Innere wagte. Einige Treppenstufen mussten noch überwunden werden, bis dahin hatte ich also Zeit, mich innerlich auf das Folgende vorzubereiten.

Wäre Faren genauso wie sonst? Hatte er sich wegen meines dummen Fehlers verändert? Falls ja, wüsste ich nicht, wie ich damit zurechtkommen sollte. Deswegen wurde ich ungewohnt nervös, je näher ich der Wohnung der Howes kam. Schon vor meinem ersten Wortwechsel mit Faren schien nichts mehr so zu sein wie vorher. Meine vorgetäuschte Beziehung mit Ciar und die Echos … womöglich war eher ich selbst dadurch so anders, dass Faren mich nicht mehr leiden könnte – genau das wäre ideal.

Unbewusst lief ich langsamer, um Vincent vorgehen zu lassen, und mich hinter ihm verstecken zu können. In diesem Moment war seine beachtliche Körpergröße wahrlich praktisch. Im dritten Stockwerk angekommen, erwartete uns bereits Faren persönlich an der Wohnungstür. Mit einer Hand hielt er sich am Rahmen fest und lehnte sich weit nach draußen, als wollte er auf keinen Fall etwas verpassen.

„Ah, da seid ihr ja!“, begrüßte Faren uns munter, voller freudiger Erwartung.

Seine Haare waren noch offen und sahen zerwühlt aus, er war sicherlich gerade eben erst aus dem Bett gefallen. Durch sein positives Strahlen gelang es ihm dennoch fit und unverschämt gut auszusehen. Dieser Zauber verblüffte mich jedes Mal.

„Guten Morgen, Faren“, erwiderte Vincent den Gruß. Behutsam schob er mich etwas mehr nach vorne, so dass ich besser sichtbar war. „Das hier ist-“

„Ferris!“, platzte es aus Faren heraus, der sofort meine Hände nahm und sie enthusiastisch schüttelte. „Alter, ich hab haufenweise Fotos und Nachrichten von dir auf meinem Handy! Ich konnte es kaum erwarten, dich endlich wiederzusehen. Letztes Mal bist du ja abgehauen, aber diesmal ist alles cool, ja?“

Auf einmal kam ich mir wie ein unbeholfenes Kind vor. „Ähm, ich weiß nicht. Ich meine, ja, ich denke schon ...“

„Awesome, dann kommt mal rein~“, bat Faren lächelnd.

Vorsichtig zog er mich direkt mit sich und überließ es Vincent, die Tür hinter sich zu schließen, nachdem er ebenfalls dankend eingetreten war. Zielstrebig führte Faren mich durch die Wohnung, geradewegs zu seinem Zimmer, wie mir auffiel. Unterwegs kamen wir an der Küche vorbei, wo er kurz innehielt und sich an Vincent wandte.

„Du lässt mir doch sicher etwas Zeit alleine mit meinem Bro, oder? Setz dich ruhig solange zu Mum und Dad, die geben dir bestimmt auch einen Kaffee.“

Ich beugte mich ein wenig zurück, um einen Blick in die Küche erhaschen zu können. Am Essenstisch saß eine Frau mit langen, schwarzen Haaren und blasser Haut, sie wirkte etwas zu mager. Vor ihr lag eine aufgeschlagene Zeitung, auf der ihr Blick ruhte, während sie genüsslich hin und wieder einen kleinen Schluck aus ihrer Tasse nahm. Das war Luna, Farens Mutter. Sie war keine Freundin vieler Worte, strahlte dafür jedoch eine harmonische Ruhe und Gelassenheit aus.

Darren, Farens Vater, redete dagegen immerzu. Äußerlich sah er seinem Sohn ziemlich ähnlich, hatte ebenso braunes Haar, aber grüne Augen, in denen das Leben selbst zu leuchten schien. Von ihm musste Faren diesen unerschütterlichen Optimismus geerbt haben, denn Darren war der Inbegriff von Positiv. Lebensfroh, aber ein bisschen tollpatschig. Jedes Problem und alle schweren Zeiten lächelte er einfach glücklich weg.

„Komm schon, Richard, bitte, bitte, bitte, tu mir den Gefallen“, sprach Darren lebhaft ins Telefon. „Wir hatten schon so lange kein Familientreffen mehr. Hm? Wie? Ja, sag ich doch, das letzte Mal war vor genau zehn Tagen, das ist viel zu lange her. Ich bemühe mich auch, diesmal beim Kochen nicht die Küche in die Luft zu ja-, oh, warte mal eben einen Moment.“

„Hey, Dad~“, warf Faren ein, kaum dass Darren das Telefon senkte. „Kann ich den guten Vince bei euch abladen?“

Ein zustimmendes Nicken folgte. „Aber sicher~. Schön, euch zu sehen. Ich freue mich echt, dass du Faren besuchen kommst, Ferris. Das hilft seinem Gedächtnis sicher auf die Sprünge.“

„Garantiert“, bekräftigte Faren und zwinkerte seinem Vater schmunzelnd zu. „Und sag Onkel Richard, dass es mir nach meinem Unfall total gut tun würde, meine ganze Familie zu sehen. Dann kann er gar nicht mehr Nein sagen.“

„Gute Idee!“ Kindliche Freude erhellte Darrens Gesicht noch mehr, ließ es geradezu strahlen. „Schatz, kannst du für Vincent einen Kaffee machen? Du lässt mich ja nicht mehr an die Maschine.“

Weil Darren das Talent hatte, sich bei jeder kleinen Tätigkeit in der Küche zu verletzen, konnte ich mir denken. Daher erhob Luna sich sofort nickend, um ihrem Mann weitere Unfälle zu ersparen. Vorher lenkte sie den Blick aber fragend zu mir. Ich schüttelte gleich den Kopf und sagte, dass ich keinen Durst hätte. Verstehend kümmerte Luna sich anschließend um den Kaffee, Vincent hatte sich derweil an den Tisch gesetzt.

„Meldet euch, wenn ihr etwas braucht“, sagte Darren, bevor er sein Telefonat wieder aufnahm.

Zufrieden ging Faren mit mir weiter. Hier hatte sich, entgegen meiner Befürchtung, nichts verändert, die Herzlichkeit der Familie füllte die Wohnung gänzlich aus. Trotzdem wirkte sie auf mich nach wie vor zu klein für vier Personen. Obendrein besaßen sie auch noch eine Menge Zeug. Gefühlt schien jeder freie Fleck mit Möbeln, Dekorationen oder anderem Kram besetzt und gefüllt zu sein. Ein seltsam geordnetes Chaos, wie eine eigene Welt. Auf eine Art beneidenswert.

Sein Zimmer teilte Faren sich mit seiner jüngeren Schwester, Luana. Sie lag auf dem Bett, als wir den Raum betraten, umgeben von unzähligen Zeichenmaterialien. Summend malte sie an einem Bild. Viele fertige Werke hingen schon an den Wänden in ihrem Bereich des Zimmers, und es kamen immer mehr hinzu.

Luana löste den Blick vom Papier und hob den Kopf. „Oh, hallo, Ferris.“

Eindeutig Farens Schwester, das Kind von Darren. Braunes Haar, das zu zwei seitlichen Zöpfen hochgebunden worden war, und grüne Augen. Im Gegensatz zu ihrem Bruder kam Luana mehr nach ihrer Mutter, ruhig und sogar schüchtern. Ein sehr liebes Mädchen, das keinen Funken Dunkelheit in sich trug. Erinnerte ich mich richtig, war sie zehn Jahre alt.

Faren ließ mich los, um seiner Schwester mit den Händen die Haare ebenso zerwühlen zu können wie es seine bereits waren. „Stör dich nicht an uns, zeichne einfach weiter~. Du musst doch später mal mit deinen Bildern berühmt werden und unserer Familie zu Reichtum verhelfen. Denk dran, ich will einen eigenen Whirlpool im Schlafzimmer.“

„Übertreib nicht so“, murmelte Luana verlegen, die sich nicht daran störte, dass Faren ihre Frisur ruinierte. „Ich kann unter Druck nicht arbeiten.“

Lachend ließ er von ihr ab. „Braves Mädchen, lass dich niemals von irgendwem stressen~.“

Etwas an dieser Szene schnürte mir die Kehle zusammen, ich spürte ein Stechen in der Brust. Genau wie Kieran war auch Faren ein liebevoller Bruder, dem seine kleine Schwester am Herzen lag. Es war rührend, so sollte ein gesundes Verhältnis zwischen Geschwistern aussehen. Beim besten Willen konnte ich mir nicht vorstellen, dass Kieran und Faren jemals mit Reni und Luana stritten. Ich dagegen …

„Danke, dass du hier bist“, lenkte Faren meine Aufmerksamkeit auf sich.

Schwungvoll warf er sich auf sein eigenes Bett, das an der anderen Wandseite stand, gegenüber von Luana. Ein Kissen lag auf dem Boden. Die gesamte Bettwäsche war zerknittert und durcheinander. So kannte ich Faren. Ohne Aufforderung ging ich zum Schreibtisch und nahm dort auf dem Bürostuhl Platz, statt mich neben meinem einst besten Freund auf das Bett zu setzen. Das kam mir unpassend vor.

„Kein Problem“, versicherte ich zögerlich. „Das bin ich dir schuldig.“

Kopfschüttelnd lehnte Faren sich mit dem Rücken gegen die Wand. „Ist schon gut, du hast dich halt erschreckt. Ist auch ganz schön uncool, seinen Bro einfach zu vergessen. Das tut mir echt leid, Mann. Ich weiß nicht, warum das passiert ist.“

Wie ich mich schämte. Meinetwegen hatte Faren das durchmachen müssen, aber er gab sich selbst die Schuld daran. Am liebsten würde ich die Zeit zurückdrehen und mich vor diesem Besuch drücken. Was für eine erbärmliche Gestalt ich abgab. Dass er mich vergessen hatte, war durchaus eine gute Sache, auch wenn das für Faren leider gesundheitlich nicht das Beste war. Jedenfalls war das am Anfang der Fall gewesen.

„Wie geht es dir denn jetzt?“, fragte ich besorgt. „Du … hast an diesem Tag plötzlich das Bewusstsein verloren und Nasenbluten bekommen. Hat man dich deswegen mal untersucht?“

Faren stieß ein theatralisches Stöhnen aus. „Und wie ich untersucht wurde, sag ich dir! Ich war nicht mal in unserem normalen Krankenhaus, sondern in diesem komischen Echo-Institut. Anscheinend haben die dort die bessere Technik und so. Da wurde ich so intensiv unter die Lupe genommen, dass ich mir wie der Träger einer lebensgefährlichen Krankheit vorkam, durch die die gesamte Menschheit aussterben könnte.“

Das Ganze erzählte er so amüsiert daher. Wollte er mich dadurch schonen oder nahm er das alles wirklich nicht sonderlich ernst? Nicht einschätzen zu können, was genau in anderen vorging, machte mich wahnsinnig. Warum konnten Vincent, Faren und alle anderen nicht einfach offen sagen, was sie dachten und fühlten? Würde einiges leichter machen.

„Aber ich bin gesund“, fuhr Faren fort und zuckte mit den Schultern. „Ich war etwa zwei Tage lang zwar richtig fertig und hatte höllische Kopfschmerzen, doch das ließ dann zum Glück nach, so dass ich nach Hause gehen konnte.“

Erleichtert atmete ich auf, viel zu offensichtlich. Ich war so beruhigt, dass Faren doch keine dauerhaften Schäden davongetragen hatte. Vielleicht war das dem Echo-Institut zu verdanken, weil ihm dort spezielle Medizin oder etwas dergleichen verabreicht worden war. Mehr musste ich nicht wissen, so konnte ich Faren mit gutem Gewissen ein Leben führen lassen, in dem ich keine große Rolle mehr spielte. Hoffentlich nicht mehr so sehr wie vorher.

„Niemand konnte sagen, was genau mit mir los war“, erzählte Faren weiter. „Böse Zungen behaupten sogar, ich hätte an dem Abend nur zu viel getrunken und mit dem Auto fast einen Unfall gebaut, was einen Schock verursacht hat. Kannst du dir das vorstellen?“

Ein Schmunzeln konnte ich mir nicht verkneifen. „Ist halt schon mal vorgekommen, dass wir richtig dicht waren. Klar vermuten manche dann so etwas.“

Was hatte ich mir für eine ellenlange Predigt anhören dürfen, weil ich noch zu jung dafür gewesen war. Streng genommen hatte ich sogar etwas Illegales getan. Seitdem hatte ich keinen einzigen Tropfen Alkohol mehr angerührt, weil ich mir diesen Stress mit den Erwachsenen nicht nochmal antun wollte. Nächstes Jahr war ich alt genug, um so viel zu trinken wie ich wollte.

„Ich könnte niemals so dicht sein, dass ich meinen guten Vorsatz vergesse, mich mit Alkohol im Blut nicht mehr ans Steuer zu setzen“, tat er gespielt empört. „Mir so etwas zuzutrauen ist unerhört!“

„Wer Alkohol trinkt, dem ist alles zuzutrauen.“

„Autsch. Ich dachte, du bist auf meiner Seite?“

„Wie kommst du darauf?“

„Meine Unterhaltungen mit dir in Social Medias verraten mir das. Ich habe eine Menge nachgelesen, wir sind total eng miteinander.“

Ich setzte ein finsteres Gesicht auf und sprach möglichst hinterhältig daher. „Oh? Sei dir da mal nicht zu sicher, ich könnte das alles nur geschickt eingefädelt haben, um dich aus dem Verkehr zu ziehen, damit ich deinen Platz einnehmen kann.“

„Das ist extrem, Bro. Sehr extrem.“

Während Luana uns unsicher anstarrte, mussten wir anfangen zu lachen. Eigentlich war dieses Wortgefecht nicht mal halb so witzig wie andere, die wir in der Vergangenheit bereits geführt hatten, aber für uns genügte das schon. Sogar nach meinem Wunsch, von Faren vergessen zu werden, konnte ich noch Spaß mit ihm haben. Verdient hatte ich mir das nicht.

„Okay, aber mal im Ernst“, begann Faren, der mich erwartungsvoll ansah. „Du warst doch an dem Abend mit mir unterwegs. Kannst du mir sagen, was passiert ist?“

Der Moment war gekommen. Ab hier musste ich ihm die Lüge auftischen, die Ciar mit mir ausgearbeitet hatte. Kein Problem, das bekäme ich hin. Erst recht weil ich sie in den letzten Tagen schon üben konnte, Vincent und Kieran hatten mich darüber nämlich längst ausgefragt, um das Geschehen bestmöglich nachvollziehen zu können. Und sicher auch, um zu prüfen, ob irgendetwas Übernatürliches, wie ein Echo, damit zu tun hatte.

„Also, ich hab dich an dem Tag gebeten, mich abzuholen.“ Hiermit setzte ich das Lügenkonstrukt erneut zusammen. „Von dem Ort, an dem ich mich heimlich mit Ciar getroffen habe, weil … wir wollten nicht, dass ihr etwas davon mitbekommt. Wir hatten Sorge, man könnte unsere Gefühle nicht ernst genug nehmen.“

Plötzlich wurden Farens Augen groß, unbändige Neugier funkelte in ihnen. „Aha, also ist es tatsächlich wahr?! Du und Ciar, ihr seid jetzt ein Paar? Kieran hat mir davon erzählt.“

„Er ist nicht so begeistert davon, meinte Ciar zu mir“, blieb ich meisterhaft in meiner Rolle. „Aber ja, wir sind ein Paar.“

„Wie krass“, kommentierte Faren ungläubig, hob jedoch sofort entschuldigend die Hände. „Versteh das nicht falsch, aber Ciar ist halt eine Nummer für sich.“

Irgendwie klang das unterschwellig negativ, fand ich. Gut, ich war zu Beginn auch nicht wild darauf gewesen, etwas mit Ciar zu tun zu haben. Bisher hatte er mir aber nichts angetan, abgesehen von dem Kuss, und das war nur die Einführung in unser Schauspiel gewesen. Seine eingebildete und unheimliche Attitüde könnte er allerdings gerne ablegen.

Nachdem Faren mich zu meiner Partnerschaft beglückwünscht hatte, dankte ich ihm nur flüchtig, bevor ich weitersprach: „Wir haben uns auf der Fahrt dann angefangen zu streiten, weil du kein gutes Haar an Ciar gelassen hast. Ich hatte dann eine Kurzschlussreaktion und hab dir ins Lenkrad gegriffen. Geistesgegenwärtig hast du eine Vollbremsung hingelegt, wir haben uns die Köpfe dabei angeschlagen, du mehr als ich, und das war es. Damit wir nicht mitten auf der Straße standen, hab ich noch an der Seite geparkt, was echt knifflig war, weil du ja noch den Fahrersitz in Anspruch genommen hattest.“

„Und als ich wieder aufgewacht bin, tat dir das so leid, dass du abgehauen bist?“, schloss Faren aus dieser Geschichte, genau wie geplant.

Nickend bestätigte ich diese Schlussfolgerung. „Es ist voll dumm gelaufen. Sorry.“

Fertig. Das Lügenkonstrukt blieb erfolgreich bestehen, so wie Ciar es wollte. Da der Wagen bei der ganzen Sachen keinen Schaden genommen hatte, gäbe es diesbezüglich auch keine Probleme. Mir wäre es lieber gewesen, Faren keine unnötigen Schuldgefühle einreden zu müssen, aber eine bessere Idee hätte ich nicht parat gehabt. So nutzten wir den glücklichen Umstand, dass Kieran mit seinem Zwilling absolut nicht zurechtkam und Faren durch einige schlechte Erfahrungen ebenfalls kein gutes Bild von Ciar hatte – mich hätte interessiert, was genau zwischen ihnen vorgefallen sein mochte.

„Fuck, nein, mir tut es leid“, betonte Faren, der beschämt eine Hand in den Nacken legte, als er sich etwas vorbeugte. „Ich würde auch ausrasten, wenn jemand schlecht über Kieran redet. Normalerweise ist das gar nicht meine Art. Das erklärt wirklich einiges.“

„Faren“, mischte Luana sich leise aus dem Hintergrund ein. „Fluch nicht so ...“

Lächelnd blickte er zu seiner Schwester. „Owww, entschuldige.“

Die ganze Zeit über hatte Luana schweigend weiter gezeichnet, ohne sich einzumischen. Für gewöhnlich war sie dabei sowieso stets so abwesend mit den Gedanken, dass sie dann nicht viel von dem mitbekam, was um sie herum geschah. Als sie aber auf einmal von ihrem Bett aufstand und zur Tür ging, klingelten bei Faren anscheinend sämtliche Alarmglocken.

„Hey, hey, hey! Du musst doch nicht gleich bei Mum und Dad petzen.“

Schmollend schielte sie zu ihm. „Ich geh nur auf die Toilette ...“

„Oh, ach so. Gut, dann lass dich nicht länger aufhalten~.“

Mit einem leichten Schmunzeln verließ Luana das Zimmer, die Tür fiel beinahe lautlos zurück ins Schloss. Wir waren alleine. Schlagartig fühlte ich mich unwohl, ohne jeglichen Schutz vor tiefer gehenden Fragen. Davon ließ ich mir aber nichts anmerken.

„Ist ja am Ende noch alles gut ausgegangen“, hielt Faren fest, wieder mal gewohnt optimistisch. „Außer, dass der Schlag auf den Kopf dich gleich gezielt aus meinem Gedächtnis verbannt hat. Was meinst du, biegen wir das zusammen wieder gerade? Ich habe das Gefühl, dass wir voll auf einer Wellenlänge sind. Wir können unsere Freundschaft einfach neu aufbauen, bis ich mich wieder erinnere.“

„Ich bin ungern der Spielverderber, aber das muss ich ablehnen.“

Sichtlich geschockt starrte Faren mich an. „Was? Warum denn?“

„Ich brauche erst mal Abstand“, erklärte ich. „Ciar und ich wollen eh ab jetzt mehr Zeit miteinander verbringen. Mir wäre unwohl dabei, mit Leuten herumzuhängen, die schlecht von ihm denken.“

Erst öffnete Faren den Mund, in dem Vorhaben, etwas dagegen einzuwenden, doch er brachte keinen Ton heraus. Wie ich ihn kannte, wollte er mir vorschlagen, dass er Ciar womöglich nur mal von einer anderen Seite kennenlernen müsste, wobei ich ihm helfen könnte. Ihm lag selbst ohne seine Erinnerungen an mich etwas daran, die Freundschaft mit mir zu bewahren. Das verstand ich nicht. Konnten ein paar Textnachrichten und Fotos so viel bewirken?

„In Ordnung“, gab Faren schließlich nach, etwas enttäuscht. „Irgendwann, wenn du genug Abstand hattest, treffen wir uns aber unbedingt wieder. Abgemacht?“

„Abgemacht.“

Noch eine dreiste Lüge. Von meiner Seite aus hatte ich nicht vor, mich nochmal bei Faren zu melden. Sein Seelenheil und seine Gesundheit waren ohne mich besser dran. Ohne die Sorge, dass ich mir etwas antun könnte, wenn es mir wieder schlecht ging. Und ich trug dieses Gefühl ununterbrochen mit mir herum, manchmal nur gut versteckt.

Verzeih mir, Faren. Ich bin sicher, du wirst mit Kieran glücklich werden.

 
 

***

 

„Möchtest du reden?“

„Worüber?“

„Über deine Aussprache mit Faren.“

Natürlich konnte Vincent es nicht sein lassen. Kaum waren wir mittags wieder zu Hause angekommen, musste er seine therapeutische Neugierde befriedigen. Nicht mal Schuhe und Jacke – die ich nur trug, um mir weiteres Betteln von Vincent zu ersparen – hatte ich mir ausziehen können, was ich als nächstes anging.

„Nein“, antwortete ich dabei.

„Wie du willst. Falls es doch etwas gibt, worüber du reden möchtest, du kannst jederzeit-“

„Ich gehe erst mal duschen“, unterbrach ich ihn, während ich mir achtlos die Schuhe von den Füßen streifte und die Jacke über den Kleiderständer warf, der im Eingangsbereich stand. „Danach penne ich noch etwas, du brauchst mir also nichts zu essen zu machen.“

Normalerweise wandte Vincent stets ein, dass es wichtig für mich wäre, anständig zu essen, diesmal sagte er jedoch nichts. Schweigend stand er da und beobachtete, wie ich zügig zur Treppe schritt, in den ersten Stock hinauf. Eine offensichtliche Flucht, aber das war mir egal. Nach diesem Gespräch mit Faren benötigte ich dringend etwas Ruhe, vor allem Schlaf. Lächerlich, wie ein bisschen reden einen komplett auslaugen konnte.

Erst, als die Badezimmertür geschlossen und der Schlüssel im Schloss einmal gedreht war, konnte ich meine Anspannung etwas fallenlassen. Tief atmete ich ein und aus, schloss die Augen und legte den Kopf in den Nacken. Geschafft. Den letzten Schritt hatte ich hinter mich gebracht, alle Lasten von mir gelöst. Außer Echos gab es in meinem Leben nichts mehr, das mich interessierte.

Echos und deren Herzen, für mehr Macht. Für Zerstörung. Für Ciars Plan. Ein solches Leben klang wunderbar simpel, zu schön um wahr zu sein. Den Haken an der Sache wartete ich noch eine Weile ab. Einen solchen gab es immer.

Ich erwachte aus meiner Meditation und zog das Shirt aus, gefolgt von Socken und Hose. Die Kleidung warf ich jeweils blind in irgendeine Ecke des Badezimmers, bevor ich am Spiegel auch das Haargummi entfernte, um es dort auf die Ablage zu legen.

Erst Sekunden später realisierte ich, dass ich lauthals schrie und regelrecht mit einem Sprung zurückgewichen war, wodurch ich einige Gegenstände von dem Regal an der Wand gerissen hatte. Polternde Laute drangen an mein Ohr, in dem ein schmerzvolles Splittern alles zu übertönen versuchte. Erfolglos wollte ich nach Luft schnappen, aber mein Schrei verhinderte jeden Atemzug.

Im Spiegel vor mir sah ich ein Mädchen, statt mich selbst. Ein brennendes Mädchen. Ihre Haut schmolz wie Wachs, das lange Haar löste sich in feine Asche auf, ihre dürren Arme streckten sich mir entgegen und ihr Hilferuf löste dieses Splittern in meinen Ohren aus. Schwarzer Teer floss aus ihren leeren Augenhöhlen, der Mund war unmenschlich weit aufgerissen.

Risse bildeten sich im Spiegel, sie schlug mit den Händen von der anderen Seite dagegen. Hitze staute sich im Bad. Das helle Flackern der Flammen blendete so stark, meine Augen fingen an zu tränen. Nach und nach wandelten sich die aggressiven Farben aus Rot, Orange und Gelb vollständig zu einem Blau. Rauch drang durch die Risse im Glas zu mir in den Raum.

„D-du?“, stotterte ich nervös. „Warum?“

Es konnte nur Einbildung sein. Warum sollte meine Schwester mich auf einmal derart verfolgen? Mit meinen eigenen Händen hatte ich das Echo vernichtet, den wahren Schuldigen. Der Tod meiner Familie war gerächt worden. Ich musste mir nichts mehr vorwerfen. Oder?

Oder?

„Hau ab!“, kreischte ich heiser. „Verschwinde! Lass mich in Ruhe!“

„Ferris!“, hörte ich Vincents Stimme, wie aus weiter Ferne, gefolgt von einem Klopfen. „Was ist los?! Mach die Tür auf!“

„Ich sagte, verschwinde!“, wiederholte ich überfordert.

In mir entfachte etwas, das mich dazu antrieb zurück zum Spiegel zu stürmen und kräftig dagegen zu schlagen, wie es meine Schwester auf der anderen Seite tat. Aufgewühlt schrie ich sie an: „Ich will endlich meine Ruhe! Lass mich einfach in Ruhe, verdammt! Irgendwann reicht es mal! Geh weg! Geh! Verpiss dich!“

Rote Blutspuren verdeckten mir nach kurzer Zeit die Sicht auf meine Schwester, meine Hände schmerzten mehr als das Splittern in den Ohren. Einzelne Glasscherben waren in das Waschbecken gefallen, ohne dass ich es gemerkt hatte. Sie war fort. Jeder Schlag war zerstörerischer gewesen als das Feuer. In meiner Verzweiflung hatte ich den Ruf meiner Schwester abgewürgt, statt ihr zu helfen. Wie hätte ich das tun sollen?

„Ferris, antworte bitte!“, blieb nur Vincents Stimme, während er vergeblich versuchte die Tür zu öffnen.

Erschöpft sank ich keuchend auf die Knie und betrachtete meine zitternden Hände. Aus den Schnittwunden floss noch mehr Blut. Geistesabwesend stand ich schwankend auf, schnappte mir ein Handtuch aus dem Badezimmerschrank und wickelte meine Hände darin ein. Fluchend kniff ich die Augen zusammen, bemühte mich um Fassung. War das noch eine verspätete Nebenwirkung gewesen? So ein Wachtraum?

„Ich bin okay!“, wollte ich Vincent beruhigen, damit er nicht die Tür eintrat – er könnte das bestimmt, wenn er wollte. „Ich hatte nur … lass mich einen Moment alleine ...“

Vincent sagte etwas, aber ich hörte ihm nicht zu. Seine Stimme erreichte mich ohnehin nicht wirklich, sie war nur wie ein fernes Rauschen. Er könnte nichts für mich tun, ich wollte ihn nicht sehen. Müde schritt ich verloren auf und ab, suchte irgendeine Lösung. Ciar hätte eine gehabt, selbst wenn es nur ein sarkastischer Spruch gewesen wäre. Könnte ich mehr sein wie er, müsste ich mich nicht mit so etwas herumschlagen.

„Ich … ich brauche echt Abstand“, flüsterte ich zu mir selbst. „Eine Menge Abstand.“

Vorsichtig drehte ich mich nochmal zum Badezimmerschrank, wo ich diesmal eine der Schubladen öffnete. Nicht nur das Handtuch war inzwischen vom Blut rot verfärbt, auch die weißen Oberflächen des Schranks waren verschmiert. Schnell fand ich, wonach ich suchte: Eine Schere.

Nur wenige Handgriffe später fielen einzelne Haarsträhnen hinab, immer mehr und mehr. Das freie Gefühl im Nacken verschafft mir für diesen kurzen Augenblick ein wenig Erleichterung. Meine letzte Last. Ich selbst. Solange ich der blieb, der ich jetzt war, konnte sich nichts verändern. Also schuf ich etwas Abstand, zu mir.

„Alles gut“, hauchte ich angeschlagen. „Ab jetzt wird alles anders. Wir … löschen diese Schmerzen aus. Richtig, Ciar?“

Ich bin ziemlich gut darin

Schnell waren die Tage zu Wochen herangewachsen, dann weiter zu Monaten. Endlich lagen der Sommer und die glühende Hitze für dieses Jahr hinter mir. Inzwischen hatte der Herbst sich seine Herrschaft erfolgreich zurückerobert und brachte die ersten kalten Temperaturen mit sich, in Form von extrem launischem Wetter. Innerhalb eines Tages wechselten sich Regenschauer, ein paar klägliche Sonnenstrahlen, stürmischer Wind und eine letzte Spur hauchzarter Wärme in wirrer Reihenfolge miteinander ab. Ein totales Desaster für die, die sich deswegen morgens nur schwer entscheiden konnten, was sie anziehen sollten – ein schönes Luxusproblem.

Falls ich mich nicht irrte, war Freitag, im Oktober. Das Wochenende lockte immer eine Menge frustrierte Arbeiter und idiotische Jugendliche hervor, arme Seelen die sich ordentlich die Birne mit Alkohol zudröhnen wollten. Ehrlich, verübeln konnte ich es ihnen nicht. Wäre ich schon alt genug dafür und müsste keine Standpauke oder gar Strafe fürchten, täte ich es auch. Unter Betrunkenen nüchtern zu sein nervte nämlich höllisch, aber Ciar und ich waren sowieso nicht zu dieser späten Stunde unterwegs, um zu feiern, also lohnte sich der Gedanke daran eigentlich nicht.

Es war kurz vor Mitternacht. Ich hielt mich in einem Teil der Stadt auf, wo die Gegend um diese Uhrzeit wahrlich einem Friedhof gleichkam, weil es hier nichts Interessantes gab, nur geschlossene Läden. Kleinere, etwas ältere Gebäude, eng aneinander gereiht, in denen es nicht mal für Einbrecher viel zu holen geben dürfte. Höchstens Trödel und andere Kleinigkeiten.

Alleine saß ich auf dem Bordstein des Fußgängerweges, dem sein Alter anhand der Risse und des daraus wachsenden Unkrautes anzusehen war. Statt einer Zigarette hatte ich einen Lutscher im Mund, den ich mit der Zunge hin und her schob, während ich abwesend geradeaus ins Nichts starrte. Einige Straßenlaternen sorgten für Beleuchtung, nur eine von ihnen in meiner Nähe flackerte die ganze Zeit unruhig, stand kurz vor ihrem Ableben. Natürlich war es ausgerechnet die, in deren Schein ich mich aufhielt.

Seit ich gezielt nach Echos suchte, hatte ich etwas Entscheidendes festgestellt: Nicht nur ich, sondern die gesamte Welt schien verdorben und verloren zu sein.

Momentan musste ich nur abwarten, bis etwas geschah. Darum bemerkte ich die Stimmen wieder umso deutlicher. Nachts hörte man sie am besten, die dunklen Gelüste der Menschen. Horrorfilme kamen mir im Vergleich dazu inzwischen wie Kinderkram vor, selbst jene, in denen es nur darum ging, auf brutalste Weise zu morden. Die Gedanken solcher Leute lebten, auf ihre ganz eigene Art. Jeder, der insgeheim irgendein schmutziges Verlangen in sich trug, war oft von der Richtigkeit und sogar Schönheit dieser Dinge überzeugt. Richtig beängstigend.

Angefangen bei Kriminellen bis hin zu einfachen Personen, deren Herzen durch Betrug oder andere Gründe mit Enttäuschung und Hass zu zerplatzen drohten, war alles dabei. Alles. Auch unschuldig erscheinende Kinder konnten schon die hässlichsten Vorstellungen und Wünsche mit sich herumtragen. Mit den Stimmen übertrug sich auch der Drang danach, dem entsprechenden Verlangen nachzugehen oder man erlebte die negative Emotion mit. Ich hörte solche Gedanken jeden Tag, überall. Sie waren gefährlich hypnotisierend und versuchten einen zu locken.

Auch aus der Ferne schien der Wind die Stimmen stets zu mir zu tragen. Einige nahm ich nur als unheilvolles Flüstern wahr, andere schrien mir regelrecht mein Innenleben aus dem Leib und ließen mein Gehirn taub werden. Täglich hatte ich mit abnormalen Ohrenschmerzen zu kämpfen und kontrollierte zu Hause jedes Mal, ob wirklich kein Blut aus ihnen floss, so schlimm fühlte es sich an. Tabletten halfen leider überhaupt nicht dagegen. Bislang wagte ich nicht, Ciar zu fragen, ob es bei ihm genauso war oder ich nur zu wehleidig reagierte.

Einen Vorteil hatte das Ganze aber durchaus: Dank all dieser Gedanken kam ich so gut wie gar nicht mehr dazu, mich mit mir selbst zu beschäftigen. Das war ein angenehmer Nebeneffekt, fand ich. So konnte ich erfolgreich Abstand zu mir selbst und meinen Problemen halten. Laut Vincent wirkte ich dadurch seit einiger Zeit erschreckend leblos. Wow, endlich bemerkte er das auch mal. Als wäre es nicht schon immer so gewesen.

Plötzlich begann der Boden spürbar zu zittern, ähnlich wie bei einem Lastwagen, der mit hoher Geschwindigkeit über die Straße rauschte. Schritte waren zu hören und übertönten bald schon jeden anderen Gedanken. Zu sehen war nichts, doch es hörte sich an wie eine große Herde aufgescheuchter Tiere auf der Flucht. Ihre Panik spiegelte sich in dem eisigen Gefühl wider, das wie ein feiner Windhauch um mich herum schlich und mich frösteln ließ.

„Halleluja“, murrte ich leise, leicht schmatzend, wegen dem Lutscher im Mund. „Das hat diesmal ganz schön lange gedauert.“

Während ich aufstand, erklang ein gleichmäßiges Ticken, gefolgt von einem Knall. Sekunden später regnete Licht von oben herab und schloss den Großteil der Umgebung in sich ein, wie ein schützender Vorhang, sanft und doch unerschütterlich – es blendete mich schon lange nicht mehr. Dies war mein Zeichen, nun konnte ich unbemerkt handeln. Da nur Ciar die nötige Waffe dafür besaß, um so einen stillen Raum zu erschaffen, musste ich stets darauf warten, bis er dies tat, und das Echo direkt in meine Arme trieb.

Mitten auf der Straße blieb ich stehen und wandte mich in die Richtung, aus der ich den Feind erwartete. Wenige Meter hinter mir hatte der Asphalt sich zu einer zähen, gräulichen Flüssigkeit gewandelt, die in einen endlos tiefen Abgrund hinabfloss, wie ein Wasserfall mitten im Nirgendwo. Je mächtiger das Echo, desto mehr verzerrte ihre bloße Anwesenheit die Welt um sie herum. Zumindest die Ebene, die normale Menschen nicht sehen konnten.

Diesmal schien es sich zur Abwechslung wieder um ein stärkeres Exemplar zu handeln. Aus den Laternenpfählen waren eiserne Ketten geworden, an deren Ende ein runder Gitterkäfig nach oben baumelte, als stünde die Welt gerade auf dem Kopf. Darin waren übergroße Augäpfel eingesperrt. Trotzdem blieb die Funktion als Lichtquelle erhalten, denn aus ihren Pupillen drang ein konzentrierter Lichtstrahl hervor, wie bei einer Taschenlampe. Sie drehten sich nervös im Kreis, wodurch sich auch die Beleuchtung ständig änderte. Interessant war, das sich das Licht farblich jeweils der Iris der Augen anpasste. Grün, blau, braun, rot … ich kam mir ein bisschen so vor wie in einer Disco, nur ohne Musik.

Aus den zahlreichen Schritten wurde ein schweres Stampfen. Am Ende der Straße vor mir erschien das Echo, ein klobiger Riese, dessen Körper und Gliedmaßen nicht wie gewohnt dürr, sondern dick und kräftig aussahen. Durch den Teer, aus dem er bestand, wirkten seine Bewegungen jedoch so gummiartig, dass es eher lächerlich als einschüchternd war. Glühendes Feuer brodelte in den zwei Augenhöhlen. Heißer Dampf stieg vom Körper des Echos in die Luft auf und brachte sie so sehr zum Flimmern, dass der Himmel Risse bekam und zu zerbrechen drohte.

Der Riese hielt sich bei jedem Schritt mit den unförmigen Händen an den Dächern der Häuser fest, so groß war er. An den Fenstern erschienen nach und nach abgemagerte, splitternackte Menschen, aufgeweckt von den Erschütterungen. Panisch schlugen sie mit den Fäusten gegen das Glas, so lange, bis sie erschöpft zusammenbrachen oder es schafften, das Hindernis zum Zersplittern zu bringen und nach draußen zu stürzen, auf den Boden, wo sie anschließend von den Füßen des Echos zerdrückt wurden. Nur eine Illusion, diese Wesen waren ein Bestandteil der Verzerrung.

Du bist ein Nichts!, brüllte das Echo laut, grub sich in meinen Kopf hinein, wie ein Hammerschlag. Zu nichts imstande! Zu nichts zu gebrauchen! Niemand will so jemanden wie dich! Wenn du reumütig darum bettelst, zerquetsche ich dich schnell und schmerzlos.

Gelangweilt rollte ich mit den Augen und nahm den Lutscher aus dem Mund. „Bla bla bla. Da habe ich schon weitaus schlimmere Dinge gehört, die meinen Kopf gefickt haben. Also gib dir keine Mühe.“

Erneut fing das Echo an zu brüllen, was diesmal nur zu einem bestialischen Laut führte, der mit einem heftigen Windstoß einherging und mich tatsächlich von den Füßen fegte, über den Abgrund hinweg. Der Lutscher wurde mir aus der Hand gerissen und flog davon. Wie ein Virus breitete sich der pochende Schmerz in meinen Ohren aus und drang weiter vor, brachte in mir alle verzweifelten Gedanken zum Blühen. Darüber konnte ich aber nur müde lächeln.

„Ich hab eh schon aufgegeben, da bringt dir auch das nicht mehr viel. Aber den Verlust meines Seelenfutters verzeihe ich dir nicht. Cola ist verdammt schwer zu bekommen, weil es oft ausverkauft ist, weißt du?“

Obwohl ich wie ein Stein ins Ungewisse stürzte, spürte ich keinerlei Wind mehr, nichts. Mein Haar und meine Kleidung bewegten sich nicht mal, schienen steif geworden zu sein. Der Wasserfall sollte offenbar wirklich ins Nichts führen und löschte jegliche Existenzen aus. Jedenfalls begann meine Haut unangenehm zu kribbeln und zu brennen, was mich zum Handeln zwang, statt noch mehr Small-Talk zu betreiben.

Echo!“, rief ich nach oben. „Ich will dein Herz!

Druck entstand auf meinem Körper. Hier sollten vermutlich auch keinerlei Töne entstehen können, doch dank meiner Fähigkeiten hatte ich dieses Hindernis überwunden und somit die Gesetze dieses Ortes ins Schwanken gebracht, die Welt verkrümmte sich. Zeit genug blieb mir noch.

Blaue Energie strömte aus meinem Körper und formte geschwind das Schwert, mit dem ich mein erstes Echo vernichtet hatte. Da ich den Griff schon in meiner rechten Hand spürte, noch bevor die Waffe vollständig erschienen war, führte ich einen kräftigen Hieb nach unten aus, woraufhin ein Teil der Energie wie Funken von der Klinge absprang und mich dieser Rückstoß wieder nach oben katapultierte.

Am Rande des Abgrundes erwartete mich der Riese aus klebrigem und kochendem Teer, der mich zu packen versuchte, als ich wie ein Pfeil zurückgeschossen kam, doch er war zu langsam und unkoordiniert. Seine Hände streiften mich nicht mal.

Schweig!“, befahl ich, ehe das Echo auf die Idee kommen könnte, mich mit irgendwelchen Tricks doch noch beeinflussen zu wollen. „Und halt still!

Mit den Füßen sprang ich vom Himmel ab, der gläsernen Decke dieser verzerrten Welt, und hinterließ neue Risse, als ich mich auf das Echo stürzte. Meine Klinge bohrte sich zuerst in die Stirn des Echos hinein und glitt durch die Substanz wie durch Butter. Kurz darauf versank auch mein eigener Körper komplett im Teer. Sofort bekam ich keine Luft mehr, die Hitze versuchte mich zu zerfressen. Wie ein Magnet zog es mein Schwert zum Herzen, weshalb es gierig tiefer vordrang, zusammen mit mir, denn ich ließ den Griff nicht los.

Bald entstand ein aufgeregtes Tuscheln in meinem Inneren, das von den Herzen ausging, die ich bereits in mir trug. Sie verkündeten, ich sei ganz nahe dran. Tatsächlich stieß die Klinge auf einmal gegen einen festen Widerstand. Gleichzeitig gab der Riese ein leidvolles Stöhnen von sich und verkrampfte, was ich daran merkte, dass der Teer sich etwas verhärtete.

Dadurch wurden meine Bewegungen etwas eingeschränkt, doch ich sammelte einen kurzen Augenblick Energie an, bevor ich mit aller Kraft blind zuschlug. Ein seltsam melodisches Klirren verriet, dass ich Erfolg hatte. Erfüllt von Energie vibrierte der Griff in meinen Händen lebhaft und löste einen wohligen Schauer bei mir aus. Langsam verlangten meine Lungen wieder nach Luft. Noch einmal holte ich mit dem Schwert aus und zerstörte mit dem nächsten Angriff das Herz endgültig.

Bunte, fluoreszierende Farben platzten hervor, sogen die schwarze Masse in sich auf, bis sie verschwunden war. Statt noch einmal zu fallen, stand ich bereits sicher mit beiden Füßen auf dem Boden, mitten auf der Straße. Genau dort, wo ich auf das Echo gewartet hatte. Langsam öffnete ich die Augen. Keine Spur von Teer war an mir zu entdecken und ich konnte problemlos atmen, als sei nichts passiert. Man könnte meinen, ich wäre nur kurz eingenickt und hätte einen Alptraum durchlebt, der sich real angefühlt hatte.

Das Schwert in meinen Händen sagte aber etwas anderes. Ruhig pulsierte es in der Klinge, bläulich schimmerte die Energie nach außen. Ein schöner Anblick, ebenso wie die unzähligen kleinen Würfel, die nach unten schwebten und jede einzelne Farbe dieser Welt zu zeigen schienen. Auch die Verzerrung der Welt hatte nachgelassen, alles sah wieder normal aus. Unspektakulär gewöhnlich und langweilig, nahezu friedlich. Nicht mal das Licht der einen Laterne flackerte mehr, weil die Glühbirne durchgebrannt sein musste.

„Du bist immer viel zu waghalsig“, kritisierte mich Ciar. Er tauchte hinter mir auf, seine Gestalt schälte sich aus der Dunkelheit hervor. „Ich habe dich doch darum gebeten, möglichst nicht mehr mit den Echos derart in Körperkontakt zu kommen.“

Ich ließ einfach das Schwert los, um unschuldig die Hände heben zu können. „Bist du eifersüchtig oder was? Beschwere dich mal nicht, ich gewinne jedes mal. Echos zu verkloppen liegt mir eben. Ich bin ziemlich gut darin.“

Während das Schwert sich in der Luft schwebend auflöste, trat Ciar neben mich und warf mir einen strengen Blick zu. „Da widerspreche ich dir nicht, du bist gut. Das ist aber kein Grund, übermütig zu werden.“

„Ha, das sagst ausgerechnet du?“, gab ich zurück. „Gerade du bist die Übermütigkeit in Person.“

Mir steht das ja auch.“

„Angeber.“

„Du bestreitest es nicht mal.“

Empört fing ich den ersten roten Würfel auf, der sich gebildet hatte, und wandte mich dabei von ihm ab. „Bringt bei dir eh nix.“

Echos wie dieser Riese hinterließen meistens mehrere Herzen, was bedeutete, dass mindestens zwei solcher Wesen miteinander verschmolzen waren, damit sie stärker und größer wurden. Mich erschreckten solche Exemplare nicht mehr. Wusste man, wo die Schwachstelle lag, ließen sie sich alle erstaunlich leicht fertig machen. Zusätzliche Ausbeute war aber gern gesehen.

„Fein, dann trennst du nächstes Mal das Echo vom Opfer, wenn du denkst, das sei einfacher, als der Kampf gegen sie“, stichelte Ciar, der einen anderen roten Würfel auffing.

„Du hast selbst gesagt, das geht ohne diese spezielle Waffe, die du hast, nicht.“

„Es ist nicht unmöglich, aber dann sehr riskant und gefährlicher.“

„Lass gut sein, ich mag es so, wie es ist“, gestand ich, den Blick auf das schwach glühende Herz gerichtet, das ich in der Hand hielt.

Insgesamt konnten wir durch dieses Echo vier Herzen einkassieren, nachdem wir eine Weile darauf warten mussten, bis auch der letzte Würfel sich stabilisiert hatte und von den restlichen absetzte. Für jeden zwei Stück, so blieb uns der Streit darum erspart. Meistens überließ ich es aber sowieso lieber Ciar, die Dinger zu schlucken. Mir war das Brennen im Hals auch nach all der Zeit noch zu unangenehm, derart scharf war ich auf die Macht also nicht.

„Soll ich es dir leichter machen?“ Der verführerische Unterton in Ciars Stimme machte mich sofort misstrauisch. „Ich kann dir die Herzen gerne über Mund-zu-Mund verabreichen~.“

„Wow“, reagierte ich trocken und schielte zu ihm. „Du stehst echt auf so etwas, wie?“

„Ja“, antwortete Ciar ungeniert ehrlich, ein verspieltes Grinsen auf dem Gesicht. „Beim Küssen gibst du wenigstens keine Widerworte.“

Enttäuschung flackerte in mir auf. Rasch löste ich den Blick von ihm und warf mir einen Würfel in den Mund, wobei ich schon die ersten Schritte nach vorne machte, weg von Ciar. Da er mir sogleich folgte, brachte diese unbeholfene Flucht nicht viel. Vorerst blieb das Gespräch aber beendet, denn Ciar schluckte beim Laufen ebenfalls seinen Anteil der Beute. Niemals verzog er das Gesicht dabei, obwohl es sich wie Feuer anfühlte, das die Speiseröhre verbrannte.

Im Gleichschritt gingen wir die Straße entlang, wie in vielen Nächten zuvor. So lief es in der Regel immer ab. Ciar war derjenige, der die Echos auswählte und sie von den Menschen trennte, um mich schließlich den Gnadenstoß ausführen zu lassen. Derweil glaubte unser Umfeld, ich würde schlicht bei Ciar übernachten und mit ihm im Bett liegen. Unser Schauspiel verlief besser, als ich damals erwartet hätte. Nicht jeder war von unserer Beziehung begeistert, doch sie kauften es uns ab.

Wahrscheinlich lag es daran, dass Ciar es sichtlich zu genießen schien, mich vor anderen wie die Liebe seines Leben zu behandeln. Manchmal glaubte ich ihm das sogar selbst. Er war nämlich jemand, dem es nicht zu peinlich war, sämtliche Gedanken laut auszusprechen, wofür ich ihn irgendwie zu schätzen gelernt hatte. An ihm könnte Vincent sich ein Beispiel nehmen. In Ciars Gesellschaft fühlte ich mich irgendwie … sicher.

Neben seiner direkten Art war dessen Selbstsicherheit wie ein Schild, von dem alles abprallte. Egal, wann uns jemand einen abschätzigen Blick zuwarf oder die Leute über uns tuschelten, ihm gelang es spielend, mich und sich in das bessere Licht zu rücken und den Rest der Welt dämlich dastehen zu lassen. Leugnen konnte ich es nicht: Ich mochte seine Nähe. Mir kamen die Tage, an denen ich ihn an meiner Seite hatte, nur noch halb so schlimm vor.

Fuck, hör auf durchzudrehen, zischte ich meinem Herzen zu, das etwas schneller schlug. Ich bin für ihn nur ein Mittel zum Zweck. Genau wie für Vincent. Niemand interessiert sich wirklich für mich.

Außerdem wollte ich nicht riskieren, in Ciar am Ende doch noch einen Ersatz für Kieran zu sehen – Himmel, hatte ich das in den Sitzungen schon oft mit Vincent durchkauen müssen. Jeder war besser dran, wenn ich mir keine Hoffnungen machte. Ciar wollte nur seine eigenen Ziele erreichen und genoss es dabei, mich nebenher zu ärgern. Mehr war nicht zwischen uns. Alles nur Schauspiel.

„Für heute machen wir Schluss“, kündigte er plötzlich an. „Gehen wir nach Hause, sonst schaffen wir es nicht mehr rechtzeitig. Wir bekommen Probleme, wenn man uns nicht zusammen bei mir im Bett auffindet.“

„Jaja, weiß ich.“ Unbewusst strich ich mir mit der Hand über den Hals. „Setz mich lieber pünktlich morgen früh zu Hause ab, sonst haben wir wirklich ein Problem.“

Und zwar mit Vincent. Seit meinem Ausbruch im Bad – wegen dem es dort keinen Spiegel mehr gab – vor einigen Monaten, war er strenger und aufmerksamer geworden als zuvor. Das Zusammenleben mit ihm war dadurch richtig anstrengend. In jeder Kleinigkeit entdeckte Vincent irgendwelche Hinweise auf meinen seelischen Zustand und bat mich mindestens an vier Tagen in der Woche ins Sprechzimmer. Kein Wunder, dass ich diese nächtlichen Streifzüge mittlerweile herbeisehnte.

„Stopft er dich immer noch mit diesen Tabletten voll?“

„Ja“, seufzte ich genervt. „Die machen manchmal echt groggy.“

„Super, Vincent ist also nicht besser als andere Therapeuten. Die stellen ihre Patienten einfach ruhig, sobald sie keinen anderen Ausweg mehr sehen.“

„Dabei hast du mal gesagt, man soll nicht so schnell über ihn urteilen.“

„Ich sagte, dass du das nicht tun sollst“, korrigierte Ciar mich. „Mich stört der Kerl trotzdem.“

„Egal, ich will nicht über ihn reden.“

Ich hatte Vincent mal gemocht, darum zerriss es mich innerlich nach wie vor, dass er zum Echo-Institut gehörte. Zum Glück waren die dort noch nicht auf uns aufmerksam geworden. Niemand hielt uns von der Jagd ab, weil keiner etwas davon mitbekam. Ciar wusste genau, was er dafür tun musste. Er durchdachte seine Taten unheimlich genau und wusste gut über seine Feinde Bescheid. Beeindruckend.

„Na schön: Was willst du morgen zum Frühstück essen?“, wechselte Ciar das Thema.

„Kakao und Joghurt reicht“, lautete meine Antwort.

Nur von Eis konnte ich mich nicht mehr ernähren. Seit einigen Wochen aß ich deshalb etwas mehr, vor allem auf Befehl von Ciar. Für den Kampf gegen Echos sollte ich anständig essen, nicht ausgehungert sein. Aß ich am Tag zuvor nicht genug, verweigerte er auf die darauf folgende Nacht die Jagd nach Echos mit mir. Wie gesagt, der Kerl dachte eben an alles.

„Nimm noch ein Weißbrot mit Nutella dazu, dann bin ich zufrieden“, forderte er.

„Meinetwegen.“ Ich schluckte den zweiten Würfel herunter, würgte ihn mir vielmehr zwanghaft in den Hals. „Aber keine Knutscherei am Tisch, nur um vor deiner Familie mit deinem erfüllten Liebesleben anzugeben.“

Ciar lachte amüsiert, kein bisschen verstellt oder hinterhältig. „Sorry, Ferris, das kann ich dir nicht versprechen.“

 
 

***

 

„Ich bin wieder da!“, rief ich monoton, als ich das Haus betrat.

Wie vereinbart war ich pünktlich am nächsten Morgen zurück an dem Ort, wo Vincent mich haben wollte. Zu Hause. Auf meinen Lippen verflog gerade noch das warme Gefühl von dem Kuss, den Ciar sich vor der Tür nicht hatte verkneifen können. Wie ernst konnte man so etwas eigentlich nehmen? Wir hätten uns ganz normal verabschieden können, niemand war da gewesen. Vielleicht war Ciar auf Nummer sicher gegangen, falls Vincent am Fenster gestalkt hätte.

Achtlos befreite ich mich von den Schuhen und der Jacke, noch bevor die Tür mit einem Knall ins Schloss fiel. Sinn für Ordnung hatte ich bislang noch nicht entwickelt, trotz Vincents Bemühungen, mir die Wichtigkeit davon klarzumachen. Solange ich das Zeug dort ließ, wo es hingehörte, war es in meinen Augen egal, ob sie chaotisch herumlagen. Kleinlich zu sein nervte mich.

„Hallo?!“, machte ich erneut auf mich aufmerksam. „Vincent?! Hast du gehört? Ich bin da!“

Keine Antwort. Toll, von mir verlangte er, mich ständig schön artig bei ihm an- und abzumelden, und detailliert zu diktieren, welche Aktion ich als nächstes durchführen wollte, aber er selbst konnte nicht mal eben bestätigen, mich gehört zu haben. Langschläfer war er nicht, er musste schon wach sein. Ich wollte mich gleich nochmal ins Bett legen und weiterschlafen, für mich war diese Uhrzeit viel zu früh zum Aufstehen. Erst recht wenn man nachts heimlich Echos jagte.

Vor Müdigkeit entsprechend genervt, suchte ich die Räumlichkeiten nach Vincent ab. Zuerst die Küche, dann das Wohnzimmer und schließlich das Sprechzimmer. Nichts. Nirgendwo war er zu finden. Stirnrunzelnd sah ich danach zur Vorsicht auch in seinem Schlafzimmer nach, wo das Bett leer war und gänzlich unberührt aussah, wie erwartet. War Vincent etwa gar nicht zu Hause?

Wahrscheinlich ist er schnell was einkaufen gegangen, vermutete ich, dennoch irritiert.

Also brach ich meine Suche nach ihm ab und steuerte das Badezimmer an, für einen kurzen Toilettengang, ehe ich mich ins Bett verzog. Erst dachte ich mir nichts dabei, dass die Tür halb offen stand, sondern schlüpfte gähnend in den Raum hinein und wollte sie hinter mir schließen, doch ich hielt inne. Sekunden verstrichen, in denen ich neben mir stand, weil ich nicht glauben konnte, was ich dort sah.

„Vincent?!“, stieß ich dann erschrocken aus.

Es sah so aus, als wäre er zusammengebrochen. Er lag halb auf dem Boden, neben der Dusche, wo er versuchte haben musste, sich beim Sturz festzuhalten, denn ein Arm lag zum Teil im Becken. Sein Kopf hing schlaff nach unten, dicht an seiner Brust. Auf dem Toilettendeckel lag zerwühlt die Jacke seines Anzuges, er trug nur noch das weiße Hemd, das durchnässt aussah. Als ich zu ihm eilte, bemerkte ich, dass er sehr stark schwitzte.

Überfordert kniete ich mich neben ihn und griff vorsichtig nach seiner Schulter, um ihn zu schütteln. „Hey, Vincent, was ist passiert? Wach auf.“

Keine Reaktion, er war bewusstlos. Sein schwerer Atem versicherte mir aber, dass er am Leben war, was mich beruhigte. Zögerlich berührte ich seine Stirn. Glühend heiß. Hatte er Fieber? Auf jeden Fall stimmte etwas nicht mit ihm, ich musste Hilfe holen. Am besten einen Krankenwagen. Lange ratlos zu versuchen, ihn aufzuwecken, brachte ihn womöglich sonst erst recht in Lebensgefahr.

„Okay, okay. Ich mach das schon, keine Sorge“, wollte ich mehr mich selbst zur Ruhe treiben, doch die Nervosität ließ meine Stimme zittern. „Einen Moment.“

Hastig bemühte ich mich, mein Handy hervorzuholen. Das von Vincent lag mitten auf dem Boden im Bad. Ob er versucht hatte, selbst Hilfe zu holen? Besorgt sah ich ihn an, nachdem ich fix die Nummer für einen Rettungswagen gewählt hatte und ungeduldig wartete, dass jemand meinen Anruf entgegen nahm. Jede Sekunde zog sich in die Länge, es machte mich wahnsinnig. Wie von selbst passte ich mich Vincents Atemrhythmus an.

Dann sah ich es. Der erste Knopf vom Hemd stand offen und entblößte etwas, von dem ich bislang nicht mal etwas geahnt hatte. Kein Wunder, Vincent trug niemals etwas mit kurzen Ärmeln oder weitem Ausschnitt. Sein Anzug diente dazu, etwas darunter zu verbergen, ohne es offensichtlich werden zu lassen. Es sprang nämlich sonst sofort ins Auge.

Verbrennungen.

Schwere Verbrennungen zogen sich über seine Brust.

Nur zu, hasse mich

Jedes Mal, wenn die zwei Klingen der Schere sich schlossen, hallte das metallische Geräusch in meinen Ohren nach. Viel lauter als es in Wirklichkeit war. Eigentlich ertönte immer nur ein leises Klingeln, wie eine verlorene Note aus einem Glockenspiel. Keine Ahnung, wie das möglich sein sollte, denn das konnte auch kaum der Realität entsprechen. Wahrscheinlich spielte meine Wahrnehmung verrückt, wäre ja nichts Neues – oder es lag an den chronischen Ohrenschmerzen.

Sephira, Vincents Halbschwester, schnitt mir gerade die Haare, genauer gesagt die Spitzen. Außerdem war sie der Babysitter für mich, solange Vincent im Krankenhaus lag. Erst gestern hatte ich ihn im Bad gefunden, seitdem schlichen die Sekunden dahin wie träge Schnecken. Seine Verbrennungen gingen mir nicht mehr aus dem Kopf. Obendrein konnte mir bislang niemand genau sagen, was überhaupt mit Vincent los war.

„Gleich sind wir fertig“, kündigte Sephira an. „Oder willst du sie diesmal kürzer haben?“

„Nein, so wie immer.“

Im Gegensatz zu ihrer sanften, hellen Stimme, die ebenso melodisch auf einen einwirkte wie die von Vincent, klang meine wie frisch aus einem Müllhaufen ausgegraben. Total kratzig und farblos, wie bei einem Toten – ich war eben wahrlich für diese Rolle geboren worden.

„In Ordnung“, sagte sie, mit dem Tonfall einer liebevollen Mutter, die sich um ihr Kind kümmerte.

Seit ich mir die Haare damals nach der Sache mit dem Spiegel aus einem Affekt heraus gekürzt hatte, sorgte Sephira, auf mein Bitten hin, in regelmäßigen Abständen dafür, dass es die Länge beibehielt und ordentlich geschnitten aussah. Sie hingen mir nur noch knapp über der Schulter, aber ich konnte sie trotzdem zu einem winzigen Zopf im Nacken zusammenfummeln, wenn ich das wollte. Dafür war ich allerdings oft zu faul.

„Was möchtest du danach unternehmen?“, fragte Sephira, während sie ihrer Tätigkeit als Friseurin weiter nachging. „Sollen wir etwas kochen?“

„Keinen Hunger.“

„Hm, wie wäre es dann mit Kino?“

„Da läuft eh nix Gutes.“

„Okay, wir könnten auch einfach nur eine Runde spazieren gehen. Frische Luft tut gut.“

Wie anstrengend. Als Halbschwester von Vincent war Sephira dummerweise genauso engagiert darin, hoffnungslose Fälle wie mich aufzubauen. Nur zeigte sie dabei wenigstens Emotionen und trug nicht so eine ausdruckslose Miene mit sich herum. Nein, Sephira lächelte immerzu herzlich. Eine bildschöne, junge Frau mit schwarzen Haaren und hellblauen Augen – sie könnte glatt eine weibliche Version von Vincent darstellen.

Warum musste das Universum mich mit Menschen zusammenführen, neben denen ich mir noch mehr als sonst wie ein Nichts vorkam? Natürlich könnte auch Sephira als Model durchgehen, doch an so etwas hegte sie keinerlei Interesse. Stattdessen backte sie lieber mit Leidenschaft Kekse, deren Geschmack Glücksgefühle auszulösen wussten, hatte ich mir sagen lassen, nur bei mir nicht. Jedenfalls nicht sonderlich erfolgreich, doch sie waren wirklich lecker.

„Ich habe keine Lust, etwas zu unternehmen“, wies ich ihre Vorschläge seufzend ab. „Ich will nur zurück ins Bett und pennen.“

„Ich glaube, das würde Vincent nicht gefallen“, gab sie zu bedenken.

„Er kann im Moment wohl kaum etwas dagegen unternehmen.“

Das war sehr taktlos von mir, musste ich mir selbst eingestehen, nachdem die Worte bereits ausgesprochen waren. Ein versteckter Seufzer war zu hören, als Sephira etwas tiefer ein- und ausatmete, bedrückt wegen Vincents Zusammenbruch. Angespannt biss ich die Zähne zusammen und verfluchte mich innerlich, weil ich so etwas gesagt hatte.

„Tut mir leid, so war das nicht gemeint“, entschuldigte ich mich zögerlich, den Blick auf den Teppichboden gerichtet – ich saß im Wohnzimmer auf einem Stuhl. „Was ist denn jetzt mit Vincent? Hast du schon was gehört?“

Vorsichtig strich Sephira mir durch die Haare, auf der Suche nach längeren Strähnen, die sie vielleicht übersehen hatte. „Er wurde vom Krankenhaus aus ins Echo-Institut überwiesen. Weißt du, was das ist?“

„Nicht wirklich“, log ich. „Aber Faren war auch dort, nach unserem Unfall. Er meinte, da haben sie irgendwie die bessere Ausrüstung.“

„Genau, deswegen ist er momentan dort in Behandlung.“ Sie machte eine kurze Pause. „Er ist aber inzwischen bestimmt wieder stabil.“

Irritiert runzelte ich die Stirn und legte den Kopf in den Nacken, um sie anzuschauen. „Woher weißt du das? Es hat doch niemand angerufen.“

Wüsste ich nicht, dass Sephira immer etwas blass aussah, hätte ich mir deswegen Sorgen gemacht, aber das war normal bei ihr. Was mir eher zu denken gab, waren die feinen Andeutungen von Augenringen, die vermutlich unter etwas Make-Up versteckt wurden. Schlief sie nicht genug? Ihr langes Haar war diesmal auch nur grob hochgesteckt, sonst gab sie sich dabei mehr Mühe. Die Blumenspangen täuschten mich nicht darüber hinweg.

„Ich bin seine Schwester“, erinnerte sie mich lächelnd. „Ich kann das spüren~.“

Obwohl sie übermüdet zu sein schien, strahle sie Wärme aus. Beeindruckend. Nie im Leben werde ich verstehen, woher solche Leute die Stärke dafür nahmen. Mir wäre das unmöglich.

„Süß“, kommentierte ich, etwas sarkastischer als beabsichtigt. Der Umgang mit Ciar hinterließ Spuren. „Du solltest dir langsam mal einen netten Freund suchen und mit ihm was unternehmen, statt deine Zeit mit mir zu verschwenden.“

„Sei nicht albern. Liebe sucht man sich nicht, sie findet einen.“ Behutsam drehte sie mit den Händen meinen Kopf wieder so, dass sie auch die letzten Schnitte durchführen konnte, so dass mir nur die Sicht auf eine Wandseite blieb. „Und du bist keine Zeitverschwendung, Ferris. Du gehörst zur Familie.“

Ich musste mich zusammenreißen, sie wegen diesem dämlichen Spruch nicht anzufahren. Es war nur eine von diesen Floskeln. Ein schlechter Versuch, mir ein besseres Gefühl zu schenken. Auf solche Lügen konnte ich getrost verzichten. Trotzdem sollte ich vielleicht meinen Nutzen daraus ziehen, wenn sie mich schon als Teil der Familie bezeichnete.

„Verrätst du mir dann, woher Vincent diese Verbrennungen hat?“, fragte ich ganz direkt. „Du weißt das doch bestimmt.“

Sephira hielt inne. Wenig später ließ sie die Schere sinken und strich mir nur noch einige abgeschnittene Haarsträhnen vom Kopf, die zu den anderen auf den Boden fielen.

„Ja, ich weiß es“, bestätigte sie mir, seltsam verhalten. „Aber ich finde, das solltest du ihn lieber persönlich fragen, sobald er zurück ist. Für ihn ist die Geschichte dahinter nämlich nicht … einfach.“

Super, also konnte ich davon ausgehen niemals etwas darüber zu erfahren. Vincent erzählte nichts von sich. Er zeigte nicht mal, was er fühlte. Im Grunde wusste ich gar nichts über ihn, außer, dass er ein sehr hartnäckiger Therapeut und Lügner war, der mich nur im Auftrag des Echo-Instituts behandelte.

„Wie du meinst.“ Wie gerne hätte ich laut ausgesprochen, was ich fühlte, doch ich riss mich zusammen. „Sind wir fertig?“

„Ja.“

Sofort stand ich auf und fuhr mir mit der Hand kurz durch die Haare, die sich wieder erstaunlich weich anfühlten. Danach klopfte ich mir halbherzig die Strähnen von der Kleidung, mit mäßigem Erfolg, darum ließ es ich bald darauf gut sein, bedankte mich knapp bei Sephira, für ihre Arbeit, und strebte auf die Tür zu, um das Wohnzimmer zu verlassen.

„Ferris, warte bitte!“, hielt Sephira mich auf, ohne mich zu verfolgen. „Du solltest dich nicht hängenlassen. Triff dich doch wenigstens mit deinem Freund.“

Mein Freund. Das klang nach wie vor schrecklich falsch, es war nur eine Fassade, aber das wusste Sephira nicht. Keiner wusste davon, was wirklich los war.

„Mal sehen.“

Mehr konnte ich Sephira nicht geben. Zügig flüchtete ich aus dem Raum, um schnell zurück in mein Zimmer zu kommen. Dort wollte ich mich einfach einschließen und …

Und was dann? Schlafen, ja, aber das half nur bis zum nächsten Erwachen. Dann würde ich mich immer noch so fühlen wie jetzt. Der Gedanke ließ meine Beine schwer werden, bis ich mitten im Flur stehenblieb. Neben der Tür zu Vincents Behandlungszimmer, wo ich mir diese Sitzungen antun musste. Wieder und wieder. Normalerweise stand die Tür offen, als Zeichen dafür, dass Vincent jederzeit für einen da wäre. Nun war sie geschlossen.

Mein Körper bewegte sich von selbst auf dieses Hindernis zu. Nur ein wenig Druck mit der Hand auf die Klinke genügte, und die Tür öffnete sich. Kurz darauf stand ich schon im Raum. Enttäuschung kam in mir auf, dabei hatte ich gewusst, dass Vincent nicht hier sein konnte. Sogar das sonst bunte Treiben im Aquarium wirkte trostlos auf mich und besaß nichts mehr von dieser faszinierenden Ausstrahlung, der ich mich sonst so gerne hingab.

Vincent … fehlte mir.

Für mich war es so selbstverständlich geworden, ihn um mich zu haben, dass mir erst in diesem Augenblick bewusst wurde, wie viel Halt mir seine Anwesenheit gegeben hatte. Wenngleich ich mich nur von ihm genervt fühlte und ich ihm nicht ernsthaft etwas bedeutete, vermisste ich ihn. Seine Geduld mit mir war irgendwie tröstend gewesen, wie ich zugeben musste.

„Fuck, das geht so nicht“, wollte ich dieses Gefühl abschütteln. „Ich hab doch schon längst aufgegeben.“

Woher kam das also? Es war absurd, ich sollte absolut nichts empfinden und froh darüber sein, endlich etwas Ruhe vor Vincent zu haben, der mich unbedingt zurück ins Leben führen wollte. Wie konnte ich mich dann so einsam fühlen? Genau das hatte ich die ganze Zeit gewollt. Alleine sein, ohne jemanden an meiner Seite, den ich wieder verletzen könnte.

Vincent.

Kieran.

Faren.

Ich wollte sie sehen und mit ihnen sprechen, aber ich konnte nicht. Sie sollten nicht mitkriegen, wie schlecht es mir ging. Nur, weil ich nicht mit dem Leben zurechtkam und bei jeder Kleinigkeit von einer Brücke springen wollte, sollten sie nicht auch darunter leiden müssen. Daher war es richtig, sich von ihnen fernzuhalten. Alleine zu sein. Diese Einsamkeit war aber unerträglich.

„Wie erbärmlich.“ Zu allem Überfluss fingen auch noch meine Augen an zu brennen. „Kann ich nicht etwas männlicher sein? So wie Ciar.“

Ciar.

Plötzlich kam es mir nicht mehr wie eine schlechte Idee vor, sich mit ihm zu treffen, so wie Sephira es vorgeschlagen hatte. Ihm wäre es egal, wie es mir ging. Für so ein Häufchen Elend hätte er höchstens einen sarkastischen Spruch übrig, sonst nichts. Gleichzeitig täte er aber etwas dafür, mich irgendwie aufzubauen, selbst wenn es nur der Besuch einer Eisdiele wäre. Er könnte das aushalten, Ciar war selbstbewusst und stark, ließ sich von nichts verletzen. Ciar war der einzige, den ich in meine Nähe lassen konnte.

Bevor ich darüber nachdenken konnte, hatte ich bereits das Handy hervorgeholt und tippte eine Nachricht an ihn, mit der Frage, ob er Zeit für ein Treffen hätte. Dass ich für ihn nur ein hilfreiches Werkzeug war, mit dem sich sein Ziel schneller erreichen ließ, war mir egal. Zumindest noch in diesem Moment. Etwas in mir war naiv genug, zu glauben, er würde mich vielleicht auch darüber hinaus in irgendeiner Weise schätzen.

 
 

***

 

„Vincents Verbrennungen? Klar weiß ich, woher er die hat.“

Überrascht starrte ich Ciar an. „Echt jetzt?“

„Echt.“

„Erzähl schon!“

„Was kriege ich denn dafür?“, wollte er wissen, mit einem amüsierten Grinsen.

Bloß wenige Minuten nachdem ich meine Nachricht abgeschickt hatte, bekam ich eine Zusage von Ciar. Kneifen ging dann nicht mehr. Also hatten wir uns in der Stadt getroffen und saßen nun, am Nachmittag, zusammen in einem Fast-Food-Restaurant, wo er von mir verlangte, ordentlich zu essen. Klar, es klang mehr wie ein Segen als ein Fluch, aber wenn man keinen richtigen Appetit verspürte, konnte das den Reiz am Essen madig machen.

Dort hatte ich ihn soeben gefragt, ob er etwas über Vincents Verbrennungen wüsste, ohne große Hoffnungen. Umso mehr war ich erstaunt darüber, eine derart positive Antwort von ihm erhalten zu haben. Ausgerechnet er wusste etwas darüber? Mir kam es unfair vor, dass Ciar dieses Wissen besaß und ich nicht. Darum erwartete ich von ihm, mehr darüber zu erzählen.

„Hallo? Reicht es nicht schon, dass du dauernd Küsse von mir kriegst?“, grummelte ich empört.

Schmunzelnd schob Ciar sich etwas von seiner Portion Pommes in den Mund. „Die kriege ich nicht, sondern die nehme ich mir einfach~.“

„Noch schlimmer.“

„Du hältst mich bislang nicht ernsthaft davon ab, also kann es nicht so schlimm sein.“

„Du weißt genau, warum wir das tun. Da kann ich ja schlecht-“

„Könntest du schon“, unterbrach Ciar mich und setzte ein unschuldiges Lächeln auf. „Aber du willst nicht, weil dir sonst was fehlen würde.“

Stöhnend brach ich am Tisch zusammen, indem ich den Kopf in meinen Armen vergrub. „Boah, du bist so ein Idiot.“

„Also, so erzähle ich dir erst recht nichts über Vincents Verbrennungen“, ärgerte Ciar mich ungeniert weiter.

War es wirklich gut gewesen, sich das hier anzutun? Zwischen all den Menschen, deren Gedanken meinen Kopf wieder vergewaltigen würden, hätte Ciar sie nicht zuvor mit einem Befehl zum Schweigen gebracht? Zu Hause wäre ich aber garantiert richtig tief abgestürzt, also war das hier durchaus um einiges besser.

„Das ist mir echt wichtig“, betonte ich, wobei ich den Kopf wieder hob. „Ich will das wissen.“

Nachdenklich drehte Ciar die Plastikgabel in der Hand, mit der er aß, bis er sich dazu erbarmte, mich zu erlösen: „Es war ein Echo.“

„Wie?“

„Vincent hat die Verbrennungen von einem Echo. Da sind solche Zusammenbrüche normal, denn manchmal bleibt etwas von der Energie in solchen Verletzungen haften und erwacht ab und zu mal, was den Körper sehr belastet.“

Verstehe. Kein Wunder, dass weder Sephira noch Vincent selbst etwas davon erwähnt hatten, zumal man solche privaten Themen nicht jedem auf die Nase binden wollte. Dadurch käme aber auch heraus, warum ich wirklich in therapeutischer Behandlung war. Für Vincent wäre das in der Tat nicht einfach. Wieder fühlte ich mich betrogen.

„Also passiert so etwas öfter, dass Echos für Brände sorgen?“, hakte ich interessiert nach.

„Brände. Überschwemmungen. Stürme … Selbstmorde“, zählte Ciar auf, nahezu gleichgültig. „Was meinst du, warum es das Echo-Institut gibt? Nicht weil Echos so friedliche Gesellen sind, mit denen man gerne Tee zusammen schlürft und netten Small-Talk führen kann.“

„Du bist heute wieder mal so witzig.“

„Hey, du bist derjenige der sich mit mir treffen wollte.“ In Ciars Augen flackerte etwas auf, das nach Verlangen aussah – ich konnte nicht einschätzen, ob das gespielt oder ernst war. „Gib also ruhig zu, dass du es ohne meine wertvolle Gesellschaft nicht mehr aushältst und das Glück endlich zu schätzen weißt, Zeit mit mir verbringen zu dürfen.“

„Ja, klar, genau deswegen war mir danach, dich zu sehen“, reagierte ich spöttisch.

Daraufhin wurde Ciar auf einmal erschreckend ernst. „Warum dann? Was ist los?“

Mir war, als würden seine Augen direkt in meine Seele blicken wollen, weshalb ich nervös auf dem Stuhl zurückwich, so weit die Rückenlehne es zuließ. Ciar forderte mit diesem Blick so sehr meine Aufmerksamkeit nur für sich ein, dass ich die lebhaften Gespräche und die Hektik um uns herum komplett ausblendete. Nur noch er und ich, der Rest der Welt verlor gänzlich an Bedeutung.

Mist, mein Herz spielt wieder verrückt.

Raste es aus Angst oder aus einem anderen Grund? Ehrlich gesagt empfand ich den Moment als angenehm, trotz meiner Nervosität. Alle Probleme waren gerade bedeutungslos, dabei wollte Ciar genau darüber etwas hören. Über mich. Interessierte ihn das wirklich? Was, wenn es am Ende so wie bei Vincent war? Was bedeutete es für Ciar, dass wir beide unglücklich verliebt waren? Laut ihm war das sein Ansporn gewesen, mir zu helfen.

„Es gibt da was, das ich schon länger wissen will“, wagte ich mich vor. „In wen bist du verliebt?“

Kein reden um den heißen Brei, einfach auf den Punkt kommen. Weitere Fragen könnte ich im Anschluss noch stellen. Zum Beispiel, warum Ciar alles vernichten wollte. Inzwischen fragte ich mich, ob er darin auch die einschloss, nach deren Liebe wir uns sehnten, sie aber nicht bekamen. Immerhin waren sie ein Teil davon, warum es uns schlecht ging. Und Ciar plante, genau das auszulöschen. Alles, was uns Leid zufügte.

„Damit kommst du ziemlich spät an“, bemerkte Ciar.

Unsicher suchte ich nach Worten. „Bei dir muss man sich halt erst mal trauen, überhaupt zu fragen.“

Zum ersten Mal, seit ich ihn kannte, verzog sich Ciars Gesicht, als fühlte er sich verletzt. Das brachte mich aus dem Konzept. Hätte ich das nicht sagen sollen? Für gewöhnlich ließ er sich von solchen Aussagen nicht beeindrucken und wischte sie mit lässigen Worten von sich. Bestimmt hatte ich mich zu weit aus dem Fenster gelehnt. Mich packte die gleiche Anspannung wie am Anfang, bei unseren ersten Gesprächen.

Ehrlich gesagt hatte ich damit gerechnet, Ciar würde sich herausreden, statt mir eine anständige Antwort zu geben, doch ich irrte mich. Nach einer Weile des Schweigens fasste er den Entschluss, die Stille zu brechen und mir zu sagen, was ich hören wollte:

„Die Person, die ich liebe, sieht aus wie du.“

Meine Brust füllte sich mit Kälte, Eissplitter schienen sich von innen nach außen bohren zu wollen. Sämtliche Herzen von Echos regten sich in mir. Eine glühend heiße Energie. Sie fing an zu brodeln. Flüsterte mir zu, was ich mir schon selbst zusammenreimen konnte: Ciar meinte Faren. Er musste von ihm reden. Wir sahen uns ähnlich, wie Zwillinge.

War ich nur der Ersatz für Faren?

Du bist der Ersatz, stimmten die Flüsterstimmen mir zu.

Mehr bedeutete ich Ciar also nicht?

Du bist wertlos, hauchten sie mitfühlend.

Hatte meine Existenz keinerlei Bedeutung?

Niemand braucht dich, trieben sie meine Gedanken an.

Ein lauter Knall riss mich aus der Trance. Automatisch war ich von meinem Platz hochgefahren und hatte kräftig die Fäuste auf den Tisch geschlagen. Spannung lag in der Luft. Sie fuhr mit einer Welle aus Wut durch das gesamte Restaurant und erfasste auch die anderen Besucher, meine ganze Umgebung. Kälte und Hitze traf in mir aufeinander und verursachte einen höllischen Schmerz, dem ich Luft machen musste.

„Ich bin nicht Faren!“, schrie ich außer mir. „Ist das der wahre Grund?! Hast du mich nur ausgesucht, weil ich ihm ähnlich sehe?!“

Wie ich fuhr auch Ciar, der keine Sekunde lang den Augenkontakt zu mir unterbrach, von seinem Platz hoch. „Beruhig dich, reg dich nicht so auf.“

„Ich rege mich aber auf!“

„Ferris, hör mir zu.“

„Hör dir doch selbst zu, du selbstverliebtes Arschloch!“, brach es aus mir heraus. „Ich hasse dich!“

Ehe ich zurückweichen konnte, hatte Ciar sich über den Tisch gelehnt und mich gezielt am Arm gepackt. Zuerst wollte ich mich aus seinem Griff befreien, aber sämtlicher Schmerz war mit seiner Berührung taub geworden und schwand langsam. Wie gelähmt ließ ich es zu, dass er meine Hand nahm, fest und doch unerwartet behutsam. Noch mehr als Sephira.

„Nur zu, hasse mich“, sagte er offen. Seine Stimme war noch nie so sanft und einfühlsam gewesen. „Vielleicht kannst du dich selbst dann etwas weniger hassen.“

Zerknirscht verstummten die Flüsterstimmen, wurden vollständig von Ciars Worten verdrängt. An ihnen war etwas derart heilsam, dass ich mich beruhigen konnte. Dafür gewann Verwirrung die Oberhand, begleitet von einem schmerzhaften Pochen in meinem Schädel. Kaum war Ruhe in meinem Kopf eingekehrt, wurde ich schon wieder von zahlreichen neuen Gedanken bombardiert. Keuchend sackte ich etwas zusammen, Ciar ließ mich nicht los.

„Autsch“, zischte ich leise. „Was ist denn jetzt los?“

„Echos sind los“, erwiderte Ciar, so standhaft wie eh und je. „Mach dich bereit zu kämpfen.“

Bevor ich ihn fragen konnte, wovon er sprach, genügte ein Blick durch das Restaurant, um mir die Antwort zu liefern: Jeder einzelne Mensch, außer uns beiden, war plötzlich von einem dichten Kokon eingeschlossen, aus denen die ersten Echos schlüpften.

Ich bin ein Monster

Ein Echo schlüpfen zu sehen war kein schöner Anblick, das hätte ich Ferris gerne erspart. Das war auch einer der Gründe, weshalb ich bei jeder Jagd immerzu die unappetitliche Aufgabe übernahm sie aus den Menschen hervorzulocken. Alles umsonst, denn jetzt bekäme er diesen Vorgang doch live und unzensiert zu sehen.

Es war ein großer Unterschied, ob sich ein Echo erneut mit Hilfe eines Würfels wieder zusammensetzte oder aus einem Kokon schlüpfte, der aus den hässlichsten Gedanken, Gefühlen und gar geheimen Gelüsten der Menschen bestand, in denen sich diese Wesen bevorzugt einnisteten. Eigentlich geschah so etwas aber nicht tagsüber, darum blieb mir ein kleiner Funken Hoffnung, dass sich das Ganze gleich beruhigte – oder Ferris' Gefühlsausbruch war überaus nahrhaft für die Echos, weswegen ihre Gier danach überwog. Problematisch.

„Alter“, brummte Ferris.

Da ich die Kokons nicht aus den Augen lassen wollte, konnte ich nur seitlich zu ihm schielen. Sein Gesicht war schmerzverzerrt und die Augen zusammengekniffen.

Er atmete schwer aus. „Zu laut.“

Hörte er die Stimmen der Echos wirklich so deutlich? Zwar vernahm auch ich das unheilverkündende Geflüster in meinem Kopf, doch ich war gut darin es zu ignorieren. Mich berührte dieses Wehklagen schlicht nicht, warum sollte es das? Ein bisschen Gewohnheit spielte mit Sicherheit auch eine Rolle. Wahrscheinlich war Ferris aber einfach besonders empfänglich für so etwas, so sensibel wie er war. Immerhin hatten sich die Echos schon damals mit Vorliebe an seine Fersen geheftet und ihm nichts als Ärger eingebracht.

In mir wuchs das Verlangen, seine Schmerzen zu lindern, indem ich ihm befahl, einfach nicht hinzuhören und sich zu entspannen, was es für Ferris leichter machen würde. Dummerweise hatte ich mir geschworen, meine Stimme nicht mehr als nötig bei ihm anzuwenden. Nicht nur mein Plan verlangte es so.

„Reiß dich zusammen“, forderte ich stattdessen. „Sonst bist du leichte Beute für die Echos.“

Seine Anspannung ließ ein wenig nach, wie ich bemerkte, was mich selbst beruhigte. Derweil begannen die einzelnen Kokons laut zu knacken. In diesem Stadium wirkten sie vielmehr wie zu groß geratene, mutierte Eier, auf deren Schalen sich Hitzebläschen bildeten. Sie kochten von innen heraus. Egal, in welcher Position sie sich befanden, keines von ihnen fiel um oder regte sich, als würden sie dort festkleben, wo die jeweilige Person sich zuletzt aufgehalten hatte.

Verzweifelte Schreie drangen aus dem Inneren der Kokons hervor, wurden jedoch von den Stimmen der Echos übertönt und erstickten schließlich gänzlich im Hintergrund, verloren sich im Nichts. Das Knacken der äußeren Schalen klang wie das Brechen von Knochen. Als der erste Kokon Risse bekam und allmählich zerbrach, wandelte das Geräusch sich augenblicklich zu einem Splittern, auf das Ohrenschmerzen folgten.

Uns blieben höchstens Sekunden, bis wir von Echos umzingelt waren. Auf Ferris' Hilfe könnte ich diesmal vermutlich nicht zählen, jedenfalls nicht direkt am Anfang. Er war zu aufgewühlt. Wichtiger war mir, dass er nicht komplett durchdrehte und sein Zustand sich verschlimmerte.

„Ich erledige das“, kündigte ich entschlossen an. „Bleib du hinter mir und-“

Lass mich in Ruhe!“, schrie Ferris plötzlich laut, was mich tatsächlich zusammenzucken ließ.

Hatte er diesen Befehl unbewusst ausgesprochen? Nein, es fühlte sich viel zu gezielt an, als seine Worte meinen Willen zu übernehmen versuchten. Durch seinen momentan emotionalen Zustand schien die Wirkung seiner Stimme umso stärker zu sein. Ein Schauer erfasste meinen Körper. In mir sträubte sich alles gegen diesen Befehl, aber das wurde bereits mit Kopfschmerzen bestraft. Nicht ausgerechnet jetzt.

„Reiß dich zusammen!“, wiederholte ich, in einem ungewollt scharfen Ton. „Wenn du mich auf diese Weise behinderst, kann ich nicht-“

„Ich scheiß drauf!“, unterbrach Ferris mich schon wieder. „Ich brauche deine Hilfe nicht und deinen Plan kannst du dir auch sonst wo hinschmieren, mir völlig egal!“

Gereizt löste ich nun doch den Blick von den aufplatzenden Kokons und fuhr zu ihm herum, wobei er sich gleichzeitig mit einem kräftigen Ruck aus meinem Griff befreite und zurückwich. Unsere Leben standen hier auf dem Spiel. Genau das wollte ich ihm erklären, konnte aber nicht. Diese Leere in seinen Augen erinnerte mich daran, was Ferris damals gesagt hatte, also würden meine Worte ihn nicht erreichen. Ihm war sein Leben wirklich egal.

„Du lügst.“ Beherrscht sah ich ihn an. „Nimm den Befehl zurück, wenn du ihn nicht so meinst.“

Aufgebracht wich er zurück. „Quatsch nicht so, als wüsstest du, was ich will!“

„Sei nicht kindisch.“

„Schnauze!“

Bevor ich mir weitere Worte zurechtlegen konnte, tat sich etwas in Ferris, das ihn auf einmal Richtung Ausgang stürmen ließ. Eiskalt wurde ich von ihm stehen gelassen. Ich hasste es, wenn er das tat. Mir gelangen nur ein paar jämmerliche Schritte, bevor ich zähneknirschend zusammensackte und meinen Verfolgungsversuch widerwillig abbrechen musste. Durch den Befehl war es mir nicht möglich ihn aufzuhalten. Nicht sofort. Warmes Blut tropfte aus meiner Nase, weil ich dagegen anzukämpfen versuchte.

Normalerweise würde mich das nicht aufhalten. Trotz aller Schmerzen hätte ich Ferris nicht so leicht entkommen lassen, mir saßen jedoch Echos im Nacken. Viele auf einem Haufen. Sich in dieser Situation einem Befehl zu widersetzen käme einem Selbstmord gleich, was ich mir nicht leisten konnte. Zuerst müsste ich hier die Lage klären, danach könnte ich mich um Ferris kümmern. Das passte mir gar nicht.

Verdammt, ich kenne dich doch! Mir rannte die Zeit davon. Du wirst garantiert etwas Dummes tun. Verdammter Idiot!

Klägliches Gekeuche untermalte meine Gedanken. Ein beißender, saurer Geruch stach in meiner Nase. Etwas platschte zu Boden – Eierschalen, die mittlerweile durch die Hitze zerschmolzen. Ruckartig hoben sich aus der teerartigen Flüssigkeit ein Echo nach dem anderen hervor. Ihre undefinierbaren Laute und der Gestank, der aus den Kokons strömte, reizten meine Sinne auf unangenehme Weise.

Zu spät, jetzt blieb mir keine andere Wahl mehr, als die Echos schnell und präzise auszulöschen, bevor ich Ferris nachlaufen konnte. Erst dann könnte ich meine Kräfte voll und ganz darauf anwenden, den lästigen Befehl von ihm zu missachten. Mühelos kam ich wieder auf die Beine und meine Hand schnellte nach oben, um die Pistole entgegen zu nehmen, die ich gerade beschwören wollte. So weit kam ich aber gar nicht erst.

Zeit, erstarre!

Klar und melodisch, ein absolut sauberer Befehl. Er kam nicht von mir, auch nicht von Ferris. Diese krankhaft kontrollierte Ruhe in der Stimme konnte nur einem gehören – jemandem, dessen Einmischung mir von allen möglichen Menschen auf dieser Welt am meisten missfiel. Mein Magen verknotete sich schon jetzt vor Begeisterung.

Im Restaurant ertönte ein gleichmäßiges Ticken, das die Atmosphäre in Sekunden stabilisierte. Licht schoss an mir vorbei, zu schnell, als dass meine Augen es genau erfassen könnten. Trotzdem wusste ich, welche Form es besaß: ein Bolzen. Dieser flog geradewegs in die Mitte der Räumlichkeit, wo er in hunderte feine Sandkörner zersprang, die daraufhin verglühten.

Jeder einzelne dieser Partikel, deren Licht erlosch, sorgte dafür, dass ich mich schwerer fühlte. Die Luft wurde dünner. Druck baute sich in meinen Ohren auf. Nichts rührte sich mehr. Sämtliche Echos im Raum waren zu Statuen erstarrt, gelähmt. Sie verströmten nach wie vor ein Gefühl von Unbehagen, aber es hatte keinerlei Bedeutung mehr. Ohne Zeit gab es keinen Grund, irgendetwas zu tun. Man fühlte sich leer. Darum verabscheute ich diesen Zustand zutiefst, erst recht weil ich keine Kontrolle darüber hatte.

„Alles in Ordnung?“, fragte der Störenfried, der die Zeit manipulieren konnte – ganz schön dreist.

„Ich hatte alles im Griff“, beteuerte ich genervt und wandte mich ihm zu. „Wo kommst du plötzlich her?“

Unscheinbar, fast wie ein Phantom, saß er alleine im Schatten in einer schwer einsehbaren Ecke des Restaurants, an einem Tisch. Kieran. An seinem rechten Arm befand sich eine Waffe, die von den meisten Funktionen her meiner Pistole ähnelte, nur gab es dieses Exemplar bislang ein einziges Mal. Ausgerechnet Kieran hatte die Ehre, es testen und somit nutzen zu dürfen. Keine Pistole, sondern eine Armbrust. Sie schmiegte sich dicht an ihn, war wie ein Teil seines Körpers mit ihm verbunden.

Darum besaß die Armbrust keinen Abzug, Kieran bediente sie einzig durch seinen Willen, also mit Worten. Ein weiterer Bolzen aus Licht war schon eingespannt und bereit zum Abschuss, wenn Kieran es wollte. Unter dem Lauf und den Wurfarmen war eine große Uhr eingearbeitet, wie bei meiner Pistole. Der Bolzen wirkte wie einer der Zeiger, dessen Macht die Zeit beeinflussen konnte. Musste toll sein, ein gutes Ansehen beim Chef zu genießen und solche Waffen anvertraut zu bekommen – schade, dass ich anderen nicht in den Arsch kroch, weil ich noch so etwas wie Stolz besaß.

„Faren wollte unbedingt hierher“, behauptete Kieran und deutete nickend zu den Toiletten. „Er hat das Talent, sich immer im richtigen Augenblick aus dem Staub zu machen.“

Auf dem Tisch, an dem Kieran saß, stand nur ein Trinkbecher, sonst nichts. Natürlich könnte ich vermuten, dass die beiden schon fertig mit dem Essen waren und Faren auf seinem Weg zur Toilette schon mal den Müll mitgenommen hatte. Allerdings wusste ich es besser. Zu meinem Vorteil ahnten die meisten davon nichts, was ruhig so bleiben konnte.

„Schön, wenn du dich hier dann schon einmischst, kümmere du dich mal weiter um die Echos.“ Sollte er sich meinetwegen etwas Ruhm einheimsen, dafür bekäme ich die Zeit, die ich bräuchte. Ich wandte mich ab. „Ich bin weg.“

„Ferris hinterher?“, führte Kieran das Gespräch fort, obwohl ich schon zielstrebig zur Tür eilte. Sein Blick bohrte sich in meinem Rücken, wie der eines Richters. „Und was dann? Was ist Ferris für dich?“

Augenblicklich wurden meine Glieder noch schwerer, so dass auch meine Schritte langsamer wurden, bis ich schließlich wieder stehenblieb, noch mehrere Meter vom Ausgang entfernt. In dieser zeitlosen Blase kam mir das Atmen ohnehin schon anstrengend genug vor, jetzt musste Kieran mich obendrein noch provozieren? Das Thema hatten wir eigentlich längst abgehakt. Warum fing er nochmal damit an? Er musste mein Gespräch mit Ferris belauscht haben.

„Kieran.“ Der Name kam über meine Lippen wie ein Fluch, entsprechend eisig waren meine nächsten Worte. „Hör auf zu atmen.“

Da ich ihm noch den Rücken zudrehte, wusste ich nicht, ob er auf diesen Befehl eine Reaktion zeigte. Also wartete ich eine Weile, bis ich es hören konnte. Ein leises, atemloses Glucksen, das für mich wie eine schöne Melodie der Gerechtigkeit klang. Schwungvoll drehte ich mich um und betrachtete mein Werk mit Genugtuung.

Es war unverschämt genug, dass Kieran noch immer am Tisch saß und somit einen auf lässig machte. Wenigstens hing er nun durch die Atemnot wie ein zerknautschter alter Sack auf der Sitzbank, den linken Arm auf den Tisch gestützt und den Mund weit geöffnet, doch mein Befehl gönnte ihm keinen einzigen Luftzug. So bekam er einen Eindruck davon, wie ich mich in dieser Zeitlosigkeit fühlte.

„Ich habe dir doch schon gesagt, dass du Faren behalten kannst“, beruhigte ich ihn amüsiert. „Oder reicht dir Faren alleine nicht? Musst du auch noch Ferris für dich haben, hm? Mein kleiner Musterbruder? Sag schon, ich bin ganz Ohr.“

Kieran verzog das Gesicht, begann allmählich zu würgen. Sah so aus, als bekäme ich keine Antwort von ihm. Zu schade aber auch. Für meinen Geschmack wirkte er trotzdem noch zu standhaft, seine Mimik zeigte keine Spur von Panik. Nur diese beherrschte Maske der Ausdruckslosigkeit. Egal, welche Grimassen die Atemnot erzwingen würde, daran änderte sich scheinbar nichts. Mitgefühl hatte ich für ihn nicht übrig.

„Klar, dann schweig eben“, beschwerte ich mich und seufzte übertrieben schwer. „Ich weiß eh, was du sagen würdest: Ich bin ein ganz grausamer und böser Mensch, darum darf man mir keine Leben anvertrauen, korrekt? Oh, warte, mein Fehler: Monster. Das ist doch genau das, was du denkst. Zumindest als Kind hast du noch den nötigen Schneid gehabt, mir das ins Gesicht zu knallen. Erinnerst du dich?“

Endlich. Seine Maske zerbrach schlagartig, dahinter kam eine bunte Mischung aus Emotionen zum Vorschein. Angefangen von Schmerzen bis hin zu Hilflosigkeit. Vielleicht auch noch etwas, das ich nicht zu deuten wusste. Mir genügte das, was ich sehen wollte. Bald könnte Kieran sich nicht mehr halten, sein Körper zuckte und zitterte inzwischen wie wild.

„Ich bin ein Monster, gut, damit kann ich leben.“ Ich tat schuldbewusst und hob die Hände. „Einmal Monster, immer Monster. Hey, mir gefällt der Titel an sich im Grunde. Ich störe mich nicht dran.“

Schwerfällig ließ ich die Hände wieder sinken. Finster starrte ich Kieran in die Augen, meine Gesichtszüge verhärteten sich. Jeder einzelne meiner Muskeln schien sich anzuspannen und meine Wut abzufangen, die in mir bebte. Sie sprang von Würfel zu Würfel, spielte ein gefährliches Lied, das mich zu hypnotisieren drohte, damit ich meine Beherrschung gänzlich verlor und Kieran noch schlimmer verletzte.

„Fakt ist: Auch Monster haben Dinge, die ihnen wichtig sind.“ Trotz des penetranten Brennens auf meinen Augen, blinzelte ich nicht. „Und Ferris ist mir wichtig. Auf welche Weise er mir wichtig ist, geht dich und die anderen einen Scheiß an. Was ich auch sage, ihr habt euch eure Meinung so oder so schon zurechtgelegt. So etwas ist menschlich, hab ich gehört.“

Als ich die Hände zu Fäusten ballte, knackten meine Knochen leise. „Bezüglich Ferris lasse ich mir aber garantiert nichts sagen. Nicht noch länger. Weder von dir, noch von sonst wem. Solange es mich gibt, gibt es für mich nur Ferris. Ist das jetzt klar?“

Angestrengt hatte Kieran sich bemüht, den Blickkontakt zu mir zu halten, aber ihn verließ die Kraft. Kreidebleich kippte er zur Seite, halb auf die Armbrust, weshalb er sich noch etwas aufrecht zu halten versuchte. Schweißperlen glänzten auf seiner Stirn. Vorboten eines tragischen Erstickungstodes, sollte ich nichts dagegen tun. Nun, ich hatte gesagt, was nötig war. Ich sollte mir den Ärger ersparen.

Atme weiter“, erlöste ich ihn.

Keuchend schnappte Kieran mit tiefen und schnellen Atemzügen nach Luft, erschöpft von dieser Tortur. Die rasselnden Laute beim Ein- und Ausatmen klangen nicht sonderlich gesund. Welch Glück, dass unser Onkel ein leidenschaftlicher Arzt war. Der kümmerte sich bestimmt herzlich gerne um Kieran, sobald der hier aufgeräumt hatte. Ohne weitere Worte verließ ich das Fast-Food-Restaurant und überließ meinen Bruder sich selbst.

Lobend flüsterten die verlorenen Stimmen aus den Herzen der Echos in mir, gaben mir ein gutes Gefühl. Tatsächlich war mir dieses unerwartete Ereignis ganz gelegen gekommen, das würde meinen Plan weiterhin zum Erfolg führen. Auch Kieran war immerhin insgeheim ein Teil des Ganzen, ohne es zu wissen. Vorerst war dieser Punkt abgehakt.

Draußen normalisierte sich die Schwerkraft wieder und auch ich konnte anständig durchatmen. Kierans erzwungener Zeitstopp galt offenbar nur für den Bereich innerhalb des Gebäudes, aus dem ich gekommen war. Niemand außerhalb des Restaurants bemerkte etwas davon, jeder folgte stur seinem eigenen alltäglichen Ablauf und war blind für alles andere. Praktisch für Leute wie uns, so ließen sich Echos nebenbei unauffällig beseitigen.

Hastig holte ich mein Handy hervor und wählte Ferris' Nummer. Suchend huschten meine Augen über die Umgebung, während ich ziellos voranschritt und nach ihm Ausschau hielt. Durch meine Missachtung des Befehls nahmen die Kopfschmerzen wieder merklich zu. Jeglichen Hindernissen wie Passanten oder Laternen wich ich dennoch problemlos aus, einzig auf mein Ziel konzentriert. Wie weit war Ferris in der Zwischenzeit schon gekommen?

„Besetzt?“, stellte ich verwundert fest und legte auf, wenn auch nur ungern. Nachdenklich stieß ich einen Fluch aus. „Wen rufst du ausgerechnet jetzt an, Ferris?“

 
 

***

 

„Hey, wie cool, dass du dich meldest!“, begrüßte mich Faren begeistert.

„Ja, hi“, erwiderte ich den Gruß nur knapp und halbherzig. „Sorry, ich störe auch nicht lange.“

„Ach, du störst mich nicht!“, versicherte er sofort, kaum dass ich zu Ende gesprochen hatte. „Ehrlich gesagt habe ich die ganze Zeit darauf gehofft, dass du dich mal bei mir melden würdest. Ich freue mich voll, von dir zu hören.“

Nach wie vor verhielt sich Faren wie ein richtiger Freund. Selbst nach dem, was passiert war und was ich gesagt hatte. Mir war, als würde ich seine aufrichtige Freude sogar durch das Handy hindurch spüren, über die Entfernung hinweg. Ich fühlte mich seltsam schuldig, weil mich das im Moment nicht wirklich trösten konnte.

„Und ich mache auch gerade nichts Besonderes~“, meinte Faren munter.

Im Hintergrund hörte ich ein Plätschern. „Badest du?“

„Wow, gut geraten!“ Faren gab einen gespielt schockierten Laut von sich. „Oder beobachtest du mich etwa heimlich? So gut, wie ich aussehe, würde mich das nicht wundern.“

Durch sein heiteres Lachen im Anschluss war klar, dass er das nicht so ernst meinte, wie es den Anschein haben mochte. Sein Selbstbewusstsein war wirklich beneidenswert. Alles an Faren war das. Warum konnte ich nicht mehr sein wie er? Für alle würde das vieles leichter machen. Leider war ich aber der hoffnungslose Junge, der nichts richtig auf die Reihe bekam – und an diesem Tag wieder feige vor seinen Problemen davonlief.

„Ich kann echt nicht lange plaudern“, entschuldigte ich mich verhalten. „Kann ich dich nur kurz was fragen?“

Erneut plätscherte es hörbar, vielleicht setzte Faren sich anders hin. „Ist was passiert?“

„Nein.“ War das eine Lüge? Auf jeden Fall wollte ich nicht genauer darauf eingehen, seine besorgte Stimmlage machte es nur schlimmer. „Es geht um Ciar.“

„Oh ...“ Unsicher machte Faren eine Pause. „Worum geht’s?“

„Ich muss etwas wissen.“ Diesmal hielt ich inne und musste innerlich durchatmen, damit ich mich zu fragen traute. „Hat Ciar jemals versucht dich anzubaggern? Ich meine, hat er mal mit dir geflirtet?“

Das folgende Schweigen erdrückte mich regelrecht. Wahrscheinlich handelte es sich bloß um wenige Sekunden, doch wie üblich zogen sie sich unendlich lange hin. Weder Faren noch ich wussten etwas zu sagen. Jeder von uns wartete darauf, dass der andere diese unangenehme Stille brach und sich alles wie durch ein Wunder zum Guten wendete. Wunder gab es aber nicht.

„Mann, was soll ich denn darauf antworten?“, sprach Faren zögerlich. In meiner Vorstellung fuhr er sich mit der Hand überfordert durch die nassen Haare. „Ich will nichts Falsches sagen ...“

„Weil ich depressiv bin?“, rutschte es mir von selbst heraus. Genervt schüttelte den Kopf. „Schon okay, deine Zurückhaltung ist eigentlich Antwort genug.“

Ciar hatte es getan. Er hatte irgendwann mal deutliches Interesse an Faren gezeigt, sonst könnte der es einfach verneinen, ohne sich lange an einer Antwort aufzuhalten. Auch der klägliche Rest, der mich ausmachte, brach in sich zusammen. Hatte ich etwa ernsthaft noch gehofft, mich zu irren? Was war ich für ein Idiot.

„Warte, warte, warte!“, wandte Faren nervös ein und es plätscherte abermals laut – er stieg vermutlich aus der Badewanne. „Zieh keine voreiligen Schlüsse, ja? Wollen wir uns nicht treffen? Ich weiß, du wolltest erst mal Abstand und so, aber wir könnten-“

„Danke, Faren“, sprach ich ihm ins Wort. „Entschuldige die Störung. Mach's gut.“

Selbst als ich das Handy gar nicht mehr am Ohr hatte, konnte ich Farens Protest klar und deutlich hören. Sein energischer Versuch, mich weiterhin am Telefon zu halten, weil er mir helfen wollte. Ich bereute es ihn angerufen zu haben. So könnte er nicht in Frieden mit Kieran sein Leben genießen, wenn ich dazwischen funkte und ihn derart in Sorge versetzte.

„Echt, sorry, Faren“, murmelte ich bedrückt.

Den Anruf hatte ich längst beendet. Einige Zeit hielt ich das Handy weiter fest, wie das letzte Rettungsseil, das mir durch die Finger glitt. Bald fing es an zu vibrieren und auf dem Bildschirm erschien Farens Name, er rief mich zurück. Hartnäckig wie eh und je. Sollte ich die Nummer einfach blockieren? Dann versuchte es als nächstes mit Sicherheit Vincent, sofern er konnte. Immerhin war er im Krankenhaus, im Echo-Institut.

Zitternd stieß ich mir das Handy kräftig gegen die Stirn. „Gottverdammt, bitte, lasst mich doch in Ruhe. Lasst mich …“

Aus der Ferne hörte ich das Treiben der Menschen aus der Innenstadt, von der ich mich entfernt hatte. Ich wollte alleine sein. Weg von allem, was lebendig war. Und doch hörte ich den Trubel noch bis hierher, vertraut, aber anstrengend. In meinem Kopf verstand ich nicht, warum diese Leute so sehr am Leben festhielten. Wozu die ganze Mühe?

Plötzlich überkam mich ein Verlangen, das mich einen weiteren Anruf von Faren wegdrücken und eine andere Nummer im Adressbuch wählen ließ. Verkrampft hielt ich das Handy fest, es kam mir auf einmal wie ein schweres Gewicht vor. Wartend lauschte ich dem Freizeichen. Wie die Herzfrequenzanzeige auf einem Monitor im Krankenhaus dröhnte der Laut durch meinen Kopf, piepte unentwegt weiter, bis sich nur noch eine gerade Linie ins Unendliche zog. Es war der Anrufbeantworter, der mir die Möglichkeit gab, eine Nachricht zu hinterlassen.

„Ja, hallo, ich bin's ...“, stammelte ich vor mich hin. „Du kannst wohl noch nicht telefonieren. Ich hoffe, dir geht es bald besser. Ich wollte dich nur mal hören, auch wenn das irgendwie awkward klingt.“

Ein Schlucken unterbrach die Aufzeichnung, meine Stimme fing an zu zittern. „Du, ich weiß Bescheid. Über Echos und so. Ist halt so gekommen. Mir ist auch klar, dass ich nur ein Job für dich bin, weil dieses schräge Institut mich überwachen muss. Hat mich voll überrascht.“

Mir war es nicht möglich, das Schluchzen zu unterdrücken. „Aber ist okay, ich bin dir nicht böse. Ist komisch, das so zu sagen. Ich mag dich halt. Also, danke, dass du mich so lange ausgehalten hast. Ich will dir nicht länger zur Last fallen, darum ... darum sag ich mal Tschüss, okay? Vincent ... tschüss.“

Das war meine letzte Nachricht, die ich hinterlassen konnte. Mehr war nicht drin. Träge schlurfte ich weiter vorwärts, irgendwohin, ich hatte keinen Zielort im Kopf. Ich nahm nicht mal genau wahr, wo ich mich gerade aufhielt. War sowieso nicht wichtig.

Als ich an einem Mülleimer neben einer Bank vorbeikam, ließ ich das Handy dort hineinfallen, und ging weiter.

Ich bin nicht so gut mit Worten

Ein Lastwagen fuhr mit erhöhter Geschwindigkeit über die Brücke. Das dröhnende Motorengeräusch kam dem Brüllen eines Löwen gleich, der aufgrund seiner Stärke jedes andere Tier zurückschrecken ließ. Sogar die Umgebung erzitterte leicht unter diesem massiven Gewicht. Die Tierwelt gab wirklich einen guten Vergleich für den hektischen Verkehr in einer Stadt ab, besonders wenn die große Stunde des Feierabends schlug.

Wie bei einer Stampede strömten die Fahrzeuge stetig von einer Seite zur anderen, folgten dem schnellen Strom. Immerzu hörte ich das Rauschen von oben und ließ es zu, dass dieses Geräusch meine Gedanken mit sich in die Ferne trug. Entsprechend geistesabwesend saß ich in der Unterführung der Brücke, außer mir war niemand hier.

An diesem Tag wütete ein Herbststurm. Ständig fröstelte es mich durch den eisigen Luftzug. Seit meiner Flucht aus dem Fast-Food Restaurant hatte ich nichts mehr gegessen oder getrunken, ich fühlte mich schwach und mein Körper lief nur noch auf Sparflamme. Kein Wunder, dass ich so empfindlich auf die Kälte reagierte. Also hockte ich hier reglos herum und tat nichts mehr, außer abzuwarten.

Manchmal wehte der Wind einige bunte Blätter an diesen einsamen, dunklen Ort, wo sie zu Boden sanken und dann zurückgelassen dalagen. Ihre herbstlichen Farben lenkten etwas von dem Müll und den Dreck ab, von dem sich einiges angesammelt hatte. Wahrscheinlich war ich nicht die erste Person, die ihre Zeit unter dieser Brücke verstreichen ließ. Bislang blieb ich aber ungestört.

Das Rot, Orange und Gelb der Blätter harmonierten nahezu perfekt mit meinem Blut. Es tropfte aus einer frischen Schnittwunde am Handgelenk zu Boden. In dem ganzen Müll hatte ich eine alte, leere Glasflasche gefunden und zerschlagen, um die Scherben benutzen zu können. Mein Ziel war es nicht, mich damit umzubringen. Jedenfalls noch nicht. Mir ging es vielmehr um den Schmerz, die Ablenkung. Irgendwann hatte ich die Gedanken von den Menschen in der Nähe und auch meine eigenen einfach nicht mehr ausgehalten, sogar zum Heulen war ich mittlerweile zu erschöpft.

Darum hatte ich mir die Haut aufgeschnitten, was mit einer stumpfen Glasscherbe etwas Nachdruck erfordert hatte. Durch das schmerzhafte Pochen im Handgelenk und das stechende Ziehen bei jeder kleinsten Bewegung fühlte ich mich um einiges besser. Wenigstens im Moment konzentrierte ich mich nur darauf, wodurch alles andere ausgeblendet wurde. Auch die Kälte spürte ich langsam nicht mehr so deutlich wie zuvor. Wie erlösend musste dann der Tod selbst sein? Diesen einen Gedanken konnte nicht mal der Schmerz von mir nehmen, gerade dieser löste ihn aus.

Irgendwann zog sich das Blut in mehreren feinen Rinnsalen über den Boden, bildete ein eigenes Netz. Nach und nach beanspruchte es mehr Fläche für sich, es wagte sich weiter vor. Bald müsste ich mir weitere Schnitte zufügen. So erleichtert, wie das Blut darüber wirkte endlich frei zu sein, blieb mir kaum eine andere Wahl. Betrübt stieß ich einen Seufzer aus, doch der Verkehrslärm verschluckte den Laut sofort, so bedeutungslos war er.

Zögerlich drehte ich die dunkelgrüne Scherbe in der Hand, fuhr mit den Augen über meinen Arm, auf der Suche nach der nächsten geeigneten Stelle. Eigentlich war es egal, wo ich ansetzte, aber ich konnte mich trotzdem nicht entscheiden. Besonders weil ich keine alten Narben nochmal aufreißen wollte – ich verletzte mich nicht zum ersten Mal. Jeder verheilte Schnitt besaß seine eigene Geschichte. Dämlich, aber ich befürchtete, diese vergangenen Leiden wieder wecken zu können.

Als mein Blick zurück zu dem Blut am Boden wanderte, übermalte Verwirrung kurzzeitig das befreiende Gefühl des Schmerzes. Was ich dort sah, konnte unmöglich real sein. Vorsichtig beugte ich mich ein Stück vor und hielt den Atem an.

Irgendwie hatte das Blut durch dessen Verlauf Buchstaben gebildet. Sie sahen krakelig aus, wie von einem Kleinkind geschrieben, und standen auf dem Kopf, doch ich könnte es sicher lesen, auch von dieser Position aus. Groß genug waren die einzelnen Buchstaben dafür. Außerdem war es nur ein Wort. In mir wuchs Panik heran und ich schnappte erfolglos nach Luft, während ich wie versteinert auf den Boden starrte.

M, hauchte eine emotionslose Stimme in meinem Kopf.

Zuerst spürte ich nur eine Art Kribbeln auf meiner Haut. Etwas regte sich in meiner Brust, es löste eine Hitzewelle aus. Sofort ahnte ich, was es sein könnte. Die Herzen der Echos. Jeder Würfel, den ich bislang geschluckt hatte. Auf einmal wurde das schreckliche Brennen im Hals wieder lebendig. Meine Panik schoss sprunghaft in die Höhe.

O, führte eine andere Stimme das Vorlesen fort.

Hastig schüttelte ich den Kopf, wobei die ersten Schweißperlen abgeschüttelt wurden. Ich wollte es nicht hören. Vergeblich versuchte ich das laut auszusprechen, aber ich brachte keinen Ton zustande. In meiner Panik kämpfte ich bereits so sehr mit dem Atmen, das es mir nicht möglich war.

N, flüsterten sie gnadenlos weiter.

Schadenfrohes Gelächter drang leise an meine Ohren. Unförmige Schemen huschten über die nackten Steinwände der Unterführung und verdunkelten durch ihr Erscheinen den Ort noch mehr. Einige Schatten erkannte ich wieder. Jene Echos, deren Existenz von mir beendet worden war. Eingesperrt in den Würfeln, in mir.

S, kicherten sie allmählich lauter.

Zitternd hob ich die Hände und presste sie gegen meine Ohren, kniff fest die Augen zusammen. Was geschah hier gerade? Und warum? Konnte ich mir nicht mal mehr durch Schmerz für einen kleinen Augenblick Erleichterung verschaffen? Etwas anderes hatte ich nicht. Ich könnte es nur noch beenden, bevor es so schlimm werden würde, dass ich auch dazu nicht mehr käme.

T, buchstabierten die Echos im Chor.

Aufhören!

E, grollte es in meinem Kopf.

Schlagartig wurde mir schwindelig, ich drohte, einfach zusammenzubrechen. Zahlreiche Schatten färbten die Welt schwarz. So dunkel, dass ich nichts mehr sehen konnte, außer die blutigen Buchstaben. Knallig wie Neonlicht widerstanden sie der Finsternis.

R!, kreischten sie den letzten Buchstaben so laut, dass ich zusammenzuckte und einen heiseren Schrei ausstieß.

Ein leichtes Gewicht legte sich auf meine Schulter, was mich wie ein Zauberspruch aus diesem Zustand herausriss. Hektisch atmete ich ein und aus, blinzelte mehrmals. Leider war mein Sichtfeld anfangs verschwommen, weshalb ich nichts erkennen konnte, aber es war auf einmal wieder hell. Und warm. Kein Wind wehte. Autos hörte ich auch nicht.

„Ferris war lange krank“, erklärte eine ältere Frauenstimme. „Ab heute geht er wieder in die Schule und gehört nun zu unserer Klasse. Bitte seid alle nett zu ihm und helft ihm, sich hier wohlzufühlen.“

Aufgeregtes Getuschel war zu hören. Ich rieb mir kräftig die Augen und hoffte, dass ich danach besser sehen könnte. Dabei wischte ich einige Tränen weg, die sich angesammelt hatten. Schließlich verbesserte sich meine Sicht wirklich ein wenig und ich konnte erkennen, wo ich war. Irritiert starrte ich in die Runde. Ein Klassenzimmer, gefüllt mit Schülern, deren Blicke mich neugierig musterten. Meine damalige Grundschule.

„Er muss die zweite Klasse wiederholen.“ Neben mir stand meine neue Klassenlehrerin. „Aber er kann euch bestimmt schon bei einigen Dingen helfen, die ihr noch nicht wisst. Oder, Ferris?“

Sprachlos blieb mein Blick auf die anderen Kinder geheftet, auf ihre Frage reagierte ich nicht. Keines der Gesichter kam mir bekannt vor, ich erinnerte mich nicht. Darum saßen nur Schattengestalten auf den Stühlen. Bestehend aus schwarzem Rauch und so flüchtig wie mein Gedächtnis. Am liebsten wäre ich weggelaufen – so wie immer.

„Warum hat er blaue Haare?“, wollte einer der Schatten wissen, hörbar verwundert.

Da ich nicht reden wollte, übernahm die Lehrerin für mich das Sprechen: „Ferris ist acht Jahre alt.“

Erneut war ich irritiert. So sollte die Antwort nicht lauten, die Frage war eine andere gewesen. Moment, acht Jahre alt? Also nach dem Tod meiner Familie, nach dem Brand.

Ab dem Zeitpunkt hatte ich oft darüber nachgedacht, mir die Haare zu färben, schwarz, um mich nicht mehr mit diesem Problem herumschlagen zu müssen. Falls ich mich nicht irrte, kam dieser Rat einst von irgendjemandem aus dem Waisenhaus. Wirklich durchgezogen hatte ich es aber nie. Seltsam. Faulheit? Kosten? Unfähigkeit?

Ich zupfte an einer Haarsträhne und betrachtete sie. Tatsächlich war sie blau. Was sonst? Offenbar hatte ich schon fast vergessen, dass meine Haare doch nicht gefärbt waren. Wunschdenken konnte die Wirklichkeit leicht verfälschen. Darüber müsste ich mir keine Sorgen mehr machen, wenn ich mir nur etwas Haarfärbemittel besorgen würde. Nein. Der Verlust meiner Familie war wesentlich schlimmer, meine Haarfarbe dagegen war das kleinste Problem.

„Setz dich doch dort drüben hin“, bat die Lehrerin mich und gab mir einen sanften Schubs.

Unbeholfen tapste ich durch den Raum und kam mir so verloren vor wie ein ausgesetzter Welpe. Die ganze Zeit klebten die Blicke der anderen an mir, ließen nicht mehr von mir ab. Sie brannten sich geradezu in mich hinein. Jedes Mal, wenn ich an Feuer dachte, verkrampfte ich und bekam Übelkeit vor Angst. Sogar gebratenes Fleisch konnte ich nicht mehr essen.

Haltlos versanken meine Füße bei jedem Schritt ein Stück im Boden, der viel zu weich war. Ein flüchtiger Blick und ich wusste, woran es lag. Ich lief über rohes, noch blutiges Fleisch. Dort, wo ich hintrat, brannten sich meine Fußspuren ein. Bei dem Geruch wurde mir übel, doch einige der anderen Kinder sogen ihn gierig ein.

Kaum saß ich, fing die Lehrerin mit dem Unterricht an, vollkommen souverän. Anscheinend bemühte sie sich darum, die Aufmerksamkeit ihrer Schüler auf sich zu ziehen, was ihr jedoch nicht gelang. Ich blieb der Mittelpunkt. Warum fiel es ihnen derart schwer, mich zu ignorieren? Alles, was ich wollte, war meine Ruhe. Allein sein. Schule half mir nicht dabei.

Als wollte eine höhere Macht die Lehrerin von ihrem Elend befreien, läutete die schrille Schulglocke die Pause ein. Bevor ich etwas tun konnte, hatten die anderen sich um mich versammelt und kreisten meinen Tisch – eine graue Metallplatte, auf der sich getrocknetes Blut befand – ein. Automatisch sank ich im Stuhl zusammen und senkte den Blick. Ihre Körper aus Rauch rochen unangenehm und in meinem Hals kratzte es, genau wie bei dem Brand vor knapp einem Jahr. Ich fühlte mich schlecht.

„Stimmt es, dass du ein Monster bist?“, fragte einer von ihnen, so unschuldig und von Neugier getrieben, dass mich ein kalter Schauer packte.

Erschrocken tuschelte der Rest miteinander. „Ein Monster?“

„Ja, ein paar aus der dritten Klasse haben das gesagt.“

„Kennen die ihn denn?“

„Er gehörte zu ihrer Klasse, dann blieb er krank und kam nicht mehr.“

Verschwinden. An etwas anderes konnte ich nicht mehr denken, außer verschwinden zu wollen. Anstelle meiner Familie. Weg von hier. Zur Schule hatte ich nicht mehr gehen wollen, aber die Erwachsenen zwangen mich dazu. Schickten mich in diese Hölle – war das meine Strafe? Laut den Ärzten und Erziehern könnte mir eine vertraute Umgebung helfen, wieder Stabilität zu bekommen. War denen klar, dass ich als Kind nicht mal wusste, was das Wort überhaupt bedeutete?

„Die haben gesagt, dass sein Haus verbrannt ist“, erzählten sich die Schatten, ohne mich nach der Richtigkeit dieser Fakten zu fragen. „Er hat das getan. Jetzt sind alle tot.“

„Tot?“

„Was heißt das?“

„Also hat er keine Familie mehr?“

„Mama sagt, getötete Lebewesen kommen in den Himmel. Tötet man jemand, ist man ein Mörder!“

„Und Mörder sind Monster!“

„Haltet die Fresse!“, fuhr ich lautstark dazwischen und sprang von meinem Stuhl auf. Das war nicht die Wirklichkeit, meine Kindheit war schon lange vorbei. „Kümmert euch um euren eigenen Kram! Haut-“

Meine Stimme versagte, ich sprach nicht zu Ende. Beim letzten Mal, als ich vor einem Mitschüler zu laut geworden war, verbrannte dieser. Auf keinen Fall wollte ich, dass noch mehr starben. Nicht durch mich. Sie hatten recht. Monster war genau die richtige Bezeichnung für mich. Aber …

„Aber das mit meiner Familie … war ich nicht“, haspelte ich, weil ich mir selbst nicht sicher war. „Das Echo war es.“

„Und warum war es wohl überhaupt erst da?“

Stille kehrte ein, von einer unheimlichen Spannung durchzogen. Elektrische Funken schienen in der Atmosphäre zu schweben und drohten, sie jederzeit in Stücke zu reißen. Keiner sagte etwas, doch ich wusste, was sie dachten, und dass ich mich nicht herausreden könnte. Diese Erkenntnis nahm mir den Mut wieder und katapultierte mich emotional tatsächlich in diese Situation zurück. Plötzlich fühlte ich mich so wehrlos wie ein Säugling.

Aus Reflex fuhr ich herum und versuchte mich durch die Schatten hindurchzudrängen, zu fliehen. Natürlich gelang mir das nicht. Allesamt hielten sie mich fest und zerrten mich zurück, drückten mich mit dem Rücken auf den Tisch. Klappernd fielen meine Schulsachen herunter. Schreiend versuchte ich mich mit aller Kraft zu befreien und strampelte wie verrückt. Zahlreiche Hände ketteten mich fest. Ich hatte keine Chance.

„Gib es zu!“, verlangten sie von mir. „Gib es zu!“

„Gib zu, dass du ein Monster bist!“

„Ja, du bist eins!“

„Warum sind deine Eltern sonst tot?“

„Wenn du es nicht sagst, machen wir das.“

„Genau, wir machen das.“

Aus ihren rauchigen Bäuchen zogen sie Filzstifte hervor, in verschiedenen Farben. Zuerst nahmen sie sich meine Arme vor. Jeder Strich fühlte sich an wie ein Brandmal und brachte mich zur Verzweiflung. Schluchzend flehte ich sie an aufzuhören, aber sie beachteten mich nicht. Eine Warnung nach der anderen zierte bald meine Haut. Zeichnungen von Flammen und Totenköpfen dienten als Symbole für mein Verbrechen.

Du solltest tot sein“, behauptete einer.

Der Einwand bekam von allen Seiten Zuspruch: „Sonst tötet er als nächstes uns!“

Erschöpft gab ich jegliche Gegenwehr auf und ließ sie weitermachen. Wieder konnte ich nur verschwommene Bilder wahrnehmen, so viele Tränen füllten meine Augen. Verdient hatte ich es. Wenn sie sagten, ich sei ein Monster, musste ich eins sein. Das Monster, das seine eigene Familie getötet hatte, und deren Gesichter mir ebenfalls nur als wabernder Rauch in Erinnerung waren. So früh waren sie aus meinem Kopf verschwunden.

Ich spürte, wie noch einmal an mir gezerrt wurde und ich vom Tisch rutschte. Innerlich machte ich mich auf einen harten Aufprall gefasst. Zu meiner Überraschung wurde es stattdessen angenehm warm und etwas Weiches schlang sich um meinen Körper. Hielt mich schützend fest. Auf einmal fühlte ich mich vollkommen sicher, in dieser starken und standhaften Aura.

Als sie mich anschließend behutsam schüttelte, hörte ich auch jemanden mit mir sprechen. Keines der Kinder aus der Klasse, sondern …

„Ferris, hörst du mich?! Hey, komm zu dir“, bemühte sich die Person, mich aus der Trance zu holen. „Du willst hier sicher nicht so draufgehen, oder? Ich weiß, dass du doch mehr Stil hast. Jetzt mach schon, reiß dich zusammen.“

Keinen Zweifel, diese Selbstbeherrschung und greifbare Energie in der Stimme kannte ich nur von Ciar. Er war es, der mich festhielt. Also hatte er mich gefunden. Wie? Mühevoll kämpfte ich gegen den Schwindel an und hob den Kopf, die Augen zusammengekniffen. Tatsächlich erkannte ich sein Gesicht, nahe an meinem. Sein warmer Atem war seltsam wohltuend.

„So ist gut“, lobte Ciar mich. „Bist du wieder ganz da?“

„Ich weiß nicht“, nuschelte ich angestrengt. „Mir ist schlecht ...“

„Das wundert mich nicht. Du hast sicher die letzten Tage nichts in den Magen bekommen.“

Müde runzelte ich die Stirn. „Tage?“

„Drei Tage, um genau zu sein.“

Ciar sah in der Tat ungewohnt … zerwühlt aus, sicher nicht nur von dem Sturm. Dunkle Augenringe zeigten, wie wenig Schlaf er in der letzten Zeit gehabt haben musste, wenn er sich überhaupt mal hingelegt hatte. Das schwarze Haare war das reinste Chaos, mehr als sonst. Besorgt betrachtete er mich genau, ohne mich loszulassen.

„Seit drei verdammten Tagen laufe ich durch die Gegend und suche dich überall“, beschwerte er sich, merklich halbherzig. Anscheinend überwog die Sorge um mich mehr als der Stress, den er durchgemacht hatte. „Die anderen übrigens auch. Ich bin froh, dass ich es bin, der dich gefunden hat.“

Schließlich entdeckte Ciar die Schnittwunde an meinem Handgelenk und zog die Augenbrauen zusammen, wütend. Nicht auf mich, wie es schien. Und doch machte er den Eindruck, als würde er jemanden für diese Tat bestrafen wollen. Nur wegen meiner Verletzung? Für mich war das nichts, worüber man sich aufregen müsste.

Ohne irgendeinen bissigen Kommentar zog Ciar den Schal aus, den er trug, und fing an mit diesem meinen Arm zu verbinden. Unerwartet vorsichtig, wie ich merkte. Nicht ein einziges Mal schmerzte es, während er mich notdürftig verarztete. Aufgewühlt biss ich die Zähne zusammen. Allmählich wurde ich wieder klar genug im Kopf, um zu realisieren, dass mich ausgerechnet derjenige gefunden hatte, für den ich bloß ein billiger Ersatz war.

„Lass das“, wies ich ihn ab und zog den Arm weg. „Was willst du von mir?“

„Dir helfen?“, stellte Ciar eine Gegenfrage.

„Ich brauche keine Hilfe.“

„Natürlich nicht, du bist nur halb dehydriert und ausgehungert.“

„Das geht dich nichts an.“

„In dem Zustand ist es klar, dass du für Echos leicht zu beeinflussen bist“, warnte Ciar ernst. „Du hast es echt mit den Wachträumen, was?“

Was sollte das? Hatte er wirklich vor, hier und jetzt mit mir eines dieser Wortgefechte zu starten? Dafür hatte ich weder die Nerven noch genug Kraft übrig, einen schlechteren Zeitpunkt könnte er sich wahrlich nicht aussuchen. Ihm ging es offenbar nur darum, was er wollte. Um seinen bescheuerten Plan.

„Du nervst!“, keuchte ich. Wegstoßen könnte ich ihn auf keinen Fall, ich musste ihn anders loswerden. „Ich spiele nicht weiter den Lückenfüller für was auch immer in deiner kranken Welt. Verschwinde!

Unberührt blieb Ciar vor mir auf den Knien sitzen und zeigte nicht die winzigste Reaktion auf meinen Befehl. Das musste bedeuten, ich konnte nicht mal meine Stimme benutzen. Ich war bereits eine halbe Leiche. Handlungsunfähig und nutzlos wie zu Lebzeiten, nichts änderte sich daran.

„Ich habe gefühlt hunderte Kopfschmerztabletten genommen, während meiner Suche nach dir“, lautete Ciars Erklärung, mit einer unbeeindruckten, nahezu gelangweilten Mimik. „Und ich kann Schmerzen auch so gut wegstecken. Gib mir also ruhig so viele Befehle wie du willst, ich werde keinem einzigen von denen folgen.“

Verzweifelt lehnte ich den Kopf gegen die Wand hinter mir und atmete weinerlich aus. „Ich halt das nicht mehr aus. Ich kapiere dich einfach nicht. Macht dir das etwa so viel Spaß, mich zu verarschen?“

„Tja ...“ Nach dieser lächerlich kurzen Reaktion hielt er inne. „Ich bin nicht so gut mit Worten, erst recht nicht wenn es um Gefühle geht.“

Bevor ich mich dazu bringen konnte ihm einen spöttischen Blick zuzuwerfen, legte er schon beide Hände an meine Wangen und richtete sich etwas auf, in eine hockende Position. Erst dachte ich, er wollte mich küssen, was mich nur darin bestätigt hätte, dass er ein irrer Sadist sein musste. Seine Lippen berührten mich aber nicht, sondern er lehnte seine Stirn gegen meine und sah mich eindringlich an. Allerdings nicht mit diesem unheimlichen Blick, von dem man Schüttelfrost bekam.

Zum ersten Mal konnte ich in seinen Augen Emotionen herauslesen, die ich niemals erahnt hätte. Tief verborgen in der Dunkelheit erkannte ich eine sanfte Regung. Sie galt mir, aufrichtig und offen. Ich hatte wahrhaftig das Gefühl, gerade in seine Seele blicken zu können. Könnte Ciar so etwas vorspielen?

„Ich werde versuchen, dir alles zu erklären“, versicherte er, sprach ruhig und bedacht. „Gib mir die Möglichkeit dazu, okay? Ich bitte dich darum.“

Sacht strich er mit den Daumen über meine Wangen. „Ich hab mich bisher wohl zu plump ausgedrückt. Wie gesagt, ich habe es nicht so mit Worten. Aber es ist mir wirklich wichtig, dir zu helfen. Du bist mir wichtig. Lass es bitte zu.“

Ein Funke huschte über seine Augen, den ich selbst viel zu gut kannte: Angst. Allerdings in einer anderen Form. Alles an ihm flehte mich gerade an, ihm Glauben zu schenken und nicht für etwas zu verurteilen, das er in Wahrheit gar nicht war. Dachte ich an den Wachtraum von eben zurück, verstand ich es umso besser. So fühlte Ciar also.

Ich konnte ihm diese Bitte nicht abschlagen, nicht mal wenn ich es gewollt hätte. Sich derart zu öffnen, fiel jemandem wie ihm mit Sicherheit nicht leicht. Das beeindruckte mich zutiefst – und auch mein Herz war bewegt, wie ich zugeben musste. Sämtlicher Ärger war vergessen, vorerst. Nach diesen Worten wollte ich mir unbedingt anhören, was er zu sagen hatte.

„Okay“, stimmte ich daher zu. Flüsternd, was meiner Abgeschlagenheit zuzuschreiben war. „Auf das bisschen Zeit mehr oder weniger kommt es auch nicht mehr an.“

Sofort schloss Ciar die Augen und atmete erleichtert durch. „Danke.“

Er löste sich von mir und griff wieder gezielt nach meinem Arm, band den Schal weiter um meine Verletzung. „Mein Wagen ist nicht weit weg. Lass uns dort reden, dann kannst du auch was trinken. Einen Snack hab ich da sicher auch noch irgendwo rumliegen.“

Meine Mundwinkel zuckten ein wenig nach oben. „Wichtiger als irgendein uralter Snack bin ich dir also dann doch nicht?“

„Zum Scherzen geht es es dir offenbar nie zu schlecht.“ Auch Ciar schmunzelte leicht. „Das gefällt mir echt gut an dir. So, fertig. Dann mal auf, ich stütze dich.“

Nickend ließ ich es zu, dass er mir auf die Beine half und stützend vorwärts führte. Immerzu ging er rücksichtsvoll mit mir um und bekam dafür nur Misstrauen von mir zurück. Ausnahmsweise wollte ich ihm vertrauen und sehen, wohin das führte. Zumal ich mich nach seiner Offenheit auch nicht mehr gegen den zarten Hauch der Freude wehren konnte, dass er mich die ganze Zeit über gesucht und gefunden hatte.

 
 

***

 

In Ciars Auto arbeitete die Heizung auf Hochtouren, heizte den Innenraum ordentlich auf. Nur für mich, weil ich so durchgefroren war, meinte er. Mir tat die Wärme überraschend gut, darum beschwerte ich mich nicht. Vielmehr war ich damit beschäftigt die Dose Cola zu trinken und aß dabei einen Müsli-Riegel aus dem Handschuhfach. Jeder Winkel meines Körper schrie förmlich vor Glück auf, so nötig hatte er es gehabt.

„Guck auf die Straße“, murmelte ich mittendrin, noch kauend. „Mir zu helfen lohnt sich nicht, wenn du dann einen Unfall baust.“

„Ich will mich nur davon überzeugen, dass du wirklich isst und trinkst.“

„Sehe ich aus wie ein Kleinkind, das du beaufsichtigen musst?“

„Wer von uns wäre denn beinahe unter einer Brücke eingegangen?“, konterte Ciar, mehr angespannt als stichelnd.

Schwerfällig zuckte ich mit den Schultern. „Ich fand's schön da.“

„Du bist ein grauenvoller Lügner.“

Danach lenkte Ciar den Blick zurück auf die Straße. Er fuhr mit mir irgendwo hin, wo wir unsere Ruhe hätten. Laut ihm suchten einige nach mir und von denen wollte er nicht gestört werden, wenn er mir seine Erklärung für alles lieferte. Wer mochten diese anderen sein? Faren? Kieran? Vincent? Ob es ihm inzwischen wieder besser ging?

„Okay, hier sollte es gehen“, riss Ciar mich aus meinen Gedanken.

Träge hob ich den Kopf und sah mich um. Wir standen mit dem Wagen nun mitten in dem bescheidenen Industriegebiet der Stadt, zwischen irgendwelchen Fabriken, die ich nicht kannte. Ich fragte mich, welcher Wochentag sein mochte, denn es sah alles schon dicht und verlassen aus. Möglicherweise weil es abends war, die Sonne hatte sich fast gänzlich verabschiedet.

Interessiert sah ich ihn an. „Warum sollte mich hier keiner suchen?“

Woher wollte er das wissen?

„Weil diese Gegend nicht zu den üblichen Orten gehört, an denen du dich für gewöhnlich herumtreibst“, behauptete Ciar, während er den Motor ausschaltete – es dürfte für die nächste Zeit eh warm genug bleiben.

Zwar hatte er schon mal erwähnt, dass er mich angeblich ziemlich gut kannte, aber mir war immer noch nicht klar woher. Vor meiner Begegnung mit Kieran hatte ich nichts mit ihm zu tun gehabt. Oder war dieser Teil auch Opfer des Vergessens geworden? Wenn ich mich nicht mal an die Gesichter meiner Familie erinnerte, warum sollte es bei Ciar anders sein?

Ciars leises Lachen zog meine Aufmerksamkeit wieder auf sich. „Schade, dass du dein Gesicht gerade nicht sehen kannst.“

„So sieht man nun mal aus, wenn man verwirrt ist.“

„Schon gut, ich bemühe mich, das zu ändern“, versprach er und lehnte sich im Sitz zurück, ohne sich abzuschnallen. Kurz schwieg er und starrte in die Ferne, bevor er weitersprach. „Mal sehen, wo fangen wir am besten an? Wie wäre es damit: Ich war eine Totgeburt.“

Du hast mich gerettet

Ich kam zwar vor Kieran auf die Welt, aber ich starb schon bei der Geburt. Mein Herz hatte aufgehört zu schlagen, einfach so. Kieran dagegen war rundum gesund und quicklebendig. Er schrie, strampelte und atmete. Mir konnte nicht mehr geholfen werden.

Mich aufzugeben war für meine Eltern aber nicht drin, den Verlust wollten sie nicht akzeptieren. In dem Punkt sind wir uns erstaunlich ähnlich. Als Mitglieder des Echo-Instituts stand ihnen eine fragwürdige, jedoch besondere – und einzige – Option zur Verfügung: Würfel, voller vitaler Energie, die gut verschlossen zu Forschungszwecken im Labor lagerten.

Sie nahmen einen davon und wagten das Experiment, ihn mir einzupflanzen. Zur Überraschung aller mit krönendem Erfolg. Plötzlich zeigte ich Lebenszeichen und mein regloses Herz kam dank der Kraft des Würfels endlich in Bewegung. Allerdings blieb ich anfangs extrem kränklich und musste sogar künstlich beatmet werden. Die ersten Monate meines Lebens saß ich daher auf der Krankenstation im Institut ab – vielleicht ist mir deshalb das Konzept Heimat auch heute noch fremd –, bis ich irgendwann mal stabil genug war und mit meiner Familie nach Hause gehen durfte.

Ähnlich wie du stand ich weiterhin unter strenger Beobachtung. Jeder wartete geradezu angespannt darauf, welche Auswirkungen das Herz eines Echos in einem kleinen Kind auslösen würde. Anders als bei Kieran sahen meine Eltern mich stets mit einer gewissen Furcht in den Augen an und behandelten mich auch ganz anders. Im Umgang mit mir blieben sie übertrieben vorsichtig, berührten mich nicht zu innig und sprachen nicht allzu emotional mit mir, vermutlich weil sie verhindern wollten, dass der Würfel in irgendeiner Form an Macht gewann.

Ciar, du musst dich kontrollieren, hieß es andauernd. Bewahre in jeder Lage Ruhe, dann wird alles gut.

Mit anderen Worten: Wage es ja nicht, in irgendeiner Art und Weise Lebensfreude zu entwickeln. Für mich hatte es sich genau so angefühlt. Jedes Mal musste ich mich zusammenreißen, sobald ich glücklich oder traurig war, mir etwas gefiel oder mich ärgerte. Letzteres geschah ziemlich oft, Frust war bei so einem Druck halt abzusehen. Von Anfang an hatten ich und mein Umfeld mit meinen unkontrollierbaren Wutausbrüchen zu kämpfen, die meistens aus dem Nichts kamen. Natürlich wussten aber doch alle, woran das lag. Böses, unreines Herz des Echos – aber hey, lieber im Namen der Wissenschaft Leben retten und gleichzeitig neue Erkenntnisse gewinnen!

Zu diesem Übel kam obendrein die Wirkung meiner Stimme hinzu. Gerade in Rage konnte das unangenehme Folgen haben. Damals begriff ich nicht, wieso manche Dinge, die ich sagte, aber nicht so meinte, Realität wurden. Wenigstens war es in diesem Fall bei Kieran genauso. Dieses Problem war unsere einzige Verbindung zueinander und gleichzeitig der größte Auslöser für Auseinandersetzungen zwischen uns.

Auch für ein Kind vergingen die Jahre nur langsam, wenn man so langweilig leben musste wie ich. Ein bisschen bilde ich mir ein, dass ich deswegen wesentlich früher an Reife gewann als Kieran, sofern man von den Wutausbrüchen absah. Mutter blieb überwiegend auf ihrem Arbeitsplatz im Labor und Vater brachte Echos unter Kontrolle, also kümmerte sich größtenteils unser Onkel – als Arzt war seine Zeit aber auch stark begrenzt – oder jemand aus dem Institut um uns.

Eine richtige Bezugsperson hatte ich nicht. Zu keinem konnte ich eine enge Beziehung aufbauen, woran mein aggressives Wesen schuld war. Manchmal zerstörte ich in meiner Wut einen Teil der Inneneinrichtung unseres Hauses und machte meinem Bruder sowie unseren jeweiligen Babysittern Angst. Obwohl ich von allen immer und überall genau im Auge behalten und möglichst nicht unbeaufsichtigt gelassen wurde, blieb ich unbeschreiblich einsam. Auf mich wirkte die Welt kalt, leer und das Leben sinnlos. Wie in einem bitter traurigen Drama.

Bis ich zehn Jahre alt war, hatte ich, trotz meiner Wutausbrüche, bisher niemals jemanden ernsthaft verletzt. Klar, dass es eines Tages auch dazu kommen musste. Es geschah, als meine Familie im Frühling nach Ewigkeiten wieder einen dieser seltenen Ausflüge unternahm, für die Stärkung unserer Bindung zueinander. Warum ich mitgenommen wurde, verstand ich nicht. Mich hätte man besser zu Hause, bei einer Aufsichtsperson, lassen sollen. Was hatte ich davon, mir anzusehen, wie harmonisch die Beziehung meiner Eltern zu Kieran war und ich stand nur als Störfaktor daneben?

Eskalation vorprogrammiert. Bei diesem Ausflug brachte mich dieses familiäre Bild, zu dem ich nicht dazugehörte, zur Weißglut. Mitten bei diesem schönen – öden – Picknick in der Natur ging ich Kieran wortwörtlich an die Gurgel, ohne jeglichen Verstand. Ich wünschte mir so sehr, dass mein Bruder leidet, so wie ich, darum ging ich etwas zu weit und hätte ihn fast erwürgt. Meine Mutter bekam einige Hiebe von mir ab, als sie versuchte uns zu trennen.

Erst meinem Vater gelang es letztendlich, indem er zum ersten Mal handgreiflich mir gegenüber wurde. Du kennst ihn inzwischen, normalerweise bleibt er die Ruhe in Person und trägt keinen Funken Gewalt in sich. Dieser sonst so friedliche Mann war wegen meiner Tat auf einmal so aufgebracht und laut gewesen, es jagte mir einen riesigen Schrecken ein. Seinen Blick werde ich niemals vergessen können. Nachdem Kieran gerettet und ich auf Abstand gebracht worden war, sah er mich verzweifelt an, ratlos, warum ich so etwas tat.

Kieran heulte wie ein Wasserfall. Mutter starrte aufgewühlt vor sich hin und war sprachlos, was absolut untypisch für sie war. Keiner von ihnen sagte es laut, aber ich konnte es mir durchaus selbst zusammenreimen. Ich war ein Monster. Mein mangelndes Mitgefühl für Kieran, dem ich grundlos Gewalt angetan hatte, war das eindeutige Zeichen dafür. Was meine Familie fühlte ging mir am Arsch vorbei. Alles war mir egal.

Also tat ich etwas, das dir bekannt vorkommen dürfte: Ich rannte weg.

Ja, ich ergriff die Flucht und beschloss, diese Familie zu verlassen. Alleine war ich besser dran, dachte ich. Niemand folgte mir. Schritt für Schritt kam ich schließlich der Ortschaft Limbten näher, deinem Heimatdorf. Da Erwachsene dazu neigten, Kindern ohne elterliche Aufsicht in der Nähe unbedingt helfen zu wollen, blieb ich bevorzugt im Gestrüpp und hinter Bäumen versteckt – so jung und schon so gerissen.

Schließlich verließen mich meine Kräfte und ich sackte irgendwo zwischen abgebrochenen Ästen und einigen Blumen auf dem Gras zusammen. Dort blieb ich sitzen und tat einfach nichts. Zahlreiche Gesichter kamen mir in den Sinn, denen ich bislang begegnet war, und ich realisierte, dass alle eines gemeinsam hatten: Die stille Erwartung, etwas Schlimmes müsste jede Sekunde passieren, sobald sie mich ansahen.

Wenn jeder mir mit dieser Einstellung begegnete, musste es der Wahrheit entsprechen, dachte ich. Anscheinend war ich wirklich ein gefährliches Monster. Ich wollte keines sein, aber ich wusste nicht, was ich dagegen tun sollte. Okay, so super war ich in dem Alter dann leider doch noch nicht. Kind bleibt eben Kind.

Wehe, du kommentierst das jetzt, doch ich fing an zu … weinen. In der Tat, selbst der legendäre mächtige Ciar verdrückte als Kind mal ein paar Tränchen. Erfreue dich an dieser einen Peinlichkeit, mehr als diesen einen Punkt wirst du an mir nicht entdecken können. Schwäche gehört nicht mal mehr zu meinem Wortschatz. Was? Spare dir bitte jede Anmerkung auf Logik. Nur weil ich es sage, kenne ich das trotzdem nicht!

Nun saß ich also da. Allein, schluchzend und verloren. Ein Häufchen Elend. Achtung, hier kommt das Klischee: Ein Kätzchen. In einem Gebüsch, nur wenige Meter entfernt, raschelte es und ein leises Miauen lenkte mich von meiner Trauer ab. Blinzelnd hob ich den Kopf und starrte irritiert in die Richtung, aus der dieser Laut gekommen war. Kindliche Neugierde trieb mich dazu aufzustehen und dem auf den Grund zu gehen.

Das Gebüsch hatte Dornen und ich stach mich einige Male, als ich mir mit den Händen ein Guckloch durch das grüne Geäst schuf. Überrascht stellte ich fest, dass sich wirklich ein Kätzchen dort drin versteckte. An die Fellfarbe erinnere ich mich nicht mehr, nur an die blutende Verletzung am Hinterbein, wegen der es sich nicht mehr richtig bewegen konnte. Nein, es tat mir nicht leid. Der Anblick löste überhaupt nichts in mir aus, mein Herz blieb kalt wie Eis. Dennoch war mir klar, dass es Hilfe benötigte und vielleicht sterben würde, bliebe es dort sich selbst überlassen.

Vorsichtig beugte ich mich etwas vor und griff mit einer Hand nach dem Kätzchen. Statt mir dankbar entgegen zu kommen, begann es plötzlich bedrohlich zu fauchen und versetzte mir einen Schlag mit der Pfote. Erschrocken riss ich die Hand zurück und ließ von dem Gebüsch ab, stolperte einige Schritte zurück. Aus den feinen Kratzern tropfte ein wenig Blut.

Wie hypnotisiert fixierte sich mein Blick darauf. Dieser leicht ziehende Schmerz und das kräftige Rot reizten meine Sinne mehr, als sie sollten. Da spürte ich es dann deutlich. Meine Brust schien vor Hitze anzuschwellen und das rasende Herzklopfen rauschte in meinen Ohren, es schmerzte weitaus mehr als diese blutenden Kratzer an meiner Hand. Sie zitterte wie verrückt, mein ganzer Körper bebte regelrecht.

Dann verlor ich schlagartig die Beherrschung.

Etwas in mir brannte so stark, dass ich es nicht aushielt.

Mein Gehirn setzte aus.

„Blödes Mistvieh!“, schrie ich heiser und meine Hand fuhr zurück in das Gebüsch. „Du greifst mich an?! Schön, dann bin ich halt dein Feind! Ich bin das Monster, wenn ihr das alle so sehr wollt!“

Weitere Schnitte kamen hinzu, durch die Dornen, worauf ich aber nicht achtete. Gewaltsam riss ich einige Äste aus, die mir im Weg waren, um die Katze packen zu können. Erneut fauchte sie auf und zappelte wie unter Strom, als ich sie mit einem festen Griff am Rückenfell grob hervorholte. Ohne nachzudenken warf ich sie kräftig zu Boden und klemmte ihren Schwanz unter meiner Schuhsohle ein, so dass sie mir nicht entkommen konnte.

Schreiend schlug ich auf sie ein. Die Welt um mich herum ergraute und verschwamm, wurde bedeutungslos. Jeder Fausthieb entfachte das Feuer in mir noch mehr. Bald kreischte das hilflose Wesen am Boden nur noch vor Panik und Schmerzen, während meine Stimme allmählich versagte. Mir wurde schwindelig. So heiß, dass ich innerlich verbrannte.

„Hey, hör auf!“, mischte eine fremde Stimme sich aus heiteren Himmel ein. „Hör auf die Katze zu schlagen!“

Jemand schlang von hinten die Arme um mich und riss mich ruckartig zurück, wodurch wir das Gleichgewicht verloren. Wir fielen rückwärts zu Boden. Nach wie vor brannte mein Verstand lichterloh in den Flammen, weshalb ich mich wie ein wildes Tier loszureißen versuchte und brüllte: „Lass mich los! Misch dich nicht ein!“

„Mach das nicht!“, bat der Fremde eindringlich. „Das darfst du nicht tun! Du wirst das total bereuen!“

„Ich mache nur das, wofür ich geboren wurde!“, platzte es verzweifelt aus mir heraus.

Erfolgreich riss ich mich los, fuhr herum und schlug als nächstes auf die Person unter mir ein, von der ich unterbrochen worden war. Sie wehrte sich nicht. Sie schrie nicht. Vielleicht war sie schon tot, bevor ich es wahrnehmen konnte, doch ich machte einfach weiter. Schlug zu, bis die Erschöpfung meine Glieder schwer werden und erschlaffen ließ. Abrupt verlor ich sämtliche Kraft und brach beinahe keuchend zusammen.

Schweiß tropfte von meiner Stirn und ich schnappte hastig nach Luft, mein Herz war immer noch unerträglich laut. Selbst wenn ich gewollt hätte, könnte ich nicht mehr zuschlagen. Ich war am Ende.

„... Geht es dir jetzt wieder besser?“, fragte mein zweites Opfer, auf dem ich saß, mich besorgt. „Du siehst nicht gut aus.“

Verwirrt über die Sorge in der Stimme wanderte mein Blick verschwommen zum Gesicht der Person. Etwas Blaues konnte ich erkennen, mehr noch nicht. Kurzzeitig erschien ein Meer vor meinem geistigen Auge, verwandelte das penetrante Rauschen in den Ohren zu einem sanften, wohltuenden Klang, der meine Seele hin und her wiegte, mich beruhigte. Bald sah ich, dass es sich um Haare handelte. Schulterlange, strahlend blaue Haare. So etwas Faszinierendes hatte ich noch nie gesehen.

„Sorry, ich weiß, meine Haarfarbe ist komisch“, murmelte derjenige mit der blauen Haarpracht beschämt.

Es war ein Junge, ein Kind. Offenbar jünger als ich, er war noch ein ganzes Stück kleiner. Blut lief aus seiner Nase und meine Schläge hatten ihm sichtbar zugesetzt. Und doch sah ich nicht den kleinsten Hauch von Angst in seinen Augen, wie ich es von anderen gewohnt war. Nur Sorge und Unsicherheit, so unschuldig, dass es mich panisch zurückschrecken ließ. Kaum saß ich nicht mehr auf ihm, richtete er sich keuchend auf und strich dabei einige Haarsträhnen aus dem Gesicht.

So hatte ich dich kennengelernt.

„Schon gut, du musst keine Angst haben“, beruhigtest du mich. „Ich bin Ferris. Wer bist du?“

„Angst?“, wiederholte ich ratlos. „Ich?“

Du nicktest. „Ja, du sahst echt richtig ängstlich aus.“

Nervös warf ich einen Blick über die Schulter, aber das Kätzchen war fort. Bestimmt war sie geflohen, als ich von ihr abgelassen und mich auf dich konzentriert hatte. Blutspuren waren alles, was von ihr geblieben war. Jetzt kroch sie vermutlich noch schwerer verletzt durch die Gegend und überlebte ohne Hilfe mit Sicherheit nicht mehr lange. Nur wegen mir.

„Wir gehen sie suchen“, schlugst du vor. „Dann bringen wir sie zu einem Arzt und sie wird wieder gesund, keine Sorge. Dafür sind Ärzte da. Ärzte sind wie Magier~.“

„Ich ...“ Tief gruben sich meine Finger in die Erde hinein. „Das wollte ich nicht ...“

Anfangs hatte ich nichts empfunden, ihre Verletzung war mir nicht nahe gegangen. Auf einmal war das anders. Sie tat mir leid. Eigentlich war sie genau wie ich nur verzweifelt gewesen, weil sie verletzt war und nicht wusste, was sie tun sollte, außer anderen zu misstrauen und sich zu verteidigen. Ging ich nach ihr suchen, schlug ich sie womöglich nochmal. Davor fürchtete ich mich.

Während ich zitternd dasaß, kamst du näher, bemüht darum, nicht dabei bemerkt zu werden – du warst schlecht darin. Bei mir angekommen legtest du ungefragt die Arme um mich und drücktest mich an dich. „Papa sagt, Umarmungen sind die beste Medizin. Bei meiner kleinen Schwester hilft das auch immer. Geht es wieder?“

Wie warm sich so eine Umarmung anfühlte. Du hattest noch keine Ahnung davon, was für eine unheimliche Bosheit in mir ruhte, in Form dieses Würfels. Das konnte aber nicht der Grund für deine Fürsorge sein, du wolltest mir wirklich helfen. Vor deinen Augen hatte ich auf ein wehrloses Wesen eingeschlagen, danach auch auf dich, und trotzdem warst du so nett zu mir. Als wüsstest du, dass ich eigentlich gar nicht so sein wollte.

Mir kam es so vor, als hätte mein Herz erst an diesem Tag endlich angefangen richtig aus eigener Kraft zu schlagen, kaum dass ich die Umarmung erwiderte und mich verlegen – ja, ich war da noch jung – bei dir bedankte. Der Würfel rückte in den Hintergrund und nahm auch die letzten Funken Hitze mit sich.

 
 

***

 

Leider konnten wir das Kätzchen nicht mehr finden, wir sahen es niemals wieder. Zum Trost sagtest du, dass es garantiert von einer anderen Person zum Arzt gebracht worden war und es ihr gut ging. Derart hoffnungsvoll war ich nicht, doch mir gefiel diese Vorstellung mehr als ihr kläglicher Tod durch die Einwirkung meiner Schläge. Falls sie gestorben sein sollte, kam sie sicher in den Himmel.

Nach diesem Vorfall warst du der erste Freund, den ich je hatte. Du brachtest quasi Licht in mein Leben. So oft wie möglich bemühte ich mich darum, dich in Limbten zu besuchen, was schwierig war. Meine Eltern schöpften Verdacht, weil ich oft um weitere Ausflüge bat, was mir nicht ähnlich sah, aber sie gingen darauf ein. Bald konnte ich mich nicht mehr einfach wegschleichen, also brachte ich mir bei, sie gezielt mit der Wirkung meiner Stimme abzulenken – da wird wieder mein Genie deutlich.

Niemand sollte wissen, dass du mein Freund warst. Zu groß war die Angst, sie könnten mir das verbieten, weil ich eine Gefahr darstellte. Eine tickende Zeitbombe für jeden, der nicht mit mir umzugehen wusste. Allerdings fühlte ich mich in deiner Nähe stets so lebendig und klar im Kopf, es gab keine bösen Gedanken oder Stimmen mehr, von denen ich beeinflusst wurde. Dich zu sehen war für mich lebenswichtig geworden.

„Ciar!“ Dein Gesicht begann jedes Mal freudig zu strahlen, sobald du mich sahst. „Du bist echt gekommen~.“

Wir trafen uns stets heimlich, an dem Ort, wo wir uns zum ersten Mal begegnet waren. Auch du hattest deiner Familie nichts von mir erzählt, auf mein Bitten hin.

Mit einem leichten Lächeln erwiderte ich deine herzliche Begrüßung. „Sicher, genau wie die ganzen letzten Male. Ich halte meine Versprechen.“

„Du bist toll“, schwärmtest du mir vor. Deine Hand griff nach meiner und du zogst mich mit dir durch die Natur von Limbten. „Komm, ich will dir was zeigen!“

Dein Griff war kein bisschen verkrampft, nicht wie bei anderen. Du hieltest mich ganz fest, ohne Gewalt auszuüben. Warst mir oft so ungewohnt nah und hast mich sanft durch die ersten Tage unserer Freundschaft geleitet. Umso schlimmer waren die Zweifel, die immer schnell in mir aufkamen, wegen jeder Kleinigkeit.

Vorsichtig sprach ich etwas an, das mich beschäftigte: „Sag mal, vertraust du mir etwa nicht?“

„Hm?“ Ratlos blinzeltest du mich an. „Wie meinst du das?“

„Du hast doch gedacht, dass ich diesmal nicht komme, obwohl ich dich bis jetzt niemals versetzt habe ...“

„Oh!“, gabst du verstehend von dir. Kräftig fingst du an den Kopf zu schütteln – du hast echt viele niedlichen Gesten gemacht. „Nein, so ist das nicht. Ich vertraue dir total, ehrlich.“

Mein zweifelnder Blick ließ dich bedrückt zu Boden schauen. „Weißt du, Ciar … ich habe die ganze Zeit Angst, dass du irgendwann nicht mehr kommst, weil sonst nie jemand mit mir spielen will, außer meine Schwester.“

„Wieso glaubst du das denn?“ Mir war nicht klar, worauf du hinaus wolltest. „Du musst doch ganz viele Freunde haben.“

Wieder schüttelte dein Kopf hin und her, diesmal nicht mehr so enthusiastisch wie vorher. „Nein, hab ich nicht. Die anderen finden mich schräg, wegen meinen Haaren. Sie haben nur Spaß daran, mich zu ärgern, aber mehr nicht.“

„Sind die blöd“, sagte ich, zutiefst empört. „Deine Haare sind großartig, sie sehen aus wie das Meer. Ich mag sie.“

Meine Worte brachten das Strahlen zurück in dein Gesicht, sogar deine Augen glitzerten vor Freude. „Echt?! Also bleibst du ganz ehrlich immer mein fester, bester Freund, ja?“

„Immer“, stimmte ich schmunzelnd zu. Mir tat deine Offenheit wahrlich gut. „Du bist auch mein einziger, bester Freund, Ferris.“

„Wie cool~.“ Aufgeregt schwang deine Hand, mit der du meine nach wie vor festhieltest, munter vor und zurück. „Ich bin so froh, dass ich dich getroffen hab. Ich hab dich lieb.“

Etwas überrumpelt hob ich die Augenbrauen. „Äh, sagt man das nicht eher nur zu Mädchen? Oder zu seinen Eltern?“

„Mein Papa sagt, Gefühle kennen keine Regeln.“ Lächelnd nicktest du mir zu. „Wenn man jemanden gern hat, ist es egal, wer oder was diese Person ist. Oder was sie mal getan hat. Darum soll ich ruhig auf mein Herz hören, aber nicht mit fremden Erwachsenen in langen Mänteln mitgehen.“

„Da hat er recht“, lachte ich amüsiert – ich verstand die Sorge in dieser Warnung schon besser als du. „Dein Papa scheint ein guter Mann zu sein.“

„Du musst ihn mal treffen“, batest du mich. „Er wird dich verstehen, ganz sicher. So wie ich.“

Zufrieden sah ich dich an. „Mir reicht es, wenn nur du mich verstehst.“

Wenn ich sage, dass es die schönste Zeit meines Lebens war, schäme ich mich überhaupt nicht dabei. An diesen Teil der Kindheit, zusammen mit dir, denke ich gerne zurück. Wir hatten uns, alles schien gut zu sein. Meinetwegen hätte das ewig so weitergehen können.

Unsere gemeinsame Zeit hielt aber traurigerweise nicht lange an. Schon nach den ersten Treffen mit dir bemerkte ich diese unheimlichen Gestalten, von denen du verfolgt wurdest. Sie kamen nach und nach näher. Bevor ich in Erfahrung bringen konnte, worum es sich bei ihnen handelte und wie man gegen sie vorgehen musste, war es bereits zu spät.

Plötzlich kamst du dann nicht mehr zu unserem Treffpunkt. Schuld war der Brand, der alles zerstört hatte. Dein Haus. Dein Leben. Unsere Zweisamkeit.

Wieder wuchs diese unbändige Wut in mir, gefolgt von Panik. Außer deinem abgebrannten Haus hatte ich keinerlei Anhaltspunkte darüber, wo du abgeblieben warst, wie es dir ging und ob du noch lebtest. Du warst einfach weg. Von unserer Freundschaft war keinem etwas bekannt, wer hätte mir Bescheid geben sollen? Darum lief ich lange in Limbten umher und versuchte die Bewohner dort über dich auszufragen.

Es war nicht leicht, aber dank meiner Fähigkeiten, die ich schon nahezu perfekt zu benutzen wusste, konnte ich herausfinden in welchem Krankenhaus du lagst – in unserer Stadt – und beschloss, dich dort zu besuchen. Lästige Anhängsel wie Aufsichtspersonen abzuwimmeln hatte ich mittlerweile gut drauf, da machte mir keiner etwas vor. Man war genervt von meiner rebellischen Phase, das war aber nicht mein Problem.

Das Krankenhaus aufzusuchen war also nicht schwer gewesen. Aufgeregt rannte ich die Treppen hinauf in das Stockwerk, auf dem du lagst. Für den Aufzug hatte mir die Geduld gefehlt. Da gab es etwas, das ich dir unbedingt mitteilen musste und ich hoffte, dir etwas Hoffnung dadurch zurückgeben zu können. Diese Nachricht musste dich wieder ein bisschen glücklicher machen, darauf baute ich.

Mit diesem Glauben klopfte ich an deine Zimmertür und trat ein, nachdem ich vergeblich auf eine Einladung gewartet hatte. Ich befürchtete, deine Verbrennungen könnten zu schlimm gewesen sein. Der Gedanke, du könntest doch nicht mehr da sein, schnürte mir die Luft ab und ließ meinen Hals trocken werden. Umso erleichterter war ich, als ich dich in einem der Krankenbetten sitzen sah. Übersät mit Verbänden und an irgendwelchem medizinischen Zeug angeschlossen, aber atmend und lebend. Mir fiel ein Stein vom Herzen.

„Ferris?“, sprach ich dich an und trat zu dir ans Bett. „Ich bin's.“

Sämtliches Leben schien dich verlassen zu haben, deine Augen waren leer und glanzlos. Abgemagert sahst du auch aus. Blass wie eine Leiche. Das machte mich so traurig, ich wagte kaum dich zu berühren, weil du sonst gänzlich zerbrechen könntest. Ich hätte dir gerne geholfen, doch zu dem Zeitpunkt wusste ich noch nicht wie.

Mühevoll wandtest du mir den Blick zu, nahmst mich jedoch kaum wahr. „Ciar?“

Dieser sterile Geruch im Krankenhaus war widerlich und fühlte sich an wie Gift in der Lunge. Auch das einheitliche Weiß trug nicht gerade zum Wohlbefinden bei, sondern zog einen erst recht in die Leere hinein, die in deinem Herzen ein Loch gerissen hatte. Nicht mal die bunten Blumen, klischeehafte Geschenke für Kranke, konnten etwas daran ändern.

„Ja, genau.“ Mitfühlend sah ich dich an. „Ich habe gehört, was passiert ist. Es tut mir leid.“

Kraftlos sank dein Kopf nach unten. „Alle sind … tot.“

Ähnlich wie Feuer erfüllten die letzten Sonnenstrahlen des Tages den Raum mit einer bedrückenden Atmosphäre. Außer uns beiden war niemand da. Ein zweites leeres Bett stand einige Meter weiter neben deinem. Von irgendwo wollten Flüsterstimmen in meinen Kopf eindringen und mir ihr dunkles Verlangen mitteilen, was ihnen nicht gelang. Ich konzentrierte mich nur auf dich.

„Das stimmt nicht!“, wandte ich rasch ein und legte beide Hände auf deine Bettdecke. „Weißt du noch, dass wir durch Zufall herausgefunden haben, dass unsere Väter beide beim Echo-Institut arbeiten? Ich hab meine Eltern heimlich belauscht und etwas Tolles erfahren: Nicht alle sind bei dem Hausbrand in Limbten gestorben! Du lebst, und dein Vater auch.“

Eine weitere Person schwebte angeblich noch in Lebensgefahr, ich wusste nur nicht wer genau. Im Moment wollte ich dir lieber nur die guten Nachrichten mitteilen. Sicher täten es sonst in nächster Zeit die Ärzte aus dem Krankenhaus, aber so lange durfte ich dich auf keinen Fall warten lassen. Hoffnungsvoll wartete ich auf eine positive Reaktion deinerseits und lehnte mich etwas vor, lag schon halb auf dem Bett.

„Hörst du? Dein Vater le-“

„Nein!“, unterbrach deine zitternde Stimme mich. „N-nein. Das ist ...“

Unsicher wich ich ein bisschen zurück. „Ist das etwa nicht … gut?“

Innerhalb von Sekunden wurden deine Augen glasig. „Doch, es ist gut, aber … aber ...“

„Aber was?“

Mit meinen zehn, zu dem Zeitraum fast elf, Jahren verstand ich noch nicht sonderlich viel von Traumata oder den Folgen eines Schocks. Ich war mir sicher gewesen, dich aufbauen zu können. Warum du so unerwartet verängstigt reagiert hattest, war mir ein Rätsel. Dein Zustand verschlimmerte sich drastisch.

„Dad wird mich hassen“, brachtest du schluchzend hervor. Heftig schütteltest du den Kopf. „Wenn er hört, dass ich es war … dass ich schuld bin, warum alles abgebrannt ist, wird er mich hassen!“

„Bestimmt nicht!“, wollte ich optimistisch sein, dabei kannte ich deinen Vater noch gar nicht persönlich. Schnell stieg ich zu dir auf das Bett und legte die Arme um dich, so wie du es bei mir gemacht hattest. „Du hast das sicher nicht absichtlich getan, so wie ich nicht wirklich das Kätzchen verletzen wollte. Weißt du noch? Alles wird gut, dein Vater wird-“

„Wird er nicht!“, donnerte deine Stimme durch das Krankenzimmer. Wie ein Schlaghammer, der alles auseinanderreißen wollte. „Es wird nicht aufhören! Nichts wird gut werden! Ich will nicht, dass noch mehr meinetwegen verbrennen! Ich will das nicht!“

Erst verstand ich nicht, was das bedeuten sollte. Dann traf mich die Erkenntnis mit Entsetzen. Deinen Worten nach musste schon irgendwann vorher mal ein Feuer in deiner Nähe ausgebrochen sein und jemanden verletzt haben. Als ich mir vorzustellen versuchte, wie viel Leid und Schuldgefühle du mit dir herumschleppen musstest, hielt ich das kaum aus. Behütend drückte ich dich noch fester an mich und betete dafür, dass Umarmungen wirklich die beste Medizin waren, so wie du gesagt hattest.

„Bitte, Ferris, sag das nicht“, suchte ich nach Worten. „Du bist ein guter Mensch, du brauchst nur Hilfe. Ich kann dir helfen. Du hast mich gerettet, als du mein Freund geworden bist. Lass mir Zeit herauszufinden was ich tun kann, um dich zu retten.“

Es kam mir vor, als würdest du dich in Rauch verwandeln und mir durch die Finger gleiten. Einfach verschwinden. Deine Verzweiflung besaß solch große Ausmaße, ich nahm sie so wahr als wäre es meine eigene. Zu allem Überfluss wurden die Stimmen um uns herum lauter und wollten beachtet werden, die Echos labten sich an der offenen Wunde in deinem Herzen. Nutzten meine Hilflosigkeit, um mich genauso zu übernehmen.

„Ich kann nicht“, entschuldigst du dich, plötzlich ganz leise. Aus deiner Stimme war eine hauchzarte Emotion geworden, deren Zerbrechen nicht mehr aufzuhalten war. „Sie sind überall. Ich höre sie. Das halte ich nicht aus. Ich will das nicht mehr hören.“

„Ich finde einen Weg, dass sie weggehen“, versprach ich.

„Und wie?“

„Ich weiß nicht.“ Mir fehlte eindeutig ein Plan. „Gib mir Zeit!“

„Warum kann ich das alles nicht einfach vergessen? So dass es niemals da war?“ Mit einem lautstarken Splittern zerbrach die Emotion und deine Stimme gewann eine ungeheure Intensität. „Ich will das alles vergessen.

Kaum ausgesprochen, erschlaffte dein Körper in meinen Armen und dein Atem setzte aus. Sofort löste ich mich nervös von dir und sah dich an. Blut lief aus deiner Nase. Eine Menge davon. Erstarrt vor Schreck konnte ich im ersten Augenblick nur dasitzen und dem siegreichen Gelächter der Echos lauschen. Dann gewann ich die Kontrolle zurück und fing an dich zu schütteln.

„Ferris?! Ferris! Was hast du?! Wach auf! Ferris!“

Aus heiterem Himmel strömten Krankenschwestern und Ärzte herbei, angelockt von meinen Schreien. Unaufhörlich rief ich deinen Namen, doch das brachte dich nicht zurück. Von der Körperkraft her waren die Erwachsenen mir überlegen, also wurde ich kurzerhand nach draußen gezerrt und konnte nichts mehr tun. Das Warten begann. Warten auf die Nachricht, ob sich das Leben für mich überhaupt noch lohnte oder ich gleich hier aufgeben konnte.

Ärzte, die sogenannten Magier, konnten dich wieder stabilisieren, du warst am Leben. Aber deine Erinnerungen waren nicht mehr vollständig. Du konntest dich weder an den Brand, noch an deine Familie erinnern. Durch diese Lücke im Gedächtnis hatten sich auch deine Emotionen gelegt und du warst vorerst nicht mehr sonderlich interessant für die Echos. Also verstummten auch die Stimmen.

Ich manipulierte mit meiner Stimme eine Krankenschwester, um mich unbemerkt aus dem Krankenhaus schleichen zu können, nachdem ich sicher sein konnte, dass du zumindest weiterleben würdest. Mir war bewusst, auf Dauer könnte diese Lösung dich nicht schützen. Mit meinen fast elf Jahren gab ich die Kindheit endgültig auf, und fing an ernsthaft zu planen.

Planen, lernen, trainieren … besessen bemühte ich mich darum, stärker zu werden. Jemand zu sein, der dich beschützen und nächstes Mal wirklich retten könnte, statt tatenlos daneben sitzen zu müssen. Dafür beschloss ich, dich nicht mehr persönlich zu sehen. Der direkte Kontakt zu mir hätte dir noch nichts gebracht, außer möglicherweise das Erwachen deiner vergessenen Erinnerungen. Aus dem Grund blieb ich auf Abstand – und entwickelte mich über die Jahre zum erstklassigen Stalker.

Natürlich wollte ich wissen, wie dein Leben verlief und ob du weiterhin vor Echos sicher warst. In unregelmäßigen Abständen suchte ich unbemerkt deine Nähe oder beobachtete dich aus der Ferne, hielt alles Wissenswerte über dich aktuell. Ich konnte nur an dich denken. Du hast keine Ahnung, wie unerträglich die Sehnsucht nach dir wurde, vor allem als du Kieran kennenlerntest. Vor Eifersucht kehrten die Wutausbrüche zurück.

Sie ließen aber schnell nach, als ich feststellen musste, dass die Echos ihr Interesse an dir zurückgewannen, kaum dass du mitten in der Pubertät ankamst. Im Echo-Institut wird niemand ausgebildet, dessen Emotionen nicht kontrollierbar sind. Eine Menge Arbeit stand mir bevor. Kurz gesagt: Zehn ewig lange Jahre verbrachte ich damit, mich zu stärken und darauf vorzubereiten, dich zu beschützen.

Und was bin ich heute? Nicht nur der beste Stalker weltweit, besser sogar als Faren, sondern ein geübter und talentierter Jäger, fest angestellt im Echo-Institut. Während meiner nächtlichen Schichten kümmerte ich mich gezielt darum, dein Umfeld von diesen Wesen rein zu halten. Jeder Würfel, den ich in mir aufnahm, verriet mir alles, was das jeweilige Echo durch Beobachtung über dich erfahren hatte.

Wie du weißt, stolperte ich schließlich über jenen, durch den der Brand damals verursacht worden war, und nahm das als Anlass dafür, mich dir endlich wieder zu nähern. Den Rest hast du ab der Stelle selbst miterlebt. Ehrlich gesagt kam mir das gelegen, denn ich wollte nicht, dass du dein Herz mehr und mehr an Kieran verlierst. Nicht nur, dass er dich sowieso verletzte, indem er sich für Faren entschied, ich will derjenige an deiner Seite sein, Ferris.

Zehn Jahre habe ich nur für dich gelebt, ohne das du es wusstest.

Zehn Jahre lang konntest du dich nicht mal daran erinnern, dass es mich gibt.

Zehn Jahre plante ich, wie ich dich von deinen Leiden und der Verzweiflung befreien kann.

Jetzt sitze ich hier, mit dir zusammen, möchte dir mein Herz öffnen, kann es aber nicht. Seit du dir im Krankenhaus selbst die Erinnerungen gelöscht hattest, wollte ich nicht riskieren, so etwas erneut heraufzubeschwören. Letztendlich ruht in mir nämlich immer noch ein schlafendes Monster, mit dem man nicht gerne Zeit verbringt. Darum behielt ich meine wahren Gefühle für mich und spielte das, was sowieso jeder in mir sah.

Hass war leichter zu handhaben als Liebe und Vertrauen.

Wie einst möchte ich dich hiermit aber ein weiteres Mal darum bitten: Gib mir die Chance, dich zu retten. Ich will dich unbedingt retten, Ferris.

Warum hast du nichts gesagt?

Ich war sprachlos. Mein gesamter Wortschatz floss davon wie Wasser und ließ mich mit dieser bildgewaltigen Geschichte von Ciar alleine.

Dank seines ersten Satzes, laut der er eine Totgeburt gewesen sein sollte, hatte er sich meine Aufmerksamkeit direkt zu Beginn gesichert. Schweigend dazusitzen und zuzuhören, ohne ihn zu unterbrechen, war mir unbeschreiblich schwer gefallen. Nahezu jedes Detail löste den unstillbaren Drang in mir aus Fragen zu stellen. Ganz genau nachzuhaken, bis ich es wirklich richtig in meinen Kopf hinein bekäme und verstehen könnte.

Unentwegt wiederholte sich Ciars letzter Satz in meinem Kopf und blieb lebendig, aber ich konnte das alles trotzdem noch nicht begreifen. Was er mir erzählt hatte, war mehr gewesen, als ich jemals geahnt hätte. Bei dieser Vielfalt an Enthüllungen war es mir unmöglich zu entscheiden worauf ich mich zuerst konzentrieren sollte – oder was ich jetzt überhaupt tun wollte.

Ciar sagte nichts mehr und sah mich auch nicht an, sondern hatte sich im Sitz zurückgelehnt, den Blick nach vorne gerichtet. Er gab mir die Zeit, die ich brauchte, ohne mich zu bedrängen. Obwohl er mich nicht zu beachten schien, glaubte ich, dass er sofort wieder auf mich fixiert wäre, sobald ich die Stille brach. Für mich war dieser Gedanken überaus beruhigend.

Draußen war es inzwischen stockdunkel geworden und der Sturm hatte sich gelegt. Jedenfalls hörte ich das Rauschen des Windes nicht mehr. Das Industriegebiet war nicht so gut beleuchtet wie die Innenstadt, fiel mir auf. Um diese Uhrzeit sollte sich hier niemand mehr herumtreiben, dazu gäbe es keinen Grund. Es sei denn, man wollte wortwörtlich von der Dunkelheit verschlungen werden.

Je länger ich nur herumsaß und versuchte mir die ganzen Szenen nochmal durch den Kopf gehen zu lassen, desto schlimmer wurde das Chaos. Eigentlich gab es nur drei Dinge, die mich in diesem Moment interessierten. Über die ich reden und etwas mehr erfahren wollte. Also sollte ich einfach mit diesen Punkten anfangen.

Statt die Stille durch Sprechen zu beenden, verbannte ich vorher die leere Verpackung des Müsli-Riegels zurück ins Handschuhfach, was ein leises Knistern verursachte. Somit war die Stimmung schon etwas gelöster. Nur die Dose Cola behielt ich in den Händen, so konnte ich meine Unruhe ein wenig mehr auf das Drehen dieses Gegenstandes lenken.

„Und was ist jetzt mit Faren?“, wollte ich wissen, nach wie vor seltsam nervös deswegen. „Du interessierst dich also nicht für ihn?“

Von Ciar folgte darauf ein unterdrücktes Prusten. „Nach allem, was ich dir erzählt habe, ist es ausgerechnet das, wonach du mich zuerst fragst?“

„Schön, dass du das so witzig findest“, sagte ich entmutigt – hätte ich besser doch nichts gesagt.

„Ich finde das nicht witzig, sondern einfach richtig süß von dir.“

Süß? Wenn er niedlich gesagt hätte, wäre das die verspottende Variante gewesen, aber so klang es tatsächlich ernst gemeint. Dennoch kam ich mir eher veralbert vor, statt mich geschmeichelt zu fühlen. Diese Beschreibung passte ganz und gar nicht zu mir. Ich war alles andere als süß.

„Spare dir jede Widerrede“, schob Ciar hinterher, bevor ich mich dagegen äußern konnte. „Ich würde mir gerne einbilden, dass du eifersüchtig bist, aber das ist es sicher nicht. Hast du Angst, nur die zweite Wahl zu sein, weil Kieran sich schon die bessere Version von dir geschnappt hat?“

Volltreffer, Ciar – unglaublich.

„Du hältst mich für so niveaulos?“ Seufzend griff Ciar sich mit einer Hand an die Stirn und tat besonders gekränkt. „Faren geht mir sowas von am Arsch vorbei.“

Daran zweifelte ich noch stark. „Warum hast du ihn dann angemacht?“

„Woher willst du denn wissen, ob ich das mal getan habe?“

Wir sahen uns einige Sekunden eindringlich an, bis Ciar nachgab, allerdings sichtlich widerwillig. „Na schön, ja, ich hab ab und zu in der Vergangenheit mit Faren geflirtet.“

„Aha.“ Also doch. „Verstehe.“

„Tust du nicht.“ Ciar lehnte sich etwas nach vorne und starrte wieder geradeaus in die Dunkelheit. „Hast du mir etwa überhaupt nicht zugehört? In meinem Leben gibt es seit Jahren nur noch dich. Als ich sagte, dass derjenige, den ich liebe, wie du aussieht, meinte ich auch dich. Den Ferris in dir, der seine Erinnerungen damals gelöscht hat.“

Er schloss die Augen. „Zehn Jahre können verdammt lang sein. Ich hatte Sehnsucht nach dir. Sogar jemand wie ich kann dann mal schwach werden und da Faren dir ähnlich sieht, hab ich ihn eben als Dummy benutzt.“

„Huh?“ Das verwirrte mich etwas. „Wie, als Dummy?“

„Um schon mal für den Ernstfall zu üben, ein Crashtest-Dummy halt.“ Ciar öffnete nur ein Auge, mit dem er in meine Richtung schielte. „Wie gesagt, ich bin nicht gut mit Worten und Gefühlen. Und offenbar hab ich am Ende doch kläglich versagt, als ich dir ein Liebesgeständnis machen wollte.“

Endlich verschwand dieses erdrückende Gefühl in der Brust, mein gesamter Körper schien auf einmal wesentlich leichter zu werden. Es gab eigentlich keine Gründe mehr, wegen denen ich daran zweifeln könnte, dass jemand wie Ciar, ausgerechnet er, in einen hoffnungslosen Typen wie mich verknallt sein sollte. Ihm war es ernst. Das freute mich sogar irgendwie, was mich jedoch gleichzeitig verunsicherte.

Was empfand ich denn für Ciar? Klar, inzwischen wusste ich, dass ich ihn mochte und mich seine Anwesenheit mit Sicherheit erfüllte. Trotzdem konnte ich noch nicht mit Gewissheit sagen, ob ich über Kieran hinweg war. Irgendwie kam ich mir schäbig vor, selbst nicht zu wissen, ob ich in Ciar einen Ersatz für Kieran sah, aber ihm mit Faren genau das vorgeworfen hatte.

Mein inneres Dilemma musste offensichtlich sein, denn Ciar kam mir entgegen: „Ich erwarte keine Antwort von dir, also zerbrich dir darüber erst mal nicht den Kopf. Warten ist inzwischen eine meiner Spezialitäten. Willst du jetzt gerade nicht lieber etwas über das andere große Thema wissen?“

Erst musste ich darüber nachdenken, worauf er damit hinaus wollte, doch dann fiel es mir schnell ein. „Ah, ja … ist es wahr, dass mein Vater noch lebt?“

Zumindest hatte Ciar das in seiner Erzählung erwähnt und er wirkte nicht wie jemand, der über so etwas scherzte. Außerdem konnte ich mir gut vorstellen, dass ich nach dieser Nachricht vor zehn Jahren wirklich lieber alles vergessen wollte. Das klang ganz nach mir.

„Natürlich“, bestätigte Ciar, plötzlich viel gefasster als vorher. „Er ist auch heute noch gesund und munter. Mehr oder weniger, ist Ansichtssache.“

Wie er das meinte, kapierte ich nicht, genau wie etwas anderes: „Also kann man sich durch seine eigene Stimme echt selbst so krass beeinflussen?“

Kaum zu glauben. Mir kam das unmöglich vor, aber wenn man andere Menschen manipulieren konnte, lag es vielleicht doch nahe, dass es auch auf diese Weise funktionieren könnte. Echos waren immerhin ebenfalls Wesen, an deren Existenz ich nicht mal zu träumen gewagt hätte. Im Leben schien mehr möglich zu sein, als man ahnte.

„Unter bestimmten Umständen, ja.“ Für Ciar war das natürlich nichts Neues mehr, darum wirkte er dabei nicht sonderlich euphorisch. „Erfordert aber eine Menge Übung. Es sei denn, man trägt ein hohes Potenzial in sich, dann genügt meistens schon ein intensiver Gefühlsausbruch, wie bei dir. Die Gefahr, bleibende Schäden davonzutragen, ist dabei immens hoch – darum hat das Echo-Institut es verboten, sich selbst zu beeinflussen.“

„Wow. Das erklärt, warum ich so viele Macken habe. Ich muss damals einen heftigen Gehirnschaden davongetragen haben.“

„Das macht dich nur umso süßer“, betonte Ciar schmunzelnd. „Perfektion wäre total langweilig.“

„Wenn du meinst.“ Unbewusst rieb ich mir über den Arm, den er mit seinem Schal verbunden hatte. „Jetzt verstehe ich endlich, warum ich mich nicht mehr an die Gesichter oder Namen meiner Familie erinnern kann.“

Deswegen hatte ich oft ein schlechtes Gewissen gehabt. Meine Familie konnte nicht mal in meinen Erinnerungen weiterleben, obwohl sie es sicherlich verdient hätte. Letztendlich waren die Schuldgefühle niemals verschwunden, auch nicht durch den Gedächtnisverlust. Dumm gelaufen, Vergangenheits-Ich, aber du warst ja noch ein ahnungsloses Kind gewesen.

„Willst du dich denn wieder an sie erinnern?“

Ciars Frage traf einen wunden Punkt. Sofort kehrte sämtliche Anspannung zurück und ließ meine Glieder zittern. Mir war bewusst, dass ich nicht länger weglaufen durfte. Mein Vater hatte es nach all den Jahren verdient, die Chance zu bekommen, mir ins Gesicht zu schauen und über mich urteilen zu können. Womöglich fand er seit dem Brand ebenso keinen Frieden im Leben mehr wie ich und bräuchte einen Schuldigen. Also mich.

Diese Gedanken weckten die gleiche Angst in mir, die ich auch als Kind erlebt haben musste. Niemand wollte von seinem Vater, seiner Familie, gehasst werden. Nervös schluckte ich den Kloß im Hals herunter, der mich daran hindern wollte, Ciar eine Antwort zu geben. Eine Entscheidung war fällig. Zwar könnte ich es mir einfach von ihm sagen lassen, wer mein Vater war, aber ...

„Ich bin nicht wirklich scharf darauf“, gestand ich. Ich atmete durch und sah Ciar fragend an. „Aber ich glaube, ich könnte es schaffen, wenn ich nicht alleine bin. Würdest du bei mir bleiben?“

Eine geradezu perfekte Vorlage für allerlei amüsierte Bemerkungen, um mich zu necken. Zu meiner Erleichterung nutzte Ciar das aber nicht aus, sondern nickte mir zu und hob die Mundwinkel sogar zu einem leichten Lächeln an, das eine Menge Wärme ausstrahlte – mir vorzustellen, dass nur ich diese Seite zu Gesicht bekam, ergriff mein Herz, genau wie schon zuvor unter der Brücke.

„Ich bleibe bei dir, davon hält mich nichts und niemand ab. Erst recht nicht, wenn du es dir sogar wünschst.“

Beruhigt entspannte sich mein Körper wieder. „Dann möchte ich mich erinnern.“

An die Gesichter meiner Familie, damit ich mich nächstes Mal aufrichtig bei ihnen entschuldigen konnte, sobald sie mir erneut in einer Wahnvorstellung begegnen sollten. Ich wollte ihre Namen sagen und an sie denken können, so wie sie es verdient hatten. Wenn mich das zu sehr schmerzte, könnte ich den Druck ablassen, indem ich Echos jage. Und Ciar wäre auch bei mir.

„In Ordnung.“ Kaum merklich atmete Ciar durch, als würde er sich innerlich auf etwas vorbereiten. „Ich brauche nur noch deine Erlaubnis.“

„Wofür?“

„Meine Stimme bei dir einsetzen zu dürfen.“

„Heißt das, du willst das machen? Mir die Erinnerungen zurückgeben?“, reagierte ich überrascht.

„Ich habe diese Fähigkeit perfektioniert“, erklärte Ciar und wirkte dabei ziemlich stolz. So kannte ich ihn, seltsamerweise wirkte sich diese Attitüde mittlerweile beruhigend auf mich aus. „Dank der Würfel bekomme ich auch reichlich Intensität dafür zusammen, also hast du höchstens mit Kopfschmerzen zu rechnen. Machst du es selbst, zerschießt du dir vielleicht nur komplett dein Gehirn, das vermeiden wir besser.“

Verstehend nickte ich. Es wäre nicht das erste Mal, dass Ciar gezielt mit seiner Stimme einen Befehl auf mich wirkte. Bisher hatte er es stets mit Bedacht getan, um mich zu schützen, und wollte mich auch jetzt nicht einfach ohne Erlaubnis beeinflussen. Mein Vertrauen zu ihm gewann dadurch merklich an Stärke. An diesem Tag tat es mir leid, ihn anfangs für einen zwielichtigen Kerl gehalten zu haben, dem man nicht zu nahe kommen sollte.

„Gut, ich erlaube es dir.“ Ich kniff die Augen zusammen und sank tiefer in den Sitz. „Mach schnell, bevor ich es mir wieder anders überlege.“

Das ließ er sich nicht zweimal sagen. „Wie du willst: Entspann dich.

Ein wohliger Schauer erfasste meinen Körper. Eigentlich hatte ich erwartet, es wäre unangenehm, doch Ciars Stimme hallte sanft in mir wider und strich wie Balsam über meine Seele. Sie war stark und ungetrübt, weshalb ich mich ihr ohne Widerstand hingab. Ich ließ mich von ihr tragen.

Erinnere dich.

 
 

***

 

Ciar verabschiedete sich nicht, als er das Handy senkte und den Anruf beendete. „Er ist auf dem Weg und wird gleich hier sein.“

Nickend gab ich ihm zu verstehen, dass ich zugehört und verstanden hatte, während ich die Umgebung auf mich wirken ließ. Dank einer guten Kopfschmerztablette hatten wir diesen Schmerzen vorerst Einhalt gebieten können, also war es mir möglich, alles auf mich wirken zu lassen. Erstaunlich wie anders sich ein Ort plötzlich anfühlen konnte, obwohl er einem nicht fremd war.

Nichts hatte sich verändert, hier war es noch genau wie vor wenigen Tagen. Einzig eine feine, kaum sichtbare Staubschicht zog sich über einige Möbel, doch das blieb die einzige Veränderung im Gesamtbild. Die Einrichtung, eine Mischung aus antiken und modernen Elementen, war gleich geblieben. Auch die Atmosphäre schenkte einem noch die Geborgenheit, dank der man sich automatisch wohlfühlte.

An mir dagegen war einiges anders. Meine Erinnerungen waren zurück. Dank ihnen entdeckte ich nun die eine oder andere Kleinigkeit, die schon damals in meinem alten Zuhause da gewesen war. Zwar war unser sämtliches Hab und Gut verbrannt, aber anscheinend hatten mein Vater und meine Tante einiges neu gekauft und manches Hobby über die Zeit erweitert.

Mein Vater …

Wie auf Stichwort war ein hastiges Klimpern an der Haustür zu hören, was Ciar leise lachen ließ. „Sieh an, da hat er sich aber echt beeilt.“

„Er muss sich höllische Sorgen gemacht haben“, wurde mir reumütig bewusst.

Aufmunternd klopfte Ciar mir auf die Schulter. „Hey, es wird schon gutgehen. Glaub mir, er wird sich wahnsinnig freuen.“

„Ich hoffe es ...“ Das nervöse Zittern in meiner Stimme zeigte, wie aufgewühlt ich war. „Er hat ganz schön viel auf sich genommen, ohne etwas zu sagen.“

„Da ist er eben wie ich: Du bist uns wichtig. Wir wollten dich nur nicht überfordern.“

Nach diesen Worten trat Ciar einige Schritte zurück, kaum dass die Haustür kräftig zurück ins Schloss geworfen wurde und das anschließende Rascheln die Person ankündigte, die kurz darauf schon eilig zu uns in den Raum stürmte. In das Behandlungszimmer, wo auch das Aquarium mit seinem blauen Leuchten die Stimmung untermalte. Dort, wo ich bereits etliche Stunden auf dem Sofa gegessen hatte und die Therapie über mich ergehen lassen musste, ohne gewusst zu haben, wer dabei jedes Mal in Wahrheit vor mir saß.

„Ferris“, keuchte Vincent, verschwitzt von dem Sprint, den er hingelegt haben musste.

Ihn zu sehen tat unbeschreiblich gut. Obwohl er gerade alles andere als der coole, stets gefasste Therapeut war, dessen Geduld endlos zu sein schien. Die Erschöpfung stand in seinen Augen geschrieben, seine Haltung war ungewohnt lasch. Was hatte er die vergangenen Tage über wohl durchgemacht? Ich wagte es nicht, mir das auszumalen. Jemand wie Vincent vergaß sich leicht selbst und steckte all seine Energie in das Wohl anderer.

„Hey“, entgegnete ich zaghaft. „Ich bin wieder da.“

Nur einen Tag nach meiner Nachricht, die ich Vincent auf die Mailbox gesprochen hatte, war er entlassen worden. Zum Glück hatte er sich so zeitig wieder erholen können, aber mein Abschied musste ihn dann schwer getroffen haben. Sofort brach eine schwere Last aus Schuld über mir ein und begrub mich innerlich unter sich. So etwas hätte ich ihm niemals antun dürfen. Dachte ich an so manche Sätze zurück, die sich Vincent von mir hatte anhören müssen, traute ich mich kaum noch etwas zu sagen.

Wie oft hatte ich ihn mit meinen Worten wohl verletzt? Hätte ich das früher gewusst, wäre ich anders mit ihm umgegangen. Weniger abweisend. Warum hatte ich ihm nicht mal wenigstens meine Dankbarkeit gezeigt, für all seine Mühen? Warum …

„Warum hast du nichts gesagt?“, brachte ich nur mühevoll hervor.

Vincents Erschöpfung wandelte sich zu Ratlosigkeit, mit der er mich ansah – in seinen Augen glaubte ich einen Funken Hoffnung zu erspähen, ein kurzes Aufleuchten. „Was genau meinst du?“

Eigentlich hatte ich mir vorgenommen mich zusammenzureißen und nicht gleich mit meinen Gefühlen auszubrechen, aber Vincents Anblick machte mir das unmöglich. Sein Gesicht, das schwarze Haar und seine Stimme … all das war so vertraut und versetzte mich in meine Kindheit zurück. Damals war Vincents Ausdruck weniger sorgenvoll gewesen, lebhafter. Ansonsten hatte er sich aber kein bisschen verändert.

Vincent war genau so, wie ich ihn in Erinnerung hatte. Immerzu um andere besorgt, verständnisvoll und einfühlsam. Er war mein Vorbild gewesen. Ich hatte ihn richtig, richtig lieb gehabt.

„Du hast nichts gesagt“, wiederholte ich weinerlich, beide Hände zu Fäusten geballt, weil ich nicht wusste, wo ich mit ihnen hin sollte. „Und ich hatte oft nur blöde Sprüche für dich übrig. Es tut mir so leid. Ich … ich ...“

Vincent sagte irgendetwas, doch seine Stimme erreichte mich gerade nicht und schien zu weit entfernt zu sein, als dass ich sie wahrnehmen könnte. Nichts weiter als ein Echo, das verstummte, bevor es mich erreichte. In meinen Ohren trommelte mein Herzschlag so laut, ich konnte mich nicht auf ihn konzentrieren.

„Ich hatte Angst, dass du mich hassen wirst“, sprach ich einfach weiter und senkte den Kopf, um zu verbergen, dass ich anfangen musste zu weinen. „Ich dachte, du würdest mich abweisen. Aber du hast mich zu dir geholt und dich um mich gekümmert, ohne etwas zu sagen. Du hast mich nicht aufgegeben. Ich komme mir so dumm und undankbar vor, es tut mir wirklich leid.“

„Entschuldige dich nicht“, hörte ich Vincents Stimme auf einmal wieder ganz deutlich. Plötzlich schlang er die Arme um mich und hielt mich fest, war mir so nahe. „Du musst dich für nichts entschuldigen, Ferris. Es ist nicht deine Schuld.“

„Es tut mir trotzdem leid!“, stieß ich laut aus. Ich vergrub das Gesicht in dem Mantel, den Vincent trug und legte auch meine Arme um ihn. „Es tut mir leid, Papa!“

„Ist schon gut“, versuchte er, mich zu beruhigen, und fuhr mir mit einer Hand durch die Haare. Sie mussten furchtbar fettig sein, doch er störte sich nicht daran. „Ich bin einfach froh, dass es dir gut geht. Danke, dass du zurückgekommen bist.“

Ich konnte nicht mehr reden, weil ich so sehr weinen musste. Er war viel zu gut für diese Welt – und zu mir. Nichts als Ärger und Sorgen hatte ich ihm bereitet, aber trotzdem bedankte Papa sich bei mir, statt mich zurechtzuweisen oder mir Vorwürfe zu machen. Wie ein Jugendlicher, fast Erwachsener, kam ich mir in diesem Augenblick nicht vor, vielmehr wie das kleine Kind von damals. Vielleicht war es in Ordnung, das für diesen Moment einfach zuzulassen. Wir hatten viel Zeit verloren, da war für Scham keinen Platz.

„Ich weiß nicht, warum du dich wieder erinnerst, aber ich freue mich darüber“, teilte Papa mir mit, seine Stimme war so gefühlvoll wie noch nie. „Es wird alles wieder gut.“

Normalerweise hätte ich dem widersprochen, diesmal tat ich es nicht. Ob sich mein Leben von jetzt an bessern würde, wagte ich noch nicht zu glauben. Vorerst wollte ich es aber Papa endlich leichter machen und mich für ihn öffnen, um ihm keinen Kummer mehr zu bereiten. Zwar könnte ich ihm weiterhin nicht alles verraten, denn Ciar wollte nicht, dass bestimmte Details an Licht kamen, doch unser Zusammenleben dürfte zukünftig harmonischer ablaufen. Hoffentlich.

„Hast du dich verletzt?“, hörte ich Papa fragen, der sich bemühte ruhig zu klingen.

Mein Arm. Er musste den Schal bemerkt haben, den Ciar als Verband zweckentfremdet hatte. Erst nachdem Papa es erwähnte fiel es auch mir wieder ein. Daran, dass ich mich verletzt hatte, habe ich gar nicht mehr gedacht. Kaum vereint brachte ich einen neuen Grund zur Besorgnis mit – verdammt.

„Es ist nicht so schlimm, dass es genäht werden müsste“, mischte Ciar sich aus dem Hintergrund ein. „Wenn wir es ordentlich desinfizieren und verbinden, genügt es, morgen einen Arzt aufzusuchen.“

Wäre ich nicht mit weinen beschäftigt gewesen, hätte ich mich bei ihm für diese Unterstützung bedankt. Durch einen Arztbesuch wollte ich mir dieses Wiedersehen nicht schon frühzeitig ruinieren lassen, sondern einfach mit Papa hier bleiben. Zu Hause.

„In Ordnung, das klingt nach einem guten Plan“, fand Papa.

Ciar gab einen triumphierenden Laut von sich. „Der ist ja auch von mir. Meine Pläne sind immer genial~.“

Seine selbstverliebte Art brachte mich zum Lachen, weshalb ich mich etwas von Papa lösen musste, um anständig Luft zu bekommen. Den Abstand nutzte er dafür, mir einige Tränen aus dem Gesicht zu wischen und mich zu mustern. Auch in seinen Augen glänzte etwas, das seine Gefühle widerspiegelte. Aber er konnte sich besser zusammenreißen als ich.

„Komm, päppeln wir dich erst mal auf. Danach reden wir in Ruhe.“ Während er das sagte, schlich sich auch bei Papa ein Lächeln ins Gesicht. „Und essen etwas Eis.“

Das Angebot konnte ich nur freudig annehmen. „Oh ja, awesome~.“

Bevor wir dieses Vorhaben aber in die Tat umsetzten, musste ich ihn unbedingt nochmal ausgiebig umarmen und seine Nähe genießen. „Ich hab dich vermisst, Papa.“

Er hat nichts Falsches getan!

Drei Spiralen, geschützt und zusammengehalten in einem Dreieck, stellten das Blätterdach dar. Als tragender Stamm dienten drei gerade Linien, wovon die mittlere dicker und ein kleines Stückchen länger war als die anderen beiden. Eine Art Baum. So sah das Logo des Echo-Instituts aus. Simpel, aber es hatte trotzdem etwas Cooles an sich. Es prägte sich gut ein.

Ich stand vor einem großen Schild, das an der Auffahrt jeden Besucher begrüßte, indem es in Großbuchstaben mitsamt dem Logo nochmal an den Namen der Einrichtung erinnerte. Kirschblütenbäume – übertrieben viele davon, mehr als in der restlichen Stadt – säumten den Weg zum Eingang und harmonierten mit dem strahlend weißen Anstrich einiger Gebäudeteile. Das Echo-Institut bestand aus mehreren Anbauten. Mittig ragte der Grundstein des Ganzen empor: ein modernes Hochhaus mit Spiegelverkleidung.

Mein erster Gedanke bei diesem Anblick drehte sich darum, dass es verdammt mühselig sein musste diese Glasflächen sauber zu halten. Selbst wenn dieser Job gut bezahlt wurde, stellte ich mir das öde vor. Erst danach fiel mir ins Auge, dass all die rosafarbenen Blütenblätter der Bäume doppelt so zahlreich wirkten, weil sie sich in dieser gläsernen Verkleidung widerspiegelten. Irgendwie magisch, zumal das Hochhaus dadurch zum Teil an Farbe gewann.

Sollte ich diesen Ort eher mit einer überteuerten Elite-Universität, einer einflussreichen Firma oder einem modernen Krankenhaus vergleichen? Von allem floss etwas in den ersten Eindruck hinein. Eines stand für mich aber schon fest, bevor ich das Teil auch von innen bewundern durfte: Ich kam mir total klein und schrecklich fehl am Platze vor – wie so oft, diesmal jedoch mehr als sonst.

„Warum können wir nicht einfach zu einem stinknormalen, bescheidenen Hausarzt gehen?“, klagte ich, für mich selbst.

„Weil gewöhnliche Ärzte keinerlei Kenntnisse über Echos vorweisen und demnach keine Behandlung in der Richtung leisten können“, bekam ich ungewollt eine Antwort, von meinem Vater – inzwischen war ich dazu übergangen Vincent mit Dad anzureden, was mir persönlich für mein Alter angemessener vorkam.

Er hatte noch den Taxifahrer bezahlt, dank dem wir hierher gekommen waren, und schloss nun zu mir auf. Einer von uns sollte definitiv endlich den Führerschein ergattern, um zukünftig solche Ausgaben vermeiden zu können. Dad war da aber anderer Meinung. Ihm gefiel die Vorstellung nicht mich ans Steuer einer tonnenschweren Maschine zu lassen, mit der ich jederzeit bei depressiven Schüben gegen die nächste Wand donnern könnte, und er selbst interessierte sich schlichtweg nicht für so etwas.

„Es geht doch aber eh nur darum.“ Demonstrativ hob ich meinen verletzten Arm, der gestern Abend noch mit einem richtigen Verband versorgt worden war. „Das hat nix mit Echos zu tun.“

„Ich muss ohnehin für eine Nachuntersuchung hier sein“, hielt Dad dagegen, „also ist es mir lieber, wenn Dr. Belfond dich bei der Gelegenheit als Patient aufnimmt. Du sagtest in deiner Sprachnachricht, du weißt von den Echos.“

Mein Arm sank wieder schlaff nach unten. „Ja, stimmt schon. Aber Echos zerschneiden keine Arme.“

„Warum bist du dir da so sicher?“, fragte Dad aufmerksam.

Mist, ich musste besser aufpassen. Als Therapeut war er wirklich viel zu scharfsinnig. Das dürfte ab jetzt mit Sicherheit schlimmer werden, weil ich mich an alles erinnern konnte und er seinen väterlichen Pflichten mehr denn je nachkommen wollte. Allerdings hatte ich meine Abmachung mit Ciar nicht vergessen ...

„Mann, versuch nicht Dinge aus mir herauszukitzeln, die nicht da sind“, murrte ich schmollend. „Echos flüstern doch nur die ganze Zeit krankes Zeug vor sich hin, mehr machen die gar nicht.“

Prüfend blieb Dads Blick auf mich fixiert. „Meinst du? Echos können einiges mehr, Ferris. Vielleicht haben welche schon ihre Spuren bei dir hinterlassen, ohne dass du es merkst. Genau darum soll Dr. Belfond sich um dich kümmern.“

Keine Chance, Dad war eindeutig fest entschlossen, mich in das Echo-Institut zu schleppen. Dagegen käme ich niemals an, wie ich aus Erfahrung wusste. Führte ich diese Diskussion fort, könnte herauskommen, dass ich bereits gegen viele Echos gekämpft hatte und meine Fähigkeiten einzusetzen wusste. Zumindest zu diesem Zeitpunkt wollte ich das noch für mich behalten.

Seufzend wandte ich mich von ihm ab, um seinem Blick zu entgehen. „Wow, wenn unsere Vater-Sohn-Beziehung schon direkt mit so einem Zwang weitergeht, kann das ja heiter werden.“

„Du weißt, dass ich dir nur helfen will?“

„Wie lange muss ich mir diese Platte noch anhören?“

„Bis du mir vollkommen vertraust.“ Behutsam legte Dad einen Arm um meine Schultern und strich dabei mit der Hand seitlich über meinen Oberarm. „Keine Sorge, dir wird nichts passieren. Du musst nicht nervös sein.“

„Bin ich nicht“, log ich halbherzig.

Nicht wegen dem Besuch an sich, vielmehr wegen Ciar. Anscheinend war er nach Hause gegangen, nachdem ich gestern vor Erschöpfung auf dem Sofa im Wohnzimmer eingeschlafen war. Also wusste ich nicht, was er davon hielt, dass mich Dad ausgerechnet hierher brachte. War meinetwegen Ciars Plan jetzt ruiniert? Hätte ich in der Sprachnachricht nichts von Echos erwähnt, wäre Dad sicher stattdessen mit mir zu einer stinknormalen Praxis gefahren – oder auch nicht.

Zwar kapierte ich Ciars Plan nach wie vor nicht so ganz, aber ich fühlte mich schuldig. Nach dem, was er für mich getan hatte, zehn lange Jahre über, machte ich alles unnötig komplizierter. War er deswegen gegangen? Obwohl ich mich wirklich freute, wieder mit meinem Vater vereint zu sein, war ich unbeschreiblich enttäuscht gewesen, als Ciar an diesem Tag nicht mehr bei mir gewesen war.

Dafür hatte Dad über mich gewacht, die gesamte Nacht – Kunststück, wenn man sowieso kaum schlief. Er war damit beschäftigt gewesen meine Akte zu bearbeiten, während er auf einem Sessel neben dem Sofa gesessen hatte, wo er mich gut im Blick behalten konnte. Seine Anwesenheit war für mich beruhigend gewesen, als ich aufgewacht war. Jedenfalls bis die Enttäuschung über Ciars Abwesenheit eingesetzt hatte.

„Du siehst nicht gut aus“, bemerkte Dad besorgt. „Komm, gehen wir rein. Ich bin bei dir.“

Vorsichtig schob er mich Richtung Eingang und hielt mich weiterhin fest. Ich wehrte mich nicht dagegen, sondern ließ mich einfach von ihm führen. Viel zum Reden waren wir gestern zwar nicht mehr gekommen, doch es fühlte sich genauso vertraut an wie damals.

Einige Minuten später waren wir mitten im Echo-Institut unterwegs, liefen gezielt zur Krankenstation. Ich überließ stets Dad das Reden, wenn es um die Anmeldung und sonstige Fragen ging, während ich immerzu den Blick hin und her schweifen ließ. Leider gab es nichts Außergewöhnliches zu entdecken. Genau wie draußen waren die Gänge innerhalb des Gebäudes modern angehaucht und sahen äußerst gut gepflegt aus. Beinahe langweilig – lief hier etwa keine Action ab?

Ab und zu wurden wir unterwegs von Leuten gegrüßt, natürlich allesamt Bekanntschaften von Dad. Jeder verhielt sich freundlich und offen, den meisten musste er irgendwann mal geholfen haben, so wie mir. Wahrscheinlich wunderte sich deswegen niemand über mich als Dads Begleitung. Ob jemand wusste, dass ich sein Sohn war? Diesbezüglich gab es noch einige Fragen zu klären.

Zum Beispiel, warum ich im Waisenhaus gelandet war, statt dass man mich zu Dad zurückgeschickt hatte. Vielleicht war er nach dem Brand lange Zeit im Krankenhaus gewesen, oder ich war ihm egal geworden. Diese Befürchtung traf aber garantiert nicht zu. Kein einziges Mal löste er den Arm von mir, seit wir am Echo-Institut angekommen waren, als könnte ich sonst einfach plötzlich wieder verschwinden. Ihm lag also etwas an mir. Mich ins Waisenhaus abzuschieben musste andere Gründe gehabt haben.

Schuldgefühle, ertönten leise Stimmen in meinem Kopf, begleitet von einem Klirren. In meinem Geist stießen einige der Würfel gegeneinander. Das sind nur die Schuldgefühle, mehr nicht.

„Da wären wir“, kündigte Dad an.

Wir kamen vor einer Tür zum Stehen. Laut einem Schild an der Wand daneben handelte es sich um das Behandlungszimmer von Dr. Vane Belfond. Irritiert sah ich mich um, konnte jedoch keinen Wartebereich entdecken, wie man es von normalen Arztpraxen her gewohnt war. Unsere Anmeldung vorhin an diesem einem Schalter musste ausreichend gewesen sein. Außer uns war gerade sonst niemand auf dem Gang zu sehen.

Da Dad an die Tür klopfte, lenkte ich meine Aufmerksamkeit wieder nach vorne. Von der anderen Seite ertönte eine Stimme, von der wir herein gebeten wurden. Dem kamen wir sofort nach, wobei Dad mich zuerst in den Raum eintreten ließ. Dafür löste er tatsächlich den Arm von mir. Bedeutete das, er war überzeugt davon, dass mir hier nichts passieren und keine Flucht gelingen könnte?

„Ah, ich habe euch erwartet“, sagte die Stimme von eben. Ihre Klarheit trug reine Güte in sich. „Es ist schön, euch zu sehen. Vor allem zu zweit.“

Überrascht wich ich einen Schritte zurück, kaum dass ich sah, von wem wir begrüßt wurden. „Hä? Du bist das? Ich meine, Sie?“

Vor mir stand der Vater von Ciar und Kieran, keinen Zweifel! Das ellenlange, dunkelbraune Haar und die Gesichtszüge waren unverkennbar. Diesmal trug er eine Brille, die ich mir bei unserem ersten Treffen vor Monaten schon gut an ihm hatte vorstellen können. Ein warmherziges Leuchten lag in seinen Augen, was durch die Gläser auf seltsame Weise verstärkt zu werden schien. Bereits das war irritierend, denn ich hatte Hiwa als ernsten und schweigsamen Riesen in Erinnerung.

Der Typ hier strahlte dagegen regelrecht mit seinem offenen Lächeln und den sanften Gesichtszügen, wie ausgewechselt. Mit zusammengekniffenen Augen begutachtete ich den Mann nochmal ausgiebig, doch ich konnte mich nicht irren. Äußerlich sah diese Person genauso aus wie Hiwa.

Meine Reaktion ließ den Arzt amüsiert auflachen. „Diesen Gesichtsausdruck kenne ich. Hat Ciar dir etwa nicht erzählt, dass ich der Zwillingsbruder von Hiwa bin?“

Zwillinge?!“, entfuhr es mir ungläubig. „Liegt das etwa bei Ihnen in der Familie? Ciar und Kieran sind doch auch Zwillinge.“

„Nun, manchmal kommt so etwas durchaus vor. Für uns ist das keine große Sache“, meinte er und zuckte unschuldig lächelnd mit den Schultern. „Jedenfalls bin ich Vane, der Onkel von Ciar. Ich arbeite für das Echo-Institut als Arzt.“

Letzteres hatte er mir erzählt, also war ich wenigstens diesbezüglich nicht überrascht. Wieder ein Zwillingspaar, das sich offenbar kein bisschen ähnelte. Verglichen mit Hiwa stellte Vane das komplette Gegenteil von ihm dar, ein wenig wie bei Ciar und Kieran. Hätte ich einen Zwilling, wäre der dann so wie Faren?

Derweil sah Vane fragend Dad an. „Also wirklich, hättest nicht zumindest du ihn vorwarnen können?“

„Ich habe nicht daran gedacht“, gab Dad zu, mit gerunzelter Stirn. Diese Nachlässigkeit schien ihn unzufrieden zu stimmen. Vor Selbstkritik schreckte er offensichtlich nicht zurück. „Tut mir leid. Für mich ist es manchmal selbst schwer vorstellbar, dass Hiwa und du Zwillinge seid.“

„Dabei geben wir so tolle Zwillinge ab“, fand Vane, der das offenbar nicht allzu persönlich nahm. „Außer mir sieht das seltsamerweise niemand so.“

Einladend winkte er uns mit sich und ging zu der Liege, die sich an einer Wandseite des Raumes befand. Auch dieses Behandlungszimmer wirkte unerwartet normal. Noch merkte ich nichts davon, dass hier angeblich die Erforschung von Echos im Vordergrund stand. Schade, nach all den Kämpfen hatte ich mir etwas mehr Magie oder etwas dergleichen erhofft. Jeglichen Hauch von etwas Übernatürlichem suchte man hier vergeblich.

„Vincent hat mich schon über alles informiert“, erzählte Vane, mit einer bittenden Geste Richtung Liege. „Wir werden das schön langsam und ruhig angehen. Zeig mir am besten zuerst mal deinen Arm.“

Widerwillig nahm ich auf der Liege Platz, nachdem Dad mir mit der Hand einen leichten Schubs gegeben hatte. Arztbesuche zählten absolut nicht zu meinen Lieblingsbeschäftigungen. Ich hasste Ärzte. Alles in diesem Berufszweig. Sie glaubten stets zu wissen, was das Beste für einen war. Bislang hatte niemand von denen verstanden, warum ich tot sehr viel besser dran wäre als lebend. Nur für Dad riss ich mich ausnahmsweise zusammen.

Sorgsam kümmerte sich Vane die nächsten Minuten über um meinen Arm, unter der Aufsicht von Dad, der jeden Handgriff beobachtete. Daran ließ sich der Arzt nicht stören, sondern lächelte sogar ununterbrochen bei der Arbeit. Wirklich ein krasser Unterschied zu Hiwa, und auch zu Kieran – und erst recht zu Ciar. Noch dazu war dieses Lächeln nicht aufgesetzt, es wirkte absolut natürlich und vermittelte das Gefühl von Verbundenheit, als wäre man schon seit langem eng befreundet.

Dachte ich an Ciars Lächeln, erschien mir das von Vane nur noch halb so anziehend. Bekäme ich es jemals wieder zu Gesicht?

„In Ordnung, das hätten wir.“ Zufrieden beendete Vane die Behandlung meines Arms und nickte mir zu. „Es wird eine Narbe bleiben, aber verheilen. Das muss ganz schön schmerzhaft gewesen sein.“

„Eigentlich nicht so“, rutschte es mir heraus – es war halt die Wahrheit.

Dummerweise weckte das sichtlich die Sorge bei dem Arzt, der einen kurzen Blick mit Dad wechselte. Angespannt biss ich mir auf die Zähne, um mir jeden Kommentar zu verkneifen. Rebellion brachte mich hier mit Sicherheit nicht weiter. Ciar hätte besser mit dieser Situation umgehen können.

Im Anschluss folgte der Rest der Untersuchung, die überwiegend daraus bestand einige Werte zu ermitteln und eine Akte anlegen zu können. Sogar hierbei kam kein besonderes Gerät zum Einsatz, was mich immer mehr wunderte. Wo blieb das ganze Zeug? Hätte Dad das mit den Echos nicht so selbstverständlich aufgenommen, würde ich an dieser Stelle wieder befürchten mir doch nur etwas eingebildet zu haben. Aber dann müsste Ciar genauso verrückt sein wie ich, was ich mir beim besten Willen nicht vorstellen konnte.

„Ferris, ich muss dich das jetzt fragen“, setzte Vane schließlich an und ging vor mir ein wenig in die Knie, so dass wir etwas mehr auf Augenhöhe waren – bei so einem Riesen brachte das aber nicht viel. „Kannst du mir sagen, warum du dich wieder an alles erinnerst? Gab es einen Auslöser dafür?“

„Nein“, antwortete ich sofort. Auf keinen Fall wollte ich durch Zögern Misstrauen erwecken. „Sie waren einfach plötzlich wieder da.“

„Während der Zeit, in der du von zu Hause weggelaufen warst?“

„Ja.“

„Hast du Echos getroffen?“

„Nein.“

„Weißt du denn, wie sie aussehen?“

„Nein, ich höre sie nur.“

Warum artete das hier auf einmal in ein Verhör aus? Sollte Vane mich nicht nur verarzten? Auf so ein Fragespiel konnte ich verzichten, zumal ich nichts verraten durfte. Jedenfalls nicht, solange ich mich nicht mit Ciar darüber unterhalten hatte. Bis dahin musste ich versuchen mich möglichst ahnungslos dastehen zu lassen.

„Na schön“, fuhr Vane nachdenklich fort, ohne den Blick von mir abzuwenden. „Woher weißt du, dass wir diese Stimmen als Echos bezeichnen?“

Eiskalt erwischt. Darauf konnte ich nicht ausweichend antworten. Mir fiel keine Möglichkeit ein, wie man von selbst oder durch Zufall darauf kommen sollte. Jeder andere hätte sie nur als Flüsterstimmen oder so bezeichnet. Sowohl Vane als auch Dad schlossen für sich ein Ergebnis aus meinem Schweigen, mit dem sie direkt ins Schwarze trafen: „Ciar.“

„Er hat nichts Falsches getan!“, verteidigte ich ihn prompt.

Vane richtete sich wieder auf und legte eine Hand an sein Kinn. „Wir suchen keinen Schuldigen, Ferris. Uns geht es darum herauszufinden was passiert ist. Nur so könnten wir etwas gegen mögliche Folgeschäden unternehmen.“

„Ich habe keinen Bock mehr darauf, mit dir zu reden“, zischte ich leise.

„Ferris!“, ermahnte Dad mich.

Gereizt drehte ich mich in seine Richtung. „Was denn?!“

Ich konnte nicht anders. Plötzlich war ich unbeschreiblich wütend, weil es mir so vorkam, als wollte man Ciar etwas anhängen. Er hatte mir geholfen, auf seine eigene Art und Weise. Ihm lag mehr an mir als jedem anderen, seine Vergangenheit bestätigte das.

Trotzdem … ist er jetzt nicht bei dir, hörte ich die Zweifel hinterhältig aus der dunkelsten Ecke meines Inneren flüstern. Er kann dir viel erzählen. Du warst die letzten Jahre nicht bei ihm.

Wie von selbst sank mein Kopf schwer nach unten. Meine Stimmung sprang von Wut zu Unsicherheit über. Eigentlich hätte mir alles viel klarer sein sollen, mit meinen alten Erinnerungen. Jetzt kam ich mir noch verwirrter vor. Dad und ich hätten einfach zu Hause bleiben und unsere Wiedervereinigung feiern sollen, doch er musste ja immerzu so abnormal vernünftig sein.

„Ich möchte auf eine andere Art der Befragung eigentlich lieber verzichten ...“, murmelte Vane, dessen Zwiespalt deutlich herauszuhören war.

Schnell kapierte ich, wovon die Rede war: „Wow, im Ernst? Ihr würdet mich eiskalt mit Befehlen dazu zwingen, eure Fragen zu beantworten?“

„Darüber weißt du also auch Bescheid“, stellte er mit einem leisen Seufzen fest. „Das ist-“

„Geschmacklos“, beendete ich den Satz für ihn, womit ich meinen Unmut zum Ausdruck bringen wollte.

„Ciar hatte wirklich großen Einfluss auf dich, hm?“

„Es hat mir nicht geschadet.“

Schlagfertig zu sein war von Vorteil. So meisterhaft wie Ciar würde ich niemals werden, doch die häufigen Wortgefechte mit ihm hatten mich geschult.

„Schon gut.“ Entschuldigend hob Vane die Hände, die er anschließend in den Seitentaschen seines Kittels vergrub. „Ich habe nicht vor, meine Stimme bei dir einzusetzen. Nicht jetzt, so kurz nachdem deine Erinnerungen zurückgekehrt sind. Du sollst wieder fit werden und nicht noch mehr psychische Belastung erfahren.“

„Wie gnädig“, tat ich dankbar.

„Erhole dich erst mal eine Weile“, blieb Vane gelassen, statt sich angegriffen zu fühlen. „Und versuche in der Zeit mehr Vertrauen zu uns zu fassen. Ich muss dich nämlich bei Zeiten nochmal befragen.“

Genervt verdrehte ich die Augen. „Sonst werde ich doch gezwungen, was?“

„Ich werde mit Ferris in Ruhe darüber reden“, mischte Dad sich ein, dem die Anspannung ins Gesicht geschrieben stand.

Dankbar nickte Vane ihm zu. „Ich bitte dich darum. Du weißt, wie Jii sein kann.“

„Ja, nur zu gut ...“

Mir war egal, wer dieser Jii sein sollte. Ich nahm diesen Abschluss als Anlass dazu aufzustehen und ungeduldig zur Tür zu deuten. „Können wir dann wieder gehen?“

„Moment, ich muss auch noch deinen Vater untersuchen“, hielt Vane mich zurück.

Richtig, davon hatte Dad gesprochen. Ohne jegliche Aufforderung fing er gleich damit an seine Kleidung auszuziehen, bis der Oberkörper gänzlich frei lag. Sofort schnürte sich mir die Kehle zusammen. Seine Verbrennungen waren größer als ich dachte. Sie zogen sich über den Rücken zur Brust und zum Hals hinauf. An manchen Stellen waren sie seltsam violett verfärbt. In meinem Kopf spielte sich bereits das unheilvolle Knistern und Knacken von Feuer ab, wie es sich durch Holz und andere Hindernisse fraß.

Unruhig wich ich zurück. „Kann ich solange draußen warten?“

Beide sahen mich an, als könnten sie mir diese Eigenverantwortung unmöglich zutrauen. Bis sie die richtigen Worte gefunden hatten, mit denen sie mir diese Bitte schonend abweisen könnten, ergriff ich rasch die Initiative und schob eine Begründung hinterher: „Ich halte den Anblick nicht aus, also … du siehst an sich gut aus, Dad, aber die Verbrennungen … die machen mich fertig.“

Meine Erklärung fruchtete, sie sahen sich verstehend an, zögerten jedoch noch. Man hatte es wahrlich nicht leicht, wenn man als hochgradig Depressiver wie ein Kleinkind behandelt wurde. Vorwürfe konnte ich ihnen aber nicht machen, immerhin waren ihre Befürchtungen berechtigt.

„Ich laufe nicht weg“, gab ich mein Ehrenwort. „Den Ausgang würde ich eh nicht alleine wiederfinden. Ich werde ganz brav draußen vor der Tür warten.“

„Okay, dann geh ruhig“, erteilte Dad mir endlich die Erlaubnis. „Es wird nicht lange dauern.“

„Selbst wenn, ich hab keine anderen Termine.“

Winkend trat ich an die Tür und verließ das Behandlungszimmer mit schnellen Schritten. Auf dem Gang konnte ich erst mal aufatmen, die Anspannung ließ ein wenig nach. Mir war die Stimmung dort drin viel zu unangenehm geworden. Wie es aussah, hatte Ciar mich nicht umsonst vom Echo-Institut fernhalten wollen. Mir war gar nicht in den Sinn gekommen, dass man hier einfach mit Befehlen arbeiten würde, um an Antworten zu kommen. Dabei lag das ziemlich nahe. Selbst Ciar und auch ich hatten das schon getan.

Aber eigentlich … ist das echt mies, so etwas mit anderen abzuziehen.

Ändern konnten wir es nicht mehr. Zukünftig sollte ich mir genau überlegen, ob ich mit meiner Stimme den Willen von anderen nochmal manipulieren wollte. Sonst dürfte ich mich über die Methoden des Instituts nicht beschweren. Allerdings tat Ciar es jederzeit, ohne schlechtes Gewissen und so locker nebenbei, als wäre daran nichts falsch. Noch dazu sprach er die meisten Befehle für mich aus, um mich vor den Stimmen der Echos zu schützen.

Nachdenklich trat ich näher an die Fensterfront heran, die sich an der anderen Seite des Ganges entlang zog. Mein blaues Haar stach in der schwachen Spiegelung deutlich hervor. Wie das Meer, so hatte Ciar es bezeichnet. Jahrelang war ich wieder und wieder mit dem Gedanken beschäftigt gewesen, sie mir einfach zu färben. Schwarz. Nur mit dieser Farbe könnte ich das Blau anständig überdecken, doch ich hatte es nie getan. Irgendwie sträubte sich etwas in mir dagegen.

Konnte es sein, dass es an Ciar lag?

Als Kind hatte er meine Haare bewundert und betont, wie beruhigend er es fand sie sich anzuschauen und zu berühren. Ich erinnerte mich wieder daran, auch durch Ciars Erzählung. Das hatte mich richtig glücklich gemacht. Deswegen konnte ich es niemals übers Herz bringen sie schwarz zu färben.

Meine Hand glitt wie von selbst in die Hosentasche, aus der ich mein Handy herausholte. Bevor ich es mir anders überlegen könnte, verfasste ich geschwind eine Textnachricht und schickte sie an Ciar. Auf einmal hatte ich Sehnsucht nach ihm bekommen. Mir würde eine simple Antwort von ihm genügen. Ich wollte nur sichergehen, dass sich zwischen uns nichts verändert hatte. Zudem sollte ich ihn warnen, falls Vane ihn mal wegen mir zur Rede stellen wollte.

Boshaft versuchten die Zweifel in mir wieder, mich verrückt zu machen. Sie sagten mir, Ciar würde niemals antworten und nichts mehr mit mir zu tun haben wollen. Ihnen keine Beachtung zu schenken war nahezu unmöglich. Was tat ich, sollten sie recht behalten? Wäre mir Dad etwa nicht genug, um weiterleben zu wollen?

Wann war mir denn jemals etwas genug?

Das Vibrieren meines Handys wischte diesen Gedanken beiseite. Erwartungsvoll öffnete ich die erhaltende Nachricht, eine Antwort von Ciar. Zumindest kam sie von seiner Nummer. Was sie beinhaltete, ließ meine Zweifel jedoch nicht ruhiger werden. Wirre Buchstabenkombinationen bildeten merkwürdige Worte, von denen keines Sinn ergab. Falls das ein Rätsel sein sollte, das ich entschlüsseln müsste, fand ich das nicht witzig.

Je länger ich diese Hieroglyphen anstarrte, desto mehr wurde ich das ungute Gefühl nicht los, Ciar verschwand in eine für mich unerreichbare Ferne. Langsam, aber sicher.

Du hast es versprochen

Die Stimmung zwischen Dad und mir war der Inbegriff von Awkwardness geworden. Vorgestern hatten wir uns noch gegenseitig rührselig in den Armen gelegen, vor Freude geweint – eigentlich nur ich – und unser Glück kaum fassen können. Es war so gewesen, als hätte sich niemals etwas verändert. Daher hatte ich schon fest damit gerechnet, wir könnten einfach unser harmonisches Familienleben von damals wieder aufnehmen. Falsch gedacht.

Du hast recht, Ciar, ich sollte echt weniger denken, ging es mir durch den Kopf. Aber jetzt tue ich es schon wieder.

Früh morgens hatte Dad mich aufgeweckt und darauf bestanden, mit mir zu frühstücken. Widerwillig war ich dieser Bitte nachgekommen, doch machte mich die Müdigkeit heftig fertig. Stöhnend wie ein Zombie saß ich am Küchentisch. Um nicht mit dem Gesicht geradewegs in meinem Müsli zu landen und darin zu ersaufen, musste ich mich krampfhaft bemühen nicht im Sitzen einzupennen.

Daran lag es aber nicht, dass wir irgendwie kein Gespräch miteinander führen konnten und nur schweigend herumsaßen. Nicht nur. Schon weil ein wichtiger Teil unserer Familie fehlte, ließ sich das Leben von einst nicht wiederherstellen. Wahrscheinlich nie. Obendrein waren zehn Jahre vergangen, die wir getrennt voneinander durchgemacht hatten. Unsere Beziehung schwebte momentan zwischen Vertrautheit und Fremdartigkeit. Halt ein ganz komisches Gefühl.

Warum sollte es mir das Leben auch mal leicht machen?

„Schmeckt es?“, brach Dad dann die peinliche Stille.

Sein Frühstück bestand nur aus einem Kaffee und der Morgenzeitung. Wenn er anscheinend nicht der Typ war, der morgens etwas aß, warum musste ich es dann tun? Im Wachstum konnte ich mich kaum noch befinden. Da ich mir aber geschworen hatte, dass Dad es mit mir zukünftig etwas einfacher haben sollte, fing ich keine Diskussion an, sondern tat ihm weiterhin den Gefallen zu essen.

„Schon, ja“, antwortete ich schläfrig. „Sonst würde ich es nicht essen.“

„Nun, du isst nicht wirklich etwas davon“, merkte Dad an, wobei er die Zeitung umblätterte. „Du starrst zwar in die Schüssel, tust aber sonst nichts.“

„Oh.“ Mit einem Platschen fiel der Löffel in die Milch und ich lehnte mich weit zurück, um mich gähnend zu strecken. „Sorry, aber ich bin halt noch zu müde. Du kennst mich doch.“

„Wir werden deinen Biorhythmus niemals in normale Bahnen gelenkt bekommen, oder?“

Entschuldigend zuckte ich mit den Schultern. „Never ever.

„Hm, ich versuche trotzdem, mir etwas anderes einfallen zu lassen“, beschloss Dad, nach wie vor auf die Zeitung fixiert.

„Meinen sturen Kopf hab ich eindeutig von dir.“

„Etwas Gutes musst du ja haben.“

Sofort unterbrach ich das Strecken und beugte mich wieder nach vorne, sichtlich überrascht. „Nee, oder? Scherzt du hier gerade echt mit mir?“

„Ich versuche es jedenfalls“, gab Dad zu. Er ließ nun doch gänzlich von der Zeitung ab und sah mich unsicher an. „Es war aber nicht meine Absicht, es so negativ klingen zu lassen. Entschuldige.“

„Owww“, entglitt es mir entzückt. „Mach dir keinen Kopf. Solche Scherze kenne ich von Ciar, der macht das andauernd mit mir.“

„Und das stört dich nicht?“

„Nein, es ist immer ziemlich lustig.“

Bisher hatte ich mich noch bei keinem unserer Wortgefechte ernsthaft verletzt gefühlt. Bestimmt wollte Ciar mich mit denen immer nur von finsteren Gedanken ablenken, sobald er bemerkte wie meine Stimmung absackte. Darin war er unheimlich gut.

Eine Weile ließ Dad sich meine Worte durch den Kopf gehen, offenbar zweifelte er an den Spaß bei solchen Scherzen. Ihm fehlte schlicht die Gewohnheit darin und die Offenheit. Oder es konnte ihm als Therapeut nur unverständlich sein.

„Solange es dich nicht kränkt, ist es wohl in Ordnung“, meinte er schließlich, was mich beruhigte. Dann wechselte er plötzlich das Thema: „Ich würde dich gerne etwas fragen.“

Ich zog meinen Löffel aus der Schüssel hervor und machte im Anschluss eine einladende Geste, wodurch sich einige Tropfen Milch auf dem Tisch verteilten. „Schieß los.“

„Es geht um deinen Namen“, begann Dad vorsichtig. In seinen Augen funkelte eine stumme Erwartung. „Du trägst noch den vom Livio-Waisenhaus. Könntest du dir vorstellen, wieder deinen richtigen Familiennamen anzunehmen?“

Ich kam nicht mal dazu einen Ton von mir zu geben, da fügte er noch etwas hinzu: „Natürlich nur, wenn du das willst. Das soll kein Zwang sein.“

Unbewusst fing ich an in meinem Müsli herumzurühren. Dieses Angebot weckte das warme Gefühl von Geborgenheit in mir, weil es mir sagte, dass ich in meiner Familie wirklich willkommen war. Andererseits plagte ich mich noch mit Ungewissheit herum, wegen der ich zögerte. Bevor ich zustimmen konnte, müsste ich erst Klarheit darüber haben, weshalb ich damals überhaupt ins Waisenhaus abgeschoben worden war. Sicher hätte es genug andere Alternativen gegeben, Sephira zum Beispiel.

Je länger mein Schweigen anhielt, desto mehr glaubte ich Dad zu enttäuschen. Seine Mimik war zwar unverändert, aber es musste ihn schmerzen, dass ich nicht sofort freudestrahlend zusagte. Nur eine Frage stand der Antwort im Weg. Sie musste bloß ausgesprochen werden. Aber …

Aber ich traute mich nicht.

Ich hatte Angst, die Antwort könnte mir nicht gefallen und mich wieder von Dad distanzieren.

Wäre wenigstens Ciar bei mir, dann hätte ich mich stark genug dafür gefühlt und den nötigen Mut gehabt.

„Äh, klar doch!“, platzte es dann rasch aus mir heraus. Lachend überspielte ich meine Verlegenheit. „Das bietet sich ja auch an. Ich bin immerhin dein Sohn und wäre so den Stempel als Waisenkind los.“

„Bist du sicher?“ Dads Stimme klang behutsam. „Du musst dich nicht jetzt entscheiden. Denk so lange darüber nach, wie du willst.“

„Nein, nein. Nicht nötig, echt!“ Ich machte irgendwelche unbestimmten Bewegungen mit der Hand. „Ich will wieder Valentine heißen. Der Name ist auch viel cooler~.“

„Findest du?“

„Und wie! Es gibt Videospielfiguren mit dem Namen, die ich bewundere.“

Irritiert hob Dad eine Augenbraue. „So?“

„Sei nicht eifersüchtig.“ Für mich kam seine Reaktion genau so rüber. „Du bist mein größtes Vorbild.“

Mit einem beschwingten Seufzen stand ich von meinem Platz auf, bevor er darauf etwas sagen konnte, und legte den Löffel neben der Schüssel ab. „Sei nicht böse, Dad, aber ich bin echt kaputt. Wenn ich nicht noch ein paar Stündchen Schlaf nachhole, hast du ab heute einen Zombie als Sohn.“

Ratlos neigte Dad minimal den Kopf zur Seite, doch sogar diese Geste wirkte an ihm irgendwie lässig. „Wenn du wirklich meinst, dass du den Tag sonst nicht überstehst, dann leg dich ruhig nochmal hin. Ich wecke dich aber gegen Mittag wieder, damit es nicht zu spät wird.“

„Das reicht mir, danke~.“

Winkend stapfte ich zur Tür, mit der ich fast zusammenstieß, worauf ich jedoch unbeirrt weiterging. Außerhalb der Küche verschwand das Lächeln prompt aus meinem Gesicht und machte einer betrübten Miene Platz. Jeder Schritt ins obere Stockwerk kam mir schwerer vor.

Ich bin so ein Feigling.

Dieses Gespräch hatte sich regelrecht dazu angeboten endlich nachzufragen, warum ich im Waisenhaus aufgewachsen war. Dank dem Thema mit dem Familiennamen hätte es perfekt gepasst, Dad darauf anzusprechen. Verdammt. Verdammter Mist.

In meinem Zimmer zog es mich zuerst zum Handy, das ich mir vom Nachttisch schnappte. Anschließend warf ich mich auf das Bett und überprüfte, ob ich neue Nachrichten bekommen hatte. Keine einzige. Nicht sonderlich fördernd für meine Stimmung. Interessierte es Ciar nicht, wie es mir ging? Wollte er nicht wissen, was ich von unserer Freundschaft in der Kindheit hielt? Wie ich über sein Liebesgeständnis dachte? Letzteres war mir aber selbst noch unklar.

Mir fiel die ominöse Textnachricht mit dem unverständlichen Inhalt ins Auge, die ich gestern im Echo-Institut bekommen hatte. Wieder packte mich auf der Stelle das Gefühl, Ciar entfernte sich mit jeder Sekunde von mir. So weit weg, dass ich ihn nicht mehr erreichen könnte. Bescheuert.

„Mann, du hast es versprochen“, beschwerte ich mich enttäuscht. Ich ließ mich tiefer ins Bett sinken und legte das Handy neben mir ab. „Du hast versprochen, dass du an meiner Seite bleibst. Wo bist du dann jetzt?“

Müde fielen mir die Augen zu, aber ich schlief nicht ein, sondern dachte an unsere Kindheit zurück. Spielte einige dieser Erinnerungen in meinem Kopf ab. Sie waren so lange vergessen gewesen. Jetzt wollte ich einiges davon einfach nur zurückholen und mich von den negativen Gedanken ablenken.

 
 

***

 

In der Regel trafen wir uns immer am Wochenende, natürlich heimlich. Eine beständige Ruhe und Frieden zeichneten Limbten aus, ein gemütliches Dorf wie einem Bilderbuch entsprungen. Besser hätten wir es nicht treffen können. Das war der beste Ort für Kinder, um zu spielen und aufzuwachsen. Unsere geheime Freundschaft verschaffte Limbten noch den letzten Touch.

An einen bestimmten Tag konnte ich mich am deutlichsten entsinnen. Die Sonne stand schon am höchsten Punkt, aber da Limbten von einer Menge Natur umgeben war, fand man dort stets irgendwo ein schattiges Plätzchen. Wir ruhten uns gerade aus, als ich plötzlich etwas hörte.

„Ciar, du klingelst wie eine Tür!“, wies ich ihn verwirrt darauf hin.

Darüber musste er erheitert lachen. „Quatsch, das ist nur mein Handy. Ich hab es noch nicht lang.“

„Du hast schon dein ganz eigenes Handy?!“ Bewundernd sah ich ihn mit großen Augen an. „Boah, wie cool!“

„Finde ich eher nicht“, seufzte Ciar schwer. Er ignorierte das Klingeln, statt das Gerät hervorzuholen. „Meine Eltern haben es mir nur gegeben, um mich besser überwachen zu können. Ihnen gefällt es nicht, wenn ich alleine unterwegs bin.“

Für mich gab es da eine simple Lösung: „Dann bring sie doch mit hierher. Papa und Mama stört das sicher nicht. Ich will sowieso, dass sie dich endlich auch kennenlernen.“

„Das ...“ Unbeholfen zupfte er ein paar Grashalme heraus. „Das will ich aber nicht.“

Sobald es zu diesem Thema kam, wirkte Ciar auf einmal besorgt. Schon fast richtig traurig. Ihn so zu sehen tat mir jedes Mal leid, obwohl ich nicht verstand wovor er Angst haben könnte. Eigentlich fühlte ich insgeheim aber genauso wie er. Auch ich wollte in Wahrheit nicht, dass er zu mir nach Hause kam. Mein Zimmer hätte ich ihm dagegen gerne gezeigt, doch das ging nicht.

Bei mir zu Hause wäre auch Eri da, meine kleine Schwester. Sobald sie sich kennenlernten, mochte Ciar sie bestimmt viel mehr als mich und würde nur noch mit ihr spielen. Eri war nämlich ein ganz normales, liebes Mädchen, ohne eine so unnatürliche Haarfarbe wie meine. Im Gegensatz zu mir hatte sie eine Menge Freunde, jeder gewann sie schnell lieb.

Ich wollte, dass Ciar nur mein Freund blieb.

Ich wollte ihn nicht verlieren.

„Na gut“, stimmte ich daher zu. „Das mit dem Handy ist trotzdem cool. Papa sagt, ich bekomme erst mein eigenes wenn ich alt genug bin. Etwa vierzehn Jahre, meinte er. Das dauert noch so lange!“

„Sieben Jahre, oder?“

„Sag ich ja, viel zu lange.“

„Glaub mir, so spannend ist ein Handy gar nicht“, beharrte Ciar. Inzwischen war das Klingeln verstummt. „Ich hätte darauf noch meine vier Jahre warten können. Damit kann ich eh nur telefonieren oder Fotos machen.“

„Fotos?!“, platzte es aus mir heraus, als hätte man bei mir einen Schalter umgelegt.

Wie ein Flummi sprang ich von der Wiese auf, wo wir uns zum Ausruhen hingelegt hatten, und war ganz hibbelig. Blinzelnd sah Ciar mich an, der meine plötzliche Aufregung nicht verstand. Statt etwas zu sagen, griff ich nach einer seiner Hände und zog ihn ungeduldig ebenfalls auf die Füße. Mir war etwas Großartiges eingefallen!

„Komm, schnell!“

„Wohin denn?“, wollte Ciar wissen, überrumpelt von meinem Energieschub.

Noch vor wenigen Minuten hatten wir ausgiebig fangen gespielt und waren auf Bäume geklettert, bis ich eine Pause brauchte. Ciar wurde aber niemals müde, dafür beneidete ich ihn. Egal, wie viel wir tobten, er war danach nicht erschöpft. So viel Energie zu haben musste praktisch sein. Was man alles anstellen könnte, ohne sich zwischendurch ausruhen zu müssen … die Möglichkeiten waren überwältigend!

„Komm mit!“, bat ich drängend. „Ich zeig dir was.“

„Was denn?“

„Das siehst du dann~.“

Zu meiner Freude wehrte Ciar sich nicht dagegen, dass ich ihn mit mir zog und durch Limbten führte. Wie immer bewegten wir uns eher versteckt in der Natur, statt mitten durch das Dorf zu marschieren, wo uns jeder sehen könnte. Wäre auch nur halb so lustig. So gab es oft etwas Spannendes zu sehen, selbst wenn es nur Eichhörnchen waren.

Limbten war nicht groß, darum kamen wir schnell am Ziel an. Bei einem der Wohnhäuser, das durch die Mittagssonne noch einladender aussah als es schon war. Das rote Ziegeldach und die weißen Vorhänge strahlten dadurch fast magisch – und blendeten auch viel zu sehr.

„Hier, mach ein Foto davon.“ Meine Aufregung wurde durch das erschöpfte Keuchen kein bisschen getrübt. „Das ist mein Haus~.“

Dein Haus?“ Sonderlich begeistert schien Ciar darüber nicht zu sein, er wollte sogar zurückweichen, aber nicht meine Hand loslassen. „Ich hab doch gesagt, dass ich-“

„Es geht nur ums Foto“, quatschte ich ihm lebhaft dazwischen. „Ich möchte nur, dass du ein Foto machst. Dann gehen wir wieder.“

Ciars Blick wanderte zwischen dem Haus und mir hin und her, merklich sprachlos. Normalerweise wirkte er schon so reif, dass es amüsant war, ihn mal so zu erleben. Mit seinen drei, fast vier Jahren Vorsprung kam ich mir manchmal viel zu kindisch für ihn vor, dennoch ging er auf jedes Spiel ein, das ich vorschlug. Das mochte ich an ihm.

Lächelnd erklärte ich ihm, warum er ein Foto machen sollte: „Wenn du weißt, wie mein Haus aussieht, kannst du mich ganz leicht finden. Egal wann.“

Weil er mich nur schweigend ansah, wandte ich nervös den Blick ab und scharte mit einem Schuh über den Boden. „Äh, also nur für den Fall … ich meine ...“

Eigentlich wusste ich selbst nicht so recht, warum Ciar unbedingt ein Foto machen sollte. Falls er mich eines Tages satt hatte und nicht mehr mein Freund sein wollte, brachte auch das Bild von meinem Haus nichts mehr. Vielleicht aber doch. Jedenfalls wüsste er dann, wohin er überhaupt gehen musste, sollte er mich doch nochmal sehen wollen. Unsere Zeit zusammen hielt nicht ewig an, davon war ich überzeugt. So hatte ich es bisher erlebt.

Ein sanfter Händedruck von Ciar holte mich aus diesem Gedankengang heraus. „Machst du dir immer noch Sorgen darüber, dass ich dich irgendwann nicht mehr besuchen komme?“

Ertappt. Obwohl ich es nicht laut ausgesprochen hatte, erkannte er genau was mich beschäftigte. Eventuell lag es auch daran, dass meine Hand zu zittern angefangen hatte. Bis zu diesem Zeitpunkt war mir nicht bewusst gewesen, wie groß meine Angst tatsächlich war, ihn als Freund zu verlieren. Sei es dadurch, weil er mich nicht mehr mögen könnte oder …

„Das wird passieren“, murmelte ich vor mich hin.

Spätestens wenn ich ihn auch mal ernsthaft verletzte, hätte er einen guten Grund dazu mich fallenzulassen. Das wäre sogar verständlich. Jemandem Schmerzen zuzufügen war böse, egal ob es mit Absicht oder aus Versehen geschah. In einem dieser heroischen Filme wäre ich der Bösewicht, den jeder nur loswerden wollte. Der zu nichts zu gebrauchen und nur lästig war. Es war zum Heulen.

„Wird es nicht“, betonte Ciar ernst.

Ehe ich ihm widersprechen konnte, hatte er auch schon meine andere Hand gegriffen und drückte nun beide zuversichtlich. Seine Augen waren so klar und aufrichtig, ich brachte keinen Ton heraus. Zwar war Ciar schon von Natur aus übermäßig cool, aber in diesem Moment hatte er die Skala restlos gesprengt.

„Egal, was passiert, ich werde dich nicht verlassen“, versicherte er mit eindringlicher Stimme. „Ich komme immer zu dir zurück. Du bist nicht nur ein Freund für mich, ich brauche dich. Glaub mir, wir bleiben zusammen. Das verspreche ich dir.“

Wow, wie ein richtiger Filmheld, der gerade eine Siegeshymne verkündete – oder so ähnlich. Das ließ mein Herz höher schlagen. So etwas hatte noch niemand zu mir gesagt, nicht mal Mama oder Papa. An diese Worte wollte ich wirklich gerne glauben.

„Auch dann, wenn du jemanden kennenlernst, den du viel mehr magst als mich?“, wandte ich ein, um ganz sicher zu sein.

Über diese Befragung schien Ciar nicht genervt, er nahm es ernst. „Das ist unmöglich, du bist der einzige, den ich gern habe.“

„Und wenn ich dir mal weh tue?“

„Auch dann nicht.“ Er blieb überzeugt von sich und seinen Gefühlen für mich. „Du kannst nichts tun, um mich loszuwerden. Wusstest du nicht, dass ich wie ein Fluch bin?“

Angespannt sog ich die Luft ein und starrte ihn gebannt an. „Im Ernst?!“

„Ach, Ferris~.“ Lachend schwang Ciar unsere Hände durch die Luft, wie ein Springseil. „Was soll ich denn machen, damit du dir keine Sorgen mehr machst? Sollen wir Blutsbrüder werden?“

„D-das klingt nach Schmerzen“, kommentierte ich blass.

„Dann muss dir mein Wort reichen.“

Das tat es. Schon bei meiner ersten Frage war ich längst von seiner Aufrichtigkeit berührt gewesen, besonders von seinem Versprechen. Coole Leute brachen sie niemals, also konnte ich Ciar vertrauen. Er würde auf immer und ewig mein Freund bleiben.

Aufmunternd nickte er mir zu. „Und wenn uns mal jemand oder etwas trennen will, räume ich dieses Problem aus dem Weg. Ich mache alles und jeden fertig, wenn es sein muss.“

Freudig sprang ich in die Luft, so wie es mein Herz tat.

„Danke, danke, danke!“, jubelte ich heiter. „Du bist der Beste, Ciar!“

„Ich weiß“, tat er selbstverliebt. Meine gute Laune steckte ihn an, doch er überließ mir das Hüpfen. „Soll ich das Foto jetzt trotzdem noch machen?“

Summend dachte ich kurz nach, bis ich zustimmte. „Ja, mach eins. Zur Erinnerung.“

Schaden konnte es nicht. Eines Tages könnte ihm das Foto womöglich doch nützlich sein, zumal es nicht viel Arbeit war eins zu knipsen. Erwartungsvoll beobachtete ich ihn dabei, wie er mit dem Handy dastand und konzentriert den besten Winkel suchte, bis ein leises Klicken bestätigte, dass es vollendet war. Das Foto war gespeichert.

„Als nächstes machen wir eins zusammen“, beschloss ich, wofür ich mich schon dicht zu ihm stellte.

Überfordert stieß Ciar etwas Luft aus und hob das Handy an. „Ich weiß aber nicht, ob das was wird. So etwas mache ich zum ersten Mal.“

„Käsekuchen!“

„Moment, lass mich doch erst mal gucken, wie ich uns beide ins Bild bekomme“, haspelte Ciar, der leicht gestresst mit dem Handy herumhantierte.

Den restlichen Tag über hatten wir im Anschluss damit verbracht, allen möglichen Unsinn zu fotografieren oder dumme Sprachaufnahmen zu machen, über die wir dann herzlich lachten. So lange, bis der Akku schlapp machte.

 
 

***

 

Was für eine unbeschwerte und schöne Zeit das gewesen war. Wie gut, dass ich mich daran endlich wieder erinnern konnte. An diese Kindheit zurückzudenken war unbeschreiblich wohltuend. Als ich die Augen öffnete, hatte ich ein Lächeln auf den Lippen.

Ciar … er hatte sein Versprechen gehalten. Die ganzen zehn Jahre über, trotz der Tatsache, dass ich ihn vergessen hatte. Das tut mir leid, ich hätte nicht an ihm zweifeln dürfen. Zwar habe ich noch keine Nachricht von ihm bekommen, seit er mich mit Dad alleine gelassen hatte, aber er dachte sicher an mich. Sobald er konnte, kam er zu mir zurück. Hab ich recht?

Gemütlich legte ich mich auf die Seite, um diesmal noch etwas zu schlafen. Erst viele Stunden später, am Mittag, bemerkte ich dann, dass die schräge Nachricht mit den hieroglyphischen Aneinanderreihungen von Buchstaben verschwunden war.

Ich will zu Ciar!

Seit meinem ersten Besuch im sagenumwobenen – von Ciar verhassten – Echo-Institut waren zwei Wochen vergangen. Extrem creepy, dass tatsächlich schon so viel Zeit vergangen war. Erst recht wenn sie für einen selbst irgendwie still stand. An jedem neuen Tag war ich ganz schön verwirrt, sobald ich das Datum auf meinem Handy checkte und feststellen musste, wie weit sich die Welt bereits weitergedreht hatte. Ich könnte sowas von schwören, gerade eben erst von der Untersuchung bei Vane zurückgekommen zu sein.

Sogar die Erleichterung darüber, dass ich mich endlich einfach in meinem Zimmer auf's Bett hatte fallen lassen können, war für mich noch greifbar. Wäre Dad nicht da, der mir regelmäßig versicherte, mein Handy sei vollkommen in Ordnung und zeige das korrekte Datum an, hätte ich es auf das klägliche Versagen der Technik geschoben. Aber so musste ich mich damit abfinden, mit diesem surrealen Gefühl der verzerrten Zeitwahrnehmung – ha, ich kann richtig poetisch sein, so als Schulabbrecher.

Faul lag ich also überwiegend nur auf meinem Bett herum, immerzu mit dem Handy beschäftigt. Diese ominöse Textnachricht blieb verschwunden. Weg, nicht mehr im Speicher auffindbar – und ich hatte echt alle möglichen Ordner mehrmals danach abgesucht. Plötzlich war sie zu einer Einbildung geworden, wodurch sie niemals wirklich existiert hatte. Aber auch hierbei war ich mir sicher, dass sie da gewesen war. Natürlich schob Dad das auf meinen psychischen Zustand. Warum erzählte ich ihm solche Dinge überhaupt noch?

Zwar war er mein Vater, ging mir mit dieser therapeutischen Sichtweise aber gewaltig auf den Sack, genau wie die Sitzungen. Oder die Tabletten. Wir konnten uns nach wie vor nicht mal richtig aussprechen, unsere Unterhaltungen waren dafür zu zäh. Wie konnte Freude und Glück sich derart rasant wieder ins Negative umwandeln? Das war richtig abartig. Mir fehlte das warme Gefühl von Geborgenheit, als ich in Dads Armen lag und einfach nur froh war, mich an ihn zu erinnern.

In diesem Moment war aber auch Ciar in meiner Nähe gewesen. Zwei Wochen hatte ich ihn nicht gesehen, doch wenigstens waren in den letzten Tagen einige normale Textnachrichten von ihm bei mir angekommen. In denen regte er sich tierisch über das Echo-Institut auf, weil es ihm zurzeit viel zu viel Arbeit aufdrückte. Angeblich könnte er mich deswegen im Moment nicht mal besuchen kommen. Zu beschäftigt, hieß es. Obwohl er mir versprach, dass wir uns so bald wie möglich treffen würden, fühlte ich mich heftig abserviert.

„Bullshit“, knurrte ich leise, während ich auf das schwach beleuchtete Display meines Handys starrte, als wäre es das Tor zur richtigen Welt. „So etwas wie Arbeit hält dich doch sonst auch nicht von dem ab, was du willst.“

Vielleicht wollte Ciar mich gar nicht mehr sehen. Dieser Gedanke wuchs durch meine Zweifel immer mehr zu einem monströsen Tumor heran, der nicht mehr zu entfernen war. Was, wenn Ciar nach zehn Jahren letztendlich doch das Interesse an mir verloren hatte, weil er erkannte, wie sehr er sein Leben mit mir verschwendete? Oder es war jemand anderes in seinem Leben aufgetaucht, mit dem er seinen großen Plan viel effektiver durchführen konnte, weshalb er mich nicht mehr benötigte.

Ich hasste diesen teuflischen Gedankenstrudel.

„Was gefällt dir denn an mir auf einmal nicht mehr?“, stellte ich das Handy zerknirscht zur Rede. „Dass ich verkorkst und ein hoffnungsloser Jammerlappen bin, wusstest du doch schon vorher. Also was hält dich so plötzlich von mir fern? Stört es dich etwa doch, dass ich ein Kerl bin?“

Dabei waren wir als Kinder ein Herz und eine Seele gewesen. Mir waren inzwischen noch viele weitere Erinnerungen an damals durch den Kopf gegangen, ich hatte die kitschig blumenhafte Aura um uns herum vor meinem inneren Auge klar und deutlich erkennen können. So nahe hatten wir uns gestanden. Aber das war Vergangenheit, was ist mit der Gegenwart?

Liebte Ciar mich noch?

Seine aufdringliche Art fehlte mir. Er fehlte mir.

Seufzend sank mein Kopf nach hinten auf das Kissen und meine Hände fielen mir mitsamt dem Handy auf die Brust. Es war nicht nur die Sache mit Ciar, wegen der ich über dieses Thema wieder intensiver nachdachte. Ich glaubte auch, dass Dad sicher glücklicher darüber wäre, hätte Eri, meine kleine Schwester, den Brand damals überlebt, nicht ich. Jedenfalls wäre er besser dran mit einem lebensfrohen und aufgeschlossenem Mädchen, als mit einem verzweifelten Jungen, der ihm ständig Kopfzerbrechen bereitete.

Dann sag es.

Sofort schreckte ich auf. Ein dumpfes Geräusch ertönte, als mein Handy durch diese ruckartige Bewegung auf den Boden fiel.

Vor mir, auf meinem Bett, stand Eri. Das verbrannte, kleine Mädchen, an dessen Namen ich mich lange nicht mehr erinnern konnte, weil ich sie aus meinem Gedächtnis gelöscht hatte. Sie war so stark verbrannt, dass man sie eigentlich überhaupt nicht mehr wiedererkennen konnte. Trotzdem wusste ich, wer sie war. Schon zuvor hatte ich stets gewusst, dass es sich um meine Schwester handelte.

Alles an ihr war kohlrabenschwarz, Bröckchen aus Asche verschmutzten die Bettwäsche. Ihre Kleidung war vom Feuer gänzlich verschlungen worden, ebenso wie ihre Haare. Nur ihr abgemagerter, zerbrechlicher Körper war noch übrig. Wie ein Skelett, das auf unmögliche Weise durch eine dünne, verkohlte Haut zusammengehalten wurde.

Der Geruch von verbranntem Fleisch stach in meiner Nase und brachte mich ein wenig zum Würgen, aber ich riss mich zusammen.

„Eri“, sagte ich zögerlich.

Ich versuchte, mich auf ihre Augen zu konzentrieren. Sie waren das einzige, was man noch gut erkennen konnte. Leider fiel es mir schwer, ihren restlichen Körper nicht geschockt anzugaffen und dabei in Schuldgefühlen zu versinken.

„Du bist nur eine Einbildung“, wollte ich mich selbst beruhigen.

An so eine komische Nachricht glaubst du, aber an mich nicht?“, stellte sie gekränkt fest.

Recht hatte sie, ich wollte ihr ausweichen. „Es tut mir leid ...“

Dann sag es endlich“, forderte sie erneut. Ihre Stimme klang so hoch, es verursachte ein unangenehmes Piepen in meinen Ohren. „Sag es laut, dass du es willst.

Hätte ich aufstehen und zu Dad gehen sollen? Selbst wenn ich den Mut dazu besäße, ich wäre bestimmt nicht weit gekommen. Die Atmosphäre war gefährlich angespannt und die Luft schien immer dünner zu werden, was mich davon abhielt mich zu bewegen. Etwas in mir befürchtete, sofort in Flammen aufzugehen, sobald ich die Flucht ergriff.

„Was meinst du?“ Lange musste ich nicht überlegen. „Du meinst, eine Frau zu sein?“

Zuvor hatte Eri nur aufrecht und starr dagestanden, aber nach meinen Worten bewegte sie sich schwerfällig einen Schritt auf mich zu. Ihr gesamter Körper knackte und knirschte wie Holz, das kurz davor war zu zersplittern. Diese Laute ließen mich schaudern. Weitere Brocken Asche fielen auf das Bett hinab, einige davon glühten noch ganz schwach. Kaum sichtbare Rauchfäden stiegen von ihnen langsam in die Luft. Mein Blick fixierte sich darauf und ich bekam Panik, dass der Stoff anfangen könnte zu brennen.

Sag es!“, herrschte Eri mich an, ihr Kreischen klingelte laut in meinen Ohren.

Dann packte mich etwas kraftvoll am Hals und stieß mich gewaltsam wieder runter auf das Bett. Es passierte so plötzlich und unerwartet, dass ich erst einige Sekunden später Eri über mir wahrnahm, die mich mit ihren Händen würgte. Unbeholfen tastete ich nach ihnen und rang nach Luft. Obwohl ihr Körper kurz davor war in sich zusammenzufallen, besaß sie noch so viel Kraft. Mehr, als es jemals hätte möglich sein können. Sowohl für ein kleines Mädchen als auch für eine Einbildung.

Benutze deine Stimme und sag es!“, schrie Eri aus voller Kehle, mit dem Blick einer Wahnsinnigen. Ihre Augen waren so weit aufgerissen, dass sie jederzeit einfach herauszufallen drohten. „Wenn du dich so schwer tust mit dem Leben, dann tu es! Befehle es dir! Wünsche dir, eine Frau zu sein! Lass mich weiterleben und verschwinde!

Erfolglos versuchte ich ihren Namen zu sagen, aber ich bekam nicht mal ein Krächzen zustande. Obendrein füllte sich dann auch noch mein Mund mit etwas, dessen Konsistenz an Pappe erinnerte. Jeder einzelne Brocken Asche, der von Eri abgefallen war, schien zum Leben zu erwachen und kroch an mir herauf wie eine Spinne, jedenfalls fühlte es sich so an. Nach und nach zwängten sie sich durch meine Lippen. Sie bewegten sich wie durch Magie. Der pappige Geschmack trocknete meinen Mund aus und brachten mich abermals zum Würgen.

Ich wollte Eri wegstoßen, doch neben ihrer unmenschlichen Stärke fühlte ihr Körper sich tonnenschwer an und rührte sich keinen Millimeter. Innerlich war ich längst richtig panisch, zumal mir sogar schon schwindelig wurde und vor meinen Augen alles zu verschwimmen anfing. Wie sollte ich so einen Befehl aussprechen können? Wäre das überhaupt möglich, wenn ich es tun könnte? Erinnerungen auszulöschen war etwas ganz anderes, als mal eben so das Geschlecht zu wechseln.

Ich kniff die Augen zusammen, mein Kopf war wie leergefegt. Ein letztes Mal versuchte ich mich zu wehren und mich aus Eris Griff zu befreien. Mit ganzer Kraft rollte ich mich hin und her, bis wir tatsächlich über die Bettkante Richtung Boden fielen. Gleichzeitig hörte ich das Rasseln von Ketten. Mit voller Wucht kam ich seitwärts auf, landete mit der Schulter genau auf dem Handy.

Der Sturz musste Eri überrascht und sie abgeschüttelte haben, denn ich konnte mich auf einmal wieder bewegen. Würgend versuchte ich die Brocken auszuspucken, die in meinem Mund zu einer widerlich klebrigen Masse geworden waren. Anfangs schien es zwecklos zu sein, ich bekam das Zeug nicht richtig raus. Erst als ich mit den Händen nachhalf, konnte ich meinen Mundraum so weit befreien, dass ich endlich wieder anständig durchatmen konnte.

Hektisch nahm ich mehrere tiefe Atemzüge hintereinander, bis mich ein schmerzendes Kratzen im Hals stark husten ließ und ich weitere Reste von den Aschebrocken ausspuckte. Mühevoll zog ich mich mit den Händen auf die Seite und richtete mich ein Stück auf, so dass ich mich mit den Armen am Boden abstützen konnte. Hustend verharrte ich eine ganze Weile in dieser Position.

Ich benötigte viel zu viel Zeit, bis ich halbwegs normal atmen konnte und der Husten nachließ. Kaum war ich einigermaßen stabil, griff ich nach meinem Handy und wollte irgendeine Nummer wählen, um Hilfe zu rufen. Kurz bevor ich dieses Vorhaben wirklich umsetzen konnte, hielt ich inne. Meine Hände … sie waren total verkrampft, zittrig und weiß, als hätte ich mich mit aller Kraft an etwas festgehalten.

Nervös rutschte ich auf dem Boden herum, ohne zu wissen, wo ich eigentlich mit mir hin wollte. Mein Hals schmerzte höllisch, das Schlucken fiel mir schwer. Als ich mich umsah bemerkte ich, dass Eri verschwunden war. Weg, genau wie sich die seltsame Textnachricht einfach in Luft aufgelöst hatte. Nicht mal von der Asche war noch etwas zu finden, auch nichts von der ausgewürgten Masse. Dabei war mein Mund immer noch furchtbar trocken.

Konnte eine Einbildung so krass ausarten? Nein, jemand hatte mich eindeutig gewürgt, in der Realität.

„Scheiße“, krächzte ich heiser und schüttelte den Kopf. „Ich selbst?“

Hatte ich mir das selbst angetan? Traurigerweise war dieser Gedanke nicht mal abwegig, aber warum hatte ich dabei solch eine Halluzination von Eri gehabt? So durchgeknallt war ich eigentlich nicht. Wenn ich mich verletzte, tat ich das anders. Nicht so. Diesen pappigen Geschmack im Mund erklärte das auch nicht. Überfordert raufte ich mir die Haare.

Auf keinen Fall durfte Dad etwas davon erfahren, das war tatsächlich meine größte Sorge. Sonst erhöhte er nur die Dosis der Tabletten oder reimte sich irgendwelche Ursachen dafür zusammen. Was auch immer das für ein Anfall gewesen sein mochte, ich musste sofort alles tun, um das bestmöglich zu vertuschen. Eine Überreaktion von Dad war das letzte, was ich gebrauchen konnte.

Hastig stand ich auf, was mit weichen Knien und zittrigen Gliedern eine Kunst für sich war. Anschließend schlich ich mich zielstrebig aus dem Zimmer, huschte Richtung Bad. Dort wollte ich richtig zur Ruhe kommen und mir das ganze Ausmaß dieses Anfalls genauer ansehen.

 
 

***

 

Etwa zwei Stunden später fühlte ich mich gefasst und erholt genug, um nach unten ins Erdgeschoss gehen zu können. Mein Ziel dort war die Küche, denn ich brauchte dringend etwas zu essen und zu trinken, damit ich den ekligen Geschmack im Mund los wurde. Leider waren an meinem Hals deutliche Spuren zu sehen, darum trug ich einen Schal – zu meinem Glück war das in dieser kühleren Jahreszeit nicht allzu fragwürdig.

Als ich unten ankam, hörte ich zwei Stimmen aus dem Wohnzimmer. Irritiert runzelte ich die Stirn. Hatten wir Besuch? Einer von Dads Patienten konnte es nicht sein, denn in dem Fall würden sie sich im Behandlungszimmer aufhalten. Außerdem sprachen beide auffallend leise, wahrscheinlich meinetwegen, so dass ich nicht gestört wurde. Oder weil ich etwas nicht mitbekommen sollte.

Vorsichtshalber kontrollierte ich nochmal, ob der Schal richtig saß und alles verdeckte. Erst dann beschloss ich, meine Neugier zu befriedigen und den Stimmen auf den Grund zu gehen. Klar, eine davon gehörte Dad. Je näher ich dem Wohnzimmer kam, umso mehr wurde mir bewusst, dass ich auch die andere Stimme kannte. Sie war mir verdammt vertraut, aber mir wollte kein Gesicht dazu einfallen.

Erst als ich schließlich im Türrahmen stand und das Wohnzimmer überblicken konnte, glaubte ich kaum, was ich sah – und noch weniger, nicht sofort darauf gekommen zu sein. Direkt stürmte ich regelrecht ins Wohnzimmer hinein, steuerte gezielt auf das Sofa und den Sessel zu. Letzteren besetzte Dad. Und die andere Person war …

„Ciar?!“, platzte es aus mir heraus, mit einer Mischung aus freudiger Erwartung und Ärger.

Dad zuckte kaum zusammen, wandte mir jedoch zuerst den Blick zu und sprach gewohnt ruhig mit mir. „Ich dachte, dass du schon schläfst.“

Auf seine Aussage reagierte ich gar nicht, sondern ging um das Sofa herum, weil ich mit Ciar reden wollte. Mir brannte schon die empörte Frage auf den Lippen, warum er nicht auf mich reagierte und lieber hier unten alleine mit Dad zusammensaß, statt mit mir. Er hätte mich für ein knappes Hallo ruhig wecken können, wäre ich wirklich schon im Traumland gewesen.

„Tut mir leid, Ferris“, entschuldigte die andere Person sich. „Ich bin es nur.“

Jegliches Gefühl in mir erstarrte augenblicklich zu Eis. Auf dem Sofa saß nicht Ciar. Von hinten betrachtet hatten das schwarze Haar und die Haltung mein Gehirn automatisch in die Irre geführt.

„Oh ...“ Meine Glieder wurden schwer. „Hey, Kieran ...“

Natürlich, es konnte gar nicht Ciar sein. Er musste arbeiten. Seine Stimme klang zudem anders. Und Ciar würde sicher nicht mit Dad reden, solange er das nicht tun musste. Ciar hätte es nichts ausgemacht, mich zu wecken, schon um mich zu ärgern und sich an meiner Schläfrigkeit zu amüsieren. Dann wäre das Ganze in ein hitziges Wortgefecht ausgeartet.

Da wurde es mir klar. Ich war so enttäuscht, nicht Ciar vor mir zu haben, dass es mir die Kehle nochmal zuschnürte, obwohl diesmal niemand meinen Hals berührte. In mir breitete sich eine so große Leere aus, wie ich sie in der Form noch nicht gespürt hatte. Noch vor wenigen Monaten hätte ich alles dafür gegeben, Kieran zu sehen. Mein Herz wäre vor Aufregung durchgedreht, doch es tat sich nichts mehr.

Meine Gefühle für Kieran hatten sich verändert.

Ich mochte ihn immer noch, aber jetzt …

„Geht es dir nicht gut?“, hörte ich Dad besorgt fragen.

Im Augenwinkel nahm ich wahr, wie er sich bereits aus dem Sessel erhob, wodurch ich aus meiner Trance erwachte und ihm rasch antwortete: „Ja, alles klar. Sorry, ich hab nur nicht mit Kieran gerechnet.“

„Sondern mit Ciar“, führte dieser weiter aus, ohne jeglichen Vorwurf in der Stimme. „Das ist verständlich. Darum habe ich darauf verzichtet, zu dir zu gehen und dich zu begrüßen, weil ich dir die Enttäuschung ersparen wollte.“

„So ist das nun auch nicht!“ Kierans Gefühle zu verletzen war niemals meine Absicht gewesen. „Es ist schön, dich mal wieder zu sehen. Echt.“

Sicher war ich mir nicht, aber es sah so aus, als würden sich Kierans Mundwinkel leicht heben, als er mir verstehend zunickte. Danach mischte sich schon Dad ein, der nun neben mir stand und mich besorgt aus der Nähe musterte.

„Was soll denn der Schal?“, wollte er wissen – das musste ja kommen.

„Ich hab etwas Halsschmerzen“, ratterte ich meine zurechtgelegte Lüge herunter. „Vielleicht kriege ich eine Erkältung oder so. Im Internet steht, dass Wärme hilft, also hab ich mir den Schal umgelegt. Ein Pullover wäre mir nämlich doch zu warm.“

Sich vor Dad nicht zu verraten war ein hartes Stück Arbeit. Sein Blick schien sich bis auf den Grund einer Seele zu bohren, wo er alles über einen herausfand. Da er mich auffallend lange musterte, befürchtete ich schon verloren zu haben, aber dann nickte er für sich selbst und deutete zu dem Sessel, auf dem er bis eben noch gesessen hatte.

„Setz dich. Ich mache dir einen Tee, das hilft am besten gegen Halsschmerzen.“

Nett gemeint, Dad, doch ich verabscheute heiße Getränke. Erst recht Tee. Igitt. Ohne Zucker war das Zeug kaum trinkbar.

„Nicht nötig“, lehnte ich dankend ab. Bevor Dad mich streng darauf hinweisen könnte, dass ich mit meiner Gesundheit nicht so leichtfertig umgehen sollte, warf ich eine Frage ein. „Warum bist du eigentlich hier, Kieran?“

Schweigend hatte er Dad und mich beobachtet, bis ich ihn wieder direkt ansprach, worauf er reagieren konnte. „Ich habe mich um einige Echos gekümmert, die sich vermehrt in dieser Gegend aufhielten. Zur Vorsicht wollte ich noch etwas in der Nähe bleiben und abwarten, ob sich weitere zeigen. Da bot es sich an, hierher zu kommen.“

Großes Staunen zeigte sich in meinem Gesicht. „Heißt das, du jagst Echos?“

Ausgerechnet der in sich gekehrte, eher schweigsame und zierlich wirkende Kieran? Sich das vorzustellen war schwer. Und dann knallte er mir das auch noch so direkt an den Kopf.

„Jemand muss sich um sie kümmern“, erklärte Kieran mit einem Tonfall, als wäre es nicht der Rede wert – seit wann konnte er auch so cool sein?

Dad war über Kierans Offenheit sichtlich unzufrieden. Sicher hätte er sich gewünscht, dass ich von den Echos in der Gegend nichts erfuhr, erst recht nichts von Jägern. So konnte ich mir aber zusammenreimen, wie dieser Anfall vor zwei Stunden zustande gekommen sein könnte. Wahrscheinlich hatte es an den Echos gelegen. Ihre Anwesenheit musste mich derart negativ beeinflusst haben, dazu waren sie mit Leichtigkeit fähig. Etwas daran kam mir dennoch seltsam vor, ich wusste nur nicht was. Ein entscheidendes Detail musste unstimmig sein.

Egal. Der Anfall war vorbei, ich wollte erst mal nicht mehr darüber nachdenken. Mich interessierte mehr, ob die gesamte Familie der Belfonds für das Institut arbeitete. Ihr Wohlstand in Form dieser Luxusvilla ließe sich dadurch erklären. Wenn sogar Reni irgendeinen Job für diese Organisation ausübte, grenzte das fast schon an einen Familienbetrieb.

„Du musst dir wegen den Echos keine Sorgen machen“, riss Dad mich aus meinen Gedanken. Seine Hände legten sich auf meine Schultern und lenkten mich ein wenig zum Sessel. „Kieran wird sich, wie er schon sagte, um sie kümmern. Du kannst also beruhigt sein.“

Konnte ich nicht. Warum sammelten sich Echos in der Nähe? Meinetwegen? Ein zweites Mal wollte ich das Szenario nicht erleben, wie mein Zuhause und meine Familie durch ein Feuer zerstört wurden. Als sich der Gedanke einschleichen wollte, dass der Unfall damals demnach doch meine schuld gewesen war, weil ich das Echo überhaupt erst angelockt hatte, schien mein Hals sofort noch schmerzvoller zu brennen.

„Wir-“

„Ich will zu Ciar“, unterbrach ich Dad, bevor er den Satz richtig anfangen konnte, und weigerte mich, auf dem Sessel Platz zu nehmen. „Nicht bald oder irgendwann demnächst, sondern jetzt.“

Zunächst war Dad von dieser Ansage wie gelähmt und schien in seinem Kopf sämtliche Möglichkeiten durchzugehen, wie er darauf reagieren sollte. Erstaunlich schnell entdeckte er dabei einen Einwand, der erschreckend logisch und nachvollziehbar war: „Jetzt? Ciar ist doch mit seiner Arbeit beschäftigt, oder nicht?“

„Das ist kein Hindernis.“ Halte mich nicht davon ab, Dad! „Dann helfe ich ihm halt dabei.“

„Auf keinen Fall“, widersprach Dad prompt, seine Mimik verfinsterte sich etwas. Da er mir dabei nicht mehr in die Augen sah, galt dieser Ausdruck wohl nicht mir. „Das ist viel zu gefährlich. Falls Ciar dir genauer erzählt hat, wie seine Arbeit abläuft und was sie beinhaltet, muss dir das bewusst sein. Auch, dass diese Arbeit nicht jeder machen kann.“

Zu gerne hätte ich offenbart, gegen wie viele Echos ich schon gekämpft und gewonnen hatte, nur um Dads ungläubiges Gesicht zu sehen. Mir war Ciars Arbeit vertraut, ziemlich gut. Und ich war verdammt großartig darin, Echos zu vermöbeln. Da ich sonst nie etwas Gutes über mich zu sagen wusste, konnte ich mir darauf ausnahmsweise etwas einbilden.

„Woher willst du das wissen? Du lässt es mich nicht mal versuchen.“ Langsam wurde ich wütend, immer nur ein Nein zu hören zu bekommen, besonders wenn es um Ciar ging. „Ich war lange genug geduldig! Darf ich Ciar überhaupt mal wiedersehen?! Mir kommt es so vor, als würden du und das scheiß Institut mich von ihm fernhalten wollen!“

Mitten in meiner Anschuldigung erkannte ich, wie dämlich ich gewesen war. Das musste die Erklärung für alles sein. Ciar bekam absichtlich mehr Arbeit vom Echo-Institut aufgedrückt, so dass ihm die Zeit dafür fehlte, sich mit mir zu treffen. Außerdem hakte Dad auch täglich öfters nach, ob ich schon mit Ciar getextet oder telefoniert hätte. Anscheinend nicht aus väterlichem Interesse, hier ging es nur um Kontrolle.

„Mit dieser Annahme liegst du vollkommen falsch“, kam es von Kieran, was er seltsam bestimmt und überzeugt sagte. „Zu solch hinterhältigen Taten greift das Institut ganz gewiss nicht. Das kann ich dir versichern.“

„Warum hält man mich dann so krankhaft hartnäckig davon ab, ihn zu sehen?!“, keifte ich nun auch Kieran an – etwas, wofür ich mich im Sommer noch selbst verflucht und verachtet hätte.

„Weil der Verdacht besteht, dass Ciar dich mit seiner Stimme manipuliert hat“, offenbarte Kieran mir, wobei er sich von meiner Wut nicht abschrecken oder gar kränken ließ.

„Wir hatten darüber gesprochen, noch eine Weile zu warten“, meinte Dad, enttäuscht über diesen Verrat; das sagte mir der leicht eisige Tonfall in seiner Stimme, was ich so noch nie bei ihm erlebt hatte. „Warum tust du das jetzt?“

Nicht nur Dad, auch Kieran überraschte mich mit seinem ungewöhnlichen Verhalten. Die Art, wie er dastand und das lebendige Leuchten in den sonst dunklen Augen zeigte mir, dass er kein bisschen an seiner Entscheidung zweifelte. So ähnlich waren sich Kieran und Ciar als Zwillinge sicher nur selten – unglaublich, es war also doch möglich.

„Zwei Wochen sind vergangen und Ferris litt in dieser Zeit nicht an Kopfschmerzen oder anderen Beschwerden, die darauf hingedeutet hätten, dass er einem Befehl nicht nachkommen kann. Die Ohrenschmerzen zwischendurch sind den von Echos Besessenen zuzuschreiben. Er verlangt von sich aus, Ciar zu sehen“, ging Kieran souverän auf Dads Frage ein. „Ich fand diesen Test ohnehin von Anfang an unnötig. Es wäre unter Ciars Würde gewesen, Ferris durch Zwang an sich zu binden und im Anschluss damit anzugeben. Dafür war er stets zu stolz darauf gewesen, Ferris als seinen Partner bezeichnen zu können.“

Geschah das hier gerade wirklich? Mir fiel es etwas schwer, dem Ganzen noch zu folgen. Still und heimlich hatte Dad mich also bewusst von Ciar fernhalten wollen? Nur wegen eines lächerlichen Verdachts? Falls Kieran die Wahrheit über das Echo-Institut sagte, dann war der Zufall meinem Vater unverschämt großzügig entgegengekommen. Traurig, jeder sah in Ciar offenbar nur etwas Schlechtes. Sogar Dad, so wie es aussah. Gerade jemand wie er hätte Ciar eine Chance geben sollen. Ruckartig riss ich mich von ihm los und wich vor ihm zurück. Meine Augen mussten vor Enttäuschung und Wut regelrecht glühen.

„Ich dachte, ich kann dir vertrauen“, gab ich bedrückt von mir.

Meine Worte trafen Dad sichtlich, sein Gesicht verzog sich leidend. Statt einer Ausrede oder Entschuldigung, konfrontierte Dad mich nach einigen Sekunden nur mit einer Frage: „Warum willst du zu Ciar?“

„Ich-“

„Denk gründlich darüber nach“, riet er mir, womit er mich unterbrach. „Ich bin nicht umsonst Therapeut, Ferris. Mir ist schon seit Beginn eurer Beziehung aufgefallen, dass etwas daran nicht stimmt.“

Ich sah ihn mit großen Augen an. „Was?“

„Sämtliche Gesten und Zeichen von Liebe gingen einzig von Ciar aus, während du sie einfach nur angenommen, vielmehr über dich ergehen lassen hast. Nichts davon hast du von dir aus richtig erwidert“, schilderte Dad mir seine Beobachtungen – mir wurde mit jedem Wort flauer im Magen. „Auch die anderen bestätigten mir das, als ich sie danach fragte. Daher sollte der Verdacht gegen Ciar absolut verständlich sein. Ich hätte gerne schon früher eingegriffen, aber ich war eben nun mal leider nur dein Therapeut.“

Darauf konnte ich nichts sagen, obwohl mir bewusst wurde, was Dad die ganze Zeit durchgemacht haben musste. Vor allem meine Übernachtungen bei Ciar hatten ihn bestimmt verrückt gemacht vor Sorge.

„Allerdings verbesserte sich dein Zustand dann bald doch sichtlich, was ich sehr begrüßte, also beließ ich es dabei, euch nur im Auge zu behalten.“ Kein einziges Mal brach Dad den Blickkontakt zu mir ab, was mir zeigte, dass er ehrlich zu mir sein wollte, es bislang aber einfach noch nicht sein konnte. „Das änderte trotzdem nichts an meiner Befürchtung, dass du nicht aus Liebe mit Ciar zusammen warst. Als dein Vater möchte ich dich nicht an so einer Beziehung zerbrechen sehen. Bevor ich dir erlauben kann, wieder zu ihm zu gehen, möchte ich, dass du dich selbst fragst, warum du bei ihm sein willst. Liegt es eventuell daran, weil Ciar dir das Gefühl von Sicherheit gibt? Weil er nicht nur Echos von dir fernzuhalten weiß?“

Das … brachte mich nun komplett durcheinander, von meiner Wut war nichts mehr übrig. Ja, ich hatte Dad in den vergangenen Monaten erzählt, dass ich mich mit Ciar sicher fühlte, sobald er sich nach unserer Beziehung erkundigt hatte. Auch jetzt war dieser Grund der erste, der mir in den Sinn kam, wenn ich an Ciar dachte. Bei ihm konnte mir nichts Schlimmes passieren – war das etwa alles?

Für jemanden wie mich war es das in der Tat. Mir gab das viel mehr, als je einer verstehen könnte. Gleichzeitig sah es so aus, als würde ich Ciar nur benutzen. Als wäre zwischen uns sonst nichts weiter.

„Die Tatsache, dass Echos um unser Haus aufgetaucht sind, unterstreicht meine Theorie“, fügte Dad hinzu. „Ohne Ciar fühlst du dich nicht sicher, das trübt deine Stimmung und lockt Echos an.“

Ein kaum vernehmbares Knirschen erfüllte die darauf folgende Stille. Krampfhaft biss ich die Zähne zusammen und starrte mit weit aufgerissenen Augen ins Nichts. Dad konnte nicht recht haben. Wenn es mir einzig und allein um Sicherheit ginge, gäbe es auch andere Wege, die zu bekommen. Schon seit ich vom Echo-Institut wusste. Jeder beliebig Begabte von dort könnte mich vor Echos beschützen.

Dad irrte sich.

Dad wusste nichts von meiner gemeinsamen Vergangenheit mit Ciar.

„Die Echos sind nicht hier, weil ich mich schutzlos fühle“, begann ich, nachdem ich durchgeatmet hatte. „Ich habe keine Angst mehr vor Echos. Was sie anlockt, ist meine Sehnsucht nach Ciar.“

Vielleicht lag es daran, dass ich mich wieder an unser erstes Treffen in der Kindheit erinnern konnte, aber schon davor hatte ich gegenüber Ciar dieses Herzklopfen gehabt, von dem ich erst irritiert gewesen war. Mit ihm fühlte ich mich nicht nur sicher, sondern auch frei. Ich konnte bei ihm sein, wie ich bin, ohne Angst zu haben ihn zu verletzen oder ebenfalls zu deprimieren. Das war mir nur bei ihm möglich. Vor allen anderen verspürte ich immer den Druck, mich zusammenreißen zu müssen. Er hatte niemals versucht, mich zu verändern.

Ich war mir sicher.

Ich wusste jetzt ganz genau, was ich für Ciar fühlte.

Mehr Zeit, darüber nachzudenken, benötigte ich nicht mehr.

„Uns verbindet etwas, das du nicht verstehen kannst.“ Meine Gesichtszüge wurden weicher und der Ausdruck in meinen Augen wärmer. „Ich liebe ihn. So wie er ist. Er ist ein guter Mensch, glaub mir.“

Unser schweigsamer Blickkontakt hielt nicht lange an. Bald schon entspannte sich auch Dads Mimik und seine gesamte Ausstrahlung wurde von elterlicher Fürsorge eingenommen, was sein sanftes Lächeln untermalte. Ein herzliches, aufrichtiges Lächeln.

„Gut, du hast es ausgesprochen. Ich glaube dir“, sagte er zufrieden. „Darauf habe ich die ganze Zeit gewartet. Von Ciar hörte man es immerzu, nur nicht von dir.“

„Idiot“, beleidigte ich ihn halbherzig. Mir war so viel leichter zumute. „Das hättest du mir auch einfach mal sagen können.“

„Du wärst dieser Frage nur ausgewichen.“

„Stimmt.“

Dad schmunzelte. „Dachte ich mir.“

Dieses ganze Theater könnte ich ihm so bald nicht verzeihen, aber wenigstens hatte ich dadurch erkannt, was ich für Ciar fühle. Da Kierans Anblick mich nicht mehr mit Schmerz erfüllte und auch mein Herz in seiner Gegenwart völlig ruhig blieb, hatte ich mir demnach nicht einfach nur einen Ersatz für ihn ausgesucht. Diese Sorge konnte ich ebenso begraben. Meine alte Liebe war Vergangenheit, was ohne Ciar nicht möglich gewesen wäre.

„Ich werde Ciars Schicht übernehmen“, kündigte Kieran an, der sich zum Schluss herausgehalten hatte. Wann der richtige Zeitpunkt zum Schweigen war, konnte er wahrlich gut einschätzen. „Dann kannst du sofort zu ihm fahren und bei uns übernachten.“

Mein Gesicht hellte sich merklich auf. „Echt?! Das machst du für uns?“

„Natürlich.“ Kieran wirkte ebenso erleichtert wie ich, was ihm kaum anzusehen war. „Ciar ist mein Bruder und du bist mein bester Freund. Es ist mir wichtig, dass es euch gut geht.“

„Und du scheinst dich wirklich zu freuen“, fiel Dad auf.

Das bestätigte ich, indem ich rasch zur Tür rannte und ungeduldig zu verstehen gab, nicht mehr warten zu können. Immerhin wusste Ciar noch nichts davon, dass ich seine Gefühle erwiderte. Also musste ich es ihm dringend mitteilen – und ich war gespannt auf seine Reaktion, vielleicht gelang es mir mal ihn etwas aus der Fassung zu bringen. Mich trennte nur noch eine Autofahrt davon. Niemals hätte ich es für möglich gehalten, in meinem Leben kurz vor einem richtigen Happy End zu stehen.

Die Würgemale an meinem Hals waren schon in Vergessenheit geraten.

Darf ich einen Schritt weiter gehen?

Mein Mut hatte mich verlassen.

Nach zwei Wochen war ich zwar endlich wieder bei den Belfonds, in Ciars Zimmer, aber …

„Von wegen, er will uns nur einen Gefallen tun“, spottete er gereizt. „Das macht er nur, um sich ordentlich bei der Chefetage einzuschleimen. Als ob er das noch nötig hätte. Er genießt eh schon genug Sonderrechte.“

Alles, was Ciar tat, war über Kierans Großzügigkeit herzuziehen, während er nebenbei einige Dinge von seinem Schreibtisch räumte, scheinbar ohne dabei ein System zu verfolgen. Schweigsam beobachtete ich ihn dabei und hörte mir seine pausenlosen Sticheleien gegen Kieran an, die ich nicht kommentieren wollte. Für mich blieb er nämlich ein guter Freund, dem ich für seinen Einsatz dankbar war.

Dad hatte mich natürlich unbedingt bis zur Haustür begleiten wollen, danach war er jedoch überraschend zügig zurück ins Taxi gestiegen und wieder heimgefahren. Auch Kieran war bei uns gewesen, um Ciar persönlich darüber zu informieren, dass er heute nicht arbeiten gehen müsste. Wäre er begeisterter darüber, hätten wir ihn nicht aus Versehen bei seinem Nickerchen gestört?

Inzwischen waren Ciar und ich die einzigen zwei Seelen im Haus, wir hatten sozusagen sturmfrei. Keine Ahnung, wo sich der Rest seiner Familie genau herumtrieb. Vermutlich arbeiteten sie gerade alle für das Echo-Institut, es würde mich nicht mehr wundern.

Ciars spontanes Verlangen danach aufzuräumen beobachtete ich von seinem Bett aus, auf dem ich saß – irgendwie war das ein verstörendes Bild von ihm. Sich das anzusehen war ganz schön schmerzhaft. Anscheinend war ihm die Ordnung und der Ärger über Kieran wichtiger, als sich um mich zu kümmern. Wirklich etwas von Freude über meinen Besuch hatte ich in seinen Augen nicht ausmachen können. Auch dann nicht, als wir die ersten Worte miteinander gewechselt hatten.

Das nahm mir sämtlichen Mut, von dem ich vor einigen Minuten noch beflügelt gewesen war. Ciar befand sich im selben Raum wie ich, ganz nahe, aber er schien immer noch weit entfernt zu sein. Bei dem Gedanken kam mir die Textnachricht in den Sinn, wegen der ich dieses Gefühl zuvor schon mal erleben musste.

„Mich erstaunt an der ganzen Sache am meisten, dass Kieran uns beide dafür sogar freiwillig zusammengebracht hat“, fuhr Ciar ungläubig fort. Er lachte leise. „Und Vincent auch. Bei dem verstehe ich das aber noch eher als bei Kieran.“

„Hm“, gab ich eine knappe Bemerkung dazu ab.

Betrübt stieß ich einen Seufzer aus, was Ciar innehalten ließ. Er wandte sich vom Schreibtisch ab und drehte sich zu mir. Mein Anblick brannte ihm also anscheinend doch noch nicht plötzlich die Augen aus, wie ich schon befürchtet hatte.

„Stimmt was nicht?“, hakte er nach – wie unüblich für ihn, dass er solche höflichen Floskeln durchaus auszusprechen wusste.

Erst wollte ich das verneinen, dann übernahm meine Stimmung aber auf Anhieb das Sprechen. „Sag du es mir. Störe ich dich? Wenn du willst, kann ich mich auch wieder verpissen.“

War ich überhaupt jemals von mir aus hierher zu Besuch gekommen? Daran könnte es liegen. Normalerweise hatte stets Ciar mich zu sich eingeladen oder einfach hergeschleppt, woran ich mich irgendwann gewöhnen konnte. Eigentlich war ich auch froh darum gewesen, dass er die Treffen organisiert hatte und ich nie etwas tun musste. Konnte er es nicht ausstehen, wenn man von sich aus auf ihn zukam? Nervte ihn so etwas?

„Nein“, antwortete Ciar in einem seltsam herrischen Ton. „Du störst mich nicht, Ferris.“

„Kommt mir aber so vor“, sagte ich zweifelnd. Ohne es zu bemerken, starrte ich auf den Boden, statt ihn anzusehen. „Kieran scheint dich gerade mehr zu interessieren. Du hast mich nicht mal zur Begrüßung geküsst.“

Etwas, worauf er sonst nicht verzichtete. Egal, wie oft ich ihm gesagt hatte, dass er es lassen sollte, er hatte mir zu jeder sich bietenden Gelegenheit vor den Augen seiner Familie und Dad einen Kuss aufgedrückt. Diesmal aber nicht mehr. Warum nicht? Ich wäre bereit gewesen, den Kuss nach all der Zeit zum ersten Mal zu erwidern. Darauf hatte ich mich schon gefreut.

„Ich dachte, du konntest das noch nie leiden?“, erinnerte Ciar mich, der darüber merklich verwundert war. „Jedenfalls hast du das die ganze Zeit behauptet, also wollte ich dich erst mal nicht mehr bedrängen.“

„Warum?“ Verständnislos schüttelte ich den Kopf. „Was ist denn auf einmal anders?“

Zum Glück neigte Ciar nicht dazu, lange zu schweigen, sondern rückte schnell und schmerzlos mit einer Antwort heraus: „Deine Erinnerungen sind wieder da.“

Ich gab einen empörten Laut von mir. „Ja, und?“

„Und ich dachte, du bräuchtest etwas Zeit. Das ist alles.“ Aus seinem Mund klang das so harmlos und leicht daher gesagt, trotzdem fühlte ich mich abgewiesen. „Erst recht nachdem du nun weißt, dass ich dich liebe. Ich wollte nicht, dass dir das deswegen am Ende wirklich richtig unangenehm wird.“

Zögernd hob ich etwas den Kopf, so dass ich Ciar zumindest im Augenwinkel wahrnehmen konnte. „Soll das heißen, du wolltest nur Rücksicht auf mich nehmen?“

Da ich ihn mittlerweile kannte, wäre das tatsächlich möglich. Hoffnungsvoll hielt ich ab und zu den Atem an, womit ich meine Nervosität abzuschütteln versuchte. Mein Herz fing an schneller zu schlagen. Endlich konnte ich es zulassen, weil ich wusste, warum es so reagierte.

„Exakt. Außerdem wollte ich mein Glück nicht überstrapazieren.“

Verwirrt wagte ich mich, meinen Kopf noch mehr zu heben und den Blick zu ihm zu lenken. „Wie meinst du das?“

Ciar stand nach wie vor nahe an seinem Schreibtisch, war mir jedoch noch zugewandt. Seine Hände hatte er in die Hüfte gestemmt und durch seine lockere Haltung wirkte er gerade unbeschreiblich cool auf mich. Das Herzrasen war gewaltig heavy bei diesem Anblick.

„Na, wie schon?“ In seiner Stimme lag ein kleiner Hauch von Sanftmut. „Ich war überzeugt davon, dass du die nächste Zeit erst mal nur ewig an Vincent hängen wirst. Das war okay für mich, darauf hatte ich mich schon eingestellt. Aber dann hast du mir schon in den ersten Tagen geschrieben und wolltest dich mit mir treffen. So viel Glück hätte ich mir niemals ausgemalt.“

Nicht? Was für eine Überraschung. Obwohl Ciar jemand war, der sich alles zu nehmen schien, was er haben wollte, rechnete er sich nicht automatisch Erfolg aus? Irgendwie war das nahezu niedlich – das erleichterte mich, sonst bekam das in der Regel nur ich von ihm zu hören.

„Hätte ich dich früher als heute getroffen, wäre ich vor lauter Glücksgefühlen ohne Rücksicht auf Verluste über dich hergefallen“, gab Ciar grinsend zu. Aus der Sanftmut war plötzlich ein verführerischer Tonfall geworden. „Du musst besser aufpassen, Ferris. Offensichtliche Zuneigung von dir wirkt auf mich unsagbar betörend. Es sei denn, du willst gerne von mir rangenommen werden, dann mach nur so weiter~.“

Genau so drückte sich der Ciar aus, den ich vermisst hatte.

Mir wollten Tränen in die Augen schießen, aus purer Erleichterung. Eigentlich hatte ich mir fest vorgenommen, meine Liebe zuversichtlich und standhaft zu gestehen. Wenigstens ein Mal wollte ich Ciar nicht verheult im Gedächtnis bleiben, nicht ausgerechnet an diesem Tag. Im Zusammenreißen war ich aber nicht sonderlich gut, im Gegensatz zu Ciar.

Die Freude, die ich vorhin in seinen Augen vermisst hatte, war nun deutlich zu erkennen. Also hatte er mich wirklich nur nicht sofort bedrängen wollen.

„Mich hat dann auch aufgeregt, dass Kieran derjenige ist, der uns unser Zusammensein heute ermöglicht.“ Sein Schnauben unterstrich diesen Ärger nochmal zusätzlich. „Gerade der, in den du dich vor mir verliebt hast.“

Schmunzelnd rieb ich mir rasch mit den Händen über die Augen. „Was denn, ist der werte Herr etwa eifersüchtig?“

„Wenn es um dich geht, ja.“

Mein schwacher Versuch, mir die Tränen wegzuwischen, bevor Ciar sie bemerken konnte, schlug natürlich fehl. Seine Beobachtungsgabe war noch schärfer als die von Dad.

„Statt dich zu schonen, habe ich dich wohl vielmehr verletzt“, stellte er entschuldigend fest. „Das wollte ich nicht.“

Mit schnellen Schritten verringerte er die Distanz zwischen uns und kam zu mir ans Bett, wo er mir vorsichtig gegen die Stirn tippte. „Wenn ich mich erst mal verliebe, bleibe ich auch nur auf diese eine Person fixiert. Speicher das gut hier ab, klar?“

„Behandle mich nicht wie ein Kind“, tat ich genervt, aber ich musste lächeln.

„Wie soll ich dich dann behandeln?“ Forschend sah er mir in die Augen und beugte sich näher zu mir herunter. „Du benimmst dich etwas anders als sonst. Was ist passiert, hm? Hast du eingesehen, dass du auch unsterblich in mich verknallt bist?“

So wie er das sagte, war es scheinbar als Scherz gemeint. Mir kam es aber so vor, als hätte er bereits eine Ahnung, dass ich ihn liebte – notfalls würde er sicher mit Hilfe von Sarkasmus zurückrudern.. Es wäre auch echt schade, wenn man es mir nicht hätte anmerken können. Sonst würde Dad immer noch Zweifel an unserer Beziehung haben.

„Ja.“ Das kam mir unerwartet leicht über die Lippen, so dass ich nicht sicher war, ob ich es wirklich gesagt hatte. „Und dann hast du mir mit deiner abweisenden Art echt den Mut genommen, Mann. Scheiße, ich war schon kurz davor wieder zu denken, dass das Leben mich ha-“

Ciar schnitt mir das Wort ab. Seine Lippen legten sich auf meine, fordernd, dennoch blieb er dabei auch zärtlich. Erneut durchflutete mich Erleichterung. Ich schloss die Augen und erwiderte den Kuss sehnsüchtig. Kurz darauf spürte ich das Gewicht von Ciars Körper auf mir, als er mich runter auf das Bett drückte.

Behutsam strich er mit einer Hand über meine Wange, während er mich weiterhin küsste. Zwischendurch löste er seine Lippen von meinen und ließ mich kurz Luft holen, dann führte er den Kuss auch schon leidenschaftlich fort. Hiernach musste er sich seit langer Zeit gesehnt haben. Ein wohliger Schauer durchfuhr mich.

Als er mir erneut die Gelegenheit dazu gab durchzuatmen, löste er derweil den Schal von meinem Hals. Zu spät wurde mir bewusst, dass ich damit die Würgemale verdeckt hatte. Gleich wuchs die Befürchtung, es könnte diesen Moment schlagartig ruinieren. Ciar betrachtete die Spuren meines letzten Anfalls mitfühlend. Beinahe glaubte ich, er konnte sogar nachempfinden wie sich das anfühlte.

Statt mich auszufragen, schwieg er. Vorsichtig fuhr er mit den Fingern über die Würgemale und fing an, meinen Hals mit Küssen zu übersähen. Jeder einzelne tauschte den Schmerz gegen ein angenehm warmes Gefühl aus. Ich wünschte, er würde niemals damit aufhören.

„Für dich kommt das vielleicht noch zu früh“, hauchte er zwischen den Küssen. „Aber ich will dir schon seit Jahren so nahe sein. Ich möchte trotzdem nichts tun, was du selbst nicht willst. Wie sieht es aus? Darf ich einen Schritt weiter gehen?“

Ich wusste sofort, was er damit meinte. Gleich hatte ich sämtliche Stimmen der Vernunft im Ohr, denen schenkte ich jedoch keinerlei Beachtung. So gut wie jetzt hatte ich mich in meinem ganzen Leben noch nicht gefühlt, auch nicht als ich mein erstes Echo vernichten konnte. Mir gefiel sogar diese Hitze, die durch unsere Nähe entstand. Mein Körper war vollkommen entspannt und mein Innerstes losgelöst von jedem finsteren Gedanken. Vernunft war noch nie das Richtige für mich gewesen.

„Mach weiter“, bat ich leise, die Augen immer noch geschlossen.

Sein zufriedenes Lächeln konnte ich mir geradezu bildlich vorstellen. Nach meiner Zusage rutschte er ein Stück nach oben und gab mir einen Kuss auf die Stirn. Liebevoll strich er mir durch die Haare und löste dabei geschickt das Band aus meinem Nacken, mit dem ich sie an diesem Tag wieder zusammengebunden hielt.

„Ich hoffe, das hast du dir gut überlegt“, flüsterte er mir zu. „Nochmal werde ich nicht nachfragen. Und aufhören garantiert auch nicht.“

Mit dieser Ansage fuhr er mit den Lippen über mein Ohr, was mich angetan schaudern ließ. Gezielt griff er nach meinem Oberteil und hatte mich nach nur wenigen Handgriffen daraus befreit. Neben den Würgemalen war mein Körper hier und da auch noch von anderen älteren Narben geprägt, wovon ich mir die meisten selbst zugefügt hatte. Vor Ciar schämte ich mich aber nicht dafür.

Jede Narbe behandelte er mit einem Kuss, wobei er keine ausließ, als wüsste er genau wo sie alle zu finden waren. Woher? Auch im Sommer achtete ich darauf, dass meine Verletzungen nicht sichtbar waren. Zumindest nicht die schlimmen. Selbst wenn er mich immer beobachtet hatte, konnte er mich nicht derart in- und auswendig kennen. Oder?

Als seine Hände über meine Haut glitten, brachte das meinen gesamten Körper zum Zittern und mein Kopf leerte sich auf der Stelle wieder. Neben den Küssen strich er bald auch mit der Zunge über meine Narben. Dank denen spürte ich das noch wesentlich intensiver als auf meinem restlichen Körper.

„Ciar ...“

Egal, was er tat, all seine Berührungen und Liebkosungen flüsterten mir zu, dass es sein Ziel war, mir ein gutes Gefühl zu geben. Es ging ihm nicht darum, seine Lust zu befriedigen. Zwar hatte er die Führung übernommen, aber er ließ sich Zeit und blieb durchgehend zärtlich. Trotz meiner Untätigkeit fühlte ich mich nicht unbeholfen oder wie ein Versager im Bett. Ich war ihm einfach nur voll und ganz verfallen.

„Ich liebe dich“, keuchte ich mittendrin.

Bevor ich nicht mehr dazu in der Läge wäre und das Ganze schon seinen Höhepunkt erreichte, wollte ich es vorher doch anständig ausgesprochen haben. Sonst hätte ich hinterher das Gefühl, es nicht rechtzeitig klargestellt zu haben. Von Ciar kam darauf ein herzliches Lachen, wenn auch nur ein leises. Unbeirrt machte er weiter, was seine Art war auf meine Worte zu reagieren.

Langsam setzte er dazu an, mir auch die Hose auszuziehen, was ich einfach zuließ. Das hier war so viel besser als dieser ätzende Liebeskummer, der mir gerade nur noch wie ein alter Alptraum vorkam. Geliebt zu werden war heilsamer als jede Medizin. Diese Nacht zeigte mir, dass ich mich richtig entschieden hatte – und meine Gefühle für Ciar wurden noch stärker.

Vertraust du mir?

Ferris' schlafendes Gesicht sah so entspannt aus, wie es immer hätte sein sollen. Er lag dicht neben mir und schnarchte ganz leise – zu süß. Sein warmer Atem kitzelte auf meiner Haut. Diese Nacht war die beste meines Lebens gewesen, was ich ohne jede Übertreibung sagen konnte. Derart friedlich hatte ich Ferris noch nie schlafen gesehen, der Anblick erfüllte mich, zu recht, mit Stolz, aber vor allem mit Glück.

Darum dachte ich gar nicht daran ihn zu wecken, sondern genoss es, ihn einfach schweigend zu beobachten. Aus der Nähe, nicht mehr länger aus der Ferne. Nach all den Jahren war dieser Moment endlich zur Realität geworden. Ich hatte es mir zwar oft vorgestellt, doch kam die Fantasie bei weitem nicht an die Wirklichkeit heran. Niemals hätte ich erwartet, dass Ferris meine Liebe schon so früh erwidern würde. Ich war mir sicher gewesen er bräuchte erst mal noch etwas Zeit, um mit allem zurechtzukommen, und ich hätte geduldig auf ihn gewartet.

Nun lag Ferris aber hier, bei mir. Ein großartiges Gefühl. Meine Mühen hatten endlich Früchte getragen und gaben mir genau das, was ich wollte. Glücklicher konnte ich gerade kaum sein. Hoffentlich blieb das so, denn nochmal könnte ich nicht so viel Geduld aufbringen. Davon war alles restlos aufgebraucht – auf diese Nähe wollte ich nicht mehr verzichten.

Durch das Fenster drang Sonnenlicht in mein Zimmer hinein, also könnte es schon Mittag sein. Das Blau von Ferris' Haaren strahlte noch mehr als sonst. Behutsam strich ich mit einer Hand über seinen Kopf und wischte ihm auch einige Strähnen aus dem Gesicht. Wunderschön, wie das Meer. Genauso beruhigend wie damals.

Plötzlich regte Ferris sich ein wenig und atmete einmal schwer aus, bevor er die Augen halb öffnete. Müde blinzelte er mich an. Zuerst schien er etwas irritiert und ohne jegliche Orientierung zu sein, aber das kannte ich schon von ihm. Als er sich dann an unsere gemeinsame Nacht erinnerte, schoss ihm prompt die Röte ins Gesicht und er verzog verschlafen das Gesicht.

„Grins nicht so“, nuschelte er peinlich berührt – wie unschuldig Ferris sein konnte, wenn er gerade erst aufgewacht war.

„Dir auch einen guten Tag, Schatz“, neckte ich ihn amüsiert. „Fühlst du dich gut, hm?“

„Mann, frag mich das nicht.“ Wie ein schüchternes Kind zog Ferris die Decke über den Kopf. „Ich ertrage so viel Coolness nicht direkt am Morgen.“

„Du meinst Mittag.“

„Ist doch egal.“

„Vincent würde das verneinen“, meinte ich belehrend, musste dann aber schon wieder schmunzeln. „Willst du noch etwas weiterschlafen?“

Unter der Decke ertönte ein zustimmender Laut und Ferris drehte sich träge auf die andere Seite. Am liebsten hätte ich ihn noch ein wenig mehr geärgert, indem ich ihm zeigen würde, dass mich nichts davon abhalten könnte ihn jederzeit anzufassen, doch ich hielt mich vorerst noch zurück. Zu gierig sollte ich nicht werden.

„Ich geh mir was zu trinken holen“, kündigte ich an und rutschte zum Bettrand. „Bleib du ruhig liegen. Ich komm gleich wieder.“

Gähnend antwortete Ferris mit einem leisen „Okay“.

Rasch zog ich mir etwas an, immerhin wohnte ich leider nicht alleine in diesem Haus. Sobald ich mit Ferris zusammenlebte, könnte ich tun und lassen was ich wollte – das beinhaltete auch ihn mit meinem Körper regelmäßig zu verführen. In Zukunft würde ich äußerst anhänglich werden.

„Ey“, hörte ich Ferris sagen, der die Decke wieder ein Stück nach unten zog, so dass sein Kopf hervorlugte. „Bringst du mir 'ne Cola mit?“

Ich lächelte breit. „Alles, was du willst. Das kostet dich aber mindestens einen Guten-Mittag-Kuss.“

„Lustmolch“, tat Ferris empört.

„Du wusstest, worauf du dich mit mir einlässt.“

„Ich verdurste hier“, drängte er mich zur Eile.

„Schon gut, mein Herzchen, bin unterwegs. Halte deine Lippen für mich bereit.“

Daraufhin murmelte Ferris etwas vor sich hin, das ich nicht verstand, aber ich schritt dennoch zufrieden aus dem Zimmer Richtung Küche.

Unterwegs machte ich Halt im Bad, für eine kurze Katzenwäsche und einen Toilettengang, ehe ich meinen Weg fortsetzte. Eine der Wanduhren verriet mir, dass es kurz nach Zwölf war. Für Ferris' Verhältnisse musste das tatsächlich noch viel zu früh sein. Praktischerweise hatte er momentan keine Pflichten wie Schule oder Arbeit, denen er nachkommen müsste, also konnte er meinetwegen ruhig so viel schlafen wie er wollte. Hauptsache er war bei mir.

Unten angekommen öffnete ich den Kühlschrank und fischte mir gezielt die Getränke heraus, die ich haben wollte. Im Nebenzimmer hörte ich jemanden reden, was ich zu ignorieren versuchte. Vom Klang her musste das mein Vater sein und den wollte ich gerade nicht sehen, Ferris war mir wichtiger. Also fuhr ich herum, nachdem ich hatte, was ich brauchte, und wollte nur noch schnellstmöglich zurück in mein Zimmer.

„Keine Sorge, Ferris geht es gut.“

Sofort blieb ich stehen. Warum redete mein Vater über Ferris? Und mit wem? In mir erwachte ein Groll, den ich seit meiner Kindheit mit mir herumschleppte. Egal, worum es genau ging, niemand sollte sich in meine Beziehung mit ihm einmischen. Niemand hatte das Recht uns zu beurteilen oder zu lästern. Niemand durfte über uns reden. Niemand nahm mir Ferris wieder weg.

Ich zwang mich dazu, mich zu beruhigen, statt mich gleich aufzuregen. Rückwärts ging ich einige Schritte näher zu der angelehnten Tür, die von der Küche ins Wohnzimmer führte. Dort hielt mein Vater sich gerade auf und unterhielt sich mit jemandem. Da ich einen vorsichtigen Blick riskierte, konnte ich sehen, dass er ein Telefonat führte und das Handy ans Ohr hielt. Mir genügten nur wenige weitere Wortfetzen und ich wusste wer sein Gesprächspartner war: Vincent.

„Ich glaube, sie schlafen noch“, berichtete mein Vater, eintönig wie eh und je – manchmal glaubte ich, er habe an nichts wirklich Interesse, weshalb er so etwas wie Begeisterung oder andere deutliche Stimmungen nicht kannte. „Ciar sorgt schon dafür, dass er anständig isst.“

Genervt rollte ich mit den Augen. Kaum durfte Vincent sich wieder offiziell als Ferris' Vater bezeichnen, übertrieb er es mit seiner Fürsorge. Allerdings musste auch ich zugeben, dass Ferris zu wenig aß und man ihn etwas zu oft dazu antreiben musste. Im Gegensatz zu Vincent wusste ich aber auf was er am besten ansprang. Nach dieser Nacht störte es mich extrem, Ferris mit diesem Therapeuten teilen zu müssen, dabei hatte ich mich zuvor eigentlich genau darauf eingestellt gehabt.

Es folgte Schweigen, sicher weil Vincent gerade derjenige war der sprach. Als sich die Stille mehr und mehr in die Länge zog wurde ich ungeduldig und wäre am liebsten ins Wohnzimmer gestürmt, doch ich beherrschte mich. Solcherlei Ausraster hätten nur zur Folge, dass man Ferris von mir trennen würde. So weit durfte es niemals kommen.

„Ich verstehe, das ist in der Tat eine schwere Entscheidung“, kam mein Vater dann endlich wieder zu Wort. Sein nachdenklicher Tonfall deutete auf nichts Gutes hin. „Laut Vane scheint sie momentan durchaus stabil genug dafür zu sein, aber wäre Ferris jetzt schon bereit dafür, seine Mutter wiederzusehen?“

Nein. Oh nein. Darüber unterhielten sie sich also. Angespannt knirschte ich mit den Zähnen und versuchte, kontrolliert zu atmen.

Das konnte nicht Vincents Ernst sein. Gerade er als Therapeut müsste wissen, dass es noch viel zu früh war schon über dieses Thema nachzudenken. Mir war es egal, ob Vincent Schuldgefühle hatte und seinem Sohn deshalb nichts mehr verschweigen wollte. Mich kümmerte es auch nicht, wie groß die Sehnsucht von Iris, der Mutter von Ferris, war. Es blieb ein Fehler. Er würde daran wieder erneut zerbrechen, davon war ich überzeugt. Dafür war er zu labil.

In meinem Kopf setzten sich bereits erste Bilder zusammen, wie ich jeden, der etwas darüber wusste, aus dem Weg schaffen könnte, um Ferris zu schützen. Dummerweise käme ich für jede dieser Ideen postwendend ins Gefängnis, lebenslänglich. Keine gute Option. Trotzdem ließen mich diese Gedankenspiele nicht los.

Obwohl Ferris nun mir gehörte, blieb alles in dieser Welt eine Gefahr für uns. Mit jeder Sekunde verstärkte sich dieser Gedanke und ließ mein Herz auf eine Größe anschwellen, die einen brennenden Schmerz in meiner Brust verursachte. So fühlte es sich jedenfalls an. Als könnte nur ein kleiner Nadelstich mich zum Explodieren bringen.

Mit solch einem inneren Druck konnte ich unmöglich zu Ferris zurück, vorher musste ich etwas dagegen tun. Es wäre wahrscheinlich vernünftiger, sich nicht in das Gespräch einzumischen, aber jetzt oder nie. Wie von selbst stellte ich die Flaschen auf eine der Ablagen und griff bereits entschlossen nach dem Türgriff, als mich eine vertraute Stimme innehalten ließ: „Hast du das gewusst?“

Ich drehte mich zur Seite: „... Ferris?“

Zuerst dachte ich, nein, betete ich dafür, mir das nur einzubilden. Wenige Schritte entfernt stand Ferris vor mir, in der Küche, dabei war er zum Aufstehen vorhin noch viel zu müde gewesen. Falls seine Sehnsucht nach mir ihn hierher getrieben hatte, war das der allerschlechteste Zeitpunkt für solch ein anhängliches Verhalten. Warum ausgerechnet jetzt?

„Du hast davon etwas gewusst, oder?“, wiederholte Ferris die Frage langsam.

Mist, hatte er es etwa auch gehört? Natürlich, die Stimme meines Vaters war durch unsere Arbeit besonders weitreichend und schien stets leise von Raum zu Raum zu wandern. In diesem Augenblick kam mir das wie die Melodie des Teufels vor, weswegen ich sie noch mehr hasste als sonst.

Ferris sah mich blass an, der Schock stand ihm deutlich ins Gesicht geschrieben. Mit seinem zerwühlten Haar und der zerknitterten Kleidung stand er verloren da, völlig fassungslos über das, was er gehört hatte. Nur vor einigen Minuten war er noch das genaue Gegenteil gewesen – genau das hatte ich vermeiden wollen. Mist.

„Hör zu, ich-“

„Erst die Sache mit Dad“, unterbrach Ferris mich, „dann unsere gemeinsame Vergangenheit und jetzt das. Warum verschweigst du mir solche wichtigen Dinge?“

„Ich weiß, das wird jetzt furchtbar dämlich und klischeehaft klingen“, erwiderte ich vorsichtig, aber ernst genug, um nicht so zu wirken als würde ich die Situation auf die leichte Schulter nehmen. „Ich wollte dich beschützen.“

Keinerlei Regung zeigte sich in Ferris' Gesicht, was mich ziemlich beunruhigte. Als er dann auch noch die Hand hob und sich wie in Trance über den Hals strich, erwachte in mir die Sorge, er könnte gleich anfangen sich selbst zu würgen. Deshalb hastete ich bereits einen Schritt auf ihn zu, doch er wich sofort zurück und schnaubte wütend.

„Bist du dir ganz sicher, dass das deine Antwort ist?“ Seine gesamte Körperhaltung war ablehnend mir gegenüber, während er das sagte. „Du spielst doch nur mit mir, oder? Macht es so mehr Spaß, statt einfach nur offen gemein zu mir zu sein?“

Statt mich zu rechtfertigen, ging ich weiter auf ihn zu, was ein großer Fehler war. Schon nach meinem nächsten Schritt fuhr Ferris herum und stürmte davon, auf die Haustür zu. Fluchend rannte ich ihm hinterher. Kurz darauf fand ich mich in einer Verfolgungsjagd durch die Stadt wieder und ließ Ferris nicht aus den Augen. Die Umgebung rauschte unscharf an mir vorbei, sämtliche Laute gingen in dem wilden Trommeln meines Herzens unter. Eisiger Wind peitschte mir ins Gesicht.

Jedes Mal, wenn ich dicht genug an Ferris herankam, so dass ich ihn greifen konnte, machte er plötzlich eine Kurve und bog um die nächste Ecke oder nutzte ein anderes Hindernis. So erwischte ich ihn einfach nicht. Seit wann war er so geschickt? Ich war viel schneller und trainierter als er, trotzdem bekam ich ihn nicht zu fassen. Das schien etliche Minuten so zu gehen. Auf meine Rufe reagierte er nicht. Warum? War ich für ihn nun auch nur noch ein Monster?

Kaum hatte mich dieser schreckliche Gedanke gepackt, endete unser Marathon endlich, auf einer Schrägseilbrücke. Sie führte über einen großen Fluss, der tosend wie eine Herde wild gewordener Tiere in eine Richtung davon strömte. Sogar mein Herzschlag war dagegen nur noch wie ein leises Wimmern und kaum noch zu hören.

„Ferris!“, keuchte ich atemlos – nicht aus Erschöpfung, sondern weil mein Innerstes Amok lief. „Was machst du da?!“

Flink war er auf das Geländer der Brücke geklettert, als hätte er sein ganzes Leben lang nichts anderes gemacht. Er hielt sich an einem der Seile fest, das dort entlang verlief. Den Blick nach unten ins Wasser gerichtet. In mir brausten die Emotionen noch mehr auf.

„Hör auf damit.“ Ich klang tadelnd, dabei war ich gerade nur verrückt vor Sorge. „Lass uns in Ruhe reden, ja?“

Kein einziger Ton kam über Ferris' Lippen. Seine Augen blieben auf das Wasser fixiert. Erschrocken starrte ich auf die Würgemale an seinem Hals, die irgendwie größer geworden zu sein schienen und sich tiefer in seine Haut gebrannt hatten. Sie glühten und knackten wie ein richtiges Feuer, das nur darauf wartete mit seinen Flammen nach dem Himmel greifen zu können, um ihn in die Hölle zu verwandeln.

Der Hals von Ferris war nicht länger von einfachen Würgemalen übersät, sondern von Stichwunden, die sich wie eine Schlinge um ihn wickelten. Schon der Anblick ließ mich erahnen, wie schmerzvoll das sein musste. Brennend schmerzhaft.

„Ich kann nicht mehr“, hauchte Ferris furchtbar heiser und stotternd. „Ich halte das nicht aus.“

Noch bevor er das Seil loslassen und sich fallenlassen konnte, sprang ich los. Dachte gar nicht erst nach. Versuchte, ihn rechtzeitig zu erreichen. Aber irgendetwas stimmte nicht. Egal, wie sehr ich mich abmühte und rannte, ich kam keinen einzigen Zentimeter näher an Ferris heran. Als würde ich auf der Stelle laufen.

Ehe ich begreifen konnte, was hier eigentlich los war, sah ich Ferris dann schon vom Geländer stürzen. In nicht mal einer Sekunde war er einfach verschwunden. In mir fiel alles zusammen wie ein Kartenhaus, dem genau das Stück entrissen worden war, auf dessen Grund das gesamte Konstrukt aufbaute.

Mit dem nächsten Wimpernschlag prallte ich dann schließlich selbst gegen das Geländer, das ich endlich erreicht hatte, nachdem es bislang unerreichbar gewesen war. Leider viel zu spät.

„Ferris!“

Einige weitere Sekunden lang war nicht dazu fähig etwas anderes zu tun, als hilflos dazustehen und in den Fluss hinab zu starren, in der Hoffnung, Ferris irgendwo entdecken zu können. Ich lehnte mich so weit dafür über das Geländer, dass ich bald ebenfalls stürzen könnte, doch das war mir egal. Tatsächlich entdeckte ich dann etwas in dem dunklen Wasser. Winzige Lichtpunkte. Mehrere. Nach und nach begannen sie hell zu strahlen. Rot. Wie die Herzen der Echos.

Erst da realisierte ich, was passiert war. Langsam lehnte ich mich zurück und entfernte mich einen Schritt von dem Geländer. Nur schleichend legte sich der Schleier um mich herum, durch den ich meine Umgebung nicht mehr wahrgenommen hatte, weil ich mich nur auf Ferris konzentriert hatte. Diese Schrägseilbrücke existierte überhaupt nicht in der Stadt, zumindest nicht in dieser Form. Sie schwebte mitten im Nichts, in einer Unendlichkeit, die einem Himmel ähnelte. Nur war dieser nicht blau, sondern bestand aus einer Mischung von verschiedenen Grüntönen. Kohlrabenschwarze Wolken schmückten das ganze aus, sie zuckten unruhig von einer Stelle zur anderen.

In der Ferne waren weitere Brücken zu sehen, genau dieselbe wie die, auf der ich gerade stand. Wie in einem Spiegel existierten unzählige Abbilder von ihr, allesamt in unregelmäßigen Abständen in diesem Himmel verteilt. Manche standen sogar auf dem Kopf oder lagen auf der Seite, zumindest von meinem Standpunkt aus wirkte es so.

Ein reißendes Geräusch dröhnte über diesen Ort hinweg, wie aus einem Nebelhorn geblasen, weshalb ich erschrocken zusammenzuckte. Im selben Moment erschien vor mir Ferris, der von oben heruntergestürzt kam. Um sein Hals schlang sich ein Seil, an dem sein Körper leblos hin und her baumelte. Die Leere in seinen Augen war derart schmerzhaft, dass mir der Atem stockte.

Obwohl dieser Körper eindeutig tot war, fing Ferris an zu sprechen, wobei er sogar die Lippen bewegte, wenn auch nur unheimlich krampfhaft und verzerrt: „Hast du es etwa vergessen?

Eine unmenschliche Flüsterstimme drang an mein Ohr, bohrte sich dort hinein und zersplitterte. Der Schmerz zog sich bis in meinen Kopf. Nur flüchtig bemerkte ich, wie nach und nach auch auf den anderen Brücken der tote Körper von Ferris erschien. An einem Seil erhängt, von der Spitze der Brücke baumelnd. Für jede einzelne Stimme, die sich anschließend zu Wort meldete:

Wie lange willst du noch warten?“

Wir nicht mehr.“

Du hattest doch einen Plan.“

Warum vernachlässigst du ihn?“

Nicht gut.“

Das wird gefährlich.“

Hast du dein Ziel aus den Augen verloren?“

Dabei hast du alles, was du brauchst.“

Uns.“

Deine Kraft.“

Unsere Kraft.“

Seine Kraft.“

Mehr brauchst du nicht.“

So war es geplant.“

Oder hast du die Kontrolle verloren?“

Zu schade.“

Obwohl du einer von uns bist?“

Hintergehst du uns am Ende?“

Wage es nicht.“

Du wirst es bitter bereuen.“

Tränen rannen über meine Wangen. Nicht, weil ich aus irgendeiner Emotion heraus weinte, sondern weil meine Augen so stark zu brennen anfingen. Die Hitze erfasste meinen gesamten Körper und mein Herz antwortete darauf, indem es kräftiger und schneller schlug. Es wollte aus meiner Brust ausbrechen und endlich wieder frei sein, sich entfalten. Auf die Stimmen seiner Brüder und Schwestern antworten.

Ich kann es ihm kaum verwehren.

Ich bin dieses Herz.

Grinsend legte ich den Kopf in den Nacken. „Was denn, was denn? Seid ihr etwa so nervös? Das verletzt mich. Ich dachte, es sei klar, dass ich meine wahre Familie nicht im Stich lasse?“

Ein protestierender Chor aus Stimmen preschte von allen Seiten her auf mich ein, griff mit gierigen Händen nach mir und versuchte, mich durchzuschütteln. Davon ließ ich mich aber nicht beeindrucken. Für mich war dieser Versuch der Kommunikation höchstens putzig, mehr nicht.

„Ich weiß, dass ihr es eilig habt“, entgegnete ich überlegen. „Und ihr wisst hoffentlich, dass ihr zu warten habt, bis ich den Zeitpunkt bestimme.“

Inzwischen war die einzige Farbe, die ich noch wahrnehmen konnte, Rot. Meine Augen zeigten gerade wahrscheinlich mehr denn je mein wahres Ich, was auch das Brennen erklären würde. Schmunzelnd schüttelte ich den Kopf und legte eine Hand auf die Brust, hinter der mein Kern verborgen lag, umgeben von vielen anderen Herzen der Echos.

„Mir zu zeigen, wie Ferris krepiert, um mich zu testen und daran zu erinnern, wofür ich ihn brauche, ist überflüssig“, flüsterte ich bedrohlich. Mein Grinsen schwand. „Hört endlich auf damit, diese Nummer abzuziehen. Was ich mit meinem menschlichen Körper treibe, geht euch nichts an. Diese Art der Freizeitbeschäftigung könnt ihr sowieso nicht nachvollziehen.“

Aus den Tiefen des Flusses versuchte mich etwas magnetisch anzuziehen, doch ich schenkte dem nicht mehr Beachtung als nötig. Immerhin stand der Plan schon lange und ich ließ mich davon nicht abbringen. Niemand, weder Menschen noch Echos könnten mich aufhalten.

„Wir werden alles zerstören, was uns im Weg steht“, sagte ich finster, im Einklang mit den anderen Echos. „Um zu überleben, werden wir zerstören.“

Schon sehr bald. Nicht mehr lange, dann konnten wir diesen Plan in die Tat umsetzen. Beim Gedanken daran kribbelte mein Körper vor Erregung und das Brennen in meinen Augen wurde intensiver.

Vergiss es nicht.“

Wir beobachten dich.“

Und wir wissen, was du getan hast.“

Wenn du uns doch noch hintergehst, verraten wir ihm, dass es deine Schuld war.“

Dieser Brand.“

Genau.“

Du weißt, wovon wir reden.“

Ferris hat sein Haus und seine Familie nur deinetwegen verloren.“

Und jetzt tust du so, als wärst du sein Freund.“

Monster.“

Du bist genau wie wir.“

Bilde dir nichts ein.“

Ich spürte einen leichten Druck in der rechten Schulter, weshalb ich herumfuhr und direkt meine Wut in Flüche verpacken wollte, aber ich konnte rechtzeitig innehalten. Hinter mir stand Ferris, vollkommen lebendig, genau wie vorher. Wir standen auf der Treppe, die hinauf in den ersten Stock führte, wo sich mein Zimmer befand. Plötzlich war alles wieder vollkommen normal. Keine Brücken. Keine Stimmen. Alles normal.

„Wow, Sorry.“ Überfordert rieb Ferris sich die Augen, noch genauso müde wie vorher. „Du hast so lange gebraucht.“

Sofort wurden meine Gesichtszüge weicher und ich lächelte ihn an. „Oh, hat mich da etwa jemand vermisst?“

„Ich sollte jetzt aus Prinzip Nein sagen“, kommentierte Ferris grummelnd.

Er schnappte sich die Cola, die ich in einer Hand hielt, obwohl ich sie vorhin unten in der Küche abgestellt hatte – das musste also auch schon Teil der Illusion gewesen sein. Da Ferris im Anschluss gleich nach oben trottete, folgte ich seinem Beispiel und wir gingen gemeinsam ins Zimmer zurück. Dort war der Raum erfüllt von Ferris' Geruch, was äußerst beruhigend auf mich wirkte. Es war wie das Paradies.

Erschöpft ließ ich mich auf dem Bett nieder, wo ich meine Wasserflasche öffnete, mehrere Schlücke auf einmal nahm, um das brodelnde Feuer in mir zu löschen. Schon schlimm genug, dass sich meine Brust nach wie vor zu eng für mein Herz anfühlte, das diese Hitze verursachte. Wie konnten die Echos es wagen mir zu drohen? Dachten sie etwa wirklich, sie könnten mit mir spielen? Derjenige, der sich das erlauben konnte, war ich, sonst keiner.

„Alles okay?“, wollte Ferris wissen, der verschlafen an seiner Cola nippte.

Erfrischt ließ ich von der Wasserflasche ab und strich mit dem Handrücken über meinen Mund. Ich wollte lässig versichern, dass alles in Ordnung sei und er lieber mit mir rummachen sollte, statt dumme Fragen zu stellen, aber …

„Vertraust du mir?“, fragte ich unruhig, was mehr als untypisch für mich war.

Glücklicherweise war Ferris noch zu müde, deshalb nahm er das sicher noch nicht richtig wahr. Dennoch wirkte er natürlich überrascht und sah mich nachdenklich an.

„Hä?“

„Das ist keine anständige Antwort.“ Ein feiner Rotstich trübte meine Sicht immer noch ein bisschen. „Was auch immer passiert, du vertraust mir, oder?“

Überfordert fuhr Ferris sich durch die Haare. „Nun, ja. Schätze schon. Ich glaub nicht, dass ich wen lieben könnte, dem ich nicht vertraue.“

Schlagartig ging die Schwellung zurück und mein Herz schmerzte nicht mehr so sehr in meiner Brust wie vorher. Ich fühlte mich leichter. Jetzt war ich wieder Ich.

„Gut.“ Sanft zog ich Ferris näher zu mir, um meinen Guten-Mittag-Kuss einzufordern. „Ich werde alles tun, damit das so bleibt.“

Tief in mir tuschelten die Stimmen der Echos spöttisch miteinander und bemühten sich gar nicht darum leise zu sein: „Du machst dir selbst etwas vor, Ciar.“

Beginnen wir mit der Zerstörung

Der Schnee unter meinen Schuhsohlen knirschte wie Glas, sackte unter meinem Gewicht ein Stück nach unten und wurde zusammengepresst. Wenn ich die Ohrenschmerzen ignorierte und genauer hinhörte, konnte ich die leisen Schreckenslaute herausfiltern, die dem Knirschen beigemischt waren. Als hätte dieser Schnee, auf dem ich lief, eine Seele, die unter jedem meiner Schritte litt.

Links und rechts neben mir ragten Eiszapfen in die Höhe, bildeten am Straßenrand zwei gleichmäßige Reihen. Die Spitzen dieser Schönheiten aus Eis glitzerten unheilvoll, als wollten sie mich dazu einladen meinen Leib einfach sofort auf sie niederfallen zu lassen, damit sie mein Herz berühren könnten. In den Eiszapfen pulsierte etwas, wodurch sie hin und wieder zu glühen anfingen und Licht spendeten.

Die Gebäude um mich herum waren nur noch ein Schatten ihrer Selbst. Nichts weiter als Gerüste und Stützpfeiler. Fast wie blanke Skelette, welche sich mit letzter Kraft aufrecht hielten und langsam verrotteten. Zitternd vor Kälte. Feine Schichten aus Eis hatten sich bereits über sämtliche Glieder dieses Elends gezogen.

Ich atmete durch die Nase, während ich lautlos über mich selbst und meine poetische Ader lachte, mit der ich das alles betrachtete. Dabei sollte man meinen, dass ich mich schon an dieser Zerr-Welt sattgesehen hatte. Immerhin dauerte der Spaß, den ich mit dem Echo, dessen Werk dieses gesamte Bild war, hatte, schon seit einer Weile an.

Vor mir, am Ende der Straße, wartete es auf mich. Das Echo.

Obwohl ich inzwischen so einige seiner Kollegen erledigen konnte, war ich doch immer wieder erstaunt, was für unterschiedliche Formen sie annahmen. In diesem Fall fügte sich das Echo nahezu malerisch in die Umgebung ein. Am Ende der Straße stand ein Baum, bestehend aus heißem Teer, welcher in diesem winterlichen Szenario noch mehr als sonst dampfte.

Dieser Baum überragte mit seiner Größe die traurigen Konstruktionen, die einst Gebäude gewesen sein sollten, und streckte sich dem dunkelvioletten Himmel entgegen, an dem schwarze Wolken hingen. Er war riesig. Bislang das größte Echo, dem ich je begegnet war. Erst recht wenn ich die zahlreichen Äste mitzählte. Allesamt Arme, deren Hände krampfhaft nach etwas greifen wollten, das nicht da war – oder sie versuchten irgendwie sich vom Stamm loszureißen, vergeblich.

Neben dieser Horrorgestalt eines Baumes sah ich wie eine mickrige Erbse aus, die man kinderleicht zerquetschen konnte. Trotzdem war ich derjenige, der den Schnee und somit einen Teil des Echos unter sich begrub, weil ich mich problemlos bewegen konnte. Schon dumm, wenn da diese dicken Wurzeln waren, die sich zu tief in die Erde bohrten und einem die Möglichkeit nahmen sich vom Fleck rühren zu können.

„Alles klar, bereit für die nächste Runde, ja?“, fragte ich motiviert, mit einem breiten Grinsen. „Hier kommt deine zweite Chance!“

Mein Schwert, das ich lässig gegen meine Schulter gelehnt mit mir trug, schwang ich nun wieder kampfbereit nach vorne. Nur ein einziger gezielter Schnitt genügte, um eine der Spitzen eines Eiszapfens abzutrennen. Aus dieser offenen Wunde sprudelte eine magentafarbene Flüssigkeit heraus. Schnell sprang ich hoch, knapp über den beschädigten Eiszapfen, um mich von der folgenden Fontäne mit nach oben in die Luft befördern zu lassen.

Nur knapp drei Sekunden später erreichte ich schon die ersten kleineren Äste des Baumes. Von unten hatte ihre Formation ein bisschen einem Spinnennetz geähnelt, das den Himmel in sich trug. Aus der Nähe betrachtet erschienen sie mir gerade wie hunderte lange Peitschen, dünn und beweglich, welche augenblicklich von allen Seiten auf mich einzuschlagen versuchten. Zu schade für das Echo, dass diese feinen Gebilde lächerlich einfach mit dem Schwert aufzuhalten waren.

Mühelos trennte ich einen Ast nach dem anderen ab, der mich aufzuhalten versuchte, worauf sie haltlos Richtung Boden stürzten. Irgendwann hatte die Fontäne aus dem Eiszapfen ihr Limit erreicht und versiegte wieder, doch ich war hoch genug, auf einer von mehreren blutroten Früchten Halt zu finden. Sie waren rund, mit mehreren buckeligen Stellen auf der harten Schale, und etwa so groß wie ein Kleinwagen.

Die Äste waren dicker und breiter geworden, nicht mehr so biegsam, aber stark genug, um diese Früchte zu halten. Kaum war ich auf einer von ihnen gelandet, hörte ich ein schwaches Ticken, das sich binnen eines Atemzuges in eine laute Sirene verwandelte. Ich sprang gerade rechtzeitig ab, um die nächste Frucht als Zwischenstation zu missbrauchen, bevor die andere mit einem ohrenbetäubenden Knall explodierte.

Der gesamte Baum vibrierte stark. Ein Teil der feineren Äste, deren Ziel ich noch gewesen war, wurden von dieser Explosion regelrecht zerfetzt.

„Nah, du tust es schon wieder. Du sollst dich doch nicht selbst schlagen“, lachte ich laut, wofür ich direkt bestraft werden sollte.

Statt weiter mich erwischen zu wollen, schlugen die Zweige nun auf eine andere Frucht in meiner Nähe ein, wodurch diese ebenfalls in die Luft flog. Ich wurde von der Druckwelle weggeschleudert und knallte gegen einen benachbarten Ast. Sofort kroch der heiße Teer gierig über meinen Körper – Mist, das gefiel Ciar sicher nicht. Es verhärtete so schnell, dass ich festsaß und mich nicht mehr richtig bewegen konnte. Dennoch brannte das Zeug weiterhin unangenehm auf der Haut.

Ich keuchte überrascht. „Wow, okay. Kein Grund so grob zu werden.“

Der Griff um mein Schwert lockerte sich und ich ließ es los. Im Sturz zersplitterte es in mehrere Teile und zerschnitt auf meinen Willen hin die anderen Früchte in der Nähe, damit keines der Dinger doch noch vor meiner Nase in die Luft flog, während ich bewegungsunfähig war. Das wäre nämlich ziemlich uncool.

Zu meinem Glück kamen die dünneren Äste einige Meter weiter unter mir nicht mehr alle richtig an mich heran, ein paar in meiner Reichweite schossen dennoch auf mich zu, daher musste ich zügig hier wegkommen. Meine Brust schmerzte ein wenig, weil mein Herz plötzlich stärker schlug, als ich meine Seele in meine Stimme legte und einen Befehl aussprach.

Erzittere!“, rief ich laut und deutlich.

Durch die Explosion war der Baum vorhin quasi nur von einem Schauer erfasst worden, doch jetzt bebte er so heftig von den Wurzeln aus bis zum letzten Winkel jedes noch so kleinen Astes, dass der verhärtete Teer Risse bekam und anfing zu bröckeln. Genug, dass ich mich mit einigen ruckartigen Bewegungen befreien konnte.

Im Sturz rief ich die Splitter meines Schwertes zurück und packte den Griff, noch bevor die Klinge vollständig wieder zusammengesetzt war.

„Und jetzt: Erstarre!

Der Widerspruch der beiden Befehle sorgte dafür, dass das Echo überfordert aufschrie. Da mir sowieso noch die Ohren wegen den Explosionen klingelten, hörte ich das kaum. Es hätte mich aber eh nicht abgeschreckt und aufgehalten schon gar nicht.

Weil meine Befehle das Echo in einen Zustand der Verzweiflung versetzten, geriet auch die Zerr-Welt ins Wanken und wurde instabil. Zwei kurz hintereinander ausgesprochene Befehle blieben eine Weile zeitgleich aktiv, darum konnte das Echo gerade keinem von beiden richtig nachkommen. Eben wegen des Widerspruchs. Dummerweise konnte eine Zerr-Welt, die in sich zusammenbrach, für mich gefährlicher werden als das Echo an sich.

Also: Zeit, das schnell zu beenden.

Nach und nach zerbrachen die Eiszapfen am Boden von selbst. Dadurch schossen von unten neue Fontänen von dieser magentafarbenen Flüssigkeit nach oben, auf denen ich landen konnte. Noch immer klopfte das Herz in meiner Brust stärker als sonst, schien in eine bestimmte Richtung zu wollen. Ja, ich spürte, dass es mich magnetisch anzog. Vor mir konnte das Echo es nicht verstecken.

Geschwind sprang ich von einer von Fontäne zur anderen und peilte mein Ziel an: Eine der Früchte, die unscheinbar auf einer anderen Seite des Baumes zwischen dem restlichen Obst hing, als wäre sie nicht weiter von Bedeutung. Dort drin versteckte das Echo es, den Würfel. Sein Herz, auf das meines reagierte.

Über mir zersplitterte der Himmel, während ich auf die Frucht zusprang. Von einer Sekunde zur nächsten war die Luft zu dünn geworden, ich konnte nicht mehr atmen. Die Schwerkraft geriet durcheinander, mein Körper schien durch den Druck taub zu werden. Offenbar war diese Zerr-Welt von Natur aus nicht sonderlich stabil gewesen. Bald könnte ich hier nicht mehr existieren.

Das war aber auch nicht nötig.

Als ich die Frucht erreichte, holte ich mit dem Schwert aus und zerteilte sie mit einem schwungvollen Schlag wie Butter, somit auch gleich den Würfel an sich. „Zerbreche!

Volltreffer! Statt einer Explosion floss mir literweise Blut des Echos entgegen. Wie gewohnt fluoreszierte es in unzähligen Farben. Regnete vom Himmel hinab. Gleichzeitig verlor der Baum seine Haltung, sackte in sich zusammen. Zischend verdampfte der schwarze Teer rasend schnell und war bald nur noch ein kleiner, kümmerlicher Müllberg aus den letzten Resten, der ebenfalls bald verschwunden wäre.

Auf einer der Fontänen, deren Quelle ebenso deutlich versiegte, erreichte ich schließlich wieder den Boden. Mir folgten viele kleine Würfel in verschiedenen Farben, die sich aus dem Blut geformt hatten. Ohne darauf warten zu müssen, dass sie sich einer nach dem anderen auflösten, erkannte ich den einen, roten Würfel, der übrigbleiben würde, und nahm ihn an mich.

Im Hintergrund löste sich die Zerr-Welt weiter auf und gab langsam die Wirklichkeit wieder frei, während ich triumphierend das Herz des Echos in meiner Hand betrachtete.

„Wieder durchgefallen“, sagte ich, gespielt mitfühlend. „Hast du dich überhaupt richtig angestrengt?“

Natürlich bekam ich keine Antwort, aber das erwartete ich auch gar nicht. Ich war trotzdem irgendwie enttäuscht. Der Kampf war beinahe genauso schnell vorbei gewesen wie das erste Mal. Es konnte nicht sein, dass die Echos alle keine guten Gegner waren. Sicher war ich einfach nach wie vor viel zu talentiert. Jedenfalls fühlte ich mich noch topfit. Anders als das Leben, machte mich das hier echt munter.

„Denk nicht mal dran“, ermahnte mich Ciars vertraute Stimme von der Seite. „Was hast du erwartet? Du hattest das Echo gerade erst besiegt und es dann direkt wieder herausgefordert. Ist doch klar, dass sich da noch nicht viel geändert hat.“

Unschuldig drehte ich den Kopf in seine Richtung. „Ich wollte ihm nur noch eine Chance geben. War doch nett von mir.“

Wir befanden uns nahe am Rand der Stadt, in einer Wohngegend mit heruntergekommenen Häusern und verschmutzten Straßen. Für ein waschechtes Ghetto war es hier aber tatsächlich noch zu friedlich und ruhig. Mir gefiel die Gegend irgendwie. Es war relativ verlassen, also hatte man seine Ruhe, und es streiften vor allem keine nervigen Jugend-Gangs durch die Gegend.

Ciar trat durch das gelbliche Licht einer Straßenlaterne auf mich zu und schnappte sich so flink den Würfel aus meiner Hand, dass ich nicht rechtzeitig reagieren konnte.

„Ey!“, stieß ich empört aus.

„Selber Ey. Du warst in diesem Kampf teilweise viel zu nachlässig, also ist jetzt Schluss. Kein drittes Mal für dich.“

Schnaubend stemmte ich die freie Hand in die Hüfte. „Das bekommst du nächstes Mal von mir zurück, wenn wir im Bett sind.“

Dieser eine Würfel war aus verschiedenen Herzen von Echos entstanden, als sie sich vereint hatten. Manchmal schmolzen sie derart zusammen, wenn sich ihre Energien gegenseitig stark anzogen. Solche Echos konnten deutlich stärker sein als gewöhnlich … angeblich.

Einige Sekunden standen wir einfach bloß da und starrten uns gegenseitig an, bis Ciar die Augenbrauen zusammenzog. „Hast du so sehr Bock drauf?“

Ich antwortete, indem ich weiterhin schwieg und ihn nur stutzend ansah.

„Dein Schwert“, erklärte er knapp. „Du hast es noch in der Hand.“

Tatsächlich hielt ich es noch fest, statt es mal verschwinden zu lassen. Dabei gab es keinen Grund mehr, es länger aktiv zu lassen. In nur wenigen Augenblicken wäre von der Zerr-Welt nichts mehr übrig, nicht die kleinste Spur. Somit auch keinerlei Gefahr, gegen die man sich wehren müsste.

Widerwillig ließ ich den Griff meines Schwertes los, damit es sich auflöste, noch bevor es überhaupt den Boden berühren konnte. Sichtlich beleidigt verschränkte ich die Arme vor der Brust.

„Zufrieden?“

Statt genervt zu seufzen, hielt Ciar den Blick aufrecht und zeigte sich ernsthaft interessiert. „Was ist los? Es ist das erste Mal gewesen, dass du ein Echo sofort nochmal beschwörst, kaum dass du es erledigt hast. Du hättest dir nur noch den Würfel nehmen müssen.“

„Ich sagte doch schon, dass ich ihm halt noch eine Chance geben wollte.“

„Jaha, auf einmal“, wandte er zweifelnd ein. „Ich gebe zu, dass dieses Echo keine Herausforderung war. Ziemlich öde. Aber das ist sonst nicht deine Art.“

Zerknirscht drehte ich mich zur Seite. „Dann ist das eben ab jetzt ein Ding von mir. Fertig.“

Ich wusste, Ciar würde mir den Würfel nicht mehr aushändigen – ich hasste es, wenn er einen auf vernünftig machte. Also musste ich auch nicht länger auf der Straße stehenbleiben. Ohne Ankündigung setzte ich mich in Bewegung und schritt in Richtung Auto, das ein gutes Stück entfernt geparkt war.

Während ich einen tiefen Atemzug nahm, realisierte ich wieder, wie schnell Winter geworden war. Immer gingen die schönen, kühlen Jahreszeiten vorbei wie im Flug. Bald käme schon der Frühling zurück und dann diese ekelhafte Wärme. Im Moment war aber Winter. Der Frost glitzerte magisch auf dem Asphalt, im Schein der Straßenlaternen. Wie beruhigend dieser Anblick war. Noch dazu in der Nacht.

„Und, redest du nun mit mir?“, hörte ich Ciar irgendwann nachhaken, der sich mir ungefragt angeschlossen hatte und an meiner Seite lief. „Sonst muss ich raten, wen oder was ich verprügeln muss.“

„Pff, na, viel Spaß“, meinte ich amüsiert. „Danach bekommst du Sitzungen auf Lebenszeit verschrieben.“

„Es hat also was mit Vincent zu tun, ja?“

„Vielleicht.“ Ich stöhnte erschöpft. „Ja, schon.“

Ciar hatte den Würfel die ganze Zeit zwischen den Fingern hin und her gedreht, steckte ihn nun aber ein. Offenbar wollte er ihn mir später doch wiedergeben und nicht einfach selbst schlucken. Wenigstens wusste er inzwischen, wann mir meine Beute zustand. Immerhin kämpfte ich auch dafür.

„Schieß los“, motivierte er mich, wieder mal absolut überzeugt von sich – da überlegte ich glatt, ihn zu ärgern und doch nichts zu sagen.

„Vincent … Dad geht mir momentan nur tierisch auf den Sack, mehr nicht.“

Er schmunzelte kaum merklich. „Wundert mich, dass das so lange gedauert hat.“

„Ha-Ha“, hauchte ich trocken. „Er hat sich bisher halt noch zurückgehalten, aber jetzt fängt er an richtig zu nerven.“

Beinahe glaubte ich einen Funken Sorge in Ciars Augen aufblitzen zu sehen, doch seine Mimik änderte sich nicht. „Details, bitte.“

„Er will, dass ich wieder zur Schule gehe.“ Mir kam gleich wieder dieser Kloß aus Wut im Hals hoch, kaum dass ich es ausgesprochen hatte. „Ich soll meinen Abschluss machen. Einen Job finden, der mir zusagt. Meinen Platz im Leben finden. Damit ich auf eigenen Beinen stehen kann.“

„Klingt nach dem typischen Gerede eines besorgten Vaters“, urteilte Ciar unberührt.

Er hatte gut reden. Bei ihm war schon früh klar gewesen, dass er ebenfalls im Echo-Institut arbeiten würde. Ciar hatte sein Ziel im Leben gefunden. Da waren solche Diskussionen über die eigene Zukunft mit seinem Vater garantiert nicht nötig gewesen, daher konnte er das gar nicht nachvollziehen. Erst recht nicht in meinem Fall.

„Dad geht doch am Arsch vorbei, was ich will!“ Meine Stimme klang gereizt, kurz davor auszubrechen. „Ich will das alles aber nicht! Ich will nicht zurück in die Schule und schon gar keinen Job oder eine Ausbildung machen. Er checkt es einfach nicht.“

Ich hörte, wie Ciar einen verstehenden Laut von sich gab. „Du konntest ihm sicher nicht sagen, was du stattdessen machen willst, richtig?“

Nein, dazu war ich nicht fähig. Vincent hatte gefragt, doch es gab keine Antwort, die ich ihm darauf zu geben vermochte. Und wenn schon. War ich deshalb gezwungen seinem Plan für mich zu folgen? Überhaupt, warum brauchte ich einen? Über die Zukunft nachdenken, dafür zu planen … so war ich nicht. Vor einigen Wochen hatte ich noch an Selbstmord gedacht. Jetzt einen Plan zu schmieden, was aus mir in einigen Jahren werden sollte, erschien mir lächerlich. Absolut-überaus-brutal-lächerlich.

„Ich kann das einfach nicht“, erwiderte ich schließlich. Aus meiner Wut war ein Hauch von Verzweiflung geworden. „Ich kann so nicht leben, nicht mal für kurze Zeit. Mich der Gesellschaft anpassen. Allein mir das vorzustellen macht mich krank. Ich müsste mich zusammenreißen und guten Willen vorspielen, damit ich überhaupt durch die Schule und dann durch eine Arbeit komme. Für andere ist das vielleicht normal, aber ich kann das nicht ab, mich zu verstellen.“

Ich wäre fähig dazu, keine Frage. Wenn ich wollte, konnte ich ein verdammt sozialer Geselle sein. Gut gelaunt, zu Scherzen aufgelegt und lebhaft. Mir war auch klar, wie viele Freunde ich hätte, würde ich mich so verhalten. Wahrscheinlich wäre dann alles besser, nicht nur für mich, auch für Vincent und mein gesamtes Umfeld. Ihnen zuliebe könnte ich das sicher tun. Aber ich wollte nicht, weil ich wusste, dass mich das inzwischen zerstören würde.

„Ich werde das nicht aushalten“, betonte ich angespannt. „Ich kann so nicht leben. Ich verrotte lieber wieder unter einer Brücke, statt so zu tun, als könnte ich ganz normal leben, so wie es die Gesellschaft verlangt.“

„Du bist noch nicht unter einer Brücke verrottet“, korrigierte Ciar mich monoton. „Nur fast.“

Aufgebracht fuhr ich ihn an. „Ja, leider! Es war ein paar Wochen gut, aber schon werde ich wieder daran erinnert, warum ich das Leben so hasse. Ich komme damit nicht klar! Ich will damit nicht klarkommen! Du hast gesagt, ich soll mich bedeckt halten und vor Dad geheim halten, was wir tun, aber wenn es nun so weitergeht, schaffe ich das nicht mehr.“

Vielleicht würde Vincent mich doch noch etwas in Ruhe lassen, aber sicher nicht ewig. Jedes Mal nachzugeben, wenn ich mich sträubte, passte nicht zu seinem Charakter. Musste ich ihm den Gefallen tun und versuchen normal zu werden? So viel, wie er für mich in diesem Jahr getan hatte, womöglich schon. Scheiße, das ging niemals lange gut.

Plötzlich spürte ich Ciars Hände auf meinen Schultern, die mich bestimmt, jedoch auch behutsam, so drehten, dass ich direkt vor ihm stand und er weiter Augenkontakt zu mir halten konnte.

„Du musst das auch nicht schaffen, wenn du nicht willst.“

Seine Worte waren so eindringlich, sie griffen nach meinem Herz und schlossen es in eine Umarmung ein, um mich zu trösten und zu behüten. Aus seinem Mund klang das so leicht umsetzbar. Eigentlich war es das auch. Ich könnte Vincent einfach ignorieren und mein Ding durchziehen, mein 18. Geburtstag lag nämlich schon in greifbarer Nähe. So sehr ich mich aber dagegen sträubte, seinen Zukunftsplänen für mich zu folgen, wollte ich ihn auch nicht verletzen. Nicht schon wieder.

„Doch, muss ich“, entgegnete ich, sichtlich erschlagen von dieser ganzen Angelegenheit.

Ciar blieb souverän. „Dann sag mir, wie ich dir helfen kann.“

Bevor ich darüber nachdenken konnte, regte sich in mir etwas. Da war ein seltsam aufgeregtes Kribbeln, dem auch mein Herzschlag folgte. Mein Puls erhöhte sich und schickte eine Hitzewelle durch meinen Körper. Das Brennen in meiner Brust verlieh meiner Stimme deutlich an Intensität, als ich Ciar wie gewünscht eine Möglichkeit offenbarte:

„Lass uns endlich mit der Zerstörung anfangen.“

Ein rötlicher Schimmer huschte über Ciars Augen. „Bist du sicher?“

„Keine Ahnung, aber ich will Fortschritte!“, meinte ich aufgebracht. „Echos jagen und ihre Herzen sammeln ist ja schön und gut, aber mehr machen wir nicht. Seit du mich dazu gebracht hast bei dieser Sache mitzumachen, tun wir ständig nur das. Wann haben wir denn genug Würfel zusammen?! Willst du die ganze Welt mit nur einem einzigen Schlag zu Staub zerschlagen oder wie darf ich mir das vorstellen? Gib mir irgendetwas, damit ich weiß, dass sich diese Sammelei wirklich lohnt und nicht nur Beschäftigungstherapie ist. Oder erkläre mir zumindest erst mal, was genau du dir vorstellst, wenn du von Zerstörung sprichst.“

Einfach Bumm-Zack-Peng und alles war weg, oder wie? Wie lange wollte ich darauf schon eine Antwort von ihm haben. Endlich hatte ich ihn offen danach fragen können. Ich musste unbedingt wissen, ob es sich lohnte, das alles weiter mitzumachen. Ob ich es für unser Ziel in Kauf nehmen würde, vorerst ein normales Leben vorzutäuschen und mich der Gesellschaft zu beugen, für die ich so viel Abneigung empfand.

Ciar senkte leicht den Kopf und schien nachzudenken. Sein Gesichtsausdruck dabei war so ernst wie noch nie. Irgendwie ein wenig erschreckend, aber auch cool. Er versuchte wirklich mein Anliegen zu verarbeiten, wie es aussah. Zum Glück. Hätte er mich abgewimmelt und mich mit der Aussage vertröstet, dass ich ich nur noch ein bisschen länger mitspielen sollte, wäre ich ausgeflippt. Dann hätte ich mich gefragt, ob meine Rolle für seinen Plan überhaupt ernsthaft wichtig war.

„Wie du willst, wir fangen mit der nächsten Stufe an“, lautete Ciars Entscheidung, nachdem er eine Weile nachgedacht hatte. „Beginnen wir mit der Zerstörung.“

Mehr als überrascht starrte ich ihn mit offenem Mund an. „Äh … einfach so?“

Überhaupt, warum betonte er das mit der Zerstörung auf einmal so merkwürdig?

„Das wäre hier schwer zu erklären.“ Tatsächlich formten sich seine Lippen zu einem Lächeln. „Außerdem würde es dir die Überraschung verderben, wenn ich dich vorher schon in die Details einweihe. Der Effekt, den das Ganze auf dich haben wird, ist ein wichtiger Bestandteil des Plans. Deshalb konnte ich dir auch nie mehr verraten. Tut mir leid, dass dich das so beschäftigt zu haben scheint.“

Ich fuhr mir mit der Hand durch die Haare und blinzelte verwirrt. Sämtliche Wut und Verzweiflung war verflogen, für den Moment. Mir ging jetzt eher die Frage durch den Kopf, was Ciar genau mit mir vor hatte. Das klang verdächtig danach, als wäre ich schon immer ein Stützpfeiler in seinem Plan gewesen, ohne den das Ganze nicht funktionieren konnte. Nein, es machte sogar den Eindruck, er hatte sich das alles nur für mich ausgedacht.

„Jetzt bin ich total durcheinander“, murmelte ich vor mich hin.

Ciar lachte leise, es kam von Herzen. „Du bist so leicht zu verwirren. Wirklich liebenswert~.“

Er verhinderte jeglichen Kommentar meinerseits, indem er mich näher zu sich zog und mich küsste. Anfangs war ich etwas sauer, weil ich mir wie ein Spielzeug vorkam, mit dem er sich amüsierte. Aber als ich seine Wärme spürte, wurde ich sofort zahm und genoss den Kuss. Seine Liebe mir gegenüber. Mich zu necken war mit seine Art, mir seine Zuneigung zu zeigen. Dieser Idiot war selbst viel zu liebenswert.

Als sich seine Lippen schließlich wieder von mir lösten, griff er nach meinen Händen. „Komm, ich hab einen bestimmten Ort ausgewählt, wo wir den Plan umsetzen können. Ich werde nicht zulassen, dass du etwas tun musst, mit dem du überfordert bist. Wir zerstören diese Dinge heute Nacht gemeinsam.“

Nach diesen Worten zog Ciar mich sanft mit sich und ich folgte ihm dabei aus freien Stücken. Wollte er das wirklich plötzlich durchziehen? Nur, weil ich darauf bestand? Andererseits war ich zu neugierig, weswegen ich ihm das auch nicht ausreden konnte. Ich wollte wissen, was er mit Zerstörung meinte. Und ich wollte schnellstmöglich weg von den gesellschaftlichen Pflichten, mit denen Vincent mich verschreckt hatte – das war und würde niemals meine Welt sein.

Ja, in diesem Augenblick war ich bereit dazu, es durchzuziehen. Egal, was Ciar für mich bereit hielt.

 
 

***

 

Seit wir den stillen Raum verlassen hatten, in dem ich unbemerkt gegen das Echo kämpfen konnte, verhielt Ciar sich anders. Er war auffallend vorsichtig und wachsam, nahm immer wieder seine Umgebung genau in Augenschein, als könnte uns jemand beobachten. Kaum waren wir an seinem Auto angekommen und eingestiegen, fuhr er mit hoher Geschwindigkeit davon, wie bei einer Verfolgungsjagd. Es war eindeutig, dass er nicht riskieren wollte von irgendjemandem aufgehalten zu werden.

Mir machte es keine Angst, dass Ciar sich in einen Raser verwandelt hatte und über die Straßen rauschte wie ein Blitz. Zum einen vertraute ich seinen Fahrkünsten, zum anderen fürchtete ich mich nicht davor bei einem Autounfall zu sterben. So konnte ich vorher wenigstens noch einen spannenden Geschwindigkeitsrausch durchleben. Kein schlechter Weg sein Ende zu finden, wie ich fand.

Nun, schade wäre es trotzdem. Wir planten gerade mit unserer Zerstörung anzufangen. Also wollte ich doch nicht unbedingt sterben, ohne zu erfahren, was es damit auf sich hatte.

Keiner von uns sprach während der Fahrt. Ciar war auf die Straße konzentriert, ich starrte seitlich aus dem Fenster und sah zu, wie die Umgebung in Form von feinen Linien an uns vorbei rauschte. Die Aufregung in meiner Brust wuchs von Sekunde zu Sekunde an.

Irgendwann schienen wir unser Ziel dann erreicht zu haben: Es handelte sich um die große Stahlseilbrücke von Cherrygrove. Sie führte über einen breiten Fluss, der sich an einer Stadtseite entlang zog. Sämtliche Pfeiler waren knallblau gestrichen und nachts wurden sie von einigen LED-Leuchten erhellt. Jedes Mal wieder ein überwältigender Anblick. Fehlte eigentlich nur noch etwas Schnee, meinetwegen auch Regen.

Auf dieser Brücke war es damals passiert. Hier hatte ich mich in den Tod stürzen wollen. Komisches Gefühl, auf einmal hierher zurückzukehren.

Ciar parkte den Wagen nahe am Geländer, stoppte den Motor und gab mir das Zeichen auszusteigen, was ich auch tat. Hier fegte ein eiskalter Wind über die Straße, schien einen packen und schubsen zu wollen. Man musste sich ein wenig dagegen lehnen.

„Okay“, sagte ich laut, weil ich gegen das Rauschen des Flusses ankommen musste. „Falls du mich noch mehr verwirren wolltest, dann hast du das geschafft. Was machen wir ausgerechnet hier?“

„Wir springen.“

Diese Antwort kam so schnell, dass ich dachte, zuerst mindestens dreimal darüber nachdenken zu müssen, damit ich sicher wusste, ob ich das richtig verstanden hatte. Unmöglich, ich konnte mich nicht verhört haben.

„Dein Ernst?!“ Ratlos breitete ich die Arme aus. „Du willst mit mir springen? Hier runter?“

„Das bekommst du schon hin.“ Da war Ciar ziemlich zuversichtlich. „Keine Sorge, das hier ist kein psychologischer Test oder ein billiger Versuch, dich zu beeinflussen, damit du leben willst. Du und ich, wir werden hier runter springen. Aber nicht, um zu sterben.“

Wow. So extrem wie an diesem Tag hatte Ciar mich bislang noch nie verwirrt, eindeutig ein neuer Rekord. Die Sprachlosigkeit stand mir sicherlich ins Gesicht geschrieben. Dazu wusste ich einfach nichts zu sagen. Alles daran war komplett verrückt. Jeder Mensch mit einem gesunden Menschenverstand würde Ciar für wahnsinnig erklären, ihm den Rücken zudrehen und von hier verschwinden, solange es noch möglich war.

Andere Menschen.

Ich gehörte nicht dazu.

Ciar war in der Zwischenzeit auf das Geländer der Brücke geklettert, während ich noch in meinen inneren Monologen gefangen war und ihn schweigend beobachtete. Er wandte sich mir zu, hielt sich mit einer Hand oben fest und reichte mir einladend die andere. Keinen Zweifel, das mit dem Springen meinte Ciar wahrlich so, wie er es gesagt hatte. Laut ihm sollte das kein Todessprung werden, aber was bitte dann? Was hatte er verdammt nochmal vor?

… Meine Neugierde siegte über jede Form von Vernunft.

Wie gesagt, ich gehörte nicht zu den Menschen, die an dieser Stelle einen Rückzieher gemacht hätten.

Ich hatte keine Angst.

Ich vertraute Ciar.

Dieser letzte Gedanke trieb mich dazu an, ihm lächelnd meine Hand zu reichen und mir von ihm auf das Geländer helfen zu lassen.

PENG!

Wie aus dem Nichts, ein lauter Knall.

In meinen Ohren hallte das schmerzvolle Keuchen von Ciar wider, gleich einem unheilvollen Mantra.

Jemand hatte mich am Arm gepackt und zurück nach hinten gerissen.

Alles geschah so schnell.

Zu schnell.

In Ciars Augen flammte regelrecht der Schock auf. Etwas, das ich zum ersten Mal an ihm sah. Seine stets unerschütterliche Sicherheit und Stärke lag in dieser einen Sekunde vollständig zerstört vor mir, mit Hilfe von purer Gewalt offengelegt. Sein Körper flog ruckartig nach hinten, durch den Druck einer Kugel, die auf seine Brust abgefeuert worden war.

Schon in der nächsten Sekunde war er aus meinem Blickfeld verschwunden. Instinktiv schrie ich seinen Namen und wollte zum Geländer hechten, doch jemand hielt mich davon ab. Eine Person, die meinen Arm fest umklammert hielt.

„Tut mir leid“, sagte dieser Störenfried angespannt – in mir zog sich alles zusammen. „Aber … ich habe dich damals nicht gerettet, damit du jetzt doch noch dazu verleitet wirst von dieser Brücke zu springen.“

Das ist nicht wahr

Schulterlanges Haar, hochgebunden zu einem Pferdeschwanz. Braune Augen, mit einem lebhaften Ausdruck. Selbstbewusster, modischer Kleidungsstil. Eindeutig.

„Faren?!“, platzte es aus mir heraus.

Von wo war der denn auf einmal hergekommen? Und wieso? Ich konnte mir nicht vorstellen, dass er neuerdings zu nächtlicher Stunde ausgerechnet auf dieser Brücke abhing, statt irgendwo in einer Bar Party zu machen und als geselliger Typ mit Leuten unterwegs zu sein – oder zusammen mit Kieran die Zeit zu verbringen. Scheiße, eigentlich war das in diesem Augenblick total egal.

Ich ignorierte ihn vorerst und wollte erneut zum Geländer rüber, doch Faren hielt mich weiterhin davon ab. Sein Griff um meinen Arm schien sogar nur stärker zu werden.

Wütend funkelte ich ihn an. „Was soll das?! Lass mich los, verdammt!“

„Nein!“, widersprach Faren, mit fester Stimme. „Ich werde nicht zulassen, dass du einen Fehler machst.“

Nur flüchtig nahm ich die Waffe wahr, die er in der anderen Hand hielt. Sie sah der von Ciar, mit der er all diese Zaubertricks vollführte, verdächtig ähnlich. Meine Gedanken kreisten aber zu sehr darum, von Faren loszukommen und Ciar hinterher zu springen, weshalb ich diese Beobachtung nicht weiter verfolgte. Wenn er es nicht anders wollte, musste ich ihn eben dazu zwingen.

Lass. Mich. Los“, wiederholte ich, so ernst wie noch nie zuvor.

Faren verzog das Gesicht vor Schmerz, der Befehl musste sich geradewegs in seinen Kopf hineinbohren. „Mach das bitte nicht. Ich will dir nur helfen, Ferris.“

„Mir ist scheißegal, was du willst!“, schrie ich ihn an. „Lass mich los! Jetzt!

Endlich lockerte sich Farens Griff um meinen Arm, so dass ich mich losreißen konnte. In nicht mal einer Sekunde hechtete ich zum Geländer, stieß vor lauter Eile und Panik geradewegs dagegen, so heftig, dass mir kurz die Luft weg blieb. Hastig kletterte ich nach oben und war bereit, den Sprung zu wagen, doch kaum stand ich in Position, wurde mein gesamter Körper starr vor Schreck.

Dort unten, auf der Wasseroberfläche des Flusses, sah ich nicht etwa Ciar, sondern einen von diesen Kokons. Es war genau so einer wie all jene, die ich in den letzten Monaten immer wieder gesehen hatte, wenn andere Leute von ihren eigenen, düsteren Gedanken in Form von pechschwarzen Spinnenfäden eingeschlossen wurden. Wandelnde Bosheit, die unter dieser Schutzschicht aus Teer mehr und mehr gedieh.

Es gab nur einen überdeutlichen Unterschied: Dieser Kokon im Wasser war riesig, seine Größe kam bereits der eines Frachtschiffes gleich. Heißer Dampf entstand durch den Teer, der von der Außenhülle in den Fluss hinein sickerte. Ein säuerlicher, beißender Gestank stieg von dort unten zur Brücke hinauf.

Im Inneren des Kokons pulsierte etwas, schien den eiförmigen Klumpen noch mehr wachsen zu lassen. Jedenfalls kam es sichtbar näher und näher, während ich darauf hinab starrte. Bald würde die Spitze schon das Geländer erreichen. Ich war noch immer zu erschrocken und stand nur wie angewurzelt da.

Mit den Augen suchte ich zwar nach Ciar, aber ich sah ihn nirgendwo. Wie sollte ich ihn von meinem Standpunkt aus auch in dieser Teergrube finden? Falls er in diesem Zeug versunken war, könnte ich ihn so leicht nicht da rausholen, ohne zu wissen, wo genau er feststeckte. Dieser monströse Kokon gehörte garantiert nicht zu Ciars Plan, genauso wenig wie Farens Einmischung.

Durch diesen feigen Angriff eben könnte Ciar sich wahrscheinlich nicht mal selbst retten. Also musste ich etwas unternehmen. Fluchend schüttelte ich den Kopf und klatschte mir mit einer Hand ins Gesicht, womit ich mich aus der Starre befreien wollte. Schnell, Schwert beschwören und runter da, bevor es zu spät war!

Kaum hatte ich dieses Vorhaben in mir gefestigt, spürte ich, wie sich etwas um meinen Fußknöchel schlang. Ich musste nicht erst den Kopf drehen, um zu wissen, was das sein könnte. Angepisst wollte ich daher noch einen weiteren Befehl aussprechen, ungeachtet der Tatsache, wie sehr ich damit Farens Gesundheit auf's Spiel setzte, jedoch kam er mir zuvor:

Komm da runter“, zischte er unter Schmerzen.

Ich blieb noch länger erstarrt wie eine Salzsäule, diesmal jedoch weil ich fassungslos darüber war, was Faren gerade tat. Er hatte einen Befehl auf mich ausgesprochen. Einfach so, als wäre er sogar schon darin geübt. Seit wann konnte auch er solche Dinge mit seiner Stimme tun?

Während mein Körper erschreckend schnell nachgab und ich widerwillig Farens Befehl Folge leistete, starrte ich ihn weiter entgeistert an. „Das ist ein schlechter Scherz, oder?“

Ein wenig gekränkt rang Faren sich ein Lächeln ab. „Absolut nicht.“

Bestimmt hätte er noch den einen oder anderen locker-flockigen Spruch hinzugefügt, etwa wie grandios solche Fähigkeiten doch zu seinem unwiderstehlichen Charme passen würden, wenn wir uns nicht in einer speziellen Lage befänden, die nach dem nötigen Ernst verlangte.

„Komm, wir müssen etwas Abstand gewinnen.“

„Und Ciar?!“, erinnerte ich ihn. „Du knallst ihn vor meinen Augen eiskalt ab und glaubst dann echt, ich würde ihn im Stich lassen?! Hast du sie noch alle?!“

Wir gerieten beide heftig ins Schwanken, als die gesamte Brücke auf einmal anfing zu beben. Offenbar war der Kokon inzwischen so weit gewachsen, dass er nun gegen dieses Baukonstrukt stieß und es als nächstes einfach mit seiner Masse wegschieben würde. Die Stahlstreben vibrierten durch diesen Zusammenstoß unruhig und deren Schwingungen erschufen einen stummen Chor aus Hilferufen, wie ein unheilvolles Lied, das auf einer Harfe gespielt wurde.

„Das ist nicht der richtige Zeitpunkt für eine Diskussion“, merkte Faren an.

Seine Hand wollte wieder nach mir greifen, aber ich wich gerade noch rechtzeitig vor ihm zurück und schüttelte den Kopf. „Ich gehe nicht ohne Ciar! Halt mich ja nicht weiter auf, ich warne dich ...“

Meine Verwirrung über Farens Fähigkeiten und den Kokon war ein Witz gegen die Wut, die sich in mir gebildet hatte. Sie sorgte auch dafür, dass es mir aktuell doch eher am Arsch vorbei ging, warum Faren auch seine Seele in Worte legen konnte und so eine Waffe bei sich trug. Es war mir auch egal, was für gute Freunde wir mal gewesen waren. In diesem Moment betrachtete ich ihn schon fast als Feind, der Ciar und mir schaden wollte.

Angespannt hielten wir für einige Sekunden lang Augenkontakt. Im Hintergrund gab die Brücke rostig-mechanische Klagelaute von sich und der säuerliche Geruch vom Teer des Kokons lag bereits überall in der Luft. Die Szenerie hätte kaum dramatischer sein können.

Faren öffnete schließlich den Mund, hielt aber kurz inne und atmete sichtlich angeschlagen durch. Aus seiner Nase lief Blut. Das Nachspiel dafür, meine Befehle derart niedergekämpft und missachtet zu haben. Mitleid ließ die Wut in mir gerade erst recht nicht zu, im Gegenteil. Etwas in mir empfand sogar Genugtuung dabei. Faren hatte sich das selbst zuzuschreiben.

Endlich fing er dann an zu sprechen, bemüht ruhig und eindringlich: „Der Brand damals, in deinem Haus, bei dem du einen Teil deiner Familie verloren hast-“

„Was ist damit?“, unterbrach ich ihn gereizt – für solche alten Geschichte war jetzt keine Zeit.

„Es ist nur wegen Ciar so weit gekommen.“

Ich rümpfte die Nase. „Dein scheiß Ernst?“

„Ciar ist ein Echo“, fuhr Faren fort. „Überzeug dich selbst.“

Mit einem knappen Nicken gab er mir zu verstehen, dass ich mich umdrehen sollte. Am liebsten hätte ich ihm spontan mein Schwert zwischen die Rippen gejagt und ihn für diese grauenvollen Anschuldigungen Ciar gegenüber verflucht. Genau das würde ich auch tun, nur wollte ich vorher sehen, mit welchem Anblick er mich dazu bringen wollte, ihm diese Worte abzukaufen.

Also sah ich über meine Schulter. Sofort war mir so, als wäre ich hier der Einzige, dem etwas in die Brust gejagt wurde. Instinktiv wandte ich mich dem, was ich da erblickte, richtig zu und stolperte dabei automatisch einige Schritte nach hinten, in Farens Richtung. Spätestens jetzt war es vorbei. In meinem Gehirn war kein Platz mehr, um auch das noch aufzunehmen und zu verarbeiten.

Vor mir ragte schon die Hälfte des Kokons in die Höhe. Es war nicht mehr nur die Größe, durch die sich dieses Exemplar von anderen unterschied. Aus dem Teer lugte etwas hervor, das, was die ganze Zeit im Inneren pulsierte und den Wachstum so immens antrieb. Die Spitze eines Würfels, das Herz eines Echos. Leuchtend rot, wie Blut.

Viel zu groß, als dass man es in die Hand nehmen könnte. Es war schon nahezu ein kleines Einfamilienhaus. Tatsächlich war da drinnen etwas, jemand. Bis eben hatte ich nie wirklich darauf geachtet, dass diese Würfel durchsichtig waren. In der Spitze vorne, die aus dem Kokon hervorbrach, war eine Person zu erkennen.

Ciar.

Seine Augen glühten rot wie Feuer.

Kaum trafen sich unsere Blicke, zuckte ich zusammen, so sehr fing es auf meiner Haut an zu kribbeln. Mir wurde schlagartig heiß. Nicht, weil ich so angetan von dem war, was sich vor mir abspielte. In mir kam Angst hoch. Ciars Augen verströmten dieselbe gierige Zerstörungswut wie Echos, kein Zweifel. Fast glaubte ich, jede Sekunde in Flammen aufzugehen, nur weil ich zu lange Blickkontakt mit ihm hielt.

„Das ist nicht wahr“, murmelte ich überfordert.

Plötzlich kamen mir einige Momente in den Sinn, in denen ich bereits glaubte diesen rötlichen Schimmer in Ciars Augen gesehen zu haben. Ja, doch, es hatte das eine oder andere Mal gegeben. Nur war das stets so flüchtig oder in einer Situation gewesen, in der andere Dinge im Vordergrund gestanden hatten. Ich kam also nie auf die Idee, darin irgendeine Art Zeichen zu sehen.

Noch während ich in meinem Gedankengang gefangen war, hob Ciar in dem Würfel langsam beide Arme nach oben. Gleichzeitig setzten sich aus dem klobigen Kokon mehrere Stränge aus Teer ab, die seine Bewegungen nachahmten. Zischend fraßen einige Tropfen erste Löcher in die Brücke, auch Stahl und Eisen blieben nicht verschont. In meinen Ohren kam aber nur ein fernes Rauschen an.

Selbst Faren, der nun direkt neben mir stand und mich an der Schulter packte, erreichte mich mit seiner Stimme kaum, so abwesend war ich. Um mich herum schienen sämtliche Störgeräusche ausgeblendet zu werden. Mein Blick traf immer noch den von Ciar. Es war wie ein schwarzer, leerer Raum, in dem wir uns gedanklich gegenüber standen.

Das ist doch nicht wahr, oder?, wiederholte ich im Kopf, flehend, an Ciar gerichtet. Oder?

Meine Trance endete abrupt, als ruckartig Bewegung in meinen Körper kam. Irritiert blinzelte ich mehrmals und versuchte wieder die Realität zu erfassen. Faren hielt meine Hand und gab die Richtung vor. Ich lief ihm bereitwillig nach, ohne dass ich meine eigenen Bewegungen wirklich steuerte – er musste nochmal einen Befehl auf mich ausgesprochen haben. Zusammen rannten wir über die Brücke, möglichst schnell weg von dem Kokon.

Erst als mit einem lauten Knall einige der Teerstränge kurz hinter uns auf dem Boden aufklatschten, weckte mich das richtig auf. Mit einem Mal senkte sich die gesamte Brücke ein Stück zur Seite und brachte mein Gleichgewicht durcheinander, weshalb ich damit zu kämpfen hatte nicht hinzufallen.

Lauf weiter!“, befahl Faren unbeirrt. „Bleib auf den Füßen!

Es half tatsächlich, mein Körper lief standhaft weiter, als könnte er von nichts aufgehalten werden. Wie schaffte Faren es eigentlich, so sicher zu bleiben? Der Gedanke verblasste aber schnell wieder. Hinter uns zerbröckelte der Teil der Brücke, der von den Strängen getroffen worden war, und ich hörte, wie die einzelnen Bestandteile in den Fluss stürzten. Das Platschen und Tosen des Wassers schwemmte wie eine Welle der Ernüchterung über mich hinweg.

„Warte! Er wird doch alles zerstören, wenn wir einfach abhauen!“

„Keine Sorge.“ Farens Stimme klang mit einem Mal heller, beinahe munter – ich hatte sein Grinsen förmlich vor Augen. „Die Kavallerie ist schon da.“

Bevor ich nachhaken konnte, ertönte das Geräusch rasselnder Ketten in unserem Rücken, vermischte sich zu einem harmonischen Duett mit dem Rauschen des Flusses. Ein Blick nach hinten verriet mir, woher das kam: Kieran. Wie ein Athlet sprang er zwischen den Stahlstreben und dem Geländer hin und her, an seinem rechten Arm befand sich etwas, das wie eine Art Armbrust aussah. Ihre Bolzen schienen anfangs nur aus Licht zu bestehen, bevor sie sich zu endlos langen Ketten wandelten, mit denen Kieran versuchte, den Kokon zu fesseln und unter Kontrolle zu bekommen.

Nicht mal das hatte ich richtig aufnehmen können, da huschten links und rechts an Faren und mir einige Schatten vorbei. Es waren mir unbekannte Leute, die sich Kieran anschlossen und ebenfalls Ciar entgegen stellten.

Ciar.

Ein Echo.

Ich war so durcheinander.

Faren verstärkte ein wenig den Druck seiner Hand, mit der er mich festhielt. „Gleich geschafft, Ferris!“

Verwirrt wandte ich den Blick nach vorne. Das Ende der Brücke war fast erreicht, nur konnte man die Straße dahinter kaum noch sehen, so sehr stand sie inzwischen in Schräglage. Vage konnte ich die Dächer von Fahrzeugen erkennen, darunter auch zwei Trucks – darin mussten die ganzen Leute hierher transportiert worden sein. Falls die aus dem Echo-Institut stammten, fragte ich mich, wie die dort so schnell reagieren konnten.

Wir kletterten über den Rand der Brücke und sprangen beide mühelos runter auf die Straße, wo wir wieder festen Boden unter den Füßen hatten. Kaum kamen wir dort an, wurden wir schon von weiteren Personen empfangen, die uns weiter zu einem der Fahrzeuge führten. Keines der Gesichter kam mir bekannt vor. Ich fühlte mich ziemlich verloren zwischen all den Fremden.

Vom Kokon her drang ein markerschütternder Schrei über die Brücke hinweg bis zu uns, fegte über alles und jeden hinweg. Wie der Laut eines Monstrums, mit dem es seinen Hass in die Welt hinaus trug. Einige um uns herum pressten sich die Hände auf die Ohren oder verzogen das Gesicht, in dem Versuch, professionell zu bleiben. Mir dagegen schoss sofort sein Gesicht durch den Kopf, Ciar, der mit aller Kraft nach mir rief.

War das etwa eine Art Befehl gewesen, auf den ich reagierte? Nein, so fühlte es sich nicht an. Es war etwas anderes in mir, das mich dazu brachte, auf der Stelle umdrehen und zurückgehen zu wollen.

„Bleib hier!“, beschwor Faren mich. „Du kannst jetzt nichts mehr tun. Kieran und die anderen erledigen das schon.“

Wie schon zuvor auf der Brücke wollte ich versuchen mich von ihm loszureißen, wobei ich erstmals merkte, wie weich sich meine Beine eigentlich anfühlten. Darum hielt ich mich auch mehr wackelig gerade so noch auf den Füßen. Da meine Wut längst verebbt war, genau wie die Angst, gewann nun Panik die Herrschaft über mich.

„Was werden sie mit ihm machen?!“

Bestürzt schüttelte Faren den Kopf. „Ich kann verstehen, wie du dich fühlen musst, aber-“

„Einen Dreck weißt du!“, fuhr ich ihn an. „Das hier ist allein deine Schuld! Es war alles gut, bevor du kamst!“

„War es eben nicht!“, entgegnete Faren, der allmählich seine Selbstbeherrschung verlor und seinem Ärger Luft machte. „Er hat dich so unter seine Kontrolle gebracht, dass du gar nicht mehr klar denken kannst. Ich lasse mir bestimmt nicht Ciars Taten anhängen. Er hat deine Familie auf dem Gewissen, verdammt nochmal!“

„Du lügst!“

Anders konnte es nicht sein. Ja, ich hatte es selbst gesehen, Ciars Augen, und ganz am Anfang war er mir auch unheimlich vorgekommen, aber trotzdem …

Trotzdem …

Kurzschluss. Für ein paar Sekunden war mein Gehirn wie leergefegt.

Als meine Wahrnehmung und mein Verstand wieder halbwegs zu arbeiten anfingen, war ich schon dabei, mit meinem Schwert um mich zu schlagen und mich gegen jeden zu wehren, der mich davon abhalten wollte, zurück auf die Brücke zu stürmen.

Licht regnete vom Himmel herab.

Sie schlossen den Ort in einen stillen Raum ein.

Ich tobte wie ein Berserker. In der Ferne stieß Ciar noch einmal einen Schrei aus, der sich tief in meine Seele hineinfraß – und das war das letzte, was ich von ihm mitbekam, bevor ich von meinen Widersachern überrannt wurde.

Was ist mit Ciar?

„51, 52, 53, 54...“

Außer meiner Stimme war sonst nichts zu hören. Nicht mal Echos erreichten mich mit ihren Klagen in diesem schweren Mantel aus Stille, der mich umhüllte.

Die schneeweißen Deckenpaneelen über mir bestanden aus Rechtecken, die sich wie Mauersteine, also stets etwas versetzt, aneinander reihten. Ich versuchte bereits zum zweiten Mal sie zu zählen. Zuvor hatte ich mittendrin auf einmal einen Knoten im Gehirn, weshalb ich dann aus dem Konzept gekommen und mir nicht mehr sicher gewesen war, bei welcher Zahl ich wieder hätte einsteigen müssen.

„55, 56, 57, 58...“

Meine Augen huschten kurz über die Paneelen, die ich schon hinter mir hatte. Dadurch verlor ich fast die Stelle, bei der ich stehengeblieben war. Es gab aber auch echt nichts, das hilfreich dabei wäre, mir die aktuelle Reihe zu merken. Nur kahle Wände, eine sah aus wie die andere, und sobald ich ganz woanders hinsah, war es sowieso sofort vorbei.

„Äh, 58? 58, 59, 60, 61...“

Hatte ich die richtige Stelle im Blick? Irgendwie war ich mir unsicher, also zählte ich rasch die einzelnen Reihen aus Rechtecken ab. Verdammt, das hätte ich machen sollen, bevor ich überhaupt zu zählen angefangen hatte. Jetzt war ich komplett raus.

„58, 59 … nee, war ich nicht schon weiter?“

Toll, vergeigt. Schon wieder. Genervt stieß ich einen Seufzer aus und schloss die Augen. Scheiß auf die Deckenpaneelen. Wer wollte schon wissen, wie viele Rechtecke genau sich dort oben befanden? Richtig, keiner. Vielleicht hätte sich höchstens ein Kastenbrot mit zu kurzen Armen und grimmiger Mimik dafür interessiert. Sollte der doch selbst herkommen und zählen.

Ich steckte trotzdem hier fest.

Mit Gurten festgeschnallt auf einem Bett, irgendwo in einem Raum mit schneeweißen Deckenpaneelen und noch heller erscheinenden Wänden. Mehr konnte ich von meiner Position aus nicht ausmachen, aber bestimmt gab es sonst tatsächlich nichts zu entdecken. Darum hatte ich, aus Langeweile, angefangen die Rechtecke zu zählen. Was sollte ich sonst tun? Bewegen konnte ich mich ja nicht.

Dunkel erinnerte ich mich daran, dass ich durchgedreht war, und die Leute um mich herum angegriffen hatte. Offenbar war ich anschließend überrannt und außer Gefecht gesetzt worden. In einem hinteren Teil meines Gehirns existierte das Bild davon, wie Faren versuchte mich und die anderen zu beruhigen, während im Hintergrund Ciars Schrei verhallte.

Ciar ...

Eigentlich müsste mein Kopf überlaufen vor Gedanken, Sorgen und anderen Gefühlen. Seltsamerweise war da nichts. Als ich aufgewacht war und meine Bewegungsunfähigkeit festgestellt hatte, nahm ich das sofort resigniert hin. Seitdem herrschte in mir diese Leere. Nicht die der verzweifelten Art, mit der ich wenigstens vertraut gewesen wäre, sondern einfach nur ein unglaublich, lächerlich nüchternes Nichts.

Wenn man eine Weile so herumlag, machte das einen aber auch extrem wahnsinnig. Nicht mal das Zählen funktionierte als Beschäftigung, egal wie leer mein Kopf gerade war. Sogar wenn mich nichts ablenkte, konnte ich mich nicht lange genug auf eine Sache konzentrieren. Typisch, was konnte ich überhaupt?

Echos bekämpfen, darin war ich richtig gut. Ohne Ciar hatte sich das vermutlich erledigt.

Oh Mann, es kotzte mich selbst an, dass ausgerechnet das in diesem Moment mein einziges Problem war. Da gab es zig andere Dinge, die mich beschäftigen sollten. Was war nur los mit mir?

Aus einer Ecke des Raumes war ein leises Knarren zu hören, das ein wenig an dem Mantel der Stille, der diesen Ort von der Außenwelt abschnitt, kratzte. Endlich erwachte wieder etwas Leben in mir. Mühevoll hob ich den Kopf an, so weit es mir eben möglich war, und lauschte aufmerksam.

Zwei Männerstimmen schienen über etwas zu diskutieren, leider konnte ich keine genauen Gesprächsfetzen auffangen. Einer von ihnen klang deutlich jünger als der andere. Kurze Zeit später ertönte abermals ein Knarren, dicht gefolgt von einem Klacken. Vermutlich war eine Tür geöffnet und wieder geschlossen worden, was ich nur raten konnte. Heißt das, irgendwer hatte diesen Raum betreten? Hoffentlich war dieser Jemand da, um mich von den lästigen Gurten zu befreien.

„Hallo?“, fragte ich unsicher, wobei ich mir wie der letzte Depp vorkam.

Wenigstens erhielt ich darauf tatsächlich eine Antwort, von der Stimme eines Mannes, die zwar ruhig, aber angespannt, nein, vielmehr gestresst klang: „Guten Tag, Ferris.“

Stirnrunzelnd versuchte ich irgendwie einen Blick auf die Person, die offenbar meinen Namen kannte, zu erhaschen, doch es gelang mir nicht. Schon frustrierend, zu realisieren, dass man überraschend viel Körpereinsatz benötigte, wenn man alles um sich herum ins Augen fassen wollte. Stöhnend ließ ich den Kopf wieder sinken und ergab mich meinem Schicksal. Wer auch immer sich zu mir gesellt hatte, seine Stimme kam mir nicht bekannt vor.

„Also, werde ich jetzt aufgeschnitten und in meine Einzelteile zerlegt?“, scherzte ich, wieder genervt von meiner momentanen Lage. „Ich kenne zig Horrorfilme, die so enden, wenn man erst mal gefesselt wurde, ohne Aussicht darauf, sich befreien zu können.“

„Deinem, als lustig anmutenden, Vergleich entnehme ich, dass die Synapsen in deiner Steuerzentrale wieder einwandfrei funktionieren?“

„Hä?“ Ich peilte nicht, was er mir mit dieser Antwort sagen wollte. „Was?“

Für einige Sekunden legte sich wieder der Mantel der Stille über den Raum, weshalb ich kurz befürchtete, mir diese fremde Stimme nur eingebildet zu haben. Es wäre nicht das erste Mal, dass mir so etwas passierte. Wie oft hatte ich schon Eri zu mir sprechen gehört? Das eine Mal wäre ich sogar fast von ihr erwürgt worden, auch wenn es hinterher so aussah, als hätte ich es selbst getan.

„Kann ich die Gurte öffnen, ohne befürchten zu müssen, dass du ein weiteres Mal Amok läufst?“, fragte der Mann ernst.

In seiner Stimme hörte ich einen Unterton heraus, der mich deutlich davor zu warnen schien, nochmal in irgendeiner Form Ärger zu machen, weil ich damit keinen Erfolg hätte. Ich fühlte mich aber sowieso nicht danach auszuflippen, dafür mangelte es mir an Energie und Emotionen.

Genau das erwiderte ich auch als Antwort auf die Frage, woraufhin der Fremde näher ans Bett trat. Diesmal befand er sich endlich in meinem Blickfeld, als ich den Kopf in seine Richtung wandte. Mir fiel sofort das silbergraue, kurze Haar auf, erst recht durch seinen dunklen Teint. Auch das goldene Augenpaar, das hinter einer Brille lag und mich forschend ansah, hob sich vom Gesamtbild ab – das war fast genauso ungewöhnlich wie meine blauen Haare.

In meinem chaotischen Leben, welches prall gefüllt war mit rebellischen Phasen, hatte ich schon viele strenge Erwachsene getroffen, doch dieser Typ könnte wahrscheinlich alle bisherigen Begegnungen dieser Art in den Schatten stellen. Allein seine Mimik und der stechende Blick trugen so viel Autorität in sich, dass ich mich schlagartig unwohl fühlte. Bestimmt würde es nicht lange dauern, bis es zwischen dem und mir so richtig knallte, und das nicht auf die gute Weise.

Vom Kleidungsstil her könnte das jemand mit einem hohen, bedeutsamen Posten im Echo-Institut sein, wo ich mich gerade befinden musste. Jedenfalls war das naheliegend, nach dem, was auf der Brücke passiert war. Allerdings trug er einen grauen Mantel, also hatte man mich vielleicht eher in einen abgelegen Metallkasten eingesperrt, der irgendwo draußen in der Pampa stand. Mir zumindest wäre das viel zu warm in einem geschlossenen Gebäude.

Zügig, aber vorsichtig, befreite das goldäugige Weißhaar mit dem stechendem Blick mich nach und nach von meinen Fesseln, ohne ein Wort zu sagen. Erleichtert rieb ich mir über die Handgelenke und setzte mich langsam auf, als ich wieder frei war und mich bewegen konnte. Der Gedanke an einen Metallkasten schien gar nicht so abwegig, denn außer dem Bett gab es tatsächlich nichts anderes zu entdecken, bis auf eine stahlgraue Tür in einer Ecke des quadratischen, überraschend großen, Raumes.

Aus einer Innentasche seines Mantels holte der Fremde eine dieser winzigen Taschenlampen heraus, die Ärzte immer bei sich trugen und eher wie ein Stift zum Schreiben aussahen. Damit überprüfte er die Reflexe meiner Augen, was ich schweigsam mit mir machen ließ. Wie gesagt, in mir sah es zu leer aus, als dass ich einen Aufstand machen könnte.

„Du hast gestern zur Beruhigung ein Medikament bekommen“, erklärte er mir, als könne er meine Gedanken lesen – sicher nur Zufall. „Wie fühlst du dich?“

Ich blinzelte, ein wenig unschlüssig. „Wollen Sie jetzt eine genaue Abhandlung über mein Seelenleiden oder geht es Ihnen rein um körperliche Beschwerden?“

Anscheinend konnte mein Gegenüber sich denken, woher diese Frage rührte, weshalb er nicht nachhakte, sondern monoton antwortete: „Ich möchte wissen, ob wegen dem Medikament Nebenwirkungen aufgetreten sind.“

„Wie schon erwähnt, ich fühle mich schlaff, ohne Energie, und seltsam leer. Ansonsten geht es.“

Den Fakt, dass ich ganz froh darüber war gerade mal keine Ohrenschmerzen zu haben, weil mich hier die Stimmen der Echos nicht erreichten, behielt ich vorsichtshalber für mich. Meine Worte stimmten den Mann zufrieden, er nickte für sich, und steckte die Taschenlampe wieder weg.

„Mein Name ist Jii Tharom“, stellte er sich vor. „Ich bin im Echo-Institut der Leiter der Abteilung, die sich um Echos kümmert.“

Wie vom Schlag getroffen hielt ich die Luft an. Dieser Jii war also quasi der Chef von Ciar und allen anderen Jägern? Mir war so, als hätte ich seinen Namen sogar schon mal gehört, nur wollte mir nicht einfallen wo das gewesen war. Aber wenn ich es jetzt auf einmal mit einer führenden Kraft zu tun bekam, musste die Kacke richtig am Dampfen sein.

Scheiße … Ciar.

Jii schob die Hände in die Seitentaschen seines Mantels, sein Blick konzentriert auf mich gerichtet. „Es ist bedauerlich, dass du und ich uns unter solch unglücklichen Umständen kennenlernen. Wir alle durchleben momentan eine ungewöhnlich komplexe Lage, deren Gefahrenpotenzial von Sekunde zu Sekunde wächst. Daher muss ich dir einige dringende Fragen stellen, egal ob sie dir gefallen oder nicht. Eine Kooperation würde uns beiden nicht nur dieses Gespräch erleichtern, also appelliere ich hierbei an deine Vernunft.“

Das klang überhaupt nicht gut. Was war da draußen los? Wie lange war ich wohl bewusstlos gewesen? So langsam glühte ein kleiner Funken Nervosität in mir auf, ein schwaches Kribbeln, das meine schlafenden Emotionen aufzuwecken versuchte. Bevor ich mich mit Fragen löchern ließ, musste ich zuerst unbedingt etwas wissen:

„Was ist mit Ciar?“

Sacht tippte Jii mit dem Zeigefinger gegen das Gestell seiner Brille. „Erläutere mir, worüber du exakt informiert werden möchtest. Das Thema Ciar hat inzwischen viele verschiedene Facetten, die uns aktuell sehr beschäftigt halten.“

Gute Frage. Was wollte ich wissen? Garantiert ging es Ciar alles andere als gut, dessen konnte ich mir sicher sein, ohne seinen Chef auszuhorchen. Dachte ich an den Schrei zurück, den Ciar aus dem Inneren seines Kokons ausgestoßen hatte, zog sich in mir alles zusammen.

„Was ist passiert, nachdem ich ausgeknockt wurde? Was habt ihr mit Ciar gemacht?“

Erschreckend professionell ratterte Jii wie einstudiert die darauf passende Antwort herunter: „Wir konnten den Bereich, in dem Ciar aktiv ist, weiträumig sichern und halten momentan die Stellung.“

„Was ist mit sichern gemeint?“

„Da du kein eingetragenes Mitglied in unserer oder einer anderen Abteilung des Echo-Instituts bist und dich auch noch nicht in der Ausbildung befindest, darf ich dir das nicht näher erläutern. Auch aus strategischen Gründen.“

Zerknirscht sackte ich in mir zusammen. Typisch, dieser Text hätte geradewegs aus einem militärischen Action-Film stammen können. Seinem noch nicht in Verbindung mit Ausbildung konnte ich außerdem schon entnehmen, dass man meinen zukünftigen Weg gegen meinen Willen für mich fest geplant hatte. Selbst wenn das nur dazu diente, mir den richtigen und kontrollierten Umgang mit meinen Fähigkeiten beizubringen, ich jedoch hinterher nicht zwingend im Institut arbeiten müsste, kotzte mich das ziemlich an.

„Aufgrund deiner Beziehung zu Ciar“, fügte Jii noch hinzu, „verrate ich dir dennoch ein paar grobe Details: Er wurde frühzeitig bewegungsunfähig gemacht, seine Position hat sich also nicht verändert. Seitdem wurden noch keine weiteren Aktionen durchgeführt. Die Ausarbeitung des Plans für eine reibungslose Evakuierung der Zivilbevölkerung hatte Vorrang, um schnell handeln zu können, sollte dies nötig sein.“

„So schlimm?“

Schlimm beschreibt das Ausmaß unserer Lage nicht mal im Ansatz. Lass es mich ganz deutlich formulieren: Halten wir Ciar nicht auf, wird Cherrygrove nur die erste Stadt sein, die bald nicht mehr existiert. Wir haben noch nie zuvor eine zerstörungswütige Energie von solcher Intensität erlebt.“

Zerstörung. Ciar hatte das also wirklich ernst gemeint? Ein Teil in mir war erstaunlich froh darüber, schließlich war das immer der Plan gewesen. Unheimlich. Die Welt vernichten. Alles, was uns leiden lässt. Ja, so lautete der Plan. Etwas daran fühlte sich aber falsch an, wie mir mein Gewissen krampfhaft klarzumachen versuchte – etwas zu spät.

„Okay ...“ Mir fiel es schwer weiterzusprechen. „Aber ihr werdet Ciar nicht einfach töten, oder? Ihr werdet doch sicher erst versuchen, ihm zu helfen?“

Für meinen Geschmack war Jii etwas zu lange still, ehe er sich dazu äußerte: „Aufgrund seines Zustands stehen uns da leider nicht viele Optionen offen.“

Leider. Dieses Wort traf mich wie ein Blitz, der mein Herz kurz aussetzen ließ. In diesem Zusammenhang klang leider sehr schlecht und viel zu endgültig.

„Warum? Wie ist denn … sein Zustand?“

„Irreparabel“, entgegnete Jii schonungslos.

Meine Augen weiteten sich. „Was soll das heißen?“

„Er befindet sich in einem Zustand, der nicht mehr rückgängig zu machen ist.“

„Ich weiß, was irreparabel bedeutet“, zischte ich. „So strunzdumm bin ich dann auch nicht. Ich finde es nur erschreckend, wie einfach ihr es euch macht und irreparabel als Rechtfertigung für vorsätzliche Tötung verwendet. Woher wollte ihr so genau wissen, dass Ciars Zustand nicht rückgängig zu machen ist?!“

Langsam, fast bedächtig, ging Jii einige Schritt nach links. Er schwieg kurz, was ich nur so deuten konnte, dass er darüber nachdachte, was genau er als nächstes sagen sollte. Inzwischen erwachten auch die bislang schlummernden Emotionen in mir und schlossen sich zusammen, für einen Sturm, der sich anbahnte.

„Du warst doch dort und hast es mit eigenen Augen gesehen“, sagte Jii gefasst. „Ciar hat seine Menschlichkeit abgelegt.“

„Ich hab nur gesehen, dass er rot glühende Terminator-Augen hat“, wandte ich patzig ein. „In seinem Würfel sah Ciar an sich aber durchaus noch sehr menschlich aus!“

„Wie viel weißt du über Ciar?“

„Er war eine Totgeburt.“ Ich atmete schwer aus. „Und ihr habt ihm das Herz eines Echos eingepflanzt, damit er lebt.“

„Offenbar hat er dir viel Vertrauen entgegen gebracht, wenn er dir das erzählt hat“, bemerkte Jii, ohne jegliche Wertung. „Ciar war von Anfang an ein besonderer Fall. Er schwebte stets zwischen zwei Welten: Menschen und Echos.“

Ich ballte meine Hände zu Fäusten, was mir kaum gelang, weil ich nicht viel Kraft hatte. „Erspare mir irgendeinen philosophischen Scheiß.“

„Weißt du auch, warum er eine Totgeburt war?“

Nein, das wusste ich nicht. Gab es dafür etwa einen Grund, von dem Ciar mir nichts erzählt hatte? Irgendwie fühlte ich mich ein wenig vorgeführt, als dürfte ich nicht so eine große Lippe riskieren. Traurigerweise kannte das Echo-Institut Ciar aber nun mal wirklich wesentlich länger als ich, schon seit seiner Geburt. Da war es natürlich, dass sie weitaus mehr Informationen über ihn hatten.

Wortlos schüttelte ich nur den Kopf. Statt einer Geste des Triumphs oder mich mit Worten in die Schranken zu weisen, was das Thema Ciar betraf, sprach Jii ganz normal weiter: „Möglicherweise wirst du mit diesem Begriff nichts anfangen können, aber Ciar kam als Totgeburt zur Welt, weil sich in seinem Körper ein Miasma-Keimling gebildet hatte. Aufgrund dessen wird er seither in unserer Kartei als potenzielles Echo klassifiziert.“

Davon hatte ich in der Tat noch nie etwas gehört, erst recht nicht von Ciar. Irritiert und interessiert wollte ich wissen, was ein Miasma-Keimling war und was das damit zu tun hatte, dass sie Ciar für irreparabel hielten, doch Jii wollte meinen Wissensdurst nicht befriedigen, sondern nutzte die Gelegenheit zu seinen Gunsten:

„Beantworte meine Fragen und ich gebe dir gerne die eine oder andere Antwort, sofern der Inhalt nicht der Geheimhaltung unterliegt.“

Missbilligend zog ich die Augenbrauen zusammen. „Ihr Ernst jetzt?“

„Wie ich dir zu Beginn mitteilte, steht die Welt da draußen kurz vor einer Apokalypse“, merkte er an. „Ich hätte mehr als genug Leute, die den Kokon, in dem Ciar sich aufhält, durchaus vernichten könnten, wenngleich mit gewissen Risiken. Das wäre die einfache und schnelle Variante, dieses Problem zu beseitigen. Mit Sicherheit auch der beste Weg für die Sicherheit vieler Unschuldiger, jedoch das schlechteste Ende für Ciar, seine Familie und für dich.“

Mir lag auf der Zunge, dass mir seine Familie bisher nicht sehr fürsorglich vorgekommen war, eher resigniert, als hätten sie sich mit Ciar als schwierigen Fall abgefunden. Manchmal glaubte ich sogar, sie waren froh, durch mich etwas mehr Ruhe vor ihm gewonnen zu haben. Für mich wäre es dagegen eine Katastrophe, ihn zu verlieren.

Ohne Ciar würde ich jeglichen Halt verlieren.

Ohne ihn wäre ich verloren.

Ohne ihn wäre ich so gut wie tot.

Während Jii weitersprach, ging er wieder einige Schritte zurück nach rechts, vermutlich um seiner inneren Ungeduld entgegenzuwirken. Jedenfalls sprach er wesentlich schneller als zu Beginn unseres Gespräches, was seinen Mangel an Zeit oder Nerven verdeutlichte. Vermutlich traf sogar beides zu.

„Darum bin ich hier, statt meinen Leuten den nächsten Befehl zu erteilen. Wir müssen in Erfahrung bringen, woher Ciar seine Energie bezieht. Erst dann können wir uns eventuell Wege überlegen, das Problem anders zu lösen. So viel Macht kann unmöglich von ihm alleine ausgehen. Weißt du, was die Quelle ist?“

Die Würfel! Natürlich lag es an den Herzen der Echos, die wir gesammelt hatten. Sie waren nun ein Teil von ihm. Bestimmt gab es daher letztendlich doch nur eine Möglichkeit, ihn aufzuhalten. Man würde Ciar töten. Was sollte ich tun? Eine geistig zurechnungsfähige Person würde Jii die Wahrheit sagen, bevor es wirklich so weit kommen könnte, dass die Stadt zerstört wurde und Menschen starben.

Aber ich wollte Ciar nicht verraten, obwohl ich Zweifel hegte, wegen dem, was Faren zu mir gesagt hatte. Bestimmt war das eine Lüge gewesen. Ein Trick. Das Thema mit dem Brand damals war abgeschlossen und das Echo, der Täter, vernichtet. Von mir persönlich. Warum sollte ich Faren also glauben? Warum behauptete er so etwas überhaupt?

So kannte ich Faren nicht. Der Faren, der einst mein bester Freund gewesen war, hätte so etwas nicht ohne einen guten Grund behauptet.

Verdammt.

Rasch senkte ich den Kopf, weil ich nicht riskieren wollte, von Jii gelesen zu werden wie ein offenes Buch. Mir wurde schon von einigen Seiten nachgesagt, bei mir wäre das leicht – ich sollte wohl besser doch wieder an meinem schauspielerischen Talent feilen.

„Keine Ahnung“, log ich. „Ich peile eh kaum etwas von dem, was passiert. Echt, ich würde es selbst gerne wissen.“

Für mich, in meinen Ohren, klang ich ziemlich überzeugend. Deswegen machte ich mir keine Sorgen. Wäre er wie mein Vater und auch Therapeut, hätte ich mir jede Lüge sparen können, aber Jii kannte mich nicht. Er konnte unmöglich einschätzen, ob ich log oder nicht. Alles gut.

Oder?

Warum sagte Jii nichts mehr?

In derselben Sekunde, als mich eine böse Vorahnung packte, wurde genau diese Wirklichkeit. Nach einer unangenehme Phase des Schweigens, veränderte sich nämlich Jiis Stimme und drang mit seinen folgenden Worten in meinen Kopf ein, so klar und bestimmend, dass sie sogar meine eigenen Gedanken übertönte: „Sag die Wahrheit.

Erschrocken riss ich den Kopf hoch und konnte nicht fassen, wie unbeschreiblich dumm ich war. Nur ein Idiot wie ich konnte so etwas Wichtiges vergessen. Schon Vane hatte bei meiner Untersuchung davor gewarnt, dass ich mit Befehlen zum Sprechen gebracht werden würde, falls ich mich nicht von mir aus öffnen wollte. Richtig, da war auch Jiis Name gefallen. Jetzt fiel es mir wieder ein.

Zähneknirschend wollte ich gegen den Befehl ankämpfen, hatte so kurz nach dem Kampf auf der Brücke und sicher auch wegen diesem blöden Medikament keine Kraft dafür. Außerdem hallte Jiis Stimme durch die Leere des Raumes derart laut, dass ich keine Chance hatte.

„Mist! Es sind … die Würfel“, keuchte ich widerwillig. „Ciar hat Herzen von Echos gesammelt und sie geschluckt, um sie in sich aufzunehmen und stärker zu werden.“

Zum ersten Mal konnte ich nun eine deutliche Regung in Jiis Mimik beobachten, der nun ebenso geschockt wirkte wie ich, nur aus einem gänzlich anderen Grund. Anscheinend befürwortete das Echo-Institut das Konsumieren roter Würfel nicht. Ich fragte mich, warum. Zusammen mit Ciar war mir das relativ normal vorgekommen.

Wie viele?

„Wir haben sie nicht gezählt“, erwiderte ich gereizt. „Viele.“

Hast du mitgemacht?

„Ja ...“

Seufzend griff Jii sich an die Stirn. „Meine Güte, was für ein Irrsinn. Was hat er sich dabei gedacht?“

Aufgebracht rutschte ich vom Bett. Meine Beine waren so weich, ich knickte beinahe ein, kaum dass ich aufrecht stand. Wehrlos wollte ich diese Manipulation aber nicht hinnehmen. Ich holte tief Luft und spürte die Hitzewelle in meiner Brust, das Aufbäumen meiner Seele. All meine letzten jämmerlichen Kraftreserven legte ich in diesen verzweifelten Versuch, mit einem eigenen Befehl alles rückgängig zu machen.

Vergiss alles!“, schrie ich heiser.

Plötzlich war das Ticken einer Uhr zu hören. Sie übertönte sowohl den Nachhall von Jiis Stimme als auch von meiner, wischte sie regelrecht davon. Im selben Augenblick konnte ich ein bläuliches Glühen unter dem grauen Mantel von Jii ausmachen, das im Takt gleichmäßig stärker und schwächer wurde. Kurz darauf verblasste das Licht wieder und es wurde totenstill. Als hätte etwas innerhalb eines Wimpernschlags sämtliche unnatürliche Regungen im Raum aufgesogen und somit verstummen lassen.

Perplex stand ich da und wartete auf die Wirkung meines Befehls, während ein Teil von mir längst ahnte, dass es nicht geklappt hatte. Es hätte aber funktionieren müssen.

„Als Anführer einer Gruppe von Begabten, die dazu fähig sind mit ihrer Stimme andere zu beeinflussen, wäre es fatal, wenn ich mich dagegen nicht absichern würde“, sagte Jii, mit einer Selbstverständlichkeit, die mich nur noch wütender machte.

„Arschloch!“, fluchte ich.

„Schon gut, mehr brauche ich ohnehin nicht zu wissen. Das genügt mir vollkommen.“ Unbeeindruckt wandte er sich ab und ging Richtung Tür. „Ich werde Dr. Belfond zu dir schicken. Er soll sich vorerst um dich kümmern und untersuchen, wie viel Schaden die Herzen bei dir schon angerichtet haben.“

„Warte! Bleib hier, verdammt!“

Es gelang mir, ihm hinterher zu hechten, wobei ich mehr schwankte als richtig geradeaus zu gehen. Gezielt hielt ich Jii an seinem Mantel fest und zwang ihn somit, nochmal stehenzubleiben. Seinen gut gemeinten Rat, dass ich mir nicht noch mehr Ärger einhandeln sollte, ignorierte ich gekonnt. Ich schmiss weitere, böse Flüche an den Kopf, auch wenn das nichts ändern konnte.

Ich saß in einer Sackgasse fest.

Ich fühlte mich so fucking hilflos.

Ich wusste ohne Ciar nicht, was ich tun sollte.

Meine Befürchtung, dass das Echo-Institut Ciar nun erst recht töten würde, machte das Ganze noch schlimmer. Sie durften ihn mir nicht wegnehmen. Nur wegen Faren befand ich mich dieser aussichtslosen Situation, weil er irgendwelche Gespenster oder was auch immer gesehen hatte. Warum, Faren? Warum?

„Lass mich mit Faren sprechen!“, forderte ich.

An seinem Stirnrunzeln erkannte ich, wie sehr es ihm missfiel, dass ich so eine Szene machte – oder es störte ihn, dass ich ihn nicht mehr Siezte. Mir war scheißegal, unter was für einem Zeitdruck Jii stand und dass die Stadt, vielleicht sogar die ganze Welt, in Gefahr war. Ich war eben kein Held.

„Wozu?“, hakte Jii nach.

„Ich muss etwas von ihm wissen“, drängte ich.

„Faren befindet sich in Haft.“ Seufzend schloss Jii die Augen und verschränkte die Arme vor der Brust. „Er hat eigenmächtig und voreilig gehandelt, um dich zu retten.“

„Ich war aber gar nicht in Gefahr!“, brach es aus mir heraus. „Überhaupt, seit wann arbeitet Faren für euch?!“

„Er war bei uns in Behandlung, wegen dem Befehl, den du auf ihn ausgesprochen hattest. Du kannst von Glück reden, dass er diese Tortur heil überstanden hat“, kritisierte er mich ungeniert. „Während seiner Behandlung stellte sich heraus, dass auch er ein Begabter ist. Seitdem ist er bei uns in Ausbildung. Wie gewisse andere Personen fällt es ihm aber oft unverständlich schwer, sich an die Regeln zu halten.“

Mit dieser anderen Person musste Ciar gemeint sein. Faren war sicher total aus dem Häuschen gewesen, als er erfahren hatte, dass er besondere Fähigkeiten besaß und keine langweiligen, gewöhnlichen Jobs mehr ausüben musste. Was konnte er wohl getan haben, dass Jii auch auf ihn nicht so gut zu sprechen war? Wenn man im Echo-Institut offenbar doch wusste, dass ich derjenige war, der Faren mit einem Befehl belegt hatte und ich Eins und Eins richtig zusammenzählte …

„Er konnte sich erinnern“, murmelte ich. „Er wusste, dass er mich schon mal auf dieser Brücke gerettet hat.“

„Weil er sich selbst befohlen hat, sich an dich zu erinnern“, erklärte Jii genervt. „Er kann genauso froh sein wie du, dass er sich nicht selbst auf ewig mit einem Gehirnschaden belastet hat. Wobei Spätfolgen immer noch nicht ausgeschlossen werden können, ebenso wie bei dir. Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass sich eure geistige Gesundheit wegen solcher Aktionen in einigen Monaten oder auch noch nach Jahren plötzlich drastisch verschlechtert.“

Meine geistige Gesundheit war sowieso schon am Boden, darüber machte ich mir also keine Sorgen. Mir wurde vielmehr bewusst, wie falsch ich gelegen hatte. Anfangs war ich davon überzeugt gewesen, Faren würde es nicht bemerken, wenn ich aus seinem Leben verschwand. In meinem Kopf war er so glücklich mit Kieran, weshalb es für mich keinen Platz mehr gab. Da hatte ich ihm wohl unrecht getan. Trotz allem konnte Faren mich nicht vergessen …

Und doch lag nur seinetwegen alles in Trümmern.

„Warte“, sagte ich zu mir selbst, fixierte meinen Blick jedoch weiterhin auf Jii. „Seit wann wisst ihr denn dann schon davon, dass ich auch Fähigkeiten habe?“

„Länger, als du – und auch Ciar – erahnen könnt.“

Ich blickte gar nichts mehr. Hätte das Echo-Institut mich demnach nicht schon längst aufsuchen und unter seine Fittiche nehmen müssen? Meine Ratlosigkeit stand mir scheinbar ins Gesicht geschrieben, denn sein stechender Blick bekam eine etwas sanftere Note, aber nur kurz.

Lass mich los.

Kraftlos lösten sich meine Hände von seinem Mantel. „Und was ist mit den versprochenen Antworten auf meine Fragen?!“

„Ich habe nie erwähnt, wann du diese Antworten bekommst.“

„Na klar ...“ Mir entglitt ein freudloses Lachen. „Was auch sonst.“

Einen Augenblick lang stand Jii wieder nur schweigend da und sah mich an. Ich bemühte mich, gerade zu stehen und nicht so armselig auszusehen, wie ich mich gerade fühlte. Stur starrte ich auf den Boden. Ich konnte diesen Blick von Erwachsenen nicht ertragen, mit dem Jii mich ansah. Diesen Blick, wenn Erwachsene zwar bemerkten, wie furchtbar es einem ging, sie aber an ihrer Vernunft festhielten und das Richtige tun wollten, weshalb sie umso mehr Mitleid mit einem bekamen.

Behutsam legte Jii mir eine Hand auf die Schulter. „Es tut mir leid, Ferris.“

Angespannt biss ich die Zähne zusammen und kämpfte gegen die Tränen an, wie so verdammt oft in meinem Leben. Derweil setzte Jii seinen Weg fort und entfernte sich von mir. Seine Schritte klangen für mich so erdrückend laut, besonders das Knarren der Tür, als sie sich öffnete. Alles schien so endgültig, dass mir der Wille fehlte, etwas zu tun.

Ich konnte nichts tun.

Armer Ferris“, flüsterte eine Mädchenstimme.

Ganz plötzlich, wie aus dem Nichts, schlangen sich von hinten ein Paar verbrannter Arme um mich. Eri. Ihre verzerrte Stimme übertönte die Tür, die zurück ins Schloss fiel.

Ich bleib bei dir. Dann bist du nicht so einsam.

„Wie ...“ Müde schloss ich die Augen. „Wie kannst du sogar hier auftauchen?“

Ich bin immer da.“

Sie drückte etwas zu fest zu, weshalb ich den Halt verlor und zu Boden fiel, aber das störte mich nicht. Dieser Wahnsinn, durch den Eri überhaupt hier sein konnte, war in diesem Moment der einzige Trost, den ich noch hatte.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Bedankt euch bei der lieben  Flordelis, denn dieses Kapitel existiert nur dank ihr. :3
Sie ist eben eine echt knallharte Beta, die erbarmungslos jede Unstimmigkeit findet und mir ins Gesicht knallt! Q___Q
... Nein, sie ist großartig! ♥ Ich bin froh, sie als Beta zu haben. :D
Nochmal Danke, Schatz. Komplett anzeigen

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Von:  Flordelis
2021-09-16T21:05:50+00:00 16.09.2021 23:05
Während Alo weiterhin Pokémon-FFs schreibt, werde ich, immer noch Farran, sowie Kieran und Jii mal EV weiterkommentieren. Ach, und Ciar ist auch dabei.
Kieran: Hurra. =_=
Ciar: Pff.
Jii: *Brille hochschieb*

Farran: Bevor wir anfangen, könnten wir aber mal darüber reden, welche Pokémon wir hätten~. Mein Favorit wäre ein Bissbark~.
Kieran: Ich hätte Durengard. Das ist das mit Abstand nützlichste.
Ciar: Mit so etwas würde ich mich nicht abgeben. Alles unterhalb eines legendären Pokémon ist unnütz.
Jii: Gegen ein männliches Servol hätte ich nichts einzuwenden.
Alle: *Jii anstarr*
Jii: Was? Manchmal kenne ich mich in der Popkultur aus.
Farran: Okay, ich glaube, wir fangen besser mal an.

> Ich versuchte bereits zum zweiten Mal sie zu zählen
Farran: Zahlen, wah!
Kieran: Was hast du gegen Zahlen?
Farran: Die werden mit Mathe verbunden, ich hasse Mathe. >_>

> Wer wollte schon wissen, wie viele Rechtecke genau sich dort oben befanden? Richtig, keiner.
Farran: Irgendwo hätte man bestimmt jemanden gefunden, der sich dafür interessierte. Wenn wir nur lange genug suchen-
Ciar: Bitte nicht.

> Vielleicht hätte sich höchstens ein Kastenbrot mit zu kurzen Armen und grimmiger Mimik dafür interessiert.
Kieran: Ich glaube, Bernd mag nur Raufasertapeten.
Ciar: Wen interessiert das denn?! Was ist mit Ferris?!
Farran: Wir wollten nur die Popkultur-Anspielung wertschätzen.

> Was sollte ich sonst tun? Bewegen konnte ich mich ja nicht.
Kieran: Schlafen.

> Offenbar war ich anschließend überrannt und außer Gefecht gesetzt worden.
Ciar: Oh Mann, das war auch wirklich eine dumme Idee. Das ist so typisch Ferris.

> Typisch, was konnte ich überhaupt?
Zettel von Alo: Der beste Ferris ever sein! TT________TT

> Zwei Männerstimmen schienen über etwas zu diskutieren
Farran: Alo sagt, sie weiß schon, wer die beiden sind, und, ich zitiere: "Jaha!"
Kieran: So etwas freut sie immer. Bei der Sache mit Naola ist das auch so.
Jii: Du verstehst das immer noch nicht?
Kieran: Nein. >_<
Jii: ... Du bist doch wesentlich weniger intelligent als ich dachte.
Kieran: Danke. =_=

> angespannt, nein, vielmehr gestresst klang
Ciar: Jii kann gestresst sein?
Jii: Anscheinend ist meine Rolle in dieser Welt sehr von den derzeitigen Ereignissen mitgenommen.

> „Deinem, als lustig anmutenden, Vergleich entnehme ich, dass die Synapsen in deiner Steuerzentrale wieder einwandfrei funktionieren?“
Farran: Was?
Kieran: Okay.
Ciar: Jii ist ein dummer kleiner Snob und Angeber.
Jii: Tut mir leid, dass ich über mehr Niveau verfüge als ihr Troglodyten.
Ciar: Was?
Jii: Quod erat demonstrandum.

> woraufhin der Fremde näher ans Bett trat
Ciar: Es ist übrigens sehr unhöflich, sich nicht vorzustellen.
Jii: Was gehen dich meine Umgangsformen an? Du besitzt ja selbst keine.
Farran: Da hat er recht.
Kieran: *nick*
Ciar: =_=

> Bestimmt würde es nicht lange dauern, bis es zwischen dem und mir so richtig knallte, und das nicht auf die gute Weise.
Ciar: Ich will mir gar nicht vorstellen, wie es bei Jii "auf gute Weise knallt".
Jii: Ich will ja auch hoffen, dass du was Bessere zu tun hast.

> das goldäugige Weißhaar mit dem stechendem Blick
Farran: Ferris entdeckt in dieser Story wirklich sein Talent für Poesie.

> „Ich bin im Echo-Institut der Leiter der Abteilung, die sich um Echos kümmert.“
Farran: Gibt es noch andere Abteilungen?
Kieran: Und wer leitet die?
Ciar: Ist das wirklich so wichtig?

> ein schwaches Kribbeln, das meine schlafenden Emotionen aufzuwecken versuchte
Farran: Und die Emotionen sagten dann "Noch fünf Minuten".
Kieran: Schrecklich. Wenn der Wecker klingelt, sollte man aufstehen, sonst kommt man doch nicht in die Gänge.
Ciar: Was findet Faren nur an dir?
Kieran: Was findet Ferris an dir? =_=
Ciar: So was verstehst du eben nicht.

> Das Thema Ciar hat inzwischen viele verschiedene Facetten, die uns aktuell sehr beschäftigt halten.
Ciar: Tja, ich bin eben sehr facettenreich. (⌐■_■)
Farran: Und deswegen umso nerviger.

> Garantiert ging es Ciar alles andere als gut
Farran: Vielleicht trinkt er ja Tee mit seinesgleichen ... oder Fatalitee. :>
Ciar: Was?
Kieran: (¬‿¬)

> dass man meinen zukünftigen Weg gegen meinen Willen für mich fest geplant hatte
Farran: Das Gefühl kenne ich echt gut.

> „Ich weiß, was irreparabel bedeutet“
Jii: Dann drücke dich nächstes Mal klarer aus.

> „Ich hab nur gesehen, dass er rot glühende Terminator-Augen hat“
Farran: Popkultur-Referenz! =D
Kieran: wie lange wird es dauern, bis das irgendwann niemand mehr versteht?

Farran: Miasma-Keimling, klingt echt furchteinflößend. Genau wie Grief Seed. ~_~

> als hätten sie sich mit Ciar als schwierigen Fall abgefunden
Farran: Aber was soll man denn auch mit jemandem machen, der so drauf ist wie Ciar?
Ciar: Also Atanas hatte damit keine Probleme.
Jii: Atanas war ein sehr spezieller Fall.
Ciar: Atanas ist der beste Dad. >_<

Farran: Diese Befehle sind ja ziemlich gemein, fällt mir da so wieder ein.
Ciar: Ich finde sie ungemein praktisch.
Kieran: Auch wenn sie gegen dich verwendet werden?
Ciar: Das wagt keiner. ù_ú

> Außerdem hallte Jiis Stimme durch die Leere des Raumes derart laut
Farran: Ach, darum ist der Raum so gebaut. Clever.
Jii: Was auch sonst?

> „Meine Güte, was für ein Irrsinn. Was hat er sich dabei gedacht?“
Jii: Nichts, wie üblich.
Ciar: Hey, ich denke sehr viel, okay!? Du kannst es nur nicht nachvollziehen, weil du zu dumm dafür bist.
Jii: Oh, natürlich, ich bin der Dumme.
Ciar: ಠ_ರೃ

> Plötzlich war das Ticken einer Uhr zu hören.
Farran: Dieser ganze Abschnitt war halt richtig toll, und sehr anschaulich beschrieben.
Ciar: Er ist ein Cheater, sonst nichts. =_=

> „Als Anführer einer Gruppe von Begabten, die dazu fähig sind mit ihrer Stimme andere zu beeinflussen, wäre es fatal, wenn ich mich dagegen nicht absichern würde“
Farran: Wie viele Gehaltserhöhungen da wohl schon fällig geworden wären.
Ciar: Vielleicht ist er einfach auch nur zu paranoid. Hat er Angst vor seinen eigenen Angestellten?

> wie viel Schaden die Herzen bei dir schon angerichtet haben
Kieran: Ich frage mich, wie dieser Schaden aussehen mag. Was richten die Herzen in einem an?

> Wie gewisse andere Personen fällt es ihm aber oft unverständlich schwer, sich an die Regeln zu halten.
Kieran: Faren sagt immer, Regeln seien dazu da, um gebrochen zu werden.
Farran: Ich finde ihn echt gut.
Jii: Dabei sind Regeln eigentlich dazu da, um ein Chaos zu verhindern. =_=

> „Ich habe nie erwähnt, wann du diese Antworten bekommst.“
Alle, außer Jii: Buuuuuh!
Jii: Was?
Farran: Das war einfach nicht in Ordnung!
Jii: Wir haben in der Situation keine Zeit für lange Antworten.
Kieran: So etwas ist trotzdem nicht okay.
Ciar: Dass ich den beiden mal zustimme, sollte dir sagen, wie scheiße dieses Verhalten ist.
Jii: Pff.

> „Es tut mir leid, Ferris.“
Ciar: Wenigstens bist du so anständig, dich zu entschuldigen.
Jii: Im Gegensatz zu einigen anderen Personen hier.
Ciar: Ja, wie Farran.
Farran: ... was?

Ah, schön, dass du am Ende nun noch was eingefügt hast, das macht es ein wenig besser.
Jedenfalls bin ich absolut ratlos, wie es weitergehen könnte, und wie du hier noch ein einigermaßen gutes Ende rausschlagen willst. Aber alles in allem war das Kapitel, wenn auch düster und deprimierend, sehr gut geschrieben. Very nice~.
Kieran: Tauschen wir jetzt Pokémon? *Switch hochhalt*
Farran: Ja, klar. =D
Von:  blackNunSadako
2021-03-18T22:29:21+00:00 18.03.2021 23:29
Liebe Feria 🌷
hat dir heute schon jemand gesagt, wie wundervoll du bist?
❥Du bist bezaubernd, Liebes.♥

Bestimmt erinnerst du dich nicht mehr an mich – ist immerhin Jahre her, tut mir unsagbar leid – aber ich habe dich und dein Meisterwerk nie vergessen. Könnte ich niemals. Dafür hat sich dein Wortkunstwerk viel zu sehr in mein Herz geprägt. Was du hier erschaffen hast, ist weitaus mehr als nur 'Kunst' – Es ist etwas so Überwältigendes und Atemberaubendes. Ein Schrift-Juwel, eine wahre Kostbarkeit❣
Du bist eine atemberaubende Schriftkünstlerin.✨
Meine allergrößte Anerkennung, herzlichste Wertschätzung und Bewunderung an dich.♥

Ich danke dir. Danke dir so unfassbar sehr, dass du etwas so Schönes mit der Welt teilst. 🌹 Dankeschön 🌹

Bis zum letzten Kapitel bin ich so ergriffen, erstaunt und zutiefst bewegt gewesen von all deiner kreativen Raffinesse. Bin noch immer überwältigt, wie viel Gefühl, Wesenstiefe und Herzblut in deiner Rarität schimmert.
All die Plot-Twist, Überraschungen und Verblüffungen haben mich stets sprachlos zurückgelassen. Wie tiefgreifend du die Handlung, Charaktere und Ereignisse miteinander verflochten hast, mit wie viel Feingefühl du deine Leser an das Ganze herangeführt hast, bis es am Ende ein überragendes Sinnbild ergibt. Und nach jeder Auflösung kamen neue Fragen, Mysterien und Geheimnisse dazu. Unglaublich. Du bist einfach unglaublich❣

Das Beziehungsgerüst all der Charaktere, die Dynamik zwischen ihnen, wie clever du sie miteinander verknüpft hast – Ferris liebt Kieran, Kieran liebt Feran, Feran ist Ferris-Ersatz für Ciar, der Ferris über all die Jahre nie aufhörte zu liebte. Die Geschichte der beiden Hauptpersonen ist so herzergreifend, dass ich nicht nur einmal beim Lesen geweint habe.
Und Vincent. Ferris Vater. Bei der Auflösung liefen mir die Tränen in Strömen. So wunderschön! (ó﹏ò。)
Wie gefühlvoll du die Szenen aufgebaut hast, dich langsam an die sensible Thematik herangetastet hast, die Spannung immer höher und höher – bis sich die Hochspannung in aller Epicness entfaltete. Peng – Ein Treffer mitten ins Leserherz❣
Du weißt wirklich, wie du deine Leser begeistern kannst. Dein Werk ist Liebe auf den ersten Blick für jeden, der das Glück hat, es zu finden.
Ich hoffe so sehr, dass noch viel mehr Menschen in das Glück deiner Wortkünste kommen. Ich wünsche es mir für dich.💐

Dein Schreibstil ist verzaubernd. Fesselnd, ab dem ersten Kapitel. Die Natürlichkeit, mit der du Charaktere wiedergibst, geschmückt mit unzähligen Details, Emotionen und Lebendigkeit ist sagenhaft.
Du hast ein herausragendes Gespür für genau die richtige Balance zwischen Handlung, Dialogen und Gedanken. Dein Lesefluss ist wie ein Meer aus wohltuenden Wellen purer Euphorie. Es macht glücklich, ist eine wahre Freude, deine Edel-Kapitel zu lesen.
Du hast mir die letzten Tage unfassbar verschönert. ꒰ ˶ᵔ ᵕ ᵔ˶ ꒱

Dein Vorstellungsvermögen und die Genialität deiner Ideen grenzt an Perfektion. Die künstlerische Vollkommenheit.
Neben den gefühlvollen und intensiven Schrift-Gemälden, liegt dir das Düstere und die Mystik vortrefflich. Ein Hauch Humorvolles und eine Menge Drama ist ebenfalls wunderbar vorhanden – Der Genre-Mix ist erstklassig von dir gewählt❣
Du bist ein Multi-Talent, dies hast du mehr als einmal erfolgreich bewiesen. Absolut bewundernswert.♥

Weil ich dir auf Animexx leider keinen Stern verleihen kann, möchte ich ihn dir hier in Form eines kleinen Bildchens überreichen:

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(ノᴖヮᴖ)ノ*:・゚✧
Ein Stern, der deinen Namen trägt❣ ^-^

Leider kann ich hier nicht auf alle Einzelheiten eingehen, weiß sie jedoch zu schätzen und bin grenzenlos von Herzen begeistert. Ich hoffe, dass ich mit meiner kleinen Rückmeldung meine Begeisterung zum Ausdruck und dir herzlichste Anerkennung entgegenbringen konnte.♥
Bitte bleibe so bezaubernd wundervoll wie du bist❣ (ᴖ ᴗ ᴖ✿)

Ich würde liebend gern erfahren, wie es weiergehet, möchte dich jedoch keinesfalls drängen oder die Zeitdruck aufbürden – Ich warte. Geduldig und voller Vorfreude. Und wenn es weitere Jahre dauert, kein Problem! ^-^
Ich möchte nur, dass du weißt, dass es jemanden gibt, der dein Meisterwerk ins Herz geschlossen hat und dich liebschätzend unterstützt. っᐢ ᴥ ᐢ )っ ღ

❥Danke. Für einen so wunderschönen Lichtblick, den du mir geschenkt hast.
❥Danke, dass du deine Kunstwerke mit uns teilst.
Danke, dass es dich gibt, liebe Feria❣

Ich wünsche dir nur das allergrößte Glück auf Erden.🍀
Wünsche dir alles Gute, die beste Gesundheit und alles alles Liebe.❀ܓ(。◠ ꇴ ◠。 )

Liebste Grüße,
Sawako ♡
Antwort von:  blackNunSadako
18.03.2021 23:34
P.S. Fast vergessen: Was ich ebenfalls liebe, ist der Flair von Resident Evil und Silent Hill, den man beim Lesen spürt. Atmosphärisch bist du eine Meisterkoryphäe.♥
Antwort von: Platan
19.03.2021 06:43
Ich weiß gar nicht, wo ich mit der Antwort auf deinen Kommantar anfangen soll. (°Д°)
Bin ein bisschen sprachlos und werde garantiert nicht mal im Ansatz die Worte finden, um auszudrücken, wie sehr mich das überrascht und verlegen gemacht hat. Aber ich versuche es einfach mal. (๑و•̀ㅅ•́)و

Zuallererst: Tausend Dank für dieses überwältigende Feedback! ♥ Ich bin es nicht gewohnt, dass außer  Flordelis und mir noch jemand meine Sachen liest (Animexx ist halt so ein schönes Archiv, man kann seine Geschichte hier echt hübsch darstellen), darum bin ich dann immer besonders überfordert, wenn es doch mal passiert. Darum kam mir dein Name auch sofort bekannt vor, als ich ihn gelesen habe. (ᗒᗜᗕ)՛̵̖

Ich bin wahnsinnig froh und happy darüber, dass meine Geschichte auch noch andere derart begeistern konnte! Gerade die Charaktere liegen mir sehr am Herzen. Eigentlich reden und handeln sie quasi die ganze Zeit von selbst, ich schreib das Ganze dann nur auf. XD
Leider bin ich inzwischen aber so selbstkritisch geworden, dass mir das Schreiben kaum noch Spaß macht und ich mich schwer tue, neue Kapitel zustande zu bringen. Aber zumindest EV zählt tatsächlich zu den Werken, die ich in meinem Leben unbedingt noch abschließen will, gerade weil ich schon eh so nah am Ende dran bin. Also Danke, dass du so lange geduldig warten willst. :3
Einen Teil deines Dankes muss ich aber auch an  Flordelis weiterleiten. Sie hat mir in all den Jahren so viele Tipps und Verbesserungsratschläge gegeben, nur ihretwegen habe ich überhaupt am Schreiben festgehalten. ♥

Ich werde wohl noch ziemlich lange echt verlegen und überwältigt bleiben, also nochmal einfach Danke, dass du dir die Mühe gemacht hast, all die Worte zu schreiben. (♡˙︶˙♡)

(Und Ja, ich bin riesiger Fan von Silent Hill und Resident Evil. Auch von Puella Magi Madoka Magica. Ich stehe einfach total auf verzerrte Welten. Am besten ist es dann noch, wenn sie tatsächlich Bedeutungen haben und die Psyche einer Person widerspiegeln. Da bin ich immer voll dabei. :D)
Von:  Flordelis
2020-04-18T01:01:44+00:00 18.04.2020 03:01
Da sind wir wieder bei einem neuen Kapitel~.
Ich, Farran, bin immer noch da, Kieran ebenfalls und auch Ciar. Und sonst niemand.
Ciar: Ich bin immer noch sicher, dass Faren bis letztes Mal auch hier war.
Farran: Und ich sage dir, dass du dich irrst.
Kieran: Ja, wir waren immer allein hier.
Farran: Aber das ist einsam ...
Ciar: Und mir gehen die Gemeinheiten aus.
Farran: Also habe ich Jii eingeladen.
Ciar: Ihr wollt mich fertigmachen, oder?
Jii: Unkraut vergeht bekanntlich nicht, also musst du dir keine Sorgen machen.
Ciar: =_=
Jii: In Ordnung, wo wart ihr stehen geblieben?

Ich konnte mir nicht vorstellen, dass er neuerdings zu nächtlicher Stunde ausgerechnet auf dieser Brücke abhing, statt irgendwo in einer Bar Party zu machen und als geselliger Typ mit Leuten unterwegs zu sein
Farran: Vielleicht ist er ja plötzlich zu einem Liebhaber von nächtlichen Brücken geworden.
Kieran: Nein, das hört sich zu langweilig an. Wenn nun aber eine Party auf der Brücke stattfinden würde ...
Farran: Oder ein Flashmob.
Kieran: *nick nick*

> „Mir ist scheißegal, was du willst!“, schrie ich ihn an.
Alo hat hier eine Notiz liegengelassen. Sie sagt, sie findet sehr schön, welch krasser Unterschied hier zu Ferris' sonstigem Verhalten gegenüber Faren gezeigt wird. Außerdem ist das sehr nachvollziehbar, wenn man die Geschichte verfolgt hat.

> Wandelnde Bosheit, die unter dieser Schutzschicht aus Teer mehr und mehr gedieh.
Kieran: Eine sehr schöne Beschreibung.

> Dieser monströse Kokon gehörte garantiert nicht zu Ciars Plan
Farran: Da wäre ich mir nicht mal so sicher.
Ciar: Hallo? Meine Pläne sind subtil und edel.
Jii: Monster auf kleine Kinder hetzen nennst du subtil?
Ciar: Da war ich noch ein Kind. =_=
Jii: Die Dämonen von Jägern beeinflussen, damit sie tun, was du willst, nennst du subtil?
Ciar: Ich kann dich echt nicht leiden. 눈_눈
Jii: Das tut echt weh. Nicht.

> Schnell, Schwert beschwören und runter da, bevor es zu spät war!
Farran: Was wollte er da unten nur tun?
Kieran: Etwas Verrücktes, so ist Ferris. ... Und das macht ihn so sympathisch.
Jii: Ich muss auf ihn aufpassen, wenn er Traumbrecher ist.

> Bestimmt hätte er noch den einen oder anderen locker-flockigen Spruch hinzugefügt, etwa wie grandios solche Fähigkeiten doch zu seinem unwiderstehlichen Charme passen würden
Kieran: Ja, das klingt eindeutig nach Faren.
Farran: Wenn Faren mit einer solchen Fähigkeit bösartig werden würde ...
Jii: Käme er nicht weit. Es gäbe genug Leute, die ihn aufhalten könnten.
Ciar: Er hat es einfach nicht drauf, richtig böse zu sein.

> „Du knallst ihn vor meinen Augen eiskalt ab und glaubst dann echt, ich würde ihn im Stich lassen?! Hast du sie noch alle?!“
Kieran: Nein, hat er nicht.
Farran: Es ist schön, dass Ferris wirklich glaubt, Ciar könnte noch leben, nachdem er in die Brust getroffen wurde und dann von einer Brücke stürzte.
Ciar: Als ob mich so etwas umbringen könnte. (◔ д◔)
Jii: Wenn die Welt wegen einer nuklearen Katastrophe untergeht, leben nur noch Kakerlaken - und Ciar.
Ciar: ... Wenigstens lebe ich dann noch. (ಠ ∩ಠ)

> deren Schwingungen erschufen einen stummen Chor aus Hilferufen, wie ein unheilvolles Lied, das auf einer Harfe gespielt wurde
Jii: Interessantes Bild.
Ciar: ... Warum wirst du eigentlich nie von Alo zum Bösewicht erklärt?
Jii: Weil die Welt sich im selben Moment, in dem ich böse werde, von jeglichem Leben verabschieden müsste.
Ciar: ... (ಠ ∩ಠ)

> Aus seiner Nase lief Blut.
Jii: Schadet es dem Gehirn, Befehle zu missachten?
Kieran: Ich kann mir das gut vorstellen. Aber es war nie wichtig, also warum sollte es erwähnt werden?
Jii: Meine wissenschaftliche Neugier ist gerade nur erwacht, das ist alles.
Farran: Nein, du kannst keinen von ihnen aufschneiden, um es zu erforschen.
Jii: (¬_¬)

> „Es ist nur wegen Ciar so weit gekommen.“
Farran: Aber wie?
Kieran: Darauf müssen wir noch warten.
Farran: D;

> Am liebsten hätte ich ihm spontan mein Schwert zwischen die Rippen gejagt
Farran: (゜ロ゜)
Kieran: (゚ω゚;)
Jii: ò_Ó
Ciar: Was denn?
Jii: Anscheinend ist es nicht gut für die psychische Gesundheit, zu viel Zeit mit dir zu verbringen.
Ciar: Pff.

> Fast glaubte ich, jede Sekunde in Flammen aufzugehen, nur weil ich zu lange Blickkontakt mit ihm hielt.
Jii: Hätte Ciar ihm in diesem Zustand wirklich etwas angetan? (⌐▨_▨)
Farran: Musst du da echt drüber nachdenken?
Jii: Ja. (⌐▨_▨)

> Mein Blick traf immer noch den von Ciar. Es war wie ein schwarzer, leerer Raum, in dem wir uns gedanklich gegenüber standen.
Kieran: Das ist auch ein schönes Bild.
Farran: Es hat auf jeden Fall etwas sehr Poetisches an sich.

> Bleib auf den Füßen!
Farran: Kann so ein Befehl echt funktionieren, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren?
Kieran: Hmmm, vielleicht. Oder Faren hat nicht nachgedacht. Oder es geht eher darum, dass Ferris nicht versucht, dem Befehl irgendwie entgegenzuwirken.

> „Die Kavallerie ist schon da.“
Kieran: Das kann ich mir so gut vorstellen. (∩_∩)
Ciar: ... Du siehst überraschend glücklich aus.
Kieran: Oh. (ー ー;)
Ciar: Schon besser.

> Falls die aus dem Echo-Institut stammten, fragte ich mich, wie die dort so schnell reagieren konnten.
Farran: Das würde ich auch gern wissen.
Ciar: Ich sowieso.
Jii: Tja, offenbar müsst ihr auf die Antwort warten. Geduld schadet nicht.
Ciar: =_=
Farran: σ( ̄∇ ̄;)

> Er hat dich so unter seine Kontrolle gebracht, dass du gar nicht mehr klar denken kannst.
Farran: Wirklich?
Kieran: ╮(╯_╰)╭

Das Ende war wirklich sehr erstaunlich.
Kieran: Ich hätte nicht gedacht, Ferris mal so zu erleben.
Ciar: Tja, das passiert mit Leuten, die sich in mich verlieben. σ(゚ー^*)
Jii: Können wir dich also als Gefahr für Leib und Leben einordnen?
Ciar: Nein. =_=
Jii: (⌐▨_▨)

Farran: Ich bin jedenfalls schon gespannt, wie es weitergeht und welche Auflösung dazu noch kommt. Wir sind soooo nah dran an einer Antwort. >_<
Kieran: *schüttelt den Umschlag mit Alos Notizen, bis ein ♥ herausfällt* Da ist es ja.
Farran: Das beste Schlusswort~. ♥
Von:  Flordelis
2020-01-22T15:12:04+00:00 22.01.2020 16:12
Hallo, da sind wir wieder.
Ich bin immer noch Farran, denn Alo tüftelt seit gestern wieder über anderen Dingen und ist immer noch selig, weil sie denkt, die Story sei schon vorbei.
Ciar: Wie dumm muss man sein?
Kieran: Du weißt schon, dass sie dich erschaffen hat?
Ciar: Und?
Kieran: Wenn eine dumme Person dich erschaffen hat ...
Farran: ... heißt das, dass du auch dumm bist.
Ciar: ...
Farran&Kieran: *High five*
Ciar: Ich mochte euch beide lieber, als ihr euch noch nicht mochtet.
Farran: Du bist nur sauer, weil nicht jeder an seinem Hass festhängt.
Ciar: Was auch immer, können wir endlich anfangen? Ich möchte den anderen da wieder jammern hören. *zu Faren deut*
Faren: (-∧-;)

> Als hätte dieser Schnee, auf dem ich lief, eine Seele, die unter jedem meiner Schritte litt.
Farran: Jetzt tut der Schnee mir fast leid.
Ciar: Das ist bestimmt eh nur ein Echo, warum sollte man da Mitleid haben?
Farran: Warst du nicht derjenige, der Mitleid mit Verrell bekam?
Ciar: Verrell ist nicht nur Schnee. =_=

> als wollten sie mich dazu einladen meinen Leib einfach sofort auf sie niederfallen zu lassen, damit sie mein Herz berühren könnten
Kieran: Das ist eigenartig und morbide poetisch.
Farran: Also ist schon mal nicht Ciar der Erzähler.
Ciar: Was soll das denn jetzt heißen?
Farran: Du würdest nie so etwas von dir geben. Dafür fehlt dir der Feingeist.
Kieran: *nick nick*
Ciar: Ihr könnt mich alle mal. ╭∩╮(-_-)╭∩╮

> „Alles klar, bereit für die nächste Runde, ja?“, fragte ich motiviert, mit einem breiten Grinsen. „Hier kommt deine zweite Chance!“
Kieran: So motiviert kenne ich Ferris gar nicht.
Ciar: Du vielleicht, Faren? (`▽´)
Faren: (´∵`)
Farran: ... Ist er kaputt?
Kieran: Ich glaube, wir sollten ihn nach diesem Kapitel retten, das deprimiert ihn.
Ciar: Niemals! ψ(`∇´)ψ
Farran&Kieran: ಠ_ಠ

Alo hat mir auch hier wieder eine Notiz hinterlassen (das ist überraschend nett von ihr), in der sie bekundet, wie großartig sie diesen Kampf fand und wie einfallsreich die Zerr-Welt gestaltet war.
Kieran: Aus sicherer Quelle weiß ich, dass Alo ein bisschen neidisch ist.
Farran: Wie könnte man nicht, das ist echt großartig.
Ciar: Ja, ganz nett. (¬_¬)
Farran: Watch out, we have a badass over here.
Kieran: Sag mal, ist dieses Meme-speak-Ding nicht das Ding von diesem Neuen?
Farran: Oh ja. Ich hab nur zu viel mit ihm geredet.
Kieran: Du hast schon mit einem von denen geredet?
Farran: Klar, warum nicht?
Ciar: Pff, Loser. Das machst du nur, weil die Neuen die einzigen sind, die deinen Ruf noch nicht kennen.
Farran: (¬、¬)

> „Wieder durchgefallen“, sagte ich, gespielt mitfühlend. „Hast du dich überhaupt richtig angestrengt?“
Ciar: Ich erwecke die Coolness in Ferris~.
Faren: (◞‸◟)
Ciar: ... Das macht irgendwie keinen Spaß mehr.

> Ist doch klar, dass sich da noch nicht viel geändert hat.
Farran: Das ist interessant. Heißt das, Echos sind selbst in ihrer Herzform noch fähig, sich weiterzuentwickeln und ihr Verhalten abzuändern?
Kieran: Hmm, das ist wirklich interessant. Ich würde das gern ausprobieren.
Farran: Ich auch. ... Hey, ist dir mal aufgefallen, dass unsere Namen gleich viele Buchstaben haben?
Kieran: ... Sie enden auch gleich.
Farran: ...
Farran&Kieran: *High Five*
Ciar: Seid ihr euch jetzt nur wegen dieser Story und den Kommentaren so nah gekommen?
Kieran: Sieht ganz so aus.
Ciar: ( ̄ー ̄;)ゞ

> „Hast du so sehr Bock drauf?“
Kieran: Mir gefällt diese Doppeldeutigkeit nicht.
Ciar: Du verstehst mich einfach nicht.
Farran: Es ist dieselbe Doppeldeutigkeit, die auch Faren benutzt.
Faren: (lll-ω-)
Ciar: Pff.
Kieran&Farran: ಠ_ಠ

> Ich gebe zu, dass dieses Echo keine Herausforderung war.
Kieran: Aber es war riesig!
Farran: Und langsam. Für einen schnellen Angreifer also keine Bedrohung.
Kieran: Hmmm.
Farran: Du solltest doch wissen, dass die Größe nichts über die Gefährlichkeit aussagt.
Kieran: Stimmt, du hast recht.
Ciar: Eure Harmonie ist ekelhaft. (¬_¬)

> „Er hat sich bisher halt noch zurückgehalten, aber jetzt fängt er an richtig zu nerven.“
Farran: Ich wünschte, ich hätte einen Vater, der vor Besorgnis nervig wird.
Kieran: Sicher? Ich habe so einen.
Farran: Wäre mal eine schöne Abwechslung. Bislang fühle ich mich wie ein Dad. Und ich hab nicht mal Kinder.
Kieran: *Farran aufmunternd pat*

> Einen Job finden, der mir zusagt.
Farran: Ich bin gerade so neidisch. D;
Kieran: Warum?
Farran: Mein Dad hat von mir nur erwartet, dass ich natürlich ein Teil von Abteracht werde. Dabei wollte ich nicht mal. =_=
Kieran: *Farran wieder pat*
Ciar: ... Was wärst du denn lieber geworden?
Farran: Keine Ahnung. Aber ich hätte gern die Wahl gehabt.
Ciar: ... So wie ich damals.
Farran: ...
Ciar: ...
Faren: (ノ﹏ヽ)

> Vor einigen Wochen hatte ich noch an Selbstmord gedacht.
Alo hat eine Notiz hinterlassen, in der sie mitteilt, dass sie auf Reddit den Thread eines Users gelesen hat, der gerade nach seinem dritten Selbstmordversuch im Krankenhaus lag. Und seine Mutter brachte ihm ein Buch mit dem Titel "How to get rid of Depression in 30 Days". Das ist echt super morbide, deswegen tut ihr Ferris hier besonders leid.

> Für andere ist das vielleicht normal, aber ich kann das nicht ab, mich zu verstellen.
Faren: (πーπ)
Kieran&Farran: ಠ_ಠ

> „Lass uns endlich mit der Zerstörung anfangen.“
Farran: Hey, warum wollen Dämonen eigentlich so viel zerstören?
Kieran: Wahrscheinlich aus demselben Grund. Kann dir das dein Dämon nicht sagen?
Farran: Er weiß es auch nicht. Er ist zu neutral.
Ciar: ... Ihr seid super-langweilig.
Farran: Mach hier keinen auf Junko.
Ciar: Gott, diese Bitch.
Farran: Wenigstens darin sind wir uns einig.

> Willst du die ganze Welt mit nur einem einzigen Schlag zu Staub zerschlagen oder wie darf ich mir das vorstellen?
Alo sagt, sie denkt da immer an Madoka, die in der vorletzten Zeitachse nur einen einzigen Angriff brauchte, um Walpurgis zu vernichten. Und dann wurde sie zu einer Hexe. Traurig.

Farran: Ich weiß, ich bin noch nicht so lange dabei, aber ich möchte echt gern wissen, worum es sich bei dieser Zerstörung handelt.
Kieran: Ich auch. Aber ich bin schon lange dabei.
Ciar: Wartet doch einfach mal ab. Mit einem Krimi fangt ihr doch auch nicht am Ende an.
Kieran: Es gibt Leute, die machen das.
Ciar: Was? Warum?
Farran: Weil es verschiedene Arten von Spannung gibt, ganz einfach.
Ciar: ... Versteh ich nicht, muss also falsch sein.
Kieran: Wenn du meinst.

> Aber als ich seine Wärme spürte, wurde ich sofort zahm und genoss den Kuss.
Faren: (┳Д┳)
Ciar: (ʃƪ¬‿¬)
Kieran&Farran: ಠ_ಠ

> Sämtliche Pfeiler waren knallblau gestrichen und nachts wurden sie von einigen LED-Leuchten erhellt.
Alle (außer Faren): Awwww~.

> Keine Sorge, das hier ist kein psychologischer Test oder ein billiger Versuch, dich zu beeinflussen, damit du leben willst.
Farran: Wir sind hier ja nicht in SAW.
Kieran: So billig war das aber gar nicht. Ich bin ziemlich sicher, dass die ganzen Fallen sehr viel Geld gekostet haben.
Ciar: Darum geht es doch aber gar nicht. =_=
Kieran: Ist mir schon klar. Ich wollte es nur mal erwähnt haben. ... Weil das nämlich auch ein ziemlicher Logikfehler ist. Bei diesem finanziellen Aufwand hätte das auffallen und die Polizei hätte ihn früher schnappen müssen.
Ciar: Filme mit dir anzusehen muss echt Spaß machen. Nicht.

> „Aber … ich habe dich damals nicht gerettet, damit du jetzt doch noch dazu verleitet wirst von dieser Brücke zu springen.“
Alle: WAS?! ( ゚o゚)
Farran: Wo kam denn diese Plotwende her?
Ciar: Wer zur Hölle schießt denn bitte auf mich?!
Kieran: *blätter* Also, ich hab mal nachgesehen. In einem der früheren Kapitel wird erwähnt, dass Faren ihn damals gerettet hat, also ...
Faren: Ich zerstöre Precious' Traum. Ich bin furchtbar. (ㄒoㄒ)
Farran&Kieran: ಠ_ಠ

Plötzlich ertönt ein lauter Knall im ... was auch immer das für ein Raum ist. Nebel erfüllt den Raum.

Ophelia: *swoops in*
Faren: ? *gets grabbed by Ophelia*
Ophelia: *disappears with Faren*

Der Nebel lichtet sich wieder.

Ciar: Was zur Hölle war das denn?!
Kieran: Was?
Ciar: Na DAS! Der Nebel, der Knall ...
Farran: Keine Ahnung, was du meinst.
Ciar: *sieht sich um* Wo ist Faren hin?!
Kieran: Wovon redest du?
Farran: Wir waren die ganze Zeit nur allein hier.
Ciar: ... Wirklich?
Kieran: Ja. Faren ist zu Hause und bereitet unser Abendessen vor.
Ciar: ... Ich könnte schwören ... *leise murmel*
Farran&Kieran: ಠ‿ಠ

Ach ja, Alo hat noch eine Notiz hinterlassen: Sie fand das Ende unheimlich spannend, aber auch total gemein. Außerdem weiß sie echt gar nicht, wie es jetzt weitergehen könnte und ist rasend gespannt. Ich außerdem auch.
Kieran: Ich auch. Und Ciar vermutlich auch, der ist gerade nur neben der Spur.
Ciar: *murmel*
Farran: In diesem Kommentar geht es echt viel um uns.
Kieran: Langsam glaube ich, wir sollten eine eigene Story bekommen, statt die Kommentare zu kapern.
Farran: ... Nah.
Kieran: Oh hey, ich hab hier noch etwas für Rachel gefunden, das Alo zurückgelassen hat: ♥
Farran: Das ist doch mal ein schönes Schlusswort~. ♥
Von:  Flordelis
2020-01-21T13:03:09+00:00 21.01.2020 14:03
Nachdem ich gestern erst das neue Kapitel betagelesen habe, kommt heute auch ein Kommentar zum letzten Kapitel~.
... Ich bin Farran, denn Alo ist immer noch davon überzeugt, dass das letzte Kapitel das Happy End war.
Alo: *selig*
Faren: (;´瓜`)
Ciar: (☞ ͡° ͜ʖ ͡°)☞
Kieran: (-。-;
Farran: Ja, also fangen wir einfach an.

> Diese Nacht war die beste meines Lebens gewesen, was ich ohne jede Übertreibung sagen konnte.
Faren: 〴⋋_⋌〵
Ciar: b( ̄▽ ̄*)
Kieran: Könnt ihr das nicht einfach mal lassen?
Farran: Es ist ein bisschen wie ein Unfall. Man will wegsehen, aber gleichzeitig könnte man auch was Spannendes verpassen.

> Darum dachte ich gar nicht daran ihn zu wecken, sondern genoss es, ihn einfach schweigend zu beobachten.
Farran: Das ist ganz schön creepy.
Kieran: Ciar hieß nicht umsonst sehr lange Creepy-Kieran.
Ciar: Bis ich einen eigenen Namen und damit ein eigenes Ich bekam.
Farran: Du bist trotzdem noch creepy.
Ciar: Ihr versteht mich einfach nicht. Aber das ist kein Problem. Ich weiß, dass ich zu komplex für einfache Sterbliche bin.
Farran: Just wow.

> Meine Mühen hatten endlich Früchte getragen
Farran: Ich bin immer noch erstaunt, dass er einen Plan gefasst und den so lange durchgehalten hat. So kenne ich ihn nicht.
Ciar: Du kennst mich überhaupt nicht.
Farran: Alter, du hast keine Ahnung, wie lange und ausgiebig ich dich beobachtet habe.
Ciar: ... Stehst du auf mich?
Farran: ... Du bist echt abstoßend.
Ciar: 凸(¬‿¬)

> Als er sich dann an unsere gemeinsame Nacht erinnerte, schoss ihm prompt die Röte ins Gesicht und er verzog verschlafen das Gesicht.
Faren: (´-ι_-`)
Farran: Sollten wir ihn nicht mal losbinden?
Kieran: Lieber nicht. Ich möchte nicht, dass es hier zu unnötigem Blutvergießen kommt.
Ciar: Ach, ich werde schon lieb zu ihm sein. (^_<)~☆
Kieran: ... Was auch immer.

> Am liebsten hätte ich ihn noch ein wenig mehr geärgert, indem ich ihm zeigen würde, dass mich nichts davon abhalten könnte ihn jederzeit anzufassen
Kieran: Das hört sich super-übergriffig an.
Ciar: Du traust dich nur nicht, das auch zu tun.
Kieran: Ich will das gar nicht tun.
Faren: Ich wäre dafür offen. ;3
Farran: Oh, gut, er hat anscheinend keinen Schock erlitten.

> Vom Klang her musste das mein Vater sein und den wollte ich gerade nicht sehen
Kieran: Das werde ich nie verstehen.
Ciar: Zu dir wäre er ja auch immer super-nett.
Kieran: Aber diese Stimme!
Ciar: Blablabla.

> Niemand durfte über uns reden.
Kieran: Wir reden hier die ganze Zeit über euch.
Faren: Und das nicht vorteilhaft.
Ciar: Ihr seid Würmlinge, euch nehme ich nicht ernst.
Faren: Arroganter Mistkerl. =_=
Farran: (^~^)
Kieran: ...?
Farran: Ich wollte das mit den Smileys auch mal ausprobieren. Find ich gut. (・ω・)b

> manchmal glaubte ich, er habe an nichts wirklich Interesse
Farran: Hiwa lässt sich bestimmt in den Nihilismus einordnen.
Ciar: Den was?
Faren: Eine philosophische Weltanschauung, in der alles ohnehin sinn- und bedeutungslos ist. Also muss man auch keine Emotionen dafür aufbringen.
Ciar: Woher weißt du so etwas?
Kieran: Faren war einmal auf einer Eliteschule. Ja, ich war auch so erstaunt.

> Allerdings musste auch ich zugeben, dass Ferris zu wenig aß und man ihn etwas zu oft dazu antreiben musste.
Faren: Ha, bei mir isst er mehr als genug!
Ciar: Das ist kein Wettbewerb.
Kieran: So plötzlich?
Farran: Ciar macht die Welt eben so wie es ihm gefällt.
Ciar: Pff, Würmlinge.

> Als sich die Stille mehr und mehr in die Länge zog
Kieran: Seit wann redet Vincent so viel?
Farran: Du hättest ihn mal erleben sollen, bevor seine Geißel ihn übernommen hat.
Kieran: Warte, was?
Farran: Och, nichts.

> [...] aber wäre Ferris jetzt schon bereit dafür, seine Mutter wiederzusehen?
Alle: (゜ロ゜)
Kieran: Ich dachte, sie wäre tot?
Ciar: Das dachten wir alle.
Farran: Eine schöne Wendung.

> In meinem Kopf setzten sich bereits erste Bilder zusammen, wie ich jeden, der etwas darüber wusste, aus dem Weg schaffen könnte, um Ferris zu schützen.
Kieran: Ist das nicht ein Zeichen für Soziopathen?
Ciar: Wer behauptet, dass ich keiner bin?
Faren: Du bist nicht gut für Ferris. TT________TT

Alo hat eine Notiz hinterlassen, die besagt, dass sie extrem gern gesehen hätte, wie die Unterhaltung zwischen Ciar und Hiwa verlaufen wäre. Allgemein hätte sie es schön gefunden, mal zu sehen, wie Ciar mit seinen Eltern interagiert. Aber sie versteht auch, dass du andere Schwerpunkte gesetzt hast.

> Natürlich, die Stimme meines Vaters war durch unsere Arbeit besonders weitreichend und schien stets leise von Raum zu Raum zu wandern
Faren: Also ist Hiwa für die leisen Flüsterstimmen in Horrorspielen verantwortlich?
Farran: Das wäre mal ein cooler Berufszweig für Traumbrecher mit Schallprägung.

> In diesem Augenblick kam mir das wie die Melodie des Teufels vor, weswegen ich sie noch mehr hasste als sonst.
Kieran: Wie kannst du nur?! TT_______TT
Ciar: ┐( ̄ヘ ̄)┌

> Kurz darauf fand ich mich in einer Verfolgungsjagd durch die Stadt wieder und ließ Ferris nicht aus den Augen.
Faren: Ich habe Flashbacks zu Man of Medan. ... Ey, wenn Ferris dabei irgendwas passiert-
Ciar: Ich bin nicht Alo und Ferris ist nicht Conrad. Ihm passiert schon nichts.

> Obwohl dieser Körper eindeutig tot war, fing Ferris an zu sprechen
Faren: Ciar hat den DUNST eingeatmet!
Kieran: Es ist erstaunlich, dass das Kapitel so lange vor Man of Medan entstand. Es ist sich echt ähnlich.
Ciar: Verwandelt er sich jetzt in mir? =)
Farran: Huh. Zum Glück hat niemand einen Riesenhammer.

> Ich bin dieses Herz.
Alle: (◯Δ◯∥)

> „Ferris hat sein Haus und seine Familie nur deinetwegen verloren.“
Alle: (∩╹□╹∩)

Farran: Das waren echt viele Offenbarungen. Tolles Kapitel.
Faren: Ich komm jetzt echt nicht mehr mit. Aber ich bin weiterhin sauer. =_=
Ciar: Du bist einfach zu dumm dafür. Egal, wie intelligent du angeblich bist.
Faren: Ach, halt die Fresse.
Ciar: :b

Alo hat noch eine Notiz hinterlassen. Diese besagt, dass sie die Illusion von Ciar echt wahnsinnig toll fand. Es war großartig beschrieben und sehr gruselig und emotional. Deswegen findet sie dich toll und super. Und drei Herzchen. Nein, Moment, drei Reihen mit Herzchen. Das sind echt viele. Ich geb dir eines, stell dir einfach vor, es wären ein paar Reihen: ♥
Das Kommentieren war lustig. Ich glaube, ich niste mich hier ein.
Ciar: Als ob hier nicht schon genug Idioten wären.
Farran: Da hast du recht, du bist ein Idiot.
Ciar: Warte, was?
Faren: Ha ha! :,D
Kieran: *seufz*
Von:  Flordelis
2018-09-20T11:33:16+00:00 20.09.2018 13:33
So, bevor mir irgendjemand hier den ersten Kommentar wegschnappt (*lol*), kommentiere ich mal lieber. (Hab auch mein tägliches Ritual schon abgeschlossen, auch das von gestern. :,D)
Statt also was für meine Hausarbeiten zu tun, kommentiere ich jetzt hier~. <3

Ciar ist dabei, über Kieran zu ranten, das ist so typisch. :,D
Ciar: Das ist das einzig Gute, was man im Zusammenhang mit ihm tun kann.
Faren: Das ist überhaupt nicht wahr.
Ciar: Ist aber so, wenn man ihn nicht flachlegen will.
Faren: ( ̄ー ̄;)ゞ

> Er genießt eh schon genug Sonderrechte.
Noch mehr, neben dem Testen neuer Waffenmodelle?
Ich wüsste gern, woraus die bestehen.
Farran: Jedenfalls nicht daraus, dass er dem Chef einen Spitznamen geben darf.
Ciar: Warum bist du jetzt hier?
Farran: Ich hab gehört, es soll lustig sein hier.
Ciar: Oh Mann. =_=

> während er nebenbei einige Dinge von seinem Schreibtisch räumte
Ich wüsste echt gern, was Ciar so auf seinem Schreibtisch herumliegen hat.
Ciar: Das wirst du aber nie erfahren.
Alo: Och Mann. (´ω`)
Ciar: :b

> Für mich blieb er nämlich ein guter Freund, dem ich für seinen Einsatz dankbar war.
Kieran: Danke, Ferris.
Alo: Precious ist eben der Beste, der seinen Freunden treu ist. <3
Ciar: Pff.

> Wäre er begeisterter darüber, hätten wir ihn nicht aus Versehen bei seinem Nickerchen gestört?
Ciar: Da hat man EINmal Zeit zum Schlafen ...
Farran: Du musst deine Nickerchen besser abpassen.
Ciar: Ach ja?
Farran: Ja. Oder auf dem Arbeitsplatz schlafen, so wie ich.
Ciar: Hast du kein Zuhause?
Farran: Doch, aber da gibt es nicht viel Schlaf.
Ciar: ...
Farran: Nicht deswegen. Meine Katzen spielen nachts so laut.
Ciar&Kieran: Du hast Katzen?! (O∆O)
Farran: ... Die sind unabhängiger als Kaninchen.
Ciar&Kieran: (゚Д゚;)

> Wirklich etwas von Freude über meinen Besuch hatte ich in seinen Augen nicht ausmachen können. Auch dann nicht, als wir die ersten Worte miteinander gewechselt hatten.
Voll schade für Precious. Aber Ciar ist ja eh nicht so der Typ, der Freude offen ausdrückt oder zeigt. Trotzdem, ich wäre da dann auch voll bedrückt gewesen.

> Du hast mich nicht mal zur Begrüßung geküsst.
Owwwwwwwwwwwwwwwwwwwwwwwwwwwwwwwwwwwwwwwwwwww. :<

> Deine Erinnerungen sind wieder da.
Ich muss ja sagen, dass ich es gut finde, dass Ciar derjenige ist, der diese Rolle einnimmt. Bei jedem anderen Charakter hätten diese "unfreiwilligen" Küsse von Ferris' Seite wesentlich fieser ausgesehen. Aber bei Ciar passt es irgendwie. Vielleicht liegt das aber auch nur daran, weil ich ihn kenne.

> Das Herzrasen war gewaltig heavy bei diesem Anblick.
Hrhrhrhrhrhrhrhrhr~ (●´□`)♡

> So viel Glück hätte ich mir niemals ausgemalt.
Verständlich, bislang schien er ja nicht so viel Glück zu haben.
Farran: Warum wohl?
Ciar: Hey!
Farran: Was denn? Bei uns warst du ja selbst schuld.
Ciar: ... Touché.

> Es sei denn, du willst gerne von mir rangenommen werden, dann mach nur so weiter~.
Hrhrhrhrhrhrhrhrhrhrhr~ ༼♥ل͜♥༽
Faren: *knirscht mit den Zähnen*
Kieran: *sieht zu Faren* Hast du ihn an den Stuhl gefesselt?
Ciar: Ja, er soll meinen Triumph miterleben. (`ー´)
Faren: (⋋▂⋌)

> Wenn es um dich geht, ja.
Ciar ist verliehiebt~.
Ciar: Das ist doch nichts Neues.
Farran: Ich habe gehört, bei Kian reagiert er auch so.
Alo: Ja, ist er nicht süß? <3

> wo er mir vorsichtig gegen die Stirn tippte
Das ist so süß! <3

> mit Hilfe von Sarkasmus zurückrudern..
Woops, einen Punkt zu viel übersehen. °_°

> Ich schloss die Augen und erwiderte den Kuss sehnsüchtig.
Faren: (ʘдʘ╬)
Ciar: ɷ◡ɷ

> Darf ich einen Schritt weiter gehen?
Faren: Sag Nein! (;゚Д゚)
Ciar: Das hättest du wohl gerne. ヘ(`▽´*)
Faren: -`д´-

> Vernunft war noch nie das Richtige für mich gewesen.
Farran: Ich empfehle Vernunft ohnehin nur im Kampf. Ansonsten ist sie eher hinderlich.
Ciar: Wenigstens darin sind wir uns einig.
Farran: Irgendwie unheimlich.

> „Mach weiter“
Faren: (▽д▽)
Kieran: Ich denke, ich gehe mal ... ヘ(・_|

> Nochmal werde ich nicht nachfragen. Und aufhören garantiert auch nicht.
Faren: Ha! Vergewaltigung! (≖͞_≖̥)
Ciar: Ach was, red keinen Unsinn. Sieh ein, dass du verloren hast. ┐(´~`)┌
Faren: NIEMALS! ಠ▃ಠ

> von anderen älteren Narben geprägt, wovon ich mir die meisten selbst zugefügt hatte
Ach Precious. Q___Q *umarm*
Ciar: Nicht jetzt! ☜(`o´)

> Selbst wenn er mich immer beobachtet hatte, konnte er mich nicht derart in- und auswendig kennen.
Alo: ಠ_ಠ
Farran: ಠ_ಠ
Faren: (┳◇┳)
Ciar: ... Was denn? ┐( ̄ヘ ̄)┌

> Ich war ihm einfach nur voll und ganz verfallen.
Faren: (ノ﹏ヽ)
Ciar: ٩(●ᴗ●)۶

> und meine Gefühle für Ciar wurden noch stärker
Faren: ༶ඬ༝ඬ༶
Ciar: (⌒∇⌒)
Farran: Unterhalten sich hier oft alle in Emojis?
Alo: Hin und wieder, ja.
Farran: Sehr eigenartig.
Ciar: Nicht so sehr wie die Tatsache, dass du Katzen hast.
Farran: Sie sind flauschig.
Ciar: ...
Faren: (┳Д┳)
Ciar: Ach ja, ich habe gewonnen! ゚*。(・∀・)゚*。
Faren: Ich hasse dich! 〴⋋_⋌〵

Das war wieder ein tolles Kapitel, auch wenn es kurz war~.
Und ein passendes Happy End für diese schöne Geschichte-
Ciar: Wir sind immer noch nicht am Ende.
Alo: Mir egal. 。^‿^。
Ciar: ◔_◔
Von:  Flordelis
2018-09-18T15:26:12+00:00 18.09.2018 17:26
Bevor ich demnächst dann endlich die Überarbeitung des nächsten Kapitels angehe, kommentiere ich erst einmal dieses Kapitel (während ich noch auf den neuen DLC warte und mich wieder mal nicht traue, mir meine Uni-Mails anzusehen ... wie komme ich nur durchs Leben? (ノдヽ))

Was hat Ferris wohl die ganzen zwei Wochen gemacht?
Geschlafen?
Er wird wohl kaum gezockt haben. :,D
(Obwohl das sicher ganz gut für ihn gewesen wäre.)

> Aber so musste ich mich damit abfinden, mit diesem surrealen Gefühl der verzerrten Zeitwahrnehmung – ha, ich kann richtig poetisch sein, so als Schulabbrecher.
Ha, du bist eben precious, Precious. (๑→ܫ←)
Ciar: Diese Smileys sind wirklich irritierend. Kannst du nicht ohne sie reden?
Alo: Nein. (ΘεΘ;)

> Faul lag ich also überwiegend nur auf meinem Bett herum, immerzu mit dem Handy beschäftigt.
Oh, hier steht es ja. :,D
Aber ich stelle es mir ziemlich langweilig vor, die ganze Zeit nur herumzuliegen und das Handy anzustarren.
Faren: Man kann auch Youtube-Videos anschauen.
Alo: Stimmt, das habe ich mal einen Sonntag Vormittag lang gemacht.
Ciar: Und du wunderst dich, warum nicht wirklich was aus dir wurde?
Alo: Ich wundere mich nicht. (´・_・`)

> Warum erzählte ich ihm solche Dinge überhaupt noch?
Wem willst du es sonst erzählen? Und was sollst du deinem Vater sonst erzählen?

> „So etwas wie Arbeit hält dich doch sonst auch nicht von dem ab, was du willst.“
Er hat bestimmt einen Aufpasser an die Seite bekommen, der darauf achtet, dass Ciar sich nicht zu viel Zeit herausnimmt, um mit Ferris abzuhängen.

> Vielleicht wollte Ciar mich gar nicht mehr sehen
Ciar: Ich hätte das dann direkt gesagt. Ich spiele nicht gern doppelte Spiele.
Kieran: Ach nein?
Ciar: Jedenfalls nicht mit allen.

> Oder es war jemand anderes in seinem Leben aufgetaucht, mit dem er seinen großen Plan viel effektiver durchführen konnte
Was, ist Kian plötzlich da?
Jii: Die beiden waren nie erfolgreich in ihrem Plan, oder?
Alo: Nö. Aber Kian hat ja auch umgeschwenkt. Nachdem Vincent ihn überzeugen konnte.
Jii: Wo ist Vincent eigentlich?
Alo: Ich habe keine Ahnung. D:

Zur selben Zeit irgendwo in einer nebligen Umgebung:
Vincent: Mein Kopf tut so weh. =_=
Kettensäge: Vrrrrmmmmmm!
Vincent: Das macht es nicht besser. ~_~ *beobachtet ratlos, wie jemand mit einer Kettensäge durch ein Maisfeld rennt*
Sprinterin: *bleibt kurz vor Vincent stehen* *deutet nach vorne* *rennt weiter*
Vincent: Was ist hier los? (ー ー;)
Typ mit Kettensäge: *rennt auf Vincent zu*
To be continued...

> Stört es dich etwa doch, dass ich ein Kerl bin?
Auch wenn ich Ciar mit Feria shippe, habe ich doch Probleme damit, ihn in Beziehung mit einer Frau zu sehen. Durch seine doch sehr dominante Art erscheint er mir immer viel mehr für eine Beziehung mit einem Mann geeignet. Allerdings eben nur mit einem, der sich ihm unterwirft.
Faren: Deswegen bin ich aus dem Schneider. (^▽^)
Ciar: Du könntest doch nur nicht mit mir umgehen.
Faren: 凸(`ι _´メ)

> Jedenfalls wäre er besser dran mit einem lebensfrohen und aufgeschlossenem Mädchen
Und so wurde Ferris eine Transfrau.
Und im Ernst: Es ist auch fraglich, ob Eri nach einem solchen Ereignis überhaupt noch lebensfroh und aufgeschlossen wäre. Das wäre selbst für sie als junges Mädchen ein traumatisches Ereignis gewesen und hätte einiges verkorksen können.

> als mein Handy durch diese ruckartige Bewegung auf den Boden fiel
Ferris' Handys müssen einiges mitmachen in dieser Geschichte. D:

Die Beschreibung von Eri ist wirklich extrem unschön. Fast wie aus einem Horrorfilm. Ich hab ein bisschen Angst. :,D
Nachdem ich neulich erst ein Video über Silent Hill ansah, hab ich jetzt dauernd Alessas verbrannten Körper vor Augen. ._.

> Befehle es dir! Wünsche dir, eine Frau zu sein! Lass mich weiterleben und verschwinde!
Kann das wirklich funktionieren? Wäre Ferris dann wirklich eine Transfrau? (゜。゜)

> Nach und nach zwängten sie sich durch meine Lippen.
Aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaah! IGITT! DX
*rollt sich schnell in Sicherheit*
Ciar: Als ob das helfen könnte.

> Gleichzeitig hörte ich das Rasseln von Ketten.
!!!!!
ICH KAPIER DAS ERST JETZT!
Ich komm mir grad so blöd vor. Das sind Kierans Ketten, als er das Echo beseitigt. Bislang dachte ich immer, das wäre nur irgendwas random Echo-mäßiges, aber klar ist das Kieran. >_<

Precious tut mir in diesem Kapitel wieder furchtbar leid. Ich will ihn flauschen. :<
Ciar: Keine Sorge, das übernehme ich im nächsten Kapitel.
Faren: Ich übernehme das dafür dauernd. >_<
Ciar: Nicht hier.

Ferris sieht mit Schal bestimmt toll aus~. <3

> Ciar hätte es nichts ausgemacht, mich zu wecken, schon um mich zu ärgern und sich an meiner Schläfrigkeit zu amüsieren.
Ciar: Ich hätte dich vor allem wachgeküsst. (○゜ε^○)
Faren: *grummelt leise*

> Es ist schön, dich mal wieder zu sehen. Echt.
Irgendwie finde ich es ja lustig, dass wir in dieser Story nur zwei Szenen haben, in denen Ferris mit Kieran interagiert. Und die eine ist auch noch recht kurz.
Ich weiß jetzt nicht, warum, aber das finde ich irgendwie ganz amüsant.

Zur selben Zeit im Maisfeld:
Vincent: *sitzt auf einem Heuballen* *notiert sich etwas in seinem kleinen Notizbuch*
Hinterwäldler: *liegt auf zwei anderen Heuballen* *gibt immer wieder ein leises Grummen von sich*
Vincent: Du wurdest also im Keller eingesperrt?
Hinterwäldler: *nick nick*
Vincent: Das klingt wirklich furchtbar. Wir sollten diese Kindheitserlebnisse aufarbeiten. Wie stehst du zu Medikamenten, die dabei unterstützend wirken sollen?
Hinterwäldler: *grummelt leise*
Vincent: Gut, dann verschreibe ich dir etwas.
Ausgangstor: *gibt ein lautes Geräusch von sich*
Hinterwäldler: (ન_੦)
Vincent: Liegt dein Ehrgeiz, die Überlebenden zu bestrafen darin begründet, dass du einst bestraft wurdest?
Hinterwäldler: (´;ω;`)
Geräusch: *erklingt in der Nähe*
To be continued...

> Nett gemeint, Dad, doch ich verabscheute heiße Getränke.
Same here. Die Leute finden das immer voll eigenartig, ich weiß nicht, warum.

> seit wann konnte er auch so cool sein?
Ciar: Irgendwo muss die Verwandtschaft ja durchscheinen.
Faren: Du bist nur neidisch.
Ciar: Worauf denn? Ich bin immer cool.
Faren: ಠ_ಠ

> Etwas daran kam mir dennoch seltsam vor, ich wusste nur nicht was.
Ich weiß auch nicht, was, aber ich würde es gern wissen. TT_____TT

> Wenn sogar Reni irgendeinen Job für diese Organisation ausübte
Neeeeeeeeein, Reni ist noch viel zu klein. Q^Q
*Reni flausch*

> doch meine schuld gewesen
Oh, Fehler übersehen. *hust*
schuld --> Schuld

> Nicht bald oder irgendwann demnächst, sondern jetzt.
Ciar: Endlich macht er eine Ansage. ۹(ÒہÓ)۶
Faren: >_<

> Zu gerne hätte ich offenbart, gegen wie viele Echos ich schon gekämpft und gewonnen hatte, nur um Dads ungläubiges Gesicht zu sehen.
Ich würde Vincent zutrauen, dass er Ferris nach einer solchen Offenbarung noch einmal ins Institut schleppt, damit er dort eingesperrt wird oder so etwas. D:

> Anscheinend nicht aus väterlichem Interesse, hier ging es nur um Kontrolle.
Aber es kann doch auch um beides gehen. =O
Faren: Das macht es nicht wirklich besser.

> Zu solch hinterhältigen Taten greift das Institut ganz gewiss nicht.
Alo&Ciar: Muahahahahahahahahahaha! XDDDD
Kieran: ಠ_ಠ

> Dafür war er stets zu stolz darauf gewesen, Ferris als seinen Partner bezeichnen zu können.
Ciar: (´ー`)σ
Kieran: ( ̄□ ̄)

> Ich hätte gerne schon früher eingegriffen, aber ich war eben nun mal leider nur dein Therapeut.
Das muss wirklich absolut und echt hart gewesen sein. D;
Armer armer Vincent. :<

> Was sie anlockt, ist meine Sehnsucht nach Ciar.
Awwwwwwwwwwwwwwwwwwwwwwwwwwwwwwwwwwwwwwwwwwwwwwwwwwwww~
Ciar: He he. (ง •̀ω•́)ง✧
Faren: ヽ(´Д`;)ノ

> Ich konnte bei ihm sein, wie ich bin, ohne Angst zu haben ihn zu verletzen oder ebenfalls zu deprimieren.
Ciar: Tja, ich will ihn eben nicht ändern, wie gewisse andere Leute.
Faren: Den Spruch hattest du schon mal.
Ciar: Das macht ihn nicht weniger wahr. ;b

Es ist so schön, dass Ferris erkannt hat, dass er Ciar liebt. <3
Faren: Finde ich nicht. (ノ;;)ノ~┻━┻

> Wann der richtige Zeitpunkt zum Schweigen war, konnte er wahrlich gut einschätzen.
Die Fähigkeit hat er perfektioniert. :,D

Hach, jetzt ist das Happy End nicht mehr weit, endlich. Q^Q
Ciar: Wir sind noch lange nicht am Ende.
Alo: Für mich schon. Q^Q
Ciar: Du ziehst das echt durch, was?
Alo: Ja. Q^Q

Inzwischen im Maisfeld:
Vincent bemerkt es nicht, aber er wird von vier anderen Überlebenden während seiner Therapie beobachtet.
Meg: Was soll das werden, wenn es fertig ist? ಠ_ಠ
Claudette: Es sieht aus wie eine Therapiesitzung.
Jake: Woher weißt du, wo die aussehen?
Dwight: Ist doch egal. Was sollen wir tun? Einfach nur hier warten?
Meg: Was denn sonst?
Dwight: Na ja ... vielleicht könnte er uns auch therapieren?
Meg&Jake: ಠ_ಠ
Claudette: Schlechte Idee.
Plötzlich brechen die Krallen des Entitus aus dem Himmel und heben Vincent in die Luft, wo sie wieder verschwinden.
Alle: ...
Hinterwäldler: *steht auf* *entdeckt die Überlebenden* (◣_◢)
Kettensäge: Vrrrrrrrrrrmmmmm!
Meg: LAUFT!
Damit rannten die Überlebenden los, um endlich den Ausgang zu erreichen und das Ereignis schnellstmöglich wieder zu vergessen.
To be continued?
Von:  Flordelis
2018-09-03T12:57:38+00:00 03.09.2018 14:57
So, noch ein Kapitel~.
Dann muss ich wieder betalesen. Die nächsten Kapitel werden aber soooo toll, daher freu ich mich umso mehr darauf~.
Nun aber zu diesem hier~.

> vor Freude geweint – eigentlich nur ich
So süß. <3

> Daher hatte ich schon fest damit gerechnet, wir könnten einfach unser harmonisches Familienleben von damals wieder aufnehmen.
Ray: Das war eine sehr naive Vorstellung. So etwas kann nach einer derart langen Trennung nicht einfach wieder aufgenommen werden.
Joel: Da spricht ja der Experte - über Familien.
Ray: ●︿●
Joel: Tschuldigung. (・д・)

> ich sollte echt weniger denken
Ray: Das ist ...
Alo: Blasphemie?
Ray: Genau.

> Früh morgens hatte Dad mich aufgeweckt und darauf bestanden, mit mir zu frühstücken.
Das ist einerseits richtig süß, weil es zeigt, wie besorgt Vincent ist, andererseits aber auch super-nervig für Ferris. XD
Vincent müsste doch wissen, dass Ferris ein Langschläfer ist.

> Wenn er anscheinend nicht der Typ war, der morgens etwas aß, warum musste ich es dann tun?
Ray: Weil es gesund ist und er sich Sorgen um dich macht.
Joel: Ist es seltsam, dass ich es niedlich finde, wie väterlich du denken kannst?
Ray: ... Da bin ich mir nicht sicher.
Alo: Jetzt weiß ich, warum Rachel euch shippt.
Ray: ... (*´-`*)
Joel: (・∧‐)ゞ

Vincent ist hier soooo cool, während er Zeitung liest und sich mit Ferris unterhält. X3
Ich liebe ihn bei dir total~.

> „Hm, ich versuche trotzdem, mir etwas anderes einfallen zu lassen“
Joel: Könnt ihr nicht mittags frühstücken? Vielleicht wäre er dafür offener?
Alo: Das finde ich eine vernünftigen Vorschlag.
Ciar: ... Bleiben die jetzt eigentlich hier?
Joel: Uns gab es vor dir, also ...
Ciar: ... t( -_- t )

Dieser kleine Scherz von Vince war irgendwie voll knuffig. Total unerwartet, deswegen extrem süß~.

Die Wortgefechte mit Ciar sind aber auch immer wieder super amüsant zu lesen.
Ich liebe die~.
Ciar: Natürlich, ich bin ja auch daran beteiligt.
Faren: Gib doch nicht so an.
Ciar: Ich kann nichts dafür, dass deine einzige Stärke Süßholz raspeln ist.
Faren: Ich hasse dich so sehr.
Ciar: Same here.

Owwwww, wie traurig, dass Ferris das mit dem Namen nicht sofort zusagt. :<
Ray: Ich hab meinen sofort angenommen, nachdem ich wusste, zu welcher Familie ich gehöre. Aber ich hatte auch nicht denselben Hintergrund.
Joel: Mann, Leben ist so kompliziert. (´エ`;)

Es ist auch voll deprimierend, dass Ferris sich nicht einmal traut, diese wichtige Frage zu stellen. Es zeigt eben, wie sehr sie sich voneinander distanziert haben.

> „Findest du?“
Joel: Würde mir jemand anbieten, Valentine zu heißen, würde ich auch mitmachen. Der Name ist cool~.
Ray: Wenn du Sephira heiratest-
Joel: Ich lege mich bestimmt nicht mit deinem Onkel dafür an. D:
Ray: Ja, das wäre natürlich ein Problem.
Ciar: Außerdem wärst du dann auch mit Vincent verschwägert.
Joel: ... Ich suche mir jemand anderen mit dem Namen. (゚д゚;)

> hast du ab heute einen Zombie als Sohn
Bestimmt gibt es irgendwo einen Film mit dem Plot.

> Winkend stapfte ich zur Tür, mit der ich fast zusammenstieß
QTE-Faren: Hmmm. Hat Ferris dann vielleicht nicht gelogen? ಠ_ಠ ... Nah.

> Interessierte es Ciar nicht, wie es mir ging?
Faren: Das sage ich doch. Der macht jetzt mit jemand anderem herum.
Ciar: Hör auf, solche Lügen zu verbreiten.
Faren: Das sind keine Lügen, das sind Vermutungen.
Ciar: Mir egal, wie du es nennst, es stimmt nicht.
Faren: Pff.

> Letzteres war mir aber selbst noch unklar.
Ach was, Ferris! Du weißt genau, was du fühlst, du wolltest es nur noch nicht in Worte packen. <3
Faren: Bei mir hätte er nicht so lange dafür gebraucht.
Ciar: Ich kann nichts dafür, dass du dich jedem sofort an den Hals wirfst. Wundert mich, dass du noch nicht alle Geschlechtskrankheiten hast, die es gibt.
Faren: Ich werfe mich nicht sofort jedem an den Hals.
Ciar: Oh ja, Kieran ist der einzige, bei dem du länger brauchst - aber nur, weil du ihn nicht verschrecken willst.
Faren: Ich fackel eben nicht lange!
Ciar: Du bist eine männliche Schlampe, sieh's ein.
Faren: ಠ_ಠ
Joel: Also ich als Außenseiter habe mich mal eingehend mit dem RPG befasst. ಠ_ರೃ
Ciar: Und?
Joel: Dabei stellte sich heraus, dass du doch derjenige warst, der Kian schon bei der ersten Begegnung, noch bevor du etwas über ihn wusstest, flachlegen wolltest.
Ciar: ...
Faren: Ha! Wer ist jetzt hier die Schlampe?
Ciar: t( -_- t )

> Das war der beste Ort für Kinder, um zu spielen und aufzuwachsen.
Ray: Da Kinder in der Regel von Bekannten entführt oder ermordet werden, ist es eigentlich der denkbar schlechteste Ort.
Joel: Fakten. ┐(´~`)┌

> „Ciar, du klingelst wie eine Tür!“
So süß! <3

> Meine Eltern haben es mir nur gegeben, um mich besser überwachen zu können.
Vielleicht machen sie sich auch einfach nur Sorgen. D:
Ray: ... Kann ich nicht einfach seine Eltern haben?
Alo: ( • ̀ω•́ )✧
Ray: ... Was?
Ciar: Ich glaube, sie hatte eine Idee oder sowas.
Ray: Ich weiß nicht, ob mir das gefällt.

> Sobald sie sich kennenlernten, mochte Ciar sie bestimmt viel mehr als mich und würde nur noch mit ihr spielen.
Neeeeeeeeeeeeein. Ciar liebt dich doch. :<
Ciar: Das weiß er ja nicht.

> Wie ein Flummi
Ich will Klein-Precious immer knuddeln. X3

> Was man alles anstellen könnte, ohne sich zwischendurch ausruhen zu müssen
Ciar: Hoffentlich merkt er sich das. *mit den Brauen wackel*
Faren: Das hat er auch schon bei mir.
Ciar: Ich schwitze aber weniger als du.
Faren: Der Schweiß macht es noch schöner. (`ω´)
Ciar: ... (´-`)ノ

Schön, wie subtil du hier das Alter der beiden immer wieder andeutest.

> Unsere Zeit zusammen hielt nicht ewig an, davon war ich überzeugt.
Och Ferris. :<
Ray: So darfst du nicht denken.

> Spätestens wenn ich ihn auch mal ernsthaft verletzte
Dann würde er alles daran setzen, dir zu helfen, damit das nicht noch einmal geschah.

> Er würde auf immer und ewig mein Freund bleiben.
Sogar zehn Jahre später. Q^Q

> der leicht gestresst mit dem Handy herumhantierte
Es ist irgendwie knuffig, mal einen gestressten Ciar zu erleben. <3
Ciar: Das ging auch nur, als ich noch ein Kind war. Heute erlebt man so etwas nicht mehr.

Hach, schön~.
Mir gefällt, dass du dieses Kapitel extra noch geschrieben hast, damit Ferris' Erkenntnis im nächsten Kapitel nicht so out of the blue erscheint - und damit auch seine Kindheitserinnerungen ein wenig Einfluss haben. Das war wirklich eine sehr gute Sache. Aber das erwarte ich auch von dir, Mea, schließlich bist du awesome. <3
Das hier ist alles so super, hach~. (☆ω☆*)
Von:  Flordelis
2018-09-03T00:02:40+00:00 03.09.2018 02:02
Ich schaffe heute alle Kapitel hier. Ich kann das! ò_ó

Schön, dieses Logo.
Ich finde vor allem schön, dass du ein solches überhaupt miteinarbeitest. Ich bin da ein wenig zu unkreativ dafür. XD
Ciar: Überrascht mich nicht.
Alo: Hey!
Ciar: Was denn, du hast es doch zugegeben.

> Kirschblütenbäume – übertrieben viele davon
Es gibt nie "übertrieben viele" Kirschblütenbäume. Nie!
Ciar: Ich versteh die Aufregung darum eh nicht.
Cerise: Hallo? Kirschbäume sind toll! (ᗒᗨᗕ)
Joel: Warum können wir eigentlich keine Kirschbäume haben?
Ray: Wir sind die deprimierende Story.
Joel: Voll gemein. (◞‸◟)
Ciar: Tauchen hier jetzt eigentlich alle noch auf?
Alo: Vincent ist halt immer noch nicht fit. D:
Ciar: t(=n=)

> Ich kam mir total klein und schrecklich fehl am Platze vor
Owwww, das kenne ich, Precious. Aber denk daran, dass du awesome bist. Wir lieben dich. <3

Interessant, dass Vincent offenbar nur in Götterhauch Auto fahren kann. :,D
Passt aber. In allen AUs hat er schließlich ganz andere Sachen zu tun.
Und ich verstehe supergut, dass niemand Ferris ans Steuer lassen will. Selbst wenn er fahren kann, ist das eher eine Sache, die man nur tut, wenn man etwas Adrenalin im Leben braucht. XD

> „Warum bist du dir da so sicher?“, fragte Dad aufmerksam.
Ray: Weil Echos nur ein akustisches Phänomen sind.
Joel: Mann, hast du den Anfang nicht gelesen?
Ray: Nein. Würde aber erklären, warum ich so verwirrt vom Rest war.
Joel: Dabei bist du sonst unser Streber. D;
Ray: Ja nun ... einmal ist immer keinmal. (◎_◎;)
Joel: So geht das nicht. (-∧-;)
Ray: (‘◇’)

> „Wie lange muss ich mir diese Platte noch anhören?“
Bis du Vincent nicht mehr widersprichst. Besonders jetzt nicht mehr.

Ich wette ja, Vincent wäre so oder so mit Ferris ins Echo-Institut gegangen, auch wenn er vorher nicht über Echos gesprochen hätte.

btw. ich find's ja süß, dass Ferris enttäuscht über Ciars Abwesenheit am nächsten Morgen war. X3

> Beinahe langweilig – lief hier etwa keine Action ab?
Ray: Das ist ein Arbeitsplatz. Was soll es da für Action geben?
Joel: Man möchte eben ein wenig Abwechslung, auch bei der Arbeit. Ist doch logisch.
Ray: Hm.
Joel: ʅ(́◡◝)ʃ

> Mich ins Waisenhaus abzuschieben musste andere Gründe gehabt haben.
Die ich endlich wissen möchte. ۹(ÒہÓ)۶

So schön, einmal wieder Vane zu sehen. X3
Ich mag Hiwa, total. Aber Vane ist auch immer awesome. <3
(Und ich shippe ihn immer noch mit der menschlichen Konia. <3)

> bei unserem ersten Treffen vor Monaten
Hach, kaum zu glauben, dass es schon Monate her sind, seit Beginn der Geschichte. Ferris und Ciar hatten so viel Quality-Time miteinander. <3

> Bereits das war irritierend, denn ich hatte Hiwa als ernsten und schweigsamen Riesen in Erinnerung.
Ray: Auf dem Schild stand doch aber "Vane".
Alo: Kritisierst du etwa Precious? ヾ( ̄o ̄;)
Ray: ... Ja?
Alo: (╯°□°)╯︵(\ .o.)\
Ray: 。。。(ノ_ _)ノ
Joel: Ich glaube fast, du darfst Ferris nicht kritisieren.
Ray: Scheint so.

> Meine Reaktion ließ den Arzt amüsiert auflachen.
*dahinschmelz*
(✿ ♥‿♥)

> Hätte ich einen Zwilling, wäre der dann so wie Faren?
Wenn ich Feria mal als Annahme für einen Zwilling nehme: Nein.

> „Dabei geben wir so tolle Zwillinge ab“, fand Vane, der das offenbar nicht allzu persönlich nahm. „Außer mir sieht das seltsamerweise niemand so.“
Eigentlich hat er da ja recht.
Ciar: Du musst dich nicht bei ihm einschleimen, das ist unnötig.
Alo: Ich meine es ernst. Wer braucht schon Zwillinge, die grundgleich sind? Aber die unterschiedlichen Pole, die sie beide bedienen, sind da ganz cool und geben wirklich ein interessantes Zwillingspaar ab.
Ray: Der Logik kann ich folgen.
Lowe: Ich find das aber voll doof. Zwillinge sollen sich ähneln. :<
Ciar: Echt jetzt? Er auch?
Lowe: Hallo, Ciar. (✿ヘᴥヘ)

> Schade, nach all den Kämpfen hatte ich mir etwas mehr Magie oder etwas dergleichen erhofft.
Ray: Du solltest zu uns kommen. Bei uns gibt es jede Menge Magie auf der Krankenstation.

> Dachte ich an Ciars Lächeln, erschien mir das von Vane nur noch halb so anziehend.
Jemand ist verliehiebt~ Jemand ist verliehiebt~.
Ciar: Wie kann man in mich auch nicht verliebt sein?
Faren: Och, das ist ganz einfach. =_=

> Woher weißt du, dass wir diese Stimmen als Echos bezeichnen?
Geraten. Wie soll man Stimmen sonst groß bezeichnen? :,D
Ciar: Außerdem ist es doch klar, dass ich es erzähle. Ich lasse mich doch nicht einschränken.

Vane ist voll lieb~.
Aber ich kann verstehen, dass Ferris mit ihm nicht darüber reden will, was Ciar mit allem zu tun hat. Es besteht immerhin die Möglichkeit, dass Ciar dafür von seiner Familie Ärger bekommt. =/

> Du warst die letzten Jahre nicht bei ihm.
Faren: Ja, wer weiß mit wie vielen anderen er da was hatte? Vielleicht hat er dich nur zufällig wiedergesehen und sich wieder erinnert.
Ciar: Schließ nicht von dir auf andere.
Faren: 눈_눈

> „Ciar hatte wirklich großen Einfluss auf dich, hm?“
Ciar: Natürlich. Ich gebe anderen etwas weiter. Nicht so wie Faren, der auf andere nur den Eindruck weitergibt, er sei der Tollste.
Faren: ಠ▃ಠ

> mischte Dad sich ein, dem die Anspannung ins Gesicht geschrieben stand
Alo: *als Vincent* Blamier mich doch nicht vor meinen Freunden! ☜(`o´)
Ciar: Klingt sehr realistisch.
Faren: Ja, 1 zu 1 Vincent.
Ray: ... d(´・ω・`)

> Mir war egal, wer dieser Jii sein sollte.
Blasphemie!

> Ohne jegliche Aufforderung fing er gleich damit an seine Kleidung auszuziehen, bis der Oberkörper gänzlich frei lag.
Hrhrhrhrhrhrhrhr~.
Ray: Diese Geräusche sind bedenklich.
Faren: Wir kennen sie schon.
Ciar: Ja, die sind harmlos.
Ray: Aber wo Rauch ist, ist auch immer ein Feuerlöscher.
Joel: Nein, Ray. ◔̯◔
Ray: (‘◇’)

Woah, Vincent ist echt übel mitgenommen. Armer Kerl. :<

> du siehst an sich gut aus, Dad
Alo: *als Vincent* Danke, mein Sohn, es war mir sehr wichtig, dass du mich attraktiv findest.
Joel: Das ist extrem verstörend.

> Den Ausgang würde ich eh nicht alleine wiederfinden.
Das glaube ich auch. :,D

> Aber eigentlich … ist das echt mies, so etwas mit anderen abzuziehen.
Ray: Endlich mal die Darstellung eines moralischen Dilemmas.
Joel: Sowas zu lesen macht doch keinen Spaß.
Ray: Mir schon.
Joel: (´~`ヾ)

> Allerdings tat Ciar es jederzeit, ohne schlechtes Gewissen und so locker nebenbei, als wäre daran nichts falsch.
Faren: Du meinst den Typen, der als Antagonist im RPG gestartet hat?
Joel: Warum bin ich eigentlich nicht in einem RPG?
Faren: Alo hat dich nie eingebaut.
Joel: (≖͞_≖̥)

Das Ende war dann wieder so krass.
Erst die Sache mit seinen Haaren, was so voll süß von Ciar war - und dann diese Kurznachricht!
Alter, ich weiß noch, als ich es das erste Mal gelesen habe, das war voll krass. Auch jetzt ist es immer noch voll woah, weil ich endlich wissen will, was da dahintersteckt. XD
Du bist awesome, meine Liebe, und ich bin so froh, dass du diese Geschichte geschrieben hast (und immer noch schreibst). <3
Von:  Flordelis
2018-09-02T14:50:10+00:00 02.09.2018 16:50
Und da bin ich schon wieder~.
Es ist schön, etwas tun zu können, wenn man nicht wirklich viel Lust hat, selbst etwas zu schreiben.

> Mein gesamter Wortschatz floss davon wie Wasser
Zweiter Satz und Precious ist schon voll niedlich~. Außerdem passt dieser Vergleich auch zu ihm, denn Wasser!

> Nahezu jedes Detail löste den unstillbaren Drang in mir aus Fragen zu stellen.
Versteh ich gut, ich hab schließlich auch jede Menge Fragen gestellt.
Ciar: Ferris war wenigstens intelligent genug, still zu sein, im Gegensatz zu dir.
Alo: Ich musste nicht still sein, denn ich habe alles ja nur gelesen, statt gehört. (^_<)~☆
Ciar: ... Was auch immer.

> Bei dieser Vielfalt an Enthüllungen war es mir unmöglich zu entscheiden worauf ich mich zuerst konzentrieren sollte
Versteh ich sehr gut. Ich wüsste auch nicht, worüber ich als erstes sprechen sollte. Und was ich überhaupt machen sollte. Das war schon ganz schön heftig.

> Ciar sagte nichts mehr und sah mich auch nicht an, sondern hatte sich im Sitz zurückgelehnt, den Blick nach vorne gerichtet.
Und Ciar innerlich so: Sag was sag was sag was sag was sag was sag wasSAGWASSAGWASSAGWASSAGWAS!!!! ლ(ಠ益ಠლ)
Ciar: Pff, ich war natürlich absolut gelassen, wie immer.
Faren: Hatten wir nicht das Thema "Wutanfälle" im vorigen Kapitel?
Ciar: Halt die Klappe.

> Nach allem, was ich dir erzählt habe, ist es ausgerechnet das, wonach du mich zuerst fragst?
Das fand ich auch voll lustig. XD
Ich hätte da genauso reagiert, weil das voll krass ist. :,D
Ciar: Aber echt mal. Das macht doch überhaupt keinen Sinn.
Alo: Precious stellt die richtigen Fragen~.

> Ich war alles andere als süß.
Nein, du bist total süß, Precious. <3

> Na schön, ja, ich hab ab und zu in der Vergangenheit mit Faren geflirtet.
Das hätte ich ja gern mal gesehen. XD
Faren: Ich nicht.
Ciar: Du weißt eben nicht zu schätzen, was du an mir hättest.

> In meinem Leben gibt es seit Jahren nur noch dich.
Das ist so schön - und bedenklich. Ist Vincent eigentlich schon wieder da?
... Offenbar nicht.
Faren: Er ist ECHT schlecht gelaunt. :,D
Jii: Er verträgt scheinbar keinen Alkohol.
Faren: Ich glaube eher, er verträgt den Kater nicht. XD

> Und offenbar hab ich am Ende doch kläglich versagt, als ich dir ein Liebesgeständnis machen wollte.
Ja, damit ist Ciar nicht so gut. :,D
Ich denke da immer noch an seinen Heiratsantrag im RPG ... XD

Ich finde schön, dass Ferris hier nicht einfach darauf anspringt, sondern sich selbst auch Gedanken macht, ob er Ciar liebt. Das ist immerhin ein Thema, das man nicht einfach übers Knie brechen sollte. Vor allem nicht bei jemandem wie Ciar.

> Das klang ganz nach mir.
Gut, dass Precious so ehrlich zu sich selbst ist. Alles andere wäre auch traurig.

> Also kann man sich durch seine eigene Stimme echt selbst so krass beeinflussen?
Das finde ich auch immer noch krass. Ich hatte es bis dahin ja nicht geglaubt, aber natürlich ergibt das Sinn. Dabei hab ich über so viele andere Dinge nachgedacht, während ich diese Fähigkeit schon als Schall-Prägung durchging.

> „Das macht dich nur umso süßer“, betonte Ciar schmunzelnd. „Perfektion wäre total langweilig.“
Erst einmal: Awwwww~.
Zweitens: Ich finde es sehr nice, dass du hier den Bogen zu Canon-Ferris mit der Perfektion schlägst. Für neue Leser ist es einfach ein Satz, aber für Leute mit Hintergrundwissen ist es ein cleverer Seitenhieb.

> Mein Vater hatte es nach all den Jahren verdient, die Chance zu bekommen, mir ins Gesicht zu schauen und über mich zu urteilen zu können.
Dein Papa will dich nur wieder liebhaben. TT_________TT

> Würdest du bei mir bleiben?
Alo: *als Ciar* Och, weißt du, nach zehn Jahren hab ich jetzt spontan keine Lust mehr. Also ciao. ( ̄▽ ̄)ノ
Ciar: Das würde ich nie sagen.

> Es wäre das erste Mal, dass Ciar gezielt mit seiner Stimme einen Befehl auf mich wirkte.
*flüster* Das ist nicht waaaaaaaahr. (;^ω^)
Ciar: Das ist doch jetzt nicht so wichtig.
Faren: Du willst nur deine eigene Inkonsequenz verschleiern.
Ciar: Und?
Faren: Ich weise ja nur darauf hin.

> An diesem Tag tat es mir leid, ihn anfangs für einen zwielichtigen Kerl gehalten zu haben, dem man nicht zu nahe kommen sollte.
To be fair: Er wirkte aber auch wie ein zwielichtiger Kerl, dem man nicht zu nahe kommen sollte. Also no worries, Precious.

> Ciar verabschiedete sich nicht, als er das Handy senkte und den Anruf beendete
Bestimmt hatte Vincent eh schon längst aufgelegt. XD

Wenigstens konnte Ferris, nachdem er sich erinnerte, eigentlich schon sicher sein, dass Vincent ihn nicht verurteilt. Sonst hätte er ihn ja kaum wieder bei sich aufgenommen und das alles durchgemacht.

> Jemand wie Vincent vergaß sich leicht selbst und steckte all seine Energie in das Wohl anderer.
Das ist allerdings wahr. =/

Vincents Beschreibung bringt mich grad ein bisschen zum Grinsen, denn neulich hab ich wieder in "Deepest Dark" reingelesen, unter anderem die Stelle mit Vincent, und Faren beschreibt ihn da als jemand, der scheinbar nicht genau weiß, wie Menschen funktionieren und nur Ratschläge aus Selbsthilfebüchern nachplappert, ohne sie zu verstehen. Da ist er ja mal eine Geißel gewesen. Und das ist so ein lustiger Gegensatz zu diesem Vincent. XD

> Der ist ja auch von mir. Meine Pläne sind immer genial~.
Mann, Ciar. XD

Das gesamte Ende war wirklich total schön. Es sieht echt alles so aus, als ob es bald zum Happy End kommt. Das findet mein Herz voll schön, denn ich liebe Happy Ends. Q^Q
Aber ich weiß auch, dass noch eine Talfahrt nach dem Gipfel wartet und davor habe ich ein wenig Angst. (´∵`)
Ändert aber nichts daran, dass dein Stil weiterhin sehr toll und wunderbar lesbar ist. Keep going. <3


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