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Between evil voices and innocent hearts

Weltenträume
von

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Er hat nichts Falsches getan!

Drei Spiralen, geschützt und zusammengehalten in einem Dreieck, stellten das Blätterdach dar. Als tragender Stamm dienten drei gerade Linien, wovon die mittlere dicker und ein kleines Stückchen länger war als die anderen beiden. Eine Art Baum. So sah das Logo des Echo-Instituts aus. Simpel, aber es hatte trotzdem etwas Cooles an sich. Es prägte sich gut ein.

Ich stand vor einem großen Schild, das an der Auffahrt jeden Besucher begrüßte, indem es in Großbuchstaben mitsamt dem Logo nochmal an den Namen der Einrichtung erinnerte. Kirschblütenbäume – übertrieben viele davon, mehr als in der restlichen Stadt – säumten den Weg zum Eingang und harmonierten mit dem strahlend weißen Anstrich einiger Gebäudeteile. Das Echo-Institut bestand aus mehreren Anbauten. Mittig ragte der Grundstein des Ganzen empor: ein modernes Hochhaus mit Spiegelverkleidung.

Mein erster Gedanke bei diesem Anblick drehte sich darum, dass es verdammt mühselig sein musste diese Glasflächen sauber zu halten. Selbst wenn dieser Job gut bezahlt wurde, stellte ich mir das öde vor. Erst danach fiel mir ins Auge, dass all die rosafarbenen Blütenblätter der Bäume doppelt so zahlreich wirkten, weil sie sich in dieser gläsernen Verkleidung widerspiegelten. Irgendwie magisch, zumal das Hochhaus dadurch zum Teil an Farbe gewann.

Sollte ich diesen Ort eher mit einer überteuerten Elite-Universität, einer einflussreichen Firma oder einem modernen Krankenhaus vergleichen? Von allem floss etwas in den ersten Eindruck hinein. Eines stand für mich aber schon fest, bevor ich das Teil auch von innen bewundern durfte: Ich kam mir total klein und schrecklich fehl am Platze vor – wie so oft, diesmal jedoch mehr als sonst.

„Warum können wir nicht einfach zu einem stinknormalen, bescheidenen Hausarzt gehen?“, klagte ich, für mich selbst.

„Weil gewöhnliche Ärzte keinerlei Kenntnisse über Echos vorweisen und demnach keine Behandlung in der Richtung leisten können“, bekam ich ungewollt eine Antwort, von meinem Vater – inzwischen war ich dazu übergangen Vincent mit Dad anzureden, was mir persönlich für mein Alter angemessener vorkam.

Er hatte noch den Taxifahrer bezahlt, dank dem wir hierher gekommen waren, und schloss nun zu mir auf. Einer von uns sollte definitiv endlich den Führerschein ergattern, um zukünftig solche Ausgaben vermeiden zu können. Dad war da aber anderer Meinung. Ihm gefiel die Vorstellung nicht mich ans Steuer einer tonnenschweren Maschine zu lassen, mit der ich jederzeit bei depressiven Schüben gegen die nächste Wand donnern könnte, und er selbst interessierte sich schlichtweg nicht für so etwas.

„Es geht doch aber eh nur darum.“ Demonstrativ hob ich meinen verletzten Arm, der gestern Abend noch mit einem richtigen Verband versorgt worden war. „Das hat nix mit Echos zu tun.“

„Ich muss ohnehin für eine Nachuntersuchung hier sein“, hielt Dad dagegen, „also ist es mir lieber, wenn Dr. Belfond dich bei der Gelegenheit als Patient aufnimmt. Du sagtest in deiner Sprachnachricht, du weißt von den Echos.“

Mein Arm sank wieder schlaff nach unten. „Ja, stimmt schon. Aber Echos zerschneiden keine Arme.“

„Warum bist du dir da so sicher?“, fragte Dad aufmerksam.

Mist, ich musste besser aufpassen. Als Therapeut war er wirklich viel zu scharfsinnig. Das dürfte ab jetzt mit Sicherheit schlimmer werden, weil ich mich an alles erinnern konnte und er seinen väterlichen Pflichten mehr denn je nachkommen wollte. Allerdings hatte ich meine Abmachung mit Ciar nicht vergessen ...

„Mann, versuch nicht Dinge aus mir herauszukitzeln, die nicht da sind“, murrte ich schmollend. „Echos flüstern doch nur die ganze Zeit krankes Zeug vor sich hin, mehr machen die gar nicht.“

Prüfend blieb Dads Blick auf mich fixiert. „Meinst du? Echos können einiges mehr, Ferris. Vielleicht haben welche schon ihre Spuren bei dir hinterlassen, ohne dass du es merkst. Genau darum soll Dr. Belfond sich um dich kümmern.“

Keine Chance, Dad war eindeutig fest entschlossen, mich in das Echo-Institut zu schleppen. Dagegen käme ich niemals an, wie ich aus Erfahrung wusste. Führte ich diese Diskussion fort, könnte herauskommen, dass ich bereits gegen viele Echos gekämpft hatte und meine Fähigkeiten einzusetzen wusste. Zumindest zu diesem Zeitpunkt wollte ich das noch für mich behalten.

Seufzend wandte ich mich von ihm ab, um seinem Blick zu entgehen. „Wow, wenn unsere Vater-Sohn-Beziehung schon direkt mit so einem Zwang weitergeht, kann das ja heiter werden.“

„Du weißt, dass ich dir nur helfen will?“

„Wie lange muss ich mir diese Platte noch anhören?“

„Bis du mir vollkommen vertraust.“ Behutsam legte Dad einen Arm um meine Schultern und strich dabei mit der Hand seitlich über meinen Oberarm. „Keine Sorge, dir wird nichts passieren. Du musst nicht nervös sein.“

„Bin ich nicht“, log ich halbherzig.

Nicht wegen dem Besuch an sich, vielmehr wegen Ciar. Anscheinend war er nach Hause gegangen, nachdem ich gestern vor Erschöpfung auf dem Sofa im Wohnzimmer eingeschlafen war. Also wusste ich nicht, was er davon hielt, dass mich Dad ausgerechnet hierher brachte. War meinetwegen Ciars Plan jetzt ruiniert? Hätte ich in der Sprachnachricht nichts von Echos erwähnt, wäre Dad sicher stattdessen mit mir zu einer stinknormalen Praxis gefahren – oder auch nicht.

Zwar kapierte ich Ciars Plan nach wie vor nicht so ganz, aber ich fühlte mich schuldig. Nach dem, was er für mich getan hatte, zehn lange Jahre über, machte ich alles unnötig komplizierter. War er deswegen gegangen? Obwohl ich mich wirklich freute, wieder mit meinem Vater vereint zu sein, war ich unbeschreiblich enttäuscht gewesen, als Ciar an diesem Tag nicht mehr bei mir gewesen war.

Dafür hatte Dad über mich gewacht, die gesamte Nacht – Kunststück, wenn man sowieso kaum schlief. Er war damit beschäftigt gewesen meine Akte zu bearbeiten, während er auf einem Sessel neben dem Sofa gesessen hatte, wo er mich gut im Blick behalten konnte. Seine Anwesenheit war für mich beruhigend gewesen, als ich aufgewacht war. Jedenfalls bis die Enttäuschung über Ciars Abwesenheit eingesetzt hatte.

„Du siehst nicht gut aus“, bemerkte Dad besorgt. „Komm, gehen wir rein. Ich bin bei dir.“

Vorsichtig schob er mich Richtung Eingang und hielt mich weiterhin fest. Ich wehrte mich nicht dagegen, sondern ließ mich einfach von ihm führen. Viel zum Reden waren wir gestern zwar nicht mehr gekommen, doch es fühlte sich genauso vertraut an wie damals.

Einige Minuten später waren wir mitten im Echo-Institut unterwegs, liefen gezielt zur Krankenstation. Ich überließ stets Dad das Reden, wenn es um die Anmeldung und sonstige Fragen ging, während ich immerzu den Blick hin und her schweifen ließ. Leider gab es nichts Außergewöhnliches zu entdecken. Genau wie draußen waren die Gänge innerhalb des Gebäudes modern angehaucht und sahen äußerst gut gepflegt aus. Beinahe langweilig – lief hier etwa keine Action ab?

Ab und zu wurden wir unterwegs von Leuten gegrüßt, natürlich allesamt Bekanntschaften von Dad. Jeder verhielt sich freundlich und offen, den meisten musste er irgendwann mal geholfen haben, so wie mir. Wahrscheinlich wunderte sich deswegen niemand über mich als Dads Begleitung. Ob jemand wusste, dass ich sein Sohn war? Diesbezüglich gab es noch einige Fragen zu klären.

Zum Beispiel, warum ich im Waisenhaus gelandet war, statt dass man mich zu Dad zurückgeschickt hatte. Vielleicht war er nach dem Brand lange Zeit im Krankenhaus gewesen, oder ich war ihm egal geworden. Diese Befürchtung traf aber garantiert nicht zu. Kein einziges Mal löste er den Arm von mir, seit wir am Echo-Institut angekommen waren, als könnte ich sonst einfach plötzlich wieder verschwinden. Ihm lag also etwas an mir. Mich ins Waisenhaus abzuschieben musste andere Gründe gehabt haben.

Schuldgefühle, ertönten leise Stimmen in meinem Kopf, begleitet von einem Klirren. In meinem Geist stießen einige der Würfel gegeneinander. Das sind nur die Schuldgefühle, mehr nicht.

„Da wären wir“, kündigte Dad an.

Wir kamen vor einer Tür zum Stehen. Laut einem Schild an der Wand daneben handelte es sich um das Behandlungszimmer von Dr. Vane Belfond. Irritiert sah ich mich um, konnte jedoch keinen Wartebereich entdecken, wie man es von normalen Arztpraxen her gewohnt war. Unsere Anmeldung vorhin an diesem einem Schalter musste ausreichend gewesen sein. Außer uns war gerade sonst niemand auf dem Gang zu sehen.

Da Dad an die Tür klopfte, lenkte ich meine Aufmerksamkeit wieder nach vorne. Von der anderen Seite ertönte eine Stimme, von der wir herein gebeten wurden. Dem kamen wir sofort nach, wobei Dad mich zuerst in den Raum eintreten ließ. Dafür löste er tatsächlich den Arm von mir. Bedeutete das, er war überzeugt davon, dass mir hier nichts passieren und keine Flucht gelingen könnte?

„Ah, ich habe euch erwartet“, sagte die Stimme von eben. Ihre Klarheit trug reine Güte in sich. „Es ist schön, euch zu sehen. Vor allem zu zweit.“

Überrascht wich ich einen Schritte zurück, kaum dass ich sah, von wem wir begrüßt wurden. „Hä? Du bist das? Ich meine, Sie?“

Vor mir stand der Vater von Ciar und Kieran, keinen Zweifel! Das ellenlange, dunkelbraune Haar und die Gesichtszüge waren unverkennbar. Diesmal trug er eine Brille, die ich mir bei unserem ersten Treffen vor Monaten schon gut an ihm hatte vorstellen können. Ein warmherziges Leuchten lag in seinen Augen, was durch die Gläser auf seltsame Weise verstärkt zu werden schien. Bereits das war irritierend, denn ich hatte Hiwa als ernsten und schweigsamen Riesen in Erinnerung.

Der Typ hier strahlte dagegen regelrecht mit seinem offenen Lächeln und den sanften Gesichtszügen, wie ausgewechselt. Mit zusammengekniffenen Augen begutachtete ich den Mann nochmal ausgiebig, doch ich konnte mich nicht irren. Äußerlich sah diese Person genauso aus wie Hiwa.

Meine Reaktion ließ den Arzt amüsiert auflachen. „Diesen Gesichtsausdruck kenne ich. Hat Ciar dir etwa nicht erzählt, dass ich der Zwillingsbruder von Hiwa bin?“

Zwillinge?!“, entfuhr es mir ungläubig. „Liegt das etwa bei Ihnen in der Familie? Ciar und Kieran sind doch auch Zwillinge.“

„Nun, manchmal kommt so etwas durchaus vor. Für uns ist das keine große Sache“, meinte er und zuckte unschuldig lächelnd mit den Schultern. „Jedenfalls bin ich Vane, der Onkel von Ciar. Ich arbeite für das Echo-Institut als Arzt.“

Letzteres hatte er mir erzählt, also war ich wenigstens diesbezüglich nicht überrascht. Wieder ein Zwillingspaar, das sich offenbar kein bisschen ähnelte. Verglichen mit Hiwa stellte Vane das komplette Gegenteil von ihm dar, ein wenig wie bei Ciar und Kieran. Hätte ich einen Zwilling, wäre der dann so wie Faren?

Derweil sah Vane fragend Dad an. „Also wirklich, hättest nicht zumindest du ihn vorwarnen können?“

„Ich habe nicht daran gedacht“, gab Dad zu, mit gerunzelter Stirn. Diese Nachlässigkeit schien ihn unzufrieden zu stimmen. Vor Selbstkritik schreckte er offensichtlich nicht zurück. „Tut mir leid. Für mich ist es manchmal selbst schwer vorstellbar, dass Hiwa und du Zwillinge seid.“

„Dabei geben wir so tolle Zwillinge ab“, fand Vane, der das offenbar nicht allzu persönlich nahm. „Außer mir sieht das seltsamerweise niemand so.“

Einladend winkte er uns mit sich und ging zu der Liege, die sich an einer Wandseite des Raumes befand. Auch dieses Behandlungszimmer wirkte unerwartet normal. Noch merkte ich nichts davon, dass hier angeblich die Erforschung von Echos im Vordergrund stand. Schade, nach all den Kämpfen hatte ich mir etwas mehr Magie oder etwas dergleichen erhofft. Jeglichen Hauch von etwas Übernatürlichem suchte man hier vergeblich.

„Vincent hat mich schon über alles informiert“, erzählte Vane, mit einer bittenden Geste Richtung Liege. „Wir werden das schön langsam und ruhig angehen. Zeig mir am besten zuerst mal deinen Arm.“

Widerwillig nahm ich auf der Liege Platz, nachdem Dad mir mit der Hand einen leichten Schubs gegeben hatte. Arztbesuche zählten absolut nicht zu meinen Lieblingsbeschäftigungen. Ich hasste Ärzte. Alles in diesem Berufszweig. Sie glaubten stets zu wissen, was das Beste für einen war. Bislang hatte niemand von denen verstanden, warum ich tot sehr viel besser dran wäre als lebend. Nur für Dad riss ich mich ausnahmsweise zusammen.

Sorgsam kümmerte sich Vane die nächsten Minuten über um meinen Arm, unter der Aufsicht von Dad, der jeden Handgriff beobachtete. Daran ließ sich der Arzt nicht stören, sondern lächelte sogar ununterbrochen bei der Arbeit. Wirklich ein krasser Unterschied zu Hiwa, und auch zu Kieran – und erst recht zu Ciar. Noch dazu war dieses Lächeln nicht aufgesetzt, es wirkte absolut natürlich und vermittelte das Gefühl von Verbundenheit, als wäre man schon seit langem eng befreundet.

Dachte ich an Ciars Lächeln, erschien mir das von Vane nur noch halb so anziehend. Bekäme ich es jemals wieder zu Gesicht?

„In Ordnung, das hätten wir.“ Zufrieden beendete Vane die Behandlung meines Arms und nickte mir zu. „Es wird eine Narbe bleiben, aber verheilen. Das muss ganz schön schmerzhaft gewesen sein.“

„Eigentlich nicht so“, rutschte es mir heraus – es war halt die Wahrheit.

Dummerweise weckte das sichtlich die Sorge bei dem Arzt, der einen kurzen Blick mit Dad wechselte. Angespannt biss ich mir auf die Zähne, um mir jeden Kommentar zu verkneifen. Rebellion brachte mich hier mit Sicherheit nicht weiter. Ciar hätte besser mit dieser Situation umgehen können.

Im Anschluss folgte der Rest der Untersuchung, die überwiegend daraus bestand einige Werte zu ermitteln und eine Akte anlegen zu können. Sogar hierbei kam kein besonderes Gerät zum Einsatz, was mich immer mehr wunderte. Wo blieb das ganze Zeug? Hätte Dad das mit den Echos nicht so selbstverständlich aufgenommen, würde ich an dieser Stelle wieder befürchten mir doch nur etwas eingebildet zu haben. Aber dann müsste Ciar genauso verrückt sein wie ich, was ich mir beim besten Willen nicht vorstellen konnte.

„Ferris, ich muss dich das jetzt fragen“, setzte Vane schließlich an und ging vor mir ein wenig in die Knie, so dass wir etwas mehr auf Augenhöhe waren – bei so einem Riesen brachte das aber nicht viel. „Kannst du mir sagen, warum du dich wieder an alles erinnerst? Gab es einen Auslöser dafür?“

„Nein“, antwortete ich sofort. Auf keinen Fall wollte ich durch Zögern Misstrauen erwecken. „Sie waren einfach plötzlich wieder da.“

„Während der Zeit, in der du von zu Hause weggelaufen warst?“

„Ja.“

„Hast du Echos getroffen?“

„Nein.“

„Weißt du denn, wie sie aussehen?“

„Nein, ich höre sie nur.“

Warum artete das hier auf einmal in ein Verhör aus? Sollte Vane mich nicht nur verarzten? Auf so ein Fragespiel konnte ich verzichten, zumal ich nichts verraten durfte. Jedenfalls nicht, solange ich mich nicht mit Ciar darüber unterhalten hatte. Bis dahin musste ich versuchen mich möglichst ahnungslos dastehen zu lassen.

„Na schön“, fuhr Vane nachdenklich fort, ohne den Blick von mir abzuwenden. „Woher weißt du, dass wir diese Stimmen als Echos bezeichnen?“

Eiskalt erwischt. Darauf konnte ich nicht ausweichend antworten. Mir fiel keine Möglichkeit ein, wie man von selbst oder durch Zufall darauf kommen sollte. Jeder andere hätte sie nur als Flüsterstimmen oder so bezeichnet. Sowohl Vane als auch Dad schlossen für sich ein Ergebnis aus meinem Schweigen, mit dem sie direkt ins Schwarze trafen: „Ciar.“

„Er hat nichts Falsches getan!“, verteidigte ich ihn prompt.

Vane richtete sich wieder auf und legte eine Hand an sein Kinn. „Wir suchen keinen Schuldigen, Ferris. Uns geht es darum herauszufinden was passiert ist. Nur so könnten wir etwas gegen mögliche Folgeschäden unternehmen.“

„Ich habe keinen Bock mehr darauf, mit dir zu reden“, zischte ich leise.

„Ferris!“, ermahnte Dad mich.

Gereizt drehte ich mich in seine Richtung. „Was denn?!“

Ich konnte nicht anders. Plötzlich war ich unbeschreiblich wütend, weil es mir so vorkam, als wollte man Ciar etwas anhängen. Er hatte mir geholfen, auf seine eigene Art und Weise. Ihm lag mehr an mir als jedem anderen, seine Vergangenheit bestätigte das.

Trotzdem … ist er jetzt nicht bei dir, hörte ich die Zweifel hinterhältig aus der dunkelsten Ecke meines Inneren flüstern. Er kann dir viel erzählen. Du warst die letzten Jahre nicht bei ihm.

Wie von selbst sank mein Kopf schwer nach unten. Meine Stimmung sprang von Wut zu Unsicherheit über. Eigentlich hätte mir alles viel klarer sein sollen, mit meinen alten Erinnerungen. Jetzt kam ich mir noch verwirrter vor. Dad und ich hätten einfach zu Hause bleiben und unsere Wiedervereinigung feiern sollen, doch er musste ja immerzu so abnormal vernünftig sein.

„Ich möchte auf eine andere Art der Befragung eigentlich lieber verzichten ...“, murmelte Vane, dessen Zwiespalt deutlich herauszuhören war.

Schnell kapierte ich, wovon die Rede war: „Wow, im Ernst? Ihr würdet mich eiskalt mit Befehlen dazu zwingen, eure Fragen zu beantworten?“

„Darüber weißt du also auch Bescheid“, stellte er mit einem leisen Seufzen fest. „Das ist-“

„Geschmacklos“, beendete ich den Satz für ihn, womit ich meinen Unmut zum Ausdruck bringen wollte.

„Ciar hatte wirklich großen Einfluss auf dich, hm?“

„Es hat mir nicht geschadet.“

Schlagfertig zu sein war von Vorteil. So meisterhaft wie Ciar würde ich niemals werden, doch die häufigen Wortgefechte mit ihm hatten mich geschult.

„Schon gut.“ Entschuldigend hob Vane die Hände, die er anschließend in den Seitentaschen seines Kittels vergrub. „Ich habe nicht vor, meine Stimme bei dir einzusetzen. Nicht jetzt, so kurz nachdem deine Erinnerungen zurückgekehrt sind. Du sollst wieder fit werden und nicht noch mehr psychische Belastung erfahren.“

„Wie gnädig“, tat ich dankbar.

„Erhole dich erst mal eine Weile“, blieb Vane gelassen, statt sich angegriffen zu fühlen. „Und versuche in der Zeit mehr Vertrauen zu uns zu fassen. Ich muss dich nämlich bei Zeiten nochmal befragen.“

Genervt verdrehte ich die Augen. „Sonst werde ich doch gezwungen, was?“

„Ich werde mit Ferris in Ruhe darüber reden“, mischte Dad sich ein, dem die Anspannung ins Gesicht geschrieben stand.

Dankbar nickte Vane ihm zu. „Ich bitte dich darum. Du weißt, wie Jii sein kann.“

„Ja, nur zu gut ...“

Mir war egal, wer dieser Jii sein sollte. Ich nahm diesen Abschluss als Anlass dazu aufzustehen und ungeduldig zur Tür zu deuten. „Können wir dann wieder gehen?“

„Moment, ich muss auch noch deinen Vater untersuchen“, hielt Vane mich zurück.

Richtig, davon hatte Dad gesprochen. Ohne jegliche Aufforderung fing er gleich damit an seine Kleidung auszuziehen, bis der Oberkörper gänzlich frei lag. Sofort schnürte sich mir die Kehle zusammen. Seine Verbrennungen waren größer als ich dachte. Sie zogen sich über den Rücken zur Brust und zum Hals hinauf. An manchen Stellen waren sie seltsam violett verfärbt. In meinem Kopf spielte sich bereits das unheilvolle Knistern und Knacken von Feuer ab, wie es sich durch Holz und andere Hindernisse fraß.

Unruhig wich ich zurück. „Kann ich solange draußen warten?“

Beide sahen mich an, als könnten sie mir diese Eigenverantwortung unmöglich zutrauen. Bis sie die richtigen Worte gefunden hatten, mit denen sie mir diese Bitte schonend abweisen könnten, ergriff ich rasch die Initiative und schob eine Begründung hinterher: „Ich halte den Anblick nicht aus, also … du siehst an sich gut aus, Dad, aber die Verbrennungen … die machen mich fertig.“

Meine Erklärung fruchtete, sie sahen sich verstehend an, zögerten jedoch noch. Man hatte es wahrlich nicht leicht, wenn man als hochgradig Depressiver wie ein Kleinkind behandelt wurde. Vorwürfe konnte ich ihnen aber nicht machen, immerhin waren ihre Befürchtungen berechtigt.

„Ich laufe nicht weg“, gab ich mein Ehrenwort. „Den Ausgang würde ich eh nicht alleine wiederfinden. Ich werde ganz brav draußen vor der Tür warten.“

„Okay, dann geh ruhig“, erteilte Dad mir endlich die Erlaubnis. „Es wird nicht lange dauern.“

„Selbst wenn, ich hab keine anderen Termine.“

Winkend trat ich an die Tür und verließ das Behandlungszimmer mit schnellen Schritten. Auf dem Gang konnte ich erst mal aufatmen, die Anspannung ließ ein wenig nach. Mir war die Stimmung dort drin viel zu unangenehm geworden. Wie es aussah, hatte Ciar mich nicht umsonst vom Echo-Institut fernhalten wollen. Mir war gar nicht in den Sinn gekommen, dass man hier einfach mit Befehlen arbeiten würde, um an Antworten zu kommen. Dabei lag das ziemlich nahe. Selbst Ciar und auch ich hatten das schon getan.

Aber eigentlich … ist das echt mies, so etwas mit anderen abzuziehen.

Ändern konnten wir es nicht mehr. Zukünftig sollte ich mir genau überlegen, ob ich mit meiner Stimme den Willen von anderen nochmal manipulieren wollte. Sonst dürfte ich mich über die Methoden des Instituts nicht beschweren. Allerdings tat Ciar es jederzeit, ohne schlechtes Gewissen und so locker nebenbei, als wäre daran nichts falsch. Noch dazu sprach er die meisten Befehle für mich aus, um mich vor den Stimmen der Echos zu schützen.

Nachdenklich trat ich näher an die Fensterfront heran, die sich an der anderen Seite des Ganges entlang zog. Mein blaues Haar stach in der schwachen Spiegelung deutlich hervor. Wie das Meer, so hatte Ciar es bezeichnet. Jahrelang war ich wieder und wieder mit dem Gedanken beschäftigt gewesen, sie mir einfach zu färben. Schwarz. Nur mit dieser Farbe könnte ich das Blau anständig überdecken, doch ich hatte es nie getan. Irgendwie sträubte sich etwas in mir dagegen.

Konnte es sein, dass es an Ciar lag?

Als Kind hatte er meine Haare bewundert und betont, wie beruhigend er es fand sie sich anzuschauen und zu berühren. Ich erinnerte mich wieder daran, auch durch Ciars Erzählung. Das hatte mich richtig glücklich gemacht. Deswegen konnte ich es niemals übers Herz bringen sie schwarz zu färben.

Meine Hand glitt wie von selbst in die Hosentasche, aus der ich mein Handy herausholte. Bevor ich es mir anders überlegen könnte, verfasste ich geschwind eine Textnachricht und schickte sie an Ciar. Auf einmal hatte ich Sehnsucht nach ihm bekommen. Mir würde eine simple Antwort von ihm genügen. Ich wollte nur sichergehen, dass sich zwischen uns nichts verändert hatte. Zudem sollte ich ihn warnen, falls Vane ihn mal wegen mir zur Rede stellen wollte.

Boshaft versuchten die Zweifel in mir wieder, mich verrückt zu machen. Sie sagten mir, Ciar würde niemals antworten und nichts mehr mit mir zu tun haben wollen. Ihnen keine Beachtung zu schenken war nahezu unmöglich. Was tat ich, sollten sie recht behalten? Wäre mir Dad etwa nicht genug, um weiterleben zu wollen?

Wann war mir denn jemals etwas genug?

Das Vibrieren meines Handys wischte diesen Gedanken beiseite. Erwartungsvoll öffnete ich die erhaltende Nachricht, eine Antwort von Ciar. Zumindest kam sie von seiner Nummer. Was sie beinhaltete, ließ meine Zweifel jedoch nicht ruhiger werden. Wirre Buchstabenkombinationen bildeten merkwürdige Worte, von denen keines Sinn ergab. Falls das ein Rätsel sein sollte, das ich entschlüsseln müsste, fand ich das nicht witzig.

Je länger ich diese Hieroglyphen anstarrte, desto mehr wurde ich das ungute Gefühl nicht los, Ciar verschwand in eine für mich unerreichbare Ferne. Langsam, aber sicher.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Flordelis
2018-09-03T00:02:40+00:00 03.09.2018 02:02
Ich schaffe heute alle Kapitel hier. Ich kann das! ò_ó

Schön, dieses Logo.
Ich finde vor allem schön, dass du ein solches überhaupt miteinarbeitest. Ich bin da ein wenig zu unkreativ dafür. XD
Ciar: Überrascht mich nicht.
Alo: Hey!
Ciar: Was denn, du hast es doch zugegeben.

> Kirschblütenbäume – übertrieben viele davon
Es gibt nie "übertrieben viele" Kirschblütenbäume. Nie!
Ciar: Ich versteh die Aufregung darum eh nicht.
Cerise: Hallo? Kirschbäume sind toll! (ᗒᗨᗕ)
Joel: Warum können wir eigentlich keine Kirschbäume haben?
Ray: Wir sind die deprimierende Story.
Joel: Voll gemein. (◞‸◟)
Ciar: Tauchen hier jetzt eigentlich alle noch auf?
Alo: Vincent ist halt immer noch nicht fit. D:
Ciar: t(=n=)

> Ich kam mir total klein und schrecklich fehl am Platze vor
Owwww, das kenne ich, Precious. Aber denk daran, dass du awesome bist. Wir lieben dich. <3

Interessant, dass Vincent offenbar nur in Götterhauch Auto fahren kann. :,D
Passt aber. In allen AUs hat er schließlich ganz andere Sachen zu tun.
Und ich verstehe supergut, dass niemand Ferris ans Steuer lassen will. Selbst wenn er fahren kann, ist das eher eine Sache, die man nur tut, wenn man etwas Adrenalin im Leben braucht. XD

> „Warum bist du dir da so sicher?“, fragte Dad aufmerksam.
Ray: Weil Echos nur ein akustisches Phänomen sind.
Joel: Mann, hast du den Anfang nicht gelesen?
Ray: Nein. Würde aber erklären, warum ich so verwirrt vom Rest war.
Joel: Dabei bist du sonst unser Streber. D;
Ray: Ja nun ... einmal ist immer keinmal. (◎_◎;)
Joel: So geht das nicht. (-∧-;)
Ray: (‘◇’)

> „Wie lange muss ich mir diese Platte noch anhören?“
Bis du Vincent nicht mehr widersprichst. Besonders jetzt nicht mehr.

Ich wette ja, Vincent wäre so oder so mit Ferris ins Echo-Institut gegangen, auch wenn er vorher nicht über Echos gesprochen hätte.

btw. ich find's ja süß, dass Ferris enttäuscht über Ciars Abwesenheit am nächsten Morgen war. X3

> Beinahe langweilig – lief hier etwa keine Action ab?
Ray: Das ist ein Arbeitsplatz. Was soll es da für Action geben?
Joel: Man möchte eben ein wenig Abwechslung, auch bei der Arbeit. Ist doch logisch.
Ray: Hm.
Joel: ʅ(́◡◝)ʃ

> Mich ins Waisenhaus abzuschieben musste andere Gründe gehabt haben.
Die ich endlich wissen möchte. ۹(ÒہÓ)۶

So schön, einmal wieder Vane zu sehen. X3
Ich mag Hiwa, total. Aber Vane ist auch immer awesome. <3
(Und ich shippe ihn immer noch mit der menschlichen Konia. <3)

> bei unserem ersten Treffen vor Monaten
Hach, kaum zu glauben, dass es schon Monate her sind, seit Beginn der Geschichte. Ferris und Ciar hatten so viel Quality-Time miteinander. <3

> Bereits das war irritierend, denn ich hatte Hiwa als ernsten und schweigsamen Riesen in Erinnerung.
Ray: Auf dem Schild stand doch aber "Vane".
Alo: Kritisierst du etwa Precious? ヾ( ̄o ̄;)
Ray: ... Ja?
Alo: (╯°□°)╯︵(\ .o.)\
Ray: 。。。(ノ_ _)ノ
Joel: Ich glaube fast, du darfst Ferris nicht kritisieren.
Ray: Scheint so.

> Meine Reaktion ließ den Arzt amüsiert auflachen.
*dahinschmelz*
(✿ ♥‿♥)

> Hätte ich einen Zwilling, wäre der dann so wie Faren?
Wenn ich Feria mal als Annahme für einen Zwilling nehme: Nein.

> „Dabei geben wir so tolle Zwillinge ab“, fand Vane, der das offenbar nicht allzu persönlich nahm. „Außer mir sieht das seltsamerweise niemand so.“
Eigentlich hat er da ja recht.
Ciar: Du musst dich nicht bei ihm einschleimen, das ist unnötig.
Alo: Ich meine es ernst. Wer braucht schon Zwillinge, die grundgleich sind? Aber die unterschiedlichen Pole, die sie beide bedienen, sind da ganz cool und geben wirklich ein interessantes Zwillingspaar ab.
Ray: Der Logik kann ich folgen.
Lowe: Ich find das aber voll doof. Zwillinge sollen sich ähneln. :<
Ciar: Echt jetzt? Er auch?
Lowe: Hallo, Ciar. (✿ヘᴥヘ)

> Schade, nach all den Kämpfen hatte ich mir etwas mehr Magie oder etwas dergleichen erhofft.
Ray: Du solltest zu uns kommen. Bei uns gibt es jede Menge Magie auf der Krankenstation.

> Dachte ich an Ciars Lächeln, erschien mir das von Vane nur noch halb so anziehend.
Jemand ist verliehiebt~ Jemand ist verliehiebt~.
Ciar: Wie kann man in mich auch nicht verliebt sein?
Faren: Och, das ist ganz einfach. =_=

> Woher weißt du, dass wir diese Stimmen als Echos bezeichnen?
Geraten. Wie soll man Stimmen sonst groß bezeichnen? :,D
Ciar: Außerdem ist es doch klar, dass ich es erzähle. Ich lasse mich doch nicht einschränken.

Vane ist voll lieb~.
Aber ich kann verstehen, dass Ferris mit ihm nicht darüber reden will, was Ciar mit allem zu tun hat. Es besteht immerhin die Möglichkeit, dass Ciar dafür von seiner Familie Ärger bekommt. =/

> Du warst die letzten Jahre nicht bei ihm.
Faren: Ja, wer weiß mit wie vielen anderen er da was hatte? Vielleicht hat er dich nur zufällig wiedergesehen und sich wieder erinnert.
Ciar: Schließ nicht von dir auf andere.
Faren: 눈_눈

> „Ciar hatte wirklich großen Einfluss auf dich, hm?“
Ciar: Natürlich. Ich gebe anderen etwas weiter. Nicht so wie Faren, der auf andere nur den Eindruck weitergibt, er sei der Tollste.
Faren: ಠ▃ಠ

> mischte Dad sich ein, dem die Anspannung ins Gesicht geschrieben stand
Alo: *als Vincent* Blamier mich doch nicht vor meinen Freunden! ☜(`o´)
Ciar: Klingt sehr realistisch.
Faren: Ja, 1 zu 1 Vincent.
Ray: ... d(´・ω・`)

> Mir war egal, wer dieser Jii sein sollte.
Blasphemie!

> Ohne jegliche Aufforderung fing er gleich damit an seine Kleidung auszuziehen, bis der Oberkörper gänzlich frei lag.
Hrhrhrhrhrhrhrhr~.
Ray: Diese Geräusche sind bedenklich.
Faren: Wir kennen sie schon.
Ciar: Ja, die sind harmlos.
Ray: Aber wo Rauch ist, ist auch immer ein Feuerlöscher.
Joel: Nein, Ray. ◔̯◔
Ray: (‘◇’)

Woah, Vincent ist echt übel mitgenommen. Armer Kerl. :<

> du siehst an sich gut aus, Dad
Alo: *als Vincent* Danke, mein Sohn, es war mir sehr wichtig, dass du mich attraktiv findest.
Joel: Das ist extrem verstörend.

> Den Ausgang würde ich eh nicht alleine wiederfinden.
Das glaube ich auch. :,D

> Aber eigentlich … ist das echt mies, so etwas mit anderen abzuziehen.
Ray: Endlich mal die Darstellung eines moralischen Dilemmas.
Joel: Sowas zu lesen macht doch keinen Spaß.
Ray: Mir schon.
Joel: (´~`ヾ)

> Allerdings tat Ciar es jederzeit, ohne schlechtes Gewissen und so locker nebenbei, als wäre daran nichts falsch.
Faren: Du meinst den Typen, der als Antagonist im RPG gestartet hat?
Joel: Warum bin ich eigentlich nicht in einem RPG?
Faren: Alo hat dich nie eingebaut.
Joel: (≖͞_≖̥)

Das Ende war dann wieder so krass.
Erst die Sache mit seinen Haaren, was so voll süß von Ciar war - und dann diese Kurznachricht!
Alter, ich weiß noch, als ich es das erste Mal gelesen habe, das war voll krass. Auch jetzt ist es immer noch voll woah, weil ich endlich wissen will, was da dahintersteckt. XD
Du bist awesome, meine Liebe, und ich bin so froh, dass du diese Geschichte geschrieben hast (und immer noch schreibst). <3


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