Between evil voices and innocent hearts von Platan (Weltenträume) ================================================================================ Kapitel 15: Ich bin ein Monster ------------------------------- Ein Echo schlüpfen zu sehen war kein schöner Anblick, das hätte ich Ferris gerne erspart. Das war auch einer der Gründe, weshalb ich bei jeder Jagd immerzu die unappetitliche Aufgabe übernahm sie aus den Menschen hervorzulocken. Alles umsonst, denn jetzt bekäme er diesen Vorgang doch live und unzensiert zu sehen. Es war ein großer Unterschied, ob sich ein Echo erneut mit Hilfe eines Würfels wieder zusammensetzte oder aus einem Kokon schlüpfte, der aus den hässlichsten Gedanken, Gefühlen und gar geheimen Gelüsten der Menschen bestand, in denen sich diese Wesen bevorzugt einnisteten. Eigentlich geschah so etwas aber nicht tagsüber, darum blieb mir ein kleiner Funken Hoffnung, dass sich das Ganze gleich beruhigte – oder Ferris' Gefühlsausbruch war überaus nahrhaft für die Echos, weswegen ihre Gier danach überwog. Problematisch. „Alter“, brummte Ferris. Da ich die Kokons nicht aus den Augen lassen wollte, konnte ich nur seitlich zu ihm schielen. Sein Gesicht war schmerzverzerrt und die Augen zusammengekniffen. Er atmete schwer aus. „Zu laut.“ Hörte er die Stimmen der Echos wirklich so deutlich? Zwar vernahm auch ich das unheilverkündende Geflüster in meinem Kopf, doch ich war gut darin es zu ignorieren. Mich berührte dieses Wehklagen schlicht nicht, warum sollte es das? Ein bisschen Gewohnheit spielte mit Sicherheit auch eine Rolle. Wahrscheinlich war Ferris aber einfach besonders empfänglich für so etwas, so sensibel wie er war. Immerhin hatten sich die Echos schon damals mit Vorliebe an seine Fersen geheftet und ihm nichts als Ärger eingebracht. In mir wuchs das Verlangen, seine Schmerzen zu lindern, indem ich ihm befahl, einfach nicht hinzuhören und sich zu entspannen, was es für Ferris leichter machen würde. Dummerweise hatte ich mir geschworen, meine Stimme nicht mehr als nötig bei ihm anzuwenden. Nicht nur mein Plan verlangte es so. „Reiß dich zusammen“, forderte ich stattdessen. „Sonst bist du leichte Beute für die Echos.“ Seine Anspannung ließ ein wenig nach, wie ich bemerkte, was mich selbst beruhigte. Derweil begannen die einzelnen Kokons laut zu knacken. In diesem Stadium wirkten sie vielmehr wie zu groß geratene, mutierte Eier, auf deren Schalen sich Hitzebläschen bildeten. Sie kochten von innen heraus. Egal, in welcher Position sie sich befanden, keines von ihnen fiel um oder regte sich, als würden sie dort festkleben, wo die jeweilige Person sich zuletzt aufgehalten hatte. Verzweifelte Schreie drangen aus dem Inneren der Kokons hervor, wurden jedoch von den Stimmen der Echos übertönt und erstickten schließlich gänzlich im Hintergrund, verloren sich im Nichts. Das Knacken der äußeren Schalen klang wie das Brechen von Knochen. Als der erste Kokon Risse bekam und allmählich zerbrach, wandelte das Geräusch sich augenblicklich zu einem Splittern, auf das Ohrenschmerzen folgten. Uns blieben höchstens Sekunden, bis wir von Echos umzingelt waren. Auf Ferris' Hilfe könnte ich diesmal vermutlich nicht zählen, jedenfalls nicht direkt am Anfang. Er war zu aufgewühlt. Wichtiger war mir, dass er nicht komplett durchdrehte und sein Zustand sich verschlimmerte. „Ich erledige das“, kündigte ich entschlossen an. „Bleib du hinter mir und-“ „Lass mich in Ruhe!“, schrie Ferris plötzlich laut, was mich tatsächlich zusammenzucken ließ. Hatte er diesen Befehl unbewusst ausgesprochen? Nein, es fühlte sich viel zu gezielt an, als seine Worte meinen Willen zu übernehmen versuchten. Durch seinen momentan emotionalen Zustand schien die Wirkung seiner Stimme umso stärker zu sein. Ein Schauer erfasste meinen Körper. In mir sträubte sich alles gegen diesen Befehl, aber das wurde bereits mit Kopfschmerzen bestraft. Nicht ausgerechnet jetzt. „Reiß dich zusammen!“, wiederholte ich, in einem ungewollt scharfen Ton. „Wenn du mich auf diese Weise behinderst, kann ich nicht-“ „Ich scheiß drauf!“, unterbrach Ferris mich schon wieder. „Ich brauche deine Hilfe nicht und deinen Plan kannst du dir auch sonst wo hinschmieren, mir völlig egal!“ Gereizt löste ich nun doch den Blick von den aufplatzenden Kokons und fuhr zu ihm herum, wobei er sich gleichzeitig mit einem kräftigen Ruck aus meinem Griff befreite und zurückwich. Unsere Leben standen hier auf dem Spiel. Genau das wollte ich ihm erklären, konnte aber nicht. Diese Leere in seinen Augen erinnerte mich daran, was Ferris damals gesagt hatte, also würden meine Worte ihn nicht erreichen. Ihm war sein Leben wirklich egal. „Du lügst.“ Beherrscht sah ich ihn an. „Nimm den Befehl zurück, wenn du ihn nicht so meinst.“ Aufgebracht wich er zurück. „Quatsch nicht so, als wüsstest du, was ich will!“ „Sei nicht kindisch.“ „Schnauze!“ Bevor ich mir weitere Worte zurechtlegen konnte, tat sich etwas in Ferris, das ihn auf einmal Richtung Ausgang stürmen ließ. Eiskalt wurde ich von ihm stehen gelassen. Ich hasste es, wenn er das tat. Mir gelangen nur ein paar jämmerliche Schritte, bevor ich zähneknirschend zusammensackte und meinen Verfolgungsversuch widerwillig abbrechen musste. Durch den Befehl war es mir nicht möglich ihn aufzuhalten. Nicht sofort. Warmes Blut tropfte aus meiner Nase, weil ich dagegen anzukämpfen versuchte. Normalerweise würde mich das nicht aufhalten. Trotz aller Schmerzen hätte ich Ferris nicht so leicht entkommen lassen, mir saßen jedoch Echos im Nacken. Viele auf einem Haufen. Sich in dieser Situation einem Befehl zu widersetzen käme einem Selbstmord gleich, was ich mir nicht leisten konnte. Zuerst müsste ich hier die Lage klären, danach könnte ich mich um Ferris kümmern. Das passte mir gar nicht. Verdammt, ich kenne dich doch! Mir rannte die Zeit davon. Du wirst garantiert etwas Dummes tun. Verdammter Idiot! Klägliches Gekeuche untermalte meine Gedanken. Ein beißender, saurer Geruch stach in meiner Nase. Etwas platschte zu Boden – Eierschalen, die mittlerweile durch die Hitze zerschmolzen. Ruckartig hoben sich aus der teerartigen Flüssigkeit ein Echo nach dem anderen hervor. Ihre undefinierbaren Laute und der Gestank, der aus den Kokons strömte, reizten meine Sinne auf unangenehme Weise. Zu spät, jetzt blieb mir keine andere Wahl mehr, als die Echos schnell und präzise auszulöschen, bevor ich Ferris nachlaufen konnte. Erst dann könnte ich meine Kräfte voll und ganz darauf anwenden, den lästigen Befehl von ihm zu missachten. Mühelos kam ich wieder auf die Beine und meine Hand schnellte nach oben, um die Pistole entgegen zu nehmen, die ich gerade beschwören wollte. So weit kam ich aber gar nicht erst. „Zeit, erstarre!“ Klar und melodisch, ein absolut sauberer Befehl. Er kam nicht von mir, auch nicht von Ferris. Diese krankhaft kontrollierte Ruhe in der Stimme konnte nur einem gehören – jemandem, dessen Einmischung mir von allen möglichen Menschen auf dieser Welt am meisten missfiel. Mein Magen verknotete sich schon jetzt vor Begeisterung. Im Restaurant ertönte ein gleichmäßiges Ticken, das die Atmosphäre in Sekunden stabilisierte. Licht schoss an mir vorbei, zu schnell, als dass meine Augen es genau erfassen könnten. Trotzdem wusste ich, welche Form es besaß: ein Bolzen. Dieser flog geradewegs in die Mitte der Räumlichkeit, wo er in hunderte feine Sandkörner zersprang, die daraufhin verglühten. Jeder einzelne dieser Partikel, deren Licht erlosch, sorgte dafür, dass ich mich schwerer fühlte. Die Luft wurde dünner. Druck baute sich in meinen Ohren auf. Nichts rührte sich mehr. Sämtliche Echos im Raum waren zu Statuen erstarrt, gelähmt. Sie verströmten nach wie vor ein Gefühl von Unbehagen, aber es hatte keinerlei Bedeutung mehr. Ohne Zeit gab es keinen Grund, irgendetwas zu tun. Man fühlte sich leer. Darum verabscheute ich diesen Zustand zutiefst, erst recht weil ich keine Kontrolle darüber hatte. „Alles in Ordnung?“, fragte der Störenfried, der die Zeit manipulieren konnte – ganz schön dreist. „Ich hatte alles im Griff“, beteuerte ich genervt und wandte mich ihm zu. „Wo kommst du plötzlich her?“ Unscheinbar, fast wie ein Phantom, saß er alleine im Schatten in einer schwer einsehbaren Ecke des Restaurants, an einem Tisch. Kieran. An seinem rechten Arm befand sich eine Waffe, die von den meisten Funktionen her meiner Pistole ähnelte, nur gab es dieses Exemplar bislang ein einziges Mal. Ausgerechnet Kieran hatte die Ehre, es testen und somit nutzen zu dürfen. Keine Pistole, sondern eine Armbrust. Sie schmiegte sich dicht an ihn, war wie ein Teil seines Körpers mit ihm verbunden. Darum besaß die Armbrust keinen Abzug, Kieran bediente sie einzig durch seinen Willen, also mit Worten. Ein weiterer Bolzen aus Licht war schon eingespannt und bereit zum Abschuss, wenn Kieran es wollte. Unter dem Lauf und den Wurfarmen war eine große Uhr eingearbeitet, wie bei meiner Pistole. Der Bolzen wirkte wie einer der Zeiger, dessen Macht die Zeit beeinflussen konnte. Musste toll sein, ein gutes Ansehen beim Chef zu genießen und solche Waffen anvertraut zu bekommen – schade, dass ich anderen nicht in den Arsch kroch, weil ich noch so etwas wie Stolz besaß. „Faren wollte unbedingt hierher“, behauptete Kieran und deutete nickend zu den Toiletten. „Er hat das Talent, sich immer im richtigen Augenblick aus dem Staub zu machen.“ Auf dem Tisch, an dem Kieran saß, stand nur ein Trinkbecher, sonst nichts. Natürlich könnte ich vermuten, dass die beiden schon fertig mit dem Essen waren und Faren auf seinem Weg zur Toilette schon mal den Müll mitgenommen hatte. Allerdings wusste ich es besser. Zu meinem Vorteil ahnten die meisten davon nichts, was ruhig so bleiben konnte. „Schön, wenn du dich hier dann schon einmischst, kümmere du dich mal weiter um die Echos.“ Sollte er sich meinetwegen etwas Ruhm einheimsen, dafür bekäme ich die Zeit, die ich bräuchte. Ich wandte mich ab. „Ich bin weg.“ „Ferris hinterher?“, führte Kieran das Gespräch fort, obwohl ich schon zielstrebig zur Tür eilte. Sein Blick bohrte sich in meinem Rücken, wie der eines Richters. „Und was dann? Was ist Ferris für dich?“ Augenblicklich wurden meine Glieder noch schwerer, so dass auch meine Schritte langsamer wurden, bis ich schließlich wieder stehenblieb, noch mehrere Meter vom Ausgang entfernt. In dieser zeitlosen Blase kam mir das Atmen ohnehin schon anstrengend genug vor, jetzt musste Kieran mich obendrein noch provozieren? Das Thema hatten wir eigentlich längst abgehakt. Warum fing er nochmal damit an? Er musste mein Gespräch mit Ferris belauscht haben. „Kieran.“ Der Name kam über meine Lippen wie ein Fluch, entsprechend eisig waren meine nächsten Worte. „Hör auf zu atmen.“ Da ich ihm noch den Rücken zudrehte, wusste ich nicht, ob er auf diesen Befehl eine Reaktion zeigte. Also wartete ich eine Weile, bis ich es hören konnte. Ein leises, atemloses Glucksen, das für mich wie eine schöne Melodie der Gerechtigkeit klang. Schwungvoll drehte ich mich um und betrachtete mein Werk mit Genugtuung. Es war unverschämt genug, dass Kieran noch immer am Tisch saß und somit einen auf lässig machte. Wenigstens hing er nun durch die Atemnot wie ein zerknautschter alter Sack auf der Sitzbank, den linken Arm auf den Tisch gestützt und den Mund weit geöffnet, doch mein Befehl gönnte ihm keinen einzigen Luftzug. So bekam er einen Eindruck davon, wie ich mich in dieser Zeitlosigkeit fühlte. „Ich habe dir doch schon gesagt, dass du Faren behalten kannst“, beruhigte ich ihn amüsiert. „Oder reicht dir Faren alleine nicht? Musst du auch noch Ferris für dich haben, hm? Mein kleiner Musterbruder? Sag schon, ich bin ganz Ohr.“ Kieran verzog das Gesicht, begann allmählich zu würgen. Sah so aus, als bekäme ich keine Antwort von ihm. Zu schade aber auch. Für meinen Geschmack wirkte er trotzdem noch zu standhaft, seine Mimik zeigte keine Spur von Panik. Nur diese beherrschte Maske der Ausdruckslosigkeit. Egal, welche Grimassen die Atemnot erzwingen würde, daran änderte sich scheinbar nichts. Mitgefühl hatte ich für ihn nicht übrig. „Klar, dann schweig eben“, beschwerte ich mich und seufzte übertrieben schwer. „Ich weiß eh, was du sagen würdest: Ich bin ein ganz grausamer und böser Mensch, darum darf man mir keine Leben anvertrauen, korrekt? Oh, warte, mein Fehler: Monster. Das ist doch genau das, was du denkst. Zumindest als Kind hast du noch den nötigen Schneid gehabt, mir das ins Gesicht zu knallen. Erinnerst du dich?“ Endlich. Seine Maske zerbrach schlagartig, dahinter kam eine bunte Mischung aus Emotionen zum Vorschein. Angefangen von Schmerzen bis hin zu Hilflosigkeit. Vielleicht auch noch etwas, das ich nicht zu deuten wusste. Mir genügte das, was ich sehen wollte. Bald könnte Kieran sich nicht mehr halten, sein Körper zuckte und zitterte inzwischen wie wild. „Ich bin ein Monster, gut, damit kann ich leben.“ Ich tat schuldbewusst und hob die Hände. „Einmal Monster, immer Monster. Hey, mir gefällt der Titel an sich im Grunde. Ich störe mich nicht dran.“ Schwerfällig ließ ich die Hände wieder sinken. Finster starrte ich Kieran in die Augen, meine Gesichtszüge verhärteten sich. Jeder einzelne meiner Muskeln schien sich anzuspannen und meine Wut abzufangen, die in mir bebte. Sie sprang von Würfel zu Würfel, spielte ein gefährliches Lied, das mich zu hypnotisieren drohte, damit ich meine Beherrschung gänzlich verlor und Kieran noch schlimmer verletzte. „Fakt ist: Auch Monster haben Dinge, die ihnen wichtig sind.“ Trotz des penetranten Brennens auf meinen Augen, blinzelte ich nicht. „Und Ferris ist mir wichtig. Auf welche Weise er mir wichtig ist, geht dich und die anderen einen Scheiß an. Was ich auch sage, ihr habt euch eure Meinung so oder so schon zurechtgelegt. So etwas ist menschlich, hab ich gehört.“ Als ich die Hände zu Fäusten ballte, knackten meine Knochen leise. „Bezüglich Ferris lasse ich mir aber garantiert nichts sagen. Nicht noch länger. Weder von dir, noch von sonst wem. Solange es mich gibt, gibt es für mich nur Ferris. Ist das jetzt klar?“ Angestrengt hatte Kieran sich bemüht, den Blickkontakt zu mir zu halten, aber ihn verließ die Kraft. Kreidebleich kippte er zur Seite, halb auf die Armbrust, weshalb er sich noch etwas aufrecht zu halten versuchte. Schweißperlen glänzten auf seiner Stirn. Vorboten eines tragischen Erstickungstodes, sollte ich nichts dagegen tun. Nun, ich hatte gesagt, was nötig war. Ich sollte mir den Ärger ersparen. „Atme weiter“, erlöste ich ihn. Keuchend schnappte Kieran mit tiefen und schnellen Atemzügen nach Luft, erschöpft von dieser Tortur. Die rasselnden Laute beim Ein- und Ausatmen klangen nicht sonderlich gesund. Welch Glück, dass unser Onkel ein leidenschaftlicher Arzt war. Der kümmerte sich bestimmt herzlich gerne um Kieran, sobald der hier aufgeräumt hatte. Ohne weitere Worte verließ ich das Fast-Food-Restaurant und überließ meinen Bruder sich selbst. Lobend flüsterten die verlorenen Stimmen aus den Herzen der Echos in mir, gaben mir ein gutes Gefühl. Tatsächlich war mir dieses unerwartete Ereignis ganz gelegen gekommen, das würde meinen Plan weiterhin zum Erfolg führen. Auch Kieran war immerhin insgeheim ein Teil des Ganzen, ohne es zu wissen. Vorerst war dieser Punkt abgehakt. Draußen normalisierte sich die Schwerkraft wieder und auch ich konnte anständig durchatmen. Kierans erzwungener Zeitstopp galt offenbar nur für den Bereich innerhalb des Gebäudes, aus dem ich gekommen war. Niemand außerhalb des Restaurants bemerkte etwas davon, jeder folgte stur seinem eigenen alltäglichen Ablauf und war blind für alles andere. Praktisch für Leute wie uns, so ließen sich Echos nebenbei unauffällig beseitigen. Hastig holte ich mein Handy hervor und wählte Ferris' Nummer. Suchend huschten meine Augen über die Umgebung, während ich ziellos voranschritt und nach ihm Ausschau hielt. Durch meine Missachtung des Befehls nahmen die Kopfschmerzen wieder merklich zu. Jeglichen Hindernissen wie Passanten oder Laternen wich ich dennoch problemlos aus, einzig auf mein Ziel konzentriert. Wie weit war Ferris in der Zwischenzeit schon gekommen? „Besetzt?“, stellte ich verwundert fest und legte auf, wenn auch nur ungern. Nachdenklich stieß ich einen Fluch aus. „Wen rufst du ausgerechnet jetzt an, Ferris?“   ***   „Hey, wie cool, dass du dich meldest!“, begrüßte mich Faren begeistert. „Ja, hi“, erwiderte ich den Gruß nur knapp und halbherzig. „Sorry, ich störe auch nicht lange.“ „Ach, du störst mich nicht!“, versicherte er sofort, kaum dass ich zu Ende gesprochen hatte. „Ehrlich gesagt habe ich die ganze Zeit darauf gehofft, dass du dich mal bei mir melden würdest. Ich freue mich voll, von dir zu hören.“ Nach wie vor verhielt sich Faren wie ein richtiger Freund. Selbst nach dem, was passiert war und was ich gesagt hatte. Mir war, als würde ich seine aufrichtige Freude sogar durch das Handy hindurch spüren, über die Entfernung hinweg. Ich fühlte mich seltsam schuldig, weil mich das im Moment nicht wirklich trösten konnte. „Und ich mache auch gerade nichts Besonderes~“, meinte Faren munter. Im Hintergrund hörte ich ein Plätschern. „Badest du?“ „Wow, gut geraten!“ Faren gab einen gespielt schockierten Laut von sich. „Oder beobachtest du mich etwa heimlich? So gut, wie ich aussehe, würde mich das nicht wundern.“ Durch sein heiteres Lachen im Anschluss war klar, dass er das nicht so ernst meinte, wie es den Anschein haben mochte. Sein Selbstbewusstsein war wirklich beneidenswert. Alles an Faren war das. Warum konnte ich nicht mehr sein wie er? Für alle würde das vieles leichter machen. Leider war ich aber der hoffnungslose Junge, der nichts richtig auf die Reihe bekam – und an diesem Tag wieder feige vor seinen Problemen davonlief. „Ich kann echt nicht lange plaudern“, entschuldigte ich mich verhalten. „Kann ich dich nur kurz was fragen?“ Erneut plätscherte es hörbar, vielleicht setzte Faren sich anders hin. „Ist was passiert?“ „Nein.“ War das eine Lüge? Auf jeden Fall wollte ich nicht genauer darauf eingehen, seine besorgte Stimmlage machte es nur schlimmer. „Es geht um Ciar.“ „Oh ...“ Unsicher machte Faren eine Pause. „Worum geht’s?“ „Ich muss etwas wissen.“ Diesmal hielt ich inne und musste innerlich durchatmen, damit ich mich zu fragen traute. „Hat Ciar jemals versucht dich anzubaggern? Ich meine, hat er mal mit dir geflirtet?“ Das folgende Schweigen erdrückte mich regelrecht. Wahrscheinlich handelte es sich bloß um wenige Sekunden, doch wie üblich zogen sie sich unendlich lange hin. Weder Faren noch ich wussten etwas zu sagen. Jeder von uns wartete darauf, dass der andere diese unangenehme Stille brach und sich alles wie durch ein Wunder zum Guten wendete. Wunder gab es aber nicht. „Mann, was soll ich denn darauf antworten?“, sprach Faren zögerlich. In meiner Vorstellung fuhr er sich mit der Hand überfordert durch die nassen Haare. „Ich will nichts Falsches sagen ...“ „Weil ich depressiv bin?“, rutschte es mir von selbst heraus. Genervt schüttelte den Kopf. „Schon okay, deine Zurückhaltung ist eigentlich Antwort genug.“ Ciar hatte es getan. Er hatte irgendwann mal deutliches Interesse an Faren gezeigt, sonst könnte der es einfach verneinen, ohne sich lange an einer Antwort aufzuhalten. Auch der klägliche Rest, der mich ausmachte, brach in sich zusammen. Hatte ich etwa ernsthaft noch gehofft, mich zu irren? Was war ich für ein Idiot. „Warte, warte, warte!“, wandte Faren nervös ein und es plätscherte abermals laut – er stieg vermutlich aus der Badewanne. „Zieh keine voreiligen Schlüsse, ja? Wollen wir uns nicht treffen? Ich weiß, du wolltest erst mal Abstand und so, aber wir könnten-“ „Danke, Faren“, sprach ich ihm ins Wort. „Entschuldige die Störung. Mach's gut.“ Selbst als ich das Handy gar nicht mehr am Ohr hatte, konnte ich Farens Protest klar und deutlich hören. Sein energischer Versuch, mich weiterhin am Telefon zu halten, weil er mir helfen wollte. Ich bereute es ihn angerufen zu haben. So könnte er nicht in Frieden mit Kieran sein Leben genießen, wenn ich dazwischen funkte und ihn derart in Sorge versetzte. „Echt, sorry, Faren“, murmelte ich bedrückt. Den Anruf hatte ich längst beendet. Einige Zeit hielt ich das Handy weiter fest, wie das letzte Rettungsseil, das mir durch die Finger glitt. Bald fing es an zu vibrieren und auf dem Bildschirm erschien Farens Name, er rief mich zurück. Hartnäckig wie eh und je. Sollte ich die Nummer einfach blockieren? Dann versuchte es als nächstes mit Sicherheit Vincent, sofern er konnte. Immerhin war er im Krankenhaus, im Echo-Institut. Zitternd stieß ich mir das Handy kräftig gegen die Stirn. „Gottverdammt, bitte, lasst mich doch in Ruhe. Lasst mich …“ Aus der Ferne hörte ich das Treiben der Menschen aus der Innenstadt, von der ich mich entfernt hatte. Ich wollte alleine sein. Weg von allem, was lebendig war. Und doch hörte ich den Trubel noch bis hierher, vertraut, aber anstrengend. In meinem Kopf verstand ich nicht, warum diese Leute so sehr am Leben festhielten. Wozu die ganze Mühe? Plötzlich überkam mich ein Verlangen, das mich einen weiteren Anruf von Faren wegdrücken und eine andere Nummer im Adressbuch wählen ließ. Verkrampft hielt ich das Handy fest, es kam mir auf einmal wie ein schweres Gewicht vor. Wartend lauschte ich dem Freizeichen. Wie die Herzfrequenzanzeige auf einem Monitor im Krankenhaus dröhnte der Laut durch meinen Kopf, piepte unentwegt weiter, bis sich nur noch eine gerade Linie ins Unendliche zog. Es war der Anrufbeantworter, der mir die Möglichkeit gab, eine Nachricht zu hinterlassen. „Ja, hallo, ich bin's ...“, stammelte ich vor mich hin. „Du kannst wohl noch nicht telefonieren. Ich hoffe, dir geht es bald besser. Ich wollte dich nur mal hören, auch wenn das irgendwie awkward klingt.“ Ein Schlucken unterbrach die Aufzeichnung, meine Stimme fing an zu zittern. „Du, ich weiß Bescheid. Über Echos und so. Ist halt so gekommen. Mir ist auch klar, dass ich nur ein Job für dich bin, weil dieses schräge Institut mich überwachen muss. Hat mich voll überrascht.“ Mir war es nicht möglich, das Schluchzen zu unterdrücken. „Aber ist okay, ich bin dir nicht böse. Ist komisch, das so zu sagen. Ich mag dich halt. Also, danke, dass du mich so lange ausgehalten hast. Ich will dir nicht länger zur Last fallen, darum ... darum sag ich mal Tschüss, okay? Vincent ... tschüss.“ Das war meine letzte Nachricht, die ich hinterlassen konnte. Mehr war nicht drin. Träge schlurfte ich weiter vorwärts, irgendwohin, ich hatte keinen Zielort im Kopf. Ich nahm nicht mal genau wahr, wo ich mich gerade aufhielt. War sowieso nicht wichtig. Als ich an einem Mülleimer neben einer Bank vorbeikam, ließ ich das Handy dort hineinfallen, und ging weiter. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)