Between evil voices and innocent hearts von Platan (Weltenträume) ================================================================================ Kapitel 8: Ich habe nichts mehr zu verlieren -------------------------------------------- Am nächsten Tag schienen sich meine speziellen Kräfte einfach ganz plötzlich wieder in Luft aufgelöst zu haben. Puff, und weg. Genauso unerwartet wie sie in Erscheinung getreten waren. Morgens im Hotel hatte ich es gemerkt, als ich mich beim Auschecken vor der Zahlung drücken wollte, obwohl es mir nicht an Geld mangelte. Meine Stimme erzielte nicht mehr den Effekt, dass andere ihren Befehlen willenlos folgten, was mir eine extrem peinliche Szene mit der Bedienung am Tresen beschert hatte. Voller Scham zahlte ich den Betrag für das Zimmer und verließ daraufhin hastig das Gebäude. Jetzt war ich schon mehr als die Hälfte meines hinterhältig ergaunerten Geldes los und noch dazu mit Ratlosigkeit gestraft. Konnte ich die Magie meiner Stimme nur zu bestimmten Zeiten und Bedingungen nutzen? Gab es bestimmte Worte, von denen ich Gebrauch machen sollte? Vielleicht musste ich emotional aufgewühlt sein, eben wie gestern. Nach einigen Stunden Schlaf hatte sich meine Stimmung mittlerweile verändert und ich war etwas zur Ruhe gekommen. Noch verstand ich diesen ganzen Kram nicht wirklich. Meine Erinnerungen an die Vergangenheit blieben zu lückenhaft, daraus konnte ich also keinen Nutzen ziehen. Egal, ich überließ es besser Ciar, mich noch mehr aufzuklären. Dank der Nacht im Hotel konnte ich mein Handy wieder zum Leben erwecken und ihn kontaktieren, damit wir uns trafen. Tatsächlich hatte ich direkt an diesem Nachmittag ein Rendezvous mit Ciar, den ich nicht lange hatte bitten müssen, bis er einwilligte. Bestimmt konnte er es kaum noch erwarten, zu erfahren, wie meine Entscheidung lautete. Er ging sicher schon davon aus, mich für seine Seite gewonnen zu haben – was für eine das genau sein mochte, blieb mir ebenfalls schleierhaft. Auch Vincent war sich und seinem Verantwortungsbewusstsein treu geblieben, denn er hatte mir in der Zwischenzeit mehrmals geschrieben. Da ich am Tag zuvor nicht mehr nach Hause gekommen war, sorgte er sich um mich, worauf ich ihm die Ausrede vorlegte, dass Faren mich mit zu sich genommen und ich bei ihm übernachtete hätte. Das lag zwischen Wahrheit und Lüge. Gegen eine Pyjama-Party mit Faren hatte Vincent nichts einzuwenden gehabt, doch erinnerte er mich anschließend an meine Tabletten und bot mir an, sie mir zu früher Stunde vorbeizubringen. Darauf hatte ich ihm nicht mehr geantwortet. Mir war sowieso klar, dass Vincent es tun würde, selbst wenn ich ablehnte, also sparte ich mir das. Laut ihm wäre es äußerst wichtig, dieses Medikament jeden Tag, regelmäßig, einzunehmen. Falls Faren sich immer noch nicht an mich erinnerte, dürfte das für Vincent ein verrückter Besuch werden. Ein bisschen leid tat mir das schon. Ob es Faren gut ging? Nicht mal auf den Social Media Seiten, auf denen er angemeldet war und sie normalerweise mit Leidenschaft aktuell hielt, konnte ich etwas über seinen Zustand erfahren, weil dort seit gestern Abend tote Hose herrschte. Kieran zu fragen wagte ich mich erst recht nicht. Ich hoffte einfach das Beste. Ich nahm mir vor, Faren mal aufzusuchen, sobald ich mit Ciar alles geregelt hatte, um mich zu versichern, dass er gesund war. Seufzend legte ich den Kopf in den Nacken und schloss die Augen. „Die Kette der Ereignisse bricht echt nicht ab.“ Mir kam es so vor, als hätte sie sich fest um meinen Hals geschlungen und ließ mich nicht mehr los. Manchmal wünschte ich mir ein stinknormales, langweiliges Leben, in dem ich mich nur mit Kleinigkeiten herumplagte und sie zu einem größeren Problem machte, als sie in Wirklichkeit waren. Für den einen oder anderen übertrieb ich es vermutlich auch schon zur Genüge. Viel herumlaufen konnte ich mit meinem Bein noch nicht, ohne dass es schmerzte, darum hatte ich mir einen Platz zum Warten ausgesucht, wo Ciar mich problemlos finden sollte. Das leise Plätschern des Wassers aus dem Stadtbrunnen, auf dessen Rand ich saß, wusste mich zu beruhigen. Deshalb konzentrierte ich mich voll und ganz darauf, statt all den Stimmen zu lauschen, die an Negativität kaum zu übertreffen waren. Auf dem Marktplatz am Ende der Einkaufsstraße war eine Menge los, viele Menschen hielten sich in dieser Gegend auf. Arbeiter, Kinder, Rentner … Dementsprechend drosch eine Vielzahl von diesen inneren Stimmen auf mich ein, die das verdorbene Verlangen der besessenen Personen aufblühen ließen. Aus einigen schwarzen Kokons ragten wirklich winzige Knospen hervor. „Wenn ich dafür sorge, dass Mama etwas passiert, hätte ich Papa für mich ganz alleine.“ „Diesem ach so süßen Welpen letztens den Hals umzudrehen hat echt so was von gut getan.“ „Pff, ich könnte jeden von euch einfach umbringen, noch bevor ihr das richtig checkt.“ „Ich sperre sie ein und lasse sie da drin verrotten, niemand wird sie jemals finden.“ Keuchend presste ich beide Hände auf meine Ohren und verzog das Gesicht. „Haltet die Klappe. Ich will das nicht hören.“ „Dann darfst du nicht nur so armselig darum bitten“, übertönte eine weitere Stimme selbstsicher alle anderen und riss gekonnt meine Aufmerksamkeit auf sich. „So funktioniert das nicht. Du musst klar und deutlich sagen, was du verlangst. All deinen Willen in Worte ausdrücken und es befehlen.“ Blinzelnd löste ich die Hände von meinen Ohren und blickte irritiert auf, aber diese Emotion wandelte sich sofort, als ich Ciar vor mir stehen sah. Seine standhafte Haltung wirkte wie ein unzerbrechliches Schild und die Tiefe seiner Augen quoll über von seinem Selbstbewusstsein. Seltsam, auf einmal verlor sogar ich jegliche Anspannung und Anzeichen von Furcht. Durch die warme Sommersonne wurde das Schwarz seiner Haare noch intensiver. „Pass gut auf“, fuhr er fort. Sein Blick löste sich keine Sekunde lang von mir, als seine Stimme diesen hypnotischen Unterton bekam. „Schweigt, ihr rastlosen Seelen und Echos. Behaltet eure Gedanken für euch.“ Etwas an seinen Worten erschien derart leicht und klar, dass sie sich von einer sanften Brise forttragen ließen, um wirklich jedes Ziel dieses Befehls zu erreichen. Vor meinem geistigen Auge stellte ich mir einen farbigen Nebel vor, der sich in der Luft verteilte und unvermeidlich eingeatmet wurde, wodurch Ciars Stimme auf jeden Fall einen Weg fand, ihre Opfer zu beeinflussen. Erstaunt stellte ich fest, dass es still wurde. Nach wie vor konnte man das Gerede der Menschen hören, die in eine Unterhaltung verwickelt waren oder nur etwas vor sich hin murmelten, doch kein einziger Gedanke war mehr darunter, den ich ungewollt mitbekommen könnte. Unglaublich, welch Wohltat es war, sie nicht hören zu müssen. „Wow, danke“, brach es erleichtert aus mir heraus. Lässig winkte Ciar ab. „Dafür? Spare dir den Dank, das war weniger als eine Kleinigkeit. Aber nett, dass du so leicht zu beeindrucken bist.“ Super, hätte ich ihn besser mal kritisiert, statt mich bedankt. Als ob dieser Typ nicht schon eingebildet genug wäre, aber seinetwegen war ich diese Stimmen vorerst wieder los. Da konnte ich nur dankbar sein. Am besten schenkte ich ihm diese Art der Beachtung gar nicht mehr und behielt das demnächst für mich. Ich rutschte vom Brunnenrand und sah ihn fragend an. „Hast du das Ding dabei?“ „Das Herz meinst du?“ „Ja, diesen Würfel halt.“ „Selbstverständlich.“ Ciar tippte sich mit dem Daumen gegen die Brust. „So etwas Wichtiges würde ich niemals vergessen, merk dir das besser.“ „Jaja, werde ich.“ Falls mein Gehirn großzügig genug war, das nicht zu vergessen, was es oft viel zu gerne tat. „Ich will es tun, also gib schon her.“ Erwartungsvoll streckte ich die Hand aus und wartete darauf, den Würfel von Ciar zu bekommen, doch der hob nur eine Augenbraue. „Du willst also deine Rache?“ „Ja, Mann, will ich“, bestätigte ich ungeduldig. „Und du bist dafür bereit, mit mir zusammenzuarbeiten?“ „Das auch, ja. Wie oft willst du noch ein Ja von mir hören?“ „Oh, also ich kann davon nicht genug bekommen“, gestand Ciar belustigt. „Mir ist es jedenfalls nur recht, dass du dich so schnell entschieden hast. Besiegeln wir das Ganze.“ Mit diesem Entschluss griff Ciar nach meiner Hand und schüttelte sie, wobei er einen festen Druck ausübte – er fühlte sich kalt an, dabei war es wieder furchtbar heiß an diesem Tag. Ich ließ ihn ausnahmsweise machen und gönnte ihm diese Förmlichkeit. Als er seine Hand wieder von meiner löste, vermisste ich dieses kühle Gefühl irgendwie, weil es wie eine kleine Erfrischung gewesen war. „Schön, gehen wir was essen“, beschloss Ciar und wischte sich dabei die Hand an der Hose ab. „Du schwitzt ganz schön, weißt du das?“ Wirklich? Ciar hielt sich wohl nicht damit zurück, laut zu sagen, was er dachte, selbst wenn es sich um offensichtliche Dinge handelte. Sorry, dass ich meinem Körper das Schwitzen nicht verbieten kann. Behalte deine Kälte ruhig weiter für dich, da schwitze ich liebend gern weiter. „Ach was? Sag bloß, du Genie“, reagierte ich zynisch. „Und warum sollten wir essen gehen? Es geht nur um den Würfel, die Echos und dieses Zeug. Ich hab nicht vor, mit dir einen auf Kumpels zu machen.“ „Entspann dich. Mir geht es nur darum, dass wir etwas essen gehen“, blieb Ciar dabei und winkte mich bereits mit sich, als er sich zum Gehen abwandte. „Du musst gestärkt sein, wenn du gegen das Echo antrittst. Du nützt mir nichts mehr, wenn du bei dem Kampf draufgehst. Außerdem können diese Wesen nur im Dunkeln richtig aktiv werden, wir müssen eh auf den Abend warten.“ Ach so, darum ging es ihm also. Hatten Echos etwas gegen Tageslicht? Merkwürdig, dass alles, was übernatürlich war und den Menschen schadete, nur nachts richtig in Erscheinung trat. Woran lag das? Wussten die, wie doppelt unheimlich sie zu dieser Zeit wirkten? Wahrscheinlich gab es nicht mal eine halbwegs logische Erklärung dafür, ich dachte besser nicht darüber nach. „Moment mal“, warf ich ungläubig ein, als mir etwas bewusst wurde. „Warum wolltest du dich dann tagsüber mit mir treffen, wenn wir erst abends richtig loslegen können?“ Stand mir etwa eine ellenlange Erklärung über die Welt der Echos und die sogenannten Begabten bevor? Momentan hatte ich gar nicht die Geduld und den Kopf dafür, mir so viele neue Informationen einzuprägen. Nicht umsonst war ich ein Versager in der Schule gewesen. Auch die Lernerei hatte mir damals nicht sonderlich geholfen, mir etwas langfristig zu merken. Der Anflug eines amüsierten Lächelns war auf Ciars Gesicht zu erkennen, was mich erst recht aus der Bahn warf. „Sei nicht gleich so schockiert. Ich hatte halt Lust, dich früher zu treffen, und keinen Bock darauf, mit meiner Familie zu essen.“ Das machte es nicht besser, sondern verwirrte mich umso mehr. „Hä? Mit mir aber schon? Soll das ein Witz sein?“ „Mach dich nicht schlechter als du bist“, verlangte Ciar, langsam etwas gereizt. „Du bist gar keine so schlechte Partie.“ Ohne weitere Erklärungen lief er nach dieser Aussage voraus und ließ mich perplex stehen. Keine schlechte Partie? Wie war das denn bitte gemeint? Allmählich könnte Ciar ruhig mal Klartext reden, wenn wir zukünftig wegen diesen Echos so etwas wie Partner werden würden – oder was genau meine Rolle in seinen Plänen sein sollte. Bevor er sich zu weit von mir entfernte, hechtete ich ihm lieber hinterher und holte bald auf, trotz dem stechenden Ziehen in meinem Bein. Davon ließ ich mir ihm gegenüber nichts anmerken und ging ganz normal neben ihm her. Zum Glück hatte ich noch etwas Geld übrig und müsste mich nicht von ihm einladen lassen. „Macht uns Platz“, hauchte Ciar fordernd, wieder schwebte seine Stimme mit dem Wind weiter und entfaltete seine Wirkung schnell. Zwischen den morgendlichen Menschenmassen bildete sich ein freier Pfad, den wir ungestört benutzen konnten. Bemerkten die anderen überhaupt nicht, wie seltsam das war, dass man uns unbewusst Platz machte? Mir würde so etwas sofort auffallen, aber jeder machte wie gewohnt mit seinem Alltag weiter. Ich runzelte die Stirn. „Du tust wohl gern so, als wärst du Jesus, was?“ „Moses war derjenige, der das Meer geteilt hat, nicht Jesus“, klärte Ciar mich auf. „Ist doch egal, wer es war. Schadet es den Leuten nicht, wenn sie so beeinflusst werden?“ Eine Frage, die mir geradezu auf der Seele brannte. Zu sehen, wie Ciar ungeniert mehr als einen Menschen gleichzeitig manipulierte, stärkte meine Hoffnung, dass ich Farens Gesundheit nicht ernsthaft gefährdet hatte und er in Ordnung war. Er musste okay sein, auch für Kieran. „Nicht, wenn man es richtig macht“, antwortete Ciar trocken und schielte kurz zu mir. „Warum?“ „Ach, nichts weiter. Ist ja nicht so, dass es total krass ist, wenn jemand unbemerkt andere nach seiner Pfeife tanzen lassen kann und dann auch noch so tut, als wäre es völlig normal.“ „Lass den Sarkasmus, das steht dir ganz und gar nicht“, warnte er. Ein kaum hörbares Knurren versteckte sich in seiner Stimme. „Für mich ist es halt wirklich normal – und ungemein praktisch.“ Widersprechen konnte ich dem nicht, das war es in der Tat. Ob es richtig war, darüber ließ sich allerdings streiten, aber da ich es auch schon getan hatte, sollte ich meinen Mund halten. Sicherheit darüber, wie es mit Faren weitergehen würde, hatte ich trotzdem nach wie vor nicht. Bei meinem Pech und Ungeschick hatte ich es garantiert falsch gemacht und ihm nachhaltig geschadet. Mein schlechtes Gewissen fraß mich innerlich auf. Plötzlich spürte ich, wie Ciar nach meinem Arm griff und ihn über seine eigene Schulter legte, während er die andere Hand stützend um meine Hüfte legte. „Du humpelst. Kann man sich ja kaum mit ansehen, das Elend.“ „Na und? Das kann dir doch egal sein“, sagte ich abweisend. Der Versuch, mich aus seinem Griff zu befreien, scheiterte kläglich, weil er sich nicht so leicht abschütteln ließ. „Bald lasse ich es dir echt irgendwo gut sichtbar hin tätowieren, damit ich nicht dauernd wiederholen muss, dass ich dir nur helfen will.“ „Hör mal, ich habe ja wohl allen Grund, misstrauisch zu sein“, zischte ich. Sein Gehabe ließ ich mir ganz sicher nicht wie ein schüchternes Schulmädchen gefallen. „Wir haben bislang niemals ein Wort miteinander gewechselt und ich wusste bis vor kurzem nicht mal, dass es dich gibt. Dann hast du auch noch diese Special Powerz und gibst dich die ganze Zeit so schrecklich wichtig. Du bestellst mich zu einem Ort, der schlechte Erinnerungen in mir weckt und hast zufällig auch noch das Dingsbums des Echos dabei, wegen dem meine Familie gestorben ist. Erkläre mir bitte mal, wie ich dir da trauen soll?“ Anscheinend hat das gesessen. Schnaubend ließ Ciar mich los, stieß mich sogar leicht weg und erhöhte das Schritttempo, nur um weiter vorne zu sein. Erst wollte ich anmerken, dass es ihn nicht gerade weniger verdächtig machte, darauf nichts zu erwidern, doch so nötig hatte ich es nicht. Eigentlich wollte ich das alles nur so schnell wie möglich hinter mich bringen und herausfinden, ob und wie Ciars Plan funktionierte. „Ich verstehe dich, das ist der Grund“, drang seine Stimme leise zu mir, wie ein flüchtiger Gedanke. Hörte ich das wirklich oder bildete ich mir das ein? „Auch ich bin unglücklich verliebt.“ „W-wie bitte?“, stotterte ich. Jemand wie Ciar kannte das Gefühl der Liebe? Bislang erschien er mir nicht wie ein Typ, der viel Wert auf Emotionen legte und eher auf Erfolg sowie Macht erpicht war. Und wie kam er darauf, mich verstehen zu können? Ich hasste es, wenn andere das leichtfertig behaupteten. Außer Kieran hatte ich mich bisher mit niemandem verbunden und daher verstanden gefühlt. Also konnte ich Ciars Behauptung nicht ernst nehmen. „Ah ja? In wen bist du denn verliebt?“, wollte ich dennoch wissen. Da blockte er sofort ab. „Geht dich nichts an. Besiege zuerst das Echo, dann verrate ich es dir vielleicht danach.“ „Kein Problem, wenn du mir erklärst wie.“ „Habe ich vor, beim Essen.“ Schweigen. Den restlichen Weg über hatten wir uns nichts mehr zu sagen. Humpelnd folgte ich Ciar und hielt mit ihm Schritt, wofür ich die Schmerzen einfach hinnahm. Jammern hätte mir nichts genützt. Stattdessen versank ich in meinen Gedanken und ließ mich derweil weiter von Ciar führen, der auf dieses Essen bestand. Von hinten betrachtet sah er Kieran beinahe zum Verwechseln ähnlich. Ich fragte mich, was er insgeheim vorhatte. Wozu machte er dieses Theater mit, wenn er es mir einfach befehlen könnte, sich ihm anzuschließen? Konnte er nicht oder wollte er sich diese Mühe wirklich machen? Möglicherweise war er wegen etwas derart verzweifelt, dass er nach jedem Strohhalm griff. In dem Fall könnte er mich durchaus verstehen. Nein, Ciar war niemand, der verzweifelte. Er wusste genau, was er wollte und wie er es bekam. Etwas anderes sollte ich mir nicht vormachen und mir auch nicht von ihm einreden lassen. Letztendlich wartete ich sowieso nur darauf, endlich den Notausgang nehmen zu können und mir nie wieder den Kopf über etwas zerbrechen zu müssen.   ***   Der restliche Nachmittag verlief relativ unspektakulär, was ich nicht anders erwartet hatte. So konnte ich mir in aller Ruhe ein genaues Bild von Ferris' Zustand machen und einschätzen, ob er den Kampf gegen das Echo halbwegs überstehen könnte. Notfalls musste ich eingreifen, das wäre kein Problem, aber er sollte seine Chance bekommen. Er hatte sie sich verdient. Zum Essen war meine Wahl auf eine Eisdiele gefallen, womit ich Ferris sichtlich überrascht hatte, weil es genau das einzige Lebensmittel war, von dem er sich zurzeit ernährte. Für mich war das keine große Kunst gewesen, denn ich kannte ihn eben besser als er ahnte. Zu diesem Zeitpunkt musste er das aber noch nicht wissen. Auch von meinem Plan, für den ich Ferris unbedingt als Partner haben wollte, hatte ich ihm nichts erzählt. Darüber war er zwar verärgert gewesen, doch ich ging das Risiko nicht ein, ihn kurz vor dem Ziel abzuschrecken und zu verlieren. Zuerst sollte er selbst die Erfahrung machen, wie befreiend und großartig das Gefühl war, mit dem ich ihn vertraut machen wollte. Das mein besonderes Geschenk für ihn war. Schließlich brach der Abend an und wir mussten nur noch auf die absolute Dunkelheit warten. Für unser Vorhaben wählte ich den Parkplatz eines Supermarktes, der längst geschlossen hatte und somit eine leere Fläche bot, auf der wir genügend Platz hatten. Weitere Wege aus der Stadt heraus wollte ich Ferris wegen seinem verletzten Bein nicht zumuten, nötig wäre das ohnehin nicht. „Ist das hier nicht viel zu offen und einsichtig?“, gab Ferris zu bedenken und sah sich nervös nach möglichen Zeugen um. „Eine versteckte Gasse oder so wäre doch besser.“ „Viel zu umständlich. Ich werde einfach einen stillen Raum erschaffen.“ „Einen was?“ Seine Unwissenheit war geradezu … putzig. Irgendwie schade, dass er früher oder später in alle Einzelheiten der Jagd eingeweiht und dann nicht mehr so leicht zu verblüffen wäre. Aus dem Grund genoss ich das in vollen Zügen, solange diese Zeit anhielt. Dementsprechend zurückhaltend blieb ich mit meiner Antwort, die ihn nur vertrösten sollte. „Lass mich einfach machen und schau zu.“ Konzentriert atmete ich ein und aus, spürte, wie meine Lungen sich mit Luft füllten und meinen Körper belebten. Hitze sammelte sich in meiner Brust an. All meine Gedanken, Gefühle und Eindrücke lenkte ich zu diesem einen Punkt, um die Energie freizusetzen, die ich benötigte. Ich formte meine Seele durch Worte zu etwas Materiellem, einer Waffe, einzig durch meinen Willen und meiner Vorstellungskraft. Energisch riss ich die Hand nach oben. Das Brennen in meiner Brust breitete sich aus, bis in meine Augen. Ein rötlicher Schimmer legte sich über sie, was ich daran merkte, dass sich meine Sicht ebenso verfärbte. Aus dem Nichts erschien eine Waffe, eine Pistole, die sich aus winzigen Sandkörnern zusammensetze und selbstständig in der Luft schwebte, nur knapp über meiner Handfläche. An ihrem Lauf war seitlich das Ziffernblatt einer Uhr befestigt, mitsamt ihrem Mechanismus, der über den Abzug aktiviert wurde. Es war keine gewöhnliche Handfeuerwaffe. Schon ihr strahlendes Silber und die verschnörkelten Verzierungen in Gold verströmten eine magische Atmosphäre. Die Kombination zwischen der Pistole und einer Uhr war meisterhaft ausgereift, als wären sie schon immer eins gewesen. Flink schnappte ich mir die Waffe aus der Luft mit der Hand und betätigte ohne jegliches Zögern den Abzug. „Stille!“, rief ich kraftvoll gen Nachthimmel, an dem nur wenige Sterne schwach funkelten. „Umhülle uns!“ Sofort erwachte die Uhr am Lauf zum Leben und erfüllte die Umgebung mit einem gleichmäßigen Ticken, das ein wenig betäubend wirkte. Ein Knall verkündete, dass sich ein Schuss gelöst hatte. Zu sehen war nur eine helle Lichtkugel, die geradewegs nach oben flog und plötzlich explodierte. Über uns regnete ein Fluss aus strahlender Energie hinab, ein Teil des Parkplatzes wurde zu einem Raum zusammengefasst, in dem wir standen. Umgeben von Wänden aus blendendem Licht. Ferris knirschte mit den Zähnen und hob eine Hand vor das Gesicht. „Alter, ist das hell. Genau wie an dem einen Abend.“ „Als ich dich gerettet habe, ja“, erinnerte ich ihn gern an meine heldenhafte Tat. Spielerisch drehte ich die Pistole in der Hand, bis sie sich wieder spurlos auflöste. „In einem solchen Raum befinden wir uns auf einer anderen Ebene, in der Stille. So etwas entsteht durch eine Krümmung in der Realität. Außenstehende können uns nicht mehr sehen und auch nicht mitbekommen was hier passiert. Sie bekommen höchstens einen kalten Schauer, wenn sie hier vorbeigehen sollten.“ „Boah ...“ Wie ein Kleinkind starrte Ferris mich mit großen Augen an. „Im Ernst?“ „Nee, du träumst das alles nur“, neckte ich ihn. „Sehr witzig ...“ Empört strich er sich einige Haarsträhnen aus der Stirn und ließ die Hand wieder sinken, blinzelte jedoch ununterbrochen, weil er an dieses helle Licht nicht gewohnt war. Unterdessen nahm ich die Gelegenheit wahr, ihm eine letzte, wichtige Frage zu stellen, bevor ich ihm gab, was er bekommen sollte. „Sag mal, was genau hat dich dazu gebracht, diesem Deal zuzustimmen?“ Schweigend warf Ferris mir einen ausdruckslosen Blick zu und starrte danach auf den Boden. Seine Antwort kam beängstigend schnell, wenn man bedachte, was sie beinhaltete: „Ich habe nichts mehr zu verlieren.“ Etwas in mir reagierte empfindlich auf diese Worte, es schmerzte sogar ein bisschen. Hatte er keinerlei Hoffnung mehr und sich komplett aufgegeben? Sollte dem so sein, wurde es höchste Zeit, ihn von seinen Leiden zu befreien. Dann sah er die Dinge sicherlich wieder etwas anders, so wie ich. Alles konnte gut werden. „Eine traurige Einstellung“, kommentierte ich seine Antwort kühl. „Also schön, fangen wir an.“ Ich schnippte mit den Fingern und rief dadurch den Würfel zu mir, der vor mir erschien. Betörend rief er mit seinem rötlichen Glühen nach mir, aber dieses Herz war für Ferris bestimmt, weshalb ich der Versuchung widerstand. Nur ein letztes Mal berührte ich den Würfel, um ihn zu werfen, einige Meter weiter, wo er schwebend wartete. Nickend wandte ich mich an Ferris. „Du weißt, was zu tun ist?“ „Ja, weiß ich.“ Gebannt fixierte er den Blick auf das Herz, seine Anspannung war so stark, dass sie auf mich überzugehen drohte. Schon bevor ich den nächsten Schritt tun konnte, geriet seine Seele in Aufruhr. Ich konnte sie hören. Ein Chor aus reiner Verzweiflung und Hilflosigkeit. Sie zu entfesseln, dürfte äußerst interessant werden. „Gut, also wie abgesprochen, für den Anfang helfe ich dir.“ Einige Schritte wich ich zurück und sorgte dafür, dass Ferris den nötigen Freiraum für seinen Kampf hatte. „Entfessle deine Seele, Ferris!“ Innerhalb von Sekunden nahm seine Seele Gestalt an. Ein riesiges Gefühlschaos, das aus Ferris ausbrach. Blaue Energie drang aus seinem Körper hervor und floss wie Wasser um ihn herum. Tatsächlich wirkte seine Aura wie ein tiefes Meer, in das man endlos hinab sinken könnte. Beruhigend und einschüchternd zugleich. Trauer und Sehnsucht sprudelten am Meeresboden. Das Rauschen des Wassers vermittelte Frieden und tobende Wut. „Echo!“, schrie Ferris mit voller Kraft alles davon heraus. „Ich will Rache!“ Sofort zog sich die blaue Energie zusammen und formte ein gewaltiges Schwert, das viel zu schwer aussah, besonders für den unsportlichen Ferris. Unzählige Risse zogen sich durch die breite Klinge und doch fiel sie nicht auseinander, sondern blieb stabil – ein nettes Abbild seiner Seele. Er packte den Griff des Schwertes mit beiden Händen und hielt es mit Leichtigkeit oben, als er auf den Würfel zustürmte. Nur ein gezielter Hieb und das Herz wurde in zwei Teile gespalten, zerbrach mit einem lauten Klirren, das unheilvoll im Raum verhallte. Ich war es längst gewohnt, dieses schmerzhafte Splittern in den eigenen Ohren. Mich kümmerte das nicht mehr. Bosheit quoll aus dem zerstörten Würfel hervor, eine schwarze, dickflüssige Materie. Teer. Kampfbereit stand Ferris da, mit erhobenen Schwert und wartete die Geburt des Echos ab. Ebenso wie ich. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)