Between evil voices and innocent hearts von Platan (Weltenträume) ================================================================================ Kapitel 6: Haben wir einen Deal? -------------------------------- Mir entglitt ein erschrockener Laut, weil nur nach wenigen Schritten der Boden unter mir nachgab und ich mit einem Bein absackte. Der Großteil des Hauses hatte aus Holz bestanden, aber auch ein Bauwerk aus Stein wäre jetzt nicht mehr sonderlich stabil, nach einem großen Brand. Das hätte mir eigentlich vor dem Betreten klar sein sollen. Hier befand ich mich in Lebensgefahr. Ehrlich gesagt bereitete mir das kaum Sorgen. Ich wollte sowieso schon oft sterben und hatte bereits mehrmals versucht mich umzubringen. Deswegen nahm ich diese riskante Aktion vermutlich gar nicht so schlimm wahr. Tatsächlich setzten mir die düsteren Erinnerungen an damals und die damit verbundenen Stimmung mehr zu, Gefahr störte mich nicht so sehr – es sei denn, ein surreales Monster wie jenes in dieser einen Nacht versuchte mich zu töten. Zum Glück hatte mein Gewicht nur ein kleines Loch in den Boden gerissen, also konnte ich mein Bein mit etwas Feingefühl – in meinem Fall blieb es trotzdem grob – wieder herausziehen, doch einige Splitter und scharfe Kanten rissen meine Hose etwas auf. Ein leicht brennender Schmerz verriet mir, dass ich mir dabei obendrauf auch noch die Haut leicht aufschnitt. So viel zum Feingefühl meinerseits. Fluchend schlich ich vorsichtig an dem Loch vorbei und hielt diesmal gründlich nach morschen Stellen Ausschau, damit ich sie umgehen könnte, statt nächstes Mal eventuell richtig durch den Boden zu stürzen. Schon als Kind war mir jeder Keller immer unheimlich gewesen, wie ein Ort des Bösen. Meine Fantasie war gerne mit mir durchgegangen. Suchend schweifte mein Blick über die traurigen Überreste der Ruine, mein altes Zuhause. Noch sorgte das Tageslicht dafür, dass ich etwas sehen konnte, was nicht viel war. Durch die mit Dreck und Ruß verschmierten Fenster wandelten sich die letzten Sonnenstrahlen zu einem matten Schein, der kurz davor war zu ersticken. Irgendwann musste eben auch im Sommer Platz für die dunkle Tageszeit gemacht werden. „Oh Mann, sieht das krass aus ...“ Alles war durch das Feuer stark in Mitleidenschaft gezogen worden und die schwarzen Rückstände gaben mir den Eindruck, kein gewöhnliches Haus betreten zu haben, sondern eher eine Höhle oder die verdorbene Dunkelheit persönlich. Leider erkannte ich nichts wirklich wieder, mir kam der Ort fremd vor. Vom oberen Stockwerk sollte ich mich besser fernhalten, denn es war zum Teil eingestürzt und nur noch ein sensibles Konstrukt aus verkommenen Rückständen, die verzweifelt versuchten, das restliche Gesamtbild irgendwie zusammenzuhalten. Jeder meiner Schritte verursachte ein unheilvolles Knirschen und Knacken, wodurch meine Schuldgefühle lebendiger wurden. Angestrengt versuchte ich, in meinem Kopf den ursprünglichen Zustand des Hauses wieder herzustellen, aber es gelang mir nicht. Nur das zerstörerische Flackern der unzähligen Flammen kam mir in den Sinn, dort fingen meine Erinnerungen an. Davor schien es nichts mehr zu geben. Nicht viel. Dabei sollte ich mich an meine Familie erinnern. An meinen Vater, meine Mutter und meine kleine Schwester. Mir wollte nicht mal ihr Name einfallen, geschweige denn der unserer Familie. Seit ich im Waisenhaus gelebt hatte, hieß ich nur noch Ferris Livio, so wie der Erbauer und Leiter dieser Einrichtung. Bei Kindern ohne jegliche Hinterbliebenen und fehlende Hintergrundgeschichte war dieses Vorgehen üblich. Für mich war das normal, Livio gehörte nun zu mir. Nur vage konnte ich mich daran entsinnen, lautstark gebettelt und gefleht zu haben, meinen alten Namen ablegen zu dürfen. Ihn weiterhin zu tragen war mir falsch vorgekommen. Livio betrachtete ich als eine Art Stempel, um anderen direkt klarzumachen, mit wem sie es zu tun hatten. „Ferris, spielst du mit mir?“ Sofort fuhr ich herum und hielt den Atem an, während ich nach einer anderen Person Ausschau hielt. Weit und breit niemand zu entdecken. Eigentlich könnte mich hier nur Ciar erwarten, es sei denn, er plante, mich zusammen mit einer Sekte an ihren Gott zu opfern oder so. Vielleicht wurde aus mir dann auch ein Wesen aus Teer – aus Hass. Wenigstens wäre das eine Erklärung dafür, woher diese Kreaturen kommen könnten, auch wenn es ein altbekanntes Klischee bedienen würde. „Komm schon, spiel mit mir!“, bat die Stimme mich erneut. Sie gehörte einem kleinen Mädchen, wie ich heraushörte, das konnte nicht Ciar sein. Ob sich ein Kind aus diesem Dorf hierher verirrt hatte? Auch ich würde solche Orte aus Neugier erkunden wollen, um vor meinen Freunden damit anzugeben, wie mutig ich sei. Ängstlich klang das Mädchen jedenfalls nicht, was mich etwas verwunderte. Sogar ich fühlte mich unwohl. „Moment“, murmelte ich angespannt. „Du kennst meinen Namen?“ Unmöglich. Selbst wenn dieses Kind älter als zehn Jahre war, konnte sie mich nicht kennen, oder sich zumindest nicht an mich erinnern, weil sie noch zu klein gewesen war. Ein ungutes Gefühl machte sich in mir breit. Obwohl es nichts brachte, wich ich nervös zurück. „Du bist so gemein!“, jammerte das Mädchen traurig. „Warum spielst du nie mit mir? Magst du mich etwa nicht?“ „Nur wieder eine von diesen Stimmen“, sagte ich mir selbst, um mich zu beruhigen. „Einfach ignorieren.“ Möglicherweise war jemand gerade draußen in der Nähe, der ebenfalls von seinen eigenen Tränen in einen Kokon eingeschlossen wurde. Mir gefiel es nicht, dass ich die Stimmen so deutlich hören konnte. Jetzt auch noch ohne jeglichen Sichtkontakt. Können die nicht einfach still sein und schweigend klagen? Ich bat auch nicht ständig andere darum, mich endlich umzubringen, weil ich nicht mehr leben wollte. „Also ich mag dich! Ich hab dich total lieb.“ Das Handy in meiner Hosentasche vibrierte plötzlich so stark, dass ich zusammenzuckte. Vincent wurde bestimmt schon ungeduldig. Rasch holte ich es heraus und tat so, als gäbe es diese Mädchenstimme gar nicht, was als Zeichen genügen sollte. Ich wollte weder etwas spielen noch mich rechtfertigen. Wo steckte Ciar?! Schlagartig wurde mir schlecht, als ich auf das Display sah. Die Anzeige spielte komplett verrückt. Ein Störbild wechselte sich regelmäßig mit kurzen Videoaufnahmen von Feuer in den verschiedensten Formen und Situationen ab. Eine Herdplatte, Waldbrände, ein Grill, Wunderkerzen, Zigaretten, Einäscherung ... das ständige Flackern schmerzte in den Augen. „Warum magst du mich nicht?“, drang die Stimme nun deutlich aus dem Handy hervor, unmenschlich verzerrt. „Warum?“ Aus Reflex schrie ich das Display einfach an: „Hör auf! Halt die Klappe!“ Meine Hand verkrampfte sich. Unaufhörlich wurden mir diese Szenen mit Feuer vorgespielt, es nahm kein Ende. Zähneknirschend versuchte ich, das Gerät wieder unter Kontrolle zu bringen oder auszuschalten, aber natürlich ohne Erfolg. Der Spuk ließ sich nicht so leicht beenden. „Warum?“, wiederholte die Stimme sich vorwurfsvoll. „Warum? Warum? Warum?“ „Schnauze hab ich gesagt!“ Kraftvoll schmiss ich das Handy auf den Boden, es drehte sich einmal um sich selbst und blieb nur einen Schritt entfernt von mir liegen. Instinktiv trat ich mit dem Fuß darauf, in einem hilflosen Versuch, es zum Schweigen zu bringen. Drehte die gesamte Welt durch? Jahrelang hatte ich weder Stimmen gehört noch irgendwelche Halluzinationen gehabt, warum passierte mir so etwas plötzlich immer öfter? Wenn das wirklich eine Strafe sein sollte, kam sie reichlich spät. „Ich hab genug von dem Scheiß!“, fluchte ich aufgebracht und trat weiter wie besessen auf mein Handy ein. „Nerv mich nicht!“ „Nerv mich nicht, das ist nichts für Babys. Geh weg, ich spiele alleine damit.“ Abrupt hielt ich inne und starrte keuchend auf den Boden. War das gerade meine eigene Stimme gewesen? In meinem Kopf? Ein Funken der Erinnerung flackerte in mir auf und ließ mich schwer schlucken. Richtig, ich wollte unbedingt mit Feuer spielen, aber meine kleine Schwester hatte mich die ganze Zeit genervt, weil ich sie nicht mitmachen ließ. „Ich hab nur kurz nicht hingesehen“, erinnerte ich mich. „Plötzlich war das Feuer viel zu groß geworden ...“ „Beeindruckend“, kommentierte jemand das Ganze ungerührt. „Du erinnerst dich also noch.“ Diesmal wusste ich sofort, wer es war. Obwohl ich diese Stimme noch nicht oft gehört hatte, konnte sie sich in meinem Gedächtnis verankern. Sie hinterließ einen gewissen Eindruck, der mich nicht mehr losließ. Ciars Selbstbewusstsein durchflutete auch in diesem Moment den Ort und nahm ihn allein mit seiner Anwesenheit in Beschlag. Noch hatte ich ihn nicht entdeckt, weshalb ich mich wieder suchend im Kreis drehte. „Lass diese Spielchen. Wo bist du?“ „Hier“, antwortete Ciar, seine Stimme erklang direkt neben mir. „Du bist ziemlich blind, was?“ Ich schreckte zurück, als ich feststellte, dass er wirklich an meiner Seite stand. Sein Blick folgte mir aufmerksam, doch er selbst rührte sich nicht. Woher war er gekommen? Falls er schon lange in meiner Nähe gewesen war, hätte ich ihn schon früher bemerken müssen. Machte er einen auf Ninja oder was? „Ich finde das gar nicht lustig“, grummelte ich. „Soll das hier versteckte Kamera sein? Langsam kommt mir das alles zu verrückt vor, so etwas könnte nicht mal ich mir einbilden. Verarschst du mich einfach nur?“ Genervt verdrehte Ciar die Augen. „Uh-uh, das wäre nicht mein Niveau. Ich hab doch gesagt, dass ich dir helfen will.“ „Helfen? Im Moment fühle ich mich ziemlich terrorisiert.“ „Dafür kann ich nichts“, reagierte Ciar gelassen und bückte sich nach meinem Handy, das er vom Boden aufhob. Es gab keinen Ton mehr von sich, wie ich erst jetzt bemerkte. „Es sind die Echos, die versuchen, dich wahnsinnig zu machen.“ Mit dieser Ansage reichte er mir mein Eigentum. Perplex nahm ich es zögerlich entgegen und betrachtete es misstrauisch. Durch meine Tritte war das Display zum Teil zersplittert und nur noch pechschwarz. Ob mich das beruhigen oder frustrieren sollte, konnte ich gerade nicht einschätzen. Etwas anderes beschäftigte mich jetzt viel mehr. „Echos? So was hast du doch schon mal gesagt.“ Bei unserer ersten Begegnung, als er mich gerettet hatte. „Damit will ich nichts zu tun haben.“ Ciar schmunzelte über meine Worte. „Ich fürchte, du hast keine Wahl. Anscheinend ziehst du Echos magisch an, weil deine Fähigkeiten langsam erwachen.“ „Das interessiert mich trotzdem nicht!“, fauchte ich gereizt. „Sag mir lieber, wieso du mich ausgerechnet hierher bestellt hast! Was weißt du?!“ Wütend wollte ich ihn am Kragen packen, doch bevor ich ihn berühren konnte, drehte sich vor meinen Augen alles und ich prallte mit den Rücken so heftig auf dem Boden auf, dass mir kurz die Luft wegblieb. Einen Moment lang lag ich nur da und blinzelte leicht benebelt. Über mir beugte sich Ciar in mein Sichtfeld und schüttelte den Kopf. „Mich anzugreifen solltest du dir abgewöhnen. Du magst Talent haben, aber ich bin um Welten besser als du.“ Hatte er mich abgewehrt? Wow, davon habe ich gar nichts mitbekommen. Als der Schwindel nachließ, richtete ich mich wieder auf und kam schwankend auf die Beine. Vorsichtshalber lehnte ich mich an die nächstgelegene Wand an, die hoffentlich noch stabil genug war. Ich pustete mir ungehalten einige Haarsträhnen aus der Stirn und steckte mein demoliertes Handy erst mal ein – vielleicht ließ es sich retten. „Na schön“, gab ich nach. „Dann sag, was du loswerden willst.“ „Das hätte ich sowieso getan“, versicherte Ciar mir. Er legte eine bedeutungsvolle Pause ein, ehe er weitersprach. „Glaubst du an übernatürliche Dinge?“ „Du meinst so etwas wie Gott, Geister oder Dämonen?“ Müde atmete ich durch. „Nicht wirklich. Warum? Willst du mich für eine geheime Spezialeinheit anwerben? Darf ich dann einen schwarzen Anzug tragen und das Gedächtnis anderer Leute löschen?“ Anscheinend missfiel Ciar mein Gerede, denn sein Blick verfinsterte sich und seine Augen schienen rötlich zu schimmern. „Nimm das gefälligst ernst, sonst kann ich auch ganz anders werden.“ Diese Drohung jagte mir einen Schauer über den Rücken, seine Stimme legte sich wie Frost über meine Haut. Hastig hob ich die Hände, um zu signalisieren, dass ich verstanden hatte und er fortfahren sollte. Wie schlimm konnte dieses Drama schon noch werden? „Du kennst bestimmt das Sprichwort, dass die Augen die Fenster zur Seele seien“, begann Ciar und lief ein paar Schritte zur Seite. So leichtfüßig, als würde er über den Boden schweben. „Mit unserer Stimme verhält es sich ähnlich. Worte können, richtig eingesetzt, unsere Seele widerspiegeln und die Energie freigeben, aus der sie besteht. Du hast das unbewusst auch schon getan.“ Kopfschüttelnd runzelte ich die Stirn. Was Ciar da sagte, klang verdächtig nach einem Science-Fiction Streifen, der bald in die Kinos kam. Allerdings konnte ich nicht bestreiten, wie seltsam real sich die letzten Ereignisse angefühlt hatten, in denen ich verrückte Sachen sah und vor allem hörte. Konnte das nicht einfach nur Einbildung sein? „Wir beide, Leute wie wir, kann man als so etwas wie Begabte bezeichnen“, erklärte Ciar, derart überzeugend, dass man es nur glauben konnte. „Wir handeln kontrolliert, Echos dagegen werden von Gefühlen wie Verzweiflung, Hass und ähnlichem geleitet. Sie sind wie primitive Tiere, die wahllos einem einzigen Instinkt folgen.“ An der Stelle verkniff ich mir einen Witz über Zombies, so gut er auch gepasst hätte. Allmählich gewann Ciar mein Interesse. Immerhin könnte er mir vielleicht tatsächlich helfen, diese schrägen Gestalten und Stimmen wieder loszuwerden. „Und was sind diese Echos jetzt genau?“, hakte ich ungeduldig nach. Schweigend starrte Ciar mich an. Es folgte ein intensiver Augenkontakt, der sich alles andere als gut anfühlte. Dachte er gerade über etwas nach oder erwartete er etwas von mir? Seine Gesichtszüge waren verhärtet. Genau wie Vincent war er schwer zu lesen, aber wenigstens zeigte er Emotionen, wenn auch welche, die einem Furcht einflößten. „Echos sind Seelenrückstände des Bösen“, antwortete Ciar schließlich, ohne den Blick abzuwenden oder gar zu blinzeln. „Werden sie nicht aufgespürt und vernichtet, können sie sich zu Flüchen weiterentwickeln oder sogar zu Dämonen. Beides stellt eine große Gefahr für die Menschheit und die Welt dar.“ „... Was?“ Es klang verrückt, wie ein Märchen. Dennoch packte mich etwas daran. Eine winzige Ahnung, tief in meinem Inneren, dass Ciar die Wahrheit sagte. Sprachlos senkte ich den Kopf und versuchte meine Gedanken zu ordnen. Irgendwie wurde mir furchtbar schlecht. Das Wesen aus Teer war also ein Echo? Waren die Menschen, die schwarze Tränen weinten, von denen befallen oder so ähnlich? „Ferris?“ Ciars Stimme besaß in dieser Sekunde etwas Klares, das mich verwundert aufschauen ließ. „Ja?“ „Als du diesem einen Echo kürzlich begegnest bist, hast du es sicher gewusst, nicht wahr?“ Eindringlich suchten seine Augen etwas in mir, beinahe erwartungsvoll, jedoch auch seltsam unruhig. „Du hast gewusst, dass du so ein Wesen schon einmal getroffen hast, richtig?“ „Ah ...“ Meine Stimme versagte, sie wurde heiser. „Ich ... richtig.“ In Verbindung mit Feuer. Zu dem Zeitpunkt war die Erinnerung verschleiert gewesen – hatte ich das alles so erfolgreich verdrängt und vergessen? Ich wusste, dass ich diese Echos kannte, von irgendwoher. Mein allererstes Treffen lag zehn Jahre zurück und fand einst hier statt, in diesem Haus. Bedeutete das ... „Ich will dir wirklich helfen“, betonte Ciar nachdrücklich und kam etwas näher auf mich zu. „Ich möchte dir die Chance geben, Rache zu üben und das Herz des Echos zu verschlingen, das dir so viel Leid zugefügt hat.“ „Warte-“, warf ich nervös ein. Unbeirrt sprach Ciar weiter. „Jedes Echo hinterlässt ein Herz in Form eines Würfels. Seelen lösen sich niemals vollständig auf, sondern nehmen nur andere Formen an. Mit diesen Herzen kann man seine Fähigkeiten immens steigern und lockt so die Echos wie ein Magnet zu sich. Das macht es einfach, sie zu erledigen und weitere Herzen zu ergattern.“ „Jetzt warte doch mal!“, versuchte ich erneut, meine Worte loszuwerden. „Rache üben? Was meinst du damit? Wie soll das gehen?“ Entweder beachtete Ciar meine Fragen nicht oder wollte unbedingt zu Ende erklären, denn er machte weiter und weiter. Während er sprach, schob er eine Hand in die Innentasche seiner Weste, die er über einem Top trug, um etwas herauszuholen. „Du musst wissen, dass die Herzen eine Art Speicherfunktion besitzen. Unter gewissen Umständen und Einwirkungen, können die Echos wieder neu entstehen und weiter Unheil anrichten.“ Etwas rot Glühendes ruhte in Ciars Hand, als er sie mir entgegen streckte. Ein kleiner Würfel. Aus dem Nichts dröhnte ein Herzschlag durch das leblose Haus, pochte laut in meinen Ohren. Wie hypnotisiert starrte ich auf den Würfel, dessen Licht einen ungeahnten Hass in mir entfachte. In mir entstand etwas, das ich nicht benennen konnte. Leise knackten meine Hände, die ich zu Fäusten geballt hatte. Vor Anspannung zitterte mein gesamter Körper. Zum ersten Mal seit langem empfand ich keine Trauer, Reue oder den Wunsch danach, endlich von dieser Welt zu verschwinden, denn das alles wurde von diesem Hass übertroffen. Reine Wut und der Drang danach, zu zerstören. „Ist er das?“, hauchte ich, ungewohnt tief. „Ja, das ist er“, bestätigte Ciar, vollkommen souverän. „Das Echo, das den Brand verursacht und deine Familie getötet hat.“ Mein Verstand setzte aus. Schreiend schnappte ich mit der Hand nach dem Würfel, doch Ciar war schneller als ich und wich mir mühelos aus. Unzufrieden schnalzte er mit der Zunge und drehte das Herz spielerisch zwischen seinen Fingern. „Nicht so schnell. Ich handle niemals ohne Eigennutz, merk dir das.“ „Was verdammt nochmal willst du?!“, keifte ich wütend. „Ich dachte, du willst mir die Chance zur Rache geben?!“ Belehrend hob Ciar den Zeigefinger, mit der Hand, in der er auch den Würfel trug. „Die bekommst du auch, unter einer Bedingung: Wenn du das Echo eigenhändig auslöschen kannst, musst du sein Herz verschlingen und dich mit mir zusammentun. Ich verfolge nämlich ein Ziel, das uns beiden für immer jedes Leid ersparen wird. Also? Haben wir einen Deal?“ „Fick dich!“, platzte es aus mir heraus. Aufgewühlt schüttelte ich den Kopf und stampfte mit den Füßen auf den Boden. „Ich hab die Schnauze voll davon, mich von anderen manipulieren zu lassen! Wenn du mir nicht wirklich helfen willst, verpiss dich und lass mich in Ruhe!“ Von meinem Gefühlsausbruch ließ Ciar sich nicht aus der Ruhe bringen, er blieb unerschütterlich. Flüsternd steckte er den Würfel wieder ein und winkte anschließend ab. „Fein, ich gebe dir Bedenkzeit. Du weißt ja, wo ich wohne, falls du dich entscheiden solltest. So lange bewahre ich den Würfel für dich auf. Lass mich aber nicht zu lange warten.“ Einfach so wandte er sich nach dieser Ansage von mir ab und machte Anstalten zu gehen, was in mir noch mehr unkontrollierbare Gefühle zum Explodieren brachte. Zielstrebig wollte ich ihm folgen, kam aber nicht weit. Erneut brach mir der Boden unter den Füßen weg, diesmal sackte ich noch tiefer als letztes Mal. Anscheinend hing ich irgendwo fest, ich kam nicht so leicht heraus wie zuvor. Je mehr ich an meinem Bein zog und zerrte, desto tiefer sank ich und verlor meine Kraft. Erschöpft sackte ich auch mit meinem restlichen Körper auf den Boden und schluchzte, während ich gleichzeitig einen Fluch nach dem anderen von mir gab. „Es muss nicht sein, dass du so sehr leidest“, hörte ich Ciar sagen, doch seine Stimme schien schon weiter entfernt zu sein. „Denk über mein Angebot nach, sonst kann ich nicht mehr viel für dich tun.“ „Warte!“, rief ich ihm heiser hinterher. „Komm zurück! Bitte ... lass mich nicht allein.“ Nicht hier. Nicht an diesem Ort, wo ich nicht sein wollte. Wo mich alles schmerzte. Ciar war längst fort, als ich verzweifelt vor mich hin weinte. Noch immer steckte mein Bein fest und mir fehlte der Antrieb, überhaupt einen weiteren Befreiungsversuch zu unternehmen. Vor meinen Augen strahlte noch das unheilverkündende Glühen des Würfels und die Stimme des Mädchen hallte in meinem Kopf nach. Meine kleine Schwester. „Ich kann das nicht“, schluckte ich hilflos. „Selbst wenn ich Rache übe, was dann? Ich will einfach nicht mehr.“ Eine vertraute Melodie ertönte, wie aus heiterem Himmel. Der Klingelton meines Handys. Ich benötigte eine halbe Ewigkeit, bis ich realisierte, was genau das bedeutete. Es verstrich eine weitere endlose Zeitspanne, bis ich das Gerät irgendwie aus der Hosentasche gefischt bekam, ohne es dabei herunterfallen zu lassen. Ungläubig musste ich feststellen, dass die Risse im Display verschwunden waren. Wie durch Zauberhand sah mein Handy aus wie vorher, unbeschädigt und funktionsfähig. Bei dem Anrufer, der gerade versuchte mich zu erreichen, handelte es sich um Faren. Erleichtert nahm ich ihn entgegen und hielt mir kraftlos das Gerät ans Ohr. Ich wollte hier einfach nur weg. Faren käme mich bestimmt abholen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)