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Saki-chan

von

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Prolog

Prolog

 

„Mach etwas, Krang! Ich will wieder groß sein!“

„Aber Shredder“, kichert das Gehirn aus der DimensionX, „das sage ich doch schon immer: du musst erwachsen werden!“

„Du bist so niedlich. Oh, ich fühle mich schon fast wie ein Dad.“ Lachend stupst Rocksteady mit seinem großen, grauen Zeigefinger gegen eine süße Stupsnase.

Beleidigt verschränkt Shredder die Arme vor der Brust und dreht den Kopf beiseite.

„Ich hasse euch“, murmelt er mit einer für seine derzeitige Erscheinungsform durchaus angemessenen hellen Stimme, die jedoch Lichtjahre von seinem üblichen Bariton entfernt ist.

Krang mustert das kleine Geschöpf – das Kleinkind! – auf Rocksteadys Knie belustigt. Auch er muss zugeben, dass der Anblick einfach nur niedlich ist. Ein kleiner Wannabe-Ninja, eingewickelt in seinen violetten Umhang und mit einem viel zu großen Helm, der ihm bei jedem Atemzug über die Augen rutscht.

Dass er genauso pitschnass ist wie seine beiden Idioten von Mutanten, lässt ihn nur noch beklagenswerter aussehen.

„Wir sollten passende Babyklamotten besorgen. Hm. Und vielleicht … Windeln?“

Klonk! Mit einem lauten Scheppern prallt Shredders Helm von Krangs Androidenkörper ab und landet unzeremoniell auf dem Boden. Wow. Der Kleine ist verdammt flink. Krang hat gar nicht gesehen, wie er damit geworfen hat.

Aber das Gehirn erholt sich schnell von seiner Überraschung und lacht meckernd.

„Schon im Trotzalter? Das ging aber schnell!“

„Ich hasse euch!“ Wütend springt Shredder von Rocksteadys Knie.

Leider funktioniert das mit der Koordination noch nicht so gut und daher fällt die Landung nicht so graziös aus wie angedacht. Begleitet von Krangs schadenfrohem Gelächter rappelt er sich wieder auf die Füße, rafft seinen tropfnassen Umhang schützend um sich – er ist darunter nackt, verdammt noch mal! - und wackelt Richtung Tür. Na ja, zumindest versucht er es.

Zwei seinem Empfinden nach sehr große und vor allem starke Hände packen ihn unter den Achseln und drücken ihn mit dem Gesicht voran gegen eine rote und nasse Weste.

„Langsam, kleiner Fratz.“ Einen vor Wut zitternden Mini-Shredder im Arm, wendet sich Bebop an Krang. „Wie sieht es mit einem Gegenmittel aus, Krangchen?“

Krang antwortet nicht sofort. Als er sich dann doch noch räuspert, klingt es in Shredders Ohren wie das endgültige Geräusch einer niedersausenden Guillotine. Eigentlich braucht er die folgenden Worte gar nicht mehr zu hören, und er tut es auch nicht, weil er viel zu sehr damit beschäftigt ist, die Fassung zu bewahren.

„Ich werde es versuchen, aber ich glaube nicht, dass es eines gibt.“ Zum ersten Mal, seit sie von dieser unglückseligen Mission zurück sind, schwingt in Krangs Stimme so etwas wie echtes Bedauern mit. „Er muss einfach abwarten, bis sein Körper das Mutagen wieder abgebaut hat. Bei seiner derzeitigen Körpergröße könnte es allerdings sehr lange dauern. Im schlimmsten Fall muss er eben ganz von vorne anfangen.“ Krang zögert kurz und fügt dann, diesmal jedoch mit seiner gewöhnlichen Prise beißendem Spottes hinzu: „Hey Shredder – sieh's positiv: Viele Menschen würden ein Vermögen dafür ausgeben, um wieder als Kind neu anfangen zu können.“

„Ich! Aber! Nicht!“

Aufschreiend schlägt der Geschrumpfte um sich und landet tatsächlich einen ziemlich gemeinen Schwinger gegen Bebops empfindliche Schweinenase. Von dem plötzlichen Angriff und Schmerz überrascht, lockert sich dessen Griff um ihn. Shredder strampelt sich endgültig frei und platscht wie ein nasser Sack zu Boden.

Blitzschnell rappelt er sich auf, hält seinen Umhang ganz fest und rennt humpelnd durch die Tür, so schnell ihn seine kleinen Beinchen tragen.

 

1. Kapitel

1. Kapitel

 

„Chefchen?“ begleitet von einem vorsichtigen Klopfen an die verschlossene Tür.

„Geh weg!“ tönt es dumpf unter der Decke hervor, unter die sich Shredder geflüchtet hat. Kindisch, ja, okay, na und? Er ist ein Kind!

Und er hat sich auch schon in seiner ersten Kindheit unter seiner Bettdecke versteckt. Immer, wenn die Welt da draußen gemein zu ihm war. Und das war sie eigentlich immer.

„Komm schon, Chefchen, mach auf.“ Rocksteady ist hartnäckig, das muss man ihm lassen.

„Wir haben dir Kleidung besorgt.“ Das ist Bebop. Er klingt etwas nasal. Hat er ihn wirklich so hart getroffen? Nun, recht geschieht es ihm.

Shredder verbietet sich, Mitleid oder gar Schuld zu empfinden.

„Ja, komm schon, mach auf“, wieder klopft Rocksteady gegen die Tür. „Lass uns nicht umsonst einen H&M ausgeraubt haben.“

„Geht weg!“

Stille. Geflüster.

„Wir legen die Sachen vor die Tür, okay?“

„Mir egal! Haut ab!“

Er denkt nicht daran, diese Tür zu öffnen. So neugierig ist er nun auch wieder nicht. Er hat dringendere Probleme, gottverdammt nochmal! Also zieht er die Bettdecke noch etwas enger um sich und macht sich noch kleiner, als er eh schon ist und schluchzt wieder hingebungsvoll in sein Kissen. Er ist ja sowas von im Arsch! Wozu braucht ihn Krang denn jetzt noch? Er wird ihn bald rausschmeißen, und wo soll er dann hin mit seinen derzeit knapp neunzig Zentimeter Körpergröße, gerade mal sechs Zähnchen und dieser unansehnlichen Menge an Babyspeck? Er wird in einem Waisenhaus landen. Und noch viel schlimmer – er muss sich die nächsten zehn bis fünfzehn Jahre verstellen, muss den Eindruck eines ganz normalen Kindes erwecken, wenn er nicht unangenehm auffallen will. Er weiß nicht, ob er das packt.

Aber am Schlimmsten und das, was ihm am meisten Angst macht, ist die Erkenntnis, dass er das Technodrome nicht verlassen will. Weiß der Teufel, wann das passiert ist, aber das hier ist sein Zuhause.

Das darf doch wohl alles nicht wahr sein! Wütend aufschluchzend beißt er in sein Kopfkissen, bis ihm der Kiefer schmerzt, ballt die Hände und trommelt mit seinen kleinen Fäustchen mehrmals auf die Matratze ein, solange, bis er einfach nicht mehr kann.

Dann bleibt er schweratmend einfach liegen und starrt leer vor sich hin.

Fünf Minuten später schiebt sich ein zerzauster, schwarzer Schopf aus dem Wust von Kissen und Decken, gefolgt von einem kleinen Körper, der ein viel zu großes T-Shirt trägt. Eine kleine Hand reibt sich die letzten Tränen aus dunklen, mandelförmigen und leicht geröteten Augen, und dann wischt sich Shredder den Rotz von der Nase. Vorsichtig, Füße voran, rutscht er von dem viel zu großen Futoni und tapst dann zögerlich auf die Tür zu.

Okay, ja, er ist doch neugierig. Aber nur, weil er wirklich passende Klamotten braucht!

Links neben der Tür blinkt der Türöffner, und er muss sich ganz schön recken, um ihn zu erreichen (sehr viel kleiner dürfte er wirklich nicht sein, sonst hätte er ein weiteres Problem!). Er hofft nur, dass die beiden Idioten wirklich weg sind.

Er hat Glück. Sie sind wirklich weg. Nun hält er sich aber auch nicht wirklich damit auf, um sich richtig umzusehen und schnappt sich einfach die beiden Tüten, die dort stehen, um sie mühsam (sie sind schwer!) in das sichere Innere seines Quartiers zu ziehen. Weit genug, dass sich die automatische Tür wieder von selbst schließt.

Von der Kraftanstrengung wird ihm fast schwarz vor Augen, und dann plumpst er erst einmal ganz unelegant auf seinen Hintern und versucht, wieder zu Atem zu kommen.

Und während er so da sitzt, beäugt er die Tüten misstrauisch. Sie sind tatsächlich von H&M.

Wow. Selbst er weiß, dass es billigere Läden gibt. Sie klauen wenigstens Qualität. Vielleicht sind sie doch nicht so blöd.

Und dieser Eindruck hält sich tatsächlich, als er beginnt, sich neugierig durch den Inhalt der Tüten zu wühlen. Natürlich gefallen ihm die Klamotten nicht besonders, aber er bezweifelt, dass es irgendwo auf dieser Welt Kleinkinderkleidung gibt, die seinem Stil entspricht. Jedenfalls nicht in einem Land, wo er sich freiwillig niederlassen würde. Kinder und dunkle Farben – das passt einfach nicht. Wenigstens scheinen ihn Rocksteady und Bebop gut genug zu kennen, um ihm auch keine Pastellfarben zuzumuten. Mit Primärfarben kann er ganz gut leben, und er muss zugeben, einige der Applikationen sind durchaus akzeptabel. Dinos sind immerhin auch eine Art von Drachen.

Sie haben sogar an Unterwäsche und Schuhe gedacht. Und sie haben ein erstaunlich gutes Auge, weil nur zwei Shirts etwas zu eng für ihn sind. Scheiß-Babyspeck.

Doch dann, dann zieht er zwei Dinge aus den Tüten, die ihn seine vorherige Meinung revidieren lassen.

Sie sind doch blöd! Strohdoof sogar!

Fassungslos starrt er auf den Sternenlichtprojektor in Form eines türkisfarbenen Nashorns und das Kuscheltier, das niemand geringeren darstellt als Pumbaa aus dem König der Löwen. Okay, er versteht schon: Nashorn und Warzenschwein. Welch ein Scheiß! Was soll er damit?

Wut flackert in ihm auf, und am liebsten hätte er beides in die nächstbeste Ecke gepfeffert, aber seine gute Erziehung (mit Geschenken hat man sorgsam umzugehen) hält ihn davon ab. Und so schiebt er das Zeug einfach nur beiseite.

Fünfzehn Minuten später, nachdem er sich mühsam umgezogen hat (wäscht man Kindersachen nicht vorher durch, wegen der Chemikalien und so? Andererseits ist er sowieso schon verseucht, da schadet das bisschen auch nicht mehr), überlegt er es sich noch einmal anders. Grummelnd schnappt er sich diese beiden Beleidigungen seines Intellekts und legt sie auf seinem Nachttisch ab. Aber nur, falls einer der beiden Idioten sein Quartier betritt. Auch wenn sie es verdient haben – sie zu beleidigen wäre nicht ratsam. Nicht in seinem derzeitigen Zustand.

 

 

Rocksteady lümmelt am Küchentisch und spielt mit seinem Gameboy herum, als Mini-Shredder hereintapst. Rocksteady ist schlau genug, sich mit jedem Kommentar zurückzuhalten und weiterhin so zu tun, als wäre sein Gameboy das Faszinierendste weit und breit.

Was nicht heißt, dass er diesen niedlichen Fratz (denn er ist niedlich, das beißt die Maus keinen Faden ab) nicht dennoch heimlich im Auge behält.

In Gedanken klopft er sich (und Bebop gleich noch mit dazu) beglückwünschend auf die Schulter. Die von ihnen geklauten Klamotten stehen dem Kleinen bestens. Die Kombination von knallrotem T-Shirt und hellblauer Latzhose mit dieser goldbraunen Haut und dem dunklen Haar ist einfach nur göttlich. Wenn es ihnen irgendwie gelänge, ihn als Katalogmodell zu vermieten, könnten sie sich eine goldene Nase (in seinem Falle: ein goldenes Horn) verdienen.

Ja, Rocksteady hat selten ein süßeres Kind gesehen.

Shredder scheint beschlossen zu haben, ihn zu ignorieren jedenfalls spricht er nicht mit ihm. Es gibt auch kein „Danke für die Klamotten“ oder ähnliches. Aber Rocksteady hat auch nicht wirklich damit gerechnet.

Mit einiger Besorgnis verfolgt Rocksteady, wie Shredder einen der Stühle hinüber zur Küchenanrichte schiebt und dann Anstalten macht, auf diesen Stuhl zu klettern. Was zum Teufel-??

Der Rhinomutant schießt regelrecht von seinem Platz. Er packt Shredder gerade noch rechtzeitig um die Taille, bevor dieser auf die Arbeitsplatte gekraxelt ist.

„Du!“ schimpft er fassungslos, während er ihn in sicherem Griff auf Augenhöhe hebt und streng in diese dunklen Augen sieht. „Was fällt dir ein? Auf einen Stuhl zu klettern und dann noch höher? Das ist gefährlich!“

„Ich will nur eine Cola trinken!“ faucht Shredder zurück und versucht, sich freizustrampeln.

Aber Rocksteady denkt nicht daran, seinen Griff zu lockern.

„Ts.“ tadelnd schnalzt er mit der Zunge, geht mit Shredder in den Händen zurück zum Tisch und verpflanzt die kleine Rotzgöre auf den nächstbesten Stuhl.

„Cola ist ungesund für kleine Kinder“, belehrt er ihn.

„Du bist gemein!“

„Deine Zähne werden es mir danken“, kontert Rocksteady nur, während er schon zum Kühlschrank hinübergeht und eine Milchtüte mit Strohhalm herausholt. Gut, dass sie in weiser Voraussicht auch noch kleinkindgerechte Nahrung besorgt haben.

Wortlos drückt er seinem geschrumpften Chefchen die Milchtüte in die Patschehändchen. Der murrt, beugt sich aber. Doch während er so am Strohhalm suckelt, fällt ihm etwas ein, das ihn unwillkürlich lächeln lässt.

Rocksteady starrt ihn nur geplättet an. Wow. Wenn er mal groß ist, bricht er mit diesem Lächeln die Herzen der stolzesten Frauen. Doch dann fällt ihm wieder ein, wer dort vor ihm sitzt und das ist dann schon eher beunruhigend.

„Meine Zähne“, hört er Shredder um den Strohhalm herummurmeln, „ja, die wachsen mir jetzt neu, nicht wahr? Das heißt … keine Plomben mehr. Cool.“ Und weil in Milch viel Kalzium steckt und das wichtig für die Zähne ist, trinkt er gleich noch viel schneller.

Rocksteady widersteht nur mit Mühe dem Drang, ihm lobend durch die wirren Haare zu streicheln und lässt sich stattdessen wieder zurück auf seinen Platz fallen, wo sein Gameboy noch auf ihn wartet.

Sekundenlang ist es still zwischen ihnen, dann nuschelt Shredder plötzlich leise:

„Ich war im Bad. Danke.“

Rocksteady verbeißt sich ein Grinsen.

„Dafür solltest du lieber Bebop danken, nicht mir.“ Er selber wäre nie darauf gekommen, einen Plastiktritt, einen Kinder-Toilettensitz und eine Zahnbürste mit besonders weichen Borsten zu besorgen. Das Gummientchen und der passende quietschgelbe Bademantel waren aber schon seine Idee, nur, geht er nicht davon aus, dass Shredder das gemeint hat.

„Wofür soll er mir danken?“ erkundigt sich Bebop, der gerade zur Tür hereinschlendert und Rocksteadys letzten Satz gehört hat.

„Für das Badzeugs“, erklärt Rocksteady.

Bebop grinst nur und wuschelt Shredder im Vorbeigehen durch die Haare. Bevor dessen Fäustchen ihn treffen kann, steht er schon an der Küchenzeile und beginnt, in den Schränken zu kramen.

„Keine Ursache“, erklärt er dabei. „Hab ich doch gern gemacht. Ich stamme aus einer großen Familie und damit meine ich eine wirklich große Familie. Ich weiß, was Knirpse so brauchen.“ Und dann fällt ihm noch etwas ein. Er hält damit inne, Brei zuzubereiten, dreht sich zum Tisch um und deutet mit dem Löffel auf ihr Mini-Chefchen.

„Wichtige Regel: du bist nicht allein, wenn du baden willst, klaro?“

„Ich denke ni-“ beginnt Shredder mit blitzenden Augen, doch Bebop unterbricht ihn sofort.

„Grundregel: Sicherheit geht vor. Hätt' uns grade noch gefehlt, wenn du in unserer Badewanne ertrinkst.“ Sein Tonfall lässt keinen Widerspruch gelten.

„Und … und wenn ihr vor der Tür wartet und ich ständig mit euch rede?“ versucht Shredder geradezu verzweifelt zu verhandeln. Ehrlich, das ganze ist schon schlimm genug, können sie ihm nicht wenigstens einen Teil seiner Würde zugestehen?

Es folgt eine wirklich zähe Verhandlung, die ganze fünf Minuten dauert. Letztendlich einigen sie sich auf einen Kompromiss: sie dürfen dabei sein, aber sie drehen sich um, bis er im Wasser sitzt, und das ganze genauso, sobald er die Wanne verlässt. Es ist keine Lösung nach Shredders Geschmack. Er ist enttäuscht und wütend und verletzt und fühlt sich absolut gedemütigt und hätte am liebsten wieder geheult. Und er hasst seinen Körper, besonders sein Gehirn dafür, dass es anscheinend so unreif ist, dass Tränen als einzige Alternative erscheinen.

Doch er reißt sich zusammen und heult nicht und lenkt sich lieber mit dem Brei ab, den ihm Bebop gekocht hat. Das Zeug schmeckt hauptsächlich nach Milch und ein kleines bisschen nach der Banane, die Bebop mit reingemanscht hat, und er hätte viel lieber ein saftiges Steak (nein, einen Schweinebraten!), aber mit sechs Zähnchen wird er vorerst wohl mit Brei vorlieb nehmen müssen.

„Ah, hier ist ja unser Saki-chan!“ Plötzlich steht Krang auf der Türschwelle.

Als er hört, wie ihn Krang wagt zu nennen, klingeln Shredder fast die Ohren. Wütend ballt er die Hände. Der Zorn muss ihm gewaltige Kräfte verleihen (für seine derzeitige Konstitution), denn mit einem lauten Geräusch zerbricht der Plastiklöffel in seiner rechten Hand.

„Nenn mich noch einmal so...“ droht er.

Doch Krang lacht nur. „Sonst was?“ unterbricht er ihn spöttisch. „Willst du wieder mit Dingen nach mir werfen? Soll mich das beeindrucken?“

Tatsächlich greift Shredder nach seinem fast leer gegessenen Teller, aber Bebop ist schneller. Mit einer einzigen fließenden Bewegung schiebt er besagten Teller außer Reichweite.

Seinem frustrierten Chefchen bleiben nur die Reste des Plastiklöffels zum Werfen – und genau das macht er dann auch.

Krang bricht in hämisches Gekicher aus, als das Wurfgeschoss um einen guten Meter sein Ziel verfehlt.

„Klappt wohl noch nicht so ganz mir der Hand-Augen-Koordination, was, Saki-chan?“ Doch unvermittelt wird er wieder ernst. „Halt still“, befiehlt er. Erst viel zu spät bemerkt Shredder, dass Krang einen Injektor in seinen Tentakeln hält. Ihm bleibt nur ein überraschtes Aufquieken, als Krang ihm das Teil in den Oberarm rammt.

Das Ganze dauert nicht länger als zwei Sekunden.

„Braver Junge“, erklärt Krang danach und tätschelt mit einem Tentakel Shredders Wange. Shredder ist immer noch so geschockt, dass er gar nicht daran denkt, Krang einen wohlverdienten Schwinger zu verpassen.

„Das war sehr tapfer“, lächelt Krang sehr zahnreich und bequemt sich dann zu einer Erklärung: „Das war nur eine Grundimmunisierung, keine Bange. Die Tatsache, dass du dich zu einem Kleinkind verjüngt hast, lässt darauf schließen, dass es mit deinem Immunsystem genauso aussieht. Und wir wollen ja nicht, dass du an Polio oder Masern oder sonstigen typischen Kinderkrankheiten erkrankst.“

„Hättest du ihn dafür nicht erst mal richtig untersuchen sollen, Krangchen?“ will Bebop mit gerunzelter Stirn wissen.

„Wozu?“ grinst Krang. „Falls er doch noch immun ist, schadet eine Auffrischung nicht.“

Shredder reibt sich nur den schmerzenden Oberarm und funkelt ihn finster an.

„Ich hasse dich“, deklariert er, rutscht von seinem Stuhl und stürmt an ihm vorbei aus der Tür.

 

 

Musste das sein? Bebop wirft Krang einen bitterbösen Blick zu und geht seinem Mini-Chefchen hinterher. Nicht hastig, nicht allzu schnell, dazu zwingt er sich, sonst erschreckt sich der Kleine noch, fällt hin und tut sich weh.

Dass Shredder es auch ganz gut alleine schafft, den Boden zu knutschen, stellt der Warzenschweinmutant nach der ersten Biegung fest. Wenigstens scheinen seine Ninja-Reflexe noch intakt zu sein, denn er schafft es, sich rechtzeitig mit den Händen abzustützen, so dass er nur auf den Knien landet.

Erleichtert aufatmend eilt Bebop an seine Seite.

„Hast du dir weh getan?“

Shredder zuckt erschrocken zusammen und funkelt ihn aus verdächtig feucht glänzenden Augen an.

„Geh weg! Lass mich in Ruhe!“

Okay, das führt zu nichts. Innerlich aufseufzend geht Bebop vor ihm in die Hocke. So ist er mit ihm fast auf Augenhöhe.

„Mach es dir und uns doch nicht so schwer. Wir geben alle unser Bestes. Sogar Krang. Auf seine Weise. Irgendwie jedenfalls. Das bleibt doch nicht für immer so. Und bis dahin lass uns das Beste daraus machen, okay?“

Shredder starrt ihn nur einen Moment lang an und schluckt dann schwer. Bebops Strenge verursacht ihm ein unangenehmes Gefühl in der Magengegend. Mit plötzlicher Deutlichkeit wird ihm bewusst, dass er es sich nicht leisten kann, wenn Krang oder Rocksteady oder Bebop sauer auf ihn werden. Sie sind viel größer und stärker als er!

„Entschuldige“, murmelt er daher kleinlaut.

Bebop lächelt nur und streichelt ihm mit einem großen Finger über die Wange. Shredders Miene verfinstert sich für einen klitzekleinen Moment, aber dann ringt er sich ein zaghaftes Lächeln ab.

„Du hast noch nicht aufgegessen“, erklärt Bebop sanft, während er sich wieder zu seiner vollen Größe aufrichtet. Dann streckt er Shredder vielsagend eine Hand entgegen. „Es gibt Erdbeeren zum Nachtisch.“

Zögernd legt Shredder seine kleine Hand in Bebops Pranke und lässt sich von ihm wieder aufhelfen.

„Ich mag Erdbeeren.“

Bebop schmunzelt. „Ja, ich weiß.“

 

 

Obwohl Bebop langsam geht, kann Shredder nur mühsam Schritt halten. Macht Bebop einen Schritt, braucht er vier. Und seine Hand versinkt fast in Bebops. Noch nie in seinem Leben (jedenfalls nicht in letzter Zeit), hat sich Shredder so klein und zerbrechlich und hilflos und ganz einfach nur schwach gefühlt wie jetzt.

Ein gewisses, instinktives Zurückschrecken, wenn er jemanden begegnet, der bedeutend größer ist als er (was zum Glück nicht oft vorkommt – jedenfalls war es bis heute so), ist er ja gewohnt, aber er konnte immer gut damit umgehen, Dank des Vertrauens, das er in sich und seine körperlichen Fähigkeiten setzte, aber jetzt ist von seinem muskelgestählten Körper nur noch der Verstand übriggeblieben. Aber selbst der kommt gegen Krangs 800-irgendwas-IQ nicht an.

Von daher meint er, als er an Bebops Hand die Küche wieder betritt und Krang dort immer noch steht, zu diesem, seinen Stolz hinunterschluckend:

„Bitte entschuldige mein Benehmen, Krang. Ich weiß, dass du es nur gut gemeint hast.“

In Krangs violetten Augen erwacht bei diesen Worten ein merkwürdiger Glanz, den sich Shredder wirklich nicht erklären kann (aber er ist unheimlich!). Und dann streckt Krang einen Tentakel nach ihm aus und tätschelt ihm damit den Kopf als wäre er ein gehorsames Haustier.

„Das nenne ich mal eine höfliche Entschuldigung. Das hast du schön gesagt, Saki-chan.“

Shredder ballt die freie Hand zur Faust, zwingt sich aber wieder zu einem Lächeln und lässt den verhassten Kosenamen jetzt einfach mal unkommentiert.

Und bereut es kurz darauf, denn als er artig am Tisch sitzt und Bebop ihm ein Schälchen frischer Erdbeeren zuschiebt, trällert dieser doch tatsächlich:

„Guten Appetit, Saki-chan.“

 

 

 

2. Kapitel

2. Kapitel

 

„Was machst du hier?“ Entsetzt starren die beiden Mutanten ihn an.

Shredder verschränkt die Arme vor der Brust und funkelt sie von unten her an.

„Was wohl? Ich beaufsichtige euch. Ich bin immer noch euer Chef.“

„A-aber“, stammelt Rocksteady, immer noch ganz fassungslos darüber, dass

a) sein Chefchen plötzlich aus dem Transportmodul kletterte und

b) über dessen Chuzpe, so etwas zu tun, als wäre dies sein gutes Recht.

„Das ist gefährlich!“

„Jetzt bin ich aber hier“, entgegnet der Fratz in Latzhose und T-Shirt nur und streckt ihm die Zunge heraus.

Was soll er auch sagen? Er kann ja schlecht zugeben, dass er nicht mit Krang alleine im Technodrome zurückbleiben wollte. Nie im Leben kann er ihnen gegenüber zugeben, dass er schlicht und einfach Angst hat. Angst vor Krang. Angst vor den hohen Wänden des Technodromes. Und Angst davor, allein zurück zu bleiben.

Natürlich weiß er, dass es keine besonders intelligente Idee war, sich einfach so ins Transportmodul zu schleichen und den blinden Passagier zu spielen – deshalb hat er doch auch beschlossen, sich jetzt, wo sie an der Oberfläche sind, zu erkennen zu geben.

Bebop und Rocksteady starren ihn immer noch fassungslos an und allmählich fühlt sich Shredder tatsächlich ein wenig … schuldig.

„Einer muss doch aufs Transportmodul aufpassen, während ihr unterwegs seid“, erklärt er, lässt sich auf den Rahmen der Einstiegsluke plumpsen und baumelt mit den Füßen.

Bebop und Rocksteady wechseln einen unsicheren Blick. Der Auftrag, den Krang ihnen gab, besteht in zweierlei: einmal sollen sie eine Probe des Wassers holen, dem ihr Chefchen seinen derzeitigen Zustand verdankt, und dann gilt es, das andere Transportmodul zurückzuholen, das sie das letzte Mal hier vergessen haben. Sie haben extra gewartet, bis Shredder schläft, bevor sie losfuhren, weil sie sicher waren, dass er mitkommen würde wollen … und jetzt das!

„Ich bin kein Kind“, schnauzt Shredder sie an. „Auch wenn ich zur Zeit so aussehe! Ich kann sehr gut auf mich alleine aufpassen! Und ich bin immer noch euer Chef! Also geht jetzt und beeilt euch! Je schneller ihr fertig seid, desto eher können wir wieder zurück!“

Seine beiden Mutanten, darauf konditioniert, diesem Tonfall zu gehorchen, ganz egal, ob dabei der gewohnte Bariton oder eine helle Kinderstimme genutzt wird, setzen sich tatsächlich in Bewegung.

Doch dann besinnt sich Rocksteady und dreht sich noch einmal zu ihm um:

„Warte hier auf uns. Wehe, du läufst weg, dann versohl ich dir den Hintern.“

„Yeah“, stimmt ihm Bebop zu. „Und dann gibt’s für dich eine ganze Woche keine Erdbeeren mehr.“

 

 

Keine Erdbeeren mehr. Ts.

In Erinnerung an diese Drohung verdreht Shredder nur die Augen. Glauben die wirklich, ihn damit irgendwie beeindrucken zu können? Pah.

Na ja, aber den Hintern will er sich nicht versohlen lassen... missmutig wischt er sich mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn und reibt sich den immer noch von der Impfung schmerzenden Oberarm, während er die Natur der Everglades um sich herum betrachtet. Ziemlich grün. Und ziemlich viele, blühende Pflanzen. Sie waren erst vor ein paar Stunden hier und da ist ihm das nicht aufgefallen. Dafür schämt er sich fast ein bisschen.

Aber er hatte einen Job zu erledigen, musste sich mit einem mutierten Alligator, den Punk-Fröschen und sogar den doofen Turtles herumschlagen – da bleibt nicht viel Zeit, die Wunder der Natur zu betrachten.

Da hinten wächst sogar eine Orchidee, und die würde er sich gerne ansehen, aber diese beiden Vollidioten haben leider recht: es ist hier gefährlich für jemanden, der so klein ist wie er.

Hoffentlich beeilen sie sich ein wenig, bevor er von den hier heimischen Moskitos noch aufgefressen wird. Fluchend zerdrückt er wieder eines dieser blutsaugenden Ungeziefer zwischen Daumen und Zeigefinger.

Dann fällt ihm ein, dass sie irgendwo im Transportmodul noch ein Mückenschutzmittel haben, also geht er es suchen. Fünf Minuten später sitzt er wieder an der Einstiegsluke, riecht furchtbar nach Citronella und Chemie und langweilt sich mit jeder Minute mehr.

Und Langeweile führt schnell zu Müdigkeit, so dass er sich schließlich einfach hinlegt und die Augen schließt.

Für ein paar Minuten wird das schon in Ordnung gehen, oder?

 

Er erwacht übergangslos, weil alle seine Sinne plötzlich laut und deutlich Gefahr! schreien. Instinktiv schießt er in die Höhe, und mit ihm seine Faust.

Er trifft auf etwas Hartes, doch das nimmt er nur unterbewusst wahr, denn das, was ihm seine Augen melden, genügt, um die letzten Reste des Schlafes aus ihm zu vertreiben und ihn in große Panik zu versetzen: Eine riesige Gestalt, graugrüne Schuppen, gelbe Augen und vor allem sehr, sehr spitze und große Zähne.

Renn weg! schreit sein Instinkt und genau das macht er dann auch.

Er rennt und rennt und rennt, hetzt über Gras, Moos, Flechten, Wurzeln und Farne und Orchideen hinweg, stolpert, rutscht einen kleinen Abhang hinunter, der ihn als Erwachsenen kaum aufgehalten hätte, aber mit knapp neunzig Zentimetern ist die ganze Welt riesig, aber er rappelt sich unverletzt wieder auf und flitzt weiter. Egal wohin, einfach nur vorwärts, immer tiefer und tiefer in den Wald hinein, wo die Pflanzen dicht und die Bäume hoch wachsen, wo das Tageslicht zur Dämmerung wird und die Luft etwas kühler.

Er hält erst inne, als er wirklich nicht mehr kann.

Sein Herz rast und vor seinen Augen tanzen dunkle Flecken, als er gegen eine große Wurzel eines noch viel größeren Baumes taumelt und sich daran abstützt, und er hört sich selbst ein Wort wimmern, das aus dem tiefsten Tiefen seiner Vergangenheit stammt: „Mama.“

Im gleichen Moment schämt er sich dafür. Er ist kein Baby, verdammt, das nach seiner Mama schreit. Zumal ihm diese vertraulich-kindliche und vor allem so westliche Anrede noch vor dem dritten Geburtstag abgewöhnt wurde. Von der „Mama“ höchstpersönlich. Und zwar ziemlich nachhaltig.

Er holt einmal tief Luft und schiebt diesen Gedanken entschieden zurück in die dunkle Ecke seines Hirns, aus der er stammt. Aber da sein Verstand augenscheinlich aus seinem kurzfristigen Urlaub zurückgekehrt ist, kann er gleich mal darüber nachdenken, wer oder was das war, das ihn so erschreckt hat.

Und je länger er darüber nachdenkt, desto mehr Einzelheiten fallen ihm wieder ein. Da wäre einmal dieser rote, auffällige Schlapphut und die Anglerweste. Dazu diese blaue Fischerhose.

Oh.

Oh.

Das war ja Leatherhead. Dieser Alligator-Mutant.

Kein Freund. Aber auch kein Feind. Aber immer noch ein Alligator. Mit spitzen Zähnen. Mit sehr vielen spitzen Zähnen.

Und er hat ihm einen Kinnhaken verpasst.

Oha.

Hoffentlich ist er jetzt nicht sauer auf ihn.

Aber wahrscheinlich hat er bei seiner dicken Haut den Schlag nicht einmal gespürt.

Im Gegensatz zu ihm. Nachdenklich betrachtet Shredder die aufgeschürften Knöchel seiner dumpf pochenden rechten Hand, seufzt einmal tief auf und beschließt dann, dass es Zeit wird, zurück zu gehen.

Und dann sieht er zum ersten Mal wirklich um und begreift, dass er sich verirrt hat, und ihm weicht alle Farbe aus dem Gesicht.

 

 

Ruhig und ungewöhnlich klar liegt der kleine Teich vor ihnen, und doch steckt in diesem Wasser eine ganz besondere Macht. An der er und Rocksteady nicht ganz unschuldig sind, immerhin haben sie das Mutagen hier verschüttet – und dafür haben sie ihren Anschiss sowohl von Shredder wie auch Krang schon gestern bekommen.

Bebop spürt die Wirkung des Wassers sofort, sobald er seine Hand mit der Phiole dort hineintaucht, um eine Wasserprobe zu entnehmen. Er fühlt sich plötzlich voller Energie, als wäre er auf einmal nur noch halb so alt. Als wäre er wieder ein Teenager.

Doch er weiß, die Wirkung verfliegt schnell bei Mutanten wie ihm.

Wenn dasselbe doch auch nur für Menschen gelten würde … andererseits – Saki ist ein entzückendes Kind. Frech und stur und immer noch sehr herrisch, aber dennoch einfach nur entzückend.

Er seufzt einmal leise auf, verkorkt die Phiole und lässt sie in seiner Gürteltasche verschwinden.

Rocksteady winkt ihm von der anderen Seite des Teiches zu und gibt ihm mit Gesten zu verstehen, dass er nun zurückgehen wird.

Bebop winkt ihm nur hinterher und macht sich daran, noch zwei Phiolen zu füllen.

Er verstaut gerade die letzte, da piepst sein Kommunikator.

„Bebop“, funkelt ihn Krang vom kleinen Bildschirm aus an. „Seid ihr bald fertig? Ihr müsst zurückkommen und mir beim Suchen helfen. Ich kann unseren Saki-chan nirgends finden.“

„Ah, sorry“, erwidert Bebop zerknirscht, „unsere Schuld. Wir hätten es dir sofort sagen müssen. Sorry. Er ist bei uns. Hat sich einfach ins Transportmodul geschlichen. Sorry.“

Krangs violette Augen verengen sich ungnädig und der bekommt noch mehr Falten als sonst. „Dieser Strolch! Der kann was erleben, wenn er zurückkommt. Der bekommt ja sowas von Hausarrest!“

 

 

Leise vor sich hinknurrend, beugt sich Leatherhead noch tiefer ins Innere des Transportmoduls, auf der Suche nach irgend etwas Verwertbaren. Sogar ein Schinkenbrötchen wäre ihm recht. Er hat nicht wirklich Hunger, aber mit leeren Händen abzuziehen, das verträgt sich nicht mit seinem Stolz. Er ist so auf seine Plünderei konzentriert, dass er gar nicht auf seine Umgebung achtet – wozu auch? Als Alligator steht er hier ganz oben in der Nahrungskette.

Ein heftiger Stoß in die Seite lässt ihn zurücktaumeln. Heißer, stechender Schmerz durchpulst seine Rippen. Nach Luft schnappend wirbelt er herum und sieht sich einem höchst angepissten Nashorn gegenüber.

„Was hast du mit Saki gemacht?“ Das Rhino wartet die Antwort gar nicht erst ab, senkt nur den Kopf und rammt ihm sein Horn wieder in den Leib.

„Urgh.“ Ächzend geht Leatherhead zu Boden.

„Hey Kumpel“, mit dem Unterarm wehrt er den nächsten Stoß ab, rappelt sich dann auf und weicht sicherheitshalber ein paar Schritte zurück, wo er erst einmal seine bevorzugte Boxer-Abwehrhaltung einnimmt. „Nun mal langsam, ja?“

„Was hast du mit Saki gemacht?“ wiederholt das Rhino – Rocksteady, erinnert er sich – und ruft dann ins Innere des Transportmoduls: „Saki? Bist du da drin?“

„Meinst du den laufenden Meter?“ Leatherhead erinnert sich wieder, und als ihn dieser wahrhaft mörderische Blick aus goldenen Augen trifft, erklärt er hastig und hebt in einer universellen Geste die Hände: „Ich hab ihm nichts getan, ehrlich. Ich fresse keine Kinder. Na ja, zumindest keine Menschenkinder.“

„Du bist ein Alligator!“

„Immer diese Vorurteile. Menschenfleisch schmeckt mir nicht, okay? Hat es noch nie und wird es auch nie. Dafür müsste es erst mal gut riechen, und glaub mir, das tut es nicht. Die Rotzgöre ist abgehauen. Hat mir eine reingesemmelt und sich verdünnisiert. Ich hab ihm echt nichts getan!“

Als er das mit dem „reinsemmeln“ hört, zuckt ein kleines, stolzes Grinsen um Rocksteadys Mundwinkel.

„In welche Richtung ist er?“ verlangt er dann scharf zu wissen.

Leatherhead zeigt es ihm bereitwillig, und als das Rhino in die angegebene Richtung davonstürmt, zögert der Alligator kurz, entscheidet sich dann aber, dass Samaritertum nichts für ihn ist und verdünnisiert sich geflissentlich.

Sollte ihm die Rotzgöre trotzdem noch über den Weg laufen, bringt er ihn natürlich hierher zurück.

Aber nur wenn und falls.

 

 

„Saaaaakiii! Saaakii!“

Bebop kann nicht verhindern, dass seine Stimme langsam zu zittern beginnt.

Er versucht, trotz allem ruhig und sachlich zu bleiben, aber je mehr Zeit vergeht, desto eisiger wird die Hand, die sein Herz umklammert. Er weiß, er bewegt sich am Rande einer Panik, und er weiß auch, dass es Rocksteady genauso ergeht.

Er hört ihn nicht unweit von sich selber rufen:

„Saki! Shredder!“ und dann wieder: „Saki-chan!“

Bebop holt tief Luft und versucht es weiter.

„Saki!“

Er ruft nicht nach „Shredder“, nicht wie Rocksteady, der immer wieder zwischen beiden Namen wechselt, denn Shredder, das ist ein über einsachtzig großer, temperamentvoller Japaner mit einem muskelgestählten Körper, ein Kampfsportler durch und durch, ein Mann, der sehr gut auf sich selbst aufpassen kann. Er weigert sich, ihren geschrumpften Shredder als etwas anderes als Saki zu sehen. Und wer nennt ein so süßes Kind schon „Shredder“?

„Saki? Wo bist du nur?“ wiederholt er leise, ballt die Fäuste und versucht, ganz ruhig zu bleiben, der Furcht nicht nachzugeben. Es fällt ihm unglaublich schwer. Saki ist nicht dumm, er hätte sich schon längst gemeldet, wenn er sie hören könnte.

Ihm muss etwas passiert sein.

Ungebeten gaukelt ihm seine Fantasie sämtliche möglichen und unmöglichen Schreckensszenarien vor: Saki, gefangen im Treibsand. Verletzt und blutend. Sein kleiner Körper, niedergestreckt wie eine zerbrochene Puppe, treibend im Wasser oder versteckt unter Farnen. Angefallen von einem wilden Tier. Von einem Puma. Oder einer Tigerpython, einem Krokodil oder einem Alligator. Von irgend einem Loch verschlungen. Gekidnappt von einem dieser irren Bajou-Bewohnern.

Und er stellt sich vor, wie dieser nach ihnen um Hilfe ruft und sie können ihn nicht erreichen.

Oh nein.

Nein, so darf er nicht denken.

Entschlossen schluckt er den Kloß in seiner Kehle herunter, legt wieder die Hände als Trichter um seine Schweineschnauze und ruft, mit neu erwachter Entschlossenheit:

„Saki! Saki! Wo bist du? Saki!“

Vor ihm raschelt es plötzlich, unbewusst hält er den Atem an und Hoffnung flackert in ihm hoch, erstirbt jedoch sofort, als er erkennt, wer dort aus dem Gebüsch tritt.

„Oh, hallo, Attila“, grüßt er niedergeschlagen.

„Hallo“, erwidert der Anführer der Punk-Frösche zögernd und mustert ihn neugierig. Sie sind keine Freunde, und normalerweise würde er ihm nach allem, was heute passiert ist, aus dem Wege gehen, aber Bebop sucht ganz offensichtlich jemanden, und Attila ist niemand, der seine Hilfe verweigert, sei sie auch ungefragt. „Wen suchst du? Können wir dir helfen?“

Hinter ihm schält sich jetzt auch Rasputin aus dem Schatten des Dickichts hervor. Er sagt nichts, zeigt aber ein kleines, freundliches Lächeln.

Bebop fragt sich kurz, ob seine Verzweiflung so offensichtlich ist, dass diese beiden nicht einmal daran denken, auch nur sicherheitshalber ihre Waffen auf ihn anzulegen. Wäre die Situation nicht so ernst, wäre es zum Lachen.

„Ja“, gibt er zu, denn sie können jede Hilfe gebrauchen und immerhin kennen sich die Frösche hier aus, sie sind hier geboren. „Saki. Er ist ungefähr so groß“, Bebop deutet die entsprechende Größe an, „und Japaner. Er trägt ein rotes T-Shirt, darüber eine blaue Jacke, blaue Latzhose und weiße Schuhchen. Ein Kind, ungefähr zwei Jahre alt“, fügt er dann nicht ganz wahrheitsgetreu hinzu, aber die Frösche waren dabei, als Shredder schrumpfte, sie sollten also wissen, wen er meint.

Tatsächlich weiten sich Attilas Augen überrascht. „Er ist immer noch ein Kind? Dieser Verjüngungszauber hielt bei uns nur eine Stunde.“

Dass sie es immer noch „Zauber“ nennen, amüsiert Bebop ein klein wenig, und unter normalen Umständen hätte er jetzt ein spöttisches Kommentar vom Stapel gelassen. Nur sind das keine normalen Umstände.

„Wir wissen nicht, wie lange er in diesem Zustand bleibt“, gibt er zu.

„Das ist keine sichere Gegend für kleine Kinder“, erklärt Rasputin und wirft einem besorgten Blick gen Himmel. „Schon gar nicht, wo bald die Nacht hereinbricht.“

„Natürlich helfen wir euch“, verspricht Attila. Plötzlich piepst der Kommunikator an seinem Gürtel.

„Das sind Dschingis und Napoleon“, erklärt er aufgeräumt, während er das kleine Gerät hervor nestelt und aufklappt. „Sie haben Rocksteady bestimmt dasselbe versprochen wie ich eben dir.“

Bebop nickt nur. Da nur zwei der vier hier vor ihm stehen, war zu erwarten, dass die anderen beiden bei Rocksteady sind und natürlich haben sie ihm ebenso ihre Hilfe angeboten.

Bebop fühlt so etwas wie eine gewisse Erleichterung und sogar ein kleines bisschen Hoffnung. Ihre Chancen, Saki-chan zu finden sind soeben gestiegen.

Lass es bitte nicht schon zu spät sein!

 

 

„Was wollt ihr überhaupt wieder hier?“ fragt Dschingis, während er mit einer Armlänge Abstand neben Rocksteady durch den Mangrovenwald geht.

Rocksteady verdreht kurz die Augen. War ja logisch, dass diese Frage irgendwann kommen musste. Er wundert sich nur, dass der Frosch seine Neugier so lange zügeln konnte. Immerhin stolpern sie schon seit einer halben Stunde gemeinsam durch diese Gegend.

Besorgt mustert er das bisschen an Himmel, was man durch die Bäume sehen kann. Bildet er sich das ein, oder wird es tatsächlich mit jeder Minute dunkler? Hoffentlich gibt es keinen Regen. Schlimm genug, dass die Nacht hereinbricht, aber auch noch Regen...? Er seufzt einmal tief auf und erinnert sich wieder, dass ihm eine Frage gestellt wurde.

„Krang wollte eine Probe des Wassers, damit er sie genauer untersuchen kann. Er hofft dadurch etwas zu finden, was Saki wieder groß macht. Und außerdem sollten wir das Transportmodul zurückholen, das wir hier vergessen haben.“

„Hm-hm“, brummt der Frosch nur und ruft dann wieder nach ihrem Ausreißer, das Rhino immer heimlich im Blick.

Dessen zunehmend hoffnungslosere Körpersprache macht ihm Sorgen. Zuerst zweifelte er ja daran, aber die Idee Attilas, dass nur zwei von ihnen alleine losziehen und von den restlichen beiden jeweils einer Shredders Gehilfen begleitet, um ihnen moralisch zur Seite zu stehen, war sehr weise und vorausschauend.

Rocksteady ruft immer seltener nach Saki, und das liegt bestimmt nicht nur an seiner zunehmend heiser werdenden Stimme. Nein, Dschingis hat das unangenehme Gefühl, dass Rocksteady langsam aber sicher die Hoffnung verliert.

„Er mag ja ein Kind sein, aber er ist schlau“, versucht er ihn aufzumuntern. „Es ist ihm bestimmt nichts passiert. Hey - er hat Leatherhead eine gewischt! Das hast du jedenfalls so erzählt. Stimmt doch, oder?“

„Ja, das stimmt.“ Die Erinnerung daran heitert Rocksteady kurzfristig auf. Doch dann fällt seine Miene wieder in sich zusammen, und er schüttelt betrübt den Kopf. „Wir hätten ihn zurück ins Technodrome bringen sollen, als wir die Gelegenheit dazu hatten.“

„Hey“, zaghaft streckt Dschingis den Arm aus und berührt ihn an der Schulter. „Wir finden ihn, okay?“

„Hoffentlich ist es dann nicht schon zu spät“, murmelt Rocksteady nur.

Dschingis drückt nur aufmunternd seine Schulter und nimmt seine Hand dann wieder fort.

„Sobald wir ihn finden, lege ich ihn übers Knie“, erklärt er grimmig. „Für die ganzen Sorgen, die er uns macht.“

„Da musst du dich hinten anstellen“, schmunzelt Rocksteady nur müde. Doch wenigstens schmunzelt er.

Sekundenlang sehen sie sich nur stumm in die Augen, dann legen sie beide beinahe synchron wieder ihre Hände als Trichter vor den Mund und rufen so laut sie können den Namen ihres Vermissten.

Doch nur die üblichen Geräusche der Everglades antworten ihnen.

 

 

3. Kapitel

 

3. Kapitel

 

Ungeduldig geht Krang in der Kommandozentrale des Technodromes auf und ab. Besäße er einen Körper aus Fleisch und Blut, hätte er schon längst schmerzende Füße und Muskelkater, so lange zieht er hier schon seine Kreise. Er kann es nicht ändern. Er hasst es, aber er kann einfach nicht aus seiner Haut.

Er macht sich so furchtbare Sorgen, dass es fast schon an Lächerlichkeit grenzt.

Denn da gibt es keinen Plan, keinen Etappensieg, den es zu erringen gilt, nichts, was mit seinem großen Meisterplan, der Eroberung der Welt, irgendwie in Zusammenhang steht. Nichts, was diese Reaktion wert wäre! Er kann es nicht einmal damit rechtfertigen, dass er sich um seine Mitstreiter sorgt, denn Mitstreiter sind ersetzbar. Er findet immer und überall jemanden wie Shredder. Und er findet erst recht noch viel fähigere Köpfe als Bebop und Rocksteady. Und doch … und doch ist ihm ganz schlecht vor Sorge.

Und das ist wirklich erstaunlich, immerhin besitzt er keinen Körper, dem schlecht werden könnte!

Immer wieder schweift sein Blick hinüber zur Funkkonsole, und jedes Mal, wenn er sich dabei ertappt, wird er wieder sauer auf sich selbst. Als ob sie sich dadurch schneller melden würden! Er benimmt sich so irrational, das ist so würdelos, so beschämend!

Aber … das letzte Mal, als sie mit ihm in Kontakt standen, da erklärte ihm Rocksteady mit bemüht ruhiger Stimme, dass sie Saki-chan vermissen und ihn suchen und erst zurückkämen, sobald sie ihn gefunden hätten.

Und er … er hockt hier unten herum, zur Untätigkeit verdammt und wird mit jeder verstreichenden Minute nervöser. Und er hasst sich dafür. Wie konnte das passieren? Wie konnte er so leichtsinnig sein und zulassen, dass ihm diese Idioten tatsächlich ans nicht existente Herz wachsen?

Es liegt nur daran, dass Shredder zu einem KIND geschrumpft ist, versucht er sich selbst zu beruhigen. Und nicht einmal ICH bringe es fertig, einem Kind etwas zuleide zu tun. Nur DUMME Usurpatoren sind so grausam.

Trotzdem – entschlossen ballt er einen seiner Tentakel – Saki-chan wird sein Quartier erst wieder verlassen, wenn er wieder groß ist.

 

 

Missmutig schüttelt sich der große, mutierte Frosch den Matsch von den Turnschuhen. Kurz überlegt er, ob er vielleicht besser barfuß gehen sollte, verwirft diese Idee aber schnell wieder. Es wird bald dunkel, und spätestens dann kann man seine Hand vor Augen nicht mehr erkennen, geschweige denn irgendwelche Äste oder Steine oder Dornen, die man sich hier eintreten kann.

„Saki?“ ruft er ohne allzu große Hoffnung. Er glaubt nicht, dass er den Kleinen hier findet, denn dann müsste Saki wirklich sehr schnell sehr weit und vor allem sehr konsequent in die falsche Richtung gegangen sein. Trotzdem sucht Rasputin weiter. So lange, bis er oder einer der anderen ihn gefunden hat. Alles andere könnte er sich nie verzeihen.

„Saki?“

„Hier...“

Beinahe hätte er dieses feine, zarte Stimmchen überhört. Aber – vielleicht hat er es sich auch nur eingebildet?

„Saki?“ ruft er abermals und hält dann den Atem an, den Kopf lauschend zur Seite geneigt.

„Rasputiiiin.“

Links von ihm raschelt es plötzlich im Gebüsch. Ein kleiner, dunkler Schatten huscht daraus hervor und dann umklammern erstaunlich kräftige Ärmchen seine Knie und ein blasses Gesichtchen mit großen, dunklen Augen reckt sich zu ihm empor.

Selbst bei diesen immer schlechter werdenden Lichtverhältnissen kann Rasputin die getrockneten Tränenspuren auf Sakis Wangen erkennen. Kommentarlos beugt er sich zu ihm herab, nimmt ihn auf den Arm und drückt ihn fest an sich.

„Geht's dir gut? Bist du unverletzt?“

Der Kleine schlingt seine Arme so fest um Rasputins Nacken, dass diesem fast die Luft wegbleibt und nickt wortlos. Er zittert am ganzen Leib. Rasputin weiß nicht, ob das an der Angst oder der Kälte liegt, aber ausgekühlt scheint dieser kleine Körper nicht zu sein, denn er strahlt so viel Wärme ab wie eine kleine Heizsonne.

Warmblüter, lächelt der Punk-Frosch bei sich.

„Was dagegen, wenn ich mal schnell melde, dass ich dich gefunden habe?“ fragt er, während er ihn vorsichtig auf einem Arm balanciert und mit der anderen Hand nach seinem Kommunikator fischt. Saki schüttelt wieder nur den Kopf und vergräbt sein Gesicht in Rasputins Halsbeuge. In seinen hektischen Atemzügen zittern viele geweinte und ungeweinte Tränen, und wahrscheinlich ist er deswegen so still: weil er seiner eigenen Stimme noch nicht traut. Vielleicht befürchtet er aber auch, Rasputin würde sich über ihn lustig machen?

Rasputin beschließt, ihn nicht zu drängen. Oder gar mit ihm zu schimpfen – ganz egal, wie gerne er das auch täte. Ihnen allen so große Sorgen zu bereiten!

Schnell meldet er seinem Anführer Attila, dass er ihren Ausreißer gefunden hat, und dieser verspricht, die frohe Botschaft weiterzuleiten. Rasputin beendet das Gespräch schnell, denn im Hintergrund kann er Bebops Stimme hören, und das hätte ihm noch gefehlt, dass der den Kleinen jetzt mit Vorwürfen überhäuft. Saki-chan ist schon verstört genug.

Der Rückweg erweist sich wegen des abnehmenden Tageslichtes immer schwieriger. Obwohl Rasputin zu einer dämmerungsaktiven Spezies gehört, ist seine Nachtsicht nur geringfügig besser als die der Menschen – er ist schließlich keine Katze, verdammt! Und nachdem ein tiefhängender Ast den Jungen auf seinem Arm beinahe erwischt hätte, bugsiert er das Federgewicht auf seinem breiten Rücken und nimmt ihn ab sofort huckepack.

„Danke“, murmelt Saki. Es ist das erste Wort, das er spricht, seit er Rasputins Knie umklammert hat.

„Kein Problem“, grinst der Frosch vergnügt.

„Nein, wirklich“, beteuert Saki. „Vielen Dank.“

„Du hättest doch genauso gehandelt.“

Auf seinem Rücken ist es sekundenlang still.

„Ich weiß es nicht“, kommt es dann zögerlich zurück.

Rasputin versucht, einen Blick über seine Schulter hinweg nach hinten zu werfen, aber der Junge ist zu klein, alles, was er sehen kann, ist ein schwarzer Haarschopf. Außerdem presst Saki sein Gesicht sehr nachdrücklich gegen Rasputins Schulterblätter.

„Du würdest ein Baby allein im Sumpf zurücklassen?“

„Ich bin kein Baby!“

„Dann eben ein Kleinkind. - Und? Würdest du?“

Stille.

„Nein“, murmelt Saki nach einer Weile schließlich widerwillig. „Ich glaube nicht.“

„Ich auch nicht“, bekräftigt Rasputin in entschiedenem Tonfall. Schließlich wurden er und seine Freunde von Shredder ausgebildet, und dabei ging es zwar hauptsächlich, aber eben nicht nur, ums Kämpfen. Vielleicht war sich Shredder dessen nicht bewusst, aber in all seinen Lektionen hat er ihnen immer einen gewissen moralischen Grundkodex vermittelt, etwas, woran er sich selbst auch stets hält. Sonst würde er nicht so oft gegen die Turtles verlieren.

„In etwa vierzig Minuten sind wir bei den anderen“, wechselt er das Thema. „Rocksteady und Bebop werden sich furchtbar freuen, dich zu sehen.“

„Sind sie sehr böse auf mich?“ kommt es leise, fast zaghaft zurück.

„Wenn, dann nur, weil sie sich so große Sorgen um dich machen.“

Zuerst sagt Saki nichts darauf, doch dann seufzt er leise. „Ich bin hingefallen. Meine neue Hose hat ein Loch. Das wird ihnen gar nicht gefallen.“

„Sie werden es verstehen“, tröstet ihn Rasputin geduldig. „Hauptsache, dir ist nichts passiert.“

Saki gibt nur ein unverständliches Gebrabbel von sich und gähnt dann einmal vernehmlich.

„Es dauert nicht mehr lange“, versichert ihm Rasputin belustigt. „Wir sind bald da, und dann bist du auch schnell wieder Zuhause.“

„Zuhause“, wiederholt Saki leise und lacht einmal kurz und überraschend bitter auf. Irritiert runzelt Rasputin die Stirn. Es ist nicht so, dass er dieses Geräusch nicht kennt, nur erschien es ihm niemals so finster.

„Das Technodrome ist tatsächlich mein Zuhause. Das ist irgendwie voll krank, oder? Das Ding ist riesig und dunkel und unpersönlich und es macht mir eine Scheißangst, weil es so groß ist, aber trotzdem habe ich mir in den letzten Stunden so sehr gewünscht, ich wäre da. Mein Zuhause. Mit Krang als Oberaufseher. Wie kann ich das als Zuhause betrachten? Das ist doch absolut krank.“

„Nun, ich finde das sehr verständlich“, beruhigend tätschelt Rasputin eine der kleinen Händchen, die sich an seinen Schultern festklammern, „man ist immer da Zuhause, wo die Familie ist.“

„Ich sagte doch: das ist total und absolut krank.“

Rasputin grinst nur. „Was ist daran krank? Ich weiß nicht, wie das mit Krang ist, aber ich weiß, wie sehr du Rocksteady und Bebop magst und die beiden mögen dich auch.“

Als Saki daraufhin nichts antwortet, fährt er unbeirrt fort, und er ist so froh, sich das endlich einmal von der Seele reden zu können:

„Erinnerst du dich noch, wie eifersüchtig sie waren, als du uns trainiert hast? Ob wir wollten oder nicht, wir standen ständig mit ihnen in Konkurrenz um deine Gunst. Und doch standen sie bei dir immer an erster Stelle. Das war eindeutig. Jeder von uns hat es gesehen. Nur sie nicht.“

Oh ja, Rasputin erinnert sich noch daran, als sei es erst gestern gewesen und nicht schon ein halbes Jahr her. Und auch der kleine Stich in seiner Herzgegend ist noch derselbe. Rivalitätsdenken in dieser Form war ihm und seinen Freunden bis zu diesem Tage fremd, und sie standen diesen Gefühlen sehr hilflos gegenüber. Letztendlich reagierten sie, indem sie sich noch mehr anstrengten, lechzend nach einem Lob von ihrem Sensei Shredder.

Und bis heute verehren sie ihn. Heimlich. Niemand darf das wissen, schon gar nicht die Turtles oder Splinter. Sie würden es nicht verstehen.

Aber - Shredder war der erste, der sie nicht wie Monster behandelte!

Auch wenn er sie manipuliert und für seine eigenen Zwecke ausgenutzt hat, so war er doch immer freundlich zu ihnen.

Er hat ihnen Namen gegeben.

Er gab ihnen eine Identität, brachte ihnen Worte und Zahlen bei und behandelte sie als die Individuen, die sie waren und immer noch sind.

Und das bedeutet Rasputin sehr viel, und er weiß, dass dasselbe auch für Attila, Dschingis und Napoleon gilt.

„Die beiden Idioten haben nur keinen Ort, wo sie sonst hingehen sollen“ grummelt Saki auf seinem Rücken. „Das bedeutet noch lange nicht, dass sie mich mögen. Aber das macht nichts, ich mag sie nämlich auch nicht.“

Rasputin verbeißt sich ein Lachen. „Bist du dir da wirklich ganz, ganz sicher?“

„Klar. Niemand mag mich.“

„Doch. Ich mag dich.“

„Du bist ein wirklich dummer, dummer Frosch.“

Doch Rasputin schmunzelt nur nachsichtig und nimmt die Beleidigung kommentarlos hin, denn er spürt, wie Saki seine Wange gegen seinen Rücken reibt, und er spürt auch, wie es an dieser Stelle plötzlich feucht wird. Und dann hört er dieses leise Schniefen und tut so, als wäre alles, was er hört, die nächtlichen Geräusche der Everglades um sie herum.

 

 

Im gelblichen Licht von einem Dutzend in die Erde getriebenen Leuchtstäben stehen sie in der Nähe des Transportmoduls, dort, wo sie Saki zuletzt gesehen haben, und das Warten zehrt an ihren Nerven. Die drei Punk-Frösche hocken in der Nähe im Gras oder auf einem umgestürzten Baumstumpf und sind wesentlich gelassener. Sie lassen sie nicht aus den Augen, und so ungern sie es zugeben wollen – diese Anteilnahme tut genauso gut wie ihre Freundlichkeit, die sie ihnen gegenüber bisher gezeigt haben.

Bebop wagt es kaum zu atmen. Unablässig mit den Händen wringend, starrt er auf jenen Teil des Dickichts, aus dem Rasputin jeden Moment kommen sollte. Zusammen mit Saki-chan.

Obwohl ihr Saki-chan unverletzt sein soll, kann Bebop nicht umhin, sich immer noch Sorgen zu machen. Er wird nicht zufrieden sein, bis er sich mit eigenen Augen davon überzeugt hat und den Kleinen wieder in seinen Armen hält.

„Hey.“ Rocksteady hat dieses Elend lange genug mitangesehen. Sanft legt er seine Hände um Bebops und zwingt sie dadurch, endlich stillzuhalten. „Es wird alles gut.“

Er lehnt sich etwas nach vorne, bis seine Nüstern Bebops Wange berühren und verharrt dann in dieser Position.

Bebop holt einmal tief und zitternd Atem und lehnt sich dankbar in diese Berührung hinein.

„Ich weiß nicht, was ich tun werde“, murmelt er hilflos. „Ich weiß, es ist nicht seine Schuld, aber … oh Gott, Rock, bitte, halt mich zurück, ja? Ich will ihm nicht wehtun, aber ich bin so wütend... er hätte gar nicht erst mitkommen dürfen. Und dann rennt er auch noch in die total falsche Richtung.“

„Alles wird gut“, wiederholt Rocksteady nur, während er ihre Finger miteinander verschränkt.

Und dann knackt und raschelt es im Gebüsch und eine unförmige Gestalt schält sich aus der Dunkelheit und hat kaum den Lichtkreis betreten, da stürzt sich Bebop auch schon auf ihn.

„Saki-chan!“

Er reißt ihn regelrecht aus Rasputins Armen, um ihn dann ganz fest an sich zu drücken.

„Saki. Sakisakisaki...“ Er wiederholt seinen Namen immer wieder und wieder, wie ein Mantra. Eigentlich will er so viel mehr sagen, doch das ist alles, was er hervorbringt.

Er drückt ihn an sich, spürt die Wärme dieses kleinen Körpers, spürt, wie er atmet und zieht seinen Geruch tief in seine empfindliche Nase. Saki riecht nach Erde und Wasser wie alles hier, aber auch schwach nach Citronella und Salz, und Bebop hat nie etwas Schöneres gerochen.

„Bebop...“ aufschluchzend schlingt Saki seine Arme um Bebops Nacken und schmiegt sich überglücklich an ihn. Auch er atmet Bebops vertrauten Geruch tief in seine Lungen, und obwohl Bebops Umklammerung – denn nichts anderes ist es – allmählich unbequem wird, gibt es für ihn im Moment nichts Schöneres. Außer vielleicht...

„Hey, kleiner Fratz.“ Rocksteady ist heran und zieht sie beide an seine breite Brust.

Saki nimmt einen Arm von Bebops Hals und legt ihn stattdessen um Rocksteadys Nacken, hebt seinen Kopf aus Bebops Weste und drückt seine Nase nun in Rocksteadys gelbes T-Shirt.

„Es tut mir leid.“ All die Angst und Panik der letzten Stunden, die Einsamkeit, entladen sich in den Tränen, die nun unkontrolliert aus seinen Augen schießen. „Ich wollte das nicht. Es tut mir leid.“

„Schsch, alles okay...“

Aber so sehr die beiden auch versuchen, ihn zu beruhigen, will es ihnen nicht gelingen. Es ist, als wäre ein Damm gebrochen und Saki hörte nicht eher auf zu weinen, bis das ganze Meer dahinter ausgelaufen ist.

Mit unerwarteter Inbrunst schluchzt der Kleine abwechselnd mal in Rocksteadys und mal in Bebops Shirt, und er versucht immer wieder etwas zu sagen. Irgendwann bringt er es doch stockend und mit brechender Stimme hervor:

„Es tut mir so … so leid. Meine Hose … ich bin hingefallen... jetzt ist sie kaputt... es tut mir leid....“

„Was interessiert uns deine Hose?“ lacht Bebop auf, und es klingt erleichtert und hysterisch zugleich. „Fuck off diese blöde Hose!“

„Wir klauen dir eine neue“, schmunzelt Rocksteady, gibt Saki einen Kuss auf die Stirn und drückt ihn und Bebop wieder etwas fester an sich. „Hauptsache, dir ist nichts passiert.“

Überraschenderweise bringt das Saki nur noch heftiger zum Weinen.

Es dauert ein paar Minuten, bis die letzten Tränen versiegt sind, und bis dahin hat er sich so hart daran verschluckt, dass er einen Schluckauf bekommt.

Plötzlich fällt Rocksteady etwas auf.

„Oh, verdammt...“ fluchend legt er seine Hand auf Sakis Stirn und mustert ihn prüfend. „Du bist zu warm. Bist du sicher, dass es dir gut geht?“

Sakis Augen sind groß und fragend. An seinen Wimpern hängen noch ein paar Tränen und seine Wangen sind nass und rot. Aber jetzt fragt sich Rocksteady, ob diese Farbe nicht einen anderen Grund hat.

„Warm?“ beunruhigt berührt Bebop mit seiner empfindlichen Schweineschnauze Sakis Stirn. Dieser zuckt kurz zusammen und zieht seinen Kopf weg.

„Das ist – hicks - kalt“, beschwert er sich, und meint dann im selben Atemzug an Rocksteady gewandt: „Ich bin okay.“

„Du hast Fieber!“ widerspricht ihm Bebop und funkelt dann den nur ein paar Schritte entfernt stehenden Rasputin anklagend an. „Du hast gesagt, er sei in Ordnung!“

Betreten zuckt Rasputin mit den Schultern. „Mir ist nichts aufgefallen. Ehrlich.“ Doch dann erinnert er sich, was er dachte, als er den Kleinen zum ersten Mal auf den Arm nahm. „Ich bin ein Kaltblüter, für mich sind alle Warmblüter kleine Sonnen. Ich erkenne den Unterschied nicht, wenn ihr krank werdet.“ Woher auch? Er und die anderen Punk-Frösche haben so gut wie keinen Kontakt zu Säugetieren.

„Nicht – hicks - schimpfen, Bebop“, bittet Saki, immer noch hicksend, greift nach Bebops Nasenring und zupft daran. Normalerweise packt er ihn und Rocksteady immer an den Ohren, um sie zurechtzuweisen, aber das ist jetzt nicht in greifbarer Nähe. Der Nasenring schon. „Das ist bestimmt nur – hicks – weil ich zahne. Hicks. Guck.“ Er öffnet weit den Mund und führt Bebops Finger in seinen Mund, damit dieser selbst ertasten kann, wie geschwollen sein Zahnfleisch ist. „Mir – hicks - geht’s gut, ehrlich.“

Bebop ist nicht wirklich überzeugt, aber er hört auf, Rasputin mit seinen Blicken zu erdolchen. Er entschuldigt sich sogar bei ihm – wenn auch erst nachdem Saki noch einmal vorwurfsvoll an seinem Nasenring gezogen hat.

„War nicht so gemeint. Ich bin dir ja dankbar, dass du ihn gefunden hast.“

Rasputin winkt nur lächelnd ab.

„Ja, danke! Du bist mein Held!“ strahlt Saki ihn an.

Und er meint das todernst. Doch der feierliche Ausdruck auf seiner Miene wird schnell von seinem herzhaften Gähnen zerstört.

Die „Erwachsenen“ um ihn herum sehen das als ein Zeichen zum Aufbruch.

 

 

Sie haben zwei Transportmodule, die zurück ins Technodrome müssen, aber sie haben nur einen Saki. Deshalb haben sie es ausgelost.

Lächelnd betrachtet Rocksteady den schlafenden Jungen in seinem Arm. Glücklicherweise braucht er nur eine freie Hand, um das Transportmodul zu steuern, denn um nichts in der Welt könnte er es über sich bringen, den Kleinen auf einen der anderen Sitze zu verfrachten.

Die letzten Stunden waren die Schrecklichsten seines ganzen Lebens, ihn jetzt endlich wieder zu haben, erfüllt ihn mit so viel Erleichterung, dass ihm tatsächlich die Tränen kommen. Etwas verspätet vielleicht, aber er weint grundsätzlich nicht im Beisein anderer. Außer Bebop natürlich. Aber der hatte genug mit seinen eigenen Emotionen zu kämpfen.

„Ich wünschte, du würdest so klein bleiben“, murmelt Rocksteady und streicht seinem Saki-chan zärtlich über den dunklen Haarschopf. Der gibt einen kleinen Seufzer von sich und kuschelt sich im Schlaf noch enger an ihn. Der Griff seiner kleinen Fingerchen in Rocksteadys Hemd ist beeindruckend fest. Als würde auch er ihn nie wieder loslassen wollen.

Während er ihn so mustert, weicht der bisher so entspannte, glückliche Ausdruck in Rocksteadys Gesicht plötzlich einer besorgten Miene. Jetzt, bei voller Beleuchtung, kann er es deutlich erkennen: Sakis Wangen sind hochrot. Und als er diesmal prüfend seine Stirn berührt, ist er sich nicht mehr so sicher, ob das noch nur erhöhte Temperatur oder doch schon ein ausgewachsenes Fieber ist.

Vorsichtshalber fährt er etwas schneller.

 

 

 

„Da seid ihr ja endlich!“ schnauzt Krang sie an, als sie aus dem Transportmodul klettern.

Doch dann wird er plötzlich ganz still, als sein Blick auf das schlafende Kind in Rocksteadys Armen fällt. Für den Bruchteil einer Sekunde wird seine Miene merkwürdig weich. Doch er hat sich schnell wieder unter Kontrolle.

„Der da“, vielsagend und zugleich sehr vorsichtig tapst er Saki mit einem Tentakel an die Wange, „hat Stubenarrest.“

Er zögert kurz, und dann verengen sich seine Augen misstrauisch, während sein Tentakel von Sakis Wange hoch zu dessen Stirn gleitet. Lange, sehr lange Zeit sagt er gar nichts und starrt Rocksteady nur eindringlich an.

Dann sagt er nur drei einfache Worte:

„Krankenstation. Aber dalli.“

 

 

4. Kapitel

 

4. Kapitel

 

Seit sie ihn in den Everglades verloren und wiedergefunden haben, lassen sie ihn nicht mehr aus den Augen. Buchstäblich. Es ist immer mindestens einer von ihnen bei ihm. Und sein Fieber trägt auch nicht gerade dazu bei, sie ruhiger werden zu lassen.

Auch wenn Krang ziemlich schnell herausgefunden hat, welcher Virus in diesem kleinen Körper gerade wütet, mindert das nicht ihre Besorgnis. Krang mag noch so oft betonen, dass es ihrem Saki-chan bald wieder besser gehen wird, der Anblick dieses kleinen, hilflosen Menschen, wie er mit vom Fieber hochrotem Gesicht und heißer Haut vor ihnen liegt, jagt ihnen eine Heidenangst ein.

Sie sind müde und erschöpft, aber weder Rocksteady noch Bebop wagen es, die Augen zu schließen. Denn dann, so befürchten sie, könnte etwas passieren.

Etwas Furchtbares.

Krang hat nicht immer Recht.

Bebop atmet einmal tief und seufzend aus. Schon seit mindestens fünfzehn Minuten streichelt er zärtlich über die kleinen Fingerchen, die sich in unregelmäßigen Abständen zu Fäusten ballen und wieder öffnen. Das und sein schwerer Atem sind die einzigen Anzeichen, dass Sakis Schlaf doch nicht so ruhig ist wie man auf den ersten Blick annehmen kann. Bebop hofft nur, dass er keine bösen Fieberträume hat.

„Er ist so...“ Rocksteady, der hinter Bebop liegt, sein Kinn auf dessen breiter Schulter abstützt und genau wie dieser ihr unruhig schlafendes Chefchen betrachtet, zögert kurz und stößt dann seinen Atem in einem mindestens genauso schweren Seufzer wie zuvor Bebop hervor.

„... zerbrechlich“, ergänzt er schließlich leise und ein wenig verwundert.

Bebop nickt zustimmend. Zerbrechlich war früher das letzte Adjektiv, mit dem sie Shredder beschrieben hätten, aber hier und jetzt ist es quasi das einzige.

„Nicht auszudenken, wenn ihm irgendwas passiert wäre“, murmelt Bebop, schiebt seine Handfläche unter Sakis Faust und ist geradezu fasziniert davon, wie winzig diese Hand im Gegensatz zu seiner jetzt ist.

Natürlich ist ihm das nicht neu, aber er war sich dessen noch nie so bewusst. Und plötzlich trifft es ihn mit voller Wucht.

„Wir“, quetscht er durch seine plötzlich sehr enge Kehle und blinzelt ein paar Tränen zurück, „müssen auf ihn achtgeben. Alles, was jetzt passiert … jede noch so kleine Verletzung, das wirkt sich auf seine ganze Zukunft aus.“ Mit zitternden Fingern streicht er eine Strähne schwarzen Haares aus einer fieberheißen Stirn und entblößt eine kleine, rote Pustel.

Er spürt, wie sich Rocksteady hinter ihm kurz umdreht und hört ihn hantieren, und dann ist er wieder da – warm und sicher und vertraut – und lehnt sich über Bebops Schulter. Sehr zielsicher, aber auch unendlich sanft, tupft er einen großzügigen Klecks von Krangs selbst zusammengebrauter Salbe auf die Windpocke auf Sakis Stirn. Aber auch als er damit fertig ist, nimmt er seine Hand nicht sofort wieder weg. Stattdessen fühlt er kurz nach Sakis Temperatur, seufzt einmal leise auf und streichelt dann sachte mit seinem Zeigefinger über Sakis Schläfe und Wange.

„Wir müssen besser auf ihn aufpassen“, murmelt er dabei in Bebops Ohr und gibt ihm dann – quasi als ein Versprechen - einen kleinen Kuss in den Nacken.

Bebop nickt nur zustimmend.

 

 

Es ist halb zehn Uhr am Morgen, und sie sitzen alle am Küchentisch, sogar Krang, und ihrer aller besorgten Blicke liegen auf dem kleinen Jungen in ihrer Mitte, der sich darüber, wäre er nicht so müde und schlapp, lautstark beschweren würde. Aber sie haben alle eine lange Nacht hinter sich, jeder auf seine Weise, aber jeder aus demselben Grunde.

„Iss doch was.“ Vielsagend schiebt Bebop eine Schale, gefüllt mit Erdbeeren zu ihm hinüber, doch Shredder schüttelt nur den Kopf und schiebt die Schale wieder zurück.

Er greift stattdessen zu seiner Milch, von der er weiß, dass sie in seinem Magen bleibt. Er fühlt sich nicht gut und hätte am liebsten weitergeschlafen, aber … urgh, das war unheimlich, wie und wo er heute aufgewacht ist. Anstatt sich in seinem eigenen Bett wiederzufinden, lag er auf den zusammengeschobenen Matratzen, die Bebop und Rocksteady als ihre „Betten“ bezeichnen, und dann auch noch genau zwischen den beiden. Und wieso, zum Teufel, hatte er dieses grässliche Pumbaa-Kuscheltier in den Armen?

Nur, weil er krank ist, können die beiden ihn doch nicht behandeln wie … wie ihr Kind. Das ist einfach nur dreist und frech und absolut nicht richtig!

Dem muss er einen Riegel vorschieben, und zwar sofort! Und wenn das bedeutet, dass er hier sitzt, obwohl es ihm nicht gut geht, dann ist das eben so. Besser, als wenn die zwei ihn wieder zu sich ins Bett packen. Am Ende wollen sie noch mit ihm kuscheln!

Um Aufmerksamkeit heischend klopft Krang mit dem linken Tentakel auf die Tischplatte. Er hat eine Ankündigung zu machen. Eine, die besonders einem hier ganz bestimmt nicht gefallen wird.

„Unser Saki-chan wird das Technodrome vorerst nicht mehr verlassen. Ich habe die Luftfilteranlage meiner Kampffestung auf Maximum gestellt. Die Biofilter sollten jetzt sämtliche Viren und Bakterien unschädlich machen. Das kostet eine Menge Energie. Haltet euch also mit unnötigen Stromfressern zurück. Lasst die Stereoanlage und eure Spielekonsolen aus. Und schaltet das Licht aus, wenn ihr den Raum verlasst.“

Er mustert sie alle der Reihe nach streng. Doch der erwartete Protest bleibt aus. Stattdessen zeigen sich Bebop und Rocksteady sehr einsichtig und nicken eifrig, während Shredder zwar das Gesicht verzieht, als er hört, dass er hier festsitzt, aber ansonsten Krangs Anordnungen genauso schluckt wie die beiden Mutanten.

Krang ist für einen Moment erstaunt, ist jedoch zu klug, um zu glauben, dass sie endlich vor ihm Respekt gelernt hätten. Wenn er sich die Blicke, mit denen Bebop und Rocksteady ihr geschrumpftes Chefchen mustern, genauer betrachtet, ist klar, dass sie in einer Art Eltern-Modus gestrandet sind. Für Saki-chans Wohl würden sie auf mehr als ihre geliebten Videospiele verzichten.

„Irgend eine Ahnung, wie er sich diese blöden Windpocken eingefangen hat?“ will Rocksteady wissen, und meint dann, noch im selben Atemzug, während er Shredders Hand abfängt, die unterwegs zu dessen Gesicht ist:

„Nicht kratzen, Saki.“

„Es juckt“, jammert dieser, legt seine Hand aber gehorsam wieder um seine Tasse.

„Ich weiß, Saki-chan“, tröstet ihn Rocksteady, „aber kratzen bringt Narben.“

Sein Saki-chan zieht eine Schmollschnute, hält sich sonst aber zurück.

„Varizellen sind heimtückische kleine Biester“, erklärt Krang. „Sie sind nicht nur hochansteckend, nein, sie verbleiben auch im Körper, selbst wenn man die Krankheit schon überwunden hat. Sie lauern auf eine Reaktivierung. Bei einem starken, gesunden Immunsystem können sie lange darauf warten. Aber Sakis Immunsystem ist tatsächlich so jung, als wäre er zwei Jahre alt.“ Für diese Erkenntnis hat er sich die halbe Nacht um die nicht vorhandenen Ohren geschlagen. Und noch nie in seinem Leben war er so froh darüber, im passenden Moment zur Übervorsichtigkeit zu neigen. Nicht auszudenken, mit welchen Krankheiten der Junge noch zu kämpfen hätte, hätte er ihn nicht gegen so vieles schon so früh geimpft.

„Und“, befiehlt Krang daher auch noch, „um weiteren Überraschungen dieser Art demnächst vorzubeugen, gibt es ab sofort tägliche, medizinische Check-up für unseren Mini-Ninja.“

„Ich kann dich hören.“ Shredder schielt ihn strafend von der Seite her an. „Rede nicht über mich, als wär ich nicht da. Hast du keine Manieren?“

„Sind wir heute etwas altklug, Saki-chan?“ flötet Krang spitz.

Zwei Sekunden später wischt er sich mit den Tentakeln Milch aus seinen Augen.

Am gesamten Tisch herrscht absolute, entsetzte Stille. Sogar Shredder sieht im ersten Moment überrascht von der nun leeren Tasse in seiner Hand in Krangs „Gesicht“ und dann wieder in seine Tasse.

Bebop findet als erster seine Stimme wieder.

„Saki“, tadelnd schnalzt er mit der Zunge und langt nach den Servietten.

Eine reicht er Krang, mit einer anderen beginnt er, die Milch, die nicht auf Krang gelandet ist, von der Tischplatte zu putzen.

Shredder hebt nur die Nase etwas höher, funkelt Krang an und streckt ihm dann die Zunge heraus.

„Was beschwerst du dich? Kleopatra hat täglich in Milch gebadet.“

Krang, der sich bisher gar nicht beschwert hat, tupft sich nur bedächtig die Milch aus den Hirnwindungen und zeigt dabei all seine spitzen Zähne.

„Ich schlage keine Babys. Auch wenn sie es verdient haben“, stellt er trocken fest, genau wissend, wie verletzend diese Worte derzeit auf ihren geschrumpften Ninja wirken.

„Ich bin kein Baby!“ braust dieser auch sofort erwartungsgemäß auf.

„Dann benimm dich nicht wie eines!“

„Dann hör du auf, mich zu ärgern. Erfinde lieber etwas, damit ich wieder groß werde!“

„Was hast du denn?“ stichelt Krang. „Du bist doch süß, Saki-chan.“

Shredder beißt nur die paar Zähne zusammen, die er schon hat (plus der beiden, die heute Nacht dazugekommen sind) und starrt angestrengt in seine leere Tasse. Nein, er darf sich nicht wieder von Krang provozieren lassen, wenn er weiter hier im Technodrome bleiben will.

„Tut mir leid“, quetscht er daher unwillig hervor.

Er wagt einen Blick in die Runde, und es sind nicht Krangs funkelnde Augen, die ihn innerlich zusammenzucken lassen, sondern Rocksteadys und Bebops enttäuschte Mienen.

Plötzlich überrollt ihn eine so große Woge der Hoffnungslosigkeit, dass ihm unwillkürlich die Tränen in die Augen schießen. Er wünscht sich zurück in sein Bett, wo er sich unter der Decke verstecken kann. Am Liebsten für immer.

„Du alterst doch schon längst“, hört er plötzlich Krang sagen.

Man kann dem körperlosen Gehirn wirklich viel nachsagen, aber unsensibel ist er nicht. Er hat Shredders Stimmungsumschwung sofort bemerkt. Und so gerne er ihn auch ärgert – zum Weinen will er ihn nicht bringen.

„Ja“, erklärt er auf Shredders überraschten Blick und - oh, diese großen, braunen Augen, und diese niedliche Stupsnase... Schnell ruft sich Krang zur Ordnung. „Oh ja, du alterst. Rapide. Auch wenn noch nicht offensichtlich. Denk doch mal nach: normalerweise beträgt der Krankheitsverlauf bei Windpocken mehrere Tage und nicht nur ein paar Stunden. Aber bei dir sollte meinen Berechnungen nach auch die letzte Windpocke in zwei Stunden verschwunden sein.“ Er stockt einmal kurz und mustert ihn dann mit einer ungewöhnlich weichen, ja, fast sanften Miene.

„Und irre ich mich, oder hast du jetzt schon ein paar Zähne mehr als gestern?“

Shredders Gesicht hellt sich sofort auf.

„Zwei“, verkündet er stolz und öffnet auch prompt das Mündchen, um es ihm zu demonstrieren.

„Siehst du?“ lächelt Krang und stupst nun doch mit dem rechten Tentakel sachte an diese süße Stupsnase. „Das regelt sich alles. Hab nur etwas Geduld.“

Shredder hat Mühe, bei der Berührung nicht zusammen zu zucken, aber er denkt an alles, was passieren kann, wenn er Krang wirklich verärgert und ringt sich daher zu einem gequälten Lächeln durch.

 

 

Hab nur etwas Geduld, sagte Krang.

Aber Geduld ist und war niemals eine von Shredders herausragenden Eigenschaften, und sie wird auf eine sehr, sehr harte Probe gestellt. Dass ihn Bebop und Rocksteady seit seinem Abenteuer in den Everglades nicht mehr aus den Augen lassen, daran gewöhnt er sich langsam aber stetig – ehrlich gesagt, tut diese Aufmerksamkeit seinem angekratzten Ego sogar ganz gut (manchmal jedenfalls) – und natürlich weiß er aus jahrelanger Erfahrung, auf welch aberwitzige Ideen diese beiden Deppen immer kommen.

Aber das hier schießt wirklich den Vogel ab!

Ihn unter einen Vorwand in die Kommandozentrale zu bringen (wenigstens nimmt Rocksteady ihn „nur“ an die Hand, Bebop will ihn immer tragen!), nur um...

also wirklich!

Und dafür wecken sie ihn aus seinem wohlverdienten Mittagsschlaf? Den er, nebenbei bemerkt, auch gerne in seinem eigenen Quartier abgehalten hätte anstatt in dem der beiden Deppen. Unter deren wachsamen Augen, wohlbemerkt.

„Was wird das?“ verlangt er scharf zu wissen.

Er ahnt es, aber es ändert nichts an seiner Fassungslosigkeit.

Er muss den beiden Mutanten stumm Abbitte leisten, denn so wie es aussieht, bedeutet Krangs selbstzufriedenes Grinsen nämlich, dass das hier auf seinem Mist gewachsen ist.

Krang winkt ihn und Rocksteady näher heran, und Shredder ist von dem Anblick, der sich ihm bietet, noch viel zu geschockt, um sich zu wehren. Und so trottet er brav an Rocksteadys Hand hinüber zu dem Sofa an der Wand, gegenüber dem großen Hauptbildschirm, auf dem dreiviertel des Tages Krangs heißgeliebte und absolut schwachsinnigen Soap-Operas laufen. Jetzt läuft da zwar überhaupt nichts, aber es steht ein Stativ mit einer professionellen Spiegelreflexkamera davor.

Und das Objektiv ist direkt auf das Sofa gerichtet. Auf dem schon Bebop mit einem selten dümmlichen Grinsen sitzt.

Ausnahmsweise steckt Krang diesmal nicht in seinem Androidenkörper, sondern nur in dieser Plexiglaskugel auf Stelzen, die ihn fast wie einen der Marsianer aus Krieg der Welten wirken lässt.

Natürlich. Shredder schnaubt innerlich. Er will ja auch zu sehen sein.

„Krang, was soll das?“

„Ich will ein Gruppenfoto“, stellt Krang klar und sein Grinsen wächst noch etwas in die Breite, bis er nur noch aus spitzen Zähnen zu bestehen scheint.

„Wozu?“ in Shredders Stimme schwingt ein geradezu verzweifeltes Wimmern mit.

Doch ein scharfer Blick und eine eindeutige Tentakelgeste seitens Krang und er klettert mit Rocksteadys Hilfe artig auf das Sofa.

„Zur Erinnerung“, kommt es vergnügt zurück. „Kinder wachsen so schnell, und du erst recht. Es wäre doch eine Schande, das undokumentiert zu lassen.“

Da gäbe es andere Möglichkeiten, dafür muss er sie nicht alle vier vor der Kamera in Pose bringen. Shredder findet das ein wenig seltsam, aber er verzichtet auf einen Protest. Je eher er sich fügt, desto schneller ist dies hier hoffentlich vorbei. Er ist müde. Und ihn schmerzt wieder der Kiefer – er hat noch viele, viele Zähne, die durchbrechen müssen.

Wenigstens, versucht er sich zu trösten, ist, genau wie von Krang prophezeit, inzwischen auch die letzte Windpocke verschwunden. Es wird also kein allzu peinliches Foto werden.

„Ein richtiges Familienfoto.“ Bebop jauchzt es fast, während er ihn näher an sich heranzieht.

Shredder wehrt sich nicht und lehnt sich sogar für einen kurzen, unbewussten Moment behaglich an Bebops massigen, warmen Körper. Doch dann ruft er sich zur Ordnung, richtet sich gerade auf und rückt einen halben Zentimeter von ihm ab. Mehr geht nicht, denn auf seiner anderen Seite sitzt inzwischen Rocksteady.

„Wir sind-“ beginnt er zu widersprechen, beißt sich dann aber gerade noch rechtzeitig auf die Zunge.

Wir sind keine Familie, wollte er sagen, doch er kann es sich nicht leisten, Rocksteady und Bebop zu verärgern.

Also gut, dann spielt er eben mit und tut so, als wären sie die kleine, glückliche Familie, als die sie sich seit seiner Schrumpfung so gerne sehen wollen.

Irritierend daran ist eigentlich nur, dass Krang diesen Blödsinn nicht nur mitmacht, sondern so offensichtlich auch noch unterstützt.

„Das machen wir jetzt jeden Tag“, verspricht Krang fröhlich und drückt den Fernauslöser.

Während er betont freundlich ins Objektiv lächelt und vom grellweißen Blitzlicht geblendet wird, fragt sich Shredder finster, ob ein Waisenhaus nicht doch eine lohnendere Alternative wäre und er heute Nacht in Krangs Fotolabor einbrechen sollte...

 

 

Es dauert eine Weile, aber am Abend hat er sich wieder abgeregt.

Vielleicht liegt es daran, dass er endlich einmal die nötige Ruhe hatte, das Buch zu lesen, das er sich schon seit Monaten vornehmen wollte. Zu sehr viel mehr ist er in seiner derzeitigen Verfassung ja sowieso nicht imstande. Und auch wenn Bebop und Rocksteady ständig in seiner Nähe waren – dabei haben sie ihn nicht gestört.

Also soll Krang doch seine blödes Fotos behalten. Wem will er sie denn schon zeigen? Eher gesagt: wer würde das schon als gutes Erpressungsmaterial ihm gegenüber ansehen? Was ist an Babyfotos (und verdammt nochmal, so sehr er das hasst zuzugeben: das sind sie nun einmal) schon peinlich? Er ist darauf ja nicht nackt oder so.

Die Negative zu zerstören, egal, wie einfach das auch wäre, wäre den Ärger einfach nicht wert.

Also lässt er Krang seinen Willen. Denn ein Krang, dem man seinen Willen lässt, ist ein zufriedener Krang. Und ein zufriedener Krang wird ihn nicht einfach so vor die Tür setzen. Egal, wie nutzlos er zur Zeit auch ist. Wenn er sich weiterhin gut benimmt und diesen rosa Wackelpudding öfter anlächelt und ihm weniger widerspricht – wer weiß? Vielleicht hilft ihm seine derzeitige Niedlichkeit dabei, Krang um seinen kleinen Finger zu wickeln, so dass er bleiben darf.

Wenigstens das wäre schon nett.

Denn Shredder macht sich in einer Hinsicht keine Illusionen: Krang war nie der Geduldigste. Er ist schnell damit zur Hand (in diesem Falle Tentakel), ineffektive Mitstreiter zu ersetzen, sobald sich ihm dazu die Gelegenheit bietet.

Oh nein, er hat diese Geschichte mit Lotos nicht vergessen. Dieses blöde Produkt einer Milchkuh. Glücklicherweise wurde sie von den Turtles rechtzeitig umgedreht (was nur beweist, dass sie wirklich blöd war), sonst hätte er sich ein neues Zuhause suchen müssen.

Zuhause. Da ist es wieder.

Dieses Wort.

Dieses Gefühl.

Im Zusammenhang mit dem hier? Er muss irgendwann den Verstand verloren haben.

„Bist du fertig?“ Bebops Stimme schreckt ihn aus seinen Gedanken. „Du sitzt jetzt schon 'ne halbe Stunde da drin. Ist das Wasser überhaupt noch warm?“

Er macht Anstalten, seinen Comic weg zu legen und zu ihm hinüber zu gehen.

„Bleib, wo du bist!“ quietscht Shredder, räuspert sich einmal und droht dann, in einem etwas autoritäreren Tonfall:

„Wehe, du kommst näher!“

Bebop runzelt zwar die Stirn, setzt sich dann aber wieder und lehnt sich wie zuvor bequem an die Wand.

Rocksteady neben Bebop sieht von seinem Gameboy auf, greift nach dem quietschgelben Kinderbademantel und wirft ihn diesem so geschickt zu, dass er auf dem Badewannenrand landet. Wenn er doch nur bei ihren Kämpfen mit den Turtles so gut zielen könnte.

„Wird wirklich Zeit, dass du da rauskommst“, erklärt das Rhino dabei. „Zuviel Wasser ist nicht gut für zarte Babyhaut.“

Unschlüssig wiegt Shredder seine Gummiente in der Hand, entscheidet sich aber dazu, diesmal nicht mit Gegenständen zu werfen, ganz egal, wie sehr seine Mutanten es diesmal verdient haben. Wenn Gameboy oder Comic nass werden, sind die beiden bestimmt sauer auf ihn. Aber so richtig sauer. Und das ist es einfach nicht wert.

Ich kann nicht immer ausrasten, wenn ich das Wort „Baby“ höre.

Also lässt er die Gummiente wieder schwimmen.

Und zum ersten Mal fällt ihm auf, dass Bebop Recht hat: das Wasser ist nur noch lauwarm.

Und auch Rocksteady hat Recht, wenn er sich so seine verschrumpelten Handinnenflächen betrachtet.

„Umdrehen!“ befiehlt er daher.

Die beiden verdrehen zwar die Augen, aber sie gehorchen wortlos, auch, wenn sie dafür erstmal aufstehen müssen.

Die Wanne ist derzeit viel zu groß für ihn, daher ist es etwas umständlich, aus ihr herauszuklettern, aber er ist schließlich nicht umsonst ein Ninja. Trotzdem: elegant sieht anders aus.

Zum Glück schummeln Bebop und Rocksteady nicht und drehen ihm weiterhin brav den Rücken zu.

Und bevor sie doch noch in Versuchung kommen, schlüpft er in Blitzgeschwindigkeit in seinen Bademantel, rubbelt sich notdürftig trocken und zieht sich dann zumindest schon mal die Pyjamahose an, die er – natürlich zusammen mit dem dazugehörigen Oberteil - in weiser Voraussicht schon bereitgelegt hatte.

„Fertig!“ ruft er dann und stapft, noch während sich Bebop und Rocksteady wieder umdrehen, hinüber zum Waschbecken, wo er auf „seinen“ Tritt steigt und sich nach seiner Zahnbürste reckt.

„Wow! Vorsicht, Kleiner!“

Plötzlich fühlt er sich an der Taille gepackt, und einen irritierenden Moment später findet er sich auf Rocksteadys Knien wieder. Das Rhino seinerseits hockt auf dem heruntergeklappten Toilettensitz, befiehlt ihm, „ah“ zu sagen und beginnt dann hingebungsvoll, ihm die Zähne zu putzen.

Nach dem ersten Schreckmoment, gefolgt von Verwirrung und gerechtem Zorn, entspannt sich Shredder wieder.

Warum nicht?

Das Bad hat ihn noch müder gemacht als er ohnehin schon war, und wenn es Rocksteady glücklich macht … außerdem ist es leichter, wenn ihm jemand anders die Zähne putzt.

Es sind zwar nur die Milchzähne, aber auch die sollten – wenigstens jetzt, beim zweiten Mal – kariesfrei bleiben. Seine durchbrechenden Zähne plagen ihn schon genug, noch mehr Schmerzen kann er wirklich nicht gebrauchen.

Er ist trotzdem froh, als Rocksteady endlich fertig ist.

Nicht so froh ist er allerdings, als die beiden ihn ungefragt wieder in ihr Quartier schleppen.

„Wieso kann ich nicht in meinem eigenen Bett schlafen?“

Bebop und Rocksteady stocken einen Moment, werfen sich einen langen Blick zu und betrachten dann den kleinen Jungen in Rocksteadys Arm, der mit gerunzelter Stirn immer noch auf eine Antwort wartet.

Sie zögern sichtlich.

Unwillkürlich festigt sich Rocksteadys Griff um „seinen“ Saki-chan, alles in ihm sträubt sich dagegen, ihn je wieder gehen zu lassen. Und sei es auch nur einmal quer über den Gang in seine eigenen Räume.

Shredder dagegen zuckt einmal schmerzhaft zusammen, als Rocksteady ihn so fest an sich presst. Er sieht seine und Bebops Miene, sieht diese zusammengepressten Kiefer, das Funkeln in ihren sich verengenden Augen und die Art, wie sie ihre Ohren anlegen und lenkt daher schnell ein:

„Okay, okay. Ist gut. Schlafe ich eben wieder bei euch. Aber beschwert euch später nicht, ich bin ein sehr unruhiger Schläfer.“

5. Kapitel

 

5. Kapitel

 

Erst dann, wenn man aus irgend einem Grunde nicht mehr dazu fähig ist, wird einem bewusst, wieviel der täglichen Zeit für genau diese eine Sache immer aufgewendet wird.

Und so stellt auch Shredder, knapp achtundvierzig Stunden, nachdem er zu einem Kleinkind schrumpfte, mit wachsendem Unmut fest, dass ihm scheinbar unendlich viel Freizeit zur Verfügung steht, jetzt, wo er nicht mehr sein geliebtes Ninjitsu trainieren kann.

Sein Buch hat er auch schon ausgelesen und alle anderen aus seiner Sammlung kennt er schon. Er könnte ja Bebop und Rocksteady fragen, ob sie ihm eines ihrer Comics leihen, aber diesen Gedanken verscheucht er ganz schnell wieder. Lieber nicht. Die beiden sind auch so schon anhänglich genug. Und das Letzte, was er will, ist, sie in diesem Irrglauben, der da lautet, sie seien eine große, glückliche Familie, zu bestätigen. Je weniger er sie um etwas bittet, desto besser. Es ist schon schlimm genug, dass sie ihn gar nicht mehr aus den Augen lassen. Nicht einmal ins Bad darf er ohne Voranmeldung. Türe verschließen ist schon mal gar nicht.

Es ist demütigend, aber er versucht, es zu erdulden. Trotzdem hat er das Gefühl, bald zu platzen, wenn nicht bald irgend etwas geschieht.

Der Gedanke kommt ihm beim Mittagessen, als er den Kühlschrank sieht. Der spiegelnde Chrom sieht ziemlich leer aus, nicht wahr? Dem sollte er schleunigst abhelfen. Er versucht, nicht zu feixen, je weiter dieser Plan in ihm Gestalt annimmt.

Er erlaubt es sich erst zu grinsen, als Krang sie nach dem Essen sofort wieder zu einem dieser angedrohten und absolut überflüssigen Gruppenfotos zusammentrommelt.

Er versucht, es sich wieder zu verbeißen, als ihn Rocksteady an die Hand nimmt und sie zusammen mit Bebop zurück ins Quartier gehen. Es gelingt ihm, es zu einem harmlosen Lächeln zu verwandeln, als er die beiden mit seinem treuesten Augenaufschlag darum bittet, ihm etwas aus dem Schrank in seinem eigenem Quartier zu holen.

Sie wollen Familie spielen? Er wird ihnen verdammt nochmal zeigen, was er davon hält!

 

 

Immer wieder werfen Bebop und Rocksteady verstohlene und sehr, sehr neugierige Blicke zu ihrem geschrumpften Chefchen hinüber, der angestrengt auf dem Teppich kniet, vor sich ein großes Zeichenbrett. Sie würden zu gerne wissen, was er da malt, aber jedes Mal, wenn einer von ihnen es wagt, ihn danach zu fragen oder gar in seine Richtung zu gehen, fangen sie sich einen so bösen Blick, begleitet von einem noch böseren Zischen ein, dass sie sich schnell wieder zurückziehen. Er ist nichtsdestotrotz ein niedlicher Anblick: sein hochkonzentrierter Gesichtsausdruck und wie seine Zungenspitze manchmal nach Kindermanier zwischen seinen Lippen hervorlugt und sich hin- und herbewegt. Zwei Fotos haben sie schon mit ihrer Sofortbildkamera von ihm geschossen. Heimlich.

Der Pinsel in seinen kleinen Patschehändchen zittert nicht ein einziges Mal, und er bringt die Farben mit einer bewundernswerten Entschlossenheit aufs Papier. Jeder Strich scheint exakt zu sitzen.

Wenn sie nur mal sehen dürften, was er da malt...

Tatsächlich ist Shredder so schnell in seiner eigenen, kleinen Welt versunken, dass er nicht nur Rocksteadys und Bebops Anwesenheit erfolgreich ausblendet, sondern auch seine allgegenwärtigen Zahnschmerzen.

 

 

Bedächtig und mit großer Sorgfalt setzt er den letzten Strich, der in diesem Falle das Kanji seines Namens vollendet. Es mag eitel erscheinen, das Bild zu signieren – wer außer ihm sollte es hier schon gemalt haben? - aber so gehört es sich einfach.

Er stellt den Pinsel zurück ins Wasserglas und lehnt sich etwas zurück, die Augen kritisch zusammen gekniffen. Obwohl er schon seit Jahren nicht mehr mit Pinsel und Farben hantiert hat – jetzt mal abgesehen von den üblichen Renovierungen – hat er hier doch etwas ganz Passables zustande gebracht.

„Du bist fertig? Können wir es sehen?“

Erschrocken zuckt Shredder zusammen. Er hat ganz vergessen, dass die ja auch noch da sind.

„Nein“, erwidert er schroff. „Noch nicht!“

Bebop und Rocksteady hatten sich schon erwartungsfroh erhoben, sinken jetzt aber enttäuscht wieder zurück auf ihre Couch. Auf dem kleinen Tisch davor liegen Spielkarten, Mikadostäbchen und Comics wild durcheinander. Shredder runzelt kurz die Brauen, als er das Tohuwabohu sieht. Wie lange hat er eigentlich gemalt? Dem Chaos dort zu urteilen müssen das mehrere Stunden gewesen sein. Haben diese beiden Idioten wirklich nichts besseres zu tun, als ihn die ganze Zeit zu beobachten?

Warum tun sie sich so etwas an? Das muss doch total langweilig sein.

Hängen sie wirklich so sehr diesem lächerlichen Irrglauben an, sie wären eine Familie und müssten auf ihn aufpassen?

Nach einer letzten, kritischen Überprüfung, ob die Farbe inzwischen getrocknet ist, nimmt er sein Bild und steht auf.

Als er zur Tür hinübergeht, springen seine beiden Mutanten natürlich sofort auf und ihm hinterher.

„Wo gehst du hin?“

„Seht ihr schon“, erklärt ihr geschrumpftes Chefchen nur lapidar und drückt den Türöffner, ohne zu bemerken, dass er sich dafür jetzt nicht mehr auf die Zehenspitzen stellen muss. Energisch und flott eilt er den spärlich beleuchteten Gang hinunter, um die Biegung und dann noch dreißig Meter weiter und erreicht schließlich die Küche. Vor dem Kühlschrank bleibt er stehen.

„Scheiße!“ schreit er plötzlich frustriert auf.

Die beiden Mutanten wechseln einen besorgten Blick.

„Was ist denn?“ erkundigt sich Bebop in besänftigenden Tonfall.

„Ich will das hier da anhängen“, vielsagend deutet Shredder erst auf sein Bild und dann auf den Kühlschrank, während Frust und Ärger ihm schon die ersten Tränen in die Augen treiben. „Aber ich hab nichts dabei!“

„Immer mit der Ruhe“, grinsend tritt Rocksteady vor und öffnet jenen kleinen Hängeschrank, der in den letzten Jahren zu seinem und Bebops ganz persönlichem Kramladen mutiert ist und den Shredder, seit ihm der Inhalt einmal regelrecht entgegenfiel, nie wieder angefasst hat. Mit einer geradezu schlafwandlerischen Sicherheit zieht das Rhino daraus eine Klebebandrolle hervor und hält sie Shredder triumphierend entgegen, dessen Miene sich sofort aufhellt.

Gemeinsam kleben sie alle drei gemeinsam das Bild an die Tür des Kühlschranks, dann treten sie einen Schritt zurück und betrachten das Kunstwerk.

Ohne dass er es dabei wirklich bemerkt, landet Rocksteadys rechte Hand auf Shredders Haupt und beginnt, ihm durchs dunkle Haar zu kraulen. Für einen kurzen, schwachen Moment lehnt sich dieser in diese Berührung hinein, doch dann reißt er sich wieder zusammen und tritt einen Schritt zurück, aus Rocksteadys Reichweite. Hinein in Bebops, der ihn sofort hoch auf seinen Arm nimmt.

„Das ist so toll!“ lobt er ihn dabei überschwänglich und drückt ihn an sich. Und nur, weil er rechtzeitig den Kopf beiseite dreht, entkommt Shredder dem dicken Schmatzer, der auf seine Wange zielte.

Doch das mindert Bebops Begeisterung nicht im Geringsten. Strahlend bis über beide Ohren betrachtet der Warzenschweinmutant das Kunstwerk, das eindeutig ihn, Rocksteady und Krang und im Hintergrund das Technodrome zeigt. Sie sind in einer Stilrichtung gemalt, die er kennt, an deren Namen er sich aber nicht erinnern kann. Er hat allerdings noch nie so gut ausgesehen.

Mit seiner Meinung ist er eindeutig nicht allein, wie Rocksteadys Worte beweisen, nur scheint sein Kumpel etwas mehr von dieser Art von Kunst zu verstehen.

„Wir sind Chibis!“ freut sich Rocksteady. „Wie süß! Das ist superaffenobergeil! Malst du uns noch mehr solcher Bilder, Saki-chan? Bitte!“

Diese ganze Lobhudelei macht Shredder ganz verlegen. Außerdem war das so nicht gedacht! Er wollte ihnen doch nur unter die Nase reiben, wie albern sie sich benehmen.

Er hätte sich doch wohl mit Strichmännchen begnügen sollen. Warum nur musste er sich so von seinem Ehrgeiz leiten lassen?

Und genau das bereut er dann nochmal doppelt so sehr, denn, angelockt von dem Lärm, steht auf einmal niemand geringerer als Krang hinter ihnen.

„Was ist denn hier los?“ schnarrt er, nur um, sobald sein Blick auf das Bild gefallen ist, beinahe wie ein Fangirl loszukreischen.

„Oh, Saki-Mäuschen, hast du das gemalt? Das ist ja einfach nur wunderbar! Ich wusste gar nicht, dass du so ein Künstler bist! Wieso hast du dieses Talent nur vor mir versteckt?“

Genau deswegen, will Shredder antworten, kommt jedoch nicht dazu, denn Krang redet schon weiter und wird mit jedem Wort nur noch enthusiastischer.

„Diese Farben! Diese Details! Du hast sogar meine Augenfarbe ganz genau getroffen. Und die Anzahl meiner Tentakel. Aber trotzdem -“, er wird plötzlich leiser, nachdenklicher, „da fehlt doch jemand. Warum bist du nicht auf dem Bild, Saki-chan?“

„Ich kann mich doch nicht selbst malen“, abwehrend schüttelt Shredder den Kopf. „Wie eitel wär das denn?“

Ehrlich gesagt, hat er nicht eine Sekunde daran gedacht, sich auch auf dieses Bild zu bannen. Auch wenn das wohl ein Fehler war, denn in einem hat Krang recht: auf das Familienbild, gemalt von einem Kind, gehört auch das Kind selbst. Kein Wunder, dass diese Idioten die unterschwellige Verarsche nicht verstehen.

„Nun“, großmütig tätschelt ihm Krang mit dem Tentakel am Knie, „dann denk beim nächsten Bild daran.“

Shredder schnaubt nur und funkelt ihn von seiner erhobenen Position aus ungnädig an. Er hat gar keine Lust, noch ein Bild zu malen.

Für die nächsten Minuten scharen sich Bebop, Rocksteady und Krang weiter um dieses Bild, fachsimpeln und machen sich gegenseitig auf kleine Details aufmerksam. Shredder, immer noch auf Bebops Arm, verdreht nur die Augen, kann sich jedoch nicht des aufkeimenden Gefühls des Stolzes erwehren, das mit jedem weiteren lobenden Wort in seiner kleinen Brust erwacht.

Vielleicht ist das der Grund, weshalb er sich nicht aus Bebops Armen windet und ihm stattdessen nur seine Ärmchen um den breiten Nacken schlingt.

 

 

Krang weiß eine gute Gelegenheit am Schopf zu packen, und so befiehlt er ihnen, wo Bebop den kleinen Shredder schon mal auf dem Arm trägt, ihm auf die Krankenstation zu folgen.

Das mit den täglichen Check-ups war schließlich keine leere Drohung.

Shredder protestiert nicht, auch nicht darüber, dass Bebop ihn immer noch trägt. Das macht Krang stutzig, jedoch nur, bis Shredder ein Gähnen unterdrückt.

Krang kann sich ein kleines Grinsen nicht verkneifen. Aha, der kleine Mann ist also müde. Auch wenn es erst sechs Uhr am Abend ist.

„Müde? Hast du keinen Mittagsschlaf gehalten?“ fragt er ihn und überwacht streng, wie Bebop den kleinen Fratz auf der Untersuchungsliege absetzt.

„Nein“, erwidert Shredder und zischt dann, auf Krangs Stirnrunzeln hin, ungnädig: „Was? Ich war beschäftigt, okay? Außerdem steh ich nicht auf Mittagsschläfchen. Stand ich noch nie.“ Er hält kurz inne und fährt dann nachdenklich fort: „Auch nicht in meiner ersten Kindheit. Laut meiner Mutter hab ich meinen Kindergärtnerinnen damit keinen Gefallen getan.“

„Hm“, macht Krang nur, während er ihn mit seinem handlichen Scanner untersucht. Doch sein Statement ist eindeutig nicht auf das gemünzt, was ihm das kleine Display erzählt.

„Was?“

„Was weißt du noch über deine Kindheit?“ hakt Krang nach, während er ihm in beide Ohren leuchtet.

„Wieso?“ will Shredder misstrauisch wissen. Er bereut es schon jetzt, ihm auch nur irgend etwas erzählt zu haben. Er muss wohl doch schon sehr müde sein, wenn ihm die Zunge so locker sitzt.

„Reine Neugierde. Also?“

Aber Shredder kann nicht antworten, da Krang jetzt seinen Mund untersucht. Und außerdem scheint es auch, als würde das Gehirn gar nicht wirklich auf eine Antwort warten, ist er doch erstmal begeistert dabei, Shredders Zähne zu zählen.

„Es fehlen nur noch vier Backenzähne. Hast du noch Kieferschmerzen?“

„Allerdings“, gibt dieser zu, erleichtert, dass dieses unangenehme Frage- und Antwortspiel erst einmal abgewendet zu sein scheint.

Krang bewegt seinen wuchtigen Androidenkörper auf die Waage und eine Messlatte zu und bedeutet ihm, ihm zu folgen. Seufzend – und mit Bebops tatkräftiger Unterstützung – rutscht Shredder von der Liege und begibt sich als erstes zur Waage.

„Du bist fünf Zentimeter gewachsen“, verkündet Krang eine Minute später, nachdem Shredder ausgiebig gemessen und gewogen wurde, so stolz, als wären diese fünf Zentimeter sein Verdienst. „Aber“, fügt er dann besorgt hinzu, „du hast kein Gramm zugenommen.“

„Gut“, brummt Shredder nur. „Ich hasse diesen Babyspeck.“

Krang mustert ihn mit einem seltsam intensiven Blick, nickt dann aber langsam. Ihm erscheint es nur logisch, dass Shredder wegen seiner Kieferschmerzen nicht viel isst, außerdem hat er erst eine doch relativ schwere Krankheit hinter sich. Er beschließt trotzdem, das gut im Auge zu behalten.

„Kinder gehen immer erst in die Breite und schießen dann in die Höhe“, erklärt Bebop mit einem wissenden Grinsen. „Einige Kinder mehr als andere. Du hättest mal meine Kusinen sehen sollen. Richtige kleine Wonneproppen.“

Wonneproppen. Shredder versucht, dieses Wort nicht an sich herankommen zu lassen, auch wenn es nicht auf ihn selbst bezogen ist. Trotzdem ... wie gesagt, er hasst seinen Babyspeck und schlägt drei Kreuze (als Atheist!), wenn das vorbei ist und jede Erinnerung an sein Gewicht ist für ihn ein Tritt gegen das ohnehin sehr ramponierte Ego..

„Alles in Ordnung mit ihm?“ will Rocksteady von Krang wissen.

Dieser nickt, grinst dann auf einmal und zaubert aus einem Seitenfach seines Androiden ein Glas, gefüllt mit Gummibärchen hervor. Er öffnet es und streckt es vielsagend dem geschrumpften Shredder entgegen.

„Hast du gut gemacht, kleiner Fratz. Hier hast du eine Belohnung. Bärenfleisch?“

Bärenfleisch? Shredder hebt kurz die Augenbrauen, streckt dann aber doch eine Hand aus. Und zögert. Er denkt an seine Zähne und wirft einen unsicheren Blick zu Bebop und Rocksteady hinüber.

„Nimm ruhig“, lächelt Rocksteady. „Ich verspreche dir, ich putze dir auch besonders gründlich die Zähne.“

Shredder verzieht kurz das Gesicht. Er kann sich schließlich selber die Zähne putzen. Doch er behält seinen Kommentar bei sich und fischt sich ein rotes Gummibärchen aus dem Glas.

„Danke“, sagt er rein automatisch und dafür streichelt ihm Krang mit dem Tentakel über den Kopf.

Für einen kurzen Augenblick denkt Shredder daran, diesen Tentakel einfach zu packen und ganz fest hineinzubeißen, doch er unterdrückt diesen Impuls schnell wieder und zwingt sich stattdessen nur zu einem müden Lächeln.

 

 

Shredder gähnt einmal herzhaft und kuschelt sich zufrieden in die weiche Bettdecke. Wie alles hier riecht sie nach Bebop und Rocksteady, und er kann sich nicht helfen, aber dieser Geruch lässt ihn sich entspannen. Er bedeutet Sicherheit und Wärme, und das ist genau das, was er in seinem zunehmend müder werdenden Zustand benötigt.

Eigentlich wollte er ja heute in seinem eigenen Quartier schlafen, aber dazu kann er sich wirklich nicht mehr aufraffen. Und wieso sollte er es nicht genießen? Er kann sich nicht erinnern, jemals so verwöhnt geworden zu sein wie von seinen Mutanten in den letzten Tagen.

Wer wird denn dann einen Aufstand machen und die gute Stimmung verderben?

Bei zwei zufriedenen Mutanten gilt schließlich genau dasselbe wie bei einem zufriedenen Krang: es wird ihnen schwerer fallen, ihn rauszuwerfen. Oder, in Bebops und Rocksteadys Fall: sie werden weiter loyal zu ihm stehen, auch, wenn er ihnen so eindeutig unterlegen ist wie jetzt.

„Schlaf gut.“ Lächelnd beugt sich Bebop zu ihm herab und gibt ihm einen Kuss auf die Stirn.

Die ungewohnte Berührung schreckt Shredder noch einmal aus seinem angenehmen Dämmerzustand. Verdutzt blinzelt er zu dem Mutanten hinauf.

„Ja...“ murmelt er schließlich und setzt dann zögernd hinzu: „Danke.“

Bebop lächelt nur und macht Platz für Rocksteady, der sich nun auch hinunterbeugt, um Shredder einen Kuss aufzuhauchen – diesmal jedoch auf die Nasenspitze.

„Träum was Schönes“, wünscht er und deutet dann hinüber zur alten Couch. „Wir sind gleich hier. Immer in deiner Nähe.“

Ja. Shredder verkneift sich ein mattes Lächeln. Wie könnte es auch anders sein?

Fast will er sie bitten, sich neben ihn zu legen, doch er beißt sich gerade noch rechtzeitig auf die Zunge. Schließlich ist es wirklich noch sehr früh am Abend, und wie er die beiden kennt, werden sie den Rest des Tages bei einem guten Bier und einem Film ausklingen lassen. Vorausgesetzt, Krang gönnt ihnen den dafür notwendigen Strom.

Und falls dem nicht so sein sollte, ist er sich sicher, dass sich die beiden auch andere Dinge einfallen lassen, um die Zeit totzuschlagen. Dinge, für die er sich nicht interessiert und von denen er auch gar nichts wissen will. Hauptsache, sie stören ihn nicht.

„Gute Nacht“, murmelt er leise, drückt seinen Kuscheltier-Pumbaa fest an sich, schließt die Augen und ist auch schon eine Sekunde später eingeschlafen.

 

 

Den Blick starr auf die Daten gerichtet, die ihm sein handlicher, tragbarer Computer meldet, fährt sich Krang wiederholt mit dem rechten Tentakel über ein und dieselbe Gehirnfurche ohne sich dessen wirklich bewusst zu sein. Er sitzt inzwischen wieder in der Kommandozentrale und in fünf Minuten beginnt seine zweitliebste Telenovela, aber es fällt ihm schwer, sich darauf unbelastet zu freuen.

Seine Gedanken kreisen immer wieder um diesen Dreikäsehoch ein paar Räume weiter. Er weiß, dass das nur an der mangelhaften Datenlage liegt, und ganz bestimmt nicht daran, dass er sich Sorgen macht – schließlich ist Saki-chan hier so sicher wie in Abrahams Schoß. Nochmal wird er weder verloren gehen noch eine Krankheit bekommen, die er nicht rechtzeitig stoppen kann.

Und trotzdem … trotzdem bleiben zu viele Unbekannte in dieser Gleichung übrig. Und wenn Krang als Wissenschaftler etwas hasst, dann solche unabwägbaren, unbekannten Größen. Und das bedeutet: er muss, will er sich je wieder auf etwas anderes konzentrieren können, mehr über Shredders Kindheit erfahren. Wie war er so? War er eher ein kränkelndes Kind oder ein kerngesundes? Lebte er gerne riskant oder war er ein eher ruhiger Junge? Was hat ihn beeinflusst? War er schon als Kind so ein Choleriker? Immerhin kommt er bestimmt auch noch in die Pubertät – und Krangs bisherigen Berechnungen nach spätestens in zwei Wochen. Also: Mit welchen Katastrophen müssen sie noch rechnen?

Es dauert eine Weile – aber jedenfalls fällt es ihm noch ein, bevor die Erkennungsmelodie seiner heißgeliebten Seifenoper aus den Lautsprechern dringt – bis er weiß, wer ihm die Antworten auf all diese und andere Fragen geben kann. Antworten, die garantiert von bestechender Ehrlichkeit sind.

Shredder wird das zwar nicht gefallen, aber seit wann hat der hier was zu melden?

Zufrieden reibt Krang seine Tentakel gegeneinander und lehnt sich dann zurück, um jetzt endlich seine Telenovela zu genießen.

 

 

6. Kapitel

6. Kapitel

 

Shredder hat ein ganz mieses Gefühl, als er diesen Morgen aufwacht. Als eile ein Unheil auf Siebenmeilenstiefeln direkt in seine Richtung.

Dabei ist alles erst einmal wie immer in den letzten drei Tagen: er wacht zwischen Bebop und Rocksteady auf, hat dieses dusselige Kuscheltier im Arm, das türkisfarbene Rhino-Nachtlicht dreht sich noch immer (inzwischen keimt in ihm der Verdacht, seine beiden Mutanten stehen auf dieses nutzlose Teil), dann darf er bei angelehnter Badtüre seine Morgentoilette erledigen und zieht (auch im Bad) das an, was die beiden Deppen heute für ihn bereitgelegt haben (da sie seinen Geschmack treffen, regt er sich darüber nicht mehr auf), dann wartet er, bis die beiden Idioten mit ihrer eigenen Morgentoilette und Anziehen fertig sind, um mit ihnen danach gemeinsam Richtung Küche zu gehen.

Der Geruch – so unverwechselbar und verhasst – der sie schon auf dem Gang empfängt, lässt aus dem miesen Gefühl eine noch miesere Vorahnung werden.

Die sich bestätigt, als sich die Küchentüre öffnet und das Klappern von Geschirr, untermalt von zwei sich angeregt unterhaltenden Stimmen herausdringt. Er kennt beide Stimmen sehr, sehr gut. Eine davon gehört Krang und die andere …

und dann tritt die Gestalt, die zu dieser Stimme gehört in sein Sichtfeld und die Hoffnung, es sei alles nur ein schlechter Traum, zerplatzt in viele kleine tausend Stückchen.

Mutter!“ fassungslos schnappt er nach Luft. „Was machst du hier?“

 

 

Sie sieht gut aus. Sehr elegant in ihrer hellen Bluse und dem Faltenrock und den dazu passenden Halbstiefeln. Und sie hat eine neue Frisur. Es steht ihr, macht sie ein Jahrzehnt jünger. Aber der Teufel soll ihn holen, wenn er ihr das je auf die Nase bindet.

Dafür müsste sie sich schon anders ihm gegenüber benehmen.

„Iss deine Miso-Suppe!“

Shredder verzieht das Gesicht und beäugt misstrauisch den Inhalt der Schale. Dann rümpft er die Nase. Allein schon vom Geruch wird ihm schlecht. Entschlossen schiebt er die Schale von sich.

„Mutter, du weißt doch, dass ich Miso-Suppe nicht mag.“

„Du isst, was auf den Tisch kommt!“

„Äh? Nein.“

„Ich habe den ganzen weiten Weg gemacht und dir extra eine Miso-Suppe nach altem Familienrezept gekocht. Nur für dich. Warum bist du so undankbar?“

„Ich...“

„Du rufst nie an, du schreibst nicht... du hast deine alte Mutter ganz vergessen. Und jetzt willst du nicht mal mehr meine Miso-Suppe essen. Was habe ich nur falsch gemacht?“

„Oh, bitte, entschuldige, dass ich hier unten noch keinen Briefkasten gefunden habe.“

„Ich hatte heute Nachmittag eine Verabredung zum Bridge, die ich natürlich sofort abgesagt habe, als mich Krang anrief. Er rief mich an, Saki. Wieso rufst du mich nicht wenigstens an? Du bist so undankbar. Dein Bruder ist da ganz anders. Ich spreche jeden Sonntag mit ihm.“

Shredder wirft Krang einen gequälten Blick zu. „Was macht sie hier, Krang?“

„Nun, Saki-chan“, grinst dieser, während er weiterhin in einem der vielen Fotoalben blättert, die Miyoko mitgebracht hat, „ich habe sie eingeladen, weil sie mir sagen kann, an welchen Allergien oder Krankheiten du als Kind gelitten hast. Noch einmal so eine Überraschung wie mit den Windpocken möchte ich nicht erleben.“

„Das weiß ich doch auch. Dazu brauchst du sie doch nicht.“

„Bei dir bin ich mir nicht sicher, ob du mir die Wahrheit sagst. Außerdem ist sie deine Mutter.“

„Was sie zutiefst bedauert.“

„Saki!“ Entrüstet starrt Miyoko ihn an und schiebt ihm mit einer schroffen Bewegung die Suppenschale wieder vor die Nase. „Das war unnötig. Und unhöflich! Und jetzt hör auf zu meckern und iss deine Miso-Suppe!“

Die ganze Zeit über haben sich Bebop und Rocksteady zunehmend nervöser werdende Blicke über den Tisch hinweg zugeworfen, und ganz eindeutig hat zwischen ihnen eine gewisse wortlose Kommunikation stattgefunden, denn in dem Moment, wo Rocksteady die unleidliche Diskussion zwischen Shredder und Miyoko mit den Worten:

„Miyoko, entschuldigen Sie, aber kann ich die Fotos auch mal sehen? Ich liebe Familienbilder!“

unterbricht und somit ablenkt, schnappt sich Bebop die Schale mit der Suppe und trinkt sie mit wenigen großen Schlucken ratzeputz leer.

Mit großen Augen und offenem Mund starrt Shredder ihn an. Den Mund klappt er aber schnell wieder zu, als ihm Bebop verschmitzt zuzwinkert und ihm dann auch noch den Kopf tätschelt. Shredder mag es immer noch nicht, wenn man das macht, aber er hält wohlweislich den Mund.

Seine Mutter ist Dank Rocksteady immer noch beschäftigt und wendet ihm den Rücken zu. Diese Gelegenheit nutzt Bebop, indem er ihm blitzschnell sein eigenes Frühstück – Cornflakes mit Milch – zuschiebt.

Der lässt sich das nicht zweimal sagen. Immer mit einem sichernden Blick zu seiner Mutter hinüber, schlingt er die Cornflakes so hastig herunter, dass er sich beinahe daran verschluckt. Aber so ganz unbemerkt bleibt diese Aktion nicht – Krang sieht das alles sehr wohl, doch er grinst nur und verpetzt sie nicht.

Dafür scheint er sich entschlossen zu haben, Shredder auf andere Weise zu ärgern.

„Oh, Miyoko, was ist denn das für ein Bild? Hat unser Saki-chan da tatsächlich eine Puppe im Arm?“

Shredder zuckt sichtbar zusammen, was Krangs Grinsen nur in die Breite wachsen lässt.

„Da war er zwei“, erklärt Miyoko begeistert. „Ich habe die Puppe selbst genäht, als ich mit ihm schwanger war.“ Sie kichert leise. „Ich hatte eben fest mit einem Mädchen gerechnet. Aber er hat die Puppe geliebt.“

Shredder beißt sich auf die Lippen und würde vor Scham am liebsten im Erdboden versinken. Wieso, verflucht nochmal, hat er diese verdammten Fotoalben nicht mitgenommen, als er auszog? Dann lägen sie jetzt sicher in seinem Safe.

Und dann erinnert er sich mit Schrecken an all die anderen peinlichen Fotos in diesem Album. Was soll er nur tun?

„Ich hab bis zum Kindergarten auch gerne mit den Barbies meiner Schwestern gespielt“, erklärt da Bebop mit einem schiefen Lächeln und tätschelt Shredder abermals den Kopf.

Der starrt nur weiter finster vor sich hin, und sein Blick verdunkelt sich bei Krangs nächster Bemerkung nur noch mehr.

„Oh, ein Badestrand! Wo war das denn?“

Shredder schlägt die Hand vors Gesicht und unterdrückt ein Ächzen, denn er weiß – auf diesem und vielen anderen Bildern von diesem Sommer ist er nackt.

„Oh“, antwortet seine Mutter da auch schon begeistert. „Das war unser erster Urlaub am Meer. In Nanki Shirahama. Und es war der letzte Urlaub zusammen mit seinem Vater. Ein Dreivierteljahr später war ich mit Kazuo schwanger und dieser Nichtsnutz machte sich aus dem Staub.“

Krang horcht auf. „Shredder spricht nie von seinem Vater. Was ist passiert? Wenn die Frage gestattet ist.“

„Die Frage ist gestattet. Saki war noch sehr klein, als sein Vater verschwand, es ist kein Wunder, dass er sich nicht an ihn erinnert. Und das ist auch besser so. Der Mistkerl taugte nichts. Ist abgehauen und hat mich auf einem Berg von Schulden sitzen lassen. Mein ganzes Erbe hat er verprasst. Zum Glück habe ich wenigstens nicht meinen Namen verloren. Ich konnte durchsetzen, dass er bei der Heirat meinen Namen annimmt. Deshalb sind meine Kinder echte Orokus. Und waren es auch immer.“

„Das klingt nach einer sehr schweren Zeit für Sie“, bemerkt Krang mit genau der richtigen Dosierung Mitgefühl, um Miyoko noch mehr Details zu entlocken. Dabei müsste er sie gar nicht lange bitten, denn wie Shredder aus leidvoller Erfahrung weiß, redet seine Mutter sehr gerne über ihre vergangenen „Verdienste“.

„Es war wirklich nicht leicht. Ich stand da, alleine, schwanger und mit einem kleinen Kind am Rockzipfel, verschuldet und mit einer Räumungsklage am Hals. Und hätten mir meine Eltern nicht für drei Jahre Saki abgenommen, weiß ich nicht, was aus mir geworden wäre. Es war hart, aber ich kam wieder auf die Füße. Ich fand sogar bald einen Mann, der mich großzügig unterstützte. Er wollte mich sogar heiraten. Aber dann musste ich Saki wieder zu mir nehmen, und das hat den guten Mann verschreckt.“ Sie kichert leise und wirft ihrem Sohn einen funkelnden Blick zu. Der funkelt zurück, aber es hat nichts Freundliches an sich.

„Oh Saki, nun schau mich doch nicht so böse an. Ich weiß ja, dass du keine Schuld an Opas Tod hast. Es kam einfach nur furchtbar ungelegen. Meine Mutter mochte den Bauernhof nie“, erklärt sie wieder an Krang gewandt. „Also hat sie ihn nach dem Tod meines Vaters verkauft, samt den Tieren. Von dem Geld hat sie sich eine Weltreise gegönnt, und da konnte sie Saki natürlich nicht gebrauchen. Er ging ja auch schon zur Schule...“

Krangs Denkfalten vertiefen sich, je mehr er hört. Ihre Wortwahl empfindet er ihm besten Fall als zweifelhaft und im schlechtesten einfach nur herzlos.

Als Krang dann einen Blick zu Shredder hinüberwirft und dessen mörderischen Gesichtsausdruck sieht, hätte er beinahe etwas gesagt, aber Miyoko kommt ihm zuvor.

Sie zieht ein anderes Fotoalbum hervor, schlägt es auf und deutet dann begeistert auf eines der ersten Bilder.

„Hier, das sind die Fotos, die mir meine Eltern von Saki geschickt haben. War das nicht ein paradiesisches Fleckchen Erde? All diese Natur! Und die Tiere erst! Und … wo ist es denn...?“ Suchend blättert sie weiter. „Ah ja, da. Das wollte ich euch unbedingt zeigen.“

Krangs Falten, die immer tiefer wurden, glätten sich plötzlich und machen einer gewissen Heiterkeit Platz, als sein Blick auf dieses Foto fällt.

Rocksteady neben ihm lacht sogar auf und schiebt das Album dann über den Tisch zu Bebop hinüber.

„Beeps, das musst du sehen!“

Zwei Sekunden grinst auch Bebop. Wie könnte er auch nicht? Zeigt das Foto doch einen Saki, der genauso aussieht wie der neben ihm – bis auf ein paar kleine Details natürlich: Die Latzhose auf dem Bild ist braun, nicht blau und das T-Shirt grün und nicht gelb, außerdem trägt er auf dem Foto Gummistiefel und einen Strohhut. Ganz verzagt lächelt er in die Kamera. Er steht auf einer blühenden Sommerwiese, im Hintergrund sieht man einen Wald und einen Schuppen, aber das Wichtigste, das, was alle hier zum Grinsen bringt, das befindet sich auf Sakis Armen: ein rosa-schwarz geflecktes Minischwein.

„Das ist Boo“, erklärt Miyoko vergnügt, „die beiden waren unzertrennlich.“

Als Bebop weiterblättert, findet er diese Aussage bestätigt. Fast auf jedem Bild ist auch Boo. Mal sitzt oder liegt Boo neben ihm, mal trägt Saki ihn, und auf einem Foto liegt Boo sogar neben Saki auf dem Bett.

Bebop lächelt gerührt, und Shredder verdreht nur die Augen.

„Ja und?“ grummelt er. „Ich mag Schweine nun einmal. Sie sind reinlich und hochintelligent.“

Er mag auch Nashörner, aber das verrät er lieber nicht. Es reicht ihm schon, wenn Bebop ihn mit diesen Herzchen in den Augen anblickt. Außerdem...

„Boo wurde an den Schlachter verkauft, genau wie alle anderen Tiere auch. Dabei wäre in der Wohnung wirklich genug Platz für Boo gewesen.“ Shredder kann nicht verhindern, dass der alte Groll wieder in ihm hochkocht. Aber wie immer geht seine Mutter einfach darüber hinweg.

„In eine Stadtwohnung? Ich bitte dich. Das war unmöglich.“

„Ja, ich erinnere mich“, erwidert Shredder spitz. „Keine Haustiere erlaubt, sagtest du. Seltsam war nur, dass Kazuo die Katze, die er anschleppte, behalten durfte."

„Das war etwas völlig anderes.“

„Das sagst du immer. Dadurch wird es nicht wahrer.“

Sie wirft ihm einen durchbohrenden Blick zu, und für einen klitzekleinen Moment zuckt um ihre Mundwinkel dieses hämische Lächeln, das früher oder später immer auftaucht, wenn die Rede auf Boo kommt.

Doch dann ist dieses Lächeln verschwunden und sie wechselt das Thema.

„Hast du deine Miso-Suppe aufgegessen?“

Shredder schnaubt nur, springt vom Stuhl und eilt ohne ein weiteres Wort aus der Küche.

Bebop zögert. Er und Rocksteady wechseln einen unsicheren Blick, doch es ist Krang, der ihm die Entscheidung abnimmt.

„Geh ihm nach“, fordert er ihn mit einer ungeduldigen Tentakelgeste auf. „Sonst macht er wieder irgend eine Dummheit.“

 

 

Der Kleine ist erstaunlich schnell, wie Bebop feststellt. Und diesmal wird er auch nicht dadurch aufgehalten, dass er stolpert und hinfällt. Er ist weg, als Bebop den Gang entlang eilt.

Er versucht es zuerst in Shredders Quartier, doch das ist leer.

So überraschend es ist, aber Bebop findet ihn tatsächlich in seinem und Rocksteadys Quartier. Da sitzt er. Auf den Matratzen. Auf demselben Platz, wo er diese und die letzten Nächte geschlafen hat. Er sitzt einfach nur da und blitzt Bebop aus seinen dunklen Augen an.

„Was will sie hier?“ beschwert er sich. „Warum hat Krang sie überhaupt hierher geholt? Und wann geht sie wieder?“

Bebop seufzt einmal tief und setzt sich neben ihn, streicht ihm vorsichtig übers Knie.

„Ärger dich doch nicht so über sie. Das ist sie gar nicht wert. Wollen wir nicht lieber etwas Spielen? Oder willst du wieder malen? Oder soll ich dir einen Comic leihen?“

Shredder schnieft einmal durch die Nase, funkelt ihn an und schlägt mit der rechten Faust auf die Matratze, dass diese regelrecht hüpft.

„Ich will was kaputt machen! Am liebsten dieses Produkt einer Gans, das sich meine Mutter schimpft!“

Auch wenn Bebop das sehr gut versteht, kann er das natürlich nicht zulassen. Er kann aber auch nicht zulassen, dass irgend etwas anderes zu Bruch geht. Es gibt hier nicht viel Zerbrechliches, aber an dem Wenigen hängt er.

„Spielen wir Video? Wir haben da so ein Spiel aus der DimensionX, das ist fast wie Street Fighter. Nur mit viel besserer Graphik und mehr Blut.“

Krang hat ihnen das Videospielen zwar verboten, aber Bebop kümmert das im Moment weniger, vor allem, als er sieht, wie sich Sakis Miene bei seinem Vorschlag tatsächlich etwas aufhellt.

 

 

Krang bemerkt schnell, dass seine Idee wohl doch nicht so das Gelbe vom Ei war, und das nicht nur, weil das Verhältnis zwischen Shredder und seiner Mutter so eindeutig und absolut gestört ist. Denn weil Miyoko ihren Sohn drei Jahre lang gar nicht selbst aufzog, weiß sie erst ab dem Alter sechs und aufwärts von ihm zu berichten. Und das hilft Krang im Moment nicht gerade viel.

Aber auch in dem Zeitraum, wo sie etwas wissen könnte, zeichnet sich die gute Frau nicht gerade durch einen umfangreichen Erfahrungsschatz aus. Eine Mittelohrentzündung da, etwas Bauchweh hier – das ist nicht sehr zufriedenstellend.

Dafür erfährt er viel mehr über das Leben, das Miyoko mit ihren beiden Söhnen geführt hat, als er je wissen wollte. Und später wünscht er sich, er hätte es nie erfahren, dann würde er sich nämlich nicht so aufregen!

Er ist nur froh, dass Rocksteady schon vor einer Weile gegangen ist – das Rhino hat sich die Fotoalben geschnappt und ist damit zu Bebop geeilt, damit dieser sie sich auch ansehen kann – denn der hätte bestimmt nicht die nötige Ruhe bewahrt.

Den Preis für die beste Mutter der Jahres würde Miyoko nicht gewinnen, soviel steht fest.

Dafür hat sie sich zu sehr auf sich selbst konzentriert und ihre Kinder zu oft alleine gelassen. Und ständig war sie mit Männern unterwegs, ließ sich von ihnen aushalten, luchste ihnen das Geld aus der Tasche wo es nur ging und verleugnete manchmal sogar ihre Kinder, wenn ihr das nur ein paar Yen mehr verschaffte.

„Wessen wurden Sie nochmal angeklagt?“ kann es sich Krang schließlich nicht verkneifen nachzufragen. „Was war es doch gleich? Heiratsschwindel?“

„Konnte nie bewiesen werden“, grinst sie. „Weil ich sie nie geheiratet habe. Ich habe es so gedreht, dass sie mich immer kurz vor der Hochzeit stehen ließen. Meistens – spätestens, nachdem sie von meinen beiden, armen Kindern erfuhren - hatten sie auch noch ein schlechtes Gewissen deswegen und haben mich sogar noch Monate später alimentiert.“ Sie sieht, wie Krangs Mundwinkel abschätzig nach unten sinken und verteidigt sich sofort: „Hey, das waren andere Zeiten damals. Einer alleinerziehenden, alleinstehenden Frau wurde da schnell jegliche Ehre abgesprochen, also, warum sollte ich das nicht zu meinem Vorteil ausnutzen? Ich habe getan, was ich tun musste, um meinen beiden Kindern ein Dach über dem Kopf zu sichern. Ich musste doch diesen Riesenberg an Schulden abarbeiten. Und sie hatten viele Annehmlichkeiten, die sie nie gehabt hätten, wäre ich ständig die kleine, unterbezahlte Büromieze geblieben. Sie hatten Klavierstunden. Sie durften ein Dojo besuchen. Kazuo konnte sogar studieren. Hätte Saki auch gekonnt, aber er wollte ja lieber den Kampfninja spielen. Du lässt ihm übrigens viel zu viel durchgehen, Krang. Der Junge braucht eine strenge Hand. Vor allem jetzt. Du solltest ihn wegschicken. Soll er die Suppe doch selber auslöffeln. Nur so lernt er etwas. Nur so ändert er sich.“

Krang starrt sie für ganze zehn Sekunden nur fassungslos an.

„Er ist ein Kleinkind. Wo würde er landen? Wohin soll er denn?“

Sie lächelt so breit, dass es eher wie ein Grinsen wirkt. Ein sehr gemeines Grinsen.

„Zu mir. Ins Seniorenheim. Ich nehme ihn gerne ein paar Tage. Ich würde ihn als meinen Enkel ausgeben. All die anderen Hohlköpfe dort geben so viel mit ihren Enkelkindern an, es ist nicht zum Aushalten. Und da meine eigenen Söhne ja anscheinend keine Lust haben, mir diesen einen kleinen Gefallen zu tun und mir endlich Enkelkinder zu schenken … obwohl“, schweift sie nachdenklich ab, „da Kazuo jetzt eine Freundin hat, die mit seinen Dienstzeiten klarkommt, was nur logisch ist, weil sie auch Polizistin ist, könnte es also durchaus sein, dass ich doch bald Oma werde... aber das wäre dann und jetzt ist jetzt“, entschlossen reckt sie das Kinn in die Höhe und kehrt zu ihrem eigentlichen Ansinnen zurück, „und Saki schuldet es mir. Also, leih ihn mir für ein paar Tage aus. Das wird ihm eine Lehre sein, in Zukunft vorsichtiger zu sein.“

Darüber braucht Krang nicht eine Sekunde nachzudenken.

„Nein“, entgegnet er bestimmt.

 

 

Egal wieviel virtuelle Gegner er zu Brei schlägt, Shredders Nerven beruhigt das nur wenig. Seine Mutter hat diese Wirkung auf ihn. Ihr Anblick allein genügt, um all diese negativen Gefühle in ihm wieder zu wecken, von denen er dachte, er sei ihnen schon längst entwachsen.

Und deshalb sind alle seine Sinne in Alarmbereitschaft, und so kommt es, dass er selbst über den Lärm des Videospiels und durch die dicken Wände hindurch hört, wie sich die Tür seines gegenüberliegenden Quartiers zischend öffnet und wieder schließt.

Wie von der Tarantel gestochen springt er auf und ist auch schon durch die Tür, bevor Rocksteady und Bebop auch nur begreifen, was los ist.

„Mutter!“ Fassungslos steht Shredder auf der Türschwelle, während Miyoko weiterhin ungeniert in seinen Schränken herumstöbert.

„Mutter! Raus aus meinem Zimmer! Du hast hier nichts verloren!“

Ungerührt geht sie zum Schreibtisch hinüber und beginnt, nun dort herum zu kramen.

„Unordentlich wie immer“, tadelt sie dabei. „Du solltest wirklich mal Aufräumen.“

Entsetzt beobachtet er, wie sich ihre Fingern auf jenen Papierberg zubewegen, unter dem sein Heft mit seinen Haikus liegt. Es ist nur ein Hobby, aber dafür ein sehr Persönliches.

„Mutter! Bitte geh!“ Nicht zum ersten Mal verflucht er es, so klein zu sein. Als erwachsener Mann könnte er sie einfach am Arm aus dem Zimmer zerren, aber jetzt bekäme er höchstens ihren Rocksaum zu fassen. In seiner Hilflosigkeit und Verzweiflung reagiert er mal wieder mit einer Kurzschlußhandlung:

Er wirft den Controller, den er die ganze Zeit über noch in der Hand hielt.

Das kleine Gerät prallt mit einem satten Geräusch von Miyokos Hinterteil ab und plumpst dann zu Boden. Shredders Augen weiten sich unwillkürlich. Er hofft inbrünstig, dass da drin jetzt nichts zu Bruch gegangen ist – das würden ihm Bebop und Rocksteady nämlich nie verzeihen.

Miyoko fährt herum, ein ihm nur allzu gut bekanntes und gefürchtetes Funkeln in den Augen, während der Rest ihrer Miene geradezu unbewegt bleibt. Mit raschen, schnellen Schritten eilt sie auf ihn zu. Sie holt mit der rechten Hand aus und -

„Echt jetzt?“ Wie aus dem Boden gewachsen steht plötzlich Rocksteady zwischen ihr und ihrem Sohn. Ganz ruhig steht er da, nur die Art, wie fest sich seine Ohren an seinen Kopf pressen, verrät seinen inneren Aufruhr.

Bebop hinter ihm hat inzwischen Shredder auf seinen Arm genommen und drückt diesen beschützend an sich. Das alles geschieht so plötzlich, dass Shredder viel zu verwirrt ist, um sich dagegen zu wehren.

Miyoko ihrerseits lässt zwar zögernd ihre Hand wieder sinken, aber der mörderische Ausdruck in ihren Augen ändert sich nicht. Stattdessen richtet sich ihr ganzer Zorn nun auf den Mutanten, der zwischen ihr und ihrem Sohn steht.

„Misch dich da nicht ein, du Rhino! Das ist etwas zwischen meinem Sohn und mir! Das geht dich gar nichts an!“

„Sie rühren ihn nicht an.“ Aus Rocksteadys Kehle löst sich ein heiseres Grollen. „Es ist mir egal, ob Sie eine Frau sind oder wie alt Sie sind, ich schwöre Ihnen: wenn Sie ihn anrühren, können Sie Morgen früh Ihr Frühstück aus der Schnabeltasse trinken!“

Miyokos dunkle Augen, die denen Shredders so ähnlich sind, wandern von Rocksteady zu ihrem Sohn auf Bebops Arm, dann über Bebops kühle Miene und wieder zurück zu Rocksteady. Um ihre Lippen kräuselt sich ein merkwürdiges Lächeln.

„Glückwunsch“, meint sie an ihren Sohn gewandt. „da hast du dir ja zwei richtige Bodyguards herangezüchtet.“

„Mutter.“ Shredder hat endlich seine Fassung wiedergefunden, und er beschließt, dieses Kommentar geflissentlich zu ignorieren. Es würde nur zu noch mehr Streit und Zank führen. „Das hier ist mein Quartier. Bitte betrete es nicht ohne meine Erlaubnis. Wenn du mich gesucht hast: nun, hier bin ich.“

Von einem Moment zum anderen verändert sich ihr ganzes Verhalten. Ihr Lächeln wird weicher und ihre Miene sanfter. Plötzlich passt ihr Benehmen zu ihrer Aufmachung – jetzt ist sie ganz die elegante, wohlerzogene und harmlose Dame, die schon Dutzende von Männern um den kleinen Finger gewickelt hat.

„Ich wollte nur mal sehen, wie du so lebst, mein Sohn. Das kannst du deiner alten Mutter doch nicht verdenken.“

Ein Teil von Shredder will ihr glauben, und obwohl ihn die Erfahrung eines Besseren belehrt, verspürt er ein schlechtes Gewissen – vor allem, als sie scheinbar zufällig über ihr Hinterteil reibt, dort, wo er sie getroffen hat. Er war es, der ihren Ausbruch provoziert hat. Er hat sich ihr gegenüber zuerst aggressiv verhalten.

„Bleibst du zum Mittagessen?“ fragt er sie deshalb wider besserer Überzeugung. „Und kochst du uns dein Spezial-Sushi?“

„Gerne“, lächelt sie siegesgewiß und geschmeichelt. Auf ihrem Weg Richtung Tür kommt sie an ihm vorbei und nutzt die Gelegenheit, ihm gönnerhaft die Wange zu tätscheln. Bebop und Rocksteady dagegen würdigt sie keines weiteren Blickes mehr.

Die drei sehen ihr nach, bis sich die Tür wieder hinter ihr geschlossen hat. Dann mustern die beiden Mutanten ihr geschrumpftes Chefchen mit hochgezogenen Brauen.

Der seufzt nur und zuckt mit den Schultern.

„Sie ist nun mal meine Mutter“, entschuldigt er sich leise.

 

 

In den folgenden Stunden scheint zwischen Shredder und seiner Mutter ein gewisser Waffenstillstand zu herrschen. Jeder der beiden nimmt sich etwas zurück, doch dass das nicht so bleiben wird, ist eigentlich jedem sonnenklar.

Das Mittagessen verläuft noch angenehm und friedlich, und Miyoko wird kurzzeitig sogar richtig liebenswürdig – das kann aber auch nur daran liegen, dass ihr alle für ihre Kochkünste ein wohl verdientes Lob aussprechen.

Beim obligatorischen „Fototermin“ danach zeigt sie jedoch wieder ihre starrsinnige, ausgesprochen egoistische Seite. Sie besteht darauf, dass Mini-Shredder auf ihrem Schoß sitzen soll.

Krang bereut es unverzüglich, diesen Termin nicht einfach auf einen späteren Zeitpunkt verschoben zu haben – vorzugsweise wenn sie nicht mehr hier ist.

Das ganze Gezeter geht ihm unheimlich auf die Nerven. Es ist einer dieser seltenen Momente in Krangs Dasein, wo er sich wegen seiner untypischen Kurzsichtigkeit selbst mit den Tentakeln schlagen könnte – eigentlich wollte er Shredder nur ein bisschen ärgern. Ein Foto von ihrer kleinen „Familie“ inklusive Miyoko – damit hätte er etwas, womit er Shredder ewig triezen könnte.

Was er aber definitiv nicht provozieren wollte, das ist dieser Kleinkrieg, der hier plötzlich zwischen den Mutanten und Miyoko ausbricht.

Denn anders als Shredder, der bereit ist, sich den Forderungen seiner Mutter zu beugen (wenn auch zähneknirschend), sehen Rocksteady und Bebop ums Verrecken nicht ein, wieso sie „ihren“ Saki-chan jetzt hergeben sollen.

„Ich bin seine Mutter“, stellt Miyoko zum gefühlt tausendsten Male in den letzten drei Minuten klar.

„Und jetzt kümmern wir uns um ihn“, kontert Rocksteady unbeeindruckt.

„Ihr habt ihn schon die ganze Zeit“, lamentiert sie, während sie Saki, der auf ihren Knien sitzt, ganz fest hält. „Und ihr habt ihn auch morgen. Und übermorgen. Und die ganze Woche. Das ganze Jahr! Ich habe ihn nur heute. Seid nicht so egoistisch. Es geht doch nur um ein Foto.“

Mit diesen Worten zieht sie Shredder an ihre Brust und herzt und busselt ihn ausführlich. Shredder rollt nur gequält mit den Augen, sagt aber nichts.

Krang macht dem ganzen Theater schließlich ein Ende.

„Hört auf euch wie Babys zu benehmen! Ich mache ausnahmsweise einmal drei Fotos, dann kann Saki bei jedem von euch auf dem Schoß sitzen. Zufrieden?“

Sie sind zufrieden.

Nun ja, fast.

„Oh, Krangchen“, flötet Miyoko und schenkt ihm ein süßes Lächeln, „ich will noch ein Foto. Eines, worauf nur ich und mein Sohn zu sehen sind. Und ich will es noch heute mitnehmen.“

„Wozu?“ entfährt es Shredder.

Zärtlich streicht sie ihm übers Haar.

„Ich will es natürlich immer bei mir tragen. Du bist mir wichtig.“

Shredder mustert sie mit gerunzelter Stirn.

„Sie will mit dir angeben“, klärt Krang die Lage freundlicherweise auf. „Sie will dich als ihr Enkelkind ausgeben, damit sie vor all den anderen stolzen Omas und Opas im Seniorenheim nicht mehr so enkellos dasteht.“

Miyoko nickt, doch dann begegnet sie Shredders grimmigen Blick und ihre Miene verhärtet sich.

„Du schuldest es mir, mein Sohn“, erklärt sie streng und in diesem Tonfall, der keinen Widerspruch duldet. „Ich wünsche mir Enkel. Das ist nur natürlich. Aber dein Bruder und du, ihr denkt nur an euch. Du schreibst mir noch nicht einmal. Da ist so ein Foto nicht zu viel verlangt. Oder...“ sie zögert, und in ihre Augen schleicht sich ein lauerndes Glitzern, „...würdest du mich begleiten? Damit ich dich persönlich vorstellen kann? Wir könnten Zeit miteinander verbringen. Zu dem Heim gehört auch ein kleiner Kinderspielplatz.“

Nur das nicht!

„Nein!“ Abwehrend hebt Shredder die Hände und zerbricht sich den Kopf über eine plausible Ausrede. Krang kommt ihm zu Hilfe.

„Ich wiederhole mich nur ungern, Miyoko“, schnarrt das Alien, „aber wie ich Ihnen schon vorhin mitgeteilt habe: Saki hat Stubenarrest. Er wird das Technodrome nicht verlassen. Aber -“, setzt er im selben Atemzug besänftigend hinzu, „Sie bekommen Ihr Foto.“

„Ja“, nickt Shredder und tätschelt ihr etwas linkisch den rechten Oberarm, während er gleichzeitig versucht, eine bedauernde Miene zu ziehen. „Es tut mir leid, Mutter.“

Miyoko schürzt die Lippen und senkt den Kopf. Ob ihre Enttäuschung echt oder nur gespielt ist, kann selbst Shredder nicht beurteilen, aber seine Erleichterung ist echt, als sie schließlich diesen langen Seufzer ausstößt und dann ein zustimmendes Murmeln von sich gibt.

Und ganz plötzlich tut sie ihm leid.

Er beschließt, auf den Fotos sehr süß zu lächeln und die restlichen Stunden, die sie noch hier ist, ganz besonders lieb zu ihr zu sein.

 

 

Krang ist verdammt genervt, als er, in einem Tentakel den Umschlag mit den versprochenen Fotos haltend, die Kommandozentrale wieder betritt. Er betrachtet die Fotoentwicklung als eine Art Kunstform, bei der er sich ungern hetzen lässt.

Nur blieb ihm heute nichts anderes übrig, wenn er ihren Gast noch vor dem Abendessen wieder loswerden will.

Und das ist wohl auch bitter nötig – wie er mit tiefen Sorgenfalten feststellen muss, als die schalldichte Tür vor ihm zurückgleitet und ihm sofort Miyokos scharfe Stimme entgegen schallt.

„... nicht gerade die hellsten Kerzen auf dem Leuchter!“

Sie steht mitten im Raum, die Hände in die Hüften gestemmt und funkelt die beiden Mutanten von oben herab an. Was eine ziemliche Kunst bedeutet für jemanden, der gut anderthalb Köpfe kleiner ist, so wie sie.

„Sie machen das ganz ordentlich, Mutter“, erklärt Shredder von Rocksteadys Arm aus.

Doch sie schnaubt nur verächtlich. „Das bezweifle ich, mein Junge.“

„Bezweifle doch, was du willst. Ich sehe keinen Grund zur Klage.“ Mit diesen Worten kuschelt sich Shredder fester an Rocksteady an. Bei diesem Anblick verengen sich Krangs Augen unwillkürlich. Ist das Instinkt, oder will er seine Mutter damit bewusst provozieren?

„Worum geht es hier?“ verlangt er scharf zu wissen, während er den Raum endgültig betritt. Er hält direkt auf Miyoko zu und überreicht ihr das Kuvert mit den Umschlägen, doch sein Blick wandert streng zwischen Bebop, Rocksteady, Shredder und Miyoko hin und her.

„Sie meint, wir wären kein guter Umgang für unser Chefchen“, antwortet Rocksteady erbost, woraufhin ihm Shredder beruhigend über die Wange streichelt. Und auch Bebop, der direkt neben Rocksteady steht, berührt diesen besänftigend am Arm.

„Wir können sehr wohl sehr gut mit Kindern umgehen“, erklärt Bebop dann an Miyoko gewandt.

„Ist doch egal, was sie denkt. Ich finde, ihr macht das großartig.“ Shredder schenkt seinen Mutanten ein ehrliches, offenes Lächeln.

Krang betrachtet ihn einen Moment fasziniert. Wenn der Junge so lächelt, wird selbst ihm ganz warm ums nicht existente Herz. Er kann gar nicht anders, als automatisch zurückzulächeln, auch, wenn dieses Lächeln gar nicht ihm gilt.

Miyoko entgeht das genauso wenig wie die Reaktion der beiden Mutanten, die bei dem Lächeln ihres Sohnes nicht nur ruhiger, sondern deren ganze Ausstrahlung auch sofort viel weicher werden.

Das hat er schon immer so gemacht, und es regt sie heute noch genauso auf wie damals.

„Sei bloß vorsichtig“, wendet sie sich daher mit einem betont freundlichen Unterton direkt an Bebop. „Oder willst du enden wie sein letzter schweinischer Freund? Mein Sohn hat nämlich kein Problem damit, sich seine sogenannten tierischen Freunde bei Gelegenheit einzuverleiben.“

Shredder wirft ihr einen verständnislosen Blick zu und runzelt gleichzeitig die Stirn, während er noch versucht, hinter den Sinn ihrer Worte zu kommen. Alles, was er weiß, ist, dass jetzt eine riesige Gemeinheit aus ihrem Mund kommen wird.

Aber mit dem, was sie dann sagt, hat er nie im Leben gerechnet.

„Oh, Saki, bitte“, erklärt sie in Hinblick auf sein verdutztes Gesicht süffisant, „willst du wirklich behaupten, du hast das bis heute nicht begriffen? Na, dann werde ich deinem Gedächtnis mal auf die Sprünge helfen. Erinnerst du dich an dem Tag, als ich dich wieder zurücknahm, zu mir und deinem Bruder? Dein Willkommensessen? Das Katsu Don, das dir so gut geschmeckt hast, dass du sogar eine weitere Portion haben wolltest?“

Shredders Stirnrunzeln vertieft sich. Natürlich erinnert er sich daran. Sehr gut sogar. Es ist eine der wenigen guten Erinnerungen seiner Kindheit, eine, die ihm immer etwas Hoffnung schenkte. Denn dass seine Mutter ihm zu Ehren so etwas Gutes kochte, konnte doch nur bedeuten, dass sie ihn trotz allem immer noch liebte. Oder?

Miyoko macht eine kleine Kunstpause, bevor sie dann ganz bewusst jene Bombe zündet, deren Platzen sie sich jahrzehntelang für eine Gelegenheit wie diese hier aufgespart hat.

„Das war niemand geringeres als dein geliebter Boo. Du hast deinen besten Freund gegessen.“

 

 

„Sweetie.“ Der Kosename rutscht ihm heraus ohne dass er darüber nachgedacht hat. Zögernd legt Bebop seine Hand auf die Decke, dort, wo er Sakis Rücken vermutet.

„Sie ist fort. Du kannst rauskommen.“

Und ob sie fort ist! Krang hat sie so schnell durch das Portal geschickt, dass sie gar nicht wusste, wie ihr geschah. Eigentlich erstaunlich, wenn man bedenkt, wie knauserig Krang mit der Teleporterenergie ist – aber andererseits haben sie ihn selten so wütend erlebt. Nicht einmal, wenn sie wieder einmal einen seiner Welteroberungspläne verbockt hatten, war er je so purpurrot gewesen vor Wut.

Saki-chan hat sich tapfer gehalten, kein Wort hatte er gesagt, nur seine Miene blieb völlig starr, als er von Rocksteadys Armen rutschte und ohne sich umzudrehen aus der Kommandozentrale verschwand.

Es dauerte eine Weile, bis sich Rocksteady und Bebop aus ihrer Schockstarre befreiten, so lange, dass sie noch mitbekamen, wie Krang Miyoko aus dem Technodrome verbannte, aber dann eilten sie ihrem geschrumpften Chefchen sofort hinterher.

Zuerst haben sie natürlich mal wieder falsch gesucht, nämlich in seinem Quartier.

So haben sie wieder wertvolle Sekunden verloren, in denen sie ihn schon hätten trösten können.

Unter der Decke schluchzt es unbeirrt weiter.

Bebop schluckt einmal schwer und wirft Rocksteady, der auf der anderen Seite dieses Deckenbündels hockt, einen hilflosen Blick zu. Aber dieser fühlt sich offensichtlich genauso hilflos wie er.

„Sweetie, bitte. Hör doch auf zu weinen.“ Zögernd zupft Bebop an der Decke. Zentimeter für Zentimeter kommt so der kleine Junge darunter zum Vorschein. Er hat sich ganz klein zusammengerollt und presst das Gesicht fest in die Kissen. Ein Anblick, der den beiden Mutanten tief ins Herz schneidet.

Rocksteady seufzt nur tonlos und streicht ihm durch das zerzauste Haar. Diese sich stetig wiederholende, zärtliche Berührung scheint den Jungen tatsächlich zu beruhigen, denn nach einer Weile verebben seine Schluchzer und er beginnt, sich zu regen.

„Ich wusste es nicht“, murmelt er so leise mit tränenerstickter Stimme ins Kissen, dass sie Mühe haben, ihn zu verstehen. „Sie versprachen mir, dass alle Tiere es gut haben würden. Erst zu meinem zwölften Geburtstag sagte mir meine Mutter, dass sie in Wirklichkeit geschlachtet wurden. Aber ich bin nie - nie! - auf den Gedanken gekommen, dass sie mir Boo vorgesetzt hat. Ich weiß, dass sie Kazuo immer mehr mochte als mich, aber dass sie so gemein sein kann...“

Er holt einmal tief und zitternd Luft, bevor er sich langsam in eine sitzende Position aufhievt. An seinen Wimpern und auf seinen Wangen glitzern noch Tränen, und zumindest die auf seinen Wangen wischt Bebop liebevoll mit seinen großen Fingern fort.

Weder er noch Rocksteady wissen, was sie darauf antworten sollen. Jedes ihrer Worte hätte absolut hohl und belanglos geklungen im Vergleich zu den Schmerzen, die sie in ihrem Herzen verspüren, ihr Chefchen so unglücklich zu sehen.

„Ich wusste es nicht!“ ruft Saki plötzlich aus, und seine kleinen Fingerchen greifen nach Bebops Handgelenken. „Wirklich nicht! Bitte glaubt mir das! Ich würde nie meine Freunde essen! Ich würde nie euch essen!“

„Das haben wir auch nie angenommen“, brummt Rocksteady, während er ihm wieder durchs Haar streicht.

„Ich würde euch nie … niemals...“

„Das wissen wir, Sweetie.“ Mit diesen Worten zieht Bebop ihn auf seinen Schoß und umarmt ihn ganz fest.

Shredders nächste Worte werden zwar durch Bebops Weste gedämpft, aber sie sind trotzdem gut zu verstehen:

„Ich hab euch doch lieb.“

 

 

7. Kapitel

7. Kapitel

 

Genüsslich suckelt Krang an dem Strohhalm zwischen seinen Zähnen und streckt seine restlichen drei Tentakel (einer muss ja das Glas mit dem Getränk halten) in drei der vier Himmelsrichtungen. Nie würde er es laut zugeben, aber er ist nicht gerne den ganzen Tag in seinem Androidenkörper eingesperrt. Auch nicht in seiner Plexiglaskugel, nebenbei bemerkt. Mindestens einmal pro Tag – heimlich – entfleucht er diesen schützenden Barrieren und kostet es aus, die Luft um sich herum zirkulieren zu fühlen. So nackt und bloß ist er verletzlich, aber das ist es wert.

Und wenn man dabei auch noch seine Lieblingsseifenoper und einen Eistee genießen kann, umso besser.

Daher ist er nicht gerade erfreut, als er das Zischen der sich öffnenden Türen zur Kommandozentrale hört. Zu stur, sich diesen Moment durch irgend jemanden stören zu lassen, bleibt er, wo er ist und ignoriert den Eindringling so lange ihm das möglich ist.

„Krang?“ Dieses leise, zarte Stimmchen lässt ihn dann doch den Blick zur Seite wenden.

„Krang?“ wiederholt sein derzeitiger Untergebener in handlicher Kindergröße und starrt ihn mit großen, braunen Mandelaugen an, während seine Fingerchen unsicher mit dem Saum seines T-Shirts spielen. „Kann ich mitsehen? Ich bin auch ganz leise.“

Krang verschluckt sich fast vor Überraschung.

„Ich dachte, du daddelst mit Bebop und Rocksteady? Wofür hab ich euch heute beim Frühstück eine Sondererlaubnis gegeben?“

Betreten starrt Shredder auf seine Schuhspitzen. „Langweilig“, murmelt er dann.

„Ein Buch lesen?“ schlägt Krang hilfreich vor.

„Kenn ich schon alle.“

„Uns wieder ein Bild malen?“

„Keine Lust.“

Krang zögert einen Moment, entscheidet sich dann aber, dass Shredder ruhig wissen darf, dass er sein geheimes Hobby kennt:

„Haiku?“

Shredder zuckt peinlich berührt zusammen, doch dann seufzt er nur einmal schwer und schüttelt den Kopf.

„Mir fällt nichts ein“, klagt er und sieht ihn dann wieder mit diesen dunklen Mandelaugen an. „Bitte, kann ich bitte blieben?“

Wer kann diesem Blick schon widerstehen? Und so klopft Krang nur einladend neben sich.

„Setz dich.“

Shredders Miene hellt sich sofort auf. Eifrig kraxelt er neben Krang auf die Couch.

Stumm sitzen sie nebeneinander, während auf dem großen Hauptbildschirm die letzten Sekunden des Vorspanns laufen. Shredder hält sein Versprechen und verzichtet auf seine üblichen Klugscheißer-Kommentare. Erst in der Werbepause wagt er es, wieder etwas zu sagen.

„Danke, Krang. Danke für die Mühe, die du dir gibst, damit ich wieder groß werde. Und danke für deine Geduld.“

Krang wirft ihm einen überraschten Blick zu, fängt sich aber schnell wieder.

„Warte, bis du meine Rechnung siehst“, scherzt er verlegen und hätte ihm garantiert mit dem Tentakel den Kopf getätschelt, wenn er auf der Seite nicht schon seinen Eistee halten würde.

Shredder senkt den Kopf und starrt auf seine sittsam gefalteten Hände. Seine Stimme ist leise, aber fest, und seine Worte sind sehr sorgsam gewählt.

„Wenn du dich wider Erwarten geirrt hast und ich doch nicht mehr wachse, hilfst du mir dann, nette Adoptiveltern zu finden? Ich bin zwar kein Baby, aber noch nicht so groß. Ein ordentliches Sümmchen solltest du für mich noch bekommen können.“

Krangs Tentakel rollt sich fester um seinen Eistee, als er das hört. Er schluckt einmal schwer und starrt den laufenden Meter neben sich entgeistert an. Dass da vorne seine Seifenoper weitergeht, bemerkt er gar nicht.

Ich würde dich nie verkaufen! schreit alles in ihm auf. Wofür hältst du mich denn?

Doch sein verletzter Stolz überwiegt.

„Zweifelst du etwa mein wissenschaftliches Genie an?“ poltert er los. „Du wirst wieder groß! Noch vor nächsten Monat bist du wieder wie früher!“

Bei seinem Ausbruch hebt Shredder erschrocken den Kopf, senkt ihn aber sofort auch wieder, diesmal sogar noch tiefer.

„Ich meine ja nur...“ nuschelt er kleinlaut. „So bin ich doch nur eine Belastung für dich. Auf jeden Fall keine große Hilfe. Ich könnte es verstehen, wenn du mich ersetzen willst. Nur, wenn, dann schmeiß mich bitte nicht einfach raus, hilf mir irgendwo unter zu kommen. Und wenn du dabei auch noch Geld verdienst, war ich wenigstens zu etwas nützlich.“

Krang wechselt den Eistee in seinen anderen Tentakel und gibt ihm mit dem nun freigewordenen Körperteil einen zwar nicht schmerzhaften, aber doch sehr bezeichnenden Schlag auf den Hinterkopf.

„Für welch ein Monster hältst du mich?“ faucht er nun doch, tödlich beleidigt. „Ich verkaufe keine Kinder! Nicht mal dich!“ Er holt einmal tief Luft. Als er sieht, wie Shredder die Schultern hochzieht, sich regelrecht in sich selbst verkriecht und sich dabei den Hinterkopf reibt, tut ihm seine Unbeherrschtheit sofort wieder leid.

Der Junge ist eindeutig immer noch nicht über den gestrigen Besuch seiner Mutter hinweg. Es ist nicht seine Schuld, dass er jetzt solche Gedankengänge hat.

„Du wirst wieder erwachsen“, stellt er nochmal laut und deutlich klar. „Und damit ist das Thema erledigt, verstanden? Ich will nie wieder etwas in der Art von dir hören.“ Plötzlich kommt ihm ein geradezu unglaublicher Gedanke und seine Augen verengen sich zu zwei kleinen misstrauischen Schlitzen.

„Sag nicht, dass du in den Everglades absichtlich verloren gegangen bist.“

Shredders Zögern ist Antwort genug.

Krang würde sich die Haare raufen, so er denn welche hätte.

„Sag, dass das nicht dein Ernst ist!“

„Anfangs nicht“, gibt Shredder leise zu. „Leatherhead hat mir wirklich Angst gemacht. Ich bin einfach losgerannt. Aber als ich merkte, dass ich mich verirrt hatte, bin ich einfach weitergelaufen, anstatt stehen zu bleiben und zu warten, dass ihr mich findet. Ich dachte, irgendwann treffe ich schon auf ein paar Touristen, die mich mitnehmen können. Aber dann war da niemand und je länger ich da ganz alleine war, desto unheimlicher wurde es und da wollte ich nur noch zurück...“

„Sapperlot, Oroku Saki!“ In einer geradezu verzweifelt anmutenden Geste wirft Krang drei Tentakel (der vierte hält den Eistee) gen Decke.

„Es tut mir leid...“

Krang holt einmal tief und zischend Luft.

„Ich bin nicht deine Mutter, Saki-chan“, stellt er klar, die Verniedlichung betonend, während er einen seiner Tentakel unter Shredders Kinn legt und ihn so zwingt, ihn anzusehen. „Ich gedenke nicht, dich zu verkaufen, noch dich durch irgend jemanden zu ersetzen. Vorerst jedenfalls nicht. Denn wenn du noch einmal so einen Blödsinn verzapft, überlege ich es mir vielleicht doch noch mal. Okay?“

Shredder nickt zögernd.

„Gut“, zufrieden tätschelt Krang seine Wange. „Und jetzt lass uns weiter fernsehen.“

 

 

Shredder – oder Saki-chan, wie Krang ihn derzeit viel lieber nennt – leistet Krang bis zum Mittagessen Gesellschaft, und Krang findet keinen Grund dazu, sich darüber zu beschweren. Der Kleine benimmt sich so ruhig und zurückhaltend, dass er zeitweise sogar vergisst, dass er da ist – obwohl er direkt neben ihm sitzt.

Krang ist fast ein wenig enttäuscht, als Bebop den Jungen zum Mittagessen abholt.

Krang, der keinen Körper zu versorgen hat und deshalb nicht so viel essen muss wie seine Untergebenen, denkt tatsächlich einen kurzen Moment darüber nach, ob er ihnen nicht trotzdem mit seiner Anwesenheit auf die Nerven fallen soll. Damit er sich davon überzeugen kann, dass Saki-chan auch richtig isst oder so. Doch dann verwirft er diesen Gedanken, diesen Moment der Schwäche, schnell wieder.

Denn schließlich wird und kann er genau das auch ein paar Stunden später, bei Saki-chans täglichen Gesundheits-Check-up überprüfen.

Und bis dahin gibt es noch die eine und andere Seifenoper, die er sehen muss...

 

 

„Na, siehst du?“ lächelt Krang, während sich sein Tentakel sanft um Sakis Handgelenk schlingt und ihm so dabei hilft, unter dem Längenmaß hervorzutreten.

„Anderthalb Zentimeter mehr als gestern.“

Skeptisch runzelt der Kleine die Stirn. „Ist das gut?“

„Ja. Das ist sogar sehr gut, Saki-chan“, erwidert Krang mit einer für ihn untypischen Engelsgeduld. Er ist mehr als zufrieden. Alle medizinischen Untersuchungen haben ergeben, dass sich der Körper des Jungen in gesundheitlich einwandfreiem Zustand befindet. Auch die Alterung seiner Zellen entspricht genau dem berechnetem Wert.

Und Kieferschmerzen (oder sonstige Wehwehchen) hat er nach eigener Auskunft und der der immer aufmerksamen Mutanten auch nicht mehr.

Shredder wirft ihm einen zweifelnden Blick zu, und das scheint ihm sogar wichtiger zu sein als sich gegen Rocksteady zu wehren, der ihn mal wieder hoch auf seine Arme nimmt. Vielleicht hat er sich aber auch nur daran gewöhnt, von seinen Mutanten durch die Gegend getragen zu werden.

Was sie, wenn Krang genauer darüber nachdenkt – und was ihm jetzt ein paar tiefere Denkfalten beschert – seit gestern viel häufiger zu tun scheinen.

„Es ist alles, wie es sein soll“, bestätigt Krang ein weiteres Mal. Er hasst es, sich zu wiederholen, aber heute macht er eine Ausnahme. Und weil er heute eben sehr großzügig ist, hält er dem kleinen Fratz das altbewährte Glas mit den Gummibärchen mit den Worten vor die Nase:

„Heute darfst du dir soviel Bärenfleisch nehmen, wie du willst.“

„Danke, Herr Doktor“, erwidert Shredder ernst. Aber anstatt die Gelegenheit auszunutzen und sich gleich eine ganze Handvoll der leckeren Süßigkeit zu nehmen, fischt er sich wie immer nur drei heraus. Zwei davon verschenkt er wie gewohnt an seine Mutanten und das letzte behält er für sich.

Um Krangs Mundwinkel zuckt ein kleines Lächeln, aber er widersteht dem Drang, dem kleinen Herzblatt mit dem Tentakel die Wange zu tätscheln.

„Ich erwarte euch in einer Viertelstunde zum Fototermin“, erinnert er sie streng.

Shredders Miene verdüstert sich und er hört ihn einen Fluch zwischen die Zähne hindurch zischen – und das bringt Krang diesmal wirklich zum Grinsen.

„Dachtest du, ich hätte es vergessen?“ Nun tut er es doch, nun tätschelt er Saki doch die Wange. Dieser lässt es mit ergebener Miene über sich ergehen.

Kang kichert selbstzufrieden über seinen kleinen Streich. Wenn er sich zu sehr an die Tagesroutine hält, vor allem die der letzten Tage, wo er sie immer direkt nach dem Mittagessen zu einem Fototermin zitierte und Saki erst in den späten Nachmittagsstunden zum Gesundheits-Check rief, könnten der und seine Mutanten ihn noch für berechenbar halten. Und das geht ja wohl gar nicht!

Und um genau das zu beweisen, befiehlt er Bebop, noch einen Moment zu bleiben, während Rocksteady mit Saki auf dem Arm die Krankenstation verlassen darf.

Natürlich weiß er, dass Bebop und Rocksteady keine Geheimnisse voreinander haben, und dass also alles, was er jetzt mit Bebop besprechen will, dieser sofort brühwarm seinem Kumpel erzählen wird, aber das schert Krang nicht.

„Wie geht es unserem Saki-chan?“ will er von dem Warzenschweinmutanten wissen, sobald sich die Tür der Krankenstation hinter den anderen beiden geschlossen hat.

Bebop wirft ihm einen besorgten Blick zu. „Das hast du doch gerade überprüft, oder?“

„Ich meine doch nicht körperlich, du Kretin.“

„Ach so...“, Bebops Besorgnis weicht großer Erleichterung, um dann einer gewissen Nachdenklichkeit Platz zu machen. „Na ja, er hat unruhig geschlafen. Aber bei der Mutter ja kein Wunder. Die holst du hoffentlich nie wieder hierher, oder, Krang?“

„Nie wieder. Ganz bestimmt nicht.“

„Gut. Boah, wir waren auch nicht reich, aber meine Eltern hätten nie einen von uns weggegeben. Sie hätten sich lieber den Arm abgehackt als nur einen von uns herzugeben. Und sie haben uns nie unsere Haustiere essen lassen. Und wenn doch, hätten sie es uns nie gesagt. Schon gar nicht mit jahrzehntelanger Verspätung.“

Krang kann ihm da nur aus vollstem (wenn auch derzeit biologisch nicht existenten) Herzen zustimmen.

„Ich mache mir ein wenig Sorgen um ihn“, gibt er, in Erinnerung an sein Gespräch mit Saki, zu. „Ich glaube, er befürchtet, wir könnten ihn genauso abschieben wie seine Mutter damals, nur, weil er jetzt ein Kind ist.“

„Sprich nicht von wir“, unterbricht ihn Bebop knurrend. „Rock und ich würden ihm niemals so etwas antun. Er ist nicht nur unser Boss, er ist auch unser Freund. Und Rock und ich lassen unsere Freunde nicht im Stich. Wenn du ihn rausschmeißt, gehen wir mit ihm.“

Krang schießt ihm einen glühenden Blick zu, und eine Ader über seinem rechten Auge beginnt gefährlich zu pochen.

„Ich verbitte mir diese Unterstellungen, du Kretin! Ich würde Shredder niemals in diesem Zustand rauswerfen! Ich bin doch kein Monster!“

Sekundenlang stehen sie sich einfach nur gegenüber und funkeln sich schweigend an.

„Gut, dass wir das geklärt haben“, räuspert sich Krang schließlich.

„Ja“, stimmt ihm Bebop lakonisch zu.

Schweigen.

„Denkt er das wirklich von uns?“ hakt Bebop plötzlich leise nach.

„Er hat so etwas angedeutet. Aber wehe, du gehst jetzt zu ihm und versuchst, mit ihm darüber zu reden. Er würde nur alles abstreiten.“

„Damit würde ich sowieso alles nur noch schlimmer machen.“ Bebop stößt einen tiefen, von Herzen kommenden Seufzer aus und schiebt sich die Brille in die Stirn, um sich kurz über die feucht gewordenen Augen zu reiben. „Reden hilft hier gar nichts mehr. Aber Rock und ich haben sowieso beschlossen, ihm als Ausgleich eine schöne, zweite Kindheit zu schenken. So gut es uns hier im Technodrome eben möglich ist, natürlich.“

„Das ist eine gute Idee. Sagt Bescheid, wenn ich euch bei irgendwas helfen kann.“

„Danke, Krangchen. Ich wusste, du magst ihn.“

„Papperlapapp. Was du dir immer einbildest...“

 

 

„So, fertig.“ Zufrieden stellt Bebop die Kinderzahnbürste zurück, während Saki vom Toilettensitz rutscht. Es ist immer noch demütigend, wenn ihm einer der Mutanten die Zähne putzt, aber auf der anderen Seite ist es so nicht nur viel besser für seine Beißerchen, sondern auch für seine eigenen Nerven. Es hat etwas Beruhigendes an sich, sich mal nicht selbst um alles kümmern zu müssen.

Und Bebop und Rocksteady sind so geduldig! Es scheint ihnen gar nichts auszumachen, ja, im Gegenteil – aus irgend einem ihm unerfindlichen Grund scheint es ihnen sogar Freude zu bereiten, sich derart um ihn zu kümmern.

„Komm.“ Lächelnd nimmt Bebop ihn an der Hand und führt den frisch gebadeten und auch sonst in jeder Hinsicht bettfertigen Mini-Ninja zurück in ihr Quartier.

Bei ihrem Eintreten hebt Rocksteady unwillkürlich den Blick aus seinem Buch, und auf seinem Gesicht spiegelt sich sofort dasselbe liebevolle Lächeln wie auf Bebops Miene. Aber er kann nichts dafür. Ihr Saki-chan sieht in seinem dunkelblauen Sternchen-Pyjama einfach nur entzückend aus. Der Junge könnte einen Jutesack tragen und wäre immer noch der niedlichste Zweijährige der ganzen Welt.

Saki krabbelt neben ihm ins Bett und schlüpft brav unter die Bettdecke, legt sich aber nicht hin (noch nicht), sondern sitzt aufrecht in den Kissen, und sein Blick wandert zwischen dem Buch in Rocksteadys Händen und dessen Gesicht hin und her.

„Hast du wieder voraus gelesen?“ neckt er ihn.

Rocksteady grinst nur etwas verlegen und wirft Bebop, der sich zu ihnen gesellt, einen beinahe entschuldigenden Blick zu.

„Ich gebe es zu. Ich war neugierig.“

Bebop rollt nur mit den Augen, grinst aber nachsichtig.

Als sie alle eine bequeme Position gefunden haben und Saki schließlich so sitzt, dass er sich problemlos gleichzeitig an seine beiden Mutanten lehnen kann, räuspert sich Rocksteady einmal und liest dann die Geschichte von den drei ??? und dem Super-Papagei dort weiter, wo sie gestern aufgehört haben.

Saki kennt das Buch noch aus seiner eigenen Jugendzeit und findet es intellektuell nicht sehr fordernd, aber ihm gefällt die ruhige, entspannte Atmosphäre und Rocksteadys Stimme (und dasselbe trifft auf Bebop zu, wenn er dran ist mit vorlesen). Auf diese Art in den Schlaf gelullt zu werden, das zu einem Ritual werden zu lassen, dagegen hätte er gar nichts einzuwenden.

Zufrieden kuschelt er sich in die Wärme und Nähe der beiden neben sich und gleichzeitig in seine Bettdecke und schließt, begleitet von Rocksteadys beruhigendem Bass, die Augen.

Das letzte, was er spürt, bevor er in einen tiefen, erholsamen Schlummer hinübergleitet, ist, wie ihm Bebop einen Kuss auf die Stirn haucht.

 

 

8. Kapitel

8. Kapitel

 

„Ich kann das allein!“ mürrisch nimmt Shredder Bebop die Banane aus der Hand und schält sie. Gutmütig wie eh und je lässt Bebop ihn gewähren, ja, er lächelt sogar, auch wenn Shredders Tonfall alles andere als höflich war.

Rocksteady jedoch runzelt die Stirn, sagt aber erstmal nichts. Er wartet, bis der Kleine sein Obst verspeist hat, dann jedoch beugt er sich zu ihm hinüber und mustert ihn scharf.

„Was ist los? Schon wieder Zahnschmerzen? Oder brütest du wieder etwas aus?“ Prüfend legt er ihm eine Hand auf die Stirn. Shredder ist schon den ganzen Morgen so gereizt wie an seinen schlechtesten Tagen als Erwachsener, und das bereitet ihm zurecht Sorgen.

Ungnädig wischt Shredder seine Hand beiseite.

„Mir geht’s gut.“

Die Lüge wäre glaubhafter, würde er nicht beschämt den Blick gen Boden senken.

„Lasst mich einfach in Ruhe!“ murrt er dann. Er tapst hinüber in die Zimmerecke und entsorgt die Bananenschale in dem dort stehenden Mülleimer. Aber anstatt wieder zu ihnen zurück zu kommen, um weiter mit ihnen Malefiz zu spielen, geht er direkt zur Tür.

„Ich bin in meinem Quartier!“ verkündet er. „Stört mich ja nicht“

 

 

Er hofft wirklich, dass er deutlich genug war und ihm die beiden Deppen nicht folgen.

In seinen eigenen vier Wänden angekommen, klettert er sofort auf seinen Futoni und rollt sich unter der Tagesdecke zusammen.

Er hasst diesen Körper! Er hasst ihn mit jeder Faser seines Herzens! Nicht nur, dass dieser Körper von Anfang an plump und unkoordiniert war, nein, er ist auch noch so furchtbar überempfindlich. Als hätte diese blöde Geschichte mit den Windpocken nicht ausgereicht, nein, jetzt schmerzen ihm auch noch die Muskeln in Armen und Beinen, und dabei ist er doch gestern gar nicht so aktiv gewesen, um solchen Muskelkater zu verdienen.

Und anstatt besser scheint es mit jeder Minute nur schlimmer zu werden.

Und nicht nur das: er ist so schwach, dass er es nicht einmal vor Bebop und Rocksteady geheimhalten konnte.

Hoffentlich lassen sie ihn in Ruhe. Noch eine Minute länger unter ihren besorgten Blicken und er hätte angefangen wie ein Baby zu heulen. Und das wäre dann ja wohl wirklich armselig!

Leider scheinen die Götter ihn heute mal wieder nicht zu mögen.

Jemand klopft an seine Tür.

„Verschwindet!“ ruft er zurück.

Doch natürlich hören sie nicht auf ihn. Es klopft erneut. Diesmal sehr viel nachdrücklicher.

„Hat man denn hier nie seine Ruhe?!“ brüllt er und versucht dabei, besonders zornig zu klingen. Aber selbst in seinen eigenen Ohren klingt das nicht sehr überzeugend.

„Wir kommen jetzt rein!“

Oje, wenn Rocksteady diesen Tonfall anschlägt, hält ihn nichts und niemand mehr auf.

Hastig wischt sich Shredder übers Gesicht, um eventuelle Tränenspuren abzuwischen und wirft die Tagesdecke von sich. Er schafft es gerade noch, seine Schmerzen tapfer ignorierend, sich einigermaßen ordentlich hinzusetzen, bevor sich die Tür zischend öffnet und Rocksteady, dicht gefolgt von Bebop, hereinmarschiert.

Einen Meter vor ihm bleibt das Rhino schließlich stehen, verschränkt die Arme vor der Brust und mustert ihn aus zusammengekniffenen, golden Augen von oben bis unten.

„Versteckst du dich vor uns?“ fragt er ihn dann gerade heraus.

Die Schärfe in seiner Stimme lässt nicht nur Shredder zusammenzucken.

„Rock“, murmelt Bebop verzagt und berührt ihn sachte am Arm.

Doch Rocksteady ignoriert ihn und starrt den Jungen vor sich nur weiterhin durchdringend an.

Shredder fühlt sich unter diesem Blick ganz unwohl, aber gleichzeitig ist ihm auch schmerzlich bewusst, dass der Mutant es niemals gewagt hätte, ihn so anzusehen, wäre er noch ein erwachsener Mann.

„Ich will nur meine Ruhe haben“, gibt er zischend zurück, unbewusst dabei Rocksteadys Haltung imitierend, indem er nun ebenfalls die Arme vor der Brust verschränkt. „Weiter nichts! Daran ist ja wohl nichts Verwerfliches, oder?“ Er hält kurz inne, als ihn eine kleine Schmerzwelle überrollt und kann sich gerade noch rechtzeitig auf die Lippen beißen, bevor ihm doch noch unabsichtlich ein Aufstöhnen entwischt. Scheiße. Er muss die beiden aus dem Zimmer bekommen – je schneller, desto besser!

In seiner Verzweiflung weiß er sich nur noch auf eine Art zu helfen:

„Aber bitte“, er holt einmal tief Luft und geht dann zum Gegenangriff über. „Wenn ihr es unbedingt wissen wollt: Eure ständige Gluckerei geht mir tierisch auf den Sender. Das nervt! Ihr nervt! Lasst mich endlich in Ruhe!“

Er hat nur teilweise Erfolg. Nur Bebop zuckt mit betroffener Miene zurück, während Rocksteady mit keiner Wimper zuckt und ihn immer noch in Grund und Boden starrt.

„Auch wenn es dir nicht passt: wir haben geschworen, auf dich aufzupassen. Krang konfisziert unsere Videospiele, wenn uns noch einmal so etwas passiert wie in Florida. Also hör auf, dich vor uns zu verstecken und komm zurück.“ Vielsagend streckt er die Hand aus, aber als Shredder sie einfach nur ignoriert, seufzt er einmal auf, schüttelt den Kopf und packt Shredder am Oberarm. Es gelingt ihm, ihn vom Futoni zu ziehen, doch dann erwacht Shredder aus seiner Schockstarre und wirft sich mit aller Kraft nach hinten. Überrascht – und weil er ihm nicht den Arm auskugeln will – lässt Rocksteady ihn los.

Ausgesprochen schmerzhaft landet Shredder erst mit dem Kreuz an der Bettkante und dann unsanft auf seinem Allerwertesten. Es tut weh! Aber es ist ein völlig anderer Schmerz als der, der ihn schon den ganzen Morgen über quält, und er ist stark genug, um alles andere auszublenden.

Unendlich dankbar lässt sich Shredder daher in diesen Schmerz hineinfallen und begrüßt den Zorn, der diesen begleitet.

„Lasst mich in Ruhe! Geht weg! Ich hasse euch! ICH HASSE EUCH! Ich hasse euch SO SEHR! Lasst mich einfach in Ruhe! Geht weg! Geht! Verschwindet! Ihr seid nicht … ihr seid nicht...“ Er schnappt nach Luft, versucht, sich zu erinnern, was er gerade sagen wollte, doch ihm wollen die englischen Begriffe dafür nicht mehr einfallen.

Shinjimae!Geht sterben! Schleudert er ihnen schließlich entgegen. Natürlich verstehen sie das nicht und natürlich befolgen sie diesen Aufruf nicht, aber er fühlt sich schuldig, kaum dass dieses Wort über seine Lippen geschlüpft ist.

Selbstverständlich will er nicht, dass sie sterben. Und dass sie gehen will er eigentlich auch nicht. Oh ihr Götter ...

„Ich hasse mein Leben!“

„Sag so etwas nicht!“ Von einem Augenblick zum nächsten fühlt er sich von starken, grauen Armen umfangen und an eine breite Brust gedrückt. Der weiche Stoff eines gelben Shirts umschmeichelt sein Gesicht, begleitet von einem herben, wohlbekannten Duft.

„Sag so etwas nicht“, wiederholt Rocksteady, und seine vorher so strenge Stimme klingt plötzlich ziemlich brüchig. „Dafür gibt es gar keinen Grund. Wir schaffen das, hörst du? Gemeinsam schaffen wir das. Es wird alles wieder gut.“

„Und wir geben dir mehr Freiraum, wenn dir das so wichtig ist“, versichert ihm Bebop hastig, während er Shredder vorsichtig mit der Hand durch die Haare fährt, dann hinunter über seinen Nacken und ihm sanft den Rücken tätschelt.

Shredders Wut ist genau in jenem Moment verpufft, wo ihn Rocksteady an sich drückte, und zurück blieb nur eine merkwürdige Leere und eine Müdigkeit, so bleiern und schwer, dass sie sogar seine Muskelschmerzen verschluckt.

„Es tut mir leid“, kann er gerade noch murmeln, bevor ihm die Augen zufallen.

 

 

Das Technodrome verfügt über eine beeindruckende Bibliothek. Besser gesagt, Krang verfügt darüber. Die überquellenden Regale in seinem Quartier sprechen da eine deutliche Sprache. Von Fiktion zu Sachbüchern ist hier alles vertreten. Querbeet, und wer irgendeine Logik dahinter zu finden mag, dem spendiert Krang eine Weltraumreise. Denn irgendwann sagte er mal:

„Bringt mir was zu lesen mit“, und seitdem vergeht kein Besuch an die Erdoberfläche ohne dass seine Chaoten ihm nicht ein oder mehrere Bücher mitbringen. Gekauft oder geklaut – ihm ist es allerlei; Hauptsache, sie vertreiben ihm die Langeweile zwischen seinen Welteroberungsplänen und den Soap-Operas im Fernsehen. Und als Bebop und Rocksteady vor ein paar Tagen für ihren Mini-Ninja „einkaufen“ gingen, haben sie auch gleich blindlings ein paar Schwarten mitgegriffen, die ihm jetzt ganz gelegen kommen.

Mit einem ungeduldigen Schnaufen schließt Krang einen der vielen Wälzer vor sich und reibt sich mit dem rechten Tentakel über die schweren Augen. Wenn das so weitergeht, kann er bald selbst ein Buch über Kinderpsychologie schreiben. Wahrscheinlich wäre es verständlicher als das Geschwurbel, durch das er sich bisher gequält hat. Er wird wohl nie verstehen, wieso so offensichtlich konfuse Schriften auf diesem Planeten so hoch gehandelt werden. Man nehme nur mal diesen Alfred Adler. Grummelnd legt er das Buch auf den Stapel neben sich.

So verworren, und viel zu sehr konzentriert auf die sogenannte Gemeinschaft.

In Carl Gustav Jungs Typologie dagegen hätte er sich fast allzu sehr festgelesen. Hochinteressant und seiner Aufmerksamkeit würdig, aber für sein derzeitiges Problem nicht hilfreich. Denn er kann Saki schlecht einen Typen-Test durchlaufen lassen ohne dass dieser es bemerkt. Aber irgendwann, später, wenn der Junge wieder erwachsen ist, dann wird er ihn so einen Testbogen ausfüllen lassen.

Wirklich weiter hilft ihm dagegen anscheinend nur jenes Buch, das er sich zuallererst zu Gemüte führte. Nachdenklich zieht er es unter dem Stapel wieder hervor und blättert darin herum. Erik Eriksons sogenanntes Ur-Vertrauen und die vier Lebensabschnitte der Kindheit. Damit kann er arbeiten.

Demzufolge war Saki im Übergang von der Phase Ich bin, was man mir gibt“ zu Ich bin, was ich will“ , als seine Mutter ihn zu den Großeltern abschob. Und diese Trennung hat in dieser Phase zu schweren Störungen geführt, die seine ganze restliche Entwicklung beeinflussten, ihn zu einem zutiefst unsicheren und misstrauischen Menschen machten. Das ließ sein Herz versteinern und hart zu sich selbst und anderen werden, während er in seinem tiefsten Inneren immer nur kreuzunglücklich war.

Nun, das alles war nichts, was Krang nicht schon wusste, aber die psychologischen Zusammenhänge dahinter blieben ihm bisher verschlossen. Er ist schließlich keiner dieser so furchtbar irrationalen Menschen!

Hm … grübelnd starrt er vor sich hin ohne die Seiten wirklich zu sehen. Ob Shredders … Sakis Psyche jetzt wohl wieder dieselben Entwicklungsstufen durchläuft, nun, wo er wieder ein Kind ist? Und wenn dem so ist – wenn sie diesmal alles richtig machen, was Miyoko so wunderbar vergeigt hat, würde das nicht bedeuten, dass sie Saki auf diese Art enger an sich binden könnten? Würde er dadurch … Krang wagt es kaum zu hoffen … loyaler zu ihm (Krang) stehen?

Und – wäre es die Mühe überhaupt wert?

„Unfug!“ Mit einer heftigen Bewegung wischt er die Bücher vom Tisch. Sie poltern zu Boden und verteilen sich dort zu einem unordentlichen Haufen, doch dafür hat er nur einen ungnädigen Blick übrig. „Alles Schwachsinn. Blödes Geschwafel. Jeder Idiot weiß doch, dass Kindererziehung eine Sache des Instinkts und des Herzens ist.“

So wird und wurde es schon immer bei seinem eigenen Volk gehandhabt und auch bei all denen, die er früher zu unterjochen das Vergnügen hatte.

Ein lautes Klopfen gegen seine Tür schreckt ihn aus seinen Gedanken.

„Krang?“ tönt es dumpf durch die Tür. „Ich bin's: Bebop. Kommst du bitte mal zur Krankenstation? Irgendwas stimmt mit Saki-chan nicht.“

Krang stürzt sich regelrecht von der Schreibtischplatte in seinen Androidenkörper und lässt diesen so hastig zur Tür rennen, dass das Ding fast über seine eigenen Beine gestolpert wäre.

 

 

„Mach was, Krang. Er hat Schmerzen.“ Unter Rocksteadys eindeutigen Befehlston zittert nackte Panik. Er sitzt auf der Behandlungsliege und hat Saki in seinen Armen. Sakis gesamter Körper ist völlig verspannt und seine kleinen Fäuste haben sich fest in Rocksteadys gelbem Shirt verkrallt.

„Hab ich nich'“, protestiert der Kleine schwach und mit fest zusammengekniffenen Augen.

Für diese so offensichtliche Lüge hat Krang nur ein Schnauben übrig. Ein Blick genügt und er weiß, dass er den Jungen lieber da lässt, wo er ist – nämlich in Rocksteadys starken Armen. Auch wenn das bedeutet, dass es die Untersuchung erheblich erschwert.

„Wo tut's weh?“ erkundigt er sich, während er zu einem Schrank hinübergeht und einen handlichen medizinischen Scanner hervorkramt. Dabei hofft er inständig, dass er sich nicht wieder eine Krankheit eingefangen hat. Die Bio-Filter arbeiten doch tadellos, oder?

„Nirgends“, erwidert Saki stur und wimmert kurz darauf leise auf. Sofort ist Bebop an seiner Seite und streichelt ihm tröstend über den Kopf. Und es ist, als wäre diese kleine, liebevolle Geste der Tropfen gewesen, der das Fass zum Überlaufen bringt.

„Überall“, gibt Saki nämlich plötzlich zu. „Mir tut alles weh. Alles.“

Aus seiner Kehle löst sich ein trockenes Aufschluchzen und er versucht regelrecht, sich in Rocksteady zu verkriechen.

Instinktiv zuckt Krangs Haupttentakel nach vorne und schlingt sich um Sakis Handgelenk. Eine tröstende, Solidarität versprechende Geste.

„Du liebe Güte!“ Entsetzt lässt Krang ihn wieder los. Er hat... zum ersten Mal in seinem Leben verflucht er seine hypersensiblen Tentakel, denn er hat gespürt, wie … Krang fühlt, wie er erbleicht. Schwerschluckend starrt er auf den Jungen vor sich in Rocksteadys Armen.

„Krang? Krang, was ist los?“ Bebops panische Stimme holt ihn zurück in die Gegenwart.

Krang schluckt abermals und zwingt sich, den Blick von Saki loszureißen. Aber der Anblick von Bebops und Rocksteadys besorgten Mienen ist nur unwesentlich besser.

„Ich...“, beginnt Krang, räuspert sich dann einmal und beginnt erneut, während er sich wieder an den Scanner in seiner Hand erinnert und in auf seinen kleinen Patienten richtet. „Ich habe gespürt, wie sich seine Knochen unter der Haut bewegen.“

„Was?“ Entgeistert starren ihn die beiden Mutanten an.

Auch Saki quält seine Augen auf und wirft ihm nun einen tränenverschleierten Blick zu.

Hastig konzentriert sich Krang auf die Anzeigen des Scanners in seinen Tentakeln und versucht, schlau daraus zu werden. Zum Glück sprengt sein Intelligenzquotient alle Skalen dies- und jenseits dieser Galaxis.

„Ich kann euch beruhigen“, erklärt er schließlich und starrt sie alle der Reihe nach über den Rand des kleinen medizinischen Gerätes hinweg an, bis er sich schließlich endgültig auf Saki einpendelt. „Es stecken keine Bakterien oder Viren dahinter. Auch keine Parasiten. Du bist nicht krank.“ Er gibt seinem inneren Drang nach und streicht einmal sachte über Sakis Wange. „Du wächst nur gerade so schnell, dass man dabei zusehen kann.“

Und es ist eine besorgniserregende Belastung für diesen kleinen Körper, aber das behält er lieber erst einmal für sich. Was der Kleine jetzt mehr denn je braucht, das ist viel Trost und Aufmunterung. Und beides erhält er, das ist offensichtlich, reichlich von Bebop und Rocksteady, die diese Nachricht mit Begeisterung aufnehmen und es sich nicht nehmen lassen, dies auch mit vielen Zärtlichkeiten und Küsschen hier und Küsschen da kundzutun.

Saki dagegen scheint diese Herzerei eher ergeben als freudig anzunehmen. Aber vielleicht liegt das auch nur an seinen Schmerzen.

„Krang“, verlangt Bebop plötzlich, der diese Schlüsse wohl auch gezogen hat, „gib ihm etwas gegen die Schmerzen.“

Aber Krang macht eine bedauernde Geste. „Das kann ich nicht riskieren. Wer weiß, wie sein kindlicher Körper darauf reagiert? Ihr müsst das auf eure nächste Einkaufsliste setzen. - es tut mir leid, Spätzchen“, seine Stimme senkt sich zu einem ungewohnten – aber nicht unangenehmen - Gurren, als er wieder sanft über Sakis Wange streichelt, „aber du musst die Zähne zusammenbeißen. Keine Sorge, ich weiß, dass du das schaffst. Du bist stark.“

Für das „Spätzchen“ schenkt ihm Shredder einen besonders giftigen Blick, doch zu mehr ist er nicht fähig. Schlußendlich nickt er nur und vergräbt sein Gesicht noch fester an Rocksteadys Brust, als ihn eine erneute Schmerzwelle überrollt.

 

 

9. Kapitel

9. Kapitel

 

Er liegt in dem, was Bebop und Rocksteady so großzügig ihr „Bett“ nennen und das doch nur eine Ansammlung von Decken und Kissen auf zwei Matratzen ist, eingewickelt in eben diesen Decken, die so weich sind und nach den beiden riechen, und er fühlt sich einfach nur sicher und warm … zumindest war das so, bis Krang mit dieser Spritzpistole auftauchte.

„Au!“

„Beschwer dich nicht so. Ist doch schon vorbei.“

Krang kichert leise, denn der Blick, den ihm Saki-chan zuwirft, ist wieder so herrlich böse. Es tut gut, wieder dieses Funkeln in diesen dunklen Mandelaugen zu sehen.

Shredder zieht einen Flunsch, reibt sich den schmerzenden Oberarm und lässt sich wieder mit einem Gummibärchen trösten. Ohne genauer darüber nachzudenken, nimmt er zwei mehr und legt sie für Bebop und Rocksteady beiseite.

Krang sagt nichts dazu, er registriert aber, dass es sich um rote Gummibärchen handelt, also genau jene Sorte, die den beiden Mutanten am besten schmeckt.

Shredder reibt sich noch einmal über den malträtierten Arm und wickelt sich dann wieder enger in seine Decke. Er ist froh, dass Krang ihn nicht genötigt hat, aufzustehen, um die üblichen Tests an ihm durchzuführen, denn er fühlt sich immer noch etwas schwach und weiß nicht, ob er nicht schon nach dem ersten Schritt auf die Nase geplumpst wäre.

Nett von Krang, dass er ihn diesmal nur geimpft hat. Nervig, aber zweifellos sehr nett.

Und er sieht die Notwendigkeit ja ein – immerhin ist er in den letzten zwölf Stunden knapp fünfzehn Zentimeter gewachsen, und sein Körper entspricht jetzt dem eines Sechsjährigen, da kommt er gegen eine Auffrischimpfung nun einmal nicht herum.

 

Er kann sich kaum an etwas aus diesen zwölf Stunden erinnern – außer den Schmerzen.

An die erinnert er sich leider nur zu gut.

Alles andere ist ziemlich verschwommen. Aber er glaubt, sich an die tröstende Gegenwart seiner Mutanten zu erinnern, an beruhigend gemurmelte Worte und sanfte Hände, die ihn halten. Und er wünschte, sie wären jetzt bei ihm. Der Raum fühlt sich leer und kalt an ohne sie.

„Wann kommen sie nur wieder zurück?“ Dass er die Frage laut ausgesprochen hat, bemerkt er erst an Krangs merkwürdigem Blick.

„Bald“, erwidert das rosafarbene Gehirn mit einem Lächeln, das sehr viele spitze Zähne entblößt. Und jeder andere außer Shredder würde dieses Lächeln beunruhigend finden. Na gut, er findet es auch beunruhigend, aber aus einem anderen Grunde: wieso ist Krang so nett zu ihm? Es ist ja fast, als würde er ihn tatsächlich … mögen?

Aber nein, innerlich schüttelt Shredder den Kopf, das kann nicht sein. Das bildet er sich nur ein.

Und dann wagt Krang es tatsächlich wieder: er tätschelt Shredder mit dem Tentakel über die Wange. Doch so sehr es Shredder auch nervt – diesmal versucht er, es einfach zu ignorieren. Vielleicht, wenn er so tut, als sei es ihm egal, hört Krang dann irgendwann damit auf.

„Vermisst du die beiden Idioten etwa schon?“ neckt Krang ihn freundlich, ja, beinahe schon liebevoll. „Das dauert aber noch etwas, bis sie zurückkommen. Wie wär's, wenn du dich bis dahin noch etwas ausruhst? Die Zeit vergeht auch viel schneller, wenn man schläft.“

Der Vorschlag klingt sehr verlockend. Shredder fühlt sich sowieso ans Bett gefesselt, und das nicht nur, weil er immer noch ziemlich schwach auf den Beinen ist – nein, das liegt auch noch daran, weil ihm seine Klamotten nicht mehr passen, schließlich ist er quasi aus ihnen herausgewachsen, so dass er nun nur eines seiner T-Shirts (Erwachsenengröße!) trägt und darunter ist er völlig nackt!

„Gut“, brummt er daher, dreht Krang den Rücken zu und zieht sich die Decke über den Kopf.

 

 

 

Sie versuchen, leise zu sein, als sie zurückkommen. Schließlich hat ihnen Krang gesagt, der Kleine ruhe sich aus, ja, schlafe wahrscheinlich. Aber ganz so leise, wie sie hoffen, sind sie wohl nicht, denn sie haben den Raum kaum betreten, da bewegt sich das Bündel auf ihrem Bett und ein zerzauster Schopf wühlt sich aus den Decken. Braune Mandelaugen blinzeln ihnen schläfrig entgegen.

„Na du?“ Bebop ist der erste, der sich zu ihm setzt, und daher ist er auch der erste, dem sich plötzlich zwei dünne Ärmchen um die Hüften schlingen, gefolgt von einem noch schlafwarmen, kleinen Körper, der sich an ihn drückt.

„Hi“, nuschelt Shredder in Bebops rote Weste, und beäugt dabei neugierig die Tasche, mit der Rocksteady näherkommt. „Habt ihr mit was mitgebracht?“

Aber anstatt auf eine Antwort zu warten, umarmt er erst einmal auch Rocksteady, als sich dieser ebenfalls zu ihm setzt. Als Rocksteady ihn instinktiv zurückdrückt, lässt er sich sogar kurz gefallen – doch nur für die Dauer eines Atemzuges, dann weicht er schnell wieder zurück und senkt beschämt den Blick. Ganz offensichtlich ist es ihm peinlich, so viele Gefühle gezeigt zu haben.

Rocksteady räuspert sich eimal um den plötzlich auftretenden Kloß in seiner Kehle herum und meint dann betont munter:

„Ob wir dir was mitgebracht haben? Na, aber Hallo! Wir haben den halben Laden ausgeräumt. Und schlau wie wir sind, haben wir uns diesmal nicht nur auf eine Größe beschränkt. Damit solltest du bis ins Teenageralter hinaus bedient sein.“

Vielsagend öffnet er den Reißverschluß und gibt den Blick frei auf eine wahrhaft bunte Auswahl verschiedenster Klamotten unterschiedlicher Größe.

„Ja“, ergänzt Bebop und zieht aus einer Seitentasche ein dickes Buch hervor. „Und das hier gibt es noch als kleines Extra dazu. Wenn es dir mal wieder zu langweilig hier wird.“

Shredder strahlt übers ganze Gesicht.

 

 

 

„Und jetzt bitte stillsitzen und lächeln.“

Einen kurzer Blitz später dürfen sie sich wieder bewegen. Krang, diesmal in seiner dreibeinigen Plastikkugel, stürzt sofort zum Stativ hinüber, um die Filmrolle aus der Kamera zu nehmen. Shredder fragt sich unwillkürlich, ob er eine Zwölfer-Rolle oder noch weniger benutzt und wann und wo er die anderen Fotos immer schießt, bis der Film voll ist, denn schließlich entwickelt er die Fotos immer noch am selben Tag.

Noch hat er sie nirgendwo aufgehangen, aber das ist wohl nur noch eine Frage der Zeit. Immerhin, so haben es ihm bebop und Rocksteady erzählt, sollten sie ihm heute Bilderrahmen mitbringen.

„Ich weiß schon jetzt, dass dies das bisher beste Foto sein wird“, verkündet Krang begeistert und wirft Shredder einen vergnügten Blick zu. „Du hast heute mal ein echtes Lächeln gezeigt!“

Verlegen darüber, von Krang derart durchschaut worden zu sein, senkt Shredder den Kopf und spielt mit dem Saum seines blau-weiß gestreiften Sweaters herum.

Aber dann nickt er nur und lächelt erneut. Es stimmt ja, was Krang hier sagt.

Seit er dazu verdammt ist, seine Kindheit erneut zu durchleben, hat er sich nicht so gut gefühlt wie heute. Ja, man kann durchaus behaupten, dass er beinahe optimistisch in seine Zukunft sieht. Anscheinend hat Krang nämlich doch recht damit, dass er bald wieder ganz er selber ist.

Aber es liegt nicht nur daran.

Er ist auch endlich diese lästigen Kieferschmerzen los! Dafür kann er jetzt, wie ein Blick in den Spiegel vor einiger Zeit bewiesen hat, ein gesundes, vollständiges Milchgebiß sein eigen nennen.

Und darüberhinaus fühlt er sich in seinen derzeitigen hundertzwanzig Zentimetern wesentlich mehr wie ein Mensch und weniger als Tollpatsch. Es ist ein erhabenes Gefühl, sich endlich ohne diesen blöden Plastiktritt die Hände waschen zu können.

„Warum auch nicht?“ entgegnet er daher, hütet sich aber, seine wahren Gedanken kund zu tun und weicht lieber auf einen anderen Grund aus, der genauso zutreffend ist. „Ich habe viele neue Geschenke bekommen und wachse.“

„Ja, leider“, seufzt Bebop neben ihm schwer und wuschelt ihm durchs Haar. „Oh, versteh mich jetzt nicht falsch“, relativiert er hastig, als Shredder ihm einen schiefen Blick zuwirft. „Es ist toll, dass du wieder wächst. Aber du warst so ein süßes Kleinkind. Du bist immer noch süß, aber … na ja...“

Was Bebop nicht zu sagen wagt, ist, wie sehr es ihn letzte Nacht innerlich zerrissen hat, hilflos mit ansehen zu müssen, wie sehr sein Saki-chan unter diesem Wachstumsschub litt. Außerdem macht er sich Sorgen, dass es bei seinen nächsten Schüben ähnlich, wenn nicht gar schlimmer, ablaufen könnte.

Von daher hätte er nichts dagegen, wenn dieser ganze Prozeß langsamer abliefe – langsamer und deshalb weniger schmerzvoll. Unter diesen Umständen hätte er seinen Saki-chan gerne etwas länger als Dreijährigen um sich gehabt.

Aber all das sagt er nicht. Trotzdem muss ihm etwas davon anzusehen gewesen sein, denn Rocksteady legt ihm plötzlich einen Arm um die Schulter und gibt ihm wortlos einen kleinen Kuss mitten auf die Wange.

Es ist ein Anblick, bei dem Shredder augenblicklich seinen Groll darüber vergisst, „süß“ genannt worden zu sein.

Während Krang ihnen schon längst keine Aufmerksamkeit mehr schenkt und aus der Tür rennt, um in seinem Fotolabor zu verschwinden, mustert Shredder die beiden Mutanten neben sich mit nachdenklicher Miene.

 

 

 

Nicht gerade sehr gut gezielt, fliegt die Gummiente durchs Badezimmer und landet vor Rocksteadys Füßen.

„Warum seid ihr immer noch hier?“ Die Arme auf dem Badewannenrand gestützt, funkelt Shredder die beiden Mutanten an, die auch heute mal wieder seine Wachhunde in einem seiner privateren Momente spielen müssen.

„Ich bin groß genug, ich saufe euch bestimmt nicht mehr im Badewasser ab. Warum belästigt ihr mich also immer noch?“

Er angelt nach seinem Handtuch, das auf der nahen Ablage liegt und hält es dann schützend vor sich, während er langsam aufsteht. Zu seinem großen leidwesen rühren sich Rocksteady und Bebop immer noch nicht vom Fleck.

„Verschwindet endlich! Seid ihr pervers, oder was?“

Beschwichtigend heben die beiden die Hände.

„Schon gut, schon gut. Dann warten wir mal draußen vor der Tür, okay?“

Er nickt grimmig und beobachtet argwöhnisch, wie sie das Badezimmer verlassen. Erst, als die Tür hinter ihnen ins Schloß gefallen ist, glättet sich seine Miene wieder und er klettert vorsichtig aus der Wanne.

Während er sich abtrocknet und in seinen bereitgelegten Pyjama schlüpft, kann er einen leisen Seufzer nicht unterdrücken. Es tut ihm Leid, sie angeschrien zu haben. Hoffentlich hat er sie nicht allzu sehr beleidigt!

Aber er hat den ganzen Tag darüber nachgedacht, wie er sich unabhängiger von ihnen machen könnte, und das hier ist das einzige, was ihm einfiel. Erfahrungsgemäß hat er eher seine Ruhe, je unfreundlicher er zu ihnen wird. Auch wen sie es nach allem, was sie für ihn schon getan haben nicht verdient haben. Das hier ist wirklich kein guter Abschluß für einen so schönen Tag wie diesen, einen Tag ohne Schmerzen und viel Spaß (auch wenn er jetzt von Monopoly wirklich erst mal die Nase voll auch, ganz egal, wie leicht sie sich immer abzocken lassen). Einen Tag, wo er sogar mal kurz wieder sein geliebtes Ninjitsu trainieren konnte – wenn auch nur ein wenig, weil er doch ziemlich schnell schon müde wurde.

Es missfällt ihm selbst, jetzt so zu ihnen sein zu müssen, aber … es ist doch nur zu ihrem eigenen Besten! Er hat sie lange genug mit seinen Problemen und seiner Anwesenheit belästigt. Nie würden sie es zugeben, aber es ist doch eindeutig – er stört!

Er hindert sie daran, ganz sie selbst zu sein. Er hindert sie in ihrer Beziehung!

Er muss sich jetzt erwachsen zeigen und mit seiner Selbstsucht aufhören. Er muss sie endlich alleine lassen, vor allem Nachts. Im Bett.

Freiwillig würden sie das nie zugeben, die beiden Deppen und ihr dämlicher Beschützerinstinkt, also muss er das für sie entscheiden.

Und so strafft er die Schultern, marschiert hinüber ins Quartier und baut sich vor den beiden, die Fäuste in die Hüften gestemmt, auf.

„Mir reicht's mit euch!“ erklärt er in einem Tonfall, der keinen Widerspruch duldet. „Ab sofort schlafe ich wieder in meinem eigenen Bett!“

Erstaunlicherweise setzen ihm die beiden keinen nennenswerten Widerstand entgegen und sie sind danach auch nicht sauer mit ihm oder so. Sie helfen ihm sogar dabei, seine Bettdecke und das Kissen in sein Zimmer hinüber zu tragen. Sie bringen auch das Nachtlicht und den Kuschel-Pumbaa – und obwohl er beides nicht braucht, wagt er es jetzt doch nicht mehr, dagegen zu protestieren. Wie jeden Abend helfen sie ihm beim Zähneputzen.

Und wie jeden Abend setzen sie sich zu ihm und lesen ihm das letzte Kapitel aus „Die drei ???“ vor.

Er würde viel lieber sein neues Buch lesen, aber das verschiebt er auf später. Wenn er alleine ist.

Er findet nämlich, dass er ihnen genug abverlangt hat.

Sie sind so geduldig und lieb und aufmerksam zu ihm, dass es schon fast weh tut. Und das bestätigt ihn nur in seiner Entscheidung.

 

 

10. Kapitel

10. Kapitel

 

„Ich...“

„Nein.“

„Aber ...“

„Ja, aber trotzdem: nein.“

Bebop senkt den Kopf und flüstert ein leises: „Okay.“ Und dann, noch leiser, aber Rocksteady versteht ihn trotzdem: „Er fehlt mir so.“

Der Nashornmutant nickt nur und zieht seinen geliebten Kumpel fester an sich. Dankbar kuschelt sich Bebop an ihn und gemeinsam starren sie an die Zimmerdecke und versuchen, den dringend benötigten Schlaf zu finden.

Vor allem aber versuchen sie, ihren Beschützerinstinkten diesmal nicht nachzugeben.

Sie haben versucht, sich davon abzulenken. Mit Videospielen. Mit Schlaf. Mit Sex. Sie haben es wirklich versucht. Und sind doch regelmäßig gescheitert. Trotzdem, und das wissen sie beide:

Es ist genug. Es reicht. Viermal ist mehr als genug. Aber sie konnten nicht anders. Sie mussten hinübergehen und nachschauen, ob alles in Ordnung war.

Ob es ihm gut ging. Ob er noch lebte.

Ihn nicht neben sich atmen zu hören, seine Wärme, seine Gegenwart zu spüren, das löste in ihnen beiden eine unbestimmte Furcht aus. Dieselbe Furcht, wie sie sie in den Everglades verspürt hatten, als sie nicht wussten, ob sie ihn je lebendig wiedersehen würden.

Also sind sie heimlich hinübergeschlichen (viermal!), um sich mit eigenen Augen zu versichern, dass er da und in Ordnung war.

Und das war er. Natürlich. Auch wenn er sich sehr tief in seiner Decke vergraben hatte. Das war so süß, dass sie beim zweiten Mal den Fotoapparat mitnahmen, um das auf ewig festzuhalten.

Viermal waren sie jetzt schon drüben, inzwischen ist es halb drei Uhr nachts, und es ist wirklich Zeit, damit aufzuhören und einzuschlafen, damit sie fit für einen weiteren Tag mit ihrem Saki-chan sind. Schließlich wollen sie keine Sekunde davon verpassen.

Ganz generell nicht. Aber ganz besonders heute. Denn heute haben sie etwas vor, etwas, von dem sie hoffen, dass es ihrem Saki-chan ein Lachen ins viel zu ernste Gesicht zaubert.

 

 

Unschlüssig steht Shredder, inzwischen stolze 123 Zentimeter groß, auf dem Gang, direkt vor der Tür seiner beiden Mutanten. Er zögert und spitzt die Ohren, doch von der anderen Seite ist kein Laut zu vernehmen. Schlafen die etwa noch?

Er denkt noch einmal darüber nach, beschließt, dass acht Uhr am Morgen keine unchristliche Zeit ist und hämmert dann mit der flachen Hand gegen die Tür.

„Seid ihr schon wach?“

Von der anderen Seite der Tür glaubt er Geräusche zu hören, also wartet er.

Und wartet noch etwas länger.

Sein Geduldsfaden ist heute empfindlich dünn, und so klopft er beim zweiten Mal nicht an, sondern bemüht seinen Fuß und tritt mit voller Wucht gegen die Tür.

Die sich im selben Moment öffnet.

„Guten Morgen.“ Verdutzt starrt Rocksteady auf den nicht mehr ganz so kleinen Jungen hinunter, der da gegen ihn taumelt.

„Moin“, nuschelt Shredder peinlich berührt zurück. Um sein Gesicht zu bewahren, schlingt er ganz schnell seine Arme um Rocksteadys Hüften und drückt sich einmal kurz an ihn. Dass ihm Rocksteady daraufhin in gewohnter Art und Weise durchs Haar streichelt, nimmt er als Kollateralschaden hin.

Aber dann ist Bebop heran, und er hält sich gar nicht damit auf, nur über Shredders Kopf zu tätscheln. Nein, er beugt sich zu ihm herab, nimmt ihn auf den Arm und knuddelt ihn einmal kräftig durch.

Urgh.

„Guten Morgen, Saki-chan! Hast du gut geschlafen?“

„Natürlich“, lügt dieser ohne mit der Wimper zu zucken – aber mit dem Anflug eines schlechten Gewissens.

Die Nacht war unruhiger, als er es sich gewünscht hätte. Sein Quartier, sein geheiligtes Reich, erschien ihm viel zu still und viel zu groß. Viel zu leer und zu kalt. Vor allem sein Bett.

Dazu kam noch die Dunkelheit, nur schwach erhellt von dem Nachtlicht auf seiner Kommode. Es hatte keine große Reichweite – ganz normale Schatten oder Gegenstände wurden so zu Monstern, die nur so darauf lauerten, ihn mit ihren scharfen Krallen einzufangen und an einen noch viel dunkleren Ort als diesen hier zu zerren. Natürlich war das nichts weiter als Einbildung, aber seine Angst war größer als jede Logik.

Er hätte wohl doch nicht anfangen sollen, sein neues Buch zu schmökern. „Es“, der neueste Gruselschocker von diesem aufstrebenden Stern am US-Schriftstellerhimmel war derzeit vielleicht doch nicht die geeignete Nachtlektüre.

Letztendlich hatte er sich mit wild klopfenden Herzen und zitternden Knien zum Lichtschalter vorgetastet und das Deckenlicht eingeschaltet. Und fand dann doch keinen Schlaf. Dreimal ertappte er sich dabei, aus dem Raum gehen zu wollen, hinüber zu Bebop und Rocksteady. Doch er widerstand, drehte sich nur auf die andere Seite und zog sich die Decke über den Kopf.

Fiel er doch einmal in einen unruhigen Schlaf, schreckte er sofort wieder auf, immer mit dem beängstigenden Gefühl, nicht mehr alleine im Raum zu sein. Aber jedes Mal, wenn das geschah und er all seinen Mut zusammenkratzte und unter seiner Bettdecke hervorlugte, stellte er fest, dass er sich das nur eingebildet hatte.

Und er verachtete und hasste sich nur noch mehr für diese kindische Angst.

Also nein, er hatte nicht gut geschlafen.

Aber das kann er ihnen ja wohl schlecht sagen.

„Und ihr?“ fragt er daher ausweichend zurück. Einer unangenehmen Frage weicht man schließlich am Besten mit einer kurzen Antwort und einer schnellen Gegenfrage aus, die den Fokus auf den Gesprächspartner legt.

Bebop und Rocksteady wechseln einen schnellen Blick.

„Gut, danke der Nachfrage“, erwidert Bebop dann, und oh, das ist so offensichtlich eine Lüge, dass Shredder sofort wieder sein schlechtes Gewissen packt.

„Ihr habt mir auch gefehlt“, gibt er daher zu, schlingt – aus einem Impuls heraus – seine Arme um Bebops Nacken und gibt ihm ein kleines Küsschen auf die Wange, bevor er sich dann aus dessen Umarmung windet. Wieder zurück auf seinen eigenen beiden Füßen, nimmt er jeden von ihnen an eine Hand und zieht sie davon, Richtung Küche.

„Ich habe Hunger. Können wir jetzt endlich frühstücken?“

 

 

„Eine Überraschung?“ Skeptisch betrachtet Shredder den Karton, den Rocksteady eben von wer weiß wo holte und auf den Frühstückstisch ablegt, kaum dass Bebop das benutzte Geschirr abgeräumt hat. Er steht nicht so auf Überraschungen. Davon hatte er in den letzten Tagen reichlich.

„Mach's doch einfach mal auf“, fordert ihn Rocksteady breit grinsend auf.

„Ja, mach's auf“, meint auch Bebop.

Shredder will kein Spielverderber sein, und so nimmt er den Deckel von dem Karton, fest entschlossen, über dieses Geschenk begeistert zu sein. Auch, wenn er diese Begeisterung vortäuschen muss.

Er ist zwar kein guter Schauspieler, was so etwas betrifft, doch diese beiden Deppen wird er doch wohl noch täuschen … oh.

Oh!

Unwillkürlich strahlt er bis über beide Ohren, sogar seine Augen leuchten regelrecht auf, als sein Blick auf das fällt, was sich in diesem Karton verbirgt.

„Jungs, das ist...“ ihm versagt glatt die Stimme. Zum Glück bleibt das unbemerkt, denn Bebop fällt ihm sofort aufgeregt ins Wort:

„Wir haben uns auch welche besorgt! Ist das nicht toll? So können wir alle drei gemeinsam-“

„Es war meine Idee!“ unterbricht ihn Rocksteady stolz. „Als ich die Dinger im Schaufenster sah, konnte ich einfach nicht anders. Ich hoffe, sie passen. Wenn nicht, ist es auch nicht schlimm, wir haben vorsichtshalber alle Größen genommen, die da waren. Also, wenn die hier nicht passen, hol ich eben die anderen aus unserem Zimmer.“

„Na, Saki-chan?“ Erwartungsvoll starrt Bebop ihn an. „Was sagst du dazu?“

Shredder hat sich wieder einigermaßen gefasst, so dass seine Stimme nicht mehr so verräterisch zittert, aber so sehr er auch um Würde bemüht ist, bekommt er das immer breiter werdende Grinsen nicht mehr aus seinem Gesicht.

„Ich sage: legen wir los, Jungs.“

 

 

Irgendwann, vor langer, langer Zeit, es ist schon ewig her, hat er, beim Anblick der langen, breiten Gänge des Technodromes sich mal dahingehend geäußert, dass man hier glatt ein Rollschuh-Derby veranstalten könnte. Nie hätte er gedacht, dass sich Bebop und Rocksteady diese so arglos dahingeplapperten Worte merken würden. Haben sie aber. Ganz offensichtlich sogar.

Er ist schon lange nicht mehr Rollschuh gelaufen, und Roller Skates noch seltener, aber das macht gar nichts, so etwas ist wie Rad fahren oder schwimmen – man verlernt es nicht.

Nur … naja … etwas genervt schiebt er sich den Helm aus den Augen – mit der Schutzausrüstung für ihn haben es diese beiden Oberdeppen etwas übertrieben. Den Helm versteht er ja noch, aber all diese Ellbogen-, Handgelenk- und Knieprotektoren sind, seiner Meinung nach, doch reichlich übertrieben. Das ist ja fast, als trüge er seine Kampfausrüstung. Fehlt nur noch das Cape.

„Hey, Saki-chan! Träumst du?“ reißt ihn Bebops Lachen plötzlich aus seinen Gedanken. „Ich hab dich gleich!“

Und – wusch! – zieht er an Shredder vorbei, dicht gefolgt von einem breit grinsenden Rocksteady. Unwillig runzelt Shredder die Stirn und legt an Tempo zu. Ha! Glauben die beiden wirklich, sie könnten ihn schlagen? Gut, sie sind größer und haben daher eine vorteilhafte Schrittlänge, mal ganz abgesehen von ihrem Gewicht, aber er hat dafür die bessere Technik!

Und daher dauert es auch nicht lange, und er ist wieder mit ihnen gleichauf.

Vor ihnen macht der Gang eine Biegung. Shredder legt sich noch einmal ins Zeug, bis er einen halben Meter vor seinen beiden schon erheblich schnaufenden Mutanten ist und schneidet ihnen elegant und höchst unfair in der Kurve den Weg ab.

Hinter sich hört er sie fluchen und stolpern, aber nicht das Geräusch von fallenden Körpern, also haben sie sich schnell wieder gefangen. Das hält sie jedoch nicht davon ab, ihm schnell wieder zu folgen.

Shredder grinst nur und läuft noch schneller.

So viel Spaß hatte er schon lange nicht mehr!

 

 

Krang kann nicht fassen, was ihm da seine Kameras melden! Ja, sind die denn wahnsinnig? Die Gänge des Technodromes sind doch keine Rollschuhbahn!

Wütend unterbricht er seine TV-Seifenoper-Session (und, oh dafür werden sie so sehr büßen!) und lenkt seinen schwerfälligen Androidenkörper aus der Kommandozentrale, hinüber zum Fahrstuhl und lässt sich von diesem eine Etage tiefer bringen – dorthin, wo sich außer ein paar bienenfleißiger Reparaturdrohnen niemand aufhält. Die Fahrstuhltüren sind kaum zur Seite geglitten, da klingeln ihm schon die nicht existierenden Ohren von dem ganzen Lärm, den die drei hier veranstalten.

Mit jeder Sekunde immer wütender werdend, stapft er den Gang hinunter, dem Krach entgegen. Er weiß sie hinter der nächsten Biegung, und so ruft er, noch bevor er die Ecke wirklich erreicht hat:

Habt ihr eigentlich den Verstand verloren? Was soll – HUAAAAH....!?

Aus dem Augenwinkel sieht er etwas heransausen, doch noch bevor er reagieren kann, ist es schon heran und prallt gegen ihn. Aus dem Gleichgewicht gebracht, stolpert Krangs Androidenkörper nach hinten. Erst die Wand stoppt ihn.

Verdammt nochmal!

Gomen nasai, Krang!“ entschuldigt sich da Saki schon. Krang starrt direkt in zwei braune, leuchtende Mandelaugen unter einem verrutschten Helm. Gerade, weiße Milchzähne blitzen hinter einem zu einem vergnügten Lächeln verzogenen Mund und jegliche Rüge bleibt auf halbem Wege stecken. Krang bringt es einfach nicht übers Herz, die so offensichtliche Freude seines Saki-chans zu dämpfen.

„Oh-oh“, meint Saki plötzlich nach einem schnellen Blick über die Schulter. Und dann: „Komm einfach mit, Krang!“

Plötzlich fühlt sich das Gehirn aus der DimensionX an den Tentakeln gepackt und aus seinem schützenden Androiden gezogen.

„Was-? Hey! Saki, was soll... heeeey?“ der Rest seines Protestes erstirbt in einem langem Angstschrei, als Saki ihn sich einfach so über die Schulter schleudert und dann mit großen Schritten wieder Fahrt aufnimmt.

Instinktiv schlingt ihm Krang seine Tentakel um den Hals und klammert sich in Todesangst an ihm fest. Saki lacht nur.

„Wir können sie doch nicht gewinnen lassen, oder Krang?“

Gewinnen? Wen? Im ersten Moment ist Krang verwirrt. Er ist zu sehr damit beschäftigt, nicht herunterzufallen. Aber dann hört er das Surren von sich schnell drehenden Rollen, das scharfe Klacken, wenn diese auf den harten Metallboden aufkommen und das begleitende Geschnaufe, Gegrolle und die drohenden Worte, die ihnen folgen. Er wagt es, einen Blick zurückzuwerfen, und als er sieht, wie dicht die beiden Mutanten schon an sie herangekommen sind, erwacht in ihm ein gewisser Ehrgeiz.

„Schneller Saki-chan! Na los, beeil dich!“

 

 

Sie liefern sich bis zur Mittagszeit eine aufregende Jagd quer durch die beiden unteren Etagen des Technodromes. Abgesehen davon, dass sie die Gänge hier praktisch für sich haben, sind sie auch noch über Rampen miteinander verbunden. Mehr als einmal bleibt Krang dabei zwar das nicht vorhandene Herz beinahe vor Schreck stehen, aber eines muss er seinem Saki-chan zugestehen: der Kleine besitzt eine weitaus bessere Balance als sein erwachsenes Ich. Natürlich stolpert er auch manchmal, aber das eher zum Ende hin, weil seine Beine immer müder werden – und niemals dort, wo es wirklich gefährlich für ihn werden könnte. Letzten Endes handeln sich Bebop und Rocksteady mehr Schrammen und blaue Flecken ein als Saki-chan. Vor allem deshalb, weil sie sich jedes Mal, wenn Saki zu fallen droht, tapfer zwischen seinen kleinen Körper und den harten Boden werfen.

In weiser Voraussicht erklärt Krang das wilde Spiel trotzdem entschlossen für beendet, als Saki das dritte Mal innerhalb von fünf Minuten ins Straucheln gerät. Es ist zwar jedes Mal ein Fest, zuzusehen, wie sich einer der Mutanten heldenhaft vor ihnen auf den Boden wirft, aber sehr viel mehr halten wahrscheinlich auch die robusten Knochen der beiden Deppen nicht aus.

Glücklicherweise ist bald Mittagszeit, somit knurren ihnen tatsächlich die Mägen, und als er ihnen verspricht, dass sie nach dem Essen weiter Roller skaten dürfen – vorausgesetzt, er ist dabei – sehen sie ihn nicht einmal als Spielverderber an.

Krang weiß nicht wieso (vielleicht wird er wirklich langsam weich), aber genau das freut ihn. Und er freut sich, am Nachmittag da weiter zu machen können, wo sie aufgehört haben.

Das heutige Familienfoto zeigt sie in voller Roller-Skate-Montur. Am späten Nachmittag, zum täglichen Gesundheits-Check-up, ist Krang länger damit beschäftigt, die Blessuren von Bebop und Rocksteady zu verarzten als damit, Sakis Fortschritte zu untersuchen.

Und diesem wird zum ersten Mal in aller Deutlichkeit bewusst, welchen Tribut die letzten Stunden seinen beiden Mutanten abverlangt haben.

„Tut mir leid“, entschuldigt er sich, gibt sich einen Ruck und umarmt erst Bebop und dann Rocksteady. Und ergänzt dann, auf deren verdutzte Miene hin: „Ihr seht aus, als hättet ihr mit den blöden Turtles gekämpft. Morgen machen wir etwas anderes, okay? Etwas Ruhiges. Ich kann ja wieder etwas malen...“

„Hat es dir denn keinen Spaß gemacht?“ erkundigt sich Bebop erschrocken.

„Doch. Es war toll“, beruhigt ihn Saki schnell. „Ich wage sogar zu behaupten, das war einer der schönsten Tage in meinem Leben, aber ihr seid doch reichlich lädiert. Das wollte ich nicht.“

Aber das Letzte, was Rocksteady und Bebop von ihm hören wollen, sind solche Entschuldigungen.

„Ach, die paar Schrammen...“, lächelnd wuschelt Rocksteady seinem verjüngten Chefchen in gewohnter Manier durch den dunklen Haarschopf. „Die sind doch gar nicht der Rede wert. Die gehören dazu. Hauptsache ist doch, wir haben uns prächtig amüsiert.“

Zweifelnd schielt ihn Saki von unten her an. „Habt ihr das denn auch?“

„Und wie! Sehr sogar!“ Und um dies zu bekräftigen, beugt sich Rocksteady zu ihm hinab, nimmt ihn hoch und drückt ihn ganz fest an sich. Derart einigermaßen beruhigt, lässt sich Saki diese Behandlung ausnahmsweise einmal protestlos gefallen.

Er beschließt dennoch, ihnen am nächsten Tag etwas Ruhe zu gönnen.

 

 

„Der sieht irgendwie aus wie Idaho“, grinsend fährt Rocksteady mit seiner Zungenspitze die Form eines der größeren blauen Flecken auf Bebops Schulter nach.

Sein bester Kumpel und Lover neben ihm im Bett seufzt wohlig auf und murmelt irgend etwas inkohärentes vor sich hin.

Es geht auf Mitternacht zu, und im Technodrome ist Ruhe eingekehrt. Krang zieht sich jetzt höchstwahrscheinlich die Wiederholungen seiner heute verpassten TV-Soap-Operas zu Gemüte, und Saki schläft (hoffentlich) süß und selig in seinem gegenüberliegenden Quartier.

Und obwohl sich Rocksteady und Bebop tatsächlich wie zerschlagen fühlen, finden sie noch lange keinen Schlaf. Sakis Gegenwart fehlt ihnen genauso wie die Nacht davor.

„Er war glücklich, oder?“ verwandelt sich Bebops Gebrabbel plötzlich in deutliche Worte. „Glaubst du, er war glücklich?“

Genüßlich lässt Rocksteady seine feuchte Nase über Bebops Schulter in dessen Nacken gleiten und platziert dort einen liebevollen Kuss, bevor er nicht ohne angemessenen Stolz antwortet:

„Ja. Ja, ich glaube, er war glücklich.“

„Gut“, seufzt Bebop und schließt die Augen. Und während er sich ganz den erfahrenen Liebkosungen seines Lovers hingibt, kann er nicht umhin, an ihr Chefchen zurückzudenken. Haben seine Augen nicht regelrecht geleuchtet? Nein, so etwas kann man nicht vortäuschen. Selbst Shredder nicht. Rocksteady hat Recht: er war glücklich. Und Bebop versucht sich zu erinnern: Hat Shredder jemals so viel und ausgelassen gelacht wie heute? Und wenn nicht – was er befürchtet – wie können sie das ändern? Und zwar nicht nur jetzt, solange er noch klein ist, sondern auch später, wenn er wieder erwachsen ist?

Plötzlich wird ihm bewusst, dass Rocksteady hinter ihm ganz still geworden ist.

„Was ist?“ Doch da hört er es auch. Es ist nur ein leises Geräusch, fast gar nicht zu hören, und wären sie Menschen, hätten sie es wohl auch überhört. Aber Warzenschwein und Nashorn haben ein empfindliches Gehör.

Es ist ein seltsames Geräusch, aber es kommt direkt aus Saki-chans Quartier.

Zutiefst beunruhigt springen sie aus ihrem Matratzenlager und rennen, nur bekleidet mit ihren Boxershorts, hinaus auf den Gang und sofort in Shredders Raum.

Es dauert eine Weile, bis sie sich an die nur durch das Nachtlicht erhellte Dunkelheit gewöhnt haben.

Doch dann lässt sie der Anblick, der sich ihnen bietet, scharf die Luft einziehen.

„Was macht er da?“ flüstert Rocksteady schließlich nach einigen Sekunden erstaunten Starrens.

„Ich glaube“, meint Bebop nachdenklich, „er schlafwandelt.“

Stumm beobachten sie, wie der kleine Junge vor ihnen weiterhin erfolglos versucht, durch den Wandschrank zu gehen. Natürlich ist die rückwärtige Schrankwand im Wege, und es war dieses Geräusch, das eines kleinen Körpers, der zwar nicht schmerzhaft, aber doch sehr hartnäckig, gegen massives Holz stößt, das sie hierhergelockt hatte.

„Jepp, er schlafwandelt. Eindeutig.“ Und auf Rocksteadys hochgezogene Augenbraue, erklärt Bebop: „Hat meine kleine Schwester auch gemacht.“

„War der Tag doch etwas zu aufregend für ihn?“ gibt Rocksteady leise zu bedenken. „Und was machen wir jetzt mit ihm?“

Bebop schenkt seinem Kumpel nur ein schiefes Lächeln, geht zum Wandschrank hinüber und beugt sich hinein. Behutsam dirigiert er den schlafwandelnden Jungen in die richtige Richtung – nämlich aus dem Wandschrank heraus und geleitet ihn dann vorsichtig und unter gutem Zureden zurück zum Bett.

Rocksteady schaudert bei dem Anblick der Leere in diesen dunklen, geweiteten Mandelaugen unwillkürlich zurück. Er bewundert Bebop, dass dieser dabei so ruhig und gelassen bleiben kann.

In weniger als fünfzehn Sekunden ist der ganze Spuk vorbei und der Kleine liegt wieder sicher unter seiner Bettdecke.

Nachdenklich streichelt er dem schlafenden Kind über den Kopf, während Rocksteady inzwischen den Wandschrank wieder schließt.

„Ach, Scheiß drauf“, flucht Bebop plötzlich leise, schlägt die Decke wieder zurück, nimmt den schlummernden Jungen auf seine Arme und schickt sich an, mit ihm den Raum zu verlassen.

„Beeps...“ beginnt Rocksteady zaghaft, verstummt jedoch, als ihn dessen scharfer Blick trifft.

„Soll er doch morgen deswegen toben“, erklärt der Warzenschweinmutant selbstbewusst. „Das ist mir egal. Aber wenn er bei uns schläft, bemerken wir es wenigstens, wenn er wieder schlafwandelt. Und können Schlimmeres verhindern. Was ist, wenn er das nächste Mal in den Müllschlucker krabbeln will, hm?“

Wo er recht hat, hat er recht, denkt sich Rocksteady, und so nickt er nur, schnappt sich das Nachtlicht und das Kuscheltier und folgt seinem Kumpel.

 

 

11. Kapitel

11. Kapitel

 

Rocksteady erwacht schlagartig, weil ihn etwas Weiches im Gesicht trifft.

„Hey?!“ Abwehrend hebt er den Arm und reißt die Augen auf. Nur, um sie gleich wieder zuzukneifen. Es ist viel zu hell!

Neben sich hört er Bebop irritiert aufächzen. Und es ist dieses Geräusch, das ihn wieder blinzeln lässt. Und das ist sein Glück, denn wieder saust irgend etwas auf ihn herab, doch diesmal kann er es mit der Hand abwehren und festhalten.

„Was ist denn los?“ will er wissen, während er das Kissen, mit dem er eben noch angegriffen wurde, an sich reißt und sich dabei aufsetzt.

Der sechsjährige, japanische Junge, der zwischen ihm und Bebop sitzt, funkelt ihn erbost an und verschränkt verärgert die Arme vor der Brust.

„Seid ihr endlich wach, ja? Gut. Dann will ich jetzt wissen, was das soll! Wie zum Teufel komme ich wieder hierher? Wie kommt ihr dazu, mich nachts aus meinem Zimmer zu entführen? Während ich schlafe?? Was ist los mit euch? Seid ihr doch pervers, oder was?“

So früh am Morgen schon so viel Radau!

Stöhnend drückt sich der Nashornmutant das Kissen freiwillig wieder ins Gesicht und lässt sich zurück auf die Matratze fallen. Soll Bebop doch dieses Problem lösen, mit dem ist um diese Uhrzeit viel mehr anzufangen als mit ihm. Außerdem ist er der Geduldigere von ihnen beiden.

Shredder sieht sich ignoriert und gibt ihm einen Fußtritt in die Rippen, doch er hat noch immer nicht genug Kraft. Sein Tritt entlockt Rocksteady gerade mal ein genervtes Aufseufzen. Und er rollt sich auf die andere Seite außerhalb seiner Reichweite, wo er sich die Decke über den Kopf zieht.

„Du Produkt einer Schlaftablette“, schnauft Shredder beleidigt und wirft seinen Plüsch-Pumbaa nach ihm.

„Du bist schlafgewandelt“, erklärt Bebop schmunzelnd und zieht ihn auf seinen Schoß, wo er sofort beide Arme fest um ihn legt und ihn liebevoll an seine breite Brust drückt. „Und damit dir nichts passiert, haben wir dich eben wieder zu uns geholt. Und siehe da: ab sofort hast du tief und fest geschlafen. Ohne aufzuwachen. Und ohne nochmal schlafzuwandeln.“

„Hrmpf“, macht Shredder nur. Bebops Körper ist warm und fest, und er fühlt sich bei ihm so sicher und geborgen, dass er instinktiv die Arme um seinen Nacken schlingt und sich enger an ihn kuschelt. Das hindert ihn aber nicht daran, weiterhin den Beleidigten zu spielen.

„Ihr könnt das trotzdem nicht einfach machen ohne mich zu fragen! Ich habe auch Rechte!“

Außerdem – da wollte er einmal großmütig sein und ihnen Zeit für sich geben, und dann machen die sowas! Wollen die etwa, dass er ihnen zur Last fällt? Sind sie masochistisch veranlagt oder einfach nur bescheuert?

„Komm schon“, hört er Bebop da plötzlich leise in sein Ohr murmeln, während er ihn gleichzeitig hin und her wiegt, als wäre er noch ein Baby. „Sei uns nicht böse. Wir haben es doch nur gut gemeint. Außerdem haben wir dich furchtbar vermisst. Ich bin ganz unruhig, wenn du nicht bei uns bist. Und Rock auch - nicht wahr, Nasi?“

„'türlich. Du hast völlig recht, Beeps“, kommt es unter dem Kissen hervorgenuschelt.

Shredder spürt plötzlich, wie sein Herz viel schneller klopft und ihm das Blut in die Wangen steigt.

„Schon gut, schon gut“, grummelt er absichtlich barsch – denn entweder das oder er bricht noch in Tränen aus, „wenn ihr's unbedingt so haben wollt – dann schlafe ich eben wieder bei euch. Himmel, ihr seid vielleicht sentimental! Und sowas wollen starke Mutanten sein?“

 

 

Es ist ruhig.

Beunruhigend ruhig sogar.

Tatsächlich macht sich Krang ein wenig Sorgen, denn auch die internen Kameras des Technodromes melden ihm nur Leere. Das bedeutet natürlich nur, dass sich die Deppen irgendwo verkrochen haben, wo sie von keiner Kamera überwacht werden können (und da gibt es so einige Räume hier), aber dazu kommt noch diese Stille.

Das wird langsam richtig unheimlich.

Also gibt Krang dem Bordcomputer den Befehl, seine Seifenopern aufzuzeichnen und macht sich auf die Suche.

In der Küche wird er fündig, und es liegt hauptsächlich am Klappern des Geschirrs, untermalt von leiser Radiomusik, das ihn heranlockt. Anhand dessen geht er natürlich davon aus, dass sich die drei mit dem Mittagessen beschäftigen, aber als er durch die Tür tritt, sieht er nur Rocksteady, der am Herd steht und Kartoffel- und Möhrenwürfel in einen großen Topf schüttet.

Bebop und Saki-chan dagegen sitzen am Tisch, und dieser ist mit erstaunlich vielen bunten Bastelmaterialien und Klebern übersät.

Krang blinzelt überrascht.

Und dann noch einmal, als er sieht, was sie da basteln.

„Oh, hallo Krang!“ Saki-chan hat ihn bemerkt und dreht sich zu ihm um. „Sieh mal, was wir für dich gebastelt haben.“

Stolz hält er ihm einen der vielen billigen Bilderrahmen entgegen, die Bebop und Rocksteady bei ihrer letzten Shopping-Tour mitgebracht haben – nur, dass diese hier jetzt mit bunten Glasteinen und Glitter verziert sind und aussehen wie richtige Designerstücke.

Krang hat noch nie etwas Schöneres gesehen.

„Für mich?“ räuspert er sich.

Saki nickt nur und zuckt dann mit den Schultern.

„Na ja, wenn du deine ganzen Fotos, die du die ständig von uns schießt, irgendwo aufhängst, soll ja auch der Rahmen was hermachen, oder?“

Krang bekommt ganz feuchte Augen. Wie peinlich!

„Danke“, quetscht er an dem plötzlich auftretenden Kloß in seiner nicht vorhandenen Kehle vorbei. „Die sind sehr schön.“

Auf diese Worte hin geschieht etwas Unglaubliches: Saki-chan strahlt ihn an.

Nur für eine Sekunde, dann hat er seine Miene wieder im Griff - aber das Leuchten in seinen Augen, das kann er nicht verstecken.

„In dir steckt ja ein richtiger Künstler“, lobt Krang ihn weiter. Dabei erinnert er sich an das Bild, das Saki erst vor drei Tagen gemalt hat und das immer noch am Kühlschrank hängt.

„Wieso hast du das die ganze Zeit über vor uns versteckt?“

Saki senkt den Kopf ganz tief über einen weiteren Bilderrahmen und ist scheinbar ganz darauf konzentriert, sternförmige Glassterne in einer ganz bestimmten Kombination darauf anzuordnen, doch jeder hier kann sehen, wie ihm die Verlegenheitsröte in die Wangen kriecht.

„Basteln und malen … das ist doch alles Kinderkram.“

„Ein Glück für uns, dass du jetzt ein Kind bist“, lächelnd streckt Krang seinen rechten Tentakel aus und wuschelt ihm damit durchs pechschwarze Haar.

Saki läßt sich das für ein paar Sekunden gefallen, aber dann zieht er seinen Kopf zur Seite und wirft ihm einen zornigen Blick zu.

„Laß das! Stör den Künstler nicht bei der Arbeit!“

Grinsend zieht Krang seinen Tentakel zurück und wechselt einen amüsierten Blick erst mit Bebop und dann mit Rocksteady, der immer noch am Herd steht, aber das Geschehen mit einem so breiten Grinsen verfolgte, dass es ein Wunder ist, wenn ihm nicht jetzt schon die Kiefermuskeln schmerzen.

 

 

Es wird ein angenehmer, sehr ruhiger Tag, der in einem starken Kontrast zu der wilden Roller Skaterei am Vortag steht. Es fühlt sich beinahe an wie ein Familientag. Zumindest hat sich Shredder immer vorgestellt, dass es sich so anfühlen muß, denn selbst erlebt hat er so etwas noch nie.

Nach dem Mittagessen haben sie insgesamt zehn Bilderrahmen fertig, und als Krang dann mit seinen Fotos ankommt, suchen sie gemeinsam die besten heraus und finden für sie die passenden Rahmen.

Krang hat auch schon ganz konkrete Vorstellungen, wo er sie alle aufhängen oder aufstellen will. Auch Bebop und Rocksteady deklarieren zwei davon für sich und ihr Quartier.

Shredder fühlt sich etwas mies, weil er selber keines der Bilder für sich haben will, aber er hofft, sein Argument, dass er sie ja jeden Tag in der Kommandozentrale und im Gang dorthin sehen wird, war überzeugend genug. Er hasst nun einmal Fotos von sich selbst, ganz egal welchen Alters er darauf auch immer ist.

Natürlich lässt Krang ihn nicht so leicht davonkommen – er verspricht Shredder ein Fotoalbum. Nun, das kann er wenigstens im Schrank verstecken, also gibt Shredder brav sein Einverständnis.

Die Stimmung ist zu gut, um sie mit solchen Kleinigkeiten zu ruinieren.

Sogar Krangs obligatorischer Check-up stört ihn heute nicht.

Jedenfalls so lange, bis er Krang sagen hört:

„Wunderbar! Zwei Kilo schwerer als gestern.“

„Zwei?“ entsetzt starrt Shredder ihn an. „Bin ich wenigstens gewachsen?“

Ist er nicht, wie sich zehn Sekunden später herausstellt. Shredder fühlt sich, als wäre ein Haus um ihn herum eingestürzt. Seine gute Laune ist restlos verpufft und hat einem großen, schwarzen Loch Platz gemacht.

Er versucht, es sich nicht anmerken zu lassen, aber so ganz gelingt es ihm nicht, wie er an Bebops und Rocksteadys Beruhigungen bemerkt, dass „Kinder nun mal erst in die Breite wachsen und dann in die Höhe.“

Der Besuch auf der Krankenstation endet trotzdem damit, dass er sich in sein Quartier zurückzieht (denn hier stehen all seine Trainingsgeräte) und dort Ninjitsu (exzessiven Sport im Kampf gegen jedes überflüssige Pfund) treibt, bis er nicht mehr japsen kann.

 

Bebop und Rocksteady beobachten dies mit stetig wachsender Besorgnis, doch sie schweigen – immerhin hat Saki-chan ihnen gestattet, ihm dabei zuzusehen, und manchmal dürfen sie auch helfen, wenn es zum Beispiel darum geht, die Fokusschlagmatte zu halten.

Sie wollen nicht riskieren, wieder ausgeschlossen zu werden (denn wie sollen sie sonst auf ihn aufpassen?), also halten sie die Klappe und hoffen, dass er es nicht übertreibt. Und wenn doch, sind sie wenigstens sofort zur Stelle.

Es fällt ihnen nicht leicht, denn es tut ihnen in der Seele weh, mitansehen zu müssen, mit welchem Ernst und wieviel Unbarmherzigkeit ihr Saki-chan gegen sich selbst hier in den Krieg zieht. Das kennen sie von ihrem erwachsenen Shredder zur Genüge, und sie mochten es noch nie. Gegen sich selbst zieht er viel härter ins Feld als gegen die Turtles oder Splinter, und deshalb haben sie ihm noch niemals gerne beim Training zugesehen.

Aber jetzt ist er ein Kind, gerade mal einssechsundzwanzig groß, und ihn mit dieser Verbissenheit trainieren zu sehen, ist nicht im geringsten beeindruckend, sondern einfach nur noch zutiefst beunruhigend.

„Meinst du nicht, es reicht?“ Rocksteady hat als erster die Nase gestrichen voll und baut sich mit vor der Brust verschränkten Armen vor diesem kleinen Teufelsbraten auf.

Saki hält damit inne, seine hölzerne Trainingspuppe zu vermöbeln und funkelt ihn von unten her ungnädig an.

„Nein, wieso?“ zischt er herausfordernd.

Bitte?“ ändert Rocksteady seine Strategie und reicht ihm auffordernd die Hand.

Saki-chan zögert einen Moment, seufzt dann aber ergeben, zieht sich die Handschuhe ab und legt sie gehorsam in Rocksteadys große Pranken.

Einen Moment später schwankt er bedrohlich, und hätte ihn Rocksteady nicht sofort aufgefangen, wäre er womöglich hingefallen.

Im Nu ist Bebop heran und nimmt ihn aus Rocksteadys Armen.

„Da hat sich wohl jemand übernommen“, tadelt er.

„Mir geht’s gut“, protestiert Saki laut. Okay, ihm wurde für eine Sekunde schwarz vor Augen, so what? Kein Grund, gleich so einen Aufstand zu machen!

„Ich räum hier auf“, verkündet Rocksteady, als hätte er ihn gar nicht gehört.

„Und wir gehen etwas trinken“, lächelt Bebop. „Einen schönen, heißen Kakao? Und dazu Erdbeeren? Wie hört sich das an?“

Saki hätte zwar eine weitere Trainingseinheit vorgezogen und danach ein gutes Bad, aber Bebops Vorschlag klingt auch nicht schlecht.

 

 

„Das lesen wir dir nicht vor!“

„Jesses, Sweetie“, stimmt Bebop seinem Kumpel sofort zu, „kein Wunder, wenn du schlafwandelst. Bei dem Buch.“

Shredder steht nur vor dem, was die beiden so großzügig ihr „Bett“ nennen und starrt sie an. Er kommt gerade von der Toilette (diesen blöden Kindertoilettensitz braucht er auch nicht mehr, juchu! - und wenigstens respektieren sie in dieser Hinsicht seine Privatsphäre, was richtiggehend erholsam ist) und diesen Empfang hat er wahrlich nicht erwartet.

Er sieht zu, wie Rocksteady besagtes Buch entschlossen ganz weit weg schiebt, betrachtet ihre Mienen – so ernst und streng und besorgt zugleich, und irgend etwas in seinem Inneren passiert. Er sollte wütend sein, ja, eigentlich sogar regelrecht angepisst, weil sie ständig so mit ihm reden, stattdessen ist alles, was er fühlt – Wärme.

Eine weiche, goldene, alles verzeihende Wärme.

„Okay“, meint er daher nur und krabbelt zwischen sie, wo er sich zufrieden unter die Bettdecke und an sie kuschelt.

„Dann erzählt mir eine Geschichte. Irgendeine. Egal welche.“

 

12. Kapitel

12. Kapitel

 

Rocksteady liegt auf dem Rücken auf seinem Bett, die Hände hinter dem Kopf verschränkt und die neuesten, besten Kopfhörer übergestülpt. Er liegt einfach nur da, die Augen geschlossen, wippt seine Füße im Takt zu Bruce Springsteens Born in the USA und genießt das süße Nichtstun. Bebop hat ihn und Saki-chan direkt nach dem Frühstück aus der Küche gejagt,weil er irgend ein besonderes Mittagsmahl für sie zaubern möchte, wofür er seine Ruhe braucht. Jedenfalls ist er jetzt mit Saki ganz alleine und der weiß sich sowieso allein zu beschäftigen. Auch wenn Rocksteady mit seiner Buchauswahl nicht zufrieden ist. Aber Saki hat recht – es ist etwas ganz anderes, ob man solch einen Horrorschocker tagsüber oder nachts liest. Und er hat versprochen, sich von ihm trösten zu lassen, sollte es ihn doch gruseln. Ach, der Kleine ist wirklich einfach nur zu süß!

„Hey du!“ Rocksteady fühlt sich plötzlich vorsichtig zwischen die Rippen gestupst.

Brummend öffnet das Nashorn die Augen und nimmt die Kopfhörer ab.

„Hm?“

Neben ihm sitzt Saki-chan mit einem sehr ernsten Gesicht.

„Du“, meint er zaghaft und drängend zugleich, „kannst du mal gucken? Ich glaube, der wackelt.“ Vielsagend öffnet er seinen Mund und tippt gegen seinen oberen linken Schneidezahn.

Rocksteady begutachtet den besagten Zahn ganz genau, stellt fest, dass Saki-chans Diagnose richtig ist und meint dann:

„Stimmt. Soll ich ihn dir ziehen?“

Sakis Augen werden ganz rund und er klappt den Mund so schnell wieder zu, dass er Rocksteady beinahe auf den Finger gebissen hätte.

„Nein!“ zischt er und weicht sicherheitshalber einen halben Meter zurück. Doch dann wird er sich dessen bewusst und senkt, eine leise Entschuldigung murmelnd, den Kopf. Einige Zeit lang hockt er nur da, während seine Finger unsicher mit dem Saum seines T-Shirts spielen und beißt sich betreten auf die Unterlippe, während Rocksteady ihn nur irritiert beobachtet.

Er versteht nicht, wieso der Kleine jetzt so reagiert. Dass er zurückschreckt, weil er sich nicht die Zähne ziehen lassen will, das versteht er, aber warum jetzt diese Unsicherheit? Es ist ja fast so, als fürchte er sich, für dieses Zurückschrecken bestraft zu werden.

Er erinnert sich daran, was Bebop ihm von seinem Gespräch mit Krang vor einigen Tagen erzählte, und ihm wird das Herz schwer. Kann es sein? Ist es tatsächlich möglich, dass, nach allem, was inzwischen passiert ist, ihr Saki-chan immer noch befürchtet, dass sie ihn aus dem Technodrome werfen könnten?

„Ach, Sweetie...“ erst als er Saki-chans verdutztem Blick begegnet, begreift er, dass er es laut geseufzt hat. Doch er überwindet seine Verlegenheit schnell, indem er sich mal kurz zur Seite beugt und aus seinem Versteck zwischen Matratze und Wand eine kleine Schachtel herauszieht. Er hatte sie schon vor zwei Tagen dort deponiert und hält den Zeitpunkt nun dafür gekommen, sie ihrer Bestimmung zuzuführen.

Mit einem stolzen Grinsen reicht er sie seinem Saki-chan.

„Hier, bitteschön.“

Zögernd nimmt der Junge sie entgegen und dreht sie neugierig in seinen Händen hin und her. Sie ist herzförmig und aus Holz und etwa so breit wie Rocksteadys Handfläche.

Irritiert hebt Saki den Blick und öffnet die Lippen, um eine Frage zu stellen, aber da kommt Rocksteady ihm mit der Erklärung zuvor.

„Für deine Milchzähne.“

Mit der Reaktion, die nun erhält, hat er aber wirklich nicht gerechnet: Saki starrt ihn für die Dauer einiger Herzschläge einfach nur an, während sich in seinen erstaunt geweiteten Augen das Wasser sammelt. Immer mehr, bis er schließlich ein paar Mal hart blinzelt, und die herauskullernden Tränen mit dem Handrücken wegwischt.

„Danke“, bringt er letztendlich schniefend hervor.

Rocksteady ist total irritiert – wie kann eine so kleine, an sich harmlose Geste zu so einem Gefühlsausbruch führen? Wie mies muss seine Kindheit, ach was, sein gesamtes Leben, bisher wirklich gewesen sein?

„Gern geschehen“, entgegnet Rocksteady betont munter und zieht ihn in eine liebevolle Umarmung. Diesmal lässt es sich Saki-chan nicht nur protestlos gefallen, nein, er schmiegt sich sogar freiwillig hinein. Ganz fest.

 

 

Eigentlich kocht Bebop nicht gern. Aber für Saki-chan macht er eine Ausnahme. Denn für seinen... ihren kleinen Dreikäsehoch zu kochen, das macht ihm Spaß. Es liegt daran, wie Sakis Augen zu glänzen beginnen, sobald das Essen vor ihm steht, und der Genuß, mit dem er es in sich hineinschaufelt, die Begeisterung, mit der er Nachschlag verlangt und das leise „Dankeschön“, das darauf folgt.

Bebop kann davon nie genug bekommen, und so hat er es sich zur Aufgabe gemacht, ihren kleinen Saki-chan noch mehr Freude mit immer besserem Essen zu bescheren.

Und heute hat er sich etwas ganz besonderes ausgedacht. Als Vorspeise gibt es eine gesunde Suppe, die Hauptmahlzeit besteht aus Kartoffeln, Gemüse und Fischstäbchen – denn welches Kind mag keine Fischstäbchen? - und als Nachspeise gibt es eine selbstgemachte Erdbeer-Marzipan-Torte. Mit einem kleinen Extra obendrauf.

„Ist das nicht etwas übertrieben?“ kritisiert Krang, der seinen Androidenkörper an den Küchentisch gepflanzt hat und Bebops Vorbereitungen schon ab der Hälfte mit mehr oder weniger geistreichen Kommentaren stört.

„Nein“, erwidert Bebop mit derselben unerschütterlichen Ruhe, mit der er schon Krangs andere Bemerkungen hingenommen hat. „Ganz und gar nicht. Im Gegenteil sogar. Ich finde, es wird Zeit. Und überleg doch mal: wird das nicht ein schönes Foto für deine Sammlung?“

Krang will es nicht, aber da muß er dem Warzenschweinmutanten zustimmen. Es wird bestimmt nicht nur ein schönes Foto, nein, es macht seine Sammlung erst richtig perfekt.

 

 

Saki kann nicht behaupten, dass er schon satt ist – trotz der zwei sehr großzügigen Portionen, die er schon verdrückt hat, fühlt es sich immer noch so an, als hätte er ein riesengroßes Loch im Bauch. Aber er denkt an sein Gewicht und hält sich daher damit zurück, um noch eine weitere portion zu bitten. Außerdem gibt es ja noch eine Nachspeise, wenn er Bebop richtig verstanden hat – und um die Bebop ein ganz schönes Theater macht.

„Hast du die Augen schön zu? Und nicht schummeln!“

„Ja“, erwidert Saki genervt auf die erste Frage und mit einem ergebenen „nein“ auf die zweite. Er hat keine Ahnung, was das jetzt schon wieder soll, aber er spielt mit. Und bisher – und das muß er nun wirklich zugeben – haben ihm die Überraschungen seiner beiden Mutanten immer gefallen.

Er hört, wie etwas vor ihm auf den Tisch gestellt wird, und dann hört er Bebop auch schon sagen:

„So, jetzt kannst du wieder gucken.“

er blinzelt gehorsam. Einmal. Zweimal. Und dann wirft er erst Bebop, danach Rocksteady und sogar Krang einen fragenden Blick zu. Aber die nicken ihm nur auffordernd zu.

„Aber“, protestiert er vorsichtig – und auch ein wenig unsicher, denn eigentlich wissen sie das doch ganz genau, oder? - „ich habe heute doch gar nicht Geburtstag.“

Er starrt die Torte vor sich vorwurfsvoll an, doch die große Kerze darauf brennt völlig unbeeindruckt weiter.

„Das ist auch keine Geburtstagstorte“, belehrt ihn Bebop und stülpt ihm, seinen Worten zum Trotz, ein buntes Partyhütchen auf den Kopf. „Das ist eine Nur-so-Torte. Die gibt es nur so. Weil wir nur mal so feiern wollen, daß wie... ich weiß nicht? Hier zusammen sind? Gesund sind? Daß wir uns haben? Such dir was aus.“

Eine ganze Weile lang starrt Saki ihn nur an, und dann die Kerze auf dem Kuchen. Er versucht etwas zu sagen, aber heraus kommt nur ein peinliches Krächzen – mehr will seine zugeschnürte Kehle nicht gestatten.

Rocksteady hilft ihm aus seiner Bedrouille.

„Kerze auspusten und was wünschen!“ befiehlt er betont munter.

Saki tut wie ihm geheißen – nur das mit dem Wünschen, das lässt er lieber, das ist ihm doch zu albern. Aber es gibt ihm Zeit, seine Stimme wieder zu finden.

„Das sieht verdammt lecker aus.“

„Probier erst mal“, grinst Bebop stolz, schneidet ein besonders großes Stück vom Kuchen ab und gibt es ihm.

Unter den aufmerksamen Blicken von Bebop, Rocksteady und Krang kommt Saki dieser Aufforderung nach – und er lässt sich betont viel Zeit dabei. Der Kuchen ist ein Gedicht und zergeht ihm nur so auf der Zunge, doch er bemüht sich, seine Miene neutral zu halten.

„Und?“ drängt Bebop schließlich nervös.

Saki läßt ihn erst noch ein paar Sekunden zappeln und schluckt seinen Bissen erst einmal -gut erzogen, wie er ist – herunter.

„Das ist einfach nur super!“ Und weil Bebops Ohren so schön rot anlaufen: „Du bist ein richtiger Back-Künstler!“ Und weil Bebop hochrote Wangen auch sehr gut stehen:

„Bekomme ich jetzt jeden Tag so etwas Tolles?“

„Oh ja!“ stimmt ihm Rockstedy, der sich auch ein Kuchenstück geschnappt und schon zur Hälfte weggeputzt hat, mit vollem Munde zu. „Dafür bin ich auch! Du backst besser als meine Mama, Beeps!“

Ein größeres Lob hätte er Bebop gar nicht aussprechen können, und das weiß dieser nur zu gut und – wird jetzt flammendrot.

Während auch Krang in diese Lobreden mit einstimmt und Bebop immer verzweifelter und erfolgloser versucht, seiner Verlegenheit Herr zu werden, kratzt Saki die letzten Reste von seinem Teller und nimmt sich lächelnd ein weiteres Stück. Er ist so froh, dass er jetzt nicht mehr im Mittelpunkt steht.

Er kann immer noch nicht gut mit all der Freundlichkeit umgehen, die ihm hier von allen Seiten entgegen gebracht wird. Es ist ihm einfach immer noch unangenehm.

 

 

„Au.“

„Was ist los, Sweetie?“

Shredder verzieht bei diesem Kosenamen das Gesicht. Ehrlich, das ist ja noch schlimmer als dieses elendige „-chan“.

„Nichts“, antwortet er und gibt seiner hölzernen Trainingspuppe einen lustlosen Stups.

Er ist so vollgefressen – er hat schließlich vier Stück Kuchen verputzt, und genau das will er jetzt abtrainieren, aber das fällt ihm irgendwie schwer! Er fühlt sich nämlich gar nicht so satt, wie er es nach dem Essen eigentlich sein sollte. Ganz im Gegenteil sogar: er hat wieder Hunger!

Aber als Krang ihn vor einer halben Stunde wieder auf die Waage hat steigen lassen, hat das verdammte Ding wieder zwei Kilo mehr angezeigt als gestern. Zwei Kilo! Ohne daß er auch nur einen Zentimeter zum Ausgleich gewachsen wäre.

Diese Gewichtszunahme hat ihn so erschüttert, dass er sein obligatorisches „Bärenfleisch“ beinahe ausgeschlagen hätte. Nur geht so etwas nicht, wenn man von sechs Augen aufmerksam beobachtet wird, deren Eigentümer sich dann nur wieder schreckliche Sorgen um ihn gemacht hätten. Also hat er wie immer drei Gummibärchen aus Krangs Glas geschöpft, zwei davon an Bebop und Rocksteady gegeben – die beiden freuen sich immer so darüber, außerdem ist es zu einer netten Tradition geworden – und vorgetäuscht, das Dritte selbst zu essen, während er es gleichzeitig unauffällig in seiner Hosentasche verschwinden ließ.

Sein Kopf sagt ihm, dass er unwahrscheinlich viele Kalorien intus hat und wenn er das nicht irgendwie wieder loswird, bringt er morgen nochmal zwei Kilo mehr auf die Waage, aber irgendwie kann er sich fürs Training nicht wirklich begeistern. Er hasst diese faule Seite an sich, er hat sie schon immer gehasst! Nur, weil er seinem inneren Schweinehund zu oft nachgibt, bringt er nichts auf die Reihe. Das war schon früher so und jetzt ist es auch nicht anders – oder welchen Grund gibt es sonst, dass er gegen diese vermaledeiten Turtles immer verliert?

Er ist einfach zu schwach. Aber ab heute wird sich das ändern. Ab heute gibt es keine Entschuldigungen und keine faulen Kompromisse mehr.

Mag sein Bauch sich auch anfühlen wie ein schwarzes Loch, das immer mehr und mehr verschlingen könnte ohne je satt zu werden und mag aus dem anfänglichen Hungergefühl auch ein sehr handfester Schmerz werden – er wird dem nicht nachgeben.

Denn er ist nicht schwach. Oh nein!

Aber. Ganz. Und. Gar. Nicht!

Wütend gibt er der Holzpuppe einen Tritt, gefolgt von einem Handkantenschlag, dass diese regelrecht erbebt. Davon ermutigt, macht er weiter, bis er in einen gewohnten Rhythmus verfällt und seine Magenschmerzen und alle anderen störenden Gedanken ganz weit an den Rand seines Bewußtseins drängen kann. Nur noch die Bewegung zählt. Und das leichte Brennen, wo seine Haut auf das Holz trifft.

Ja. Um seine Lippen spielt ein grimmiges Lächeln. So könnte er ewig weitermachen.

Plötzlich durchfährt ihn ein reißender, sengender Schmerz. Es fühlt sich an, als würde er mitten entzwei gerissen.

„Saki!“ Bebop ist näher als Rocksteady, und so ist er zuerst da, um den Jungen aufzufangen, als dieser plötzlich zusammenbricht.

 

 

Es ist schlimmer als das letzte Mal, obwohl niemand geglaubt hätte, dass dies möglich sei.

Rocksteady kann es gar nicht mit ansehen. Aber er muss. Nicht nur um Sakis Willen, sondern auch, weil Bebop ihn braucht. Sein Beeps braucht Halt und Zuversicht, und es ist seine Aufgabe, ihn darin nicht zu enttäuschen.

Auch wenn es ihm noch so schwer fällt. Und so schluckt er seine eigene Verzweiflung hinunter und wagt ein kleines – und wie er hofft, aufmunterndes – Lächeln, als Bebop ihm einen kurzen Blick zuwirft. Sein Beeps versucht, zurückzulächeln, doch es wird ein sehr schiefes Lächeln und auch nur für den Bruchteil einer Sekunde, weil er seine Aufmerksamkeit sofort wieder auf Saki richtet.

„Krang, tu was“, zischt Rocksteady dem Alien zu.

Aber der sitzt nur weiterhin im Bauch seines Androidenkörpers und starrt hilflos auf den vor Schmerzen weinenden Jungen in Bebops Armen.

„Was soll ich denn tun?“ gibt Krang zurück. „Ich hab ihm schon alles an Schmerzmitteln gegeben, was möglich ist. Ich hab jetzt nur noch die chemischen Keulen da, und die gebe ich ihm ganz bestimmt nicht!“

„Nein“, stimmt ihm Rocksteady leise zu. „Besser nicht. Du hast recht.“

Das können... das dürfen sie nicht riskieren.

Als sich Saki leise wimmernd noch fester in Bebops Shirt krallt und dieser ein beruhigendes „sch, es wird alles gut, wir sind hier“ flüstert, ist dies wie ein besonders grausames Deja vu.

Für Rocksteady fühlt es sich an, als würde ihm jemand das Herz in der Brust zerquetschen. Instinktiv festigt er seinen Griff um Bebops Schulter und zieht die beiden etwas näher an sich.

 

13. Kapitel

13. Kapitel

 

Er weiß nicht, ob es Schmerzen sind oder nur die Erinnerung an Schmerzen, was ihn plötzlich senkrecht im Bett sitzen lässt. Das Licht ist schmerzhaft hell in seinen Augen, hastig kneift er sie wieder zu. Irgend etwas ist in seinem Mund, und es fühlt sich nicht an, als würde es dahin gehören. Er spuckt es in seine Handfläche. Und spuckt. Und spuckt...

und öffnet dann doch mühsam die Augen, weil sich das auch seltsam anfühlt.

Dann, als er sieht und begreift, was das dort auf seiner Handfläche liegt, fängt er an zu schreien.

„Es ist gut... sh... alles gut...“ Jemand zieht ihn in seine Arme, und er kennt diese Stimme, aber der dazu passende Name will ihm genauso wenig einfallen wie das dazu gehörende Gesicht. Doch er weiß, er kann ihm vertrauen. Sein Schreien wird zu einem leisen Wimmern.

„Es sind nur deine Milchzähne.“ Tröstend drückt Bebop ihn an sich, während Rocksteady die herumliegenden Zähne einsammelt und das Blut von Sakis Händen abwischt.

Er und Bebop wechseln einen langen, besorgten Blick. Sie sind beide abgekämpft und müde – hinter ihnen liegen lange acht Stunden. Ihre Hilfslosigkeit nagt an ihnen, aber im Gegenteil zu Krang gönnen sie sich nicht den Luxus, sich in eine stille Ecke zurück zu ziehen, denn ihr Saki-chan braucht sie. Anders als Krang können sie ihn schließlich tröstend in den Arm nehmen. Ihnen ist aber auch schmerzlich bewusst, dass das in einer solchen Situation nicht viel ist, und mehr als einmal wünschten sie sich, sie könnten ihm seine Qual und Pein abnehmen. Gerne würden sie das alles für ihn ertragen, wenn es denn möglich wäre.

Leider ist es das aber nicht, und so können sie nur stumm mitleiden, wenn sich ihr Saki-chan wieder in Schmerzen windet, und das macht sie einfach nur fertig.

Saki schluchzt nicht zum ersten Mal etwas in seiner Muttersprache in Bebops Weste. Es klingt schön, aber das täuscht, denn laut Krang bedeutet es so viel wie: Ich will nicht mehr.

Bei diesen Worten und diesem Tonfall krampft sich jedesmal etwas tief in den beiden Mutanten zusammen. Sie beschleicht die düstere Vorahnung, dass Saki damit viel mehr meinen könnte als diese Hölle, durch die er sich gerade quält.

 

 

 

Aus dem Spiegel starren ihm mandelförmige, dunkel umschattete Augen aus einem blassen Gesicht entgegen. Die Gestalt verzieht die Lippen und entblößt strahlendweiße Zähne. Sie sehen neu aus. Ungenutzt. Es dauert geschlagene zehn Sekunden, bis er sich selbst erkennt.

Das bin ich? fragt er sich verwundert. Er fühlte sich schon in seinen vorherigen Körpern nie richtig daheim, aber bei diesem hier ist es schlimmer als je zuvor. Seine Gedanken sind ein einziger wirrer Brei, aus dem nur ab und zu ein oder zwei klare Worte an die Oberfläche gespült werden. Eigentlich besteht er zur Zeit nur aus Gefühlen – die einzuordnen ihm mangels Worten schwer fällt. Er kann denken, auf eine merkwürdige, distanzierte Weise, aber es fühlt sich nicht an wie er.

Wenigstens zittert er nicht mehr am ganzen Körper. Nur noch seine Hände zittern, als wäre er neunzig Jahre alt und nicht neunundzwanzig. Oder irgend etwas zwischen neun und zehn, wie ihm der Spiegel jetzt meldet.

Doch egal, wie lange er sich betrachtet - die rechte Freude über diesen erneuten Wachstumsschub will sich nicht einstellen.

Er kann die Schmerzen nicht vergessen, vielleicht liegt es daran. Vielleicht ist ihm ja auch deswegen so schlecht. Er muss sich nicht übergeben oder so, aber er fühlt sich einfach nicht gut. Als wäre er gerade der Achterbahn entstiegen, nur ohne Gleichgewichtsstörungen und ohne den ganzen Spaß davor. Es ist ähnlich dem Gefühl, das man hat, wenn man am Rande eines Hochhausdaches steht und hinunter schaut – wozu man sich erst einmal etwas nach vorne beugen muss...

„Sweetie?“ Rocksteadys tiefe Stiefe und dessen Finger um seinen Arm holen ihn nur halbwegs aus seiner düsteren Gedankenwelt. Es genügt aber, um ihn nicht über die eigenen Füße stolpern zu lassen, als das Rhino ihn auf einen Stuhl setzt. Bebop legt ihm ein großes Handtuch um die Schultern und stellt sich dann, mit Kamm und Schere bewaffnet, hinter ihn. Rocksteady wiederum zieht sich den Plastiktritt (den keiner mehr braucht), heran und widmet sich dann Sakis viel zu langen Fingernägeln.

Bebop hinter Saki beginnt zu summen und lässt seinerseits die Schere klappern.

Teilnahmslos sieht Saki zu, wie Strähne um Strähne seines rabenschwarzen Haares zu Boden fällt. Sogar Krang hat keine Antwort darauf, wieso seine Fingernägel und die Haare erst bei diesem Schub so lang wurden, dass er aussieht wie ein Höhlenmensch.

Ich … versucht er sich zu konzentrieren, während er dem Geräusch der Scheren lauscht und beobachtet, wie Rocksteady ihm die erste und vielleicht auch letzte Maniküre seines Lebens gibt. Ich bin ich. Das bin ich. Ich... seine Konzentration bröckelt und aus den Tiefen seines Gedankenbreis steigt etwas auf, das sich wie ein klebriges Seufzen anfühlt. Er würde sich gerne irgendwo zusammenrollen und ... einfach nur verschwinden...

„Sieht gut aus, was?“ Bebops stolze Stimme holt ihn wieder zurück ins Hier und Jetzt. Saki wagt es zwar nicht, den Kopf zu drehen, doch das muss er auch nicht, weil Bebop das, worauf er so stolz ist, seinem Kumpel und Lover zeigt, so dass es zeitweise direkt in Sakis Sichtfeld baumelt.

„Niedlich“, brummt Rocksteady, nimmt die mit einem blauen Band zusammengebundenen Haarsträhnen entgegen und legt sie behutsam auf den Waschtisch.

„Das gehört sich doch so“, lächelt Bebop versonnen. „Das geben wir nachher Krang. Für sein Fotoalbum.“

Saki mag sich zwar nicht wie er selber fühlen und sein Verstand mag sich in eine graue Brühe verwandelt haben, aber das dringt zu ihm durch. Er kann nicht anders - er muss einfach die Augen verdrehen.

 

 

„Knapp einsvierzig und fünfunddreißig Kilo“, verkündet Krang munter.

„Und das ist gut?“ erkundigt sich Saki in einem merkwürdig flachen Tonfall, während er wie jeden Tag die Gummibärchen entgegennimmt und sofort an Bebop und Rocksteady weiterverteilt.

Krang mustert ihn nachdenklich. Auf ihn wirkt der Junge heute unnatürlich lethargisch.

„Ja, das ist gut“, erklärt er langsam und überdeutlich. „Körperlich geht es dir ausgezeichnet. Aber fühlst du dich auch gut? - Und lüg mich nicht wieder an“, fügt er hinzu, denn schließlich hat er diese Frage schon zu Beginn der Untersuchung gestellt und nur ein Kopfnicken bekommen, was ja wohl eindeutig nicht der Wahrheit entsprach.

Saki fühlt sechs besorgte Augenpaare auf sich ruhen und spürt so etwas wie beginnendes Unbehagen. Doch es verspürt nicht den Drang, sich mit irgend jemanden anzulegen. Also sagt er die Wahrheit, in der Hoffnung, dann viel schneller hier heraus zu kommen. Nicht, dass er unbedingt zurück ins Quartier will – sei es das der Mutanten oder seines – aber er will auch nicht länger als nötig auf der Krankenstation bleiben. Vielleicht will er auch einfach nur schnell fort von Krang, der ihn in letzter Zeit so gut durchschaut.

„Ich stehe irgendwie neben mir“, erwidert er daher wieder in diesem müden Tonfall. „Als wär ich nicht …“ er zögert, runzelt die Stirn und beendet den Satz dann mit einem fragenden: „... - da?“

Krang nickt, als hätte er etwas ähnliches schon erwartet.

„Nicht nur dein Körper leistet Schwerstarbeit, auch dein Gehirn, das das alles steuern muss. Du näherst dich mit Siebenmeilenstiefeln deiner Pubertät. Kein Wunder, dass du ein bisschen verwirrt bist.“ Er hält kurz inne, streicht ihm mit dem rechten Tentakel sanft über die Wange und und fügt dann mitfühlend hinzu: „Außerdem war dein Wachstumsschub diesmal besonders schwer für dich. Nicht nur dein Körper, auch deine Psyche braucht Zeit, um sich davon zu erholen. Dazu kommt noch, dass du dich an deinen neuen Körper gewöhnen musst. Das dauert seine Zeit. Gönn' dir selbst diese Zeit. Sei nicht immer so hart zu dir selbst.“

Es dauert eine Weile, bis seine Worte bei Saki-chan gesackt sind, aber man kann genau sehen, wann dies geschieht. Plötzlich erscheint da diese Falte zwischen seinen Augenbrauen und dann sieht er anklagend zu Bebop und Rocksteady hinüber.

„Petzen.“

Die beiden schenken ihm ein schiefes Lächeln, das ist aber auch alles. Sie entschuldigen sich nicht, weil es ihnen nicht leid tut. Sie fühlen sich im Recht und da ist ausnahmsweise mal auch Krang auf ihrer Seite.

„Sie passen eben auf dich auf, so lange du es nicht selbst machen kannst. Oder willst.“ Krang mustert ihn streng. „Es ist schön, dass du wieder trainierst, aber du sollst es nicht übertreiben. Du musst hier niemandem etwas beweisen.“

Saki schenkt ihm dafür einen Todesblick, der aber auch schon mal tödlicher war. Krang verbeißt sich ein Kichern.

„So lange du noch nicht wieder deine normale Gestalt hast, stehst du unter Welpenschutz – ist dir das immer noch nicht klar? Später werde ich dich persönlich antreiben, damit du wieder in Form kommst, aber jetzt bist du noch unser kleiner Saki-chan.“

Saki denkt tatsächlich eine Weile darüber nach. (Das -chan überhört er jetzt einfach mal. Es ist immerhin bedeutend besser als dieses „Sweetie“).

„Okay“, meint er dann nur. Eigentlich ist gar nichts daran okay, aber die Frage nach dem „wieso“, die plötzlich aus der grauen Brühe seines Verstandes nach oben ploppt, stellt er lieber nicht. Denn das würde nur zu Diskussionen führen und das wiederum würde bedeuten, dass er noch länger hier rumstehen müsste und genau das widerstrebt ihm.

„Wir passen auf ihn auf“, versprechen Bebop und Rocksteady.

Saki ignoriert das gekonnt, aber als Bebop ihm eine große Pranke auf die Schulter legt und ihn langsam zum Ausgang dirigiert, lässt er sich willig anschieben.

Während sie den langen Gang hinüber zu den Quartieren gehen, fällt ihn auf, dass die Wände und Decken plötzlich viel kleiner wirken als noch … nun ja, gestern. Sie sind nicht mehr halb so unheimlich.

Und auch Bebop und Rocksteady wirken nicht mehr so groß. Es ist verwirrend.

Er reicht den beiden jetzt fast bis zur Schulter und das ist so ungewohnt, dass es dieses Gefühl der Fremdheit in seinem eigenen Körper nur noch verstärkt. Und obwohl er weiß, dass er sich darüber freuen sollte, ihnen bald über den Kopf zu wachsen, hat er gleichzeitig Angst davor.

„Was ist los, Sweetie?“ hört er plötzlich Bebops besorgte Stimme. Mit Erstaunen bemerkt er, dass er in Gedanken versunken anscheinend einfach stehengeblieben ist, woraufhin auch seine Mutanten im Schritt innehielten.

Anstatt sich die Mühe zu machen, ihnen irgend etwas zu erklären, gibt er einfach seinen Impulsen nach und umarmt den erstbesten, der neben ihm steht. In diesem Falle also Bebop.

Überrascht entgegnet dieser die Geste – schließlich kommt es immer noch selten vor, dass Saki jemanden von sich aus umarmt.

Aber es macht Bebop sehr glücklich, wie sein leicht debiles Grinsen verrät.

Rocksteady beobachtet die beiden amüsiert. Er freut sich für seinen Kumpel, weiß er doch, wie sehr sein sensibles Warzenschweinchen unter den Ereignissen der letzten Nacht gelitten hat. Saki-chan nicht helfen zu können, hat seinen Beeps tatsächlich zum Weinen gebracht – wenn auch erst, nachdem alles vorbei war. Und dann auch noch einsam und allein hinter verschlossener Badezimmertür. Aber Rocksteady hat die verräterischen Spuren in seinen Augen bemerkt! Er hatte ihn nicht darauf angesprochen und ihn einfach nur mit einer festen Umarmung und einem süßen Kuss getröstet, aber Bebop weiß, dass er es weiß – wie Rocksteady alles weiß, was ihn betrifft.

Saki-chan weiß es nicht, und sie werden alles dafür tun, was in ihrer Macht steht, damit er nie erfährt, wie schlimm es für sie wirklich ist, wenn er sich in Schmerzen windet; aber auf eine instinktive Art und Weise scheint er es zu spüren, wenn man seine jetzige Reaktion bedenkt.

Ob das gut ist oder nicht, das kann er noch nicht beurteilen. Im Moment jedenfalls, das verrät ihm die Art, wie sehr sich Saki-chan in Bebops Umarmung hineinkuschelt, ist es einfach nur gut.

 

 

Über ihr Quartier hat sich eine beinahe heilige Stille gesenkt, nur unterbrochen von ihren leisen Atemzügen. Der Rest des Tages verlief im Gegensatz zu der zurückliegenden Nacht geradezu unheimlich ruhig. Aber Rocksteady will sich nicht beschweren, erst recht nicht, wo Saki-chan, je später es wurde, immer klarer wurde. Beim Baden hatte er sogar wieder dieses Funkeln in den Augen, als er sie rigoros hinaus scheuchte, weil er nun wirklich groß genug wäre und keine Babysitter mehr bräuchte. Oder waren sie etwa Perverse?

In Gedanken daran muss Rocksteady schmunzeln. Dann spürt und hört er, wie Bebop leise aus dem Bett schleicht und stemmt sich in die Höhe. Das Nashorn-Nachtlicht wirft ein hübsches Muster aus goldgelben Lichtflecken durch das ansonsten dunkle Zimmer und es fällt ihm nicht schwer, die Gestalt seines Kumpels auszumachen. Er bewegt sich Richtung Badezimmer und normalerweise würde Rocksteady ihm nicht folgen, aber da ist dieser unangenehme Druck in seiner Magengrube...

Behutsam, um Saki nicht zu wecken, rollt er sich von der Matratze und holt Bebop noch vor der Badezimmertür ein.

Er hält ihn am Ellbogen zurück und seine Augen stellen eine stumme Frage. Bebop nickt nur und zieht ihn wortlos hinter sich her ins Badezimmer.

„Beeps?“ fragt Rocksteady leise, sobald die Tür hinten ihnen ins Schloß geklickt ist und mustert ihn eindringlich. Im hellen Licht der Deckenleuchte erkennt er den traurigen Zug um Bebops Mundwinkel und das verräterische Glitzern in seinen Augen sofort.

Bebop stößt einen tiefen Seufzer aus und reibt sich die nassen Augen. Er versucht sich in einem beruhigenden Lächeln, doch es missglückt völlig.

„Es tut mir leid, Nasi.“ Er lehnt sich an die Tür und lässt sich dann langsam daran herunterrutschen. Unten angekommen, zieht er die Beine an den Körper, umschlingt sie mit den Armen und stützt den Kopf schwer auf seinen Knien ab.

„Vergiß es“, erklärt Rocksteady mi rauher Stimme, während er sich neben ihn setzt und ihm einen Arm um die Schultern legt. „Sag mir nur, was los ist.“

„Es ist dumm“, wehrt Bebop erst ab, erzählt es ihm dann aber doch, denn er kennt seinen Nasi mindestens genauso gut wie der ihn und weiß, dass er nicht gehen wird, bevor er eine zufriedenstellende Antwort erhalten hat.

„Ich wünschte, er würde nicht mehr wachsen, und das nicht nur, weil es immer so schrecklich ist, ihm dabei zusehen zu müssen. Ich will … ich will meinen kleinen Jungen wiederhaben. Diesen kleinen, süßen Fratz in Latzhose, der sich von mir herumtragen lässt. Ich wünschte, ich könnte die Zeit zurückdrehen und ihn noch länger so behalten. So klein und süß. Ich … ich will nicht, dass er groß und süß wird, verstehst du das? Nein, natürlich nicht, ich verstehe es ja selbst nicht.“

„Doch“, kommt die leise Antwort. „Ich verstehe das gut, sehr gut sogar. Weil es mir genauso geht. Aber er ist kein richtiges Kind, Beeps. Er ist ein erwachsener Mann, gefangen im Körper eines Kindes. Das dürfen wir nie vergessen.“

„Ich weiß“, schwer aufseufzend lehnt sich Bebop gegen ihn. Er schweigt einen Moment, versunken in düstere Gedanken und fragt dann so leise, dass Rocksteady Mühe hat, ihn zu verstehen:

„Wenn er wieder groß ist, wird er dann wieder so... so shreddermäßig sein?“

Es ist nicht so, als hätte Rocksteady nicht auch schon darüber nachgedacht, von daher kommt seine Antwort beinahe sofort.

„Das kann ich mir nicht vorstellen. Und sollte er es doch wagen, nennen wir ihn so lange Saki-chan, bis er sich erinnert, was er an uns hat, okay?“

Das klingt gut. Bebop kichert leise.

„Okay. Ja. Ich schlage dazu noch vor, dass wir ihn auch noch so oft umarmen, bis ihn die Luft wegbleibt, okay?“

Rocksteady nickt ernst. „Klingt gut. Und wenn das alles gar nichts mehr nützt, sehen wir ihm beim Baden zu, dann hat er einen Grund, uns Perverse zu nennen.“

Bebops Kichern verwandelt sich in ein gedämpftes, aber fröhliches Glucksen.

 

 

Auf der anderen Seite der Tür seufzt Saki leise im Schlaf und drückt sein Pumbaa-Kuscheltier fester an sich.

14. Kapitel

14. Kapitel

 

Als Bebop und Rocksteady frühmorgens um zehn die Tür zum Quartier ihres nun-nicht-mehr-so-sehr-Mini-Shredders öffnen, ahnen sie schon nichts Gutes. Eigentlich ahnen sie es schon seit dem Frühstück. Seit Saki-chan sich nach Erdbeermarmeladenbrötchen und Milch mit einem gemurmelten „ich trainiere und will nicht gestört werden“ verzogen hat. Seine Laune war so … shreddermäßig, dass sie beschlossen – eher gesagt, hatte Krang es ihnen auch im Hinblick auf Sakis vorpubertäres Alter empfohlen – erst einmal seinen Willen zu respektieren.

Aber jetzt, eine Stunde später, ist ihre Meinung, dass er sich ruhig mal wieder zu ihnen gesellen könnte. Und so machen sie sich auf, mal nach dem Rechten zu sehen.

Und das ist eine sehr gute Idee, wie sie schnell feststellen, denn nicht nur diese hölzerne Schlagpuppe schwankt unter Sakis Hieben und Tritten bedrohlich, sondern er selbst auch.

Bebop und Rocksteady wechseln einen besorgten Blick. Wieso muss der Junge nur immer so übertreiben?

„Saki!“

Keine Reaktion.

Bebop versucht es erneut.

„Saki!“ Mit einigen wenigen großen Schritten ist er bei ihm. „Nun laß doch mal langsam gut sein, ja?“ Und dann begeht er den großen Fehler, sich in Sakis Reichweite zu begeben.

Der nun nicht mehr ganz so kleine Junge, der seit einer guten Stunde unablässig am Trainieren ist – Sit-ups, Liegestütze, Seilspringen und ganz einfach Ninjitsu – packt ihn am ausgestreckten Arm und versucht, ihn auszuhebeln. Überrascht aufquiekend versucht Bebop, sein Gleichgewicht wiederzufinden und – verliert. Doch auch er hat ein paar nützliche Reflexe, und so zieht er den Jungen im Fallen mit sich.

Er landet rücklings auf den Tatami-Matten und Saki auf ihm.

„Lass mich los!“

Zappelnd versucht sich Saki aus seinem Griff zu befreien, doch Bebop bleibt davon völlig unbeeindruckt – selbst dann noch, als Saki ihm seinen Ellbogen gegen die Brust rammt.

„Verdammt, Junge!“ Rocksteady ist heran, packt Saki an einem der wild herumtretenden Füße und hebt ihn daran in die Höhe. „Sag mal, was soll das überhaupt alles?“

Zum ersten Mal seit langem ist er richtig angepisst. Er kann es nicht leiden, wenn man seinen Bebop angreift und da ist es egal, ob es sich um die Turtles oder sein geschrumpftes Chefchen handelt. Selbst als Erwachsener wurde er niemals handgreiflich ihnen gegenüber (und Shredders beliebte Methoden wie ein Klaps auf den Hinterkopf oder ein heftiges Ziehen an den empfindlichen Ohren zählen Rocksteadys Meinung nach nicht in diese Kategorie).

Saki stößt ein Schnaufen aus und stützt sich automatisch mit den Händen auf dem Fußboden ab.

„Lass mich los!“ wiederholt er, ohne Rocksteady jedoch die Gelegenheit dazu zu geben. Stattdessen holt er mit seinem freien Fuß aus und gibt dem Nashorn damit einen Tritt gegen die empfindliche Nase.

Bebop, der sich gerade aufrappelt, sieht fassungslos zu, wie sein bester Kumpel fluchend einen Schritt nach hinten taumelt und sich mit beiden Händen die Schnauze hält, während sich Saki geschickt in einen Handstand rettet und dann katzengleich wieder auf die Füße kommt.

Spinnst du? Was soll das?“ schreit Rocksteady, während er vorsichtig seine lädierte Nase betastet. Sie wird anschwellen, so viel ist schon mal klar. Wenigstens blutet sie nicht.

Für einen klitzekleinen Moment huscht so etwas wie Entsetzen über sich selbst über Sakis Gesicht, doch er hat sich schnell wieder in der Gewalt.

„Selbst schuld“, erklärt er mit gerunzelter Stirn und vor der Brust verschränkten Armen. „Was habt ihr hier überhaupt zu suchen? Ich habe euch nicht gerufen.“

Rocksteady holt einmal tief Luft, um darauf etwas Gesalzenes zu entgegnen, doch dann hält er inne und wechselt einen langen Blick mit Bebop. Zwischen den beiden scheint für einen Augenblick eine stumme Kommunikation statt zu finden, wie Saki mit einiger Beunruhigung feststellt. Sein Stirnrunzeln vertieft sich und er geht unwillkürlich in eine angespannte Abwehrhaltung über.

Das bleibt natürlich nicht unbemerkt.

„Gut“, meint Rocksteady schließlich gedehnt. „Dann stören wir dich nicht weiter.“

Er gibt Bebop einen Wink, so dass sich dieser ihm wortlos anschließt, als er den Raum verlässt.

Saki starrt ihnen noch lange hinterher, selbst als sich die Tür schon längst wieder hinter ihnen geschlossen hat. Dann, mit einem Mal, weicht jegliche Spannung aus ihm wie bei einer Marionette, der man die Fäden durchgeschnitten hat. Kraftlos sinkt er zu Boden und schlägt die Hände vors Gesicht.

 

 

Als Rocksteady einen tiefen Seufzer ausstößt, dreht sich Bebop vom Herd ab und ihm zu.

„Ich dachte, es geht wieder?“ erkundigt er sich besorgt, den Kochlöffel noch in der Hand.

Rocksteady legt den Eisbeutel beiseite und schielt kurz auf seine Nase (das ist gar nicht so leicht, seine Hörner sind ihm im Weg).

„Doch“, beruhigt er seinen Lover und versucht sich in einem schiefen Grinsen. „Sowas haut mich doch nicht um, du kennst mich doch.“

„Und warum seufzt du dann?“

„Hab nicht geseufzt.“

„Dann hab ich wohl was mit den Ohren.“

„Das muss es wohl sein, Schweinebacke.“

Bebop mustert ihn noch einmal gründlich, zuckt dann mit den Schultern und wendet sich wieder der heutigen Mahlzeit zu – Käsespätzle.

Es ist eine halbe Stunde her, dass Saki seinem Nasi eine reingesemmelt hat und die ganze Angelegenheit ist so etwas wie der berühmte Elefant mitten im Raum geworden – jeder sieht ihn, aber niemand redet darüber.

Aber sie machen sich beide natürlich so ihre Gedanken, und die wenigen Bemerkungen, die sie darüber ausgetauscht haben – ganz zu Anfang, in den ersten fünf Minuten, als ihre Emotionen noch hochkochten – haben ihnen gezeigt, dass sie beide – wenig überraschend – dasselbe denken.

Schließlich haben sie beide Geschwister und waren selbst mal jung. Sie wissen also aus mehr als ihrer eigenen Erfahrung,wie so etwas sein kann.

„Wenn er nicht pünktlich zum Essen kommt, holen wir ihn dann?“ erkundigt sich Rocksteady nach einem Blick auf die Uhr.

Bebop denkt kurz darüber nach. Er hat zwar keine große Lust, sich von Saki anschnauzen oder - schlimmer noch – wieder zusehen zu müssen, wie dieser seinen Nasi tritt, aber jetzt Schwäche zu zeigen, das kommt auch nicht in Frage.

Besser, sie benehmen sich wie immer. Und das sagt er auch so. Rocksteady gibt ihm Recht, und für die nächsten Minuten versinken sie wieder in Schweigen.

Als die Tür zurückgleitet und Saki über die Schwelle tritt, sind sie beide überrascht.

Hat er vorhin noch seinen schwarzen Gi getragen, so läuft er jetzt ganz leger in Jogginghose und T-Shirt herum. Beides stammt nicht aus der Kollektion, die Bebop und Rocksteady ihm mitgebracht haben, sondern aus seinem eigenen Kleiderschrank. Dass er dabei die Hosenbeine etwas hochkrempeln musste und das Shirt doch noch arg um seinen Oberkörper schlackert, scheint ihn nicht zu stören.

Zielstrebig geht er zu Rocksteady hinüber und legt beide Arme um ihn.

„Es tut mir Leid“, er sagt es laut und klar, jeder Zoll ein wohlerzogener Junge, doch sein Tonfall ist so bedrückt, dass man es nur als die ehrlichste Entschuldigung aller Zeiten werten kann.

„Schon gut“, verlegen tätschelt Rocksteady seinen Rücken und wird tatsächlich etwas rot, als ihm der Junge auch noch einen Kuss auf die Wange haucht.

Dann wendet sich Saki von ihm ab und bebop zu. Auch dieser wird umarmt und zerknirscht um Entschuldigung gebeten.

Bebop lächelt nur erleichtert und drückt ihn ganz fest an sich.

 

 

Saki liegt auf seinem Futoni, den Rücken der Tür zugekehrt und starrt Löcher in die Luft. Er wollte allein sein und hat deshalb einfach wieder was von „trainieren und stört mich nicht wieder“ gemurmelt. Und bis jetzt haben sich Rocksteady und Bebop daran gehalten. Auch wenn es ihm wirklich leidtut, wie er mit ihnen am Vormittag umgegangen ist, so ist er doch froh, dass sie gerade deswegen seine Wünsche respektieren.

Aber ein Teil von ihm – nur ein ganz kleiner – wünscht sich, sie wären etwas hartnäckiger und würden nicht auf ihn hören. Er vermisst sie. Wie gerne würde er jetzt einem von ihnen seinen Kopf in den Schoß legen, anstatt mit diesem viel zu weichem Kissen hier Vorlieb zu nehmen … und wie schön wäre es, wenn große Finger wieder über seine Haare streicheln würden … aber er weiß, dass er das alles gar nicht verdient hat – auch ohne diese Aktion heute Vormittag. Aber danach erst recht nicht.

Er war so sauer, weil sie ihm einfach hinterher gelaufen kamen wie junge Hunde, weil sie unangemeldet hereinplatzten und sich mal wieder überall einmischen mussten, dass er sein Temperament einfach nicht mehr zügeln konnte … oder wollte.

Er hat es ja versucht! Er hat versucht, nett zu sein. Während des Mittagessens, des obligatorischen Fototermins und sogar die Stunden bis zum nächsten Check-up auf der Krankenstation. Er hat ihnen sogar noch ein Bild gemalt, diesmal auch eines, wo er selbst mit drauf ist!

Er hat es wirklich versucht!

Aber jetzt kann er nicht mehr. Jetzt ist er einfach nur noch müde von diesem ständigen Nettsein. Deshalb hat er sich aus dem Staub gemacht. Weil er nicht weiß, wie lange er das noch durchhält und wann er ihnen wieder wehtun wird.

Er will es nicht, aber dann will er es eben wieder doch, und das Ganze ist so …

„Argh!“ frustriert schlägt er mit der Faust auf die Matratze. Ich hasse das. Ich hasse diesen Körper. Ich hasse alles, was mir passiert ist. Ich wünschte, ich wäre...

Das laute Zischen der sich öffnenden Tür unterbricht ihn mitten im Gedanken.

Erschrocken fährt er in die Höhe, schnappt sich eine Hantel vom Nachttisch und gibt sich den Anschein, schwer damit beschäftigt zu sein, an seinem Bizepsaufbau zu arbeiten.

Keine Sekunde zu früh. Krang rauscht herein, ausnahmsweise mal in seiner Plexiglaskugel und bleibt einen Meter vor ihm stehen, um ihm eine ganze Weile lang zuzusehen.

„Ich dachte, du trainierst ninjamäßiges Zeugs?“ meint er dann in einem Tonfall, der wohl abfällig klingen soll, durch den aber eine gewisse Besorgnis hindurchschimmert.

Noch so etwas, womit Saki zur Zeit gar nicht gut zurechtkommt.

„Hab ich doch“, entgegnet er daher patzig. „Ich mach grad Pause. Was dagegen?“

Pause? Krang mustert ihn lange. So lange, bis Saki freiwillig die Hantel wieder beiseite legt (also ungefähr zehn Sekunden).

„Hier“, meint Krang dann und streckt ihm das, was er in einem Tentakel hält, generös entgegen.

„Schokolade?“ Ohne einen weiteren Blick darauf zu verschwenden, legt Saki das Geschenk neben die Hantel. „Danke, ich esse sie später.“

Falls er Krang damit beleidigt hat, lässt sich dieser nichts anmerken. „Du hast nicht gerade viel zum Mittag gegessen.“

„Und deswegen bringst du mir ausgerechnet Schokolade?“

„Du brauchst die Energie. Ich vermute, dass deine Wachstumsschübe deswegen so schmerzhaft waren, weil du nicht auf dein Hungergefühl gehört hast.“ Krang mustert ihn eindringlich und fügt dann tentakelzuckend, hinzu: „Es kann zumindest nicht schaden.“

„Außer meinen Zähnen.“

„Dagegen gibt es eine echt tolle Erfindung namens Zahnbürste und Zahnpasta.“

Saki gibt ein zustimmendes Brummen von sich – aber nur, weil er weiß, dass es von ihm erwartet wird. Und natürlich lässt sich Krang nicht täuschen. Er beschließt aber, nicht weiter darin herumzurühren.

Saki ist schwierig, das lässt sich nicht abstreiten. Aber das war Shredder auch schon, und wenn Krang ehrlich zu sich selbst sein soll, dann muss er sich eingestehen, dass ihm ein aufsässiger Ninja lieber ist als ein allzu wohlerzogenes Kind, das bemüht ist, es allen recht zu machen. Die kurzen Phasen, in denen Saki-chan liebenswürdig und reizend war … nun, die waren einfach falsch, nicht wahr? Das war einfach nicht Oroku Saki.

Und Krang will seinen Oroku Saki wiederhaben. Vielleicht in einer etwas freundlicheren Version … aber nicht viel … so ein kleines bisschen, das wäre okay. Aber zwingend notwendig wäre es nicht, denn genau betrachtet, waren sie ein ziemlich gut funktionierendes Team, trotz aller Differenzen. Und Krang liebt Differenzen. Er streitet sich gerne. Vor allem mit Shredder, weil der immer so schön in die Luft gehen kann.

Aber Krang weiß auch, dass das nicht für die beiden Mutanten gilt. Sie wollen nicht, dass ihr Chefchen böse auf sie ist. Sie wollen ihn, aus Krang unerfindlichen Gründen, glücklich machen. Es reicht ihnen nicht, wenn er mit ihnen zufrieden ist, sie wollen nicht nur gelobt werden, nein, sie wollen wirklich und wahrhaftig, dass er glücklich ist.

Die Gründe hinter diesem merkwürdigen Wunsch kann Krang nur erahnen.

„Verkriech dich nicht zu lange hier“, empfiehlt Krang dem Jungen vor ihm in einem etwas schärferen Tonfall als eigentlich nötig wäre. „Oder sei wenigstens zum Abendbrot pünktlich. Deine beiden Dumpfbacken machen sich auch so schon Sorgen genug.“

„Das brauchen sie nicht“, kommt es gereizt zurück.

„Sie haben dich lieb, du Idiot. Da ist es völlig egal, ob sie es brauchen oder nicht. So sind sie nun einmal.“ Als Saki darauf hin nichts erwidert und einfach nur zu Böden starrt, seufzt Krang einmal tief auf, legt seinen Tentakel unter Sakis Kinn und zwingt ihn so, ihm in die Augen zu sehen.

„Hör zu, ich weiß, diese ganze Situation ist einfach nur suboptimal, aber du hast es doch schon so weit geschafft, die letzten paar Tage schaffst du auch noch. Und wenn du wieder groß bist, haben die beiden Pfeifen doch gar keinen Grund mehr, dich zu bemuttern, oder? Dann wird alles wieder normal. Dann kannst du wieder rumbrüllen und sie an den Ohren ziehen und sie können sich wieder bei mir über dich beklagen.“

„Sie haben sich nie bei dir über mich beklagt.“

„Stimmt“, gibt Krang vergnügt zu und tätschelt Sakis Wange. „Aber du weißt schon, wie ich es meine.“

Für einen Augenblick scheint es so, als wolle Saki etwas sagen, doch dann überlegt er es sich anders und klappt den Mund wieder zu.

„Ich bin pünktlich zum Abendbrot wieder da“, meint er schließlich.

„Gut“, zufrieden tätschelt Krang noch ein Mal Sakis Wange, zeigt sein typisches, zahnreiches Grinsen und schlendert Richtung Tür.

„Und danke für die Schokolade!“ ruft Saki ihm noch hinterher.

Krang dreht sich nicht um, winkt aber mit seinem Tentakel, bis er durch die Tür ist.

 

 

Der Lärm ist dank DimensionX-Soundtechnik ohrenbetäubend und die tieferen Töne schwingen ungelogen in den Knochen wider, aber Rocksteadys und Bebops Gelächter ist trotzdem gut zu verstehen. Genauso wie ihre Kommentare zu dem, was auf dem Wandbildschirm vor ihnen geschieht.

Saki sitzt zwischen ihnen auf dem Matratzenlager und lehnt sich mal an die eine, mal an die andere Schulter neben sich. Er ist ziemlich zufrieden mit sich.

Sie lassen den Abend auf seinen Vorschlag hin mit einem Actionfilm ausklingen, der, wie Saki weiß, zu einem der Lieblingsfilme seiner Mutanten gehört. Er selbst kann den ganzen Explosionen und dummen Sprüchen nicht viel abgewinnen und die Schauspieler sind auch nicht sein Geschmack – nicht einmal die weiblichen – aber darauf kam es ihm ja auch nicht an, als er dieses Spektakel vorschlug.

Bebop und Rocksteady sind ausgelassener Stimmung, allein das ist wichtig.

Er hat schließlich einiges wieder gut zu machen, und dieser Film ist da ein genauso kleines opfer, wie die Tatsache, dass er wieder mal (oder immer noch) hier die Nacht verbringt.

Es ist ja eigentlich auch nicht sooooo schlimm, fährt ihm durch den Kopf, als er sich müde an die beiden kuschelt. Es ist sogar ganz angenehm und hat etwas vertrautes.

Kurz bevor er einschläft, gesellt sich noch ein anderes Gefühl hinzu. Es ist schwarz wie die Nacht und schwer wie ein Felsbrocken und auch unangenehm vertraut.

„Saki-chan?“ stirnrunzelnd starrt Rocksteady auf den Jungen neben sich. Ihm scheint so, als habe er irgend etwas im Schlaf gemurmelt. Es war japanisch und klang irgendwie vertraut.

„Was ist?“ will Bebop sofort wissen.

„Nichts“, beruhigt Rocksteady ihn schnell und schenkt ihm ein aufmunterndes Lächeln. Wieso den armen Beeps beunruhigen? Er hat sich heute schon genug gesorgt.

Und so konzentrieren sie sich wieder auf den Film, zufrieden und glücklich, ihren Saki-chan zwischen sich zu wissen, und es dauert auch nicht lange, dann hat Rocksteady diesen kleinen Moment schon wieder vergessen.

 

 

 

15. Kapitel

15. Kapitel

 

Als Saki am Morgen wieder zu seinen eigenen Klamotten greift, ist die Enttäuschung seiner Mutanten offensichtlich. Vor allem Bebops.

„Warum trägst du nicht das, was wir dir mitgebracht haben?“

Saki zögert kurz, zieht sich aber dann doch das viel zu große T-Shirt über den Kopf.

„Ich passe doch schon fast wieder rein.“ Er schenkt ihnen ein, wie er hofft, entschuldigendes Lächeln. „Es ist einfach bequemer.“

Bebop und Rocksteady nicken zwar, doch ihre Mienen verraten immer noch, dass sie ihn lieber in dem gesehen hätten, was sie für ihn herausgelegt haben: Eine Jeans und ein T-Shirt mit Hulk-Aufdruck.

Hulk. Ausgerechnet. Der Typ, dessen Kleidung bei seiner Verwandlung regelmäßig in Fetzen von ihm hängt. Wie überaus passend.

Die Schmerzen haben angefangen, kurz nachdem er aufgewacht ist. Es ist ein ihm leider nur zu vertrautes, gelegentliches Ziehen in seinen Knochen. Es ist noch nicht sehr schlimm, aber es ist da. Eine ständige Warnung für das, was ihn erwartet.

Es ist zu früh, viel zu früh, aber verdammt will er sein, wenn er dann in Klamotten steckt, die ihm haargenau passen. Bisher ist er nie in viel zu kleiner Kleidung oder nackt aus diesen Schmerzen erwacht, was bedeutet, dass sie ihn irgendwann währenddessen umgezogen haben müssen, und genau das will er diesmal tunlichst vermeiden.

„Ich trage es, wenn wir das Foto schießen, okay?“ bietet Saki ihnen versöhnlich an.

Er hat immer noch das Gefühl, einiges wegen dieser Geschichte gestern wieder gutmachen zu müssen. Wenn er sich dafür für zehn Minuten in dieses gräßliche Outfit zwingen muß – bitteschön. Er wird dieses Foto deswegen nicht weniger hassen als alle anderen davor auch schon.

„Wir wollen dich zu nichts zwingen...“ wehrt Bebop ab, und doch strahlt er bei Sakis Angebot übers ganze Gesicht.

„Schon gut.“ Gedankenverloren reibt sich Saki den linken Unterarm, hört aber sofort damit auf, als er Rocksteadys aufmerksamen Blick auf sich spürt. Betont munter springt er auf die Füße.

„Na los, gehen wir frühstücken!“

 

 

„Au! Verdammt! Was soll das? Der Ball bleibt auf dem Boden, du Produkt eines Hornochsen!“

Mürrisch reibt sich Saki die linke Schulter. Es schmerzt höllisch. Aber nicht nur das. Seine Gelenke melden sich ebenfalls mit einer Regelmäßigkeit, die einfach nur noch lästig ist.

Er versucht, es auszublenden, und ehrlich gesagt, funktioniert das bei einem Hockey-Spiel auf Roller Skates (seine Füße sind zwar auch gewachsen, aber Rocksteady und Bebop hatten tatsächlich noch ein paar in seiner jetzigen Größe parat) in den verlassenen Gängen des Technodromes ziemlich gut. Da sind die ganzen Hockey-Schläger, die sie Casey Jones abgenommen haben, endlich mal zu etwas gut.

Außerdem trainiert er sich dadurch die ganzen Kalorien vom Frühstück wieder ab.

„Tut mir leid“, entschuldigt sich Rocksteady zerknirscht und kommt auch gleich besorgt näher. „Habe ich dir schlimm weh getan?“

„Nein“, lügt Saki, packt den Schläger etwas fester und macht sich wieder auf die Jagd nach dem Ball (eigentlich ein Baseball, aber sie begnügen sich eben mit dem, was sie haben), bevor ihn Bebop, der gerade von der Seite heransaust, für sich in Anspruch nehmen kann. Denn das Warzenschwein hat sich als wahrer Hockey-Profi herausgestellt.

Sie haben eigentlich nur eine Regel: der Ball muss in Bodennähe bleiben – ansonsten sind alle Tricks erlaubt, und wer den Ball als erster durch die Tür zum leeren Lagerraum pfeffert, der hat gewonnen. Und weil alle Tricks erlaubt sind, wird es ein sehr körperkontaktlastiges Spiel. Wobei Saki aufgrund der Tatsache, dass er immer noch kleiner und schwächer ist als die beiden Mutanten, eigentlich im Nachteil wäre, wenn er das nicht durch Wendigkeit, Geschick und Rücksichtslosigkeit wieder wett machen würde. Er hat keine Hemmungen, den beiden Idioten seine Ellbogen in die Seite zu rammen, wenn er es für nötig erachtet. Sie spüren es nicht - wie gesagt: er ist noch zu schwach – aber es genügt, um sie kurzfristig aus dem Gleichgewicht zu bringen, so dass er ihnen den Ball wegschnappen kann.

Er gewinnt trotzdem nicht, aber das ist okay. Bebop hat sich den Sieg hart erkämpft und er hat endlich das Gefühl, mal wieder richtig körperlich aktiv gewesen zu sein.

Und wenn er sich anstrengt, kann er sich sogar einbilden, dass das Ziehen in seinen Muskeln und Knochen Anzeichen eines beginnenden Muskelkaters ist...

 

 

Der Adrenalinkick des Hockey-Spiels hält gerade mal bis kurz nach dem Mittagessen an. Nicht einmal die Erdbeeren, die es als Dessert gibt, vermögen es dann, die dunklen Wolken aus Sakis Geist zu vertreiben.

Er lässt sich nichts anmerken, aber er nutzt die erstbeste Gelegenheit, sich in sein Quartier zurückzuziehen. Natürlich muss er ihnen sein Wort geben, nicht länger als eine Stunde zu trainieren, aber das Versprechen gibt er ihnen gerne, wenn er dafür für sich allein bleiben kann.

Dass er gar nicht vorhat zu trainieren, das behält er vorsichtshalber für sich.

In seinem Quartier angekommen, kniet er sich vor sein Futoni und zieht eine kleine Nylontasche darunter hervor. Er wischt ein paar graue Staubflusen ab, öffnet den Reißverschluß und schüttet den gesamten Inhalt auf das Bett.

Schachteln und Fläschchen mit verschiedensten Aufdrucken fallen wild durcheinander – viele der Aufdrucke sind in englisch, aber es sind auch einige in japanisch darunter. Zwei zeigen sogar die Schriftzeichen, wie sie in der DimensionX vorherrschend sind.

Nachdenklich betrachtet er die Medikamente vor sich. Es sind nicht viele, eigentlich sogar sehr wenige, weil er sie nie wirklich benutzt hat. Ein paar Erkältungsmittelchen, Baldrian, Paracetamol, Aspirin und Ibuprofen... und doch ist das alles so furchtbar unnütz. Ibuprofen und Paracetamol waren ihm manchmal eine große Hilfe, wenn er Zahnschmerzen hatte, aber ansonsten absolut unwirksam. Ähnliches gilt für Aspirin, das seine Kopfschmerzen im Höchstfall für zwei Stunden besänftigte – genug Zeit, um gerade mal an der Oberfläche einkaufen zu gehen. Und diese Erkältungsmittelchen … außer Klosterfrau Melissengeist hat da nie etwas gewirkt, und das, was wirkte, war wahrscheinlich der Alkohol. Und die Lutschpastillen aus der DimensionX schmecken zwar gut und helfen wirklich gegen einen wunden Hals, aber die benötigt er jetzt am Allerwenigsten.

Nicht zum ersten Mal, dafür jetzt aber umso mehr, verflucht er seine hohe Toleranzschwelle für Medikamente. Das einzige, was bei ihm anschlägt, sind hochdosierte Mittelchen, für die man entweder ein Rezept vom Arzt benötigt oder jemanden wie Krang. Doch der bewacht das Zeug wie ein Drache sein goldenes Ei. Nein, das kann er sich gleich aus dem Kopf schlagen.

Tief aufseufzend verstaut Saki die Schachteln und Fläschchen wieder in seinem Arzneitäschchen und schubst dieses unter seinen Futoni, wo es noch mehr Staub ansetzen kann.

Dann schmeißt er sich aufs Bett und starrt dumpf an die Decke. Diese Idee kann er also knicken. Niedergeschlagen reibt er sich den linken Unterarm. Noch ist das Reißen in seinen Knochen erträglich, aber er muss es sich jetzt eingestehen: das sind deutlich die ersten Vorboten eines neuen Schubes, den er, wenn es nach ihm ginge, so lange hinauszögern würde, wie nur irgend möglich. Er ist beileibe kein wehleidiger Mann (Junge, berichtigt er sich in Gedanken), aber das stößt ihn an seine Grenzen.

Er fürchtet sich davor. Nicht allein vor den Schmerzen, obwohl die schon schlimm genug sind, sondern auch vor seiner Schwäche. Anstatt das Ganze wie ein Mann mit erhobenem Haupt zu ertragen, fällt er in sich zusammen und heult wie ein kleines Kind, flüchtet sich wie ein Schwächling in Bebops und Rocksteadys Arme.

Wie armselig ist das denn, bitteschön? Als ob das alles nicht schon demütigend genug wäre...

Ich muss irgend eine Möglichkeit finden, das Bewusstsein zu verlieren, denn ohne Bewusstsein fühle ich auch keinen Schmerz... aber wie, wenn er nicht einmal Schlafpillen hat? Baldrian wird da wohl kaum ausreichen.

Nicht zum ersten Mal bereut er, dass diese Technik mit den Akupunkturpunkten nur bei anderen wirkt, nicht jedoch, wenn er es an sich selbst versucht. Die blöde Ratte meinte immer, das liege daran, dass er seine innere Mitte vor sich selbst abschotte und sein Chi daher völlig daneben sei … daneben. Er sagte wirklich daneben. In einem Tonfall, als beträfe das nicht nur sein Chi. In Erinnerung daran ballt er wütend die Hand. Aber anstatt ihm zu helfen, ihn zu unterstützen, es besser zu machen, hatte Sensei Yoshi … Splinter ihn einfach abgeschrieben. Wie etwas, das kaputt ist und das man nicht mehr braucht. Genauso wie seine Familie es immer gemacht hatte.

Und genauso, wie ihm das hier jederzeit drohen kann.

Vielleicht nicht jetzt – denn soweit vertraut er Krang inzwischen – aber später, wenn er erst einmal wieder in seinem erwachsenen Körper steckt.

Wieso sollte er unter diesen Umständen überhaupt noch wachsen wollen?

Wäre es nicht viel sicherer, er würde so bleiben, wie er ist?

Nicht mehr ein hilfloses Baby, aber eben auch noch kein Mann, den man ohne große Gewissensbisse vor die Tür werfen kann?

Seine Gedanken beschreiten Pfade, vor denen er sich bisher sorgsam gehütet hat. Dunkle, abschüssige Pfad…

Aufstöhnend wirft er sich herum und vergräbt das Gesicht im Kissen.

„Argh … Ich hasse mein Leben...“

 

 

Die Schmerzen werden im Laufe des Tages immer schlimmer, und am Abend sind sie kaum noch zu ertragen, aber erst, als ihm beim Abendessen die Milchflasche aus den Händen rutscht und auf dem Boden zerschellt, weil er seine Finger kaum noch beugen kann, ist das Versteckspiel endgültig vorbei.

Bebop, Rocksteady und Krang haben schon beim Foto-Shooting bemerkt, dass etwas nicht stimmt. Sie haben zwar nichts gesagt (auch, weil sie hofften, dass er von selbst zu ihnen käme), aber ihn immer wachsam im Auge behalten. Sie haben zugesehen, wie er immer blasser wurde und wie die Anstrengung Linien in sein Gesicht malte, die in solch ein junges Gesicht einfach nicht hingehören!

Und Saki, der eigentlich plante, diese Nacht alleine in seinem Quartier zu verbringen und es durchzustehen wie ein Mann, fühlt sich, als sich die Milch zu seinen Füßen ausbreitet, mehr denn je von seinem Körper verraten.

Das heißt aber nicht, dass er so schnell klein beigibt.

„Alles in Ordnung?“ fragt Bebop, während er vom Tisch aufsteht und zu ihm eilt.

„Ja. Ach, verdammt, ich bin heute echt ungeschickt. Tut mir leid.“ Hastig dreht sich Saki zur Spüle um und greift nach einem Lappen. Der ihm prompt wieder aus den Fingern fällt.

Seine Hände zittern plötzlich wie Espenlaub.

Und jeder hat es gesehen!

„Saki...“ Bebops leise Stimme und seine sanfte Hand auf seiner Schulter zwingen ihn dazu, sich zu ihm umzudrehen und ihm ins Gesicht zu sehen. Die Sorge, die er in Bebops Miene liest ist schlimmer als jeder körperliche Schmerz.

Doch noch bevor einer von ihnen etwas sagen kann, steht Krang bei ihnen.

„Oroku Saki!“ Seine strenge Stimme schließt von vorneherein jeden Widerstand und alle Ausflüchte aus. Doch der Griff seiner Tentakel ist sehr, sehr sanft, als er Sakis Hände ergreift. „Du hast Schmerzen.“ Es ist keine Frage, aber auch kein direkter Vorwurf – eher die Feststellung von etwas Offensichtlichem.

„Es geht schon“, versucht Saki automatisch abzuwiegeln. „Es ist nicht weiter schlimm.“

„Lüg uns nicht an. Das haben wir nicht verdient“ Plötzlich steht auch Rocksteady vor ihm, die Arme vor der Brust verschränkt.

Saki schluckt einmal schwer.

„Ich komme zurecht“, beharrt er stur.

„Papperlapapp“, erwidert Krang barsch. „Das kannst du deiner toten Oma erzählen, der egoistischen alten Kuh. Wir kennen dich, mein Bester. Trotz und Starrsinn sind das einzige, was dich noch auf den Beinen hält. Und dein blöder Stolz natürlich. Vergessen wir nicht den Stolz, der dich immer wieder von einer Katastrophe in die nächste geführt hat. Widersprich mir nicht. Wage nicht, mir zu widersprechen, Saki-chan, du weißt, ich habe recht. Ich hätte die Erde schon längst erobert, wenn dein blöder Stolz nicht immer alles verdorben hätte. Wenn du hierbleiben willst, wenn du weiterhin zu dieser Familie gehören willst, dann hör auf, uns anzulügen. Mir macht es ja nichts aus, aber deinen Mutanten tust du damit unheimlich weh. Und tust du ihnen weh, laufen sie wieder irgendwann davon und dann muss ich deine schlechte Laune und dein Gejammer ertragen.“

Er hatte ihn schon bei „wenn du hierbleiben willst“, das hat Krang deutlich gesehen, aber er war gerade so schön in Fahrt.

Bebop öffnet den Mund, um etwas einzuwenden, doch Rocksteadys Ellbogenstoß in die Rippen und ein verschwörerischer Blick, lassen ihn den Mund wieder zuklappen.

„Tut mir leid“, Sakis Augen glänzen plötzlich verdächtig feucht. Er schnieft einmal lautstark und senkt beschämt den Blick.

„Es tut weh“, gibt er dann auf einmal zu und als hätten diese Worte einen Damm gebrochen, rollen die ersten Tränen. Und ehe es sich einer versieht, wirft er sich in Krangs Arme, eher gesagt: Tentakel.

Verblüfft und überfordert zugleich schlingen dieser seine rosa Tentakel um Sakis Körper und tätschelt etwas unbeholfen seinen Rücken.

„Bitte Krang, hilf mir. Es soll aufhören so weh zu tun!“

 

 

16. Kaoitel

16. Kapitel

 

Seit sie das letzte Mal hier waren, hat die New Yorker Kanalisation nichts von ihrem eigenwilligen Charme verloren. An den Gestank gewöhnt man sich – selbst ihre sensiblen Nasen – aber der Anblick spottet noch immer jeder Beschreibung. Man sollte definitiv nicht allzu genau in dieses sogenannte Wasser sehen, das träge in der Rinne neben ihnen dahinfließt.

Es ist ein eindeutiger Beweis für Krangs Verzweiflung, dass er kostbare Energiereserven für ein Portal hierher geopfert hat. Er hat ihnen noch mit auf den Weg gegeben, nicht „herumzualbern und sich nicht vom Ziel ablenken zu lassen“, aber das hätte er ihnen nicht extra sagen brauchen. Sie sind mindestens genauso verzweifelt wie er.

An seiner Hüfte spürt er das Gewicht des Lähmstrahlers.

Reingehen, wiederholt er in Gedanken immer wieder. Rausholen. Verschwinden.

Sie haben nur diese eine Chance.

Neben ihm ertönt ein leises Wimmern, doch der gequälte Laut wird schnell erstickt. Bebop hält mitten im Schritt inne und wirft seinem Kumpel neben sich einen leicht gereizten Blick zu.

„Pst. Oder sollen sie uns jetzt schon hören?“

„'tschuldige“, nuschelt Rocksteady hinter seiner Hand hervor. „Ich musste nur eben... du weißt, dass mein Onkel sich auf dem Dachboden erhängt hat?“

Bebop nickt und dreht sich vollends zu ihm um. In Gedanken gibt er sich einen Tritt. Er hätte daran denken müssen, dass Rocksteady von Flashbacks heimgesucht wird, nach dem, was er – was sie beide! - vor einer halben Stunde haben mitansehen müssen.

„Er wollte...“, stammelt Rocksteady, während sein Blick auf beunruhigende Art und Weise ins Leere rutscht, „... er hat tatsächlich versucht … Beeps, er hat versucht ...“

„Ich weiß.“ Tröstend nimmt Bebop ihn in den Arm – auch wenn sie dafür wirklich nicht die Zeit haben!

Er spürt, wie Rocksteady in seinen Armen erschaudert und fühlt wieder diesen Kloß in seinem Hals. Es kommt sehr selten vor, dass Rocksteady etwas derart erschüttert, normalerweise ist er der Stärkere von ihnen beiden.

Rocksteady holt ein paar Mal tief und zitternd Luft und versucht, die Erinnerung an das Geschehen im Technodrome zurück zu drängen. Es gelingt ihm nicht.

„Er hat sich ein Skalpell an den Hals gehalten, Beeps! Wieso lag das da einfach so herum? Wieso hat Krang nicht aufgepasst? Er hat sich ein Skalpell an den Hals gehalten! Er wollte sich umbringen! Ich halt das nicht aus, ich will sterben, hat er gesagt, Bebop!“

„Wir wissen nicht, ob er das gesagt hat oder kannst du plötzlich japanisch?“ versucht Bebop ihn zu beruhigen. „Und um Himmels Willen, sei leiser!“

„Dafür brauche ich keinen Dolmetscher, Beeps!“ In einer Mischung aus Trauer und Wut schiebt Rocksteady ihn von sich und funkelt ihn aus nassen Augen an. „Wie kannst du nach all dem nur so cool bleiben?“

„Ich bin nicht cool.“ Frustriert verkrallt Bebop seine rechte Hand in seinem Irokesen und zieht daran. Die einzige verzweifelte Geste, die er sich gestattet. „Ich bin ganz und gar nicht cool“, wiederholt er dabei leise. „Aber Krang paßt jetzt auf ihn auf. Und wir haben einen Job zu erledigen. Und je eher wir das hinter uns bringen, desto eher können wir zu ihnen zurück.“

„Du hast recht“, entschlossen reibt sich Rocksteady über die Augen und strafft dann die Schultern. Mit wieder festen und sicheren Schritten läuft er los und wirft nach drei Metern einen ungeduldigen Blick über die Schulter zurück.

„Was stehst du hier noch 'rum, Schweinebacke? Komm schon, du Trödelliese.“

 

 

„Passen Sie auf sich auf, Sensei.“

„Natürlich, meine Kinder.“ Lächelnd zieht die große Ratte die Luke zum Eingang seines Heimes ins Schloß. Innerlich den Kopf über seine überbesorgten Turtles schüttelnd, macht er sich, seinen knorrigen Stock im Rhythmus seiner Schritte schwingend, auf dem Weg zu seinem – wie er es nannte – kleinen Morgenspaziergang. Er verläßt selten die sicheren Wände ihrer Behausung, und immer hat er dabei ein mulmiges Gefühl, kennt er doch die leichtsinnige Art seiner Ziehsöhne und fürchtet jedes Mal um seine liebgewonnene Einrichtung. Er hat sie nie als Fünfjährige kennengelernt, aber bei allem, was ihm heilig ist – sie benehmen sich manchmal so. Vor allem in so ruhigen Zeiten wie jetzt.

Manchmal, aber wirklich nur manchmal, wünscht sich Splinter, Shredder würde mal wieder versuchen, die Welt zu erobern. Zwei Wochen Ruhe und Frieden bekommt seinen Jungs überhaupt nicht. Und seinen Möbeln noch viel weniger.

In Gedanken versunken setzt Splinter seinen Weg fort. Er hat kein bestimmtes Ziel, läßt sich von seinen Füßen und der leisen Unruhe in seinem Inneren treiben. Er hat das seit einigen Tagen, und zuerst dachte er, es sei wieder die Vorahnung eines Angriffs, aber nach einer ausgiebigen Meditation erkannte er, dass dies hier ein ganz anderes Gefühl ist. Und das ist für ihn das einzige was zählt: solange seinen Turtles keine Gefahr droht, kann er damit leben. Es wird sich ihm offenbaren, wenn es an der Zeit ist.

Plötzlich fangen seine scharfen Rattenohren Geräusche auf, die nur sehr selten hier unten zu hören sind. Er zögert kurz, doch dann überwiegt die Neugier, denn der Geruch, den ein kaum wahrnehmbarer Luftzug über das übliche Odeur der Kanalisation in seine Nase weht, kommt ihm sonderbar vertraut vor.

Er hat kaum Zeit, seine Entscheidung zu bereuen.

 

 

„Sch, alles wird gut.“ In dem verzweifelten Bemühen ihn zu beruhigen und doch genau wissend, wie wenig es nutzt, lässt Krang seine Tentakel über Sakis Körper wandern – streichelt seinen Rücken, die Schultern, Nacken und Kopf und versucht dabei, sich seine Unwohlsein nicht anmerken zu lassen.

Inzwischen hat Saki den Körper eines Fünfzehnjährigen. Seine Schultern sind breiter geworden und füllen sein T-Shirt schon fast wieder aus. Beinahe minütlich verlieren seine Gesichtszüge alles Kindliche, und die niedliche Stupsnase gehört schon längst der Vergangenheit an. Krang kann sich noch gut an das Knirschen seiner Gesichtsknochen erinnern – eine Erinnerung, die er gerne vergessen würde.

Egal wie oft er es schon erlebt hat – er wird sich niemals an das Gefühl und den Anblick von pulsierenden Knochen unter der Haut gewöhnen.

Dreizehn Stunden geht das schon so.

Es sind nicht einer, sondern zwei Wachstumsschübe, die dicht aufeinander folgten, nur mit einer knappen Stunde Pause dazwischen. Es reichte nicht einmal zum Durchschnaufen.

Nicht nur Krangs Energiereserven sind erschöpft, auch und erst recht Sakis. Er kann den Schmerzen nichts mehr entgegensetzen, nicht einmal mehr seinen Starrsinn.

Seine Schmerzen sind schlimmer als jemals zuvor. Seine Kehle ist so wund vom Schreien, dass er nur noch krächzen kann, und Tränen hat er schon lange keine mehr. Es sind keine konstanten Schmerzen mehr, die sich langsam steigern - jetzt kommen sie in Wellen wie die Gezeiten, und jede darauffolgende ist schlimmer als die vorherige. Sie sind nie ganz weg, aber manchmal ebben sie soweit ab, dass Krang ihm wenigstens etwas zu trinken einflößen kann. Manchmal konnten sie auch ein paar Worte miteinander wechseln – zumindest so lange, bis Sakis Stimme ihren Geist aufgab. Jetzt kann er nur noch zuhören, und es ist zweifelhaft, wieviel von Krangs Worten ihn wirklich erreicht.

Krang sitzt wieder in seinem schwerfälligen Androidenkörper, denn nur so hat er die nötige Kraft, Saki zu bändigen, sollte dieser wieder so eine törichte Idee haben sich ein Messer zu schnappen.

Er hat es nicht noch einmal versucht.

Glücklicherweise.

Krang stand noch niemals so nahe vor einem Hirnschlag wie in diesen wenigen Sekunden.

Vorsichtig streicht er mit seinem linken Tentakel die blauen Male an Sakis Unterarmen nach, dort, wo die beiden Mutanten zupackten, um ihn daran zu hindern, sich die Kehle aufzuschlitzen, während er selbst nur hilflos von Sakis Schlag getroffen in seiner Plexiglaskugel auf dem Fußboden herumrollte.

Um einen weiteren Zwischenfall wie diesen zu verhindern, hatte er zwei Möglichkeiten: entweder, er fesselte Saki ans Bett oder er brachte ihn aus der Krankenstation an einen Ort, wo die schlimmste Waffe aus einem Kopfkissen bestand.

Er wählte Letzteres.

Rocksteadys und Bebops Quartier mag nicht das hygienischste sein, aber es war nach einer kurzen Säuberungsaktion frei von allem, was man als Waffe gegen sich selbst richten konnte, außerdem hoffte er, die vertraute Umgebung würde Saki ein wenig helfen.

Er will glauben, dass es hilft.

Saki neben ihm wimmert leise auf und krümmt sich zu einem kleinen Ball zusammen.

 

 

Obwohl die Lähmstrahlen ihre Wirkung verlieren, während sich das Portal ungewohnt langsam und flackernd öffnet – oh, sie haben wohl wirklich kaum noch Energie, schießt es Splinter bei diesem Anblick durch den Kopf – macht er keine Anstalten, sich aus Rocksteadys Griff zu befreien. Auch wenn er sich Angenehmeres vorstellen kann als kopfüber über der Schulter des Rhinos zu hängen.

Ein Gefühl warnt ihn davor, sich nicht entführen zu lassen.

Und Splinter hat gelernt, auf seine Instinkte zu hören, so seltsam sie ihm auch manchmal erscheinen mögen.

Von daher wartet er, bis sie im Technodrome sind und macht sich erst dann bemerkbar.

„So, und könntet ihr mir jetzt vielleicht erklären, was das alles soll?“

Überrascht zuckt Rocksteady zusammen, doch er hat sich schnell wieder gefasst und hält ihn jetzt nur noch fester, als befürchte er, er könnte sich doch noch wehren.

Hinter seinem Rücken verdreht Splinter nur die Augen und hält dann Ausschau nach Bebop. Dieser lächelt ihm tatsächlich etwas schief zu, als er seinen bohrenden Blick auf sich fühlt.

„Unser Chefchen braucht dich. Du kannst doch Akupunktur und so'n Zeugs?“

„So'n Zeugs, ja“, bestätigt Splinter trocken, ist er solche respektlosen Worte doch auch von seinen Turtles gewohnt. „Wie wär's, wenn ihr mich runterlassen würdet? Ich laufe schon nicht weg.“

„Tut mir leid“, kommt die barsche Antwort von Rocksteady. „Das können wir nicht riskieren.“

Splinter ergibt sich in sein Schicksal, das er bestimmt nicht mehr lange erdulden muß, denn inzwischen laufen sie schon einen dämmrigen Gang entlang und die beiden gehen fast im Laufschritt, so eilig haben sie es.

„Und wozu braucht Shredder meine bescheidenen Fähigkeiten?“ will er schmunzelnd wissen. Hat er es also immer noch nicht erlernt.

Oh – hängen da an der Wand etwa Bilder? Das ist neu. Er kann sich nicht erinnern, dass so etwas das letzte Mal hier hing, als es ihn hierher verschlagen hatte. Aber das muß auch schon ein Jahr her sein. Er versucht, einen genaueren Blick zu erhaschen. Sind das … Fotos?

Doch dann runzelt er alarmiert die Stirn. Es ist ihm nicht gleich aufgefallen, aber Bebop und Rocksteady verströmen Schwingungen voller Angst und Besorgnis und beides merkwürdig betäubt und zugleich wild entschlossen, als befänden sie sich mitten in einem Katastrophengebiet.

Eine schreckliche Ahnung beschleicht ihn, und er begreift, was das sonderbare Gefühl, das ihn seit Tagen umtreibt, zu bedeuten hat.

Mit einer einzigen schnellen Bewegung befreit er sich aus Rocksteadys Griff und setzt sich mit einem Sprung vor die beiden Mutanten.

Was ist mit Shredder passiert?“ verlangt er mit nervös zuckenden Vibrissen zu wissen. „Das Letzte, was ich von ihm hörte, war, dass er in diesen Tümpel fiel und sich in ein Kind verwandelte. Was ist passiert? Hat Krang ihm etwas angetan?“

Die beiden starren ihn verblüfft an. Sie haben schließlich nicht jeden Tag mit einer aufgeplusterten Ratte zu tun.

„Niemand hat ihm etwas angetan“, erwidert Bebop dann hastig.

„Abgesehen von deinen Turtles“, ergänzt Rocksteady bissig, „die ihn in dieses Wasser geworfen haben.“

Splinters gesträubtes Fell glättet sich wieder etwas. Er beschließt, auf diese Bemerkung nicht einzugehen. Sie wissen schließlich alle, dass so etwas im Eifer des Gefechtes immer passieren kann, und er regt sich ja auch nicht über die unzähligen blauen Flecken auf, mit denen seine Jungs nach ihrem Aufeinandertreffen mit Shredder immer nach Hause kommen. Obwohl die Häufigkeit, wie oft seine Jungs immer in unnötige Gefahr geraten, durchaus ein Grund wäre, mit seinem lieben ex-Schüler mal ein ernstes Wort zu reden.

„Was ist mit Oroku Saki passiert?“ wiederholt er seine Frage höflich, aber bestimmt.

Die beiden setzen ihn ins Bild, während sie ihn weiter ins Innere des Technodromes führen und beenden ihre Erzählung just in dem Moment, wo sie die Tür zu ihrem Quartier öffnen.

Splinter erstarrt für einen Moment bei dem Anblick, der sich ihm bietet, dann wirft er erst ihnen und schließlich auch Krang auf der anderen Seite der Schwelle einen glühenden Blick zu.

Dafür hättet ihr mich nicht entführen müssen. Ich wäre freiwillig mitgekommen.“

 

17. Kapitel

17. Kapitel

 

Es ist geschafft. Nicht nur Rocksteady, Bebop und Krang entringt sich ein erleichterter Seufzer, sondern auch Splinter.

Ja, die Ratte ist immer noch da. Nachdem er seinen Ex-Schüler mit ein paar wohldosierten Behandlungen gewisser Druckpunkte in einen komaähnlichen Zustand befördert hatte, wo er keinen Schmerz mehr verspürte, hatte er zwei Bedingungen gestellt.

Die erste: gebt mir ein Telefon, damit ich meine Turtles anrufen kann. Sie sollen sich keine Sorgen machen.

Die zweite war schon etwas überraschender: ich will bleiben, bis es ihm wieder besser geht.

Da Krang nicht undankbar ist, hat er beidem zugestimmt.

Die folgenden Stunden waren für niemanden von ihnen angenehm, aber das lag nicht an der Gesellschaft. Saki schlief zwar, aber sein Körper veränderte sich immer noch. Sichtlich. Sogar die ansonsten sehr beherrschte Ratte sog ein paar Mal scharf die Luft ein, als sie mit diesem Anblick konfrontiert wurde.

Um sich die Zeit zu vertreiben, unterhielten sie sich über dies und das – Persönliches klammerten sie dabei aber geflissentlich aus. Sie stehen immer noch auf gegnerischen Seiten.

Aber auch so gab es viel Gesprächsstoff, vor allem Krang und Splinter versuchten bald, sich gegenseitig mit den Vorzügen ihrer Kultur zu übertrumpfen. Es gab mehr Gemeinsamkeiten als sie je gedacht hätten, waren doch sowohl die Dimension X wie das Kaiserreich Japan auf den Fundamenten einer Kultur errichtet, die auf eine große Anzahl berühmter Kriegsfürsten zurückblicken konnte.

Sie sprachen leise, um Saki nicht zu wecken.

Jetzt ist es später Nachmittag, fast schon Abend und unter Sakis Haut hat sich schon seit guten zehn Minuten nichts mehr bewegt.

„Er sieht genau so aus, wie ich ihn mit siebzehn in Erinnerung habe“, murmelt Splinter, während er ihm selbstvergessen eine pechschwarze Strähne aus der Stirn streicht.

Bis auf das Haar, ergänzt er in Gedanken belustigt. Das ist jetzt wirklich lang.

„Es ist vorbei“, seufzt Krang erleichtert auf. „Seine Zellen haben wieder ihre adulte Form.“

„Na ja“, meint Rocksteady kritisch. „Ein wenig muß er noch trainieren, um seine alte Form wieder zu bekommen. Und sieht er nicht viel zu jung aus?“

Krang stößt ein verlegenes Lachen aus. „Tjaaa... hab ich euch das nicht gesagt? Das wird so bleiben. Oh, er wird natürlich ab jetzt wieder ganz normal altern, nur vom Aussehen immer ein paar Jahre seinem richtigen Alter hinterherhinken. - Was denn?“ schnauft er auf Bebops und Rocksteadys vorwurfsvolle Blicke hin. „Verklagt mich doch, wenn's euch nicht paßt.“

Die beiden schütteln nur grinsend den Kopf.

„Ich glaube, es ist an der Zeit für mich zu gehen“, erklärt Splinter ein wenig wehmütig.

„Sie sollten bleiben, bis er aufwacht“, meint Krang ruhig.

Splinter zögert, schüttelt dann aber den Kopf.

„Nein, es ist besser ich gehe jetzt. Ich will ihn nicht in Verlegenheit bringen.“ Doch in jenem Moment, wo er sich umdrehen will, hört er vom Bett her ein leises Schnaufen. Bettzeug raschelt, und er spürt eine leise Berührung an seinem sensiblen Rattenschwanz.

 

 

Es kostet Shredder unheimlich viel Kraft auch nur zu atmen, geschweige denn den kleinen Finger zu bewegen, und doch gelingt es ihm, seinen Arm auszustrecken und Splinters Schwanz zu streifen. Es ist nur der Hauch einer Berührung, aber es genügt, um Splinter innehalten zu lassen.

Er benötigt zwei Anläufe unter dem abwartenden Blick dieser dunklen Augen. Sekunden, in denen er sich nur zu gut an das Gefühl krallenbewehrter Hände auf seinem Körper erinnert, wie sie bei dem halfen, was er selbst nie zustande brachte.

Dankbarkeit und Verwirrung halten sich die Waage.

„Warum?“ gelingt es ihm endlich hervorzubringen. Auf japanisch. Sein Gehirn ist noch viel zu wattig, um etwas anderes als seine Muttersprache zu benutzen.

Seine Stimme ist kaum zu verstehen, so schwach ist sie.

Splinter mustert ihn einen Moment lang verdutzt, als verstünde er die Frage nicht, doch dann verziehen sich seine Mundwinkel zu einem sanften Lächeln.

„Weil ich niemals aufgehört habe, dein Sensei zu sein, und als solcher trage ich Verantwortung für meine Schüler. Das Band zwischen Sensei und Schüler ist sehr stark, vor allem, wenn man den alten Weg beschreitet, so wie ich.“ Behutsam nimmt er Shredders Hand zwischen seine und drückt sie einmal kurz. Er hofft, diese kleine Geste verrät seinem ehemaligen Schüler, was er selbst nicht in Worte zu kleiden vermag. Doch Shredders Gesicht und Augen bleiben völlig blank.

Splinter zögert, spricht es dann aber doch aus. In Englisch, weil das in dieser Sprache irgendwie viel leichter ist.

„Ich mag dich, Oroku Saki.“

Shredder starrt ihn einen Herzschlag lang nur an, dann schließt er die Augen und dreht den Kopf beiseite.

Splinter wartet, doch als klar wird, dass Shredder nichts darauf entgegnen wird, drückt er noch einmal dessen Hand und lässt sie dann langsam zurück auf die Bettdecke gleiten.

„Bilde dir nicht ein, dass ich keine Gegenleistung erwarte“, grinst die Ratte vergnügt. „Versprich mir bei deiner Ehre als Ninja, dass du meine Turtles in Zukunft etwas netter behandelst. Hör auf, aus ihnen Suppe oder Schaschlik machen zu wollen.“

Um Shredders Mundwinkel zuckt ein kleines, selbstironisches Lächeln, und er sieht ihn wieder an. Seine braunen Augen wirken lebendiger als noch vor einer Minute.

„Abgemacht, alter Mann.“ Das Sprechen in Englisch bereitet ihm sichtlich Mühe, doch er kämpft sich Wort für Wort durch, auch wenn es eine ganze Weile dauert. „Da mir das sowieso nie gelingen wird, wird es mir nicht schwerfallen, mich an dieses Versprechen zu halten.“

„Und...“ Splinter zieht eine betont vorwurfsvolle Miene, „... schick mir wenigstens mal eine Karte. Zum Sensei-Tag wär doch schon mal ein guter Anfang.“

„Ich weiß was Besseres“, mischt sich da Krang breit grinsend aus seiner Ecke plötzlich ein. „Machen wir ein Foto!“

 

 

Splinter drückt das Polaroid-Foto an seine Brust als wäre es ein kostbarer Schatz. Um seine Mundwinkel zuckt ein wehmütiges Lächeln, als er sich vor dem Portal noch einmal zu Shredder umdreht.

Dieser ist zwar noch etwas wacklig auf den Beinen, aber er hat den Weg in die Kommandozentrale bewältigt ohne sich auf einen seiner Mutanten zu stützen, die ihn vorsorglich flankiert haben und ihnen nun bescheiden den Raum für ihren Abschied lassen.

Noch ein letztes Mal lässt Splinter seinen Blick erst über Krang, der geduldig an den Kontrollen des Portals wartet und dann über die Mienen der beiden Mutanten gleiten, bevor er sich wieder dem Mann vor sich zuwendet.

„Du hast hier eine großartige Familie. Etwas speziell, aber großartig.“

„Das sagt genau der Richtige“, schmunzelt Shredder.

Splinter mustert ihn lächelnd, hebt die Hand und fährt ihm sanft durch das schwarze Haar, das er jetzt zu einem Zopf hochgebunden hat. Splinter fragt sich, ob er das zukünftig so lang lassen wird, zweifelt aber daran.

„Du hast ihnen große Sorgen bereitet.“

Als Shredder verlegen den Blick senkt, tritt Splinter noch näher an ihn heran, um ihm leise ins Ohr zu flüstern:

„Und mir auch, Saki-kun.“

Dieser zieht bei dieser vertrauten Anrede kurz und scharf den Atem ein, fasst sich aber schnell wieder.

„Danke“, ist alles, was ihm dazu einfällt.

Splinters Blick wird noch eindringlicher, aber er scheint zufrieden mit dem, was er in Shredders Miene liest, denn er hackt nicht weiter darauf herum und wechselt taktvoll das Thema.

„Denk an dein Versprechen.“

„Das ist hinfällig, wenn du ihnen auch nur ein Wort von heute erzählst.“

„Dann werde ich schweigen, so schwer mir das auch fällt.“ Schmunzelnd verschränkt Splinter die Arme vor dem Körper und verbeugt sich respektvoll.

Ikimasu, mein alter Freund.“

Shredder grinst daraufhin fast, entgegnet die Verbeugung und hebt dann noch zusätzlich die Hand, um ein kurzes Winken anzudeuten.

„Mata ne“, erwidert er und fügt dann, ganz leise und nur für Splinters scharfe Rattenohren bestimmt, hinzu:

Sensei.“

Das Portal flackert widerwillig auf, und Splinter beeilt sich, hindurchzuhuschen, bevor es überhaupt keine Energie mehr gibt.

Die Zurückgebliebenen starren, jeder in seine eigenen Gedanken versunken, noch sehr lange auf die letzten Funken, die nur langsam in der Luft ihr Leben aushauchen.

„Oookay“, meint Rocksteady dann in die beinahe andächtige Stille hinein, „aber eins kapier ich nicht: er hat ein Foto. Wie will er das den blöden Grünen erklären ohne ihnen von heute zu erzählen?“

Shredder verbeißt sich ein Lachen. „Gute Frage. Aber ich bin sicher, ihm fällt was ein.“

„Heißt das, wir dürfen die Panzerrücken weiter verhauen?“ will Rocksteady mit funkelnden Augen wissen.

„Oh Nasi, bist du blöd!“ Bebop gibt seinem Kumpel einen Stoß zwischen die Rippen, strahlt dabei aber Shredder an. „Es war nie die Rede davon, dass wir sie nicht weiterhin verprügeln dürfen. Unser Chefchen hat nur von sich gesprochen.“

„Von verprügeln als solchem war sowieso nie die Rede“, stellt Krang aus dem Hintergrund klar. Sein Grinsen entblößt wieder mal unheimlich viele scharfe, spitze Zähne. Und gleich noch ein paar mehr, als er seine Aufmerksamkeit auf Shredder richtet. Aber er sagt nichts. Er grinst nur. Und aus diesem Grinsen wird ganz, ganz langsam ein Lächeln.

„Saki-chan?“

„Ja?“

Unvermittelt lacht Krang auf und klatscht in seine Tentakel. „Wunderbar. Du hast reagiert. Dann kann ich dich ja ab sofort immer so nennen!“

Und mit diesen Worten macht er sich aus dem Staub, bevor Shredder nach dem erstbesten Gegenstand – in diesem Falle einen verloren herumstehenden Becher – greifen und ihm diesen hinterher werfen kann.

 

 

18. Kapitel

18. Kapitel

 

Vor der Tür wäre er beinahe wieder umgedreht, doch dann gibt er sich einen mentalen Tritt. Er ist schließlich kein Feigling!

Außerdem geht es hier um sein Eigentum!

Und daher klopft er einmal sehr fordernd an die Tür und tritt auf das daraufhin folgende „herein“ durch dieselbe.

Flackerndes Licht vom Fernseher empfängt ihn. Sie sitzen auf dem, was sie so großzügig „Bett“ nennen, und auf dem großen Wandbildschirm läuft irgendein Actionfilm.

Bei seinem Klopfen haben sie den Ton leiser gedreht und sehen ihm nun verdutzt und hoffnungsvoll entgegen.

Shredder schluckt einmal schwer, strafft dann aber die Schultern, setzt ein betont grimmiges Gesicht auf und steht schließlich mit wenigen großen Schritten vor ihnen.

„Ich will mir nur holen, was mir gehört.“ Vielsagend zeigt er auf Kuschel-Pumbaa und das Nashorn-Licht, die noch genau da liegen, wo er sie zuletzt gesehen hat – nämlich neben dem Bett.

Als er sich danach bückt, fragt ihn Bebop leise:

„Willst du mitsehen?“

Shredder zögert unsicher, doch ein Blick in diese bettelnden Mienen überzeugt ihn.

„Na gut. Ausnahmsweise. Macht Platz.“ Mit diesen Worten drängt er sich zwischen sie, und sie folgen seiner Aufforderung nur zu gerne.

„Aber nur, bis der Film zu Ende ist“, stellt er dann noch klar – und weiß doch ganz genau, dass es ihm sehr schwer fallen wird, wieder zurück in sein leeres Quartier zu gehen.

Rocksteady neben ihm schüttelt den Kopf und legt dabei vielsagend einen Arm um seine Schultern.

„Nix da“, bestimmt er, „du bleibst bis morgen früh.“

„Nur diese Nacht noch“, bettelt Bebop auch sogleich. „Bitte. In Erinnerung an alte Zeiten.“

„Diese alten Zeiten sind gerade mal ein paar Stunden her.“

Bitte.

Shredder seufzt einmal tief und schwer, aber im Stillen freut er sich. Denn hier zwischen den beiden zu sitzen (oder zu liegen), das verursacht ihm ein angenehm warmes Gefühl.

Aber trotzdem...

„Jungs, ich will euch nicht stören. Ihr hättet jetzt seit langem mal wieder eine Nacht für euch ...“

„Du störst doch nicht!“ unterbricht ihn Bebop sofort. Seine Hand fasst nach Shredders und hält sie fest, als fürchte er, dieser würde tatsächlich jetzt schon gehen. „Bitte bleib.“

„Okay.“ Ausnahmsweise einmal gibt sich Shredder gerne geschlagen.

Langsam rutscht er etwas tiefer, beginnt sich genauso hinzulümmeln wie seine beiden Mutanten, und als Bebop seine Hand wieder loslassen will, ist er derjenige, der fester zupackt. Mit Rocksteadys Arm um seinen Schultern und Bebops Hand in seiner fühlt sich Shredder rundum pudelwohl.

Sie haben den Ton wieder aufgedreht, aber nicht zu laut, genau so, wie sie wissen, dass es ihm angenehm ist. Es erinnert ihn an diesen Filmabend – und oh, war das wirklich erst vorgestern? Es kommt ihm vor wie eine Ewigkeit und dann doch auch wieder nicht. In Shredders Mundwinkel schleicht sich ein kleines, melancholisches Lächeln, doch dann schüttelt er diesen nostalgischen Anfall schnell wieder ab. Es kostet ihn erstaunlich viel Mühe.

Unwillkürlich rutscht er noch ein wenig tiefer in die Kissen und schaudert leicht zusammen, als er spürt, wie Rocksteady gedankenverloren mit seinem Zopf zu spielen beginnt. Das erinnert ihn wieder daran, wie lang sein Haar geworden ist. Unwillkürlich verzieht er das Gesicht. Er denkt kurz nach, doch – hey, warum nicht?

„Würdest du mir morgen die Haare schneiden?“ wendet er sich an das Rhino neben ihm.

Der ist beinahe entsetzt.

„Bist du sicher? Wär schade drum. Du siehst aus wie ein Samurai.“

Da ist soviel Bewunderung in seinem Blick, dass Shredder unwillkürlich verlegen wird.

„Ich schenk dir den Zopf.“, versucht er es mit einem schroffen Tonfall zu überspielen und fügt dann noch neckend hinzu: „Kannst ihn ja zu dem anderen ins Fotoalbum kleben.“

„Nee, den hier trag ich bei mir als Talisman.“

Wir“, kommt es leise, aber entschieden von der anderen Seite.

„Ja, Beeps“, grinst Rocksteady liebevoll, „du bekommst auch was davon ab.“

Shredders Wangen brennen inzwischen, aber alles, was ihm einfällt, ist, stur auf den Bildschirm zu starren und Bebops Hand einmal kurz und fest zu drücken.

Zwischen ihnen breitet sich wieder diese angenehme, vertraute Stille aus, so präsent, dass alles, was aus den Lautsprechern schallt, zu einem Hintergrundrauschen degradiert wird. Es hat etwas von einem warmen, weichen Kokon an sich.

Shredder spürt, wie ihm die Augenlider immer schwerer werden.

„Chefchen?“ Bebops leise Stimme nah an seinem Ohr schreckt ihn wieder auf. Sein Tonfalls klingt beunruhigend zögerlich. Als habe es ihn allen Mut gekostet, ihn anzusprechen. Alarmiert dreht Shredder den Kopf und sieht sich mit einer ernsten, traurigen Miene konfrontiert.

Bebop schluckt einmal und muß seine nächsten Worte regelrecht an dem Kloß in seiner Kehle vorbeiquetschen.

„Wolltest du das wirklich? Dich … umbringen?“ Er flüstert es fast.

Shredder hört und spürt, wie Rocksteady auf seiner anderen Seite den Atem anhält und wie sich Rocksteadys Finger fester in seine Schulter graben.

„Ich war vor Schmerzen fast wahnsinnig“, beeilt er sich, sie beide zu beruhigen.. „Ich bin euch dankbar, dass ihr mich aufgehalten habt.“ Und etwas leiser fügt er hinzu: „Und für alles andere auch.“

Es ist beschämend, dass sie diesen Teil von ihm gesehen haben, und er hofft, dass sie nicht weiter bohren.

Er weiß nicht, dass Bebop und Rocksteady kurz bevor er an die Tür klopfte, genau über dieses Thema geredet haben. Sie erinnern sich nämlich noch gut an all die kleinen Hinweise, die sie nur nicht zu deuten gewusst haben: die Art, wie er in den Everglades verlorenging (absichtlich, wie sie von Krang inzwischen wissen), seine düsteren Anwandlungen, die Verbissenheit mit der er gegen seinen Körper kämpfte und vor allem jenen Moment, wo er es so deutlich aussprach: „Ich hasse mein Leben.“

Das bereitet ihnen Kummer, vor allem, weil sie wirklich nicht dumm sind. Seit sie ihn kennen, hat Shredder immer auf Risiko gespielt, einige seiner Aktionen waren sogar lebensgefährlich – und das nicht nur für die Turtles. Sie haben es bisher nur nicht erkannt, weil sie selbst immer mitten drin waren und außerdem ging es immer gegen die Turtles oder andere Feinde, (aber hauptsächlich die blöden Panzerrücken), und da schlagen die Emotionen so hoch, da achtet man einfach nicht darauf, ob das jetzt Absicht war, wenn Shredder mal wieder eine Treppe hinunterfiel.

Und sie wissen nicht, was sie dagegen unternehmen können!

„Wir haben es der Ratte nicht erzählt, das mit dem Skalpell“, wirft Rocksteady herausfordernd in den Raum. Er spürt, wie sich Shredder neben ihm anspannt und lächelt grimmig. Wenn er dachte, sie lassen ihn so leicht davon kommen, hat er sich geirrt.

„Das dachte ich mir“, entgegnet Shredder. „Dann hätte er nämlich noch ganz andere Dinge zu mir gesagt.“ Und dann fügt er noch, nach einem kurzen Zögern ein leises „Danke“ hinzu.

Für die Dauer einiger Herzschläge herrscht wieder Schweigen zwischen ihnen, doch diesmal ist es ein sehr angespanntes Schweigen.

„Wir mögen dich, weißt du“, platzt es schließlich aus Bebop heraus. Er zögert kurz, doch dann rutscht er etwas näher und legt seinen Kopf an Shredders Schulter. „Und ich hoffe, du weißt, dass das der Grund ist, wieso wir bei dir und Krang bleiben. Nicht, weil wir sonst nicht wüßten, wo wir hin sollten, sondern eben, weil wir wissen, wo wir sein wollen. Und das ist bei dir. Das ist, was wir unter Freundschaft verstehen. Und wir wären sehr, sehr traurig, wenn unser Freund, unser bester Freund, sich selbst etwas antut, was nicht einmal Krang mehr rückgängig machen kann.“

Shredder versucht, das Brennen in seinen Augen wegzublinzeln, aber bevor er irgend etwas darauf zu erwidern weiß, bittet ihn Rocksteady inbrünstig:

„Mach uns nicht traurig, Saki-chan,“

Das ist zu viel. Er fühlt sich furchtbar schäbig!

„Versprochen“, wispert er mit brechender Stimme und räuspert sich dann, verärgert über sich selbst im Allgemeinen und im Besonderen über den Kloß in seinem Hals und diese brennenden Augen.

„Es tut mir leid. Ich bessere mich, versprochen! Ich versuch's.“

Und dann platzt es doch aus ihm heraus:

„Ich liebe euch, Jungs. Ihr ward die besten Daddys und seid die liebsten Freunde, die man sich wünschen kann!“ Weil ihm das aber doch zu peinlich ist, fügt er noch drohend hinzu: „Aber wehe, ihr sagt jemanden, dass ich das gesagt habe, denn dann hänge ich euch eigenhändig an den Füßen auf. Mit dem Kopf nach unten in einem Ameisenhaufen.“

„Schon klar, Chefchen.“ Rocksteady drückt ihm feixend einen Kuß auf die Wange.

„Ich bevorzuge eine Sahnetorte“, erwidert Bebop kichernd. „Eine Marzipan-Sahnetorte.“

„Was bist du?“ neckt ihn Rocksteady. „Ein Marzipanschwein?“

„Du ziehst also Ameisen vor, Nasi? Bist du Rhino etwa jetzt ein Ameisenbär?“

„Der mit dem Rüssel bist du.“

„Bisher hattest du nie etwas gegen meinen Rüssel einzuwenden.“

„Ach, sprechen wir jetzt über deinen Rüssel? Oder über deinen Rüssel?“

„Jungs, echt jetzt?“ mischt sich Shredder ein. „Wo bleibt euer Anstand? Hier liegt ein Minderjähriger.“

„Daran erinnern wir dich, wenn du mal wieder 'nen Sake trinken willst.“

„Nein, Nasi, er hat Recht. Wir wollen doch nicht, dass er uns wieder als Perverse beschimpft.“

„Also pervers ist eher, wer bei dem Wort Rüssel an etwas anderes als Rüssel denkt.“

Shredder grinst nur nachsichtig und lässt die Neckereien seiner beiden Mutanten über sich hinwegrauschen. Anscheinend hatte Rasputin doch recht gehabt mit seiner Einschätzung, wie die beiden zu ihm stehen. Wieso hatte er das nur all die Jahre nicht gesehen, besser gesagt, sehen wollen?

Ich war so ein Idiot.

Ohne jegliche Vorwarnung öffnet sich plötzlich die Tür und ein großer, unförmiger und sehr wohlbekannter Körper schiebt sich herein.

Rocksteady und Bebop verstummen sofort und starren den Neuankömmling genauso verdutzt an wie Shredder.

„Haltet die Klappe“, sagt Krang, während er aus seinem Androidenkörper springt, mit drei schnellen Sprüngen über den Boden hoppelt und dann mit großem Schwung direkt auf Shredders Schoß landet.

„Haltet ja die Klappe“, droht er noch einmal, während er es sich gemütlich macht. „Keinen Mucks. Ich will den Film sehen.“

 

Epilog

Epilog

 

Es ist eine kleine, grob zusammengezimmerte Hütte, gut getarnt im Grün der Wildnis, aber die Hängematte zwischen zwei Bäumen und die Feuerstelle verraten sie. Er holt einmal tief Luft und macht noch einen Schritt darauf zu. Das Paket in seinen Händen wird immer schwerer.

Hat er es übertrieben? Untertrieben? Er ist nicht besonders gut darin, Geschenke zu machen. Er weiß, sie sind Leckermäuler, aber sind Süßigkeiten und Romane, die vom Leben ihrer Namensvettern handeln, wirklich genug?

Fast wünschte er, sie wären nicht da.

Dann leg ich es ihnen einfach auf die Schwelle und verschwinde wieder.

Nur – seiner Drohne nach sind sie hier.

Und plötzlich stehen sie vor ihm, als sie wären sie aus den Schatten selbst getreten.

Wow. Sie sind GUT.

Stolz wallt in ihm auf. Das haben sie von ihm gelernt!

„Hi.“ In einer Hand balanciert er das Paket, mit der anderen hebt er sie Hand zum Gruß.

Einen Moment lang starren ihn die vier Frösche nur an, und er fragt sich kurz, ob sie ihn überhaupt wiedererkennen, doch dann – zu seiner großen Erleichterung - verziehen sich ihre breiten Mäuler zu einem Lächeln.

„Saki“, lacht Dschingis, korrigiert sich dann aber schnell: „Meister Shredder.“

Energisch schüttelt Shredder den Kopf.

„Saki reicht völlig.“

Es entsteht eine kleine Verlegenheitspause, in der sie sich zaghaft mustern.

„Du bist also wieder groß“, beginnt Napoleon gedehnt.

„Du siehst anders aus“, ergänzt Attila. „Neue Frisur? Steht dir.“

Verlegen fährt sich Shredder durch den halblangen Stufenschnitt. Rocksteady zeigte diesmal eine seltene Anwandlung von Kreativität, und um ehrlich zu sein: bis eben dachte Shredder nicht, dass es ihm wirklich steht.

Aber bevor er Attila danken kann, meldet sich Rasputin zu Wort.

„Siehst du jünger aus oder machen das diese todschicken Klamotten?“

Verdutzt starrt Shredder an sich hinab. „Todschick? Die alten Fetzen?“

Aber andererseits laufen die vier in Hawaii-Hemden herum, da sollte es ihn nicht wundern, wenn verwaschene Jeans, T-Shirt und eine khakifarbene Feldjacke in ihren Augen ein Fall für die Mailänder Modewoche sind.

Er räuspert sich einmal und erinnert sich wieder, wieso er die ungemütliche Reise an die Oberfläche überhaupt angetreten hat.

„Ich habe euch eine Kleinigkeit mitgebracht“, vielsagend hält er ihnen das Paket entgegen. „Als Dank für eure Hilfe.“

Auf diese Worte hin zeigen die vier unterschiedliche Reaktionen der Verlegenheit: Attila starrt zu Boden und scharrt mit den Füßen, Dschingis kratzt sich im Nacken und zeigt ein dümmliches Grinsen, während Napoleon ein leises „och, nicht der Rede wert“ murmelt und Rasputins Wangen richtig Farbe bekommen. Und sie werden noch viel dunkler, als Shredder ihm ein ehrliches Lächeln schenkt.

„Vor allem dir danke ich, Rasputin. Du hast mich nicht nur auf deinem Rücken getragen … nein, auch deine Worte haben mir wirklich geholfen. Dank dir wurde mir einiges klar. Nicht sofort, das gebe ich zu, aber sie sind auf fruchtbaren Boden gefallen.“

Rasputin, deutlich verwirrt, sich aber an seine guten Manieren erinnernd, tritt näher und nimmt ihm endlich das Paket ab. Aber anstatt wieder zurück zu gehen, bleibt er stehen, wo er ist, eine Armlänge von Shredder entfernt und mustert ihn mit schräg gelegtem Kopf.

In seinen Augen blitzt Verstehen, gefolgt von Schalk und Freude, als er sich schließlich doch an seine Worte aus dieser Nacht erinnert.

„Dann hast du endlich kapiert, dass es Leute gibt, die dich mögen? Und du kannst es annehmen?“

Shredder nickt, etwas peinlich berührt.

„Hey“, meldet sich Napoleon aus dem Hintergrund verdutzt. „Was soll das heißen? Hast du etwa daran gezweifelt, dass wir dich mögen? Echt? Wie könnten wir denn nicht? Sind wir denn nicht immer noch Freunde? Gut, okay, wir sind nicht mehr auf deiner Seite, was deinen Rachefeldzug betrifft, und wir sind jetzt auch mit den Turtles befreundet, aber – wieso sollten wir deshalb nicht mehr mit dir befreundet sein?“

Shredder holt einmal tief Luft.

„Ja“, gibt er zu. „Ich habe daran gezweifelt. Und das tut mir leid.“

„Das sollte es auch“, grimmig stützt Napoleon die Fäuste in die Hüften. „Und zur Strafe werden wir ein wenig mit dir trainieren.“ Vielsagend lässt er seinen Blick über Shredders Körper wandern. „Du siehst nämlich aus, als hättest du etwas Extra-Training bitter nötig.“

Shredder zuckt nur mit den Schultern und lächelt. Dabei sucht er Rasputins Blick. Dieser lächelt zurück, und sein Lächeln ähnelt auf geradezu unheimliche Weise jenem, das Bebop, Rocksteady und Krang zur Schau stellten, als er ihnen von seinem Plan erzählte, sich bei den Punk-Fröschen zu bedanken.

 

 


Nachwort zu diesem Kapitel:
 
Ikimasu: eigentlich unhöflich, denn korrekt heißt es "itte kimasu": ich gehe und komme wieder. Sagt man nur Ikimasu, bedeutet das, man hat nicht vor, wiederkommen.
Wer sagt denn, dass Splinter keinen Humor hat?
Mata ne: bis bald
sayounara sagt man ja wohl, wenn es nicht sicher ist, ob und wann man den anderen wiedersieht, und das fand ich hier jetzt nicht so passend...
 
 
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Kommentare zu dieser Fanfic (3)

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Von:  YUAL-Jury
2018-08-09T17:14:26+00:00 09.08.2018 19:14
Hallo MariLuna!

Da hast du wohl im Canon eine Plotlücke entdeckt und beschlossen, sie zu füllen? Tolle Idee, finden wir! Das ist mal etwas wirklich ganz anderes. Wir überlegen immer noch, ob uns Shredder als Big Boss oder als Hosenmatz besser gefällt. :D Durchdacht und lebensnah schilderst du hier das (erneute) Heranwachsen eines Schurken – hier und da zum Schmunzeln, immer unterhaltsam. Ein bisschen Mühe hatten wir manchmal mit den vielen Dialogen und den wenigen Beschreibungen zu den Figuren, aber das Internet hilft schnell und unbekannt ist das Fandom schließlich auch nicht – wenn auch viel zu selten hier vertreten! Das hast du mal eben geändert. Gute Arbeit! Was-wäre-wenn-Experimente dieser Art sind ganz nach unserem Geschmack!

Liebe Grüße
YUAL-Jury
Antwort von:  MariLuna
13.08.2018 18:10
Liebe YUAL-Jury,
vielen lieben und herzlichen Dank :-)
da bin ich mal kurz im Urlaub und verpasse gleich so einiges. ^^
Was soll ich sagen, außer Danke und ich freue mich, dass es gefallen hat :-D
Liebe Grüße,
MariLuna
Von:  Dollface-Quinn
2017-06-11T09:29:13+00:00 11.06.2017 11:29
Eine Shredder-Modelinie für Kinder, das wäre es doch! XD
Armer Schredder. Ich weiß nicht wer mir mehr Leid tut, er oder alle anderen, die sich jetzt um ein kleines Kind kümmern müssen! Irgendwie ist die Situation voll schlimm, oder? Und das erste was Krank macht ist ihm ne Spritze verpassen! So typisch XD
Antwort von:  MariLuna
11.06.2017 19:19
Ja, Krang wie er leibt und lebt, ne? ^^
Von:  Dollface-Quinn
2017-06-11T08:43:07+00:00 11.06.2017 10:43
Hi, hier ist deine Leserin wieder XD
Ich hab mich mal vorsichtig an die FR abgewägt, denn kleine Kinder sind so gar nicht mein Thema. Aber so humoristisch wie du schreibst hab ich jetzt doch große Lust weiter zu lesen XD
Antwort von:  MariLuna
11.06.2017 19:16
Hallo ^^
freut mich, dass ich dich trotzdem begeistern konnte :) und Shredder ist ja nicht wirklich ein kleines Kind :)


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