Saki-chan von MariLuna ================================================================================ Kapitel 6: 6. Kapitel --------------------- 6. Kapitel   Shredder hat ein ganz mieses Gefühl, als er diesen Morgen aufwacht. Als eile ein Unheil auf Siebenmeilenstiefeln direkt in seine Richtung. Dabei ist alles erst einmal wie immer in den letzten drei Tagen: er wacht zwischen Bebop und Rocksteady auf, hat dieses dusselige Kuscheltier im Arm, das türkisfarbene Rhino-Nachtlicht dreht sich noch immer (inzwischen keimt in ihm der Verdacht, seine beiden Mutanten stehen auf dieses nutzlose Teil), dann darf er bei angelehnter Badtüre seine Morgentoilette erledigen und zieht (auch im Bad) das an, was die beiden Deppen heute für ihn bereitgelegt haben (da sie seinen Geschmack treffen, regt er sich darüber nicht mehr auf), dann wartet er, bis die beiden Idioten mit ihrer eigenen Morgentoilette und Anziehen fertig sind, um mit ihnen danach gemeinsam Richtung Küche zu gehen. Der Geruch – so unverwechselbar und verhasst – der sie schon auf dem Gang empfängt, lässt aus dem miesen Gefühl eine noch miesere Vorahnung werden. Die sich bestätigt, als sich die Küchentüre öffnet und das Klappern von Geschirr, untermalt von zwei sich angeregt unterhaltenden Stimmen herausdringt. Er kennt beide Stimmen sehr, sehr gut. Eine davon gehört Krang und die andere … und dann tritt die Gestalt, die zu dieser Stimme gehört in sein Sichtfeld und die Hoffnung, es sei alles nur ein schlechter Traum, zerplatzt in viele kleine tausend Stückchen. „Mutter!“ fassungslos schnappt er nach Luft. „Was machst du hier?“     Sie sieht gut aus. Sehr elegant in ihrer hellen Bluse und dem Faltenrock und den dazu passenden Halbstiefeln. Und sie hat eine neue Frisur. Es steht ihr, macht sie ein Jahrzehnt jünger. Aber der Teufel soll ihn holen, wenn er ihr das je auf die Nase bindet. Dafür müsste sie sich schon anders ihm gegenüber benehmen. „Iss deine Miso-Suppe!“ Shredder verzieht das Gesicht und beäugt misstrauisch den Inhalt der Schale. Dann rümpft er die Nase. Allein schon vom Geruch wird ihm schlecht. Entschlossen schiebt er die Schale von sich. „Mutter, du weißt doch, dass ich Miso-Suppe nicht mag.“ „Du isst, was auf den Tisch kommt!“ „Äh? Nein.“ „Ich habe den ganzen weiten Weg gemacht und dir extra eine Miso-Suppe nach altem Familienrezept gekocht. Nur für dich. Warum bist du so undankbar?“ „Ich...“ „Du rufst nie an, du schreibst nicht... du hast deine alte Mutter ganz vergessen. Und jetzt willst du nicht mal mehr meine Miso-Suppe essen. Was habe ich nur falsch gemacht?“ „Oh, bitte, entschuldige, dass ich hier unten noch keinen Briefkasten gefunden habe.“ „Ich hatte heute Nachmittag eine Verabredung zum Bridge, die ich natürlich sofort abgesagt habe, als mich Krang anrief. Er rief mich an, Saki. Wieso rufst du mich nicht wenigstens an? Du bist so undankbar. Dein Bruder ist da ganz anders. Ich spreche jeden Sonntag mit ihm.“ Shredder wirft Krang einen gequälten Blick zu. „Was macht sie hier, Krang?“ „Nun, Saki-chan“, grinst dieser, während er weiterhin in einem der vielen Fotoalben blättert, die Miyoko mitgebracht hat, „ich habe sie eingeladen, weil sie mir sagen kann, an welchen Allergien oder Krankheiten du als Kind gelitten hast. Noch einmal so eine Überraschung wie mit den Windpocken möchte ich nicht erleben.“ „Das weiß ich doch auch. Dazu brauchst du sie doch nicht.“ „Bei dir bin ich mir nicht sicher, ob du mir die Wahrheit sagst. Außerdem ist sie deine Mutter.“ „Was sie zutiefst bedauert.“ „Saki!“ Entrüstet starrt Miyoko ihn an und schiebt ihm mit einer schroffen Bewegung die Suppenschale wieder vor die Nase. „Das war unnötig. Und unhöflich! Und jetzt hör auf zu meckern und iss deine Miso-Suppe!“ Die ganze Zeit über haben sich Bebop und Rocksteady zunehmend nervöser werdende Blicke über den Tisch hinweg zugeworfen, und ganz eindeutig hat zwischen ihnen eine gewisse wortlose Kommunikation stattgefunden, denn in dem Moment, wo Rocksteady die unleidliche Diskussion zwischen Shredder und Miyoko mit den Worten: „Miyoko, entschuldigen Sie, aber kann ich die Fotos auch mal sehen? Ich liebe Familienbilder!“ unterbricht und somit ablenkt, schnappt sich Bebop die Schale mit der Suppe und trinkt sie mit wenigen großen Schlucken ratzeputz leer. Mit großen Augen und offenem Mund starrt Shredder ihn an. Den Mund klappt er aber schnell wieder zu, als ihm Bebop verschmitzt zuzwinkert und ihm dann auch noch den Kopf tätschelt. Shredder mag es immer noch nicht, wenn man das macht, aber er hält wohlweislich den Mund. Seine Mutter ist Dank Rocksteady immer noch beschäftigt und wendet ihm den Rücken zu. Diese Gelegenheit nutzt Bebop, indem er ihm blitzschnell sein eigenes Frühstück – Cornflakes mit Milch – zuschiebt. Der lässt sich das nicht zweimal sagen. Immer mit einem sichernden Blick zu seiner Mutter hinüber, schlingt er die Cornflakes so hastig herunter, dass er sich beinahe daran verschluckt. Aber so ganz unbemerkt bleibt diese Aktion nicht – Krang sieht das alles sehr wohl, doch er grinst nur und verpetzt sie nicht. Dafür scheint er sich entschlossen zu haben, Shredder auf andere Weise zu ärgern. „Oh, Miyoko, was ist denn das für ein Bild? Hat unser Saki-chan da tatsächlich eine Puppe im Arm?“ Shredder zuckt sichtbar zusammen, was Krangs Grinsen nur in die Breite wachsen lässt. „Da war er zwei“, erklärt Miyoko begeistert. „Ich habe die Puppe selbst genäht, als ich mit ihm schwanger war.“ Sie kichert leise. „Ich hatte eben fest mit einem Mädchen gerechnet. Aber er hat die Puppe geliebt.“ Shredder beißt sich auf die Lippen und würde vor Scham am liebsten im Erdboden versinken. Wieso, verflucht nochmal, hat er diese verdammten Fotoalben nicht mitgenommen, als er auszog? Dann lägen sie jetzt sicher in seinem Safe. Und dann erinnert er sich mit Schrecken an all die anderen peinlichen Fotos in diesem Album. Was soll er nur tun? „Ich hab bis zum Kindergarten auch gerne mit den Barbies meiner Schwestern gespielt“, erklärt da Bebop mit einem schiefen Lächeln und tätschelt Shredder abermals den Kopf. Der starrt nur weiter finster vor sich hin, und sein Blick verdunkelt sich bei Krangs nächster Bemerkung nur noch mehr. „Oh, ein Badestrand! Wo war das denn?“ Shredder schlägt die Hand vors Gesicht und unterdrückt ein Ächzen, denn er weiß – auf diesem und vielen anderen Bildern von diesem Sommer ist er nackt. „Oh“, antwortet seine Mutter da auch schon begeistert. „Das war unser erster Urlaub am Meer. In Nanki Shirahama. Und es war der letzte Urlaub zusammen mit seinem Vater. Ein Dreivierteljahr später war ich mit Kazuo schwanger und dieser Nichtsnutz machte sich aus dem Staub.“ Krang horcht auf. „Shredder spricht nie von seinem Vater. Was ist passiert? Wenn die Frage gestattet ist.“ „Die Frage ist gestattet. Saki war noch sehr klein, als sein Vater verschwand, es ist kein Wunder, dass er sich nicht an ihn erinnert. Und das ist auch besser so. Der Mistkerl taugte nichts. Ist abgehauen und hat mich auf einem Berg von Schulden sitzen lassen. Mein ganzes Erbe hat er verprasst. Zum Glück habe ich wenigstens nicht meinen Namen verloren. Ich konnte durchsetzen, dass er bei der Heirat meinen Namen annimmt. Deshalb sind meine Kinder echte Orokus. Und waren es auch immer.“ „Das klingt nach einer sehr schweren Zeit für Sie“, bemerkt Krang mit genau der richtigen Dosierung Mitgefühl, um Miyoko noch mehr Details zu entlocken. Dabei müsste er sie gar nicht lange bitten, denn wie Shredder aus leidvoller Erfahrung weiß, redet seine Mutter sehr gerne über ihre vergangenen „Verdienste“. „Es war wirklich nicht leicht. Ich stand da, alleine, schwanger und mit einem kleinen Kind am Rockzipfel, verschuldet und mit einer Räumungsklage am Hals. Und hätten mir meine Eltern nicht für drei Jahre Saki abgenommen, weiß ich nicht, was aus mir geworden wäre. Es war hart, aber ich kam wieder auf die Füße. Ich fand sogar bald einen Mann, der mich großzügig unterstützte. Er wollte mich sogar heiraten. Aber dann musste ich Saki wieder zu mir nehmen, und das hat den guten Mann verschreckt.“ Sie kichert leise und wirft ihrem Sohn einen funkelnden Blick zu. Der funkelt zurück, aber es hat nichts Freundliches an sich. „Oh Saki, nun schau mich doch nicht so böse an. Ich weiß ja, dass du keine Schuld an Opas Tod hast. Es kam einfach nur furchtbar ungelegen. Meine Mutter mochte den Bauernhof nie“, erklärt sie wieder an Krang gewandt. „Also hat sie ihn nach dem Tod meines Vaters verkauft, samt den Tieren. Von dem Geld hat sie sich eine Weltreise gegönnt, und da konnte sie Saki natürlich nicht gebrauchen. Er ging ja auch schon zur Schule...“ Krangs Denkfalten vertiefen sich, je mehr er hört. Ihre Wortwahl empfindet er ihm besten Fall als zweifelhaft und im schlechtesten einfach nur herzlos. Als Krang dann einen Blick zu Shredder hinüberwirft und dessen mörderischen Gesichtsausdruck sieht, hätte er beinahe etwas gesagt, aber Miyoko kommt ihm zuvor. Sie zieht ein anderes Fotoalbum hervor, schlägt es auf und deutet dann begeistert auf eines der ersten Bilder. „Hier, das sind die Fotos, die mir meine Eltern von Saki geschickt haben. War das nicht ein paradiesisches Fleckchen Erde? All diese Natur! Und die Tiere erst! Und … wo ist es denn...?“ Suchend blättert sie weiter. „Ah ja, da. Das wollte ich euch unbedingt zeigen.“ Krangs Falten, die immer tiefer wurden, glätten sich plötzlich und machen einer gewissen Heiterkeit Platz, als sein Blick auf dieses Foto fällt. Rocksteady neben ihm lacht sogar auf und schiebt das Album dann über den Tisch zu Bebop hinüber. „Beeps, das musst du sehen!“ Zwei Sekunden grinst auch Bebop. Wie könnte er auch nicht? Zeigt das Foto doch einen Saki, der genauso aussieht wie der neben ihm – bis auf ein paar kleine Details natürlich: Die Latzhose auf dem Bild ist braun, nicht blau und das T-Shirt grün und nicht gelb, außerdem trägt er auf dem Foto Gummistiefel und einen Strohhut. Ganz verzagt lächelt er in die Kamera. Er steht auf einer blühenden Sommerwiese, im Hintergrund sieht man einen Wald und einen Schuppen, aber das Wichtigste, das, was alle hier zum Grinsen bringt, das befindet sich auf Sakis Armen: ein rosa-schwarz geflecktes Minischwein. „Das ist Boo“, erklärt Miyoko vergnügt, „die beiden waren unzertrennlich.“ Als Bebop weiterblättert, findet er diese Aussage bestätigt. Fast auf jedem Bild ist auch Boo. Mal sitzt oder liegt Boo neben ihm, mal trägt Saki ihn, und auf einem Foto liegt Boo sogar neben Saki auf dem Bett. Bebop lächelt gerührt, und Shredder verdreht nur die Augen. „Ja und?“ grummelt er. „Ich mag Schweine nun einmal. Sie sind reinlich und hochintelligent.“ Er mag auch Nashörner, aber das verrät er lieber nicht. Es reicht ihm schon, wenn Bebop ihn mit diesen Herzchen in den Augen anblickt. Außerdem... „Boo wurde an den Schlachter verkauft, genau wie alle anderen Tiere auch. Dabei wäre in der Wohnung wirklich genug Platz für Boo gewesen.“ Shredder kann nicht verhindern, dass der alte Groll wieder in ihm hochkocht. Aber wie immer geht seine Mutter einfach darüber hinweg. „In eine Stadtwohnung? Ich bitte dich. Das war unmöglich.“ „Ja, ich erinnere mich“, erwidert Shredder spitz. „Keine Haustiere erlaubt, sagtest du. Seltsam war nur, dass Kazuo die Katze, die er anschleppte, behalten durfte." „Das war etwas völlig anderes.“ „Das sagst du immer. Dadurch wird es nicht wahrer.“ Sie wirft ihm einen durchbohrenden Blick zu, und für einen klitzekleinen Moment zuckt um ihre Mundwinkel dieses hämische Lächeln, das früher oder später immer auftaucht, wenn die Rede auf Boo kommt. Doch dann ist dieses Lächeln verschwunden und sie wechselt das Thema. „Hast du deine Miso-Suppe aufgegessen?“ Shredder schnaubt nur, springt vom Stuhl und eilt ohne ein weiteres Wort aus der Küche. Bebop zögert. Er und Rocksteady wechseln einen unsicheren Blick, doch es ist Krang, der ihm die Entscheidung abnimmt. „Geh ihm nach“, fordert er ihn mit einer ungeduldigen Tentakelgeste auf. „Sonst macht er wieder irgend eine Dummheit.“     Der Kleine ist erstaunlich schnell, wie Bebop feststellt. Und diesmal wird er auch nicht dadurch aufgehalten, dass er stolpert und hinfällt. Er ist weg, als Bebop den Gang entlang eilt. Er versucht es zuerst in Shredders Quartier, doch das ist leer. So überraschend es ist, aber Bebop findet ihn tatsächlich in seinem und Rocksteadys Quartier. Da sitzt er. Auf den Matratzen. Auf demselben Platz, wo er diese und die letzten Nächte geschlafen hat. Er sitzt einfach nur da und blitzt Bebop aus seinen dunklen Augen an. „Was will sie hier?“ beschwert er sich. „Warum hat Krang sie überhaupt hierher geholt? Und wann geht sie wieder?“ Bebop seufzt einmal tief und setzt sich neben ihn, streicht ihm vorsichtig übers Knie. „Ärger dich doch nicht so über sie. Das ist sie gar nicht wert. Wollen wir nicht lieber etwas Spielen? Oder willst du wieder malen? Oder soll ich dir einen Comic leihen?“ Shredder schnieft einmal durch die Nase, funkelt ihn an und schlägt mit der rechten Faust auf die Matratze, dass diese regelrecht hüpft. „Ich will was kaputt machen! Am liebsten dieses Produkt einer Gans, das sich meine Mutter schimpft!“ Auch wenn Bebop das sehr gut versteht, kann er das natürlich nicht zulassen. Er kann aber auch nicht zulassen, dass irgend etwas anderes zu Bruch geht. Es gibt hier nicht viel Zerbrechliches, aber an dem Wenigen hängt er. „Spielen wir Video? Wir haben da so ein Spiel aus der DimensionX, das ist fast wie Street Fighter. Nur mit viel besserer Graphik und mehr Blut.“ Krang hat ihnen das Videospielen zwar verboten, aber Bebop kümmert das im Moment weniger, vor allem, als er sieht, wie sich Sakis Miene bei seinem Vorschlag tatsächlich etwas aufhellt.     Krang bemerkt schnell, dass seine Idee wohl doch nicht so das Gelbe vom Ei war, und das nicht nur, weil das Verhältnis zwischen Shredder und seiner Mutter so eindeutig und absolut gestört ist. Denn weil Miyoko ihren Sohn drei Jahre lang gar nicht selbst aufzog, weiß sie erst ab dem Alter sechs und aufwärts von ihm zu berichten. Und das hilft Krang im Moment nicht gerade viel. Aber auch in dem Zeitraum, wo sie etwas wissen könnte, zeichnet sich die gute Frau nicht gerade durch einen umfangreichen Erfahrungsschatz aus. Eine Mittelohrentzündung da, etwas Bauchweh hier – das ist nicht sehr zufriedenstellend. Dafür erfährt er viel mehr über das Leben, das Miyoko mit ihren beiden Söhnen geführt hat, als er je wissen wollte. Und später wünscht er sich, er hätte es nie erfahren, dann würde er sich nämlich nicht so aufregen! Er ist nur froh, dass Rocksteady schon vor einer Weile gegangen ist – das Rhino hat sich die Fotoalben geschnappt und ist damit zu Bebop geeilt, damit dieser sie sich auch ansehen kann – denn der hätte bestimmt nicht die nötige Ruhe bewahrt. Den Preis für die beste Mutter der Jahres würde Miyoko nicht gewinnen, soviel steht fest. Dafür hat sie sich zu sehr auf sich selbst konzentriert und ihre Kinder zu oft alleine gelassen. Und ständig war sie mit Männern unterwegs, ließ sich von ihnen aushalten, luchste ihnen das Geld aus der Tasche wo es nur ging und verleugnete manchmal sogar ihre Kinder, wenn ihr das nur ein paar Yen mehr verschaffte. „Wessen wurden Sie nochmal angeklagt?“ kann es sich Krang schließlich nicht verkneifen nachzufragen. „Was war es doch gleich? Heiratsschwindel?“ „Konnte nie bewiesen werden“, grinst sie. „Weil ich sie nie geheiratet habe. Ich habe es so gedreht, dass sie mich immer kurz vor der Hochzeit stehen ließen. Meistens – spätestens, nachdem sie von meinen beiden, armen Kindern erfuhren - hatten sie auch noch ein schlechtes Gewissen deswegen und haben mich sogar noch Monate später alimentiert.“ Sie sieht, wie Krangs Mundwinkel abschätzig nach unten sinken und verteidigt sich sofort: „Hey, das waren andere Zeiten damals. Einer alleinerziehenden, alleinstehenden Frau wurde da schnell jegliche Ehre abgesprochen, also, warum sollte ich das nicht zu meinem Vorteil ausnutzen? Ich habe getan, was ich tun musste, um meinen beiden Kindern ein Dach über dem Kopf zu sichern. Ich musste doch diesen Riesenberg an Schulden abarbeiten. Und sie hatten viele Annehmlichkeiten, die sie nie gehabt hätten, wäre ich ständig die kleine, unterbezahlte Büromieze geblieben. Sie hatten Klavierstunden. Sie durften ein Dojo besuchen. Kazuo konnte sogar studieren. Hätte Saki auch gekonnt, aber er wollte ja lieber den Kampfninja spielen. Du lässt ihm übrigens viel zu viel durchgehen, Krang. Der Junge braucht eine strenge Hand. Vor allem jetzt. Du solltest ihn wegschicken. Soll er die Suppe doch selber auslöffeln. Nur so lernt er etwas. Nur so ändert er sich.“ Krang starrt sie für ganze zehn Sekunden nur fassungslos an. „Er ist ein Kleinkind. Wo würde er landen? Wohin soll er denn?“ Sie lächelt so breit, dass es eher wie ein Grinsen wirkt. Ein sehr gemeines Grinsen. „Zu mir. Ins Seniorenheim. Ich nehme ihn gerne ein paar Tage. Ich würde ihn als meinen Enkel ausgeben. All die anderen Hohlköpfe dort geben so viel mit ihren Enkelkindern an, es ist nicht zum Aushalten. Und da meine eigenen Söhne ja anscheinend keine Lust haben, mir diesen einen kleinen Gefallen zu tun und mir endlich Enkelkinder zu schenken … obwohl“, schweift sie nachdenklich ab, „da Kazuo jetzt eine Freundin hat, die mit seinen Dienstzeiten klarkommt, was nur logisch ist, weil sie auch Polizistin ist, könnte es also durchaus sein, dass ich doch bald Oma werde... aber das wäre dann und jetzt ist jetzt“, entschlossen reckt sie das Kinn in die Höhe und kehrt zu ihrem eigentlichen Ansinnen zurück, „und Saki schuldet es mir. Also, leih ihn mir für ein paar Tage aus. Das wird ihm eine Lehre sein, in Zukunft vorsichtiger zu sein.“ Darüber braucht Krang nicht eine Sekunde nachzudenken. „Nein“, entgegnet er bestimmt.     Egal wieviel virtuelle Gegner er zu Brei schlägt, Shredders Nerven beruhigt das nur wenig. Seine Mutter hat diese Wirkung auf ihn. Ihr Anblick allein genügt, um all diese negativen Gefühle in ihm wieder zu wecken, von denen er dachte, er sei ihnen schon längst entwachsen. Und deshalb sind alle seine Sinne in Alarmbereitschaft, und so kommt es, dass er selbst über den Lärm des Videospiels und durch die dicken Wände hindurch hört, wie sich die Tür seines gegenüberliegenden Quartiers zischend öffnet und wieder schließt. Wie von der Tarantel gestochen springt er auf und ist auch schon durch die Tür, bevor Rocksteady und Bebop auch nur begreifen, was los ist. „Mutter!“ Fassungslos steht Shredder auf der Türschwelle, während Miyoko weiterhin ungeniert in seinen Schränken herumstöbert. „Mutter! Raus aus meinem Zimmer! Du hast hier nichts verloren!“ Ungerührt geht sie zum Schreibtisch hinüber und beginnt, nun dort herum zu kramen. „Unordentlich wie immer“, tadelt sie dabei. „Du solltest wirklich mal Aufräumen.“ Entsetzt beobachtet er, wie sich ihre Fingern auf jenen Papierberg zubewegen, unter dem sein Heft mit seinen Haikus liegt. Es ist nur ein Hobby, aber dafür ein sehr Persönliches. „Mutter! Bitte geh!“ Nicht zum ersten Mal verflucht er es, so klein zu sein. Als erwachsener Mann könnte er sie einfach am Arm aus dem Zimmer zerren, aber jetzt bekäme er höchstens ihren Rocksaum zu fassen. In seiner Hilflosigkeit und Verzweiflung reagiert er mal wieder mit einer Kurzschlußhandlung: Er wirft den Controller, den er die ganze Zeit über noch in der Hand hielt. Das kleine Gerät prallt mit einem satten Geräusch von Miyokos Hinterteil ab und plumpst dann zu Boden. Shredders Augen weiten sich unwillkürlich. Er hofft inbrünstig, dass da drin jetzt nichts zu Bruch gegangen ist – das würden ihm Bebop und Rocksteady nämlich nie verzeihen. Miyoko fährt herum, ein ihm nur allzu gut bekanntes und gefürchtetes Funkeln in den Augen, während der Rest ihrer Miene geradezu unbewegt bleibt. Mit raschen, schnellen Schritten eilt sie auf ihn zu. Sie holt mit der rechten Hand aus und - „Echt jetzt?“ Wie aus dem Boden gewachsen steht plötzlich Rocksteady zwischen ihr und ihrem Sohn. Ganz ruhig steht er da, nur die Art, wie fest sich seine Ohren an seinen Kopf pressen, verrät seinen inneren Aufruhr. Bebop hinter ihm hat inzwischen Shredder auf seinen Arm genommen und drückt diesen beschützend an sich. Das alles geschieht so plötzlich, dass Shredder viel zu verwirrt ist, um sich dagegen zu wehren. Miyoko ihrerseits lässt zwar zögernd ihre Hand wieder sinken, aber der mörderische Ausdruck in ihren Augen ändert sich nicht. Stattdessen richtet sich ihr ganzer Zorn nun auf den Mutanten, der zwischen ihr und ihrem Sohn steht. „Misch dich da nicht ein, du Rhino! Das ist etwas zwischen meinem Sohn und mir! Das geht dich gar nichts an!“ „Sie rühren ihn nicht an.“ Aus Rocksteadys Kehle löst sich ein heiseres Grollen. „Es ist mir egal, ob Sie eine Frau sind oder wie alt Sie sind, ich schwöre Ihnen: wenn Sie ihn anrühren, können Sie Morgen früh Ihr Frühstück aus der Schnabeltasse trinken!“ Miyokos dunkle Augen, die denen Shredders so ähnlich sind, wandern von Rocksteady zu ihrem Sohn auf Bebops Arm, dann über Bebops kühle Miene und wieder zurück zu Rocksteady. Um ihre Lippen kräuselt sich ein merkwürdiges Lächeln. „Glückwunsch“, meint sie an ihren Sohn gewandt. „da hast du dir ja zwei richtige Bodyguards herangezüchtet.“ „Mutter.“ Shredder hat endlich seine Fassung wiedergefunden, und er beschließt, dieses Kommentar geflissentlich zu ignorieren. Es würde nur zu noch mehr Streit und Zank führen. „Das hier ist mein Quartier. Bitte betrete es nicht ohne meine Erlaubnis. Wenn du mich gesucht hast: nun, hier bin ich.“ Von einem Moment zum anderen verändert sich ihr ganzes Verhalten. Ihr Lächeln wird weicher und ihre Miene sanfter. Plötzlich passt ihr Benehmen zu ihrer Aufmachung – jetzt ist sie ganz die elegante, wohlerzogene und harmlose Dame, die schon Dutzende von Männern um den kleinen Finger gewickelt hat. „Ich wollte nur mal sehen, wie du so lebst, mein Sohn. Das kannst du deiner alten Mutter doch nicht verdenken.“ Ein Teil von Shredder will ihr glauben, und obwohl ihn die Erfahrung eines Besseren belehrt, verspürt er ein schlechtes Gewissen – vor allem, als sie scheinbar zufällig über ihr Hinterteil reibt, dort, wo er sie getroffen hat. Er war es, der ihren Ausbruch provoziert hat. Er hat sich ihr gegenüber zuerst aggressiv verhalten. „Bleibst du zum Mittagessen?“ fragt er sie deshalb wider besserer Überzeugung. „Und kochst du uns dein Spezial-Sushi?“ „Gerne“, lächelt sie siegesgewiß und geschmeichelt. Auf ihrem Weg Richtung Tür kommt sie an ihm vorbei und nutzt die Gelegenheit, ihm gönnerhaft die Wange zu tätscheln. Bebop und Rocksteady dagegen würdigt sie keines weiteren Blickes mehr. Die drei sehen ihr nach, bis sich die Tür wieder hinter ihr geschlossen hat. Dann mustern die beiden Mutanten ihr geschrumpftes Chefchen mit hochgezogenen Brauen. Der seufzt nur und zuckt mit den Schultern. „Sie ist nun mal meine Mutter“, entschuldigt er sich leise.     In den folgenden Stunden scheint zwischen Shredder und seiner Mutter ein gewisser Waffenstillstand zu herrschen. Jeder der beiden nimmt sich etwas zurück, doch dass das nicht so bleiben wird, ist eigentlich jedem sonnenklar. Das Mittagessen verläuft noch angenehm und friedlich, und Miyoko wird kurzzeitig sogar richtig liebenswürdig – das kann aber auch nur daran liegen, dass ihr alle für ihre Kochkünste ein wohl verdientes Lob aussprechen. Beim obligatorischen „Fototermin“ danach zeigt sie jedoch wieder ihre starrsinnige, ausgesprochen egoistische Seite. Sie besteht darauf, dass Mini-Shredder auf ihrem Schoß sitzen soll. Krang bereut es unverzüglich, diesen Termin nicht einfach auf einen späteren Zeitpunkt verschoben zu haben – vorzugsweise wenn sie nicht mehr hier ist. Das ganze Gezeter geht ihm unheimlich auf die Nerven. Es ist einer dieser seltenen Momente in Krangs Dasein, wo er sich wegen seiner untypischen Kurzsichtigkeit selbst mit den Tentakeln schlagen könnte – eigentlich wollte er Shredder nur ein bisschen ärgern. Ein Foto von ihrer kleinen „Familie“ inklusive Miyoko – damit hätte er etwas, womit er Shredder ewig triezen könnte. Was er aber definitiv nicht provozieren wollte, das ist dieser Kleinkrieg, der hier plötzlich zwischen den Mutanten und Miyoko ausbricht. Denn anders als Shredder, der bereit ist, sich den Forderungen seiner Mutter zu beugen (wenn auch zähneknirschend), sehen Rocksteady und Bebop ums Verrecken nicht ein, wieso sie „ihren“ Saki-chan jetzt hergeben sollen. „Ich bin seine Mutter“, stellt Miyoko zum gefühlt tausendsten Male in den letzten drei Minuten klar. „Und jetzt kümmern wir uns um ihn“, kontert Rocksteady unbeeindruckt. „Ihr habt ihn schon die ganze Zeit“, lamentiert sie, während sie Saki, der auf ihren Knien sitzt, ganz fest hält. „Und ihr habt ihn auch morgen. Und übermorgen. Und die ganze Woche. Das ganze Jahr! Ich habe ihn nur heute. Seid nicht so egoistisch. Es geht doch nur um ein Foto.“ Mit diesen Worten zieht sie Shredder an ihre Brust und herzt und busselt ihn ausführlich. Shredder rollt nur gequält mit den Augen, sagt aber nichts. Krang macht dem ganzen Theater schließlich ein Ende. „Hört auf euch wie Babys zu benehmen! Ich mache ausnahmsweise einmal drei Fotos, dann kann Saki bei jedem von euch auf dem Schoß sitzen. Zufrieden?“ Sie sind zufrieden. Nun ja, fast. „Oh, Krangchen“, flötet Miyoko und schenkt ihm ein süßes Lächeln, „ich will noch ein Foto. Eines, worauf nur ich und mein Sohn zu sehen sind. Und ich will es noch heute mitnehmen.“ „Wozu?“ entfährt es Shredder. Zärtlich streicht sie ihm übers Haar. „Ich will es natürlich immer bei mir tragen. Du bist mir wichtig.“ Shredder mustert sie mit gerunzelter Stirn. „Sie will mit dir angeben“, klärt Krang die Lage freundlicherweise auf. „Sie will dich als ihr Enkelkind ausgeben, damit sie vor all den anderen stolzen Omas und Opas im Seniorenheim nicht mehr so enkellos dasteht.“ Miyoko nickt, doch dann begegnet sie Shredders grimmigen Blick und ihre Miene verhärtet sich. „Du schuldest es mir, mein Sohn“, erklärt sie streng und in diesem Tonfall, der keinen Widerspruch duldet. „Ich wünsche mir Enkel. Das ist nur natürlich. Aber dein Bruder und du, ihr denkt nur an euch. Du schreibst mir noch nicht einmal. Da ist so ein Foto nicht zu viel verlangt. Oder...“ sie zögert, und in ihre Augen schleicht sich ein lauerndes Glitzern, „...würdest du mich begleiten? Damit ich dich persönlich vorstellen kann? Wir könnten Zeit miteinander verbringen. Zu dem Heim gehört auch ein kleiner Kinderspielplatz.“ Nur das nicht! „Nein!“ Abwehrend hebt Shredder die Hände und zerbricht sich den Kopf über eine plausible Ausrede. Krang kommt ihm zu Hilfe. „Ich wiederhole mich nur ungern, Miyoko“, schnarrt das Alien, „aber wie ich Ihnen schon vorhin mitgeteilt habe: Saki hat Stubenarrest. Er wird das Technodrome nicht verlassen. Aber -“, setzt er im selben Atemzug besänftigend hinzu, „Sie bekommen Ihr Foto.“ „Ja“, nickt Shredder und tätschelt ihr etwas linkisch den rechten Oberarm, während er gleichzeitig versucht, eine bedauernde Miene zu ziehen. „Es tut mir leid, Mutter.“ Miyoko schürzt die Lippen und senkt den Kopf. Ob ihre Enttäuschung echt oder nur gespielt ist, kann selbst Shredder nicht beurteilen, aber seine Erleichterung ist echt, als sie schließlich diesen langen Seufzer ausstößt und dann ein zustimmendes Murmeln von sich gibt. Und ganz plötzlich tut sie ihm leid. Er beschließt, auf den Fotos sehr süß zu lächeln und die restlichen Stunden, die sie noch hier ist, ganz besonders lieb zu ihr zu sein.     Krang ist verdammt genervt, als er, in einem Tentakel den Umschlag mit den versprochenen Fotos haltend, die Kommandozentrale wieder betritt. Er betrachtet die Fotoentwicklung als eine Art Kunstform, bei der er sich ungern hetzen lässt. Nur blieb ihm heute nichts anderes übrig, wenn er ihren Gast noch vor dem Abendessen wieder loswerden will. Und das ist wohl auch bitter nötig – wie er mit tiefen Sorgenfalten feststellen muss, als die schalldichte Tür vor ihm zurückgleitet und ihm sofort Miyokos scharfe Stimme entgegen schallt. „... nicht gerade die hellsten Kerzen auf dem Leuchter!“ Sie steht mitten im Raum, die Hände in die Hüften gestemmt und funkelt die beiden Mutanten von oben herab an. Was eine ziemliche Kunst bedeutet für jemanden, der gut anderthalb Köpfe kleiner ist, so wie sie. „Sie machen das ganz ordentlich, Mutter“, erklärt Shredder von Rocksteadys Arm aus. Doch sie schnaubt nur verächtlich. „Das bezweifle ich, mein Junge.“ „Bezweifle doch, was du willst. Ich sehe keinen Grund zur Klage.“ Mit diesen Worten kuschelt sich Shredder fester an Rocksteady an. Bei diesem Anblick verengen sich Krangs Augen unwillkürlich. Ist das Instinkt, oder will er seine Mutter damit bewusst provozieren? „Worum geht es hier?“ verlangt er scharf zu wissen, während er den Raum endgültig betritt. Er hält direkt auf Miyoko zu und überreicht ihr das Kuvert mit den Umschlägen, doch sein Blick wandert streng zwischen Bebop, Rocksteady, Shredder und Miyoko hin und her. „Sie meint, wir wären kein guter Umgang für unser Chefchen“, antwortet Rocksteady erbost, woraufhin ihm Shredder beruhigend über die Wange streichelt. Und auch Bebop, der direkt neben Rocksteady steht, berührt diesen besänftigend am Arm. „Wir können sehr wohl sehr gut mit Kindern umgehen“, erklärt Bebop dann an Miyoko gewandt. „Ist doch egal, was sie denkt. Ich finde, ihr macht das großartig.“ Shredder schenkt seinen Mutanten ein ehrliches, offenes Lächeln. Krang betrachtet ihn einen Moment fasziniert. Wenn der Junge so lächelt, wird selbst ihm ganz warm ums nicht existente Herz. Er kann gar nicht anders, als automatisch zurückzulächeln, auch, wenn dieses Lächeln gar nicht ihm gilt. Miyoko entgeht das genauso wenig wie die Reaktion der beiden Mutanten, die bei dem Lächeln ihres Sohnes nicht nur ruhiger, sondern deren ganze Ausstrahlung auch sofort viel weicher werden. Das hat er schon immer so gemacht, und es regt sie heute noch genauso auf wie damals. „Sei bloß vorsichtig“, wendet sie sich daher mit einem betont freundlichen Unterton direkt an Bebop. „Oder willst du enden wie sein letzter schweinischer Freund? Mein Sohn hat nämlich kein Problem damit, sich seine sogenannten tierischen Freunde bei Gelegenheit einzuverleiben.“ Shredder wirft ihr einen verständnislosen Blick zu und runzelt gleichzeitig die Stirn, während er noch versucht, hinter den Sinn ihrer Worte zu kommen. Alles, was er weiß, ist, dass jetzt eine riesige Gemeinheit aus ihrem Mund kommen wird. Aber mit dem, was sie dann sagt, hat er nie im Leben gerechnet. „Oh, Saki, bitte“, erklärt sie in Hinblick auf sein verdutztes Gesicht süffisant, „willst du wirklich behaupten, du hast das bis heute nicht begriffen? Na, dann werde ich deinem Gedächtnis mal auf die Sprünge helfen. Erinnerst du dich an dem Tag, als ich dich wieder zurücknahm, zu mir und deinem Bruder? Dein Willkommensessen? Das Katsu Don, das dir so gut geschmeckt hast, dass du sogar eine weitere Portion haben wolltest?“ Shredders Stirnrunzeln vertieft sich. Natürlich erinnert er sich daran. Sehr gut sogar. Es ist eine der wenigen guten Erinnerungen seiner Kindheit, eine, die ihm immer etwas Hoffnung schenkte. Denn dass seine Mutter ihm zu Ehren so etwas Gutes kochte, konnte doch nur bedeuten, dass sie ihn trotz allem immer noch liebte. Oder? Miyoko macht eine kleine Kunstpause, bevor sie dann ganz bewusst jene Bombe zündet, deren Platzen sie sich jahrzehntelang für eine Gelegenheit wie diese hier aufgespart hat. „Das war niemand geringeres als dein geliebter Boo. Du hast deinen besten Freund gegessen.“     „Sweetie.“ Der Kosename rutscht ihm heraus ohne dass er darüber nachgedacht hat. Zögernd legt Bebop seine Hand auf die Decke, dort, wo er Sakis Rücken vermutet. „Sie ist fort. Du kannst rauskommen.“ Und ob sie fort ist! Krang hat sie so schnell durch das Portal geschickt, dass sie gar nicht wusste, wie ihr geschah. Eigentlich erstaunlich, wenn man bedenkt, wie knauserig Krang mit der Teleporterenergie ist – aber andererseits haben sie ihn selten so wütend erlebt. Nicht einmal, wenn sie wieder einmal einen seiner Welteroberungspläne verbockt hatten, war er je so purpurrot gewesen vor Wut. Saki-chan hat sich tapfer gehalten, kein Wort hatte er gesagt, nur seine Miene blieb völlig starr, als er von Rocksteadys Armen rutschte und ohne sich umzudrehen aus der Kommandozentrale verschwand. Es dauerte eine Weile, bis sich Rocksteady und Bebop aus ihrer Schockstarre befreiten, so lange, dass sie noch mitbekamen, wie Krang Miyoko aus dem Technodrome verbannte, aber dann eilten sie ihrem geschrumpften Chefchen sofort hinterher. Zuerst haben sie natürlich mal wieder falsch gesucht, nämlich in seinem Quartier. So haben sie wieder wertvolle Sekunden verloren, in denen sie ihn schon hätten trösten können. Unter der Decke schluchzt es unbeirrt weiter. Bebop schluckt einmal schwer und wirft Rocksteady, der auf der anderen Seite dieses Deckenbündels hockt, einen hilflosen Blick zu. Aber dieser fühlt sich offensichtlich genauso hilflos wie er. „Sweetie, bitte. Hör doch auf zu weinen.“ Zögernd zupft Bebop an der Decke. Zentimeter für Zentimeter kommt so der kleine Junge darunter zum Vorschein. Er hat sich ganz klein zusammengerollt und presst das Gesicht fest in die Kissen. Ein Anblick, der den beiden Mutanten tief ins Herz schneidet. Rocksteady seufzt nur tonlos und streicht ihm durch das zerzauste Haar. Diese sich stetig wiederholende, zärtliche Berührung scheint den Jungen tatsächlich zu beruhigen, denn nach einer Weile verebben seine Schluchzer und er beginnt, sich zu regen. „Ich wusste es nicht“, murmelt er so leise mit tränenerstickter Stimme ins Kissen, dass sie Mühe haben, ihn zu verstehen. „Sie versprachen mir, dass alle Tiere es gut haben würden. Erst zu meinem zwölften Geburtstag sagte mir meine Mutter, dass sie in Wirklichkeit geschlachtet wurden. Aber ich bin nie - nie! - auf den Gedanken gekommen, dass sie mir Boo vorgesetzt hat. Ich weiß, dass sie Kazuo immer mehr mochte als mich, aber dass sie so gemein sein kann...“ Er holt einmal tief und zitternd Luft, bevor er sich langsam in eine sitzende Position aufhievt. An seinen Wimpern und auf seinen Wangen glitzern noch Tränen, und zumindest die auf seinen Wangen wischt Bebop liebevoll mit seinen großen Fingern fort. Weder er noch Rocksteady wissen, was sie darauf antworten sollen. Jedes ihrer Worte hätte absolut hohl und belanglos geklungen im Vergleich zu den Schmerzen, die sie in ihrem Herzen verspüren, ihr Chefchen so unglücklich zu sehen. „Ich wusste es nicht!“ ruft Saki plötzlich aus, und seine kleinen Fingerchen greifen nach Bebops Handgelenken. „Wirklich nicht! Bitte glaubt mir das! Ich würde nie meine Freunde essen! Ich würde nie euch essen!“ „Das haben wir auch nie angenommen“, brummt Rocksteady, während er ihm wieder durchs Haar streicht. „Ich würde euch nie … niemals...“ „Das wissen wir, Sweetie.“ Mit diesen Worten zieht Bebop ihn auf seinen Schoß und umarmt ihn ganz fest. Shredders nächste Worte werden zwar durch Bebops Weste gedämpft, aber sie sind trotzdem gut zu verstehen: „Ich hab euch doch lieb.“     Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)