Behind Reality von Ookami-no-Tenshi (Hinter der Wirklichkeit) ================================================================================ Kapitel 6: 6. Vergangenheit --------------------------- 6. Vergangenheit Vereinzelte Tropfen rinnen von meinem völlig durchnässtem Haar über mein Gesicht, während ich nervös meine Finger knete. Ich weiß ja nicht, was Sam jetzt genau von mir hören will. Er sagte, er möchte mich besser kennen lernen. Heißt das jetzt, dass ich ihm von meinem richtigen Leben erzählen soll? Ganz sicher bin ich mir nicht, was der Blonde erwartet. „Weißt du was? Wir machen’s mit Frage/Antwort, ja? Also dann fange ich an. Hast du Eltern, eine Familie?“ Komische Frage, denke ich mir. Aber na gut. „Ja ich hab Eltern, die sind nur fast nie zu Hause. Außerdem gibt es da noch meine drei jüngeren Geschwister, die…“ „Was, du hast drei Geschwister? Wie cool!“, unterbricht Sam mich plötzlich. „Cool? Ich würde sie eher als nervig beschreiben und laut, sehr laut.“ „Ach was, Geschwister sind doch das Schönste, was es gibt auf der Welt. Im Notfall sind sie immer für dich da, du kannst mit ihnen über alles reden. Sie kennen deine Geheimnisse, deine Wünsche und alle deine Gedanken.“ Sam ist komplett in seiner Aufzählung versunken und schaut mit halb geschlossenen Augen auf einen unbestimmten Punkt auf dem Boden. Sein melancholisches Lächeln rundet das gesamte Bild ab und lässt eine traurige Stimmung entstehen. „Hast du auch Geschwister?“, frage ich fast flüsternd und habe schon eine ungute Vorahnung. „Ich hatte einen Bruder, vor langer Zeit. Er war nur knapp zwei Jahre älter, als ich selbst und trotzdem fühlte es sich immer an, als würde er mich beschützen, wie ein Erwachsener.“ Nicht ganz sicher, ob es nicht unhöflich ist zu fragen, öffne ich meinen Mund erneut. „Was ist mit ihm passiert?“ „Er wurde erschossen. Vier Jahre ist das nun her. Eine defekte Alarmanlage war daran Schuld, jedenfalls versuche ich mir das einzureden. In Wirklichkeit bin nur ich selbst zu unaufmerksam gewesen, weshalb er sterben musste.“ Kurz verschnauft Sam und ich kann in seinen Augenwinkel Tränen glitzern sehen, was für den Blonden gänzlich untypisch ist. „Weißt du, unsere Eltern starben schon früh, bei einem Autounfall und wir hatten nur noch Einander. Unser letzter Verwandter, irgendein Großonkel, hat uns Beide zur Adoption freigegeben, da er keine Lust darauf hatte, uns mit durchzufüttern. Damals war ich erst sechs Jahre alt und es fand sich bald ein Paar, das interessiert war. Jedoch wollten sie nur mich mitnehmen, nach Kanada, weit weg von Jonny. Wir beschlossen deshalb zusammen abzuhauen, also schlichen wir uns mitten in der Nacht davon und kamen bei einer der berüchtigtsten Diebesbanden von Texas unter. Überall werden sie nur „Shadow“ genannt, da sie im Schatten auftauchen und verschwinden. Jonny, mein Bruder, arbeitete sich schnell hoch und wurde bald einer der besten Meisterdiebe Texas, die rechte Hand des Anführers. Er hätte auch selbst Anführer werden können, wenn er es nur gewollt hätte, aber so viel Verantwortung zu haben, interessierte ihn nie. Auch ich wurde ausgebildet. Mit meinen Pistolen bin ich nach wie vor ungeschlagen. *grins* Jedenfalls war da dieser eine Auftrag, eigentlich nichts Besonderes, nur ein kleiner Banküberfall. Unsere Kasse war leer und wir mussten sie wieder auffüllen. Mein Bruder leitete den Diebeszug und ich wollte unbedingt mit. Wäre ich doch bloß im Versteck geblieben… ~~Flashback~~ Wie immer springen wir lautlos über die Dächer und bleiben unsichtbar in der von Jonny vorgeplanten Formation, die er uns tagelang eingetrichtert hat. Wenn es um die Sicherheit der Gruppe geht, kann er schon Furcht einflößend werden. Bei dem Gedanken schleicht sich ein kleines Lächeln in mein Gesicht. Ja so ist er eben, mein braunhaariger Bruder, und ich bin stolz auf ihn. Erst vor wenigen Minuten haben wir unser Versteck in dem leer stehenden Industriegebäude verlassen. Das noch nie jemand darauf gekommen ist, dort nach uns zu suchen, ist ziemlich dämlich, aber die Polizei ist auch nicht unbedingt schlau. Jedenfalls kommt es mir so vor. 23 Leute zwischen 9 und 26 Jahren, so viele sind wir mittlerweile und es gibt Spezialisten für jedes Gebiet in unserer Bande. Hacker, Computerfreaks, Messerkünstler, Tresorknacker, Waffenspezialisten, und so weiter. Für jede Mission werden die Passenden ausgewählt. Es ist ein Privileg, bei einem Raubzug dabei zu sein, denn wir sind alle eine große Familie. Auf die Schwächeren wird aufgepasst, während die Stärkeren kämpfen und hier will keiner zu den Schwachen gehören. In der Dunkelheit erkennt man die Reflexion des Mondes auf den Fenstern. Team A bekommt ein Handzeichen und dreht daraufhin leise die Schrauben an mehreren Fensterrahmen heraus und entfernt in Sekundenschnelle jegliches Hindernis. Die Metallgitter werden mit eigenen Geräten durchgeschnitten. Während Gruppen C und D sich auf den umliegenden Dächern platziert, stürmt Gruppe B, in der sowohl ich, als auch mein Bruder sind, das große, mattgraue Gebäude. Drinnen werden wir erneut aufgeteilt. Mein Teil sichert die Gänge und legt das Alarmsystem lahm und Jonnys räumt den Tresor aus. Zwei Jungs begleiten die erst zwölfjährige Mandy zur Zentrale im Erdgeschoss. Sie könnte wohl auch die ganze Stadt lahm legen, wenn sie nur wollte. Alles verläuft glatt und jeder von uns bezieht Stellung auf einem anderen Gang. Es bleibt ruhig, bis plötzlich wie aus dem Nichts ein, mit Waffen ausgerüsteter, Wärter auftaucht. Er steuert direkt auf mich zu und aus Reflex weiche ich einen Schritt zurück. Als ich die Situation endlich realisiere, schieße ich dem ausgewachsenen Mann direkt vor die Füße, sodass er abstoppen muss. Der Schuss soll auch eine Warnung an die Anderen sein. Mit einem gezielten Schlag, pfeffere ich meine Pistole über seinen Schädel und der Riese geht ächzend zu Boden. Eine der Grundprinzipien bei uns ist, dass wir niemanden umbringen, egal wie schlecht es um uns steht. Erleichtert, dass er wohl bewusstlos ist, drehe ich mich wieder um und kann so erst im letzten Moment ausweichen, als er erneut zuschlägt. Dieser Mistkerl hat sich nur Ohnmächtig gestellt. Sein Schlag geht aber keineswegs ins Leere und er trifft den verglasten Alarmknopf, was eigentlich kein Problem sein sollte, aber zu meinem Erstaunen schrillt plötzlich wirklich ein heller Ton durch das gesamte Gebäude. Wie ist das Möglich? Mandy hat den Alarm doch deaktiviert. Die Erkenntnis trifft mich wie ein Schlag in die Magengrube und mir wird klar, dass wir uns auf der Stelle zurückziehen müssen. Das Kommando meines Bruders folgt im selben Moment. Ein kurzer Pfiff durch unsere WalkiTalkis und alle springen davon. Auf dem Dach, in Sicherheit, angekommen, fällt uns auf, dass ein Junge namens Roger sich noch immer im Gebäude befinden muss. Ohne zu überlegen springt Jonny wieder nach unten. Völlig von der Angst um meinen Bruder eingenommen blicke ich auf die Stelle, wo er gerade noch stand. Erleichterung macht sich in mir breit, als sein brauner Schopf nach unendlich scheinenden Minuten wieder im Fensterrahmen auftaucht. Zuerst wirft er den etwas schmaleren Roger fast aus dem Fenster, wo dieser von den Anderen aufgefangen wird. Als er jedoch selbst springen will, kommt schon eine Horde Polizisten den Gang entlang und fast synchron zücken sie ihre Waffen. Ich strecke meine Hand aus, um nach Jonnys zu greifen. Die nächsten Minuten, oder sind es nur Sekunden, vergehen für mich wie in Zeitlupe. Mein Bruder lächelt, stößt mich dann fort und rennt in Richtung der wütenden Männer, die das Feuer schon eröffnet haben. Sie scheinen nur ihn zu fixieren und uns gar nicht zu sehen. Ich höre einen Schrei, er kommt von Jonny. Aus unzähligen Wunden auf seinem Körper schießen Ströme von Blut und er bricht zusammen. Ich möchte schreien, zu meinem Bruder hinlaufen, den ich so liebe, doch es bleibt mir verwehrt. Durch meine tränenverschleierten Augen bekomme ich nicht einmal mit, wer es ist, der seine Hand auf meine Lippen presst und mich hochnimmt und davon springt. Meine kraftlosen Versuche mich dagegen zu wehren, verändern nichts an der Tatsache, dass wir uns von Jonny wegbewegen, meinem Jonny, allem, was ich noch habe. ~~Flashback Ende~~ … Später erfuhr ich, dass es ganze fünf Jungs gebracht hat, um mich in dieser Situation ruhig zu halten. Jonny hat sich geopfert, damit wir unbeschadet zurück kommen. Noch tagelang habe ich nur geweint und niemanden an mich heran gelassen, bis mir der Satz einfiel. Dieser eine Satz, den mein Bruder mir tagtäglich eingetrichtert hat. ‚Weißt du Sam, Menschen sind wie Spiegel, wenn du ihnen ein Lächeln schenkst, bekommst du ein Lachen zurück und wenn du die Leute, die dir am Herzen liegen zum Lachen bringst, wirst du am Ende nichts bereuen!‘ Danach habe ich angefangen, mein Leben so zu leben, dass Jonny stolz auf mich sein würde. Sein Tod sollte nicht umsonst gewesen sein. In der Diebesbande nahm ich seinen Platz, als rechte Hand und zweiter Anführer, ein. Ich habe es sogar geschafft, dass Mandy sich nicht mehr die Schuld am Tod meines Bruders gibt. Dabei gebe ich sie mir selbst immer noch, wäre ich doch bloß aufmerksamer gewesen. Kurz dachte ich daran, Jonny zu rächen, an den Polizisten, die zuerst schossen und danach erst ihr Hirn eingeschaltet haben, aber das würde er nicht wollen und so schwor ich mir, seine Botschaft an mich, an die ganze Welt weiterzugeben und auch selbst nach diesem Prinzip zu leben.“ Nach dieser Geschichte brauche ich erst einmal ein paar Minuten, um das Gehörte zu verdauen. Das ist also der Grund, weshalb Sam sich wie ein Kind benimmt und damit oft nur ein Schmunzeln dafür erhält? Wenn ich so darüber nach denke, muss ich wirklich zugeben, dass diese Einstellung ihn selbst und seine Mitmenschen sicher schon oft vor der Verzweiflung gerettet haben muss. Grundlegend ist es ein schöner Gedanke und Sam hat schon genug von der Grausamkeit dieser Welt gesehen, um zu wissen, dass man viel zu oft machtlos ist, gegen das Schicksal. Es zeugt von immenser Kraft und Willensstärke, dabei ein Lächeln zu bewahren. Erst jetzt wird mir klar, wie Stark der blonde Junge doch eigentlich ist, obwohl es ihm anfangs niemand ansehen würde. „Nun aber Mal zu was Lustigerem. Die Stimmung ist viiiiieeeel zu tief hier!“, ruft Sam plötzlich völlig unpassend aus und ich kann einfach nicht anders, als mein zuerst ziemlich verdutztes Gesicht in ein Lachendes zu verwandeln. Obwohl es sicher komisch wirkt in dieser Situation, ist es genau das, was wir beide jetzt brauchen. Sam stimmt mit ein und so sitzen wir noch bis zur Nacht lachend beieinander. Irgendwie ist es eine Ironie, nicht wahr? Der, der am meisten Grund zum Weinen hätte, lacht lieber und andere Menschen quengeln schon herum, weil ihnen etwas vollkommen Unwichtiges nicht in den Kram passt. Nachdem die Sonne untergegangen ist, machen wir Beide uns auf den Weg, die Anderen wieder zu finden. In der Zwischenzeit habe auch ich etwas von mir erzählt, was weniger spannend war, doch Sam wollte es unbedingt wissen. Ich glaube er hätte viel lieber so ein 0815-Leben, wie ich. Leise steht der Junge neben mir auf und blickt die Fassade des alten Hauses hinunter. Dabei fällt mir auf, dass der einfache Druckverband um sein Bein fast vollständig durchgeblutet ist. Dass er überhaupt noch stehen kann, ist ein Wunder. „Um Himmels Willen, wieso hast du nichts gesagt?“ „Was? Ach so, die Wunde meinst du? Da hatte ich schon Schlimmeres, jetzt komm.“ Ich habe überhaupt keine Möglichkeit mehr, zu widersprechen, weil der Blonde mich schon mit einer Hand um den Bauch gepackt hat und uns beide in einem Affentempo herunter lässt. Ich finde nicht einmal die Zeit zum Schreien, als wir Beide schon mit einem Bauchklatscher im Taille-hohen Wasser gelandet sind. Wie nicht anders zu erwarten, lacht Sam sich schlapp dabei, während ich nur hustend versuchen kann, das Wasser aus meiner Lunge zu bekommen. Mir kommt es so vor, als würden wir nun schon ewig, ziellos umher irren, als mein Partner mich plötzlich in den Schatten eines kleinen Cafés zieht, das hier vermutlich einmal war. Zwei junge Frauen und ein etwa gleich alter Mann unterhalten sich gerade, nicht weit von uns entfernt. „Aber ich habe sie gesehen! Es waren Fremde hier, dieses Mal bin ich mir ganz sicher. Es war mehr als nur ein Schatten, ich habe ihnen in die Augen geblickt!“ Dabei reißt das Mädchen ihre Augen weit auf und zeigt mit ihrem Finger auf diese. „Ach komm schon Lux, du hast vermutlich nur wieder geträumt. Da war niemand, wie immer!“, meint der Mann seufzend und dreht ihr den Rücken zu. Das zweite Mädchen legt tröstend ihre Hand auf die Schulter des Ersten. „Keine Sorge, auch wenn hier jemand Fremdes ist, bis zu uns kommen sie nie durch. Davor werden sie von den Teufelsschlangen infiziert.“ Immer noch leicht zerknirscht klettert die junge Frau nun hinter ihren Kollegen die Wand des nächsten Hauses geschickt hoch und verschwindet mit Ihnen aus unserem Sichtfeld. „Na wenigstens wissen wir, dass die Anderen hier waren“, meint Sam leise zu mir und grinst. „Das mit den TEUFELSschlangen hast du wohl überhört, oder was?“ Skeptisch beäuge ich den Verletzten. „Noch ist das ja nicht wichtig“, sagt dieser nur. Nein, Schlangen, die hier im Wasser rum schwimmen und uns nur zu gerne mit irgendetwas tödlichem infizieren wollen, sind überhaupt nicht der Rede wert, wie konnte ich nur so falsch denken! Mein Sarkasmus ist auf 180 hochgefahren, wie eigentlich immer, wenn ich vor mir selbst vertuschen will, dass ich riesige Angst habe. Ich hoffe wir finden die anderen Wespen schnell! To be continued… Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)