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I still miss you

~ even after all those years ~
von

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Revelations

„Bis morgen!“ Karyu grinste, winkte im Hinausgehen seinen Kollegen zu und machte sich dann schleunigst daran, das Studio zu verlassen. Beim Blick auf seine Armbanduhr wandelte sich sein Grinsen jedoch zu einer kleinen Schnute. Verdammt, Kirito wusste doch, dass er sich schon seit Tagen auf den heutigen Abend freute und eigentlich nicht hatte zu spät kommen wollen. Daraus wurde jetzt wohl nichts mehr. 
 

„Tschö~ Jungs! Karyu, warte!“, rief Giru, während ein weiteres Mal die Studiotür ins Schloss fiel und Kiritos Stimme mitten im Satz abschnitt. Nachdem der andere von ihrem Leader gerade aber nur zum gefühlt hundertsten Mal am heutigen Tag daran erinnert worden war, dass sowohl er als auch Karyu morgen um elf wieder antanzen mussten, störte Giru diese kleine Unhöflichkeit wohl ausnahmsweise mal so gar nicht. Somit rollte sein Kollege auch nur kopfschüttelnd mit den Augen und holte dann zu ihm auf.

„Alter Sklaventreiber“, brummte Giru, wie Karyu wusste, nicht ganz ernst gemeint und schlug ihm im nächsten Moment auch schon wieder gutgelaunt leicht gegen die Schulter. „Also merk's dir, morgen um elf.“

 

„Schreib's mir lieber auf. Ich glaub, ich hab's schon wieder vergessen. Weißt schon, das Alter und so“, stieg er also in die kleine Blödelei mit ein, was den anderen kurz auflachen ließ, und eilte hinter ihm die Stufen zur Tiefgarage hinunter.
 

Trotz seiner flapsigen Erwiderung musste Karyu zugeben, dass er sich selbst nach all den Jahren noch immer nicht daran gewöhnt hatte, alle Entscheidungen, die Band betreffend, jemand anderem zu überlassen. Auch wenn er sich zum Schluss den Posten des Leaders mit Tsukasa geteilt hatte, war es doch trotzdem er gewesen, der sich mit dem Management und dem Label auseinandergesetzt hatte. Vor allem aber war er es gewesen, der sich sämtliche Termine hatte merken müssen. Aber neben der Tatsache, dass Kirito gern mal vergaß, dass er genau wusste, was ein Bandleader zu leisten hatte, ignorierte dieser auch meist den Fakt, dass sein Hirn sehr wohl über Jahre darauf getrimmt worden war, sich simple Studiotermine zu merken. Nicht zuletzt deswegen betete ihm Kirito diese wohl auch in schönster Regelmäßigkeit vor. In solchen Momenten hatte auch Karyu, genau wie Giru eben, meist nur ein heimliches Augenrollen für den perfektionistischen Sänger übrig. Allerdings nahmen Kiritos Bevormundungen und Nörgeleien in letzter Zeit wirklich überhand. Bevor er sich seine gute Laune jedoch von so einer Nichtigkeit verhageln lassen würde, widmete er sich lieber wieder seinem Gitarristenkollegen und der Frage, die ihn schon interessierte, seit dieser vorhin kurz hinter ihm das Studio verlassen hatte.
 

„Wie hast du ihn eigentlich dazu gebracht, dich jetzt schon gehen zu lassen?“, hakte Karyu also ehrlich interessiert nach, hatte er selbst sich doch eben fast glücklich geschätzt, nur mit einer halben Stunde Verspätung das Weite suchen zu können. Vor allem, weil die anderen gerade noch nicht den Anschein erweckt hatten, in den nächsten Stunden Schluss zu machen.
 

„Ich hab ein Date!“, trällerte Giru, übers ganze Gesicht grinsend und ziemlich glücklich wirkend. „Und ich hab zu Kirito gemeint, wenn er mich nicht gehen lässt, bin ich morgen unausstehlich und nicht zu gebrauchen.“
 

„Nette Taktik, die muss ich mir merken“, stellte Karyu leise lachend fest und schlüpfte durch die schwere Metalltür der Tiefgarage, die Giru gerade für ihn offenhielt. „Dein Date ist nicht zufällig die kleine Blondine, die dir letzte Woche in der Bar schöne Augen gemacht hat?“, erkundigte er sich neugierig und wackelte vielsagend mit den Augenbrauen.
 

„Ge~nau die.“
 

„Das ging ja schnell.“

 

„Wer kann, der kann!“ Giru warf sich in seine beste Angeberpose. „Kannst mir aber gern die Daumen drücken“, setzte er dann doch deutlich weniger selbstbewusst und fast etwas kleinlaut nach. „Ich glaub, mich hat's total erwischt.“
 

Karyu stutzte kurz. So viel Offenheit in Gefühlsdingen war er, zumindest in den letzten Jahren, einfach nicht mehr gewohnt, zuckte dann aber nur mit den Schultern.
 

„Na klar doch“, versprach er und hob demonstrativ seine zu Fäusten geballten Hände. „Dann mal viel Erfolg heute Abend.“ Er grinste vielsagend, winkte kurz und lief dann zu seinem Wagen hinüber, wurde aber auf halber Strecke von Girus Stimme noch einmal aufgehalten. 

 

„Du Karyu, kommt Tsukasa jetzt eigentlich auch?“

 

„Ehm, soweit ich weiß, hat er sich freischaufeln können, ja“, erwiderte er lächelnd und erinnerte sich daran, wie enttäuscht er Anfang der Woche gewesen war, als Tsukasa meinte, er wäre wegen seinem Enka Projekt ausgerechnet heute nicht in Tokyo. Kein Wunder also, dass er sich riesig über dessen Nachricht gefreut hatte, die gestern Abend unerwartet eingetrudelt war. Auch wenn diese, typisch Tsukatchi eben, flapsig und sehr kurz ausgefallen war, hatte sich ein ‚Bin doch dabei!‘ noch nie so gut angehört.
 

„Hey, alle vier mal wieder auf einem Haufen. Das kann ja was werden.“
 

„Davon kannst du ausgehen“, erwiderte Karyu leise in sich hineinlachend. „Es ist wirklich schon viel zu lange her.“

 

„Dann viel Spaß und treib's mal nicht zu bunt … Oder doch, treib's bunt, dann fällt's nicht auf, wenn ich morgen nicht ganz bei der Sache bin.“ Giru grinste frech, winkte ihm noch einmal zu und ging nun selbst beschwingt zu seinem Auto hinüber.
 

„Danke, dir auch!“, rief Karyu, schon halb im Auto sitzend zum Abschied und setzte weitaus leiser und nur für sich nach: „Den werde ich bestimmt haben.“ Mit einem unbestimmten Flattern im Magen zog er die Wagentür zu und stöpselte erst einmal sein Handy in die Freisprecheinrichtung. Immerhin rechnete er schon damit, dass sich Hizumi spätestens in zehn Minuten melden würde, um sich nach seinem Verbleib zu erkundigen.
 

Den Motor startend ließ er das Seitenfenster hinab und steckte sich eine wohlverdiente Feierabendzigarette an, bevor er langsam hinter Giru her durch die Tiefgarage und die Rampe nach oben fuhr. An der Oberfläche angekommen hupte sein Kollege zweimal kurz zum Abschied – na, da war heute aber wirklich jemand übermütig. Grinsend streckte Karyu die Hand aus dem geöffneten Fenster, winkte und bog dann in die entgegengesetzte Richtung ab.
 

Kaum fünf Minuten später verwarf er seinen ursprünglichen Plan, der darin bestanden hätte, noch nach Hause zu fahren, um sich etwas Legereres anzuziehen. Tokyos Straßen waren natürlich auch heute notorisch verstopft und interessierten sich nicht dafür, dass er es eigentlich eilig hatte. Nun gut, dann war er für den Anlass eben etwas zu schick angezogen – besser, als anders herum – und so musste er sich zumindest nicht noch mit seinen Haaren herumärgern. Nun war es doch von Vorteil, dass seine Stylistin heute Nachmittag mit ihren Stylingprodukten und dem Haarspray etwas großzügiger gewesen war, als sie ihn für den Dreh ihres Werbeclips zur neuen Single hergerichtet hatte. Karyu zog ein letztes Mal genüsslich an seiner Zigarette, bevor er diese aus dem Fenster schnippte und erinnerte sich ein wenig wehmütig daran, dass Zero, ganz im Gegensatz zu ihm, immer ein Händchen dafür gehabt hatte, das Gemüse auf seinem Kopf mit nur wenigen Handgriffen in etwas Vorzeigbares zu verwandeln.
 

~*~
 

Gefrustet zupfte ich an meinen Haaren herum, stellte aber nach einem Blick in den noch immer leicht beschlagenen Spiegel fest, dass auch diese Variante ebenso verunglückt aussah, wie all die Vorangegangenen. Erst eine Bewegung hinter mir und Zeros leises Lachen rissen mich aus der Betrachtung meines missmutig dreinschauenden Spiegelbilds.
 

„Brauchst du Hilfe?“, erkundigte er sich murmelnd und ich konnte die Belustigung über meine Misere nur zu deutlich in seiner dunklen Stimme mitschwingen hören.
 

‚Gemeinheit‘, dachte ich und zog eine Schnute, um meinen Missmut auch optisch zum Ausdruck zu bringen, drehte mich aber trotzdem ganz vom Spiegel weg. Ich hatte ja ohnehin schon eingesehen, dass meine Bemühungen zum Scheitern verurteilt waren und schaute Zero daher etwas verzweifelt an. Eben noch gegen den Rahmen der Badezimmertüre lehnend legte er jetzt seinen Kleidungsstapel auf der Waschmaschine ab und kam augenrollend auf mich zu.
 

„Hinsetzen und stillhalten, sonst kommen wir wegen dir wirklich noch zu spät.“ Zero schaute mich streng an, aber mir blieb das anhaltend amüsierte Funkeln in seinen dunklen Augen nicht verborgen. So schlich sich auch auf meine Züge wieder das für mich doch so typische, leicht anzügliche Grinsen, wusste ich doch nur zu gut, weshalb wir mal wieder zu spät dran waren. Also ließ ich mich ohne weitere Worte auf den Badewannenrand drücken und schloss genießend die Augen, als Zeros Finger sanft durch meine Haare fuhren. Hier und da zog er eine meiner Strähnen glatt und vollbrachte in kaum einer Minute das, womit ich mich schon seit einer gefühlten Ewigkeit quälte.
 

„Danke“, murmelte ich und lächelte nach oben. Ich drückte ihm einen Kuss auf seinen nackten Bauch, fuhr erneut breit grinsend an seinen Oberschenkeln hinauf und schlüpfte unter das knappe Handtuch. Gespannt beobachtete ich, wie es unter dem leichten Zug meiner Hände nachgab, sich mehr und mehr lockerte, nur um der Schwerkraft folgend langsam zu Boden zu gleiten.
 

„Karyu~!“
 

~*~
 

Ein zaghaftes Schmunzeln schlich sich auf Karyus Lippen, während er an einer roten Ampel – erneut zum Stehen verdammt – noch wenige Momente seinen Erinnerungen nachhing, bis ihn das Klingeln seines Handys aus eben jenen riss.
 

„Hey Hizu, du lässt nach. Ich hab deinen Anruf schon vor zehn Minuten erwartet“, neckte er, die Begrüßung seines Gegenparts gar nicht erst abwartend.
 

„Na, nicht ganz“, drang eine tiefe Stimme an sein Ohr, die augenblicklich eine wohlige Wärme in seinem Inneren auslöste und Karyus eben noch neckendes Grinsen in ein sachtes, beinahe liebevolles Lächeln verwandelte.

 

„Zero“, stellte er überflüssigerweise fest, hatte sich aber schnell wieder gefasst und stellte eine weitaus naheliegendere Frage: „Wieso rufst du von Hizus Handy aus an?“ Zero gluckste und über das Stimmengewirr und die leise Musik aus dem Lautsprecher hinweg glaubte Karyu, Tsukasas empörtes Grummeln und Hizumis triumphierendes Gackern hören zu können.

 

„Ach, Hizumi ist beim Telefonieren plötzlich eingefallen, dass er Tsukasa ganz dringend davon abhalten muss, sich jetzt schon die Kante zu geben, weil du ja noch nicht da bist und so. Dann hat er mir das Handy in die Hand gedrückt und jetzt kommst du eben in den Genuss, mit mir telefonieren zu dürfen.“ Karyu konnte das amüsierte Grinsen des anderen regelrecht aus dessen Stimme heraushören und schüttelte über Zeros redselige Art, die immer nur dann zum Vorschein kam, wenn er schon das ein oder andere Bierchen getrunken hatte, nur sacht den Kopf.
 

„Ihr scheint ja alle schon gut dabei zu sein - und das wo ich noch nicht einmal eine Stunde zu spät dran bin.“ Leicht gekränkt fühlte er sich nun schon, hätten seine Freunde doch wenigstens noch ein bisschen warten können und fuhr an, als die Ampel vor ihm endlich auf grün umschaltete.

 

„Tja, mein Lieber, wer zu spät kommt, den bestraft das Leben … Oder der muss eben mehr saufen, sobald er seinen nicht vorhandenen Hintern endlich hier her bewegt hat.“
 

„Pfff“, machte Karyu auf den Kommentar seine Heckansicht betreffend und hatte eigentlich noch eine Runde weiterschmollen wollen, merkte aber schnell, dass ihm sein Gesprächspartner gerade sowieso nicht zuhörte. Dank der vielsagenden Geräuschkulisse, die weiterhin durch seine Freisprechanlage drang, konnte er sich die Szene, welche sich Zeros Augen bieten musste, jedoch beinahe bildlich vorstellen. Er war sich fast zu hundert Prozent sicher, dass gerade Hizumis Kopf dran glauben musste. Tsukasa hatte wohl die Nase voll von ihrem Kleinsten und trommelte nun mit wahlweise Stäbchen oder Kugelschreibern oder irgendeinem auch nur im Ansatz Drumsticks ähnelnden Gegenstand auf dessen Schädel herum.
 

„Bestell mir doch schon mal 'n Bier und zwei, drei Sake. Ich bin in zehn Minuten bei euch“, bat er Zero lachend und konnte über die Macken seiner drei Chaoten nur den Kopf schütteln.

 

„Beeil dich. Wer weiß was Tsukasa macht, sobald wieder Alkohol am Tisch steht“, raunte sein Gesprächspartner übertrieben verschwörerisch ins Telefon, war aber wohl nicht leise genug gewesen, zumindest schloss Karyu das aus dem leisen ‚Autsch‘, das Zero im nächsten Augenblick über die Lippen kam.
 

„Mach ich“, gluckste er. „Bis gleich.“
 

Zeros kurze Verabschiedung abwartend beendete er das Gespräch und bog, noch immer leise vor sich hin lachend, in eine kaum befahrene Seitenstraße ein, die ihn auf schnellstem Weg endlich aus dem tobenden Herzen Tokyos hinaus in den Randbezirk bringen würde, in dem sich ihr Stammlokal befand.

 

~*~

 

Karyu ächzte leise, als er aus seinem Wagen stieg und ihm sogleich die noch immer viel zu warme, feuchte Luft entgegenschlug. Den ganzen Tag über hatte er in klimatisierten Räumen oder Fahrzeugen verbracht, dementsprechend fühlte er sich nun, als wäre er gegen eine unsichtbare Wand gelaufen, die ihm kurzzeitig sogar das Atmen erschwerte.
 

„Ich sollte doch mit dem Rauchen aufhören“, murmelte er, seinen Worten zum Trotz mit einer Kippe im Mundwinkel, die er sich ansteckte, nachdem er den Wagen verschlossen hatte. Gemächlich setzte er sich in Bewegung und trat den kurzen Weg vom Parkplatz zu seinem Ziel an.

 

Kaum hatte er Momente später den schummrig beleuchteten Innenraum der Bar betreten, hielt er auch schon nach den anderen Ausschau. Auf den ersten Blick konnte er sie allerdings nicht entdecken und fragte sich schon, ob sie womöglich bereits nach hinten verschwunden waren, um eine der Karaokemaschinen unsicher zu machen. Im selben Moment jedoch drang nicht zum ersten Mal an diesem Abend Hizumis eigenwilliges Lachen an seine Ohren, bevor er seine Truppe auch schon in eine der etwas abgelegeneren Nischen um einen runden Tisch versammelt entdeckte.
 

Wie so oft in den vergangenen Jahren wusste Karyu nicht, wie er sich beim Anblick seiner Freunde, seiner ehemaligen Bandkollegen fühlen sollte. In erster Linie überwog natürlich die Freude, sie alle endlich mal wiederzusehen, allerdings wurde diese auch immer von weniger schönen Gefühlen begleitet. Das vordringlichste war wohl die Sehnsucht. Vor allem wenn sein Blick, wie gerade jetzt, an Zero hängen blieb, während ihm auch die kleinsten Veränderungen an dessen Äußeren auffielen, die ihm früher aus der einfachen Tatsache heraus, dass sie sich täglich zu Gesicht bekommen hatten, schlichtweg entgangen wären. So viele Kleinigkeiten, die ihm nur zu deutlich vor Augen führten, welch hohen Preis er für seine damaligen Entscheidungen noch immer zu zahlen hatte.
 

Aber bevor ihn diese Erkenntnis übermannen, ihm seine gute Laune rauben konnte, hatte ihn der Bassist auch schon entdeckt und winkte ihn herüber. Demonstrativ hielt er dabei Tsukasa auf Abstand, dessen Aufmerksamkeit wie gebannt an einem – vermutlich seinem – Glas Bier hing. Rigoros schob Karyu seine trüben Gedanken weit von sich und ließ zu, dass die Freude zurückkehrte, die er heute schon den ganzen Tag nicht wirklich hatte unterdrücken können.
 

„Hallo zusammen!“, rief er, ebenso kurz winkend und ging die paar Schritte zur Nische hinüber. Hizumi war aufgestanden, sodass er auf der Sitzecke durchrutschen konnte, aber bevor er sich setzte, zog er den Ältesten erst einmal in eine kräftige Umarmung. Nebenbei klapste er Tsukasa, nicht ohne eine ordentliche Portion Schadenfreude, auf die Finger, hatte sich dieser doch an Zero vorbeigemogelt und wollte gerade nach seinem Bierglas greifen.
 

„Pfoten weg, das is' meins“, murrte er, leerte das Glas gleich einmal zur Hälfte und legte dann seinen Arm um Zero, drückte ihn kurz, aber fest an sich. „Danke, dass du mein Bier so heldenhaft verteidigt hast“, bedankte er sich überschwänglich und streckte dem schmollenden Tsukasa feixend die Zunge raus. 
 

Nicht einmal fünf Minuten waren verstrichen und Karyu fühlte sich bereits wieder wie früher. Tsukasa und Hizumi blödelten herum und Zero hatte ihn, kaum hatte er sich gesetzt, auch schon auf seine so typisch charmante Art auf sein für den Anlass doch etwas überzogenes Outfit angesprochen.
 

„Hat dich ein Stylist auf dem Weg hierher überfallen?“, neckte ihn der Bassist gerade grinsend und strich ihm den Kragen seines Oberteils glatt. Karyu schmunzelte und musste sich zusammenreißen, nicht wenigstens für einen kurzen Moment die Augen zu schließen, um diese Berührung besser genießen zu können.
 

„Wir hatten nachmittags 'nen kurzen Videodreh und dann war keine Zeit mehr, noch nach Hause zu fahren. Du kennst das ja.“ Karyu zuckte lapidar mit den Schultern und drehte sich kurz zur Seite, um nach seinem Glas greifen und einen Schluck trinken zu können. Leicht erschauderte er, als Zero seine abgewandte Haltung nutzte und ihm über die kurz rasierten Seiten seiner Haare streichelte. Diese sanften Finger, diese zarte Berührung, Himmel, sie jagten ihm einen wohligen Schauer über den Rücken und er hatte große Mühe, das Zittern, das von seinem Körper Besitz ergreifen wollte, nicht zuzulassen.
 

„Mir gefällt dein neuer Haarschnitt“, stellte der Kleinere schmunzelnd fest, strich zur Verdeutlichung ein weiteres Mal spielerisch über die feinen Stoppeln, bevor er sich abwandte und schleunigst sein Bierglas festhielt, das wegen Tsukasas wild gestikulierender Arme Gefahr lief, umgeworfen zu werden.
 

Karyu atmete einmal tief durch, drängte die Röte zurück, welche diese unbedachten Worte und Berührungen ausgelöst hatten und deren Wärme er schon auf seinen Wangen spüren konnte.

Wieso machte Zero so etwas?

Ob ihm bewusst war, was er, selbst nach all den Jahren, damit noch immer in ihm auslöste?

Nein, vermutlich nicht.

Viel Zeit über Zeros Taten nachzugrübeln, blieb ihm zum Glück nicht, wurde er im nächsten Augenblick auch schon lautstark aufgefordert, sich um die nächste Runde zu kümmern.

 

~*~
 

Einige Zeit – und Runden – später stützte ein breit grinsender und deutlich angeheiterter Karyu seinen Ellenbogen auf der Tischplatte ab und legte sein Kinn in die offene Handfläche, um das Schauspiel, welches Hizumi und Tsukasa veranstalteten, besser betrachten zu können. Wild umher fuchtelnd unterhielten sich die beiden über wusste der Himmel was und waren dabei in einen derart derben Dialekt verfallen, dass er kaum jedes zweite Wort verstand.

 

„Worüber reden die eigentlich?“, nuschelte Zero neben ihm und steckte sich die Zigarette an, die in seinem Mundwinkel klemmte. Statt jedoch seine Hand einfach wieder zu senken, warf er nur kurz das Feuerzeug zurück auf den Tisch und legte sie dann auf Karyus Oberschenkel ab. Verwundert wanderte eine seiner Augenbrauen nach oben, aber er verkniff sich einen Kommentar, genoss er doch insgeheim diese noch immer so vertraute, aber schon so lange nicht mehr verspürte Geste viel zu sehr.
 

„Irgendwas Technisches, glaube ich. Oder Essen … hmm. Es könnte aber natürlich auch ums Wetter gehen“, spekulierte Karyu munter mit einem amüsierten Lächeln auf den Lippen und schüttelte angedeutet den Kopf. „Immer wieder faszinierend.“

 

„Na, wohl eher beängstigend, so wie die beiden rumfuchteln.“

 

„Die haben halt Nachholbedarf“, merkte er weiterhin amüsiert an, lehnte sich wieder nach hinten, leerte sein Bier und unterdrückte ein sachtes Schaudern, als Zeros Finger über die Innenseite seines Oberschenkels streichelten.
 

„Wohl eher 3/8 im Turm“, konterte er leise lachend und schaute ihn dann mit neckischem Schmunzeln an. „Wobei sie da nicht die einzigen sind, was?“

 

„Mmmh, ich fühle mich damit in bester Gesellschaft.“ Erst vielsagend auf die Hand des Älteren hinuntersehend, die stetig sacht über seinen Schenkel glitt, erwiderte er Zeros Blick nicht minder schelmisch. Gerade wollte er seine Rechte über die seines Freundes legen, als Hizumi unerwartet seine Aufmerksamkeit von Tsukasa auf sie lenkte und vor sich hin grummelte.

 

„Ihr macht euch doch schon wieder über uns lustig!“, beschwerte sich der Kleinste ihrer Runde und funkelte sie herausfordernd an.
 

„Quatsch, das würden wir doch nie machen, stimmt's Karyu?“

 

„Nie im Leben“, bestätigte er übertrieben nickend und schaute Hizumi mit seinem besten Unschuldsblick an, innerlich leise seufzend, als die warme Hand von seinem Oberschenkel verschwand.
 

„Pfff, wer's glaubt.“ Hizumi schnaubte, trank sein Bier aus und machte eine scheuchende Handbewegung in Zeros Richtung. „Dafür holst du die nächste Runde.“
 

„Bin nicht dran“, nuschelte der Angesprochene, erhob sich aber dennoch von seinem Platz und stupste Tsukasa an, damit dieser ihn aus der Bank lassen würde.  „Außerdem hab ich ein dringendes Bedürfnis, von dem ihr mich besser nicht abhalten solltet. Sonst putzt ihr die Sauerei weg“, erklärte er feixend, streckte Hizumi noch frech die Zunge raus und verschwand dann in Richtung der Toiletten, nachdem er seine Zigarette im Ascher ausgedrückt hatte.
 

„Ich geh“, meldete sich da Tsukasa zu Wort, der sich das Intermezzo gerade nur stumm grinsend mitangesehen hatte. „Steh ja sowieso schon und dann kann ich auch gleich mal schauen, ob schon ein Karaoke-Zimmer freigeworden ist.“ 
 

Nachdem also auch der Drummer verschwunden war, wurde es für einige Augenblicke still an ihrem Tisch und erst jetzt bemerkte Karyu, wie verdammt müde er doch war. Verwundern tat ihn diese Tatsache jedoch keineswegs, war das heute doch der erste Abend seit Wochen gewesen, an dem er das Studio vor Mitternacht verlassen hatte. Von seinem nicht vorhandenen Schlafrhythmus in den letzten Tagen mal ganz abgesehen. Leise gähnend streckte er kurz die Arme über den Kopf und drückte den Rücken durch, bevor er Hizumi entschuldigend anlächelte.
 

„Na, dich hat der Sklaventreiber mal wieder auf Trab gehalten, was?“, merkte dieser daraufhin mit einem mitfühlenden Lächeln auf den Lippen an. Karyu seufzte nur langgezogen und verschränkte die Arme auf der Tischplatte, ließ seinen Kopf darauf sinken und schloss für wenige Momente die Augen.

 Leise lachte er, der Laut durch seine kauernde Haltung gedämpft, als Hizumi das wohl als Einladung ansah, ihm einmal ungestraft durchs Haar wuscheln zu dürfen.

 

„Lass das“, knurrte er gespielt erbost, schob die freche Hand weg und richtete sich wieder auf. „War heute auch nicht schlimmer als sonst.“ Erst mit ein wenig Verspätung beantwortete er Hizumis Frage und erwiderte den forschenden Blick des anderen nur schulterzuckend. „Kirito ist unzufrieden mit mir und das lässt er mich spüren‘“, brummte er leise, ein wenig in Gedanken und runzelte die Stirn, als sein Gegenüber ein kaum hörbares Seufzen von sich gab.

 

„Ich hätte dir diesen Floh niemals ins Ohr setzen dürfen, das hat es wohl nicht besser für dich gemacht.“ Hizumi rieb sich übers Gesicht und war plötzlich wieder so ernst, wie er ihn in den letzten Jahren leider viel zu oft hatte sehen müssen.
 

„Hör auf, dir Vorwürfe zu machen, Hizumi.“ Karyu lächelte und strubbelte dem Kleinsten nun seinerseits durch die noch immer ungewohnt kurzen Strähnen. „Ich trage deutlich mehr Schuld an meiner Misere als du“, murmelte er und erinnerte sich an ihr Gespräch vor ein paar Wochen zurück.

 

~*~

 

Gähnend streckte ich mich, während meine Muskeln schmerzhaft protestierten, hatte ich die letzte Stunde doch vorgebeugt über den Reglern der Mischmaschine im Studio lehnend verbracht, um meine neuste Idee in eine Form zu bringen, an der auch Kirito nichts mehr auszusetzen haben würde. Zu sagen, es würde mich tierisch fuchsen, dass nun schon seit Monaten jede einzelne meiner Ideen aus Prinzip – so kam es mir jedenfalls  vor – in so viele Einzelteile zerrupft wurde, bis sie am Ende kaum noch als meine Schöpfung bezeichnet werden konnte, wäre die Untertreibung des Jahrhunderts gewesen. Ob Kiritos pedantische Art eigentlich schon als Mobbing durchging?

 

„Pfff“, schnaubte ich, zog mir die großen Kopfhörer von den Ohren und stand auf, um mir meine nicht minder schmerzenden Beine zu vertreten.

 

Das Stück war gut geworden, verdammt gut, um nicht zu sagen eines meiner Besten, bedachte man, dass es noch den treibenden Rhythmus eines Schlagzeugs, die dumpfen Vibrationen eines Basses und die Botschaft einer Stimme bedurfte, um es zu etwas wirklich Grandiosem zu machen. Mit einem zufriedenen Lächeln zog ich den USB-Stick aus dem Laufwerk, nachdem mir eine Meldung auf dem Laptop angezeigt hatte, dass die Musik sicher übertragen worden war.
 

Nachdenklich ließ ich den silbernen Datenträger durch meine Finger wandern, während sich ferne Erinnerungen vor mein geistiges Auge schoben. Hizumi, Tsukasa und Zero hätten früher ganz anders reagiert, wenn ich ihnen mit stolzem Grinsen im Gesicht mein Werk zum ersten Mal vorgestellt hätte. Da wäre nichts von all dem Desinteresse oder der ungerechtfertigten Kritik gewesen, die mir momentan ständig entgegenschlug. Nein, sicherlich nicht. Das wäre ganz anders abgelaufen.

 

Hizumi wäre bestimmt der Erste gewesen, den es nicht mehr auf seinem Platz gehalten hätte. Noch bevor die Melodie zur Hälfte unseren kleinen Probenraum erfüllt hätte, wäre er aufgesprungen und zu seiner Umhängetasche geeilt, um dieser Notizbuch und Stift nahezu zu entreißen. Mit hochkonzentriertem Ausdruck auf dem aufgeregt erröteten Gesicht hätte er es sich dann in der Couchecke bequem gemacht, um mit dem Schreiben zu beginnen. Nichts hatte unseren Sänger so inspirieren können, wie eine neue, gänzlich unverbrauchte Melodie.

Aber auch Tsukasa hätte nicht lange stillhalten können, wäre irgendwann dazu übergegangen, auf seinen Oberschenkeln herumzutrommeln, während in seinem Kopf schon die ersten Rhythmen Gestalt angenommen hätten.

Und Zero? Der hätte sich Zeit gelassen, hätte sich mit geschlossenen Augen zunächst das gesamte Stück angehört, aber spätestens beim zweiten Durchlauf hätte auch er sich erhoben und wäre zu seinem Bass gegangen. Wenige Augenblicke später wären die ersten melancholisch tiefen Töne seines Instruments erklungen und hätten mir, wie so oft, eine wohlige Gänsehaut über den Rücken gejagt.
 

Über meine eigene und doch recht verklärte Sicht der Vergangenheit leise lachend schüttelte ich den Kopf. So oder so ähnlich waren unsere kreativen Treffen alle Jubeljahre vielleicht einmal abgelaufen. Viel öfter hatten wir uns unsere, oftmals doch recht gewöhnungsbedürftigen, Ideen um die Ohren gehauen und solange gegenseitig daran herumgefeilt, bis schlussendlich doch etwas Brauchbares dabei herausgekommen war.

Oder – und das war auch mit schönster Regelmäßigkeit vorgekommen – ich hatte mich über Stunden allein in meinem Kämmerlein verbarrikadiert, um mir meinen unkreativen Kopf zu zermartern. Irgendwann war mir vom vielen Rauchen dann meist so schlecht geworden, während die Sicht im kleinen Raum durch all den Rauch so vernebelt gewesen war, dass ich am Ende meiner Geduld angelangt nur noch frustriert aufgegeben hatte. Wenn mein Nervenkostüm dann nicht vollkommen am Ende war, hatte ich die halbfertigen und unzusammenhängenden Passagen wenigstens schnell gespeichert, um diese unserem Vocal am nächsten Tag mit den lieblichen Worten ‚Mach du was aus dem Mist, ich hab keinen Bock mehr auf die Scheiße!‘ an den Kopf zu knallen.

Und während ich also mit mir und der Welt unzufrieden gewesen wäre, hätten sich Zero und auch Tsukasa mal wieder schön aus allem heraus gehalten.

 

Aber nicht bei diesem Stück. Ich hielt den kleinen Datenträger ein weiteres Mal vor meine Augen und nickte mir selbst zu, bevor ich ihn in meine Umhängetasche steckte. Dieses Stück hätte meine Jungs von den Socken gerissen und denselben Effekt würde es auch bei Kohta, Giru und Takeo haben … Kirito hin oder her.

 

Leise gähnend schloss ich die Tür zum Studio ab, hatte vorher noch schnell alle Lichter gelöscht und steckte mir, trotz Rauchverbots in den Fluren, eine Zigarette an. Wenigstens ein Vorteil, wenn man schon als Letzter das Gebäude verließ. Gerade wollte ich mich auf den Weg in die Tiefgarage machen, als mich ein leises Klingeln innehalten ließ. Ein wenig umständlich kramte ich in meiner Umhängetasche, bis ich das munter vibrierende Handy zu fassen bekam.
 

„Hallo Hizumi“, flötete ich fröhlich in den kleinen Apparat, schulterte meine Tasche wieder und lehnte mich an eine der Flurwände. Der Empfang wäre zu schlecht gewesen, um das Gespräch auf dem Weg in die Tiefgarage fortsetzen zu können. 

„Was treibt dich dazu, mich um halb drei morgens anzurufen? Langeweile?“ Ich grinste und zog genüsslich an meiner Zigarette, dem überdrehten Geplapper Hizumis am anderen Ende lauschend. Na da hatte aber wirklich jemand Mitteilungsbedarf, stellte ich amüsiert fest und hörte nur mit einem halben Ohr zu, wie es meine Art war, wenn der andere mal wieder in einen regelrechten Redeschwall verfiel.

„Natürlich kann ich nicht verantworten, dass du eingehst, weil du keine Ansprache bekommst“, beschwichtigte ich ihn leise lachend, als doch mal wieder eine Reaktion von mir verlangt wurde. „Ist Tsukasa mit seinem Enka-Projekt wieder einmal zu sehr eingespannt, um Zeit für dich zu haben?“, neckte ich weiter, stutzte dann aber, mein Gesichtsausdruck nun deutlich weniger fröhlich als noch Sekunden zuvor. „Ach, Maifo sind auf Tour?“, fragte ich dümmlich, selbst erstaunt darüber, dass ich wohl in den letzten Monaten so eingespannt gewesen war, dass ich nicht mal mehr mitbekam, wenn bei Zero und Tsukasa eine Tour anstand. Erst jetzt fiel mir auch auf, wie lange es schon wieder her war, dass ich mit den anderen beiden in irgendeiner Form Kontakt gehabt hatte. Wieder stach das Gefühl in mir, dass sie mir mehr und mehr zu entgleiten schienen. Oder war ich es, der sich immer weiter von unserer gemeinsamen Vergangenheit entfernte?

 

„Karyu?“, erklang es teils fragend, teils etwas genervt aus dem kleinen Telefon und holte mich ins Hier und Jetzt zurück.

 

„Ja, ich hab nur grad nachgedacht. Weißt du was? Ich versuch morgen…, äh, heute Abend spätestens um acht hier raus zu kommen und dann gehen wir was Essen. Haben wir schon viel zu lange nicht mehr gemacht.“

 

~*~

 

Ich entdeckte Hizumi beinahe sofort, als ich das kleine italienische Restaurant betrat, in dem wir uns verabredet hatten. Schnell stellte ich den Regenschirm in den dafür vorgesehenen Ständer, zog mir die trotz Schirm leicht nass gewordene Jacke von den Schultern und hängte sie an die Garderobe, bevor ich zu seinem Tisch hinüberging.

 

„Boah, was für ein Sauwetter“, meckerte ich und drückte den Kleineren kurz, bevor ich mich setzte. „Hey Hizu“, begrüßte ich ihn schließlich etwas verspätet und fuhr mir durch meine leicht feuchten Haare. „Sorry, dass du warten musstest, kennst das ja.“

 

„Hallo Großer.“ Hizumi nickte verstehend und winkte ab. „Kein Problem, ich – oder besser, mein Magen – konnte nur nicht mit dem Essen warten“, grinste er dann und deutete auf einen Teller mit verschiedenster Antipasti, von der schon mehr als die Hälfte fehlte.
 

„Wohl eher dein Loch ohne Boden, das du Magen nennst“, neckte ich und bestellte mir ein Glas Rotwein beim Kellner, der gerade an unseren Tisch getreten war. „Weißt du denn schon, was du willst?“

 

Hizumi nickte und so setzte ich meiner Bestellung noch meine standardmäßige Salamipizza hinterher, bevor ich mich zum ersten Mal an diesem Tag gemütlich im Stuhl nach hinten lehnte und fühlen konnte, wie beinahe automatisch die Anspannung aus meinen Muskeln wich.

 

„Himmel, ich sollte wirklich öfter mal rauskommen“, murmelte ich, beugte mich wieder nach vorn und mopste mir eine eingelegte und mit Frischkäse gefüllte Peperoni von Hizumis Vorspeisenteller.

 

„Oh ja, wem sagst du das? Ich sitze momentan beinahe 24/7 in der Bude vorm PC, um die Designs für das nächste Offlinestore-Event fertig zu bekommen.“

 

„Läuft momentan echt gut bei dir, oder?“

 

„Kann mich nicht beklagen. Und bei dir?“

 

~*~
 

Ich hatte mich tatsächlich und anders, als befürchtet prima mit Hizumi unterhalten und selbst, als wir auf Zero und Tsukasa zu sprechen kamen, hatte das nicht an meiner guten Laune rütteln können. Es war auch nicht bei einem Gläschen Wein geblieben und nachdem nun auch mein Bauch gut gefüllt war, machte sich Müdigkeit in mir breit. Mein Gähnen hinter einer Hand versteckend sah ich Hizumi dabei zu, wie er doch tatsächlich auch noch den allerletzten Rest seiner übergroßen Portion Nudeln mit Meeresfrüchten verdrückte. Bei diesem Anblick fragte ich mich nicht zum ersten Mal, wo der Kleine das alles hinsteckte.
 

„Ich sag ja … Loch ohne Boden“, neckte ich grinsend.

 

„Bist ja nur neidisch.“ Auch Hizumi grinste, wischte sich den Mund ab und trank einen Schluck Wasser, bevor er mich plötzlich vollkommen ernst anschaute. „Karyu?“

 

„Hm?“, brummte ich und runzelte verwundert die Stirn. Was war denn nun kaputt?
 

„Ich werde mich operieren lassen“, erklärte er schließlich mit monotoner Stimme und ich spürte regelrecht, wie mir gerade sämtliches Blut aus dem Gesicht wich.

 

„Was? Aber … Ich dachte, das Risiko, dass du deine Stimme komplett verlieren könntest, wäre viel zu groß? Deswegen hast du eine Operation doch bislang nie in Erwägung gezogen.“
 

„Ja, ist es … Oder besser gesagt, war es auch“, erwiderte Hizumi mit einem sachten Nicken und ich wusste beim besten Willen nicht, ob er diese Aussage nun positiv oder negativ meinte.
 

„Wie meinst du das?“, hakte ich auch deswegen nach. „Ist das was Neues? Ein neuer Therapieansatz mit weniger Risiken, oder so?“

 

„Nicht direkt …“

 

Stumm und mit beschleunigtem Herzschlag schaute ich ihm ins Gesicht, wartete auf eine Erklärung, die wenige Augenblicke später, von einem langen Seufzen begleitet, dann auch kam.

 

„Du weißt ja, dass ich jetzt schon seit Jahren mit meiner Therapeutin das gesunde Stimmband trainiere … und … solange ich nur rede, hört man die Veränderung ja wirklich kaum noch …“

Hizumi pausierte und ich nickte bekräftigend, wusste ich doch um die Stimmbildungsstunden, die er eisern mehrmals die Woche absolvierte. Seine Fortschritte hatten wir schließlich alle während Kiritos Event bestaunen dürfen, als wir für einige Songs wieder als D'espairsRay auf der Bühne gestanden hatten.

Mit einem tiefen Ausatmen ergriff mein Freund schließlich sein Wasserglas, trank erneut einen großen Schluck und fuhr fort: „Allerdings sind sich meine Ärzte und auch die Therapeutin mittlerweile einig, dass es nicht mehr besser werden wird. Verstehst du?“ Plötzlich wirkte Hizumi unendlich müde und rieb sich über die Nasenwurzel, ganz so, als wolle er aufziehende Kopfschmerzen vertreiben. „Rein über die Stimmbildung werde ich es nicht schaffen, jemals wieder professionell singen zu können. Das steht jetzt unumstößlich fest.“

 

Ich hatte das Gefühl, als würde mir der Boden unter den Füßen weggezogen werden, während sich gleichzeitig ein großer Kloß in meinem Hals bildete, der mir das Atmen schwer machte.

               

„Das ist also der Grund dafür, warum du dich nun plötzlich doch für die OP entschieden hast?“, wollte ich unnötigerweise erneut wissen, vermutlich nur aus dem simplen Wunsch heraus, irgendetwas sagen zu können. Alles war schließlich besser, als Hizumi nur weiterhin vollkommen entsetzt anzustarren.

 

„Ja.“

 

„Aber was ist, wenn es schief geht?“

 

„Dann habe ich doch nichts verloren…“

 

„Nichts verloren? Verdammt, Hizumi, du könntest deine Stimme gänzlich verlieren!“, brauste ich auf, hätte ihm diese Worte am liebsten ins Gesicht gebrüllt, riss mich aber zusammen. Immerhin wollte ich nicht die Aufmerksamkeit des gesamten Restaurants auf uns ziehen.

 

„Das ist mir durchaus bewusst.“ Im Gegensatz zu mir selbst war Hizumi vollkommen ruhig und schaute mich auch weiterhin offen an. „Aber ich will mir später nicht vorwerfen müssen, dass ich nicht alles versucht habe. Es sind jetzt über fünf Jahre und meine Chancen auf Heilung tendieren gen Null, wenn ich die Operation nicht machen lasse.“

 

„Ich versteh dich doch, aber …“ Ich rieb mir übers Gesicht, atmete ein-, zweimal tief durch und schaute dann wieder auf. „Und wann genau?“

 

„Mitte Oktober.“

 

„So früh schon? Nicht mal mehr drei Monate …“, murmelte ich und versuchte das ungute Gefühl in meiner Magengegend zu ignorieren.

 

Himmel, was würde passieren, wenn Hizumi tatsächlich seine Stimme verlieren oder die Operation doch nicht den gewünschten Erfolg mit sich bringen würde?

Und … was würde passieren, wenn er wieder ganz gesund werden würde?

Wenn er wieder singen und auf der Bühne stehen könnte?

 

„Okay, falls … WENN alles gut geht … Wie geht es dann weiter?“, fragte ich zögernd und Hizumi lächelte mich an, sah gerade derart erleichtert aus, dass auch an meinen Mundwinkeln kurz ein kleines Schmunzeln zupfte.

 

„Im Prinzip geht es dann genauso weiter, wie jetzt auch. Nachdem alles verheilt ist, natürlich. Ich werde wieder Medikamente nehmen müssen und mit der Stimmbildung weitermachen. Nur eben mit dem Unterschied, dass ich mich hoffentlich nicht Jahre auf der Stelle bewegen werde, Ohne wirklich voranzukommen.

 

„Gott, Hizumi! Weißt du eigentlich, was du da andeutest?“ Ich fuhr mir erneut durchs Haar, schüttelte leicht den Kopf und zog an meinen hellbraunen Strähnen. „Ich versuche schon so lange meine Hoffnungen klein zu halten und jetzt kommst du mit so einer Ankündigung daher.“

 

„Ich weiß, aber hätte ich dir denn nichts sagen sollen?“

 

„Nein, so meinte ich das nicht …“

 

„Hör zu, Karyu. Ich weiß nicht, ob es Monate oder sogar Jahre dauern wird, aber ich werde es schaffen. Ich werde wieder auf der Bühne stehen und singen, aber nur mit euch!“ Hizumi sprach mit so viel Überzeugung, dass der Kloß in meinem Hals nur immer größer zu werden schien.
 

„Tsukasa und Zero wissen also schon Bescheid, ja?“

 

„Ja … Und sie haben die gleichen Bedenken, wie du, dennoch …“

 

„Verstehen sie, warum du es tun musst“, beendete ich seinen Satz und seufzte schwer. „Das tue ich doch auch.“

 

„Aber du weißt nicht, ob du es ertragen kannst, auf ein Wunder zu hoffen?“, stellte Hizumi halb überzeugt, halb fragend fest und schaute mir direkt ins Gesicht.
 

„Wie meinst du das?“

 

„Zero und Tsukasa weiß ich einzuschätzen. Bei ihnen kann ich mir sicher sein, aber du bist die Variable in meiner Gleichung, die alles zu Fall bringen könnte.“
 

Perplex schaute ich Hizumi an, konnte mit seinen Worten gerade einfach nichts anfangen oder besser gesagt, wollte ich es nicht. Zu viel Hoffnung hatten mir diese bereits wieder gegeben. Hoffnung, die ich mir – so dachte ich zumindest – schon lange verboten hatte.

 

„Ich verstehe nicht, was du mir sagen willst.“

 

„Ach Karyu, tust du das wirklich nicht?“ Ich schluckte, um das Gefühl der Enge in meinem Hals loszuwerden, während mich Hizumi keine Sekunde lang aus den Augen ließ. „Du versuchst so angestrengt deinen Platz in Kiritos Band zu finden, dich zu beweisen, dass ich, nein, nicht nur ich, wir befürchten, dass, sollte ich in ein, zwei Jahren wieder fit genug sein um auf der Bühne stehen zu können, du zu involviert sein wirst, um Angelo aufgeben zu können.“

 

Noch immer hielt mich der forschende Blick meines Freundes gefangen, doch nun schwammen in den großen, dunklen Augen so viele Selbstvorwürfe, Unsicherheit und Zweifel, dass ich regelrecht spürte, wie sich eine eiserne Faust um mein Herz legte.

 

„Hizu“, murmelte ich, anhaltend fassungslos über den Beinahe-Ausbruch des Älteren und blickte verwundert auf die Hand hinunter, die sich über den Tisch geschoben und nach meiner eigenen gegriffen hatte.

 

Hizumi war ein sehr taktiler Mensch, schon immer gewesen, aber normalerweise kamen seine Knuddelattacken aus dem Affekt heraus. Früher hatte unser Kleinster Umarmungen auch gern mal regelrecht eingefordert oder einen von uns des Öfteren als Kopfkissenersatz benutzt, wenn er nach einem Gig mal wieder im Van eingeschlafen war. Doch eine solch gezielte, beinahe brüderlich zärtliche Geste, wie er sie gerade mit mir teilte, war zumindest ich von ihm nicht gewohnt.
 

„Ich bitte dich, gib mir … Gib D'espairsRay noch eine Chance. Ich werde dich, euch, nicht wieder enttäuschen. Das verspreche ich dir, Karyu.“



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Kommentare zu diesem Kapitel (4)

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Von:  QueenLuna
2019-10-14T15:51:44+00:00 14.10.2019 17:51
Hey, diesmal wage ich mich an einzelne Kapitel, sonst vergesse ich noch, was ich eigentlich los werden wollte.
Eins vorweg: ich mag die FF jetzt schon, auch wenn ich sie noch nicht zu ende gelesen habe xD

Ich mag deinen Schreibstil nachwievor und das flapsige Umgang der Protagonisten untereinander finde ich nicht störend, sondern passt für mich so wie es ist.
Das mit den Rückblenden finde ich sehr spannend und finde es auch toll, dass du dabei von der er- zu ich-Perspektive wechselst, da es die Abgrenzung deutlicher macht. Generell bin ich gerade sehr auf den Verlauf der Story gespannt, da sie ja irgendwie sehr aktuell mit den Bands usw wirkt, nicht wie sonst in der Despa Vergangenheit festhängt.

Und man kann Karyus Gefühle gut nachvollziehen, dieses Gefühl, dass die anderen einem entgleiten und eine gewisse Sehnsucht, die das ganze mit sich bringt... Wirkt für mich herrlich realistisch.
Ich mag auch Zeros neckende Art wieder sehr gern^^

Bin gespannt wie es weitergeht, gerade weil ich vorher die Sidestories gelesen habe und mich halt während des Lesens gefragt habe, in wie weit sie in diese FF Einfluss nehmen.... Na ich wart mal ab und lese weiter xD
Antwort von:  QueenLuna
14.10.2019 17:59
Doch noch was vergessen... Mit dem Ende, was du im letzten Rückblick des Kapitels schreibst, bringst du bestimmt jedem Despa Fan Gänsehaut oder Tränen in die Augen.... Aaaah man... Ich bin noch genauso wenig drüber hinweg wie Karyu ^^`

Btw dieser Auftritt im Rahmen dieses Events, den du erwähnst, wo sie auftraten: Realität oder Fiktion xD?
Antwort von:  yamimaru
15.10.2019 18:51
Hallo Luna,

nachdem ich die Antwort auf deinen Kommentar hier gestern nicht mehr geschafft habe, kommt er eben heute. ^^
Wow, freut mich, dass dir die Geschichte gleich so gut gefällt, obwohl du mit ihr noch gar nicht durch bist. Und Danke, dass du dir die Mühe machst und zu jedem Kapitel etwas sagen willst, das ist super lieb von dir. ^^

Hihi, danke, dass du extra nochmal erwähnt hast, dass du den flapsigen Umgangston der Charaktere untereinander angemessen findest. ^^ Ich hatte beim Schreiben auch das Gefühl, dass es einfach nicht gepasst hätte, hätten sich Giru und Karyu z.B. förmlicher angesprochen. Immerhin spielt die Story zu einer zeit, in der die beiden sichnun auch schon eine ganze Weile kennen, da schleicht sich eben ein gewisser Umgangston ein. ^^
Oh super, das erleichtert mich, dass dir der Perspektivenwechsel gefällt, sobald es um Karyus fernere oder auch nähere Vergangenheit geht. Genau das hatte ich nämlich damit erreichen wollen, dass die zeitlichen Wechsel einfach noch besser zu erkennen sind und nicht zu Verwirrungen führen. Aber da sieht man mal wieder, wie individuell das gesehen werden kann. ^^
Ja, ich wollte eine relativ aktuelle Despa Story schreiben und habe in ihr quasi auch so ein bisschen meine Sehnsucht nach dieser tollen Band verarbeitet. Da musste Karyu einfach herhalten - mit ihm bekomme ich irgendwie die besten melancholischen Gefühle hin. XD Freut mich, dass dir das Setting also auch zusagt. ^^

Ich hoffe, dass deine Spannung auch noch bis zu den letzten Kapiteln durchhält und freue mich über dein Lob und darüber, dass dir die Charakterisierung von Karyu und Zero so zusagt. Wie schon gesagt, da hat auch ein bisschen meine eigene Sehnsucht mit reingespielt und Karyu musste das ausbaden. Ich finde es also Klasse, dass du seine Gedanken als nachvollziehbar empfindest. +yay+

Hach, danke, auch wenn ich niemanden zum weinen bringen will, wenn die Emotionen bei dir ankommen, freut mich das ungemein und macht mich auch so ein bisschen stolz, muss ich zugeben. XD

Ja, diesen Auftritt im Rahmen einer Angelo-Show gab es wirklich. Ich glaube 2016 zum eigentlich 15jährigen Despa-Bestehen. Die Songs haben Zero, Karyu und Tsukasa hauptsächlich mit einem Supportsänger absolviert und durften, wenn ich mich recht erinnere, auch keine Despa-Songs performen. Aber bei ein paar Liedern stand auch Hizumi mit auf der Bühne und hat mitgesungen. ^^ Ich erinnere mich leider nicht mehr ganz genau daran, sorry. U_U

Zum Abschluss nochmal ein riesen Dankeschön für dein Feedback, du versüßt mir gerade echt jeden Tag damit, weißt du das?

Lg
yamimaru
Antwort von:  QueenLuna
15.10.2019 19:03
Hihi sehr gerne xD solang du mir genug Lesestoff gibst, versuche ich dir jeden Tag zu versüßen.. Vllt auch jeden 2. Je nach dem wie ich es schaffe xD machst du doch genauso mit deinen Stories bei mir ^^

Waaas dieses Live hätte ich sehen wollen.. Wobei ich vermutlich übelst geheult hätte T.T ja sie dürfen ja scheinbar ihre Sachen nimmer performen...

Du weckst wie gesagt bei mir auch echt eine Sehnsucht und Melancholie mit der FF in mir... Also perfekt getroffen ^^ naja die Melancholie wird da wohl nie ganz verschwinden, bei solchen FFs aber es packt mich echt eine Wehmütigkeit sondergleichen... Und ich kann Karyu umso besser folgen... Ich glaub da ticken wir beide ziemlich gleich xD

Liebe Grüße
LUNA

PS ich les nachher zu ende. Hehe xD
Von:  Kyo_aka_Ne-chan
2017-04-26T07:31:00+00:00 26.04.2017 09:31
Vom Schreibstil her finde ich es sehr gut, du bringst alle gut rüber, allerdings würde ich die Sprache etwas überarbeiten. Es wirkt alles manchmal sehr flappsig, wie die alle miteinander reden. Die Rückblenden sind interessant, unterbrechen aber oft den Lesefluss, ich war zumindest manchmal verwirrt. Die Idee der Geschichte wiederum gefällt mir, gerade die Andeutungen, die gegenüber Zero und hizu gemacht werden.
Antwort von:  Kyo_aka_Ne-chan
26.04.2017 09:32
Zu früh abgeschickt, sorry, ich schreib vom Handy aus xD also, abschließend: ich bin gespannt wie es weitergeht und was du noch draus machst


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