Aishite? von Anemia (Love me?) ================================================================================ Kapitel 3: Little Satsuma ------------------------- Dem bitteren Gefühl der Scham lag Tohyas impulsives Verhalten zugrunde. Er, der eigentlich immer alle mit seiner guten Laune und seiner Lebenslust ansteckte, zerriss vor laufender Kamera und den Augen seiner Kumpels und Kollegen ein im Grunde unschuldiges Blatt Papier, um das zu zerstören, was auf es gezeichnet worden war. Er hasste Kouki in diesem Moment abgrundtief, zumal dieser derjenige war, welcher am lautesten von allen lachte und gar in die Hände klatschte, während Tomo noch versuchte, ihn zu beruhigen. Aber es half alles nichts. So heftig, wie Tohya Gefühle wie Freude lebte, so wenig konnte er negative Empfindungen unterdrücken und in sich hineinfressen. Wie ein wildes Tier gebärdete er sich gegen die Berührung seines besten Freundes, welche er in diesem Augenblick schlichtweg nicht ertragen konnte. Denn wenn er eines wusste, dann, dass auch er ihn nicht verstehen konnte. Kein Mitglied der beiden versammelten Bands konnte ahnen, wieso er sich so aufregte. Wieso er am liebsten aus dem Zimmer gestürmt und sich schamerfüllt in irgendeine Ecke verkrümelt hätte, wo ihn so schnell niemand mehr finden konnte. Derart gedemütigt war er von seinen Freunden noch nie geworden. Die Enttäuschung diesbezüglich schnürte ihm die Kehle zu und sorgte dafür, dass er kein einziges Wort mehr zum laufenden Interview beizutragen hatte. Ständig kreisten seine Gedanken um diese furchtbare Bloßstellung. Es tat weh, verhöhnt zu werden. Aber noch mehr schmerzte die Gewissheit, dass Kouki Recht hatte mit seiner Zeichnung. Dass er nichts weiter als die Realität dargestellt hatte. Und das wiederum ließ Tohya seine Wut gegen sich selbst richten. Und außerdem gegen jenen, der ebenfalls unweigerlich an der ganzen Misere beteiligt war.   Um irgendwelchen dummen Fragen und lästigen Gesprächen zu entgehen, machte Tohya sich nach dem Event rasch aus dem Staub. Heute wollte er Tomo oder gar Kouki ganz bestimmt nicht mehr begegnen. Zunächst musste Gras über die Sache wachsen, die ihn mit großem Unbehagen erfüllte, seitdem man sie ihm schwarz auf weiß unter die Nase gerieben hatte. Aber ganz konnte er ihr dennoch nicht ausweichen. Er wusste, dass Nero versprochen hatte, ihn nach der Show abzuholen, und für gewöhnlich hielt er seine Versprechen auch, wie Tohya wieder einmal feststellen konnte, als er in der Eingangshalle des Konferenzgebäudes ankam. Noch hatte der andere ihn nicht entdeckt, schaute er doch aus einem der großen Fenster hinaus auf die Stadt und schien in Gedanken versunken zu sein. Tohya atmete tief durch und straffte die Schultern, denn das, was er nun tun würde - musste - würde kein leichtes Unterfangen für ihn darstellen. Denn im Grunde seines Herzens wollte er nichts weniger als diesen Schritt tun.   Es dauerte freilich nicht lange, bis Nero von seinem Erscheinen Notiz nahm. Das sanfte Lächeln, das er Tohya zuwarf, so wie er sich umdrehte und ihn prompt erkannte, sorgte für einen heftigen Stich in der Magengegend des kleinen Drummers. Heute war wirklich ein schrecklich beschissener Tag. Als hätte sich die ganze Welt gegen ihn verschworen, so zumindest kam es ihm vor. Doch Nero hatte sich nicht gegen ihn verschworen, im Gegenteil - der Mann, der ihm derzeit am nächsten von allen stand, schritt nun auf den unschlüssig wirkenden Jungen zu, welcher einen heftigen Kampf mit sich selbst ausfocht. Er schien nicht einmal zu ahnen, wie es in ihm aussah, glaubte bestimmt, er sei müde aufgrund des anstrengenden Interviews, weshalb er ihm liebevoll über den Kopf strich und gar mit den Fingerknöcheln über die zarte Wange des niedlichen Tohyas fuhr. Wenn er nur hätte in Tohyas zerrissenes Inneres hätte sehen können. Wenn er nur im Ansatz geahnt hätte, was der Kleine durchmachte. Wie jede Berührung, jeder zärtliche Blick schmerzte. Tohya hätte so gern seine Hand genommen und ihm ein Lächeln geschenkt, das zeigte, wie sehr er sich freute, dass Nero an ihn gedacht und sich die Zeit genommen hatte, ihn abzuholen, aber er fühlte sich zu entblößt. Und die Wunde würde wahrscheinlich nie mehr zuheilen. Weswegen Tohya, anstatt Neros Hand zu nehmen und ihre Finger miteinander zu verschränken, auswich und den Blick senkte. "Hey, was ist denn los?" Nun merkte Nero schließlich, dass etwas im Argen war. Und das tat noch einmal weh, so sehr. Tohya wollte das nicht, wollte ihn nicht vor den Kopf stoßen, war es doch genau das Gegenteil dessen, was er sich in diesem Moment wünschte. In den Arm genommen werden. Getröstet werden. Geküsst werden. Einfach nur Halt bei seinem engsten Vertrauten finden. Aber er konnte den anderen nicht den Beweis für die Richtigkeit ihrer Annahme liefern. Er wäre eher am Schmerz der Zurückweisung gestorben als sich vor seinen Freund noch einmal zu blamieren. "Ich glaube, wir sollten uns vorläufig nicht mehr sehen", brachte Tohya wenig überzeugt hervor, dabei nach wie vor schwermütig seine Schuhe fixierend, damit es Neros Augen ihm nicht noch schwerer machten. "Es wäre vielleicht besser..." Er hielt die Luft an, als Nero zunächst nichts dazu sagte. Die Spannung, die in der Luft lag, schien greifbar und einfach nur unerträglich. Die Gewissheit, mittels weniger Worte unwiderruflich das kleine Pflänzchen zerstört zu haben, was so viele süße Früchte getragen hatte, sorgte dafür, dass sich ein Kloß in Tohyas Kehle bildete. Zu seinem eigenen Missfallen bemerkte er, dass er den Tränen nahe war. Und umso stärker es unter seinen Lidern drückte, desto verzweifelter wollte er sich Nero entgegenwerfen und sich an ihn klammern, damit er doch bei ihm blieb. Aber er tat es nicht. "Und warum?" Dass Nero nun so schrecklich reserviert klang, machte Tohyas Situation nicht besser. Seine kalten Hände zitterten nun gar, und er wollte...wollte verschwinden. Allem entkommen, um seine Ruhe zu haben. "Wie kommst du darauf? Habe ich etwas falsch gemacht? Bin ich dir zu nahe getreten?" "N-nein..." Um Gottes Willen, dies sollte Nero nicht glauben. Er hatte nichts falsch gemacht, überhaupt nichts. "Es ist nur...ich...ich weiß nicht..." Scheu hob er den Blick und blinzelte Nero an. Da sein Gesicht ihm so vertraut und lieb war, so viel Ruhe und auch eine gewisse Sanftheit ausstrahlte, wenn er ihn anschaute, traten dem Kleinen nun tatsächlich die Tränen in die Augen. Er hasste es. Hasste sich. Wollte Neros traurigen Blick nicht sehen, an dem nur er schuld war. Wollte nicht, dass Nero seine Tränen sah. Wollte nur, dass alle endlich sein verwundetes Inneres in Ruhe ließen. Aber damit konnte er bei Nero natürlich nicht rechnen. Tohya schloss seine Augen zu spät, um dass der andere nicht hätte sehen können, dass er sich mit seinen eigenen Worten und Entschlüssen verletzte. "Ich schlage vor, wir gehen wie geplant zu mir", meinte Nero mit warmer Stimme, die Tohya fast genauso viel Trost spendete wie eine Berührung durch seine wundervollen sanften Hände, unter denen seine Haut stets zu prickeln begann. Als er nun, wieder etwas ermutigter, die Augen aufschlug, sah er direkt in die dunklen Iriden des Älteren, welche fest entschlossen waren, ihn nicht gehen zu lassen. Zumindest nicht so. "Du siehst mir aus, als würdest du einen Whiskey brauchen. Und dann erzählst du mir, was wirklich los ist, mh?" Einerseits war es Tohya nicht recht, nun doch wieder mit Nero mitzugehen, aber es war die einzige Option, wenn er den anderen nicht verlieren wollte. Und verdammt, das wollte er nicht! Nero und er, sie waren ein Herz und eine Seele, auch wenn sie sich in so vielen Dingen unterschieden. Im Grunde jedoch waren sie gleich, zwei Puzzleteile, die sich ineinander fügten und ohne einander nicht mehr sein konnten. Das, was sie verband, war etwas, das zu stark war, um es nur mit ein paar Worten zu trennen. Und Tohyas Gefühle hätten wahrscheinlich nicht einmal viele Worte auszulöschen gewusst. Er war vernarrt in Nero, sehnte sich nach dessen Nähe...und genau das war der Punkt, der einen ekelhaften Beigeschmack mit sich zog. Eine Sache, die ihn befangen machte. Eine Barriere zwischen ihm und dem Mann errichtete, der innerhalb von ein paar Sekunden sein Herz zum Schnellerschlagen gebracht hatte. Er musste ihn einfach begleiten, wenn er Nero nicht ebenfalls verletzen wollte. Schließlich wusste er, dass er ebenfalls große Zuneigung für ihm empfand, und so etwas durfte man nicht mit Füßen treten. Man war ein schlechter Mensch, wenn man so etwas tat. Und unwürdig, überhaupt geliebt zu werden. Von irgendjemandem, aber insbesondere von solch einem tollen Mann.   Kaum, dass sie in Neros Wohnung angekommen waren, zog es Tohya natürlich prompt hin zu seinem Lieblingsplatz. Er schätzte die Couch im Wohnzimmer für ihre Gemütlichkeit, kuschelte sich nur zu gern in die großen Kissen und war in diesen nicht nur einmal sehr schnell eingeschlafen. Heute aber blieb er auch dann noch hellwach, als er die Beine an den Körper zog und sich eines der Kissen schnappte, um es fest zu umarmen. Nero kam nicht umhin, kurz zu schmunzeln, so wie er dem Kleinen zuschaute - lediglich dessen trauriges Gesicht wusste seine Entzückung zu trüben. Tohya schien es wirklich nicht gut zu gehen, irgendetwas musste vorgefallen sein. Nicht umsonst verhielt er sich so und wollte Nero gar aus seinem Leben verbannen, und das, obwohl sie sich doch ohne jeden Zweifel lieb hatten. Auch wenn Nero sich am liebsten noch länger an dem putzigen Bild geweidet hätte, dass der notgedrungen mit einem Kissen kuschelnde Tohya ihm lieferte, machte er sich nun auf in die Küche, um wie abgemacht den Whiskey zu servieren. Tohya mochte keine süßen Schnäpse, bevorzugte harte Spirituosen, was bei Nero anfangs für Erstaunen gesorgt hatte. Wie konnte ein so niedlicher kleiner Kerl nur saufen wie ein beinharter Mann, hatte er sich gefragt, es aber nicht laut formuliert, denn Tohya hörte es oft nicht gern, wenn man seine Männlichkeit untergrub oder infrage stellte. Und deshalb tat es Nero auch nie wieder und gab Tohya, nach was es ihm gelüstete, war es doch wahrscheinlich auch das einzige, was seine Nerven etwas zu beruhigen vermochte. Nero konnte allein mit Worten auch nicht immer zu ihm durchdringen. Doch sein Plan sollte jäh durchkreuzt werden; so wie er einen Blick in den Schrank warf, musste er feststellen, dass die Wiskeyflasche keinen einzigen Tropfen mehr enthielt. Ob Tohya bei seinem letzten Besuch etwa heimlich genascht hatte? Nun, er hatte schon etwas nach Schnaps gerochen und war lachend ausgewichen, wann immer Nero versucht hatte, ihn in seine Arme zu ziehen und zu knuddeln, denn knuddeln war alles, was man mit Tohya tun wollte. Es kam Nero wie eine Pflicht vor, den Kleinen zu herzen und zu drücken, war es doch auch genau das, was Tohya wie die Luft zum Atmen zu benötigen schien. Aber vielleicht hätte Nero ihn zur Abwechslung einmal küssen sollen, um festzustellen, ob seine Lippen denn auch nach Whiskey schmeckten. Und ob sie tatsächlich so weich waren, wie sie aussahen. Weich und zart und schon bald feucht, wenn erst ihre Zungen zum Einsatz kamen... Er schüttelte die Gedanken rasch ab und kehrte mit der schlechten Nachricht zu Tohya in das Wohnzimmer zurück. Die großen Augen, die ihn nun erwartungsvoll anschauten, musste er leider enttäuschen. "Der Whiskey muss verdunstet sein", eröffnete er Tohya. "Die Flasche ist auf einmal leer." Anstatt, dass Tohya die Schultern sinken ließ und seufze, musterte er Nero nun skeptisch. "Verdunstet?" Seine Mundwinkel zuckten leicht. "Sicher, dass du nicht im Schlaf dran genippt hast? So was soll es ja geben...Leute, die im Schlaf essen und trinken." Nero, dessen Hoffnung auf eine vernünftige Klärung von Tohyas Problem wuchs, zeigte sich nicht etwa entrüstet über diesen Vorwurf. Tohya ließ er ohnehin Dinge durchgehen, die er bei anderem bereits mit Strenge geahndet hätte. Der Kleine konnte im Grunde kaum etwas falsch machen, so sehr mochte er ihn. "Ich nehme eher an, dass sich ein kleiner, frecher Gast an der Flasche zu schaffen gemacht hat, als ich gerade nicht im Zimmer war. Jemand, der immer das Gesicht aufgrund der Schärfe des Schnapses verzieht, aber seine Finger trotzdem nicht davon lassen kann." "Wer kann denn das gewesen sein?" Tohya zeigte sich ahnungslos, während er an der Ecke des Kissens pfriemelte. "Etwa einer von den vielen Jungs, die du immer auf einen Whiskey einlädst?" Er grinste nun ganz breit und wirkte somit schon wieder fast wie der alte. Seine Unbeschwertheit schien wieder aufgetaucht zu sein, jene Aura der Leichtigkeit, in der Nero oft so gut von den Sorgen und Problemen des Alltags abschalten konnte. Es gab kaum etwas, was dem Kleinen besser stand als dieser Frohmut. Er war sein schönster Schmuck, der seine Augen hell strahlen und Nero stets wissen ließ, wieso er diesen Jungen so fest in sein Herz geschlossen hatte. "Nun", neckte er Tohya weiter, dem solche Spielchen immer ziemlich gut gefielen. "Ich bin eben ein sehr gefragter Mann mit gutem Schnaps und einem bequemen Sofa." "Heute bist du lediglich ein gefragter Mann mit einem bequemen Sofa", meinte Tohya und griff sich eine der Mandarinen, die in der Schale auf dem Couchtisch lagen. "Und einer, der ziemlich gesunde Dinge anzubieten hat." Nero sah dem Kleinen dabei zu, wie er die Mandarine zu schälen begann und setzte sich alsbald neben ihn. Rasch hatte Tohya die Schale abgeknibbelt und eine der fruchtigen Spalten gelöst, um sie sich zwischen die Lippen zu schieben. Süß. Einfach nur süß. Wie konnte ein Mensch nur so hinreißend sein, bei allem, was er tat? Und wenn er nur aß? Aber er durfte sich nicht von seinen Gefühlen übermannen lassen und den Vorfall von vorhin ignorieren, nur um des lieben Friedens willen. Wenn sie darüber schwiegen, würde er womöglich ihre ganze gemeinsame Zukunft belasten. Oder auf kurz oder lang dafür sorgen, dass es keine gemeinsame Zukunft gab. Und das hätte Nero sehr traurig gemacht. Tohya war doch sein Sonnenschein, und wie sollte er ohne diesen sein können, wenn er nicht mehr für ihn strahlte? "Magst du mir nun erzählen, was passiert ist? Wieso du am liebsten nichts mehr mit mir zu tun gehabt hättest?" Tohyas Miene verhärtete sich prompt, nahm etwas eisigere Züge an. Trotzdem kaute er weiter und steckte sich alsbald sogar noch eine Mandarinenscheibe in den Mund. Auch wenn er nicht aussah, als würde es ihm noch schmecken. "Bei dieser Show...", setzte er an, offenbar nach den richtigen Worten suchend, während er es nicht schaffte, Nero anzusehen, der dafür ihn nicht mehr aus seinen geduldigen Augen ließ. "Es war eigentlich ganz lustig, wir hatten mächtig viel Spaß...bis wir dann die Aufgabe hatten, das zu zeichnen, von dem wir glauben, dass es die anderen am meisten auf der Welt lieben." Er kaute angestrengt weiter, den Blick auf das Kissen gerichtet. Jetzt kam der schwere Part. "Kouki sollte das zeichnen, was ich am meisten liebe, und ich hatte eigentlich gedacht, dass er mein Drumkit malt...aber..." "Aber?", hakte Nero nach, da die Neugierde ihn mittlerweile plagte und Tohya nicht zum Punkt kam. Nun seufzte der Kleine tief und suchte etwas unsicher nach Neros Blick. "Er hat mich und dich gemalt, küssend", verriet er dem anderen mit leiser und beschämter Stimme und wurde prompt ein wenig rot um die Wangen, aber schon im nächsten Moment trat eine kleine Zornesfalte auf seine Stirn. "Er hat mich als schwul und verliebt in dich hingestellt und mich damit vor allen blamiert...ich habe das Blatt sofort zerrissen, aber das hat auch nichts mehr geholfen..." Seine Verzweiflung ließ sich deutlich heraushören, während er ratlos weiße Fäden von der Apfelsine zupfte. "Die denken doch nun alle, wir hätten was miteinander und werden mich bis in alle Ewigkeit ärgern." Nun wurde Nero einiges klar. Tohya und seine Kumpels erinnerten Nero in ihrem Verhalten ganz oft an Schuljungs, plagten sie doch ähnliche Probleme und gerieten sie doch rasch wegen irgendwelchen Nichtigkeiten aneinander. Kein Wunder also, dass es den Älteren etwas amüsierte, dass solch eine kleine Zeichnung der Grund für Tohyas schlechte Laune war. Aber dass er dies zum Schmunzeln fand, verriet er Tohya nicht, schien der Kleine doch nun wieder mehr mit dem Geschehenen zu hadern. Er musste Einfühlungsvermögen zeigen, wenn er Tohya nicht gegen sich aufbringen wollte. "Ist das denn so schlimm?", wollte er wissen, in der Hoffnung, Tohya die Sache dadurch von einem etwas anderem Blickwinkel sehen zu lassen. "Ich meine, die anderen bezeichnen dich doch auch als schwul, wenn du mit Tomo oder einem der anderen Jungs knutschst, und da regst du dich auch nicht auf. Das sind einfach nur Scherze, die nicht böse gemeint sind, und das weißt du doch eigentlich auch." Tohya wirkte nachdenklich. Für einen Moment sah es so aus, als würde er sich nun in sein Schneckenhaus zurückziehen und nicht mehr über die Sache reden wollen, da Nero ihn ohnehin nicht verstand, ja seine Sorgen noch nicht einmal sonderlich ernst nahm, weil der Altersunterschied sie eben doch aus zwei anderen Welten kommen ließ. Doch Nero wartete ab, ließ dem Kleinen Zeit, bis dieser schließlich den Kopf noch etwas weiter gegen seine Brust drückte in seiner Scham ob der folgenden Worte. "Mit Tomo und mir ist das auch was ganz anderes", verriet er leise. "Es hat nichts zu bedeuten, es ist ein Spaß. Wir haben uns auch lieb, aber...nicht so." "Nicht so?" Nero hatte sich diesen erstaunten Kommentar nicht verkneifen können. Auch wenn man wohl nicht vermutet hätte, dass ein besonnener Typ wie er zu solch heftigen Gefühlsregungen in der Lage war, schlug sein Herz jetzt voller Aufregung in seiner Brust. Tohya, dachte er nur. Tohya, bitte lass es wahr sein... "Nero-chan, ich..." Tohya schluckte. Die angefangene Apfelsine fest in den Händen haltend, sah er Nero aus großen Augen an, plötzlich frei jeglicher Scham und voll eines aufrichtigen Gefühls, das Nero zum glücklichsten Mann auf der Welt machte. Er brauchte eigentlich nichts mehr sagen, aber er tat es dennoch. "Zwischen uns, das ist ernster. Ich will nicht, dass sich jemand darüber lustig macht. Ich fühle mich sonst verurteilt dafür, dass ich...einen Mann liebe. Wirklich liebe." Ergriffen ob dieser Worte rückte Nero näher an den Kleinen heran und nahm dessen schönes Gesicht in seine Hände. Gebannt sah Tohya ihm in die leuchtenden Augen, nicht mehr wissend, was geschah und wie ihm geschah in diesem Moment, der so erfüllt war von intimen Gefühlen und stillem Verlangen. Und Neros Verlangen blieb in der Tat still. Er mochte der Sprecher Merrys sein, derjenige, der auf der Bühne die kleinen Ansagen tätigte, aber gerade fand er kein einziges, treffendes Wort, um Tohya die Erwiderung seiner Gefühle zu gestehen. Was aber nicht bedeutete, dass seine Lippen untätig blieben. Er hatte sich schon so lange gefragt, wie weich Tohyas Haut sein musste, wenn sein Mund sie berührte, hatte sich gewünscht, die kleinen Leberflecke in seinem Gesicht zu zählen mittels einzelner, kleiner Küsse, und nun endlich war die Gelegenheit dafür gekommen. Das, was er so lange nicht gewagt, aber sich genauso lange gewünscht hatte, durfte nun sein, denn Tohyas Gefühle waren ein Abbild seiner eigenen. So unterschiedlich sie gewissermaßen sein mochten, so gleich waren sie sich in diesem Moment, in welchem sie nichts weiter als zwei Liebende waren. Tohya schloss geruhsam die Augen, während Nero sein anbetungswürdig hübsches Gesicht mit all den Küssen bedeckte, die er sich über Monate hinweg zusammengespart hatte. Seine zärtlichen Lippen erkundeten jedes Detail, angefangen von seiner Wange bis zu seinem Ohr, was den Kleinen im Überschwang der süßen Gefühle wonnig zucken ließ, war er dort sehr empfindlich, ehe Nero ihm einen Kuss auf die Nasenspitze drückte, gefolgt von einem auf den linken Mundwinkel und schließlich einen mitten auf den Mund. Die Suche hatte ihr Ende, und das Ziel war süß, zuckersüß. Nun war Nero froh, dass er Tohya nicht geküsst hatte, als er nach scharfem, bitterem Whiskey geschmeckt hatte, denn der erste Eindruck zählte bekanntlich auch bei diesen Dingen. In dem Moment, in dem sie ihre Gefühle füreinander endlich zu einem Paar machten, schmeckte Tohya nach den fruchtigen, etwas sauren Apfelsinen, deren Saft seine Lippen ein bisschen klebrig gemacht hatten. Wahrscheinlich würde Nero sich immer an diesen Augenblick erinnern und Tohyas Geschmack mit diesen orangenen Früchten in Verbindung bringen, welche genauso süß und köstlich waren wie der Kleine. Little Satsuma würde Nero ihn nennen, wenn er an ihn dachte und in ansah. Kleine Mandarine. Es mochte kitschig sein, aber wer würde ihn schon dafür verurteilen? Tohyas Freunde ganz bestimmt nicht. Diese würden ihnen nie wieder etwas anhaben können. Und davon würde er Tohya auch sehr bald überzeugen, da war er sich ganz sicher.   *     Der Frühling zog mit großen Schritten ins Land und brachte alsbald die ersten warmen Tage mit sich, welche insbesondere Paare ins Freie zogen. Schließlich gab es kaum etwas Besseres, als die Sonne gemeinsam zu genießen und sich in dem kleinen Glück zu aalen, welches nur zwei Menschen sich gegenseitig zu schenken vermochten. Nun, natürlich war es auch nicht ungewöhnlich, wenn sich frisch Verliebte zunächst im heimischen Bett verkrochen und zunächst dort ihre Liebe zelebrierten, aber dies hatten Tohya und Nero bereits in den letzten Tagen getan. Wunderschöne Nächte aus Zärtlichkeit waren aus ihrer Zuneigung geboren worden, Nächte, die nur ihnen allein gehörten und zu denen die Augen der Welt keinen Zutritt besessen hatten. Aber nun war es an der Zeit, ihre Liebe nach außen zu tragen, so diskret wie möglich, aber doch eindeutig. Es kam selten vor, dass man zwei Menschen Hand in Hand durch die herrlichen Parks ziehen sah, und noch seltener kam es vor, dass man zwei Männer verbunden durch diese Geste der Liebe antraf. Kein Wunder also, dass Tohya sich zunächst etwas geniert hatte, sich an Neros Hand in der Öffentlichkeit zu zeigen. Aber die Scham war ein hässliches Gefühl, das so viel kaputtmachte, weshalb er beschlossen hatte, stolz auf sein Herz zu sein, welches sich dem richtigen Menschen anvertraut hatte. Was zunächst nur ein Entschluss gewesen war, wurde schon bald zu einem irrationalen Gefühl, so wie sie Seite an Seite durch den Park schlenderten und den herrlichen Frühling auf sich wirken ließen, der das Abbild ihrer Empfindungen vonseiten der Natur zu sein schien. Die Welt war ein schöner, friedlicher Ort, wenn man diese beiden Attribute nur in sich selbst fand.   Auf einer Parkbank erblickte Tohya schließlich eine Gruppe Jungs, die er ohne jeden Zweifel als ein paar seiner Freunde erkannte. Kouki war unter ihnen, genau wie Tomo, der an einem Crepe knabberte und bereits über und über mit Schokolade beschmiert war. In anderen Situationen hätte er ihm das Zeug wahrscheinlich persönlich aus dem Gesicht gewischt, aber heute würde er sich nicht zu den anderen gesellen. Dieser Tag gehörte nur ihm und Nero, dessen Hand er entschlossen noch etwas fester umschloss, als sie sich dem Grüppchen näherten. Der Ältere war natürlich äußerst erstaunt bezüglich dieses Sinneswandel, ließ sich aber stolz auf seinen Freund mit sich ziehen. Und konnte sich einen etwas überlegenen Blick nicht verkneifen, als sie an den verblüfft dreinschauenden Jungs vorbeizogen. Die gute Laune, die Liebe und nicht zuletzt der gute Sex in den letzten Tagen schienen Tohya derart zu beflügeln, dass er seinen Freunden sogar keck zuzwinkerte, als er sich ihrer Blicke bewusst war. Zu sagen gab es nichts. Er sonnte sich förmlich in der ungeteilten Aufmerksamkeit und zeigte jedem gerne sein Glück, insbesondere jenen, die sich vor ein paar Tagen noch darüber amüsiert hatten.   "Hast du gesehen, wie sie geglotzt haben?", kicherte Tohya, als sie sich ein wenig von den anderen entfernt hatten und sie sie nicht mehr hören konnten. "Klar habe ich das gesehen", bestätigte Nero, der nun seinen Arm um Tohyas Schultern gelegt hätte, während die Hand des Jungen auf seiner Hüfte ruhte. "Sie sind erblasst vor Neid, weil sie ihre große Liebe noch nicht gefunden haben. Im Gegensatz zu dir." Leicht verschämt schmunzelte Tohya ob dieser Worte in sich hinein. Nero hatte mal wieder den Nagel auf den Kopf getroffen, so, wie er es immer tat. Tohya hatte seine große Liebe gefunden, und dies würde ihm nicht mehr peinlich sein. Denn daran gab es nichts Schämenswertes, was er dank Nero hatte lernen dürfen. Liebe war immer schön und so natürlich, denn sie zauberte einem den Frühling ins Herz. Und manchmal schmeckte sie sogar nach Mandarinen.   Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)