Forever Dream von Mad Hatter-sama ================================================================================ Kapitel 4: The Sea and the Sand ------------------------------- Entgegen seiner Ankündigung rief Toshi kein zweites Mal an. Das hatte zu einem geringen Teil damit zu tun, dass er zu der Überzeugung gekommen war, solche Dinge müsse man persönlich machen und zu einem größeren Teil damit, dass er zwischen seinem normalen Alltag und einem Yoshiki, der sich über die Mietpreise dieser Stadt aufregte – andere Leute hatten so etwas mit Sicherheit nicht! - keine ruhigen fünf Minuten fand, um sich wirklich, komplett, einhundertprozentig klar zu werden, was er eigentlich genau wollte, mit wem und wann – und was das eventuell für die Enkelkinder bedeutete, die seine Eltern sich wünschten. Das war tragisch für ihn, erlaubte es hide allerdings, das Thema ‘neue Freunde und was damit zusammenhängt‘ fürs erste unauffällig in der Versenkung verschwinden zu lassen und in den stabilen Gefängnisfrieden zurückzukehren, der normal für sein Zuhause war. Doch das Warten war auch für ihn anstrengender, als er gedacht hatte. Der Juni neigte sich bereits dem Ende zu, als hide schließlich eines Dienstags zu einem Zettel nach Hause kam, der ihr darüber aufklärte, dass ein Yoshiki für ihn angerufen hatte. Er klemmte sich ans Telefon und rief zurück. Nach dem achten Klingeln hob Yoshiki ab. „Hai“, keuchte er. „Warum bist du so außer Atem?“, fragte hide ohne Vorstellung. Daraus, dass Yoshiki ohne zu zögern antwortete, wusste er, dass man ihn erkannt hatte. „Die Tom ist schwer und die Einfahrt ist lang.“ „… was?“ „Ich hab einen Raum gefunden“, sagte Yoshiki und wickelte sich sieben Kilometer weiter die Telefonschnur um den Zeigefinger. „Des-… Entschuldigung, ich muss noch ein paar Mal Atmen.“ Er senkte den Hörer und atmete vier Mal tief durch. „Deswegen hatte ich angerufen. Unten am Hafen“, fuhr er dann fort. „In dem alten Fabrikkomplex neben dem Fluss. Da vermieten sie jetzt Räume als Ateliers an Künstler und Büros für kleine Firmen und Selbstständige und so. Unten im Keller war früher die Fertigung, das ist schallgedämpft und wir stören niemanden. Aber ich schwör dir, bis ich da drauf gekommen bin… ich hab eine Telefonrechnung in vierstelliger Höhe erzeugt.“ „Sind deine Eltern sauer?“, fragte hide. „Naja, meine Mutter fährt mir später das Zeug hin, also kann es nicht so schlimm sein. Vielleicht ist sie aber auch nur froh, dass sie es endlich hier los hat“, witzelte Yoshiki. „Auch das Klavier?“ Yoshiki zögerte. „Das… das bleibt hier“, sagte er schließlich. „Ich arbeite in den Ferien und kauf was Neues. Irgendwann. Auf jeden Fall kommt Toshi auch und hilft mir nochmal klar Schiff machen und dann räumen wir ein. Du kannst dein Zeug also auch bringen, wenn du willst. Und du kannst sehr gerne auch mitputzen. Es sieht scheiße aus.“ „Wann ist später?“ „In ‘ner Stunde. Ich mach gleich los.“ hide lugte um die Ecke und schaute auf die Uhr in der Küche. „Ok“, sagte er. „Ich bin da.“ -X- Etwas mehr als die angekündigte Stunde später stand hide vor dem großen, ziemlich hässlichen Fabrikgebäude, das auf der einen Seite vom Meer, auf der anderen vom Fluss und einem Parkplatz und auf der dritten von der Hauptstraße begrenzt wurde. Ein ziemlich alter, beiger Wagen stand quer vor dem Haupteingang. „Ich kann so nicht lange stehen bleiben“, warnte eine kleine, schlanke Frau gerade Yoshiki, der am Kofferraum stand und sich links und rechts eine Tom unter den Arm klemmte. „Ich beeil mich“, antwortete dieser. hide riet ins Blaue. „Guten Tag Frau Hayashi. Hallo Yoshiki.“ „He hide. Mama - hide. Kannst du das noch nehmen?“, ging Yoshiki fließend von Vorstellung zu Arbeit über und nickte zu den Beckenständern. hide klemmte sie sich unter den Arm, Yoshikis Mutter hielt ihnen die Tür auf und gemeinsam betraten sie das Gebäude. Sie bogen sofort links zu den unteren Etagen ab und stiegen eine alte, unbequeme Metalltreppe hinunter, die es erforderte, sich ständig selbst auf die Füße zu gucken, wenn man keinen vermutlich schmerzhaften Abgang machen wollte. Im Keller war es kühl. Es roch ein wenig nach Thunfisch und Moder. „Stell es einfach hier in den Gang“, quetschte Yoshiki heraus, der hinter hide die Treppe hinunterstieg. hide stellte Beckenständer, Verstärker und Gitarre ab und sie stiegen wieder nach oben. „Base?“, fragte Yoshiki. „Oh weh…“, sagte hide leidend. Sie waren gerade zum fünften Mal gelaufen, als ihnen Toshi auf halbem Weg entgegenkam. „Super Timing“, sagte Yoshiki ironisch. Das Schlagzeug war inzwischen komplett. „Sorry. Es dauert mit den Öffentlichen halt ganz schön, bis man hier ist.“ Toshi stieg die letzten paar Stufen hinunter und stellte seine Gitarrentasche neben hides. „… ist das sicher hier?“ „Wenn jemand es schafft, mit meiner Base unter dem Arm davonzurennen, soll er viel Freude daran haben…“, sagte Yoshiki und machte sich daran, die Treppe noch einmal zu bezwingen. Zu dritt schulterten sie das Putzzeug und dann, endlich, zog Yoshiki die Schlüssel aus der Tasche und sperrte den Raum auf. Er war groß, kahl und, aus seiner Natur als Keller folgend, fensterlos. Die Wände waren von einem schmutzigen, bröckeligen Weiß. Auch hier drin roch es unverkennbar nach Meer und ein wenig nach Motorenöl. Die Neonröhren flackerten leicht und erzeugten ein kaltes, unwirkliches Licht. „Bin das nur ich“, sagte hide, „oder sieht noch wer tote Menschen?“ „Witzig“, murrte Yoshiki. „Versetz du mal Berge mit dreißigtausend Yen.“ hide hörte schlagartig auf zu grinsen. Oh. Ja. Da war ja noch das… Doch Yoshiki hatte sich bereits wieder dem Raum zugewandt und bemerkte den plötzlichen Stimmungswandel nicht. „Gut“, sagte Toshi bereitwillig. „Fangen wir an.“ Yoshiki reichte ihm einen Besen. „Hier. Darin hast du ja Übung.“ „Und was mach ich?“, fragte hide. „Ich hab Farbe gekauft“, sagte Yoshiki und deutete auf den weißen Plastikeimer, den Toshi getragen hatte. „Du kannst die nehmen und alles überstreichen, was scheiße aussieht.“ hide trat ein paar Schritte in den Raum und drehte sich einmal um sich selbst. „Kannst du das eingrenzen?“ Toshi prustete. Yoshiki musste gegen seinen Willen grinsen. „Du bist so ein Arschloch.“ Eine Viertelstunde später lehnte Toshi neben dem Besen an der Tür und sah seinen Bandkollegen beim Arbeiten zu. Er hatte versucht, eine weitere sinnvolle Aufgabe zu finden, aber es nicht geschafft – manchmal waren drei Leute in einem Raum einfach zu viel. Zu viele Köche und Brei und so weiter. „Und wo ist eigentlich Taiji?“, fragte hide gerade und trat einen Schritt zurück, um sein Werk zu bewundern. Er hatte den letzten dunklen Fleck an der Wand mit weißer Farbe übermalt. Jetzt sah die Wand aus, als habe sie die Pocken. Das würde ziemlich viele gute Poster brauchen… „Taiji hat mir ein Angebot gemacht, das ich nicht ablehnen konnte“, sagte Yoshiki und warf den nassen Putzlappen mit einem ekligen ‘Schlawpf‘ auf den Boden. „Was für ein Angebot?“ hide malte ein paar Blümchen zwischen die weißen Flecken. Blümchen und Pocken, ein neuer Punk-Song. Yoshiki schob den Schrubber mit dem Lappen nach links, nach rechts, ein Stück nach links und wieder nach rechts. „Das Angebot involviert ein Sofa und einen Kühlschrank. Und ich dachte, ich kann allein den Boden wischen. Aber allein ein Sofa kaufen, das kann ich nicht.“ „Mmh. Also Taiji drückt sich vielleicht vor Arbeit, aber er macht es mit viel Einsatz“, sagte hide anerkennend. „Ich bin fertig.“ „Das sieht nicht wirklich besser aus als vorher“, urteilte Toshi. hide erhob drohend den Pinsel in seine Richtung. „Sag das nochmal und ich überstreich dich. Ich bin ein fucking Künstler!“ „Ja, dann könnt ihr jetzt nichts machen“, sagte Yoshiki und fuhrwerkte den Schrubber in die Ecke. „Wartet, bis ich fertig bin.“ Zehn Minuten später standen sie nebeneinander in der offenen Tür auf dem Gang und schauten nach drinnen. „Also ich weiß nicht…“, sagte hide. Auf dem Boden, den Yoshiki soeben gewischt hatte, zeigten übriggebliebene Dreckschlieren deutlich die verschlungenen Wege, die er sich gebahnt hatte. Toshi legte seinem besten Freund einen Arm um die Schulter. „Also Yoshiki, ich muss sagen, du füllst gerade keinen nützlichen Platz in unserer Band aus“, sagte er neckend, Herr Tanaka imitierend. „Jaaaa…“, machte Yoshiki gedehnt und lächelte etwa vier Sekunden lang etwas seltsam, bevor er abrupt damit aufhörte und sich in der Umarmung zu Toshi drehte. „Nimm hide und geh was zum Abendessen kaufen, bevor ich dir einen Wedgie verpasse!!!“ -X- „Yoshiki war ziemlich angepisst, hu?“, fragte hide, als Toshi und er wenig später zusammen den Supermarkt einige hundert Meter entfernt betraten. Es war riesiges Einkaufscenter, eines von der Sorte, die von Unterhosen über Gemüse bis hin zu Tiernahrung alles führten, was man nicht brauchte. „Nah“, sagte Toshi. „Das war gar nichts. Immerhin hat er weiter gearbeitet. Wenn Yoshiki laut ist, brauchst du keine Angst zu haben. Aber wenn er still wird – renn.“ „Notiert.“ Sie schritten tiefer in das Labyrinth aus Gängen, bunten Preisschildern und leuchtender Reklame. Mit hide einkaufen zu gehen, stellte Toshi bereits nach wenigen Metern fest, war nicht weniger anstrengend, als eine Horde Kindergartenkinder zu hüten. Er wuselte hierhin, wuselte dorthin, fand überall irgendetwas lustig und begeisterte sich unendlich für alle Waren, die bunt waren oder von seltsamen Tierchen oder Animecharakteren beworben wurden. Toshi musste ihn förmlich von roten Kuschelsocken mit gelben Herzen darauf wegzerren, genauso wie von Lufterfrischern in Bärchenform. Es dauerte zehn Minuten, bis sie schließlich die Frischeabteilung erreicht hatten. Die Angestellten hatten gerade neue Preissticker auf die Bentos des Tages geklebt, um sie vielleicht doch noch an den Mann oder (seltener) die Frau zu bringen. Toshi ging einen Schritt zurück, um die Auswahl besser im Überblick zu haben. Hinter ihm saß hide in der Hocke vor einem Regal und verglich Softdrinks. „Willst du was Bestimmtes?“ hide wühlte im Regal und sah nicht auf. „Mir ganz egal, solang was Frittiertes dabei ist. Wo ist der Unterschied zwischen denen?“ Er hielt zwei Dosen hoch. Toshi warf einen Blick über die Schulter. „Vermutlich ist eine eklig und die andere noch mehr.“ Er wandte sich wieder dem Kühlregal zu und zog schließlich drei unterschiedliche Plastikformen heraus, von denen eine aussah, als könne ihr Inhalt einen Herzinfarkt auslösen. So konnten sie zumindest noch durchtauschen, falls eines sich als von zweifelhafter Qualität entpuppte. hide hatte sich für Orangenlimonade entschieden. Aus Toshis Sicht waren sie damit auch fertig. Er wandte sich Richtung Ausgang. Doch etwas hielt ihn am Ärmel zurück. „Purin“, sagte hide. „Was willst du denn mit Purin?“ „Essen. Puriiin“, sang hide. „Puuurin, Purin, Puriiiin, Pu-“ „Jaaa!“, rief Toshi. „Meine Güte!“ hide grinste zufrieden und schleifte ihn einmal durch den Laden zu den Süßspeisen. Und das Spiel begann von vorn. „Wo ist der Unterschied zwischen denen?“ Er hielt zwei Becher hoch. „Der eine ist Schoko und der andere Karamell“, sagte Toshi. "Und der?" "Erdbeer. Sag mal hide, kannst du lesen?" "Ja. Aber so macht es mehr Spaß." hide grinste ihm über die Schulter verschmitzt zu. „Willst du auch einen?“ „Nein, Danke.“ „Will Yoshiki einen?“ „Ich denke Nein. Aber er mag Mochi.“ „Erdnuss?“ „Tee.“ „Iiih…“ Weitere fünf Minuten später hatte hide sich entschieden. Auf dem Weg quer durch den Supermarkt zur Kasse nahm er im Vorbeigehen noch dubiosen Schmelzkäse in Scheiben mit. Toshi ließ ihn… Immerhin war hide ein großer Junge, er konnte bestimmt schon ganz alleine einkaufen. Dafür besorgte er vorsorglich noch eine Packung Matchamochi. Wer wusste, in welcher Stimmung Yoshiki war, wenn sie zurückkamen. Sie stellten sich an Kasse vier und warteten. Es ging langsam. hide betrachtete die Süßigkeiten, hielt sich aber vorbildlich zurück. Gerade hatte es zum dreiundfünfzigsten Mal gepiept, als sich eine Mutter mit zwei Kindern hinter ihnen anstellte. Ihr größerer Sohn schob hide den Wagen enthusiastisch in die Hacken, während die Mutter begann, ihre Einkäufe aufs Band zu stapeln. „He…“, grummelte hide, doch das wurde geflissentlich ignoriert. Er zog eine Schnute und machte einen halben Schritt nach vorne. Toshi wollte ebenfalls einen halben Schritt zurück machen, doch da stand bereits ein älterer Herr mit Socken in den Sandalen. Die Erkenntnis, wie unendlich nahe hide und er nun plötzlich beieinanderstanden, traf ihn unvorbereitet. Es war eine dieser Situationen, in denen man den angemessenen Abstand zu seinen Mitmenschen nicht einhalten konnte, dachte Toshi. Wie in der U-Bahn. Es war nichts Besonderes… Nichts besonderes! Doch mit der Nähe kam die Erinnerung hoch, wie er vor nicht einmal vier Wochen in den anderen Jungen hineingerannt war. War wirklich erst so wenig Zeit vergangen? Ihm erschien sein Leben mit hide so nah und das ohne ihn so weit entfernt, fast so, als hätte an diesem Abend ein Bruch stattgefunden, der dieses neue Zeitalter für immer von allem Vorhergegangenen abgespalten hatte. Toshi warf einen flüchtigen Blick auf hide im Profil. Ihm wurde ein kleines bisschen schwindelig und schwitzig und komisch. Das war nicht normal, oder? War das normal?! Toshi drehte sich wieder zum Band und betrachtete angestrengt die Einkäufe der Mutti hinter ihnen, die an ihm vorbeiwanderten. Reis. Shiitake. Azukibohnen. Da war ein Hauch Vanille in der Luft und er war sich ziemlich sicher, dass es hides Shampoo war und nicht das des Mädchens zwei Kunden weiter vorne. Spinat. Deo. Eine einsame Zwiebel. hide stupste ihn von der Seite an. „Glaubst du, sie glaubt mir, dass ich zwanzig bin?“, murmelte er. Toshi folgte seinem Blick zu ihrer Kassiererin, auch wenn das für die Beantwortung dieser Frage letztlich nun so überhaupt keine Rolle spielte. In die andere Richtung zu schauen hätte bedeutet, seine Nase in hides Ohr zu stecken. „Nein“, sagte er. „Mmh. Doof“, sagte hide. Sie gingen einen weiteren Schritt nach vorne. „Was willst du?“, fragte Toshi, auch wenn die Auswahl durch die Art der Frage bereits stark eingeschränkt war. „Zigaretten.“ hide nickte zu dem Tabakregal hinter ihnen. „Frag Yoshiki. Vielleicht hast du Glück.“ „Mal sehen…“ Toshi gab ihm in Gedanken Recht – wenn Yoshikis Laune schlecht war, hatte er die Packung vielleicht allein geraucht, bis sie zurück waren. Sie kamen dran. „Alles?“, fragte die Kassiererin. „Alles“, sagte Toshi und nahm seinen Geldbeutel aus der Hosentasche. „Und halt, stopp. Das da ist meins“, sagte hide und deutete auf das Herzinfarkt-Bento, den Käse und den Pudding. „Aber…“ Toshi blickte ihn fragend an. hide schaute zurück. Die Kassiererin sah zwischen ihnen hin und her und wartete auf eine eindeutige Ansage. „Ich dachte…“, begann Toshi zögernd noch einmal. Und lief rot an. hide grinste schief. „Ich wollte nur das Purin-Lied singen. Ich kann mein eigenes Zeug bezahlen.“ Er klopfte Toshi auf die Schulter. „Aber gut zu wissen, dass du‘s gemacht hättest. Das ist eine wichtige Info für die Zukunft.“ Sie schlenderten nebeneinander zurück, über den Parkplatz, die Straße hinunter, über die Straße und wieder über den Parkplatz. hide bestritt die Konversation und Toshi wünschte sich, er könne einmal im Kreis rennen, um von der Leitung runterzukommen, auf der er stand. Wieso war es so schwer, sich mit hide zu unterhalten wie mit einem ganz normalen Menschen? Das ruinierte doch alles! Ein paar Schritte vom Eingang entfernt schließlich verlangsamte Toshi seinen Schritt. Ok. Am Telefon hatte das nicht funktioniert. Also gut. Das hier war die Chance. Selbst ist der Mann, wenn nicht jetzt, wann dann? Und das war ein Reim. Er sollte vielleicht doch mehr Lyrics in der Band übernehmen, als er geplant hatte. „Uhm… hide…“ „Mmh?“ Der Angesprochene unterbrach seinen Monolog über die Wolken, schaute sich über die Schulter und bemerkte, dass Toshi zurückgeblieben war. Also blieb er ebenfalls stehen und drehte sich halb um. „Was ist?“ Toshi schluckte. Vielleicht gab es doch bessere Momente als die, in denen man eine Plastiktüte mit Bentos in der Hand hatte und hinter einem der Verkehr entlangbrauste... Doch er ballte die Hand entschlossen zur Faust. Nein. Es gab für so etwas nie den perfekten Zeitpunkt und wer das glaubte, war bescheuert. Das Leben wurde nicht länger und das hier war der Moment! „Ich… ich hab mich gefragt… also… möchtest – würdest du -“ Das gab es doch nicht! Toshi schlug sich imaginär mit der Hand gegen die Stirn. Er war ja so ein Idiot! Rede einfach ganz normal mit ihm! Los! Sag jetzt Worte, die Romantik passieren lassen! Toshi atmete ein. „hide, hast du Lust mit –“ „AAAAARGH!“ Yoshiki öffnete die Eingangstür zum Fabrikkomplex mit einem Fußtritt, der die schwere Eisentür zwar nicht sonderlich beeindruckte, aber zumindest dabei half, seinen Unwillen kund zu tun. „Wenn ich berühmt bin!“, deklarierte er, als er hide und Toshi erblickte, „putze ich niemals! Wieder! Schaut euch meine Finger an! Die sehen aus wie Walnüsse!“ Er fuchtelte mit seinen Händen in ihre Richtung. „Haha, Nüsse…“, sagte hide und fing an zu kichern. „Nicht lustig!“, fauchte Yoshiki, doch seine Mundwinkel zuckten eindeutig. „Entschuldige“, sagte hide, beruhigte sich und drehte sich wieder zu Toshi. „Ja?“ „… hast du Lust, draußen zu essen?“ hides Gesicht hellte sich auf. „Uh! Optimale Idee. Lasst uns runter ans Wasser gehen.“ Er nickte zum Strand und machte sich auf den Weg. „Und wenn wir schon an der frischen Luft bleiben – Yoshiki, kann ich mir eine Zigarette schnorren?“ „Ja, von mir aus…“ Toshi seufzte still und setzte sich langsam, sehr langsam in Bewegung. Irgendjemand dort oben hatte einfach was gegen ihn. Entweder das, oder er war ein hoffnungsloser Fall. Vielleicht beides. Verhältnis 30/70. Fünf Minuten später saßen sie im Sand und aßen Bento. Keines davon schien ihnen bedenklich und sie teilten brüderlich. Mit äußerst unterschiedlichen Präferenzen. „hide, das passt doch alles gar nicht zusammen, was du da isst.“ „Wenn eine Sache geil ist“, verkündete hide mit der Stimme der Weisheit und hielt ein Garnelen-Tempura hoch, „und eine zweite Sache geil ist“, er hob eine kleine Frikadelle mit Ketchup, „dann sind sie zusammen supergeil!“ Er steckte sich beides in den Mund. „Ich kann gar nicht hinschauen…“, sagte Yoshiki. hide angelte noch kauend in seiner Box herum. „Dann schau halt weg. Ihr wisst ja bloß nicht, was gut ist.“ „Nicht sicher, dass du es weißt.“ Yoshiki wandte sich zu Toshi. „Du und ich, wir müssen ein Mikrofon kaufen. Oder, lass mich das umformulieren: Ich muss Mikrofon, du musst kaufen.“ Toshi schluckte einen Bissen Ei runter. „Ok. Was kostet sowas?“ „Naja. So 13000 musst du schon rechnen. Wenn du was Gescheites willst. Und ich will was Gescheites.“ Sein bester Freud pfiff leise. „Ich brauch einen riesigen Vorschuss von meinem Taschengeld...“ „Ich kann’s dir vorstrecken…“ „Hast du nicht schon genug zu tun mit einem Klavier?“ „Ich glaub, ich geh auf Keyboard… für’s erste“, sagte Yoshiki an einem Stück Lachs vorbei. „Das beantwortet die Frage nur begrenzt.“ „Mikro ist erstmal wichtiger als Klavier. Und du zahlst es mir ja in Raten zu-“ Yoshiki stockte und drehte den Kopf zu hide. „… hast du da gerade Käse in deinen Pudding gedippt?“ -X- Yoshiki stand neben Taiji vor dem Gebäude. Es war Freitag. Neben ihnen standen ein Sofa, ein kleiner Kühlschrank, der Bassverstärker, zwei Lautsprecher und ein ziemlich großer Kasten. „Kein Aufzug, was?“, fragte Taiji. „Nein“, sagte Yoshiki. „Interessant“, sagte Taiji. „Ich hol dann mal hide und Toshi.“ „Tu das.“ Mit vereinten Kräften und unter ziemlich viel kreativem Fluchen schafften sie erst Sofa, dann Kühlschrank und schließlich den Rest nach unten. Toshi und hide stellten mit einem Stöhnen den Kasten ab. „Was ist das überhaupt?“, fragte Toshi und bog den Rücken durch. Auuuu… „Das ist die PA“, sagte Taiji und stellte den Bassverstärker fast liebevoll neben das Schlagzeug. Toshi zog die Augenbrauen zusammen. „Wozu brauchen wir eine PA? Wir haben doch hier drin kein Publikum.“ „Weil“, sagte Taiji mit einem sehr nachsichtigen Blick, als habe Toshi gefragt, welche Rolle Sauerstoff im menschlichen Organismus spielte, „sich dein zartes Stimmchen vielleicht gegen ein Klavier durchsetzen kann, aber nicht gegen E-Gitarre und Schlagzeug.“ „Oh…“ Toshi schaute zwischen dem Bassisten und der Anlage hin und her. Es dämmerte ihm gerade, wie billig er eventuell wirklich aus dieser Sänger-Nummer rausgekommen war… und dass er nicht wusste, wie er sich dafür revanchieren sollte. Worte. Worte waren erst mal gut. „Ähm… danke?“ Taiji verdrehte die Augen und legte die Basstasche ab. „Das ist kein Geschenk, Mann. Es ist und bleibt meine. Und deinen restlichen Gesangscheiß musst du dir selbst besorgen.“ Toshi kratzte sich peinlich berührt am Hinterkopf. „Ja, das… Ja. Hab ich. Also – er hat. Trotzdem. Danke.“ Hatte die Skala, auf der man das Gefühl fehlender Professionalität maß, eigentlich ein oberes Limit? „Wie kommt es, dass du dieses ganze Zeug bei dir rumstehen hast?“, fragte hide, der gerade wieder hinter dem Kühlschrank auftauchte. Drinnen brannte jetzt Licht und er machte die Tür zu und schob ihn noch ein Stück in Richtung Wand. „Das ist noch von meiner letzten Band“, sagte Taiji. Er war vor dem Amp in die Hocke gegangen und prüfte die Einstellungen. Yoshiki, der sich auf den Schlagzeughocker gesetzt hatte und dort abwartend Viertelkreise drehte, runzelte die Stirn. „Letzte Band?“ „Ich war zwei Jahre in einer Band, wir haben vor ein paar Monaten aufgehört.“ Taiji zog ein Verbindungskabel aus der Außentasche und wickelte es auseinander. „Wieso habt ihr euch getrennt?“, fragte hide. Er hatte seine Gitarre bereits ausgepackt und testete jetzt das Sofa. „Uhm, weiß nicht? Weil wir älter wurden und sie dann so: ‘He, wir können nicht mehr so oft proben, weil Mami hat gesagt, wir sollen Anwälte werden‘ und ich so: ‘Fickt euch‘.“ Taiji nahm den Bass aus der Tasche, steckte das Kabel in das Instrument und dann an den Verstärker. Dann ging er zu hide hinüber – zumindest so weit er kam. Taiji verzog wenig begeistert das Gesicht. „Scheiße… ich brauch ein längeres Kabel.“ „Und deine Mami sagt nicht, dass du Anwalt werden sollst?“, fragte Yoshiki. Offenbar war das Thema für ihn noch nicht gegessen. Taiji verdrehte die Augen. „Meine Mami hat das glaube ich aufgegeben. Ich hab noch ‘nen Bruder, soll der das machen.“ „Dann nimmst du die High School in etwa so ernst wie Yoshiki, was?“, fragte Toshi. Es brachte ihm eine grimmige Grimasse ihres Schlagzeugers und einen verständnislosen Blick von Taiji ein. „Ich geh nicht mehr zur High School.“ „…Was?“ Jetzt war es an Yoshiki, verständnislos zu schauen. Toshi runzelte die Stirn. hide hatte aufgehört, einzelne Noten auf seiner Gitarre zu spielen. Falls Taiji sich dem plötzlichen Anstieg an Spannung in der Luft bewusst war, zeigte er es nicht. „Ich hab aufgehört. Hab beschlossen, das lohnt sich nicht.“ „Aber … warum?“ Taiji hob die Schultern und ließ sie wieder fallen. „Naja. Wenn ich nicht zur Schule gehe, gibt mir das acht Stunden am Tag mehr Bass-Zeit. Das ist ein ziemlich guter Deal.“ Er hob die rechte Hand. „Diese magischen Finger passieren nicht einfach so.“ „Und was sagen deine Eltern dazu?“ „Was sollen sie schon sagen. Das ganze Zeug von wegen Enttäuschung und so, aber das kann ich ab. “ Er hatte seinen Bass an die Wand gelehnt und ging zurück zum Sofa. „Rutsch.“ hide rutschte und der andere Junge ließ sich neben ihn fallen. „Du“, sagte er nach einigen Sekunden, in denen er Taiji von der Seite her angeschaut hatte, „bist enorm hart drauf.“ Taiji grinste. „Ich kann dir noch andere Dinge verraten, die an mir hart sind.“ hide grinste zurück. „Eindeutig zweideutig. Sehr schön.“ „Wieso sitzt ihr zwei denn jetzt?“, fragte Yoshiki. „Ich dachte, wir machen jetzt was Produktives.“ „Wir lernen uns kennen“, sagte hide. „Das ist total produktiv.“ „Es ist jetzt außer Labern bisher nichts passiert, da war ich mir über das Ziel des Abends nicht mehr sicher“, frotzelte Taiji. Toshi fragte sich, ob der Bassist risikofreudig oder einfach dumm war. Er für seinen Teil war froh, dass er gerade vor der PA kniete und sich mit dem Ding anfreundete. Das senkte das Risiko, ein Stück Holz an den Kopf geworfen zu bekommen, schon mal drastisch. Yoshikis Finger machten leise Geräusche auf der Snare. Tripp-tripp-tripp-tripp. Tripp-tripp-tripp-tripp. „Ich kann übrigens auch super im Sitzen spielen“, sagte hide. „Und außerdem-“, begann Taiji. „STEHT AUF!!!“ -X- Es war ein Sonntag. Sie machten Pause. Unauffällig, sehr unauffällig, schob sich hide neben das Schlagzeug. „Kann… kann ich kurz mit dir reden?“ Yoshiki sah von seinen Noten auf. „Klar?“ „Ähm…“, hide schaute einmal über die Schulter, dorthin, wo Taiji und Toshi noch Lautsprecher und Verstärker verschoben, bis es keine Rückkopplung mehr gab. Das leise Fiepen im Hintergrund machte sie bereits den halben Nachmittag wahnsinnig. „Draußen?“ Yoshiki folgte hide die Treppe bis zum ersten Absatz nach oben. Dort drehte der Gitarrist sich um. Er seufzte und fuhr sich mit der Hand über den Nacken. „Ok, hier ist der Deal. Also, was den Raum angeht… da kann ich… also ich hab… ich kann es mir zurzeit nicht leisten und ich seh gerade auch nicht, dass das in absehbarer Zeit anders wird.“ Yoshiki spitzte die Lippen, atmete ein und wieder aus und nickte dann. „Ok. Das verkompliziert Dinge.“ „Ich weiß…“, sagte hide mit einem weiteren stillen Seufzen. „Und ich hätte es früher sagen sollen. Ich dachte nur, vielleicht finde ich noch eine Lösung, aber… ich hab keine gefunden.“ Sie schwiegen ein paar Sekunden. Yoshiki lehnte sich an die Wand. „Was machen wir jetzt?“, fragte hide. Der Schlagzeuger schwieg weitere Augenblicke, in denen er erst die gegenüberliegende Seite des Treppenaufgangs und dann die Decke betrachtete. „Keine Ahnung“, sagte er dann. „Ich nehme an, ich kümmer mich drum.“ „Was… was kostet das hier jetzt eigentlich?“ „35“, antwortete Yoshiki. „Es ging wirklich absolut nichts darunter. Also 7000 für Toshi und dich. Jeweils. Und er meinte auch schon, dass das eng wird. Aber gut. Gut...“ Er stieß sich von der Wand ab. „Ich kümmer mich drum. Irgendwie wird’s schon gehen.“ hide schaute ihn besorgt und ziemlich schuldbewusst an. „…und wie?“ Yoshiki bließ die Backen auf und ließ die Luft dann langsam wieder entweichen. „Vielleicht… such ich mir eine reiche Freundin.“ hide musste lachen. Unten ging die Tür auf. „Eh“, machte Taiji als er sie erblickte und stieg langsam zu ihnen nach oben. „Ich dachte, ihr steht vielleicht draußen rum.“ Er präsentierte einen Glimmstängel zwischen Zeige- und Mittelfinger. „Was macht ihr denn hier?“ „Ähm…“, machte hide unbehaglich. Yoshiki hingegen zögerte keine Sekunde. „Wir lernen uns kennen.“ -X- Es war der letzte Samstag vor den Sommerferien. Draußen war es warm und schwül und sie waren, trotz des leichten Fischaromas, das dem Raum nach wie vor anhaftete, inzwischen sehr froh, in einem Keller zu proben. Und darüber, einen Kühlschrank zu besitzen. „hide, nimm den Kopf da raus.“ „Ich find die Limonade nicht“, drang hides Stimme dumpf aus dem Gefrierfach. „Die steht in der Tür.“ „Ach, deswegen find ich sie hier drin nicht.“ hide nahm eine Dose aus der Tür und schloss den Kühlschrank. „Das Ding gibt den Geist auf, wenn du es immer als Klimaanlage benutzt. Es ist doch wirklich nicht warm hier“, sagte Taiji, während hide sich die Dose erst an den Hals und dann an die Innenseiten der Arme hielt. „Ich find es unendlich warm.“ „Ja, das könnte besser werden, wenn du mal was Kurzes anziehen würdest. Nimm dir ein Beispiel an Toshi.“ Toshi, der zusammen mit seinem besten Freund beschlossen hatte, dass die oberkörperfreie Zeit des Jahres angebrochen war, winkte vom Sofa, wo er durch Yoshikis Lyrics blätterte. „Nah“, machte hide, „ich trag gern lang. Diss mich nicht.“ Er knackte die Dose. Hinter ihnen ertönte ein lautes, klackendes Geräusch – der Kenner erkannte einen Rim Click. „Wenn die Kühlschrank-Diskussion dann abgeschlossen ist“, sagte Yoshiki bestimmt, „würde ich gerne mal über diese Bridge reden.“ „Ok“, sagte Taiji und nahm einen Schluck Wasser. „Du willst drüber reden? Die ist scheiße.“ Drei Stunden später hatte sich Toshi zum samstäglichen Familienabendessen entschuldigt und Taiji sich zu einem Mädchen verabschiedet, bei dem vielleicht 'was läuft' - was auch immer das bedeuten sollte. Yoshiki und hide waren zurückgeblieben und sahen sich zum siebten Mal an diesem Nachmittag die Bridge an. Die pochende Ader auf Yoshikis Stirn sprach Bände: Taiji, dieser Arsch! ... Taiji, dieser Arsch, hatte Recht. Die Bridge war scheiße. Und sie wurde.nicht.besser! hide hielt sich eine neue Dose Limonade an die Stirn. „Vielleicht... braucht das Lied überhaupt keine Bridge", sagte er. „Aber irgendwas muss da hin“, widersprach Yoshiki. „Das kann man nicht einfach so lassen.“ „… zweiter Refrain?“ „Nein. Das überstrapaziert die Melodie hier." Er tippte auf die Partitur. "Die sollte man sparsam einsetzen…“ „Uhm… der Teil hier? Weißt schon, mit dem Dideli-didi?“ „Ich weiß nicht… Glaubst du nicht, dass das komisch wird mit … dem hier?“ hide spielte einmal kurz an. „… mmh. Ja. In meinem Kopf klang das besser... Basssolo?“ „Das tust du jetzt mit Absicht!“ hide lachte und klopfte Yoshiki entschuldigend auf den Rücken. Doch bereits nach dem zweiten Mal zog er die Hand zurück. „Bäh, du fühlst dich an wie eine Wasserleiche. Also entweder, du ziehst dir was über oder du trocknest dich anständig ab." Er wischte seine Hand an Yoshikis Hosenbein ab. Dieser machte ein unwilliges Geräusch, stand aber auf, um nach seinem T-Shirt zu suchen. Vielleicht war ihre Beziehung hierfür wirklich noch nicht reif. Gerade hatte er sich wieder gesellschaftstauglich bekleidet, als hide, der leise vor sich hingeklampft hatte, meinte: "Ok, ich hab vielleicht noch eine Idee. Aber nur eine. Obwohl... ne. Ich glaub, die ist auch... ne. Vergiss es." Yoshiki winkte ab. "Ich dachte nicht, dass ich das mal sage, aber ich kann's grade auch nicht mehr sehen." hide legte die Gitarre zur Seite. "Willst du gehen?" "Eigentlich nicht." Ein paar Sekunden schauten der Yoshiki, der noch dort stand, wo er sein Shirt unter dem Schlagzeug gefunden hatte und der hide, der auf dem Sofa neben seiner Gitarre saß, sich unschlüssig an. Dann fragte hide: „Wollen wir versuchen, ob wir mich im Supermarkt als Zwanzig ausgeben können?“ Eine dreiviertel Stunde später saßen sie auf der Kaimauer und tranken Bier aus Apfelsaftflaschen. Zwischen ihnen stand ein weiterer Zwei-Liter-Tetrapack mit ‘Tee‘. Alles andere, hatte hide beim Umfüllen erklärt, führte bloß zu Problemen, falls sich doch eine unterbeschäftigte Hausfrau oder ein übereifriger Polizist der Frage widmen wollte, wie zwei Minderjährige überhaupt an Alkoholika kamen. Yoshiki war das recht – auch wenn es ihm so vorkam, als schmecke sein Bier im Abgang noch leicht nach Apfel. Aber das machte es exotisch… oder nicht? „Dem war unser Alter alles in allem ziemlich egal, hu?“, fragte Yoshiki. „Wenn ich so bezahlt werden würde, wäre es mir das vermutlich auch“, sagte hide. Er griff neben sich nach der kleinen Tüte mit Krabbenchips und begann, fröhlich vor sich hin zu mampfen. „Andererseits werde ich für nichts was ich tue bezahlt, also was versteh ich schon.“ „Das nächste Mal probieren wir, ob er dir auch Zigaretten verkauft“, sagte Yoshiki. „Das wär ein ziemlich heißer Tipp.“ Sie sahen aufs Meer hinaus. „Weißt du, was geil ist?“, fragte hide nach einigen Momenten der Stille. „Bier mit Himbeersirup.“ „Das klingt ekelhaft.“ „Neeeein, das ist mega!“ hide nahm noch einen Schluck Bier. „Das nächste Mal zeig ich dir das.“ Über ihnen kreischten die Möwen, die den heimkehrenden Booten gefolgt waren. Yoshiki schloss die Augen und genoss die letzten goldenen Sonnenstrahlen auf seinem Gesicht. Er fühlte sich komfortabel beschwipst. Neben ihm leerte hide die Krabbenchips und zerknüllte mit einem Knistern die Tüte. „Zum Thema Zigaretten: hast du welche?“, fragte er. „Nein“, sagte Yoshiki. „Die sind in meiner Jacke.“ „Schade“, sagte hide. Er lehnte sich auf seine Hände zurück und schaute in den Abendhimmel. Das Meer rauschte gleichmäßig im Hintergrund. „Erzähl mir was“, sagte er nach ein paar Sekunden. „Was soll ich denn erzählen?“, fragte Yoshiki und senkte die Flasche wieder, die er gerade gehoben hatte. „Weiß nicht“, sagte hide. „Was sind deine drei liebsten Monjayaki Zutaten?“ „Uhm… Garnele, Kohl, Karotte. Vielleicht Seeigel. Deine?“ „Schinken, Lauchzwiebeln, Käse. Mit Mayo.“ „Bwaaah…“ „He! Geschmack ist indiskutabel!“ hide versetzte Yoshiki einen kleinen Schubs gegen die Schulter. „Und du musst was sagen, Seeigel!“ „Seeigel sind megalecker!“ „Uh…“ hide zog die Augenbrauen skeptisch zusammen. „Nein. Sind sie nicht.“ Meeresrauschen. „Ich sitz selten so am Meer“, sagte Yoshiki. „Müsste man eigentlich öfter machen.“ „Ich sitz öfter so am Meer“, sagte hide. „Und du verpasst nicht wirklich was. Aber ja, grad ist’s schön.“ Neben ihm knisterte Yoshiki mit seiner eigenen Snacktüte. Und knisterte. Und knisterte. „Alles klar?“, fragte hide schließlich und drehte den Kopf. „Ich krieg die Tüte nicht auf.“ „Du musst an der gestrichelten Linie ziehen.“ „Ok, das ist nicht hier, das ist auf Kaugummi!“ „Gib her…“ hide öffnete die Tüte und reichte sie Yoshiki zurück. „Danke… So, jetzt erzähl mir was über dich.“ „Was soll ich denn erzählen?“ „Weiß nicht. Was machen deine Eltern?“ hide verzog unwillkürlich das Gesicht. So ein schöner Abend… bisher. Er entschloss sich, die Antwort kurz zu halten. „Sie führen eine kleine Bar. Nichts Besonderes… nicht mal sonderlich nett, wenn ich ehrlich bin. Deine?“ „Wir haben einen Laden für Kimonos und alles, was dazugehört“, sagte Yoshiki und nahm eine Handvoll Arare. „Echt?“, fragte hide belustigt. Yoshiki kaute knuspernd. „Ja. Was ist daran so merkwürdig?“ „Nichts“, sagte hide. „Es passt nur so gar nicht zu dir.“ „Das ist mir aufgefallen“, sagte Yoshiki trocken. hide grinste ihm aufmunternd zu. Dann wurde er ernst. „Und… was sagen sie zu der ganzen Musik-… Sache?“ Yoshiki zuckte mit den Schultern. „Was meinst du?“ „Naja. Sind sie nicht irgendwie… ich weiß nicht. Wollen sie nicht, dass du irgendwas anderes machst? Was sicheres, mit Zukunft?“ Yoshiki schnaubte. „Also wenn du mein letztes Zeugnis gesehen hättest, dann wüsstest du, dass da ohnehin nichts mit Zukunft bei rumkommt.“ hide schaute verständnisvoll. „Naturwissenschaftlichen Zweig gewählt?“ Er hatte sich vor zwei Jahren dem Druck gebeugt und genau das getan. Eine schreckliche Entscheidung. Seine Noten waren inzwischen auf den Grund eines Sees gesunken, der so tief war, dass die Fische dort unten noch nie Sonnenlicht gesehen hatten. Neben ihm schüttelte Yoshiki allerdings den Kopf. „Nein. Nichts dafür getan. Meine Mutter wollte, dass ich die High School abschließe, also mach ich es für sie. Aber sie hat nie gesagt, dass der Abschluss gut sein muss.“ Er schüttete sich Cracker in die hohle Hand. „Oh. Und was sagt dein Vater?“ Einen kurzen Augenblick lang gefroren Yoshikis Züge. Unmerklich. „Ich nehme an, ihm ist es egal.“ Er drehte den Kopf und sah zu hide hinüber, der gerade sein Bier leerte. „Warum fragst du?“ hide drehte die leere Flasche ein paar Sekunden in den Händen und schaute gen Horizont. „Ach, ich weiß nicht“, sagte er schließlich. „Meine sind nicht so begeistert von der Idee. Ich denk manchmal, vielleicht sollte ich’s lassen.“ „Das kannst du nicht!“ Bestürzt hatte Yoshiki die Hand mit den Snacks wieder sinken lassen und gestikulierte jetzt mit der Tüte in der anderen. „Ich brauch dich!“ „Ja, genau.“ hide grinste mokant [Dieses Wort hab ich tatsächlich noch nie verwendet. Man lernt immer noch was Neues.]. „Ja! Genau!“, sagte Yoshiki heftig und schwenkte die Tüte mit etwas zu viel Nachdruck – Arare flogen durch die Gegend. Etwas wie Verunsicherung stahl sich in den Blick des anderen Jungen, doch da war weiterhin dieser selbstironische Zug um seine Mundwinkel, der Yoshiki ein bisschen mehr traf, als er zugeben würde. „… warum? Weil ich eine Gitarre richtigrum halten kann?“ „Nein. Also, auch. Es ist sicher von Vorteil. Aber…“ Yoshiki machte eine halbkreisförmige Bewegung mit der rechten Hand, der Snackhand. „Boah, ich kann nicht gut mit Worten. So in Gesprächen. Warte… wie sag ich das...“ Er starrte aufs Meer hinaus, ohne bewusst etwas wahrzunehmen. Schließlich hob er mit einem Knistern die Tüte. „Als Toshi meinte, er … hätte jemanden getroffen und er glaube, dass das passt“, begann Yoshiki, „da dachte ich: ‘Oh Mann‘. Also… Toshi… ich mag Toshi, aber wir haben … nicht die gleichen Freunde. So… gar nicht.” hide schaute überrascht. “Echt nicht? Ihr wirkt so dicke, ich dachte, ihr macht alles zusammen.” „Nein… ich bin nicht wie er. Ich geh nicht einfach irgendwo hin und sag: ‘He, ich bin xy, was macht ihr, ach cool, kann ich mitmachen‘ und die anderen so: ‘Ja klar!‘. Das passiert nicht in meiner Welt.“ hide zog die Augenbrauen noch ein Stück höher und die Mundwinkel tiefer, um die Überraschung zu verstärken. „Toshi macht so was?“ „Naaa, das war jetzt überspitzt. Aber es ist… wenn wir zusammen irgendwo hingehen, dann kommen die Leute zu ihm. Er ist einfach… wärmer. Falls du verstehst. Menschen mögen ihn.“ „Mmh“, machte hide. „Das ist eine gute Qualität in einem Sänger. Und dich mag man nicht?“ „Nicht so. Ich bin schüchtern und ich hab Wutanfälle, und, hat mir Toshi mal gesagt, anscheinend habe ich auch ‘Launen‘. Aber als er das gesagt hat, war er sauer auf mich, also…“ Yoshiki hob die Schultern. „Keine Ahnung. Anscheinend bin ich einfach ein bisschen seltsam.“ hide schraubte den Tetrapack auf. „Ich find dich nicht seltsam.“ „Ja. Ich weiß.“ Yoshiki betrachtete den Inhalt seiner Hand. Im Eifer des Gefechts hatte er die Cracker zu kleinen Bröseln zerdrückt. Naja, runter damit. Er entkrümelte die Hand an der Hose und spülte mit Bier nach. „Und realistisch werd ich nie wieder jemanden finden, der mit mir zurechtkommt und so Gitarre spielt wie du. Weißt du… als du bei mir vor der Tür standst, da mochte ich dich schon. Aber als wir zusammen gespielt haben, da dachte ich: ‘Scheiße. Das hier, das ist der Beginn von etwas Wundervollem. Und du bist dabei.‘ Das hatte ich noch nie. Mit niemandem.“ Er schaute Richtung hide. hide schaute zurück, sein Gesichtsausdruck undefinierbar. „Du kannst nicht aufhören.“ „Awww“, machte hide nach einigen Sekunden Meeresrauschen sanft. „Das hast du schön gesagt.“ „Kannst du das nochmal weniger ironisch versuchen?“, fragte der andere Junge verstimmt. „Ich mein das ernst. Ich hab nicht so viele Freunde, dass es mir nichts ausmacht, einen zu verlieren.“ hide stoppte den Tetrapack auf halben Weg. „… Freunde?“ „Ja.“ Yoshiki leerte das Bier. „Oder was denkst du, was wir sind?“ „Weiß nicht. Muss man sich nicht länger kennen, um Freunde zu sein, ich meine, Toshi und du…“ „Nah“, machte Yoshiki. „Falsch rum. Wir sind keine Freunde, weil wir uns so lang kennen, wir kennen uns so lang, weil wir Freunde sind. Irgendwann muss man halt anfangen. Bei uns war das, als er über meinen Bauklotzturm gestolpert ist und ich ihn dafür gehauen habe.“ hide prustete. „Und du erinnerst dich da dran?“ „Ja! Das war das erste Mal, dass mir jemand was kaputt gemacht hat. Das war prägend. Meine nächste Erinnerung ist aber dann erst zwei Jahre später, da hat uns seine Mutter Wassereis gekauft und es war toll.“ „Das ist so niedlich.“ „Naja, nicht wirklich. Auf jeden Fall – das Einzige, was alte Freundschaften neuen voraushaben ist halt, dass man einander schon viel verziehen hat.“ hide nickte langsam. Eine Möwe kam herangestakst und klaute sich einen der Cracker, die Yoshiki verschüttet hatte. Bald würden sicher ihre Artgenossen auftauchen. „Das ist enorm cool“, sagte er schließlich. „Was ihr habt.“ „Hast du keinen besten Freund?“ „Ich weiß nicht“, sagte hide und nahm endlich einen Schluck aus dem Tetrapack. Yoshiki streckte die Hand aus. „Also ich hab Freunde. Oder so was. Ich tu mir nur ein bisschen schwer mit dem… tiefen Kram. Du weißt schon.“ „Ja“, sagte Yoshiki. „Das weiß ich sehr gut.“ Die Wellen rauschten immer noch gleichmäßig im Hintergrund. Langsam, sehr langsam, versank die Sonne hinter dem Horizont. Yoshiki nahm einen Schluck aus dem Tetrapack. Er verzog das Gesicht. „Boah, hide! In welchem Verhältnis hast du gemischt?“ „Da ist nur ganz ein wenig drin“, verteidigte hide seine Mixtur und nahm das Getränk wieder an sich. „Höchstens so viel!“ Er zeigte einen winzigen Abstand zwischen Daumen und Zeigefinger. „Ah ja?“ „Ja! Na gut, vielleicht…“ Er öffnete die Finger ein wenig mehr. Yoshiki zog die Augenbrauen und einen Mundwinkel hoch. „…Du hast den Gin komplett reingeschüttet, oder?“ hide ließ die Hand sinken. „Ich musste. Er lief in eineinhalb Jahren ab.“ „Ouw…“ „Muss ich das jetzt etwa allein trinken?“ Yoshiki seufzte und streckte die Hand noch einmal aus. „Aber nur noch ein bisschen!“ -X- hide und er gingen am Strand entlang. Zum Glück war es spät am Abend sie begegneten niemandem. Sie waren einige Zeit zum Badeabschnitt gelaufen und nun gingen sie wieder zurück in Richtung des Gebäudes, das sich dunkel gegen den Nachthimmel abhob. Yoshiki hatte die vage Idee gehabt, man könne ja theoretisch auch Schwimmen gehen und war bis zu den Knien ins Wasser gewatet. Dann war ihm aufgefallen, dass er eine Hose trug. Dann war ihm aufgefallen, dass er Schwimmen nicht sonderlich mochte. hide hatte in der Zeit einen kleinen Sandhaufen angelegt, mit einem Stock einen Kreis außenherum gezogen, dann den Stock in den Sandhaufen gesteckt und einen eigenen Staat innerhalb des Kreises ausgerufen. Danach hatte er Yoshiki zwanzig Minuten lang erklärt, was er als Regierungschef alles durchsetzen würde und Yoshiki die Stellung des Kaisers übertragen. Da er da außer gut aussehen und hin und wieder ein Siegel unter ein Dokument setzen nichts tun müsse, hatte Yoshiki diese Aussicht sehr gut gefallen und er hatte zugesagt. Seither waren sie in eine angenehme Stille versunken. Sie hielt, bis sie die Treppe zur Straße hochgestiegen waren und wenige Schritte später unschlüssig auf dem Parkplatz stehen blieben. „Und jetsch?“, fragte Yoshiki und lehnte sich – ungeplant – an ein einsames Auto, das noch in einem der weißen Rechtecke stand. „Lassuns“, begann hide, „… äh… dieses… Ding… wie heissas, was wir mach’n?“ Yoshiki dachte angestrengt nach. „Muhsik“, sagte er schließlich. „Ja“, sagte hide, „genau. Lassuns Muhsik mach’n.“ „Jetsch?“, fragte Yoshiki. „Aber es is… es is… schpät.“ „Wie schpät isses?“, fragte hide zurück. Yoshiki schaute auf seine Armbanduhr. Er schaute sehr lange und sehr intensiv auf seine Armbanduhr. „Ich ha‘ keinhe Ahnung“, sagte er schließlich und hielt hide sein Handgelenk vors Gesicht. „Kannsu das les‘n?“ hide schaute auf Yoshikis Armbanduhr. Er schaute nicht so lange und nicht so intensiv. „Halb nach siebenunswansich Uhr“, sagte er schließlich. Er runzelte die Stirn und schaute Yoshiki an. Dabei schwankte er einmal auf die Fersen und zurück auf die Fußballen. „Das kling‘ irgen’wie nich‘ richtich…“ Sie blickten einander ratlos an. „Was wolldenwir nochma‘?“, fragte Yoshiki schließlich. hide dachte nach. „Muhsik“, sagte er nach ein paar Sekunden. „Aber es is schpät“, sagte Yoshiki. „Was hassu denn anderes zu tun?“, fragte hide und bohrte Yoshiki einen Zeigefinger in die Brust. Yoshiki dachte nach. Ihm fiel nichts ein. „Du has‘ Recht“, sagte er also, „lassuns Muhsik mach’n.“ -X- Sie waren im Proberaum. hide spielte ein paar sehr schiefe Akkorde. „Das rockd!“, sagte er. „Das rockd so fedd!“, sagte Yoshiki. „Und warde, warde… mega geilhes Schla… Schlagseug-Solo!“ Bumm-Bumm-Bang-Bing-Dum-Dum-Dam-Dum-Bumm-Bumm-Pling-Tschack… und so weiter. Schließlich entwickelte er eine extreme Faszination mit dem Ride, bis das Becken schließlich kippte und mit einem lauten Scheppern auf dem Boden landete. „Geeeeeil!“, bekundete hide und hob den Tetra-Pack. „Wir komm’n sogroß raus, esis unglauhblich… unglauhblich“, sagte Yoshiki und bückte sich, um das Becken wieder aufzustellen. Doch auf halben Weg erschien ihm das plötzlich wie unendlich viel Arbeit… Boah, ne. Das hatte Zeit. Er setzte sich wieder aufrecht hin. Das Blut sackte ihm aus dem Kopf und der Raum drehte sich… und drehte sich. Da half nur eins. Er hob die Sticks. „Und jets‘ susammen!“ -X- Irgendwann lagen sie auf dem Sofa. Sie hatten herausgefunden, dass sie da beide bequem draufpassten, wenn sie die Beine über die Armlehnen baumeln ließen und sich ihre Köpfe in der Mitte trafen. Sie schauten an die Decke. Der Tetrapack war leer. Das half dem Denkzentrum, aber es machte auch müde. Yoshiki gähnte. hide zog an seiner Zigarette. Yoshikis Zigarette. Dein, Mein, Sein… Was auch immer. „Weissu“, sagte hide und pustete Rauch aus, „das Lebhen is‘ komisch.“ „Wahrum das?“, fragte Yoshiki und gähnte noch einmal. Er streckte die Hand über den Kopf. hide reichte ihm die Zigarette und er nahm einen Zug und reichte sie wieder zurück. hide gähnte ebenfalls. „Weil man die ganse Seit Dinge macht, die man nich‘ mach’n will… für Leuthe, die man nich‘ mag…“ „Heeeee“, machte Yoshiki beleidigt, so beleidigt, wie man es nur in diesem Zustand sein konnte. „Neeee“, wehrte sich hide. „Nich‘ wir… und hier… so allgemein.“ Yoshiki schwieg eine Weile und dachte drüber nach. „Mmh“, machte er schließlich. „Dasstimmt. Alles kohmisch. Am liebs’en würd ich nich‘ mitmach’n bei dem gansen Unsinn…“ „Dann mach ich auch nich‘ mit bei dem Unsinn!“, sagte hide. „Ja!“, sagte Yoshiki. „ Lass uns so hart sein, wie… wie…“ „Taiji!“, rief hide begeistert. „Niemals!“, rief Yoshiki. „Dann nich‘!“ rief hide. Er setzte sich mühsam auf und drehte sich halb um, damit er Yoshiki ansehen konnte. „Hassu… Hassu das vorhin gemeint mit dass wir Freuhnde sind un‘ so?“ Yoshiki rappelte sich ebenfalls in eine sitzende Position hoch. Dabei schlug er seinen Schädel einmal kräftig mit einem ungesunden ‘Klonk‘ an hides. „Itaaai~“, machten beide gleichzeitig. „Was‘s los mit dir?“, fragte hide stöhnend und rieb sich den Kopf. Yoshiki rieb sich ebenfalls die Stirn, aber das hielt ihn nicht auf: „Ich liebe dich!“ „Ich liebe dich auch!“, rief hide begeistert. Der Kopfschmerz war vergessen. Sie fielen sich um den Hals, eine komische, verrenkte, viel zu warme Umarmung. „Wenn’s Toschi nicht gäbe, hätte ich dich nie getroff’n“, sagte hide, als sie sich wieder entknotet hatten. „Ich liebe Toschi!“, sagte Yoshiki. „Alle lieben Toschi“, sagte hide. „Das nächs’e Mal musser mittrink’n.“ „Definititiv.“ Sie legten sich wieder hin. Sitzen war anstrengend. Ihr Gespräch legte eine Pause ein. Yoshiki schloss die Augen und genoss die Schwärze auf der Innenseite seiner Lider. „Yoschgi“, drang hides Stimme zu ihm durch. „Schläfsu?“ „Ne“, murmelte Yoshiki. Er war wach! Total… wach… „Merksu auch was?“ Yoshiki merkte was. Der Boden vibrierte leicht. „Erdbeb'n“, sagte er. „Das… geht vorbei…“ „Mmh“, machte hide. Es ging vorbei. „Weissu was?“, fragte hide. Er hatte sich wieder auf einen Ellenbogen gestützt und schaute Yoshiki an. „Was?“, fragte Yoshiki. Er öffnete die Augen und schielte nach oben in Richtung hide. „Ich find Muhsik gut!“ „Ich find Muhsik auch gut“, stimmte Yoshiki zu. „Glaubsu, man sollte mach’n, was man will?“ „Ich glaube, ein Mann muss tun, was ein Mann tun muss…“ „Un‘ was muss ein Mann tun?“ „Wasser muss… wasser muss…“ „Sum Glücklichsein?“ „So weiht denk ich gar nich‘…“ Yoshiki wedelte mit der Hand und verscheuchte den Gedanken wie eine lästige Fliege. „Bissu nich‘ glücklich?“ „Weiß nich‘.“ hide ließ sich wieder aufs Sofa zurückfallen, blieb aber auf der Seite. „Mussich drüber nachdenken.“ „Dann denk mal nach.“ Stille. „…Denksu nach?“ „Ich binnich‘ sicher.“ Stille. „Yoschgi…“ „Mmh…“ „Weissu noch, wassu vorhin gesagd hasd? Über… Übher Leute un‘ dich un‘ Gitarren?“ Yoshiki dachte nach. „Nein“, sagte er dann. Gerade wusste er ja nicht mal genau, was vor zwei Minuten gewesen war! Aber hide interessierte die Antwort scheinbar auch gar nicht so sehr, denn er redete einfach weiter. „Wennich… wennich noch jemanden… also wasshälsu von einer sweiten Gitarre?“ „Swei is‘ immer besser als wie eine.“ „Is‘ wie mit Mädch'n, wa‘?“ Yoshiki lachte und griff über den Kopf, um hide die Haare zu zerstrubbeln. Stattdessen patschte er ihm ins Gesicht. Aber das ging auch! Er knetete einmal hides Nase. „Was bis’n du für einer! Duuuu Luhder!“ „Hehe…“ hide schnalzte mit der Zunge. „Wennich berühmt wehrde“, sagte er und machte kreisförmige Bewegungen mit der rechten Hand (die linke entfernte Yoshikis Finger aus seinem Gesicht), „dann nur, damit ich lauhter so’n Scheiß mach’n kann!“ Er hickste. „… Also, ich werd‘ soderso lauhter Scheiß mach’n, aber berühmt mach‘s mehr Spaß…“ Er hickste noch einmal. „Undie Besahlung ist bess’r…“ Stille. Sie schauten an die Decke. Die Neonröhren brummten leise. Yoshikis linkes Ohr brummte leise. „Yoschgi…“ hide hickste. „Ja?“ „Was glaubsu passiert im Kühlschrank, wenn’as Licht aus ist?“ -X- Sie lagen auf dem Sofa. hide hatte die Beine angezogen und sich auf seiner Hälfte eingerollt, Yoshiki lag immer noch auf dem Rücken. Er hätte lieber auf dem Bauch gelegen, aber vielleicht war das ganz schlau so. Ihm war ein bisschen schlecht. Aber nur ein bisschen… Er gähnte. „Yoschgi…“, murmelte hide. „Mmh…“, machte Yoshiki. „Kommsu von hier aus an den Lichdschalder?“ „Ne“, murmelte Yoshiki. Ein paar Sekunden passierte nichts. Dann sagte hides Stimme: „Das is‘ ja doof.“ Yoshiki spürte, wie hide sich ein wenig vorbeugte. Dann klapperte etwas auf der anderen Seite des Zimmers. „… Has' du grade versucht, den Lichdschalder mit meinem Drumstick zu treff’n?“ -X- Als Toshi am nächsten Tag zur Probe erschien, war er nicht überrascht, nicht der erste zu sein. Doch er war überrascht von dem, was ihn auf der anderen Seite der Tür erwartete: ein Raum mit einem etwas demolierten Schlagzeug, einer mitten im Raum liegenden Gitarre und zwei fragwürdigen Gestalten, die (mehr oder weniger) auf dem Sofa herumlungerte. Und über allem hing jetzt der Geruch von beschwipstem Räucherthunfisch. “Boah!”, sagte Toshi und wedelte in dem Versuch, seinen Atemwegen frische Luft zuzuführen, mit der Hand. Der Erfolg war mäßig. „Was ist denn hier passiert?!“ hide setzte sich auf und blinzelte desorientiert ins Licht. Er sah aus, als habe ein Zehntonner ein Eichhörnchen überfahren. Seltsamerweise erwischte sich Toshi dabei, wie er das absolut hinreißend fand. Yoshiki hielt sich noch liegend den Kopf. „Ich hab keine Ahnung“, sagte er. Seine Stimme klang, als hätte er Nägel gegurgelt und ... hatte er hier eine kleine Beule? Woher kam die denn? Zum Glück konnte er sich selbst zumindest nicht sehen! Toshi schaute sich ungläubig einmal im Raum um und drehte sich dann wieder zu den beiden Helden auf dem Sofa. „Wart ihr etwa die ganze Nacht hier?“ „Das kommt drauf an, wann jetzt ist…“, sagte hide. Er machte den Versuch aufzustehen, sank aber gleich wieder aufs Sofa zurück. „Ouw… Toshi, tu mir ‘nen Gefallen – da ist Misosuppe in der Tüte, bitte gieß die auf…“ „Es ist fast zwei Uhr“, informierte Toshi seufzend, ging aber trotzdem zu der Plastiktüte neben dem Gitarrenverstärker hinüber. „Wir wollten jetzt proben.“ Er zog eine kleine, plastikverschweißte Packung heraus. „Wir proben in zehn Minuten… Ja… dann bin ich voll dabei… du wirst sehen…“, murmelte hide. Er hatte den Kopf zurück auf die Sofalehne gelegt und sah aus, als würde er gleich wieder einschlafen – oder aber jämmerlich eingehen. Toshi verteilte den Inhalt des Instant-Miso auf zwei Tassen, kochte Wasser und goss die Suppe auf. Er reichte dem Gitarristen eine davon. „Danke“, sagte hide und nahm einen kleinen Schluck. Toshi reichte Yoshiki die zweite Tasse. „Iiiiih“, machte Yoshiki und drehte sich in Richtung Sofalehne, weg von der Suppe. „Verschwinde…“ „Es hilft…“, beteuerte hide mit einem Seitenblick. Yoshiki stöhnte leidend, setzte sich auf und nahm das Heißgetränk. „Nie wieder Alkohol…“ „Was habt ihr getrunken?“, fragte Toshi. Die Bierflaschen neben der Tür hatte er gesehen, aber das hier – das war kein Bier. hide deutete wortlos neben sich auf den Boden. „Was? Wie viel davon?“, fragte er. „Alles“, sagte Yoshiki matt. „Die ganze Flasche?!“ „Die ganze Flasche“, sagte hide. „Und bitte… leiser…“ Sie hatten gerade jeder noch ein paar langsame Schluck Suppe genommen, als jemand draußen die Treppe hinunterpolterte und dann die Tür aufriss. „Tag, ihr Loser“, sagte Taiji lässig. "Ratet mal, wer gestern-" Wie auch Toshi hielt er auf der auf der Schwelle inne, als wäre er gegen eine Wand gelaufen. Er klappte den Mund auf, um vermutlich eine ähnliche Frage zu stellen wie der Sänger einige Minuten zuvor, doch dann verarbeitete er die Szene, die sich ihm bot. Ein Grinsen breitete sich auf seinem Gesicht aus. „Aha. Soso. Da probt jemand das Rockstar-Leben. Glückwunsch und willkommen zurück in der echten Welt.“ „Halt die Fresse…“, murrte Yoshiki müde. Ein nerviger, kleiner Affe spielte in seinem Hinterkopf Tuba. Das tat weh. „Ach, mach dir keine Sorgen…“ Taiji ließ sich neben Yoshiki auf die Armlehne fallen und streichelte ihm über den Rücken. „Das wird wieder gut… ABER ERST WIRD ES NOCH VIIIIIIIEL SCHLIMMER!“ Er lachte. Yoshiki zuckte zusammen und holte mit seiner Linken zu einem Kinnhaken aus, der sicher schmerzhaft geworden wäre – wenn er getroffen hätte. Taiji fing die wenig koordinierte Faust vor seinem Gesicht ab. „Ah, Scheiße!“, fluchte Yoshiki und streckte die rechte Hand aus, die noch die Tasse hielt. Es tropfte auf den Boden. Er hatte Misosuppe über sich selbst und das Sofa geschüttet. Die Suppe war noch heiß. Nicht schön. „Ich fürchte, wir verdienen das“, sagte hide matt. „Niemand verdient das“, sagte Yoshiki. Toshi war damit fertig, das Schlagzeug wieder zusammenzusetzen und die Überreste ihrer spätnächtlichen Party in den Müll zu stopfen. Doch eine Sache war da noch… Er hielt eine leere Packung Mild Sevens zur Veranschaulichung seiner Frage hoch. „Habt ihr beiden gestern Nacht zwei Schachteln geraucht?“ Taiji runzelte die Stirn und wandte sich dann vorwurfsvoll an die beiden Gestalten auf dem Sofa. „Ihr Wichser, waren das meine!?“ Yoshiki zuckte mit den Schultern und starrte in seine halbleere Tasse. Er hatte keine Ahnung… doch nach seinem Hals zu schließen, war es im Bereich des Möglichen. „Du hast Recht“, sagte er schließlich nach rechts und nahm noch einen kleinen Schluck Suppe. „Das hier hilft.“ „Ich weiß, was ich tue“, sagte hide. „Also“, fragte Taiji, nach wie vor sichtlich angepisst, aber zumindest in einer rücksichtsvollen Lautstärke, „können wir dann heute proben oder seid ihr Ladies zu durch?“ hide und Yoshiki sahen sich unschlüssig an. Schließlich zuckten beide gleichzeitig mit den Schultern. „Ein Guter hält’s aus“, sagte Toshi. Er hatte sich hinters Schlagzeug gesetzt. hide musste heiser auflachen. „Um ‘nen Schlechten ist’s nicht schad‘…“, vollendete er die Weisheit. Er bückte sich, stellte seine leere Tasse auf dem Boden ab und schaffte es endlich in eine aufrechte Position. „Gebt mir fünf Minuten…“ „Was hast du vor?“ „Pipi und vielleicht meinen Kopf unter den Wasserhahn halten… Wenn ich einen Wasserhahn finde, wo das geht… Sonst geh ich raus und tunke meinen Kopf ins Meer.“ „Das klingt gar nicht so blöd... warte...“ Mühsam rappelte Yoshiki sich auf. „Kleiner Tipp“, sagte Taiji und schaltete den Bassverstärker ein, „haltet Abstand zu allem, was eine Uniform trägt. Man riecht es.“ Sie stiegen die Treppe ins Erdgeschoss hoch und gingen einmal durch den Eingangsbereich. Zwei ältere Männer im Anzug liefen an ihnen vorbei. Und schauten komisch. „Konnichi wa“, grüßte hide und hob die Hand zu einem laschen Gruß, bevor er in die Herrentoilette verschwand. Sie schauten äußerst komisch. Drinnen vermied Yoshiki den Blick in den Spiegel so lang wie möglich. Leider war das nicht unendlich lange. Oh Mist. Er schaute schnell wieder weg und klatschte sich lieber ein paar Handvoll kühles Nass ins Gesicht. Er konnte fühlen, wie er sich langsam entknitterte... das war gut. Dann fing er, noch mit den Unterarmen auf dem Waschbeckenrand, leise an zu lachen. „Was?“, fragte hide, der sich gerade ebenfalls Wasser ins Gesicht gespritzt hatte. „Konnichi wa-hahahaha…“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)