All of our Flaws von Leilan (Vi/Cait) ================================================================================ Kapitel 7: Kapitel 7: Fehler ---------------------------- Kapitel 7: Fehler „Aufwachen. Vi“, drang von weiter Ferne eine Stimme in ihr Bewusstsein vor. „Ich sagte aufwachen. Wir kommen zu spät zur Arbeit.“ Langsam und unwillig öffnete Vi ihre Augen und blinzelte in das langsam dämmernde Licht des Morgens, das Caitlyns Wohnzimmer durchflutete. Dann setzte sie sich leise murrend auf und blickte sich um, um schließlich ihre Partnerin in der Küche zu entdecken, die gerade Tee kochte, bereits angezogen und für die Arbeit bereit. War das dieselbe Caitlyn, die sich am gestrigen Abend sturzbetrunken von Vi hatte über die Schwelle tragen lassen? Man sah ihr nicht einmal einen Kater an, wenn Vi auch auffiel, dass sie vielleicht ein wenig mehr Makeup als sonst aufgetragen hatte. Ob sich Caitlyn wohl an den gestrigen Abend erinnerte? Vi war nicht sicher, ob sie sich das wünschen sollte. „Morg‘n“, knurrte Vi und streckte ihren Oberkörper, sodass ihre Schultern und ihre Wirbelsäule kurz knackten. „Guten Morgen“, antwortete Caitlyn in ihrem üblichen kühlen Tonfall und goss das heiße Wasser in die Teetasse. „Möchtest du auch eine Tasse Tee?“, fragte sie höflich, blickte jedoch nicht zu Vi hinüber, was diese doch ein wenig wunderte. Normalerweise war Caitlyn ein Mensch, dem Blickkontakt bei Unterhaltungen wichtig war – war ja auch höflich. „Ne. Ich hol mir nachher Kaffee“, antwortete Vi. „Müss‘n wir wirklich schon raus, Cupcake? Ich könnt‘ noch‘n paar Stunden Schlaf gebrauchen“, fügte sie nörgelnd hinzu. „Wir müssen in einer Stunde auf der Wache sein“, antwortete Caitlyn streng. „Und wenn du noch duschen willst, dann solltest du langsam aufstehen. Wir haben heute viel zu tun, da wird dir leider keine Zeit für eine Trainingseinheit und eine Dusche im Trainingsraum bleiben.“ Vi stöhnte unwillig, erhob sich dann aber gehorsam. Sie trug noch immer den Anzug, den Caitlyn ihr gestern aufgezwungen hatte und er war natürlich völlig verknittert. Nun, sie störte sich nicht daran. Mit einer simplen Geste zog sie sich das Hemd über den Kopf und die Anzughose aus und ging dann in Unterwäsche hinüber zu der Theke der Küche, hinter der Caitlyn gerade einen Löffel Zucker in den Tee rührte. „‘N Handtuch kann ich mir nehmen?“, fragte sie ein wenig grinsend und versuchte sich zu erklären, warum Caitlyn sie noch immer nicht ansah. „Natürlich, bedien dich. Die Handtücher sind im Fach unter dem Waschbecken“, antwortete ihre Partnerin höflich und beugte sich nach unten, um eine Schublade zu öffnen. Was suchte sie? „Wie haste deinen Suff eigentlich weggesteckt, Cupcake? Haste nen Filmriss?“, fragte Vi grinsend und versuchte damit, Caitlyn dazu zu provozieren, sie endlich anzusehen – langsam begann es sie zu wurmen. „Ich… hatte noch nie einen Filmriss“, antwortete Caitlyn mit einem kurzen Stocken in der Stimme, das ihr sonst definitiv fremd war. Also wusste sie noch all das Peinliche, was sie in stockbetrunkenem Zustand von sich gegeben hatte und… schämte sich jetzt dafür? Vi grinste schelmisch. Die Gelegenheit würde sie nicht einfach so verstreichen lassen, dafür war sie zu gut. „Also… erinnerst du dich noch dran, dass du mir gesagt hast, dass du meine Direktheit magst?“, fragte sie vorwitzig und lehnte sich über die Theke. Caitlyn beförderte eine Untertasse für ihre Teetasse aus der Schublade und drehte Vi dann den Rücken zu, um am Herd herumzufuhrwerken – damit sie sie nicht ansehen musste wahrscheinlich. „Ich bitte dich, Vi. Wenn man betrunken ist, dann ist man eben nicht Herr seiner Worte und Gedanken. Das hat keine Bedeutung“, antwortete Caitlyn kühl und räumte ein wenig Geschirr in den Schrank. Ohne es zu wollen, spürte Vi einen kleinen Stich in der Brust – dass Caitlyn es nicht abstritt, sondern einfach… entwertete, hatte sie nicht erwartet. „Aber man ist ehrlicher“, antwortete sie trotzig und kniff ein wenig die Augen zusammen. Doch Caitlyn ließ sich heute auf keine Diskussion ein: „Geh‘ bitte ins Bad, Vi. Wir haben nicht mehr viel Zeit, bis wir aufbrechen müssen.“ „Langweilerin“, seufzte Vi und schnappte sich den Haufen mit ihren Klamotten, die sie am Vortag angehabt hatte, bevor sie sich in Schale hatte schmeißen müssen, und verschwand mit diesem im Bad, ein wenig beleidigt. Wie hatte sie auch denken können, dass der gestrige Abend für ihre Freundschaft eine Art Durchbruch gewesen sein konnte? Das war ziemlich naiv von ihr gewesen und zeigte ihr nur wieder einmal, dass Caitlyn einfach aus einer anderen Welt kam. Das Bad, in dem sie jetzt landete, verdeutlichte diesen Eindruck nur noch. Marmorfliesen, Glas, spiegelnde Oberflächen und überall standen Fläschchen und Tiegelchen mit Duftölen, Parfüm, Badezusatz und ähnlichem Krimskrams herum, mit dem Vi nicht wirklich etwas anfangen konnte. Aber diese… riesige Badewanne… da würde sie sich bei Gelegenheit wirklich gerne mal reinlegen. Für den Moment musste sie sich leider mit einer Dusche zufrieden geben, also zog sie ihre Unterwäsche aus und übergab ihren Körper dem warmen Strahl sauberen Wassers. Und sie bediente sich an Caitlyns Pflegeprodukten. Großzügig. Das hatte sie jetzt davon… Nachdem sie aus der Dusche gestiegen war, sich grob abgetrocknet und angezogen hatte, spülte sie sich den Mund mit Zahnpasta aus – Caitlyns Zahnbürste wollte sie nun wirklich nicht benutzen – und wollte gerade das Badezimmer verlassen, als sie Stimmen aus dem Wohnzimmer hörte – zwei Frauenstimmen, von denen eine natürlich zu Caitlyn gehörte. Die andere kam ihr vage bekannt vor und nach ein paar Sätzen hatte sie sie zuordnen können – es war die Mutter ihrer Partnerin. Scheinbar unterhielten sich die beiden durch eines dieser neumodischen hextech-betriebenen Kommunikationsgeräte, bei dem Wort und Bild übertragen wurden. Vi wollte nicht stören, doch auch hier im Bad konnte sie nicht umhin, das eine oder andere Wort der Unterhaltung aufzuschnappen, die für sie jedoch keinen wirklichen Sinn ergab. „Caitlyn, mein Schatz, wo wir gerade bei dem Thema sind. Ich habe mit deinem Vater gesprochen...“ „Bitte, Mutter. Ich habe dir doch gesagt, dass das gerade kein guter Zeitpunkt dafür ist.“ „Ja, das hast du erwähnt. Ich habe dir die Umstände schon einmal erklärt. Du weißt, dass die Stiftung seit der Sprengung meines Instituts große Schwierigkeiten bekommen hat – und dein Vater und ich verlassen uns darauf, dass du deinen Teil beträgst.“ „Du hast doch sicherlich von C‘s Einbruch ins Museum für Stadtgeschichte gehört, nicht wahr, Mutter?“ „Selbstverständlich. Die Zeitungen sind voll davon. Du hast herausragende Arbeit geleistet.“ „Dennoch ist er noch auf freiem Fuße. Und noch sind die Spuren frisch – ich habe momentan einfach keine Zeit, noch etwas anderes neben der Arbeit zu machen, Mutter.“ Caitlyns Stimme klang kühl und… ausweichend. Sie klang nicht ehrlich, das konnte Vi trotz der Dämpfung durch die Tür hören. Außerdem war sowohl ihr als auch Caitlyn nur zu klar, dass es keine Spuren gab. Sie hatten Tage damit verbracht, zusammen mit Ezreal das Museum und die Kanalisation nach eventuellen Hinweisen zu untersuchen und nichts gefunden, daran würde sich auch in den kommenden Wochen nichts ändern. Caitlyn log. „Nun, es hat auch noch eine oder zwei Wochen Zeit, bis Vater seine Entscheidung mitteilen muss. Er wird sicherlich noch mit dir persönlich sprechen wollen, auch um dir noch einmal selbst zu gratulieren. Aber du weißt, er ist mit dem Stadtrat einfach so furchtbar beschäftigt.“ „Natürlich, Mutter. Ich muss jetzt leider aufhören, die Arbeit wartet. Wir hören bald wieder voneinander.“ „Selbstverständlich. Und halte mich auf dem Laufenden, was die Nachforschungen nach demjenigen angeht, der mein Institut zerstört hat.“ „Das werde ich. Auf Wiedersehen.“ Mit diesen Worten trennte Caitlyn hörbar die Verbindung und Vi glaubte, sie kurz seufzen zu hören. Worum war es da gegangen? Vi hatte nicht genug gehört, um die Zusammenhänge zu verstehen, doch es handelte sich wohl um etwas, über das Caitlyn nicht mit ihren Eltern reden wollte. Vi wartete noch ein paar Momente, dann verließ sie das Badezimmer und sah Caitlyn mit dem Rücken zu ihr vor dem Panoramafenster stehen, auf die Dächer von Piltover schauend. „Bin fertig, Cupcake. Wir können los“, meinte sie. Vielleicht würde sie ihre Partnerin bei Gelegenheit mal darauf ansprechen. ------------------------------------------------------------------------------ „Marshall und Barkins sichern das hintere Gartentor. Everett, Sie nehmen Paulsen und Silva und sorgen dafür, dass der komplette Keller mit Tränengas ausgeräuchert wird, dann zieht Sie sich zur Auffahrt zurück und versperren diese.“ Caitlyns kühle, kontrollierte Stimme hallte durch den stickigen, ein wenig zu dunklen Besprechungsraum, in dem sich ungemütlich viele Menschen aufhielten, und deutete auf einige von ihr gezeichneten Orientierungspunkte auf der Grundrisskarte eines Mehrfamilienwohnhauses. „Wir gehen nicht rein. Ich wiederhole, wir begeben uns nicht auf ihr Terrain. Wir räuchern sie aus, bis sie nicht anders können, als zu uns herauszukommen. Dann werden wir zugreifen. Vi, du wirst hier drüben warten und ihnen den Weg abschneiden, falls sie durch die Tiefgarage hinauswollen. Ich positioniere mich auf dem Gebäude nebenan und gebe euch Rückendeckung.“ Sie blickte sich streng im Kreis ihrer Kollegen um und fokussierte jeden ihrer Mitarbeiter. Mit den meisten arbeitete sie schon mehrere Jahre zusammen und für gewöhnlich arbeiteten sie verlässlich und korrekt. Doch Vi machte ihr Sorgen. Seit ein paar Tagen – eigentlich seit der Feier zu Ehren ihres Funds von C‘s Beute – verhielt sie sich merkwürdig rebellisch und desinteressiert. Hoffentlich würde sie sich heute zusammenreißen. Caitlyn musterte ihre Partnerin genau. Sie stand an die Wand gelehnt, trug bereits ihre Rüstung und ihre Handschuhe, kaute gelangweilt auf einer nicht angezündeten Zigarette herum – Caitlyn hatte ihr verboten, in dem viel zu engen Raum zu rauchen – und schien nicht unbedingt zuzuhören. „Vi, wo hast du zu warten?“, fragte sie also streng und ein klein wenig genervt. „Tiefgarage“, knurrte diese und schob mit den Lippen die Zigarette in den anderen Mundwinkel. Was auch immer Vi so die Lauen verdorben hatte, es musste bis später warten – der Einsatz war lange geplant und die Drogenküche im Keller des Mehrfamilienhauses, die sie ausfindig gemacht hatten, konnte jederzeit an einen anderen Ort verlegt werden. „Gut. Dann ist der Plan klar. Aufbruch. Nicht einmal eine halbe Stunde später waren sie vor Ort und bezogen so unauffällig wie möglich ihre Posten. Vi beobachtete aus dem Augenwinkel wie Caitlyn letzte Befehle gab und sich dann mit ihrem Funkgerät in das Hochhaus nebenan zurückzog, um sich dort mit ihrem Scharfschützengewehr auf dem Dach zu positionieren und von oben den Einsatz zu koordinieren. Mit einer missmutigen Geste warf Vi ihren Zigarettenstummel zu Boden und trat ihn grob aus, bevor sie sich mit ein paar kurzen Hüpfern auf der Stelle ein wenig aufwärmte. Es ging los. Der letzte Einsatz, der eventuell kämpferische Aktionen beinhaltet hatte, war schon ein paar Tage her und Vi dürstete es nach Adrenalin und körperlicher Erschöpfung. Seit der Übernachtung bei Caitlyn hatte sie sich nicht mehr richtig wohl gefühlt – irgendetwas war anders und das gefiel ihr nicht. Etwas an ihrer Beziehung zu Caitlyn hatte sich geändert, ohne dass sie es rückgängig machen konnte und das ging ihr gewaltig auf die Nerven – außerdem war sie noch immer ein wenig beleidigt darüber, dass ihre Partnerin all die netten Worte, die sie ihr gesagt hatte, einfach so als unwichtig abgetan hatte. Sie wusste, dass das kindisch war, aber dennoch konnte sie nicht anders. Auf Caitlyns Anweisung hin bezog sie Position hinter einer Mauer bei einem großen Müllcontainer und… wartete. Wie so oft beinhaltete Caitlyns Plan diesmal wohl wieder stundenlanges Warten auf den richtigen Zeitpunkt. Vi stöhnte innerlich und sehnte sich danach, noch eine Zigarette rauchen zu können, das hätte immerhin ein wenig gegen ihre Anspannung geholfen. Über den Funk verfolgte sie, dass Everett das Tränengas durch die Fenster in den Kellerräumen freigesetzt hatte. „Warten und überwachen“, wies Caitlyn an. „Sie sind dort.“ Warten. Immer warten. Vi scharrte mit der Ferse in der Erde neben der Mülltonne und trat dann unruhig von einem Fuß auf den anderen. Da passierte einfach nichts. „Es tut sich nichts“, hörte sie Marshall mit seiner typischen, angespannten, kratzigen Stimme durch das Funkgerät melden und auch Everett bestätigte: „Alles ruhig.“ Minuten vergingen, die sich für Vi zogen wie Jahrzehnte. Sie beobachtete einen Vogel auf einem Baum im Garten, der ein paar Zweige für ein Nest zusammensuchte und als er davonflog, riss ihr der Geduldsfaden. „Ich geh rein“, knurrte sie ins Funkgerät, zog Atemmaske und Schutzbrille herunter und setzte zu einem Sprint an. „Halt“, hörte sie noch Caitlyns warnend zischende Stimme, doch sie hatte genug vom Warten. Sie stürmte die Kellertreppe hinunter, holte weit aus, ignorierte die schwere Feuerschutztür, und zertrümmerte stattdessen die Backsteinwand nebendran mit einem einzigen Schlag ihrer wuchtigen Hextechhandschuhe und sprang durch die so entstandene Öffnung. Aufgrund des noch in der Luft hängenden Tränengases und des von ihr soeben aufgewirbelten Schutts konnte sie kaum etwas sehen, doch sie hatte noch grob den Bauplan des Kellers im Kopf, also blieb sie nicht lange stehen, sondern machte sich auf den Weg zu der Stelle, an der sie das Labor vermutet hatten. Als sie die Tür zum Raum gewaltsam öffnete, erkannte sie sofort, warum niemand das Gebäude verlassen hatte. Drei von den in dem laienhaft zusammengestellten Labor befindlichen Männern trugen Gasmasken und einen weiteren hatten sie wohl K.O. geschlagen, damit er sie nicht verriet. Per Knopfdruck im Handschuh aktivierte Vi die Hextechventile, die die Wucht ihrer Schläge maschinell noch weiter verstärkten und hechtete im Sprint auf einen der Kerle zu, dem es selbstverständlich nicht gelang, ihr auszuweichen. Sie riss ihn mit sich und schlug ihn mit dem Kopf gegen die Wand, sodass er ohnmächtig zusammensank. Das Adrenalin pumpte durch ihre Adern und zum ersten Mal seit Tagen fühlte sie sich wieder wirklich gut. Ein triumphierendes Lachen ausstoßend, wirbelte sie auf dem Fuß herum, um sich den restlichen Männern zu widmen, während sie gedämpft und nur ganz am Rande ihres Kampfrausches ein hektisches „Zugriff. Zugriff!“ seitens Caitlyn aus dem Funkgerät hören konnte. In einem kämpferischen Tanz, anmutiger als man ihr es in ihrer klobigen Rüstung vermutlich zugetraut hätte, rammte Vi einem der anderen Kerle ihre Faust in die Magengrube, während der dritte aus seiner Schockstarre erwachte und sie in einen Kugelhagel aus seinem Maschinengewehr eindeckte. Vi riss eine Faust nach oben und blockte den Großteil der Salve mit dem widerstandsfähigen Metall ihres Handschuhes, spürte jedoch, wie eine Kugel ihren Oberkörper streifte und wohl trotz Rüstung eine heftige Prellung hinterlassen würde. In einer einzigen raschen Bewegung wirbelte sie herum und traf den Kerl so heftig mit der Faust, dass er mit voller Wucht gegen einen der Labortische krachte, über diesen hinüberschlitterte, dabei sämtliche Gerätschaften mit sich riss und in einem Regen von Glassplittern zu Boden sank. Vi atmete rasch. Sie hatte es geschafft. Ganz alleine. Kurz genoss sie die Euphorie, die durch ihre Adern pumpte, dann hörte sie von draußen etwas, das ihrer Begeisterung eine sofortige Dämpfung verpasste. „Sheriff. Die Tiefgarage!“ Everett erstattete hektisch Meldung, schwer atmend und gedämpft durch die Gasmaske. „VI!“, hallte Caitlyns Stimme herrisch und wütend durch das Funkgerät und Vi wirbelte auf dem Fuße herum, um den Flüchtigen, die sich wohl in einem anderen Raum aufgehalten hatten, hinterher zu sprinten. ------------------------------------------------------------------------------ Mit einem resignierten Seufzen trat Vi aus der Dusche und fuhr sich mit einer Hand durch die Haare, strich sich die nassen Strähnen aus dem Gesicht und trocknete sich grob mit einem Handtuch ab. Nach einem Einsatz, bei dem Tränengas zum Einsatz gekommen war, war es Pflicht für jedes Mitglied der Wache, gründlich zu duschen, um möglichst nichts von der Substanz in den Haaren oder auf der Haut zurückzubehalten. Und Vi war dankbar dafür gewesen – das war immerhin eine viertel Stunde, die sie alleine zubringen konnte, um den Einsatz Revue passieren lassen zu können. Nach ihrem Vorstoß in den Keller war alles schiefgegangen, was nur hatte schiefgehen können. Vier Mitglieder der Drogenbande, die sich in einem anderen Teil des Kellers aufgehalten hatten, hatten versucht, durch die Tiefgarage zu entkommen, die Vi eigentlich hatte bewachen sollen, hatten dabei Silva schwer angeschossen und drei von ihnen waren über die Mauer geklettert und durch die umliegenden Gassen geflohen, nachdem Caitlyn einen von ihnen noch durch einen Schuss ins Knie lahmgelegt hatte. Die Tiefgarage war an der Rückseite des Hauses gewesen – auf der anderen Seite des Gebäudes, außerhalb von Caitlyns Sichtfeld. Darum hatte sie wohl auch Vi dort positioniert… weil sie ihr vertraute. Vi grollte und rammte ihre nackte Faust gegen die Fliesen des Duschraumes – nicht fest genug, um sich selbst zu verletzen oder die Fliesen zu zerbrechen, aber fest genug, um einen zuckenden Schmerzen den Arm hinaufwandern zu spüren. Caitlyn hatte ihr vertraut und ihr eine simple, aber wichtige Aufgabe gegeben. Und sie hatte sie enttäuscht. Sie hatte es vermasselt. Jetzt würden die restlichen Mitglieder der Bande untertauchen, sich vielleicht sogar nach Zaun absetzen und sich neu organisieren. Und wieder von vorne anfangen. Und sie hatten nichts gewonnen – Monatelange Ermittlungen, an denen viele Mitglieder der Wache beteiligt gewesen waren für nichts. Nur wegen ihr. Die Rückfahrt hatte sie alleine mit ihrem Motorrad vorgenommen. Caitlyn war zurückgeblieben, um das Sichern des Tatortes zu überwachen. Es kam normalerweise selten vor, dass sie sich auf diese Weise trennten, aber sie hatte ihrer Partnerin nicht in die Augen sehen können. Und als sie aus dem Augenwinkel Caitlyns Gesicht gemustert hatte, hatte die kalte Wut darin sie ein wenig entsetzt. Vi trat aus dem Duschraum hinaus in die Umkleide und trat zu ihrem Spind, um sich eine frische Uniform herauszuholen, wog sie kurz in der Hand und entschied sich dann dagegen. Sie hängte sie wieder auf und zog sich ihre Privatkleidung an, ein Muskelshirt und eine Jeans. Sorgsam packte sie ihre Handschuhe in ihren alten Seesack, nahm ihre Marke und begab sich nach oben in Caitlyns Büro, das sie sich noch immer mit ihr teilte. Sie stand eine gefühlte Ewigkeit vor dem Schreibtisch, den Caitlyn vorhin erst aufgeräumt hatte, nachdem die Unordnung, die Vi veranstaltet hatte, sie mal wieder zur Weißglut getrieben hatte. Dann legte sie ihre Marke darauf und wollte sich umdrehen, um zu gehen, als sie eine bekannte Stimme hinter sich hörte. „Was glaubst du, was du da tust?“ Caitlyns Tonfall war kalt und streng, allerdings auch vorwurfsvoll. „Ich lass meine Marke da. Das Ganze war ne Schnapsidee. Ich hau ab“, antwortete Vi knapp und wollte an Caitlyn vorbeigehen, ohne sie anzusehen. Diese jedoch hob den Arm, um sie aufzuhalten und Vi blieb unwillig stehen. „Du hast heute gegen meine Anordnungen verstoßen, den Plan missachtet und dabei drei der Zielpersonen entkommen lassen“, sprach Caitlyn ruhig und sachlich. Es war eine Feststellung. Auch ein Vorwurf? Vi konnte es nicht ganz aus ihrem Tonfall herauslesen. „Jau“, antwortete sie so lässig sie konnte und trat ein paar Schritte zurück, um sich auf die Kante des Schreibtisches zu setzen. Um etwas zu tun zu haben, griff sie in die Tasche, holte sich eine Zigarette heraus und zündete sie an. Es beruhigte sie, etwas zwischen den Lippen zu haben, das sie ablenkte. „Du hast einen Fehler gemacht. Und jetzt willst du alles hinwerfen?“, fragte Caitlyn und langsam kehrte ein Hauch von Gefühlen in ihre Stimme zurück… so wie es Vi eigentlich bis vor ein paar Tagen von ihr gewohnt gewesen war. Überrascht sah sie auf und begegnete Caitlyns Blick, der direkt auf sie gerichtet war. Er war nicht halb so hasserfüllt wie Vi erwartet hatte. „Ich dacht‘ mir, bevor ihr mich eh rauswerft, geht‘s schneller, wenn ich einfach geh“, antwortete Vi achselzuckend. Caitlyn schüttelte leicht den Kopf, trat vollends in das Büro ein und schloss die Tür hinter sich. Dann kam sie zu Vi herüber und setzte sich neben sie auf die Schreibtischplatte. „Ich werfe dich doch nicht heraus, weil du einen Fehler machst, Vi. Auch wenn ich mich sehr darüber geärgert habe.“ Nun klang ihre Stimme beinahe sanft… Wie ungewohnt. Vi blinzelte und blickte zur Seite und Caitlyn erwiderte ihren Blick. In diesem Moment wurde ihnen wohl beiden bewusst, dass sie recht nah beieinander saßen, doch keiner änderte das, im Gegenteil; nur einen Augenblick später legte Caitlyn eine Hand auf Vi‘s Oberschenkel. „Ich will keinen anderen Partner, Vi. Wir müssen nur lernen, besser zusammenzuarbeiten.“ Vi spürte einen Kloß in ihrer Kehle und konnte nur nicken. „Scheint so“, brachte sie schließlich heraus, bevor sie sich von Caitlyn löste, aufstand und ihre Marke wieder vom Schreibtisch nahm, um sie dann in ihrer Hosentasche zu versenken. „Dann verpiss ich mich mal besser heim. Bevor du mich noch zum Berichtschreiben verdonnerst“, meinte sie mit einem schiefen Grinsen. Ein kleines Lächeln breitete sich auf Caitlyns Lippen aus: „So leicht kommst du mir nicht davon. Du wirst mir wenigstens dabei assistieren. Immerhin muss ich auch deine Sicht der Dinge schildern – du hast den Zugriff ja quasi alleine durchgeführt.“ Vi seufzte und rollte mit den Augen, bevor sie sich in ihren Stuhl fallen ließ. „Mir bleibt auch nix erspart.“ Caitlyn erhob sich vom Schreibtisch und ließ sich elegant auf ihrem eigenen Stuhl nieder. „Strafe muss sein.“ Sie schwieg für einen Moment und blickte Vi dann ernst an. „Aber versuch bitte zukünftig, dich nicht gegen jede meiner Anweisungen zu stellen, in Ordnung?“ Vi zog lange an ihrer Zigarette, blies den Rauch durch die Nase aus und seufzte, bevor sie antwortete: „Versprechen kann ich nix. Aber ich versuch‘s.“ „Damit gebe ich mich für den Moment zufrieden.“ Caitlyn lächelte wieder leicht und machte sich dann daran, den Bericht zu schreiben. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)