Goldfieber von Lady_Shanaee (Das Geheimnis der Dublone) ================================================================================ ~ Goldfieber ~ eine Originalstory von Es war einer jener Tage, an denen man abends besser zu Hause saß und einen Teller heißer Suppe schlürfte. Das Meer tobte, der Wind peitschte die Wellen, die sich krachend an den Felsen brachen. Es goss, als ob jemand ununterbrochen Eimer auskippte, und die Luft roch nach Regen, Salz und Tang. Der Strand war nur noch Schlamm, an Sand war gar nicht mehr zu denken. Noch nicht einmal Krabben oder Krebse waren bei diesem Mistwetter unterwegs. Wohin auch? Der Himmel war an diesem Septembertag im Jahr 1987 so schwarz wie die Nacht. Es war ein Hurrikan, der hier an der kubanischen Küste tobte, der vermutlich letzte in diesem gottverdammten Jahr. Und doch gab es jemanden, der bei diesem Wetter draußen am Meer war: Timothy Wagner. Der Wind zerrte ihn beinahe von den Füßen und riss an seiner bereits völlig durchgeweichten Kleidung, deren Träger weiterhin auf die tobende See starrte, als wolle er sich diesen Anblick für immer einprägen. Wagners Faust schloss sich fester um etwas… Plötzlich legte sich eine Hand federleicht auf seine Schulter. Er drehte sich um und erkannte Anita, die Tochter des Gasthofbesitzers, bei dem er wohnte. Obwohl es nicht weit bis zur Unterkunft war - eigentlich nur ein paar Schritte - war Anita bereits nass bis auf die Haut. Durch die Regentropfen, die ihr Gesicht herabliefen, sah es aus, als ob sie weinte. Sie trug einen knöchellangen Rock, der die Farbe von frischem Mohn hatte und eine weiße Bluse. Ihr hüftlanges, schwarzes Haar flatterte im Wind. An ihren Lippen sah Wagner, dass sie etwas sagte, doch er verstand durch den Sturm kein Wort. „KOMMEN SIE ZURÜCK INS HAUS…!“, schrie sie ihm schließlich ins Ohr. „Señor Wagner! Sie holen sich hier draußen noch den Tod!“ Entschlossen ergriff sie seinen Arm und zog ihn mit sich fort, den Weg zum Gasthof hinauf mit traumwandlerischer Sicherheit. Den Strand entlang, die felsige Küste hinauf… Doch irgendwo auf dem nassen, glitschigen Boden stürzte Wagner hin. Er fand mit den Füßen plötzlich keinen Halt mehr und riss sich Hosenbein und Wade an einem großen spitzen Stein auf. Durch den starken Gegenwind, der sich mit dem Regen gegen sie verschworen zu haben schien, kamen sie zudem nur sehr langsam voran, so dass für Wagner jeder Schritt zur Qual wurde. Anita schlang einen Arm um seine Hüfte, seinen linken um ihre Schulter und stützte ihn so gut sie konnte. Wagner fluchte, aber das Rauschen um sie herum verschluckte seine Worte. Im Haus angekommen verband Anita die Wunde sofort mit frischen, sauberen Tüchern, nachdem sie das Blut abgewaschen hatte. Eine halbe Flasche schottischer Whiskey, aus der Bar geholt, reichte zum Desinfizieren, was Wagner wiederum zu einem Fluch veranlasste. Von Jod hatte das Mädchen noch nie etwas gehört, wie er erstaunt zur Kenntnis nehmen musste. Erschöpft fiel er dann in einen unruhigen, aber tiefen Schlaf, benommen vom Blutverlust und halb betrunken vom Brandy, den ihm Anita gegen die Schmerzen gegeben hatte… ~v~v~ Im Traum erschien sie ihm wieder, auf der Klippe, wo er gestanden hatte. Es war ein strahlender Tag, die Sonne schien, und die weißen Möwen kreischten. Anita warf ihm eine Goldmünze zu und lachte… Urplötzlich wurde die Sonne zu einem Mond, den dicke, graue Wolken fast völlig verdeckten. Der Himmel wurde schwarz, und die Luft durchfuhr ein ohrenbetäubendes Brausen. Eine riesige Welle schlug über Anita zusammen und riss sie mit sich fort… Schweißgebadet wachte Wagner auf. Nachdenklich schaute er auf die Münze in seiner Hand, rieb mit dem Stoff seines Baumwollhemdes darüber und erfreute sich an dem Glanz, der hervorkam. Eine spanische Dublone, mit dem Prägestempel von 1714 und dem Bildnis Philip V. Eine Rarität, die Wagner von seinem Vater, einem Matrosen, bekommen hatte, bevor dieser zu einer Seefahrt aufgebrochen war, die seine letzte werden sollte. Der kleine Timothy war damals gerade einmal sieben Jahre alt gewesen. Inzwischen waren fünfundzwanzig weitere vergangen, der Junge zu einem Mann geworden, der ein angesehener Historiker war und wusste, dass Sammler für ein solches sieben Gramm schweres Goldstück bis zu 35.000 Mark bezahlen würden. Erschöpft legte sich Wagner wieder in das große Holzbett, in das man ihn gelegt hatte und schlief wieder ein. Morgen, nahm er sich vor, würde er Anita fragen, was sie über die Herkunft dieser Münze wusste. ~v~v~ Wie erschlagen wachte Wagner am nächsten Tag auf. Mühsam hob er die Lider, doch ein furchtbarer Kopfschmerz ließ ihn sie sofort wieder schließen. Anita kam und brachte ihm ein Glas mit einer goldgelben Flüssigkeit darin. „Was ist das?“, fragte er. Sein Hals erschien ihm trocken wie Papier. Das Mädchen lächelte. „Etwas, wovon Ihr Kater verschwindet.“ Dann hob sie ihm das Glas an die Lippen und kippte dem Arglosem die goldgelbe Flüssigkeit einfach in den Rachen. Wagner hustete. „Was hast du mir da nur gegeben?“, keuchte er und schüttelte sich. „Parfümöl?“ Anita lachte. „Man kann es auch dazu nehmen. Die jungen Frauen hier machen sich ein paar Tropfen davon hinter die Ohren, wenn sie einen Mann zum Heiraten suchen.“ Am Nachmittag zeigte Wagner ihr die Dublone. „Weißt du etwas darüber, wo sie herkommt?“, fragte er geradeheraus, wie es seine Art war. Anita betrachtete die Münze lange und nachdenklich. „Ja“, nickte sie schließlich. „Es ist unheimlich lange her. Mein Vater hat mir einmal davon erzählt.“ Bis zum Abend saßen sie zusammen und das Mädchen berichtete. Wagner war gefesselt, fasziniert und erschüttert von der Tragödie, die einen König ein märchenhaftes Vermögen und tausend Menschen das Leben gekostet hatte. ~v~v~ Im Morgengrauen des 24. Juli 1715 lichtete in Havanna eine Flotte von elf Schiffen die Anker. Der Hafen war vom Militär und der Geheimpolizei lückenlos abgesperrt worden. Fünfmal war der Termin des Auslaufens verschoben worden. Die Mannschaften standen unter Geheimbefehl. Und doch pfiffen es in Havanna die Spatzen von den Dächern, warum die dickbäuchigen Galeonen bis zum Rand der unteren Batteriedecks im Wasser lagen: Es war das Gewicht der Gold- und Silberbarren, die gesamte Ausbeute von drei Jahren aus den Minen in Mexiko und Peru. Drei Jahre lang hatten es die Spanier nicht gewagt, auch nur ein einziges ihrer Silberschiffe zum Mutterland hinüberzuschicken. Der Spanische Erbfolgekrieg mit Großbritannien und den Niederlanden hatte die Schiffahrtswege zu unsicher gemacht. Piraten enterten im Dienste der herrschenden Mächte zielgerichtet spanische Schiffe. Das Risiko war einfach zu groß gewesen. Was also jetzt auf den Schiffen dieser Armada transportiert wurde, war die kostbarste Ladung, die jemals den Meeren anvertraut worden ist: 14 Millionen Pesos und im Ballastraum des Flaggschiffes lag etwas, von dem nur ganz wenige Offiziere wussten: drei eisenbeschlagene Truhen, bis zum Rand gefüllt mit Juwelen von unschätzbarem Wert. Sie waren dazu bestimmt, die zukünftige Frau des spanischen Königs zu schmücken, die Herzogin Isabella von Parma. Auf dem Achterkastell der 44-Kanonen-Galeone „Nuestra Señora de Carmen y San Antonio“ stand Admiral Echeverz. Dieser war einer der erfahrensten Seeleute des Königs, aber den Oberbefehl über diese wertvollste aller Armadas hatte er trotzdem nicht. Den hatte General Don Juan Esteban Ubilla, in den Augen der Matrosen eine Landratte. Ein Mann, der einen Großmast nicht vom Vordersteven unterscheiden konnte. Ein lächerliches Protokoll, das sich nach Rang, nicht nach Erfahrung richtete, wollte es so. Also bildete das Schiff des Mannes, der die Gewässer zwischen den Bahamas und Florida so gut kannte wie seine Westentasche, die Nachhut. Der Mann, dem alles Seemännische fremd war, lief mit seinem Flaggschiff, der „Hampton Court“, an der Spitze des Flottenverbandes. Am 29. Juli segelte die Flotte an den Bahamas vorbei und nahm Kurs auf das heutige Kap Kennedy. Getrieben von achterlichem Wind und dem Golfstrom machten die Schiffe gute Fahrt. Echeverz blieb skeptisch. Er wusste, dass man niemals so spät hätte auslaufen dürfen: Die gefürchtete Hurrikan-Saison stand vor der Tür. Aber wenn ein König Geld brauchte, musste jede Vernunft schweigen. Menschen, wie Matrosen, waren Adligen nicht wichtig. Am Nachmittag schlief die Brise urplötzlich ein und die Segel hingen schlaff an den Masten herunter. Von den Rahen schwärmten die Vögel hoch und flogen in Richtung Küste davon. Der Himmel war wolkenlos und von einem unwahrscheinlichen Blau. Trotz Windstille wogte das Meer in einer breiten schweren Dünung. In der Nacht nahm der Wellengang plötzlich zu. Die vollkommen überladenen Schiffe begannen zu rollen. Deckladungen rissen sich los. Über die unteren Batteriedecks drang Wasser ein. Die Besatzung wurde unruhig, einige Männer spülte es bereits jetzt von Bord in einen eiskalten Tod, ein paar wurden von den schweren Ladekisten zerquetscht. Admiral Echeverz ahnte die sich anbahnende Katastrophe: Er drängte beim Flaggschiff auf Kursänderung… vergeblich. Stur liefen die Schiffe weiter nach Nord-Nordost, in ihren Untergang hinein. In der Nacht zum 30. Juli fuhr der Hurrikan schließlich wie ein tollwütiger Wolf in die Schafherde der Galeonen. Er fetzte die Segel von den Rahen und zersplitterte die Masten. In einer Hölle aus Gischt, Sturm und schwärzester Nacht trieb er die Schiffe auf die von Riffen übersäte Küste zu. Um 2.30 Uhr sank die „Hampton Court“ mit General Ubilla und 223 Mann. Kurze Zeit später zersägten die messerscharfen Korallenriffe die „Holandesa“ wie ein morsches Brett. Schiff für Schiff erlag dem Würgegriff des Hurrikans. Auch die „Nuestra Señora de Carmen y San Antonio“ von Admiral Echeverz sank mit 124 Seeleuten. Die Morgensonne des 31. Juli ging über einem Schauplatz des Schreckens auf: Zwischen Goldbarren, Silbermünzen und Kanonen lagen Hunderte von schrecklich zugerichteten Leichen am Strand. Die wenigen Überlebenden, halb wahnsinnig vor Grauen und Gier, begannen, die Ladung zu plündern. ~v~v~ „Sie wurden von vorbeifahrenden Schiffen aufgelesen und kehrten als reiche Männer zurück, Señor Wagner“, endete Anita. „Die Schiffe haben zwar den Rest des Strandgutes eingesammelt und mitgenommen, aber der größte Schatz bleibt im Meer versunken. Vor allem die drei eisenbeschlagenen Truhen und die Kisten mit den Dublonen, so wie Sie eine besitzen.“ ~v~v~ Drei Tage lang wütete der Sturm unerbittlich, und machte es für Wagner und Anita unmöglich, aus dem Haus, geschweige denn an den Strand zu gehen. Anitas Mutter jammerte, sie würden den Gasthof schließen müssen, wenn das Wetter so bliebe, nutzte aber die Gelegenheit, die Zimmer in Ordnung zu bringen und kleine Ausbesserungen im Haus vorzunehmen. Ihre Tochter half ihr dabei und lief den ganzern Tag mit Eimern und Lappen herum. Wagner saß am Fenster, starrte hinaus und verfluchte, dass er wegen seinem Bein nichts tun konnte, um ihnen zu helfen. In der Nacht vom dritten zum vierten Tag zeichnete sich eine Besserung ab, denn das Brausen des Windes wurde leiser, und der Regen hörte auf. Am nächsten Morgen schien die Sonne, der Himmel war wolkenlos und hellblau. Die Mutter schickte Anita am Vormittag in die nächste Stadt um einzukaufen. Ihr Ziel war etwa einen halben Tagesmarsch entfernt, und so machte sie sich auf, um am Abend wieder zu Hause zu sein. Als die Sonne unterging kam sie keuchend zurück. Ihre Wangen waren gerötet, und mit einem Tritt öffnete sie die Tür. Heftig nach Luft ringend lehnte sie sich an die Wand und ließ die Taschen zu Boden fallen, als wären sie Zementtüten. Aber ihre Augen glänzten. „Am Strand… liegt ein Schiff“, keuchte sie. „Was ist den daran so besonders?“, wollte Wagner wissen. „Es liegt… nicht an… und es… es ankert nicht… Es wurde… angespült.“ Anita betonte das letzte Wort. Sie zog ihn zum Küchenfenster, von dem aus man einen wundervollen Blick auf den unten liegenden Strand hatte. Es war ein malerisches Bild: Der Sonnenuntergang hatte das Meer rot gefärbt, den Strand orangegelb, und inmitten des Sandes lag die schwarze Silhouette eines riesigen Wracks. Es musste einst ein prächtiges Schiff gewesen sein, und die Tatsache, dass sein Rumpf rund war und nirgendwo Netze hingen, ließ vermuten, dass es sich hierbei wohl um eine Galeone oder ähnliches handeln musste. So schnell es mit seinem verletzten Bein ging, hastete Wagner zum Strand. Anita folgte ihm. Der Weg war immer noch rutschig und machte dem Neugierigen deshalb einige Schwierigkeiten. Ein paarmal wäre er fast gestürzt, doch ein Fall aus dieser Höhe wäre wohl nicht besonders schlimm gewesen. Doch man musste ja nicht unbedingt ein Risiko eingehen. Endlich standen sie vor dem Schiff: Der Kiel hatte sich tief in den Sand gegraben, und das Holz war vor lauter Muscheln und Algen kaum noch zu sehen. Dennoch war es von beachtlichen Ausmaßen. „Der Sturm und die Flut müssen es hierher getrieben haben“, murmelte Anita. Aufgeregt wie zwei kleine Kinder kletterten sie hinein. Wenn man jetzt auf der Kommandobrücke stand, wurde einem die Größe des Schiffes erst richtig bewusst. Es war eine Galeone, dessen war Wagner sich sicher. Er musste an die Geschichte denken, die Anita ihm erzählt hatte. „Señor Wagner, sehen Sie! Hier!“ Die Stimme klang dumpf und leise von irgendwo aus dem Rumpf. „Wo bist du?“, rief Wagner und als Anita antwortete, folgte er ihrer Stimme vorsichtig bis in die Batteriedecks. Dort glaubte er seinen Augen nicht zu trauen: Überall waren Goldmünzen verstreut, Kisten umgekippt. Als er eine Münze aufhob und sie genauer betrachtete, stellte er fest, dass es dieselbe war, wie die, die er von seinem Vater bekommen hatte. Heiser lachte er auf und warf eine Handvoll Dublonen in die Luft. Wie goldener Regen fielen sie klirrend wieder zu Boden. Übermütig bewarfen sich die beiden damit. Plötzlich fiel ihr Blick auf eine große Truhe. Die Beschläge hatte der Rost schon angefressen, so dass ein kräftiger Schlag genügte, um das Schloss aufspringen zu lassen. Doch die Truhe enthielt nur die Überreste von verschimmeltem Stroh. „Nichts“, seufzte Wagner. „Das kann nicht sein“, erwiderte Anita. Vorsichtig nahm sie das Stroh aus der Truhe. Darunter erschien ein wunderschönes Teeservice aus China. Das Mädchen hielt den Atem an, als es eine der zierlichen Tassen in die Hand nahm. Das tiefblaue Porzellan hatte einen goldenen Rand und war hauchdünn. Die Chinesen waren in der Vergangenheit führend in der Porzellanherstellung gewesen, hatte Wagner ihr erzählt, und alle Welt hatte sie um dieses beinahe durchsichtige Material beneidet… „Ein Teeservice aus der Quang Hsi – Zeit…“, stellte Wagner sachkundig fest. „Ich habe schon einige Stücke aus dieser Zeit gesehen. Es ist unglaublich wertvoll.“ „Wir sind reich…“, hauchte Anita. Neugierig öffneten sie auch die anderen Kisten, die sie in den Batteriedecks fanden. Wo auch immer sie hinschauten waren Golddublonen, Silbermünzen, Schmuckstücke mit Edelsteinen. Wären sie auch in den Ballastraum gegangen, hätten sie das Wertvollste im ganzen Schiff gefunden: Jene Juwelen, die für die Herzogin Isabella von Parma gedacht gewesen waren. Wagner und Anita befanden sich auf der „Hampton Court“, deren Name der Sand am Kiel verschluckt hatte… ~ Ende ~ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)