Der Fluch des Mondes von abgemeldet (Wichtelgeschichte für Naenia) ================================================================================ Kapitel 1: Anfang und Ende -------------------------- Damals ...   Die unheimlich geformten, stahlgrauen Wolken bilden sich am Himmel zu einem Gewitterreich, das in wenigen Minuten die Welt in einen Regenschleier hüllt und den Wald von Nomea in Dunkelheit taucht. Hinter den dicken Wolkenschichten ersticken die letzten warmen Sonnenstrahlen des Tages. Ein kühler Wind säuselt durch die Baumkronen, wobei die Äste durch die Kraft zum Schwingen kommen und lautes Knarzen durch die Stille des Waldes hallt. Durch das verwilderte Gebiet führt ein kleiner Pfad. Früher benutzt als eine Abkürzung von Dorf zu Dorf, liegt diese Strecke nun aufgrund eines Verbotes still. Über dieses Wissen verfügt auch der 17-jährige Mikan. Trotzdem spaziert er durch den Wald mit seinen kahlen Bäumen am Wegesrand, die grünen, ruhigen Augen stets nach vorne gerichtet, um nicht vom Pfad abzukommen. Wildkräuter und Moos bedecken den Weg, daher bleibt Mikan wachsam. Der feuerrote Umhang schützt ihn vor dem kalten Schauer, genäht von seiner liebevollen Großmutter Fiony als Glücksbringer. Kaum weht ihm ein frostiger Wind entgegen, zieht Mikan den Regenmantel näher an seinem Körper und versteckt sein rundliches Gesicht unter der Kapuze. Das Unwetter nimmt an Fahrt auf, weshalb seine Schritte an Tempo zunehmen. Nach seinem Gefühl sinken die herbstlichen Temperaturen immer weiter, je tiefer er in den Wald geht. Unter seinen schwarzen Stiefeln hängt der Schlamm fest und bei jedem Schritt schmatzt es beim Auftreten. "Ich muss mich beeilen, sonst komme ich noch zu spät", murmelt Mikan leise.   Jetzt bereut er es definitiv, die Abkürzung genommen zu haben, um heute Abend bei seiner Großmutter zu sein. Doch der andere sichere Weg ist ihm aufgrund der letzten Regentage durch einen Steinrutsch versperrt worden. Kurz kneift er seine Augen zusammen, als der kalte Wind ihm entgegen weht. Bald ist er am Ziel angekommen und freut sich schon auf das warme Kaminfeuer in dem alten Waldhäuschen. Nach all den Jahren lebt seine Großmutter stets nach ihren eigenen Regeln. "Warum bricht ausgerechnet heute ein Unwetter aus?", klagt er bedauernd. Er verstärkt den Griff um den geflochtenen Korb. Ein Abendmahl, süßer Rotwein und Medizin sind der Inhalt des Korbes, zusammengepackt von seiner Mutter für die Großmutter. Er läuft zügiger über den matschigen Weg, als ein Knurren im Rauschen des Regens ertönt. Vor Schreck bleibt Mikan stehen und schaut sich um. Sein Herz hämmert kraftvoll gegen den Brustkorb. Wo auch immer das bedrohliche Geräusch herkommt, das wilde Tier befindet sich in unmittelbarer Nähe. "Verdammt!", zischt Mikan. Mit einem Mal ertönt Donner am Himmel. Mikan zuckt leicht zusammen, lässt aus Versehen den Korb fallen und seine Augen werden ganz groß. Blitze erhellen die dunklen Bereiche am Himmel wie ein Feuerwerk und zeichnen die Umrisse des Wesens, das sich in der Dunkelheit des Tages versteckt. Wenige Meter vor ihm steht ein großer, kohlschwarzer Wolf mit blutroten Augen. Ihre Blicke zwischen Neugier und Angst prallen wie zwei verschiedene Welten aufeinander. ►✪◄ Kleine Flammen flackern geisterhaft vor dem sternenklaren Nachthimmel, als tanzen sie ein unheimliches Ritual und wispern unheilvolle Worte für die Zukunft bestimmt. Ihr grelles Licht brennt Mikan in den Augen, doch er weiß, dass die Tränen auf seinem Gesicht nicht nur seinem Traum zu schulden sind, sondern auch der beklemmenden Situation. Seit Stunden schon bewegt er sich nicht vor dem Lagerfeuer. Durch das leise Knistern des Feuers und dem vereinzelten Knacken der Holzscheite hört er hin und wieder das Heulen des Windes, ansonsten herrscht betretenes Schweigen. "An was denkst du, Mikan? Du starrst schon seit Stunden in das Feuer, ohne den Blick davon zu nehmen?", sorgt sich eine männliche Stimme um ihn. Aus der Gedankenwelt heraus blickt Mikan seinen Begleiter lächelnd an. Wie damals, bei ihrer ersten Begegnung, verliert sich Luka in den seelengrünen Augen von Mikan. Daher schmerzt es ihn sehr, Mikan seinetwegen in Lebensgefahr zu sehen und er nichts weiter tun kann, als ihn mit aller Kraft zu beschützen. In seiner Wolfsgestalt sind seine Sinne um das Vielfache geschärft und er spürt die innerliche Nervosität seines Freundes, was er ihm überhaupt nicht verübeln kann. "Ich habe mich nur an unsere erste Begegnung vor zwei Monaten erinnert. Keine Ahnung, warum diese Erinnerung gerade jetzt auftaucht", seufzt er. "Also mach dir keine Sorgen, Luka. Eher sollten wir aufbrechen, statt hier seelenruhig weiter zu reden." Die Anspannung in seiner Stimme unterstreicht sehr gut seine Gefühlslage. Erschöpft und verzweifelt von ihrer Reise, die vor wenigen Tagen begonnen hat. Verständnisvoll nickt der Wolf gegenüber dem Jungen, legt seinen Kopf auf die Pfoten und stellt seine Ohren auf, um die kommende Gefahr rechtzeitig zu bemerken. Die Bewohner aus den umliegenden Dörfern jagen die zwei Flüchtigen schon tagelang durch die Wälder, egal ob bei Tag oder Nacht. Sie wollen Rache nehmen an der Bestie von Nomea. Allein der Gedanke reizt Mikan zur Weißglut. Felsenfest ist er von der Unschuld seines Freundes überzeugt. Nicht er hat seine Großmutter auf dem Gewissen, sondern ein anderer Werwolf, der selbstsicher zwischen den Menschen lebt und nichts als Unheil über sie alle bringt. Doch zu seinem Bedauern fehlen ihm dafür die Beweise. "Bevor wir unsere Reise fortsetzen, ruh dich noch ein bisschen aus. Du hast kaum geschlafen", schlägt Luka vor. Mikan schüttelt den Kopf. Auf keinen Fall schläft er ein, während fast 200 Dorfbewohner sie gnadenlos verfolgen und die Gefahr besteht, dass Luka heimlich verschwindet, damit ihn selbst keine weiteren Probleme belasten. Luka war schon immer eine treue, selbstlose Seele. Ein herzhaftes Gähnen unterbricht ihn beim Denken und er streckt seine Arme aus. Ohne ein weiteres Wort gesellt sich Mikan zu seinem Freund. Beinah vergisst er die eisige Kälte des Winters aufgrund der dramatischen Probleme, verursacht durch Intrigen in den eigenen Reihen. "Hast du Angst, dass ich mich davonmache, wenn du schläfst?", fragt Luka bedacht. "Ja!", flüstert Mikan. Er kuschelt sich im warmen, dichten Fell des Wolfes ein und lauscht den wilden Herzschlägen in seinem Brustkorb. Darauf erwidert Luka kein Wort mehr. Müde schließt er die Augen. In der eingetretenen Stille ist nur das Knistern des Feuers zu hören. Die dicke Schneedecke auf dem Waldboden unterstreicht die bizarre Idylle in der Umgebung, als ob kein Unsegen sich auf den Weg zu den Flüchtlingen machen könne. Im weiß schimmernden Licht des Mondes glänzt der Wald unter dem Einfluss des Schneezaubers. Der Anblick beruhigt Mikan für eine Weile, bis er langsam bemerkt, wie schwer seine Augenlider werden. Früher meinte seine Großmutter, der Winter ziehe das Ende an. "Wird hier wirklich alles enden? Ich will ja nicht unbedingt ein Happyend, aber unser Neuanfang hat nicht mal begonnen, bevor wir die Chance dazu hatten", zischelt Mikan leicht aufgebracht und ballt seine Hände zu Fäusten. Lukas Wolfsohren zucken nach jedem Wort. In Gedanken stimmt er seinem Freund zu, dass das Leben ungerecht sein kann, doch ihre erste Begegnung hatte auch neues Glück ergeben. Sein Leben lang von der Familie belogen und von engen Freunden betrogen worden, erweist sich Mikans Vertrauen in ihn als große Stütze. Denn er hat niemals jemandem das Leben genommen oder in den Dörfern für Unheil gesorgt, wie es im Moment bei ihren Verfolgern diskutiert wird. Dank Mikan hat sein Leben nach vielen Schicksalsschlägen noch einen Sinn und deshalb hat er keine andere Wahl, als die eine Entscheidung zu treffen. ►✪◄ Auf dem Marktplatz versammeln sich alle Dorfbewohner für die Jagd nach der Bestie von Nomea. Eindringliches Getuschel und zornige Blicke zeigen die Ungeduld der Jäger mit ihren lodernden Fackeln in den Händen. Sie harren schon seit einer halben Stunde hier aus, um auf den besten Jäger der Gegend zu warten, Lukin Cort. Der stark gebaute Mann mittleren Alters beobachtet das Geschehen aus einer Seitengasse, grinst amüsiert über die Dummheit der Dorfbewohner und setzt seinen Jägerhut auf. "Dann sollte ich die Meute wohl nicht warten lassen", sagt Lukin kopfschüttelnd. Kaum betritt der Jäger den Marktplatz, erhellt durch die Flammen der Fackeln, bricht ein Schweigen in der Menge aus. In den dunkelbraunen Augen des Mannes strahlt eine Lust auf die zukünftigen Ereignisse, welche er selbst ins Rollen gebracht hat. In der ersten Reihe steht ein schwarzhaariger Junge mit hellgrauen Augen, der ehemalige beste Freund von Luka, Anrias von Weingut. Lukin nickt ihm zu. "Nach meinen zuverlässigen Quellen flüchtet die Bestie nach Norden. Am nördlichen Schlangenpass werden wir sie in eine Falle locken und anschließend zu ihrer gerechten Strafe verurteilen, dem Tod", berichtet er mit kräftiger Stimme. "Und auch die Identität der Bestie ist nicht mehr länger ein Geheimnis." Die neugierigen Dorfbewohner hängen förmlich an seinen Lippen. Nach Jahren der Angst vor dem Werwolf erfahren sie endlich seine andere Seite, ein erhoffter Schwachpunkt, um ihn endgültig zu erledigen. Nervös stampfen die ersten Menschen auf den Schnee, der seelenruhig auf den Straßen, Dächern und Waldflächen liegt, in der bedeutsamen Nacht, wo die Bestie von Nomea das letzte Mal auf die Jagd geht. "Sein Name lautet… Mikan Groll", verrät Lukin und ein Tumult entbrennt in einer wilden Diskussion. Zuerst sind sie fassungslos über die Nachricht, dass der Sohn vom verstorbenen Groll den Fluch des Wolfes in sich trägt, da dieser selbst in den Vollmondnächten bei der Jagd dabei war. Misstrauen und Vorurteile führen zu Verwirrung, doch nachdem Lukin die Hand hebt, verstummen die Gespräche in der Versammlung. "Die Beweise sprechen eindeutig für Mikan Groll. Ich verstehe die skeptischen Blicke unter euch, aber nicht alle Legenden sind wahr, dass der Werwolf sich nur bei Vollmond verwandelt", erklärt der Jäger ernst. "Außerdem ist er für den Tod von meinem Sohn Luka verantwortlich, was heißt, ich habe mit meinen eigenen Augen gesehen, wie sich dieser Junge verwandelt hat. Also muss er für seine Sünden mit dem Tod bezahlen". Ein Freudengeschrei erhebt sich in der düsteren Nacht. Bedrohliche Stimmen und hasserfüllte Gefühle wallen nicht nur durch die leeren, schmalen Straßen, sondern erfüllen auch die Herzen der Dorfbewohner mit blinder Rache. Die Jagd nach Mikan Groll, der Bestie von Nomea, beginnt mit den ersten Schritten der Dorfbewohner in Richtung des nördlichen Schlangenpasses. Nach wenigen Minuten herrscht Stille auf dem Marktplatz. Der Jäger Lukin bleibt als einzige Menschenseele hier zurück. "Solche dummen, naiven Menschen sind mir im ganzen Leben noch nie untergekommen. Ach egal! Wenigstens ist der Verdacht auf mich für immer gefallen, nicht wahr, Luka?", lacht er arrogant. "Was? Ich verstehe nicht ganz, Herr Cort?", wundert sich Anrias, der gerade aus einer Seitengasse kommt, um von dem besten Jäger der Dörfer Ratschläge zu bekommen. Genervt seufzt Lukin auf. Von Einfältigkeit umgeben, massiert er seine Nasenflügel und sieht den Jüngling gleichgültig an. "Du kommst gerade sehr ungünstig, mein Junge", raunt er unheilvoll und schreitet auf Anrias zu, der zittrig nach hinten ausweicht. "Oh mein Gott! Sie sind die wahre Bestie von Nomea! Die Schuld haben Sie nur auf Mikan geschoben, um Ihr eigenes Leben zu sichern. Und Sie haben meinen besten Freund umgebracht, der doch ihr Sohn war", haucht er geschockt, bis er den letzten Satz beinah vor Wut schreit. Tränen bilden sich in seinen Augen. Ein Gefühl von Schmerz und Schuld plagt den jungen Mann, entstanden durch die Lügen seines Vorbildes – den sündhaften Worten eines Monsters. Er schnappt sich sein Taschenmesser aus dem Stiefel, umklammert es fest mit seiner Hand und rennt wutentbrannt auf Lukin zu. Hier und jetzt soll die Bestie durch ihn zu Fall kommen. Im nächsten Moment spritzt Blut durch die Luft und ein Schrei ertönt aus Anrias Kehle. Der Junge verzieht qualvoll das Gesicht. "W-War-um?", röchelt Anrias. "Darum, Kleiner", antwortet Lukin schulterzuckend und zieht sein Jagdmesser aus Anrias linken Oberarm, der dabei leicht zusammenzuckt und dann keuchend zu Boden fällt. "Ich habe Luka von Herzen geliebt…", wimmert er brüchig und hält die blutige Stelle an seinem Arm fest. "Die Schwächlinge sterben doch immer! Nur die Stärksten überleben in der Natur. Und mein armseliger Sohn gehört nun mal zu der Sorte, die den Stolz unserer Blutlinie beschmutzt und daher den Tod durch den Verrat anderer stirbt", zischt Lukin. Mit einem hinterlistigen Grinsen beugt er sich über Anrias, der ihn nur hasserfüllt ansieht. "Du hast mir dabei geholfen, Anrias. Ich danke dir!", sagt Lukin, "Dafür lasse ich dich dieses eine Mal leben". "Ich werde dich …", droht der Junge ihm, bis er überraschender Weise das Bewusstsein verliert. "Tja! Waffen mit Betäubung oder Gift sind immer praktisch", meint Lukin und verschwindet vom Marktplatz. Im Vollmondlicht färben sich seine dunkelbraunen Augen zu einem kaltherzigen Blutrot. Zum Nachthimmel streckt er seinen Kopf nach oben und fühlt die Kraft des Mondes bis in seine Knochen. Seine Verwandlung erfolgt nicht wie früher unkontrolliert in der Vollmondnacht. Durch ein wohlbehütetes Geheimnis von Generation zu Generation weiß er seine Fähigkeiten zu kontrollieren und kann somit seine Feinde gekonnt täuschen. Doch davon würde sein Sohn nie erfahren. "Lebe wohl, Luka", murmelt er siegessicher. ►✪◄ Ein Beben erschüttert den Waldboden unter seinen Pfoten. Ruckartig stoppt Luka seine Bewegungen, wittert den Rauch von Feuerfackeln und lauscht dem rachsüchtigen Wortgefecht seiner Verfolger aus weiter Entfernung. Die Gruppe marschiert direkt in ihre Richtung. Jedes Wolfshaar richtet sich vor Anspannung auf, zeichnet seine Sorgen mit einem Zittern am ganzen Leib. Das Ende naht schneller, als er sich gewünscht hat, aber zum falschen Zeitpunkt. Ihr Abschied sollte nicht unter diesen Umständen folgen. An seiner Seite begleitet Mikan ihn mit schweren Atemzügen und wendet seinen Kopf in alle Himmelsrichtungen, aus Furcht, dass im nächsten Augenblick ein Angriff aus dem Hinterhalt erfolgt, obwohl sie alles tun, um ihre Spuren zu verwischen. "Sie haben uns zu früh entdeckt! Wir müssen unseren Fluchtplan überdenken", spricht Luka seinen Freund mit fester Stimme an. "Ab hier trennen sich unsere Wege". Wie ein Stich im Brustkorb zieht sich Mikans Herz krampfhaft zusammen, als er die bitterernsten Worte von Luka hört, der im versprach, immer an seiner Seite zu sein, sogar bis zum Tod. Widerspenstig verweigert er seinen Befehl, indem er sich nicht von der Stelle rührt und ihn mit einem rebellischen Funkeln in den Augen ansieht. Schweren Herzens versteht der Werwolf seine Gefühle für ihn, aber die Zeit drängt zu drastischen Entscheidungen. "Nein! Ich bleibe an deiner Seite, Luka! Zusammen werden wir den Kampf… den Kampf überstehen. Du hast es mir versprochen", beharrt Mikan darauf. "Ich kann dich nicht im Stich lassen. Ich liebe dich doch." Dafür ist Luka ihm unendlich dankbar. Mikan hält seit ihrer ersten Begegnung stets zu ihm. Ohne den Hauch von Zweifel vertraut er jeder seiner Worte und Taten, was ihm seelisch neue Kraft gibt. Unglücklicherweise steckt ein dunkles Geheimnis in ihm, welches ihm aus ironischen Gründen wirklich das Herz erleichtert. Fast abgestumpft durchbohrt sein Blick die Seele von Mikan. Für eine Sekunde breitet sich eine Gänsehaut auf dessen Körper aus, weil die schauderhafte Mimik des Wolfes ihm das Blut in den Adern gefrieren lässt. Den Grund versteht Mikan nur zur Hälfte. "Willst du wirklich an der Seite vom Mörder deiner Großmutter sein?", stellt der Werwolf gezielt die Frage. "Huh?" Mikan zieht scharf die Luft ein. In der Hoffnung sich verhört zu haben, streckt er seine Hand nach Lukas Kopf aus, um ihm zärtlich durch das nachtschwarze Fell zu streichen. Von ihm kommt nichts weiter als ein raues Knurren. Furchtsam und verwirrt zugleich weichen seine Füße reflexartig nach hinten. Das innige Vertrauen zueinander wandert an einen wunden Punkt. Er kann es einfach nicht glauben. Nie im Leben hat Luka dieses Verbrechen begangen. Er sagt es nur, weil er einen Grund sucht, ihn in Sicherheit zu bringen. "Ich glaube dir das nicht, Luka. Du lügst!" Er glaubt fest daran und umarmt den Wolf mit unerschütterlicher Entschlossenheit. "Verdammt! Du bist nicht alleine, mein Freund." "Am liebsten wäre ich jetzt alleine", wispert Luka, "Ich habe nicht nur versprochen an deiner Seite zu sein, sondern auch dich mit meinem Leben zu beschützen". Der Vollmond am Himmel spiegelt sich in den feuerroten Augen des Wolfes, wie ein Sinnbild des Blutmondes. Aus der Ferne zwischen Dunkelheit und dem Mondlicht entdeckt Luka viele Lichtpunkte, die sich als Standort der Fackeln heraus stellt. Hoffnungslos verengt Luka seine Augen. Nicht mehr lange braucht ihr grausames Schicksal, um zuzuschlagen und die Nacht heute färbt den perlweißen Mond mit unschuldigem Blut zu einem Symbol ewigen Fluches. Genau so, wie es seit ihrer ersten Begegnung vorherbestimmt gewesen war. ►✪◄   Und dann … Am Himmel ertönt ein Donnerschlag. Im Schutz der Baumkronen krächzen die Raben, verhängnisvoll sprechen sie in ihrer Sprache, so finster wie die Nacht. Das Holz der Bäume knarzt bei jedem starken Windzug unter den herbstlichen Wetterbedingungen. Durch den langsamen Nachlass des Regenschauers liegt das Plätschern nicht mehr laut in den Ohren, außer den Geräuschen des Waldes. Sanfter Geruch von nasser Erde steigt auf, wie der Morgentau auf den Grashalmen. Die Sinne des Herbstes gleichen dem Duft des Frühlingsmorgens. Auch im Moment ihrer Starre bleibt nichts weiter als Schweigen in der Luft. Augenblicklich holt lautes Donnergrollen den Jungen aus der Traumwelt, noch eben gefangen im geheimnisvollen Blick des Wolfes, obwohl ihm sein Verstand zur Flucht rät, wendet er den Blick von dem Wolf nicht ab. Das schwarze, zottelige Fell von dem Regen durchnässt passt du der dämonischen Aura um ihn. Mikan beobachtet jede seiner Bewegungen genau. Leicht zucken die Wolfsohren und den kalten Atem schnaubt der Wolf durch seine Nase. "Wer bist du?", stellt Mikan neugierig die Frage und die Angst auf seinem Gesicht verblasst. Keine Antwort kommt von dem Wolf, eher mustert das übernatürliche Wesen den Jungen, rührt augenscheinlich keinen Muskel und steht mit Anmut im Regen, als ob es keinen Morgen gibt. Zwischen ihnen prasseln Regentropfen auf die Pfützen im Trampelpfad, erweichen die Erde zu einer Schlammgrube, matschig und rutschig. "Kannst du nicht reden?", fragt der Junge einfach weiter. Ein Funkeln leuchtet in den Wolfsaugen, aufgeregt und verunsichert über das spontane Aufeinandertreffen im tiefen Punkt des Waldes. In seinen Gedanken kehren die Erinnerungen zurück, wo es um die Gerüchte einer Bestie in Nomea geht. Seit vielen Jahrhunderten sucht es die Dörfer um den Wald herum heim, um nicht nur das Unheil zu verbreiten, sondern auch das frische Blut zwischen den scharfen Zähnen zu schmecken. In seinem Dorf handelt es sich um die uralte Legende von Wesen, die ein Leben als Wolf und Mensch führen können, die Werwölfe. Vor ihm muss ein Werwolf stehen, weil normale Wölfe haben keine ungewöhnlich blutrote Augen und die fast übermenschliche Größe. "Ähm… ich bin Mikan. Wie ist dein Name?", führt er seine einseitige Unterhaltung weiter. Erstaunt über die ruhige und freundliche Reaktion des Jungen neigt der Wolf seinen Kopf zur Seite. Das Schweigen zerrt schichtweise an seinen Nerven, bedacht auf neue Gefahren in seinem Umfeld, wo vielleicht Jäger mit ihren Waffen auf ihn lauern. Diesmal scheint das Glück auf seine Seite zu sein, da nur der Junge sich in der Nähe befindet. Nach einiger Zeit lockert der Wolf seine Muskeln, entstanden durch die aufkeimende Anspannung der unvorhersehbaren Begegnung mit dem Menschen. Das Interesse an einem Gespräch ohne Vorurteile und zornigen Blicke führt zu ersten Schritt ihrer Zukunft. "Märchen haben immer ein Happyend! Unsere Zukunft wird so ein Wunder nicht haben", spricht der Wolf ihn verbissen an. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)