Neue böse Wesen und so von Schneeregen (Mit Liebe und viel Alkohol gegen Dämonen und andere böse Wesen 2) ================================================================================ Kapitel 1: (K)eine ruhige Minute -------------------------------- „...Aufgrund dieser Ungleichheit gründeten die Nixen vor einigen Jahrzehnten ihre eigene vom Rat unabhängige Verwaltung. Sie fordern bis heute eine Eingliederung und damit bessere Überwachung der Dämonen...“ „Das klingt als wäre es aus einem Fantasyroman“, warf Emil ein, der Lilian bis zu diesem Punkt aufmerksam zugehört hatte. „Ist es aber nicht. Es ist unsere Geschichte. Zumindest die offizielle Version“, entgegnete Lilian und Emil bemerkte die Gereiztheit in ihrer Stimme. Rasch setzte er dazu an, sich zu entschuldigen. „Schon gut.“ Lilian legte beruhigend die Hand auf seine Wange. „Für dich muss das alles merkwürdig klingen.“ „Nein, ich finde nicht, dass es merkwürdig klingt!“, betonte Emil. „Tut mir Leid, dass ich das so gesagt habe.“ „Schon gut“, erwiderte Lilian beschwichtigend und legte lächelnd den Kopf auf seine Schulter. Sie lagen auf seinem Bett. Die letzten Wochen war Lilian öfter bei ihm gewesen. Sie hatten viel Zeit mit Küssen verbracht und nur wenig damit, darüber zu reden, was eigentlich passiert war. Es war erst einige Wochen her gewesen, dass Emil überhaupt erfahren hatte, dass die Welt voll war mit Übernatürlichem, das normale Menschen nicht erkennen konnten. Marie, ein hübsches und unnahbares Mädchen, in das Emil verliebt gewesen war und das ihn bis dato nicht einmal wahr genommen hatte, hatte plötzlich Interesse an ihm gehegt. Denn Emil besaß eine Fähigkeit, die sie „Quelle“ nannten. Was eigentlich falsch war, es war eher eine Art Katalysator, der Magie verstärkte. Marie als Hexe wollte Emils Quelle benutzen, um ein Schulprojekt auf der Hexenschule fertig zu bekommen, bei dem sie sich in den Kopf gesetzt hatte einen Stein der Weisen herzustellen. Doch ihr Plan Emil zu bezirzen schlug fehl, als Lilian sich einmischte. Sie war eine Succubus, ein Dämon, der Männern die Lebensenergie entziehen konnte und deshalb bei anderen als Männerhasserin bekannt war. Doch sie versuchte mit allen Mitteln Marie davon abzuhalten Emils Quelle zu bekommen. Und es gelang ihr durch „Abmachungskausalität“ Emils Quelle zu versiegeln und sie damit für Marie unantastbar zu machen. Auch Emils starke Anfälligkeit für Lilians Succubuskräfte waren mit der Versiegelung verschwunden und er wurde praktisch immun gegen ihre Anziehungskraft. Erst dann hatte Emil bemerkt, wie sehr er sie auch ohne ihre magischen Reize mochte. Sie war ein tolles Mädchen, hübsch, hatte langes dunkelblondes Haar und einen perfekten, kurvigen Körper. Spätestens als Lilian beim Anblick von Emils Rechner gefragt hatte, was er denn für eine Grafikkarte darin hätte, hatte Emils Herz für einen Moment ausgesetzt. Als er dann auch noch erfuhr, dass sie noch bis vor einigen Monaten World of Warcraft gespielt hatte, Half Life nicht nur vom Hören her kannte, und einen schnellen Rechner besaß, kam Emil nicht mehr aus dem Staunen raus, über dieses Mädchen, das er vorher nicht einmal gekannt hatte und das beinahe mehr mit ihm gemein hatte, als sein bester Freund. „Du hast nie gefragt!“, hatte sie gesagt und ihn angelächelt. Genau so wie sie es gerade getan hatte, während ihre dunkelblauen Augen glänzten. Lilian hob den Kopf und küsste seine Wange, wobei sie fast an seiner Brille hängengeblieben wäre. „Kommst du denn damit klar?“ „Womit?“, fragte Emil und legte den Arm um sie. „Damit, dass du so wenig weißt. Über unsere Welt, Magie und das alles.“ „Ich dachte, du erzählst mir einfach alles.“ „Das ist soviel, das kannst du dir gar nicht alles auf einmal merken!“ „Du könntest es versuchen?“, schlug Emil vor. „Wenn ich wirklich alles wissen würde ...“ Lilian drehte sich zu ihm und legte den Arm um seine Brust. „Und ich glaube, das Meiste lernst du noch früh genug.“ Kaum einen Augenblick später berührten ihre weichen Lippen seine. Sie küsste ihn sanft und vorsichtig und während sich ihre Zungen berührten, schmiegte sie sich an ihn. Emil spürte jede Rundung ihres Körpers an seinem eigenen. Sie war unglaublich weich. Er verlor sich beinahe in ihrem Kuss, als sie ihn plötzlich fest packte und mit aller Kraft aufs Bett drückte. Im gleichen Moment hörte Emil das Splittern von Glas und Lilian aufschreien. Danach war alles still. Emil öffnete vorsichtig die Augen. Lilian lag über ihm und ihr Gesicht war Schmerz verzerrt. Sie versuchte etwas zu sagen, kippte aber zur Seite, weil ihre Arme sie nicht mehr trugen. Emil griff nach ihrem Arm und verhinderte, dass sie vom Bett fiel. Dann fuhr er zum Fenster herum. Die Scheibe war vollständig zerborsten. Die Splitter lagen überall auf dem Bett und im Zimmer verteilt. Doch hinter dem Fenster war nichts. Im gleichen Moment wurde Emil nach hinten auf die Matratze gepresst und etwas schweres schnürte ihm die Kehle zu. Er versuchte Luft zu holen, sich zu bewegen. Doch etwas hielt ihn so fest umschlungen, dass seine Muskeln brannten bei den Versuchen sich loszureißen. Vor seinen Augen war nichts. Nur die Zimmerdecke. Der Schmerz im Hals wurde unerträglich. Sein Kopf drehte sich. Ein lautes Knacken hallte in seinen Ohren und mit einem Mal ließ der Druck los und seine Lungen füllten sich schlagartig wieder mit Luft. Er hörte einen dumpfen Aufprall. Dann beugte Lilian sich über ihn. „Emil?“, sagte sie mit atemloser Stimme. „Alles ok?“ Trotz seiner verrutschten Brille konnte Emil die Leere in ihren Augen erkennen, mit der sie ihn ansah. Er schaffte es nur zu nicken. Daraufhin huschte ein schwaches Lächeln über ihr Gesicht, bevor ihre Arme nachgaben und sie auf seiner Brust zusammenbrach. Das erst löst Emil aus seiner Schockstarre. Sein Blick fiel erst jetzt auf ihren Rücken, aus dem vergilbte Bolzen herausragten, deren Oberfläche im Licht merkwürdig schimmerte. Emil wusste sofort, was zu tun war. Er richtete sich hastig auf und griff mit den Händen nach dem ersten Bolzen. Doch auch wenn er mit aller Kraft daran zog, der Bolzen bewegten sich nur einige Zentimeter. Seine Finger verkrampften sich, doch er ignorierte den Schmerz, denn er wusste, er musste sie um jeden Preis herausholen. Nur langsam löste sich der Bolzen aus Lilians Rücken. Dass damit auch ein Rinnsal Blut herauskam, ignorierte Emil, denn kaum war der Erste gezogen, begann die Wunde darunter, sich zu schließen. Als Emil endlich den letzten Bolzen herauszog, spürte er, wie Lilians Körper sich deutlich entspannte. Auch er fiel erschöpft auf das Bett zurück. Der letzte Bolzen rollte ihm aus der Hand. Für einige Augenblicke lagen sie beide einfach nur da. Emil spürte erst jetzt bewusst, wie Lilians Brust sich nun auf seiner eigenen hob und senkte und hörte wie ihr Atem an seinem Ohr ruhiger wurde. „Danke“, flüsterte sie schwach und küsste seine Wange. „Nein, ich muss dir danken!“ Emil realisierte immer noch nicht, was da gerade passiert war. Stöhnend erhob Lilian sich vom Bett. „Das ist ja gerade nochmal gut gegangen“, sagte sie in einem Tonfall, als wäre gerade nichts weltbewegend geschehen. Emil beobachtete sie, wie sie im Raum stand und den Kopf zur linken Seite gelegt hatte, als würde sie etwas auf dem Boden eindringlich betrachten. Emil richtete sich auf, sah aber nichts, das für Lilian irgendwie interessant sein könnte. Überall lagen Scherben, auch auf dem Bett und Emil schob eine besonders nahe liegende ein paar Zentimeter zur Seite, um sich nicht daran zu schneiden. „Ist irgendwas?“, fragte er, während er seine Brille richtete. Lilian stieß einen Seufzlaut aus und schob den Fuß knapp über dem Boden durch die Luft. Er schien an etwas unsichtbarem hängen zu bleiben. „Verdammter Ghul!“ Als sie aufsah, fing sie Emils verständnislosen Blick auf und einige Sekunden starrten sie sich gegenseitig an, bevor Lilian mit einem Mal die Einsicht kam: „Du kannst ihn nicht sehen, oder?“ Emil schüttelte den Kopf. Lilian grinste. „Ah. Achso ja. Also das ist ein Ghul.“ Sie deutete auf den Boden unter ihr. Diese Erklärung half Emil wenig weiter, sah er doch nicht einmal einen Körper. „Du kannst ihn nicht sehen“, fuhr sie fort. „wie du auch meine wahre Gestalt als Succubus nicht siehst. Ghule sind Untote, die sich von menschlichen Leichen ernähren. Dieser hier hatte wohl beschlossen, seine Leichen selbst zu machen.“ Langsam erinnerte sich Emil an die Ghule in Spielen und ein Bild tauchte in seinem Kopf auf, von einem dürren Wesen mit fader über die Knochen gespannter Haut und einer verzerrten Fresse mit einer Reihe scharfer Reißzähne und mit einem Mal war er froh nichts zu sehen. „Zum Glück sind die Knochen von Ghulen so schwach, dass man ihnen trotz durchlöchertem Rücken noch leicht das Genick brechen kann.“ Sie klang amüsiert und grinste. Das Knacken schoss Emil durch den Kopf. Das war also das Geräusch, wenn Knochen brachen. Bei dem Gedanken daran wurde ihm ganz anders. „Danke dafür.“ Er spürte wie trocken seine Stimme war. „Kein Problem. Das war trotzdem sehr knapp. Ich frage mich was er wollte ...“ Emil zuckte die Schultern: „Dich töten?“ „Ghule verlassen für gewöhnlich nie ihre Friedhöfe. Was, wenn ein Nekromant...“ Lilian sagte das mehr zu sich, als würde sie nachdenken. „Sag mal, lässt dich das vollkommen kalt?“, fragte Emil verdutzt und Lilian sah auf. „Ehrlich gesagt, schon. Auch wenn das mit den Schmerzen immer nervig ist.“ Sie hielt kurz inne. „Es tut mir nur Leid, dass du da mit rein gezogen wurdest.“ Lilian lächelte aufmunternd und kam dann auf Emil zu. Die Hände stützte sie links und rechts neben ihm auf dem Bett ab und küsste ihn sanft auf die Lippen. „Mach dir um mich keine Sorgen. Mich kriegt man so schnell nicht klein.“ Das Lächeln war immer noch nicht von ihrem Gesicht gewichen und Emil hatte das Gefühl bereits alles vergessen zu haben, zumindest fast alles. „Hast du eine Idee, wie wir die Leiche jetzt hier raus schaffen?“, fragte Lilian plötzlich und nickte zu dem für Emil leeren Fleck am Boden hinüber. „Raus schaffen?“, wiederholte Emil. „Löst die sich nicht einfach nach einiger Zeit auf?“ Lilian sah ihn kurz verwundert an. „Jein. Du denkst an World of Warcraft, oder? Der Körper despawnt, also verschwindet, wirklich irgendwann. Das nennt man Verwesung, dauert lange und ist ekelig. Irgendein Ort, wo wir ihn lagern können?“ „Vielleicht in unserer Garage?“, sagte Emil nach kurzem Überlegen. „Meine Eltern gehen da eigentlich nie rein, weil da zu viel Chaos drin ist.“ „Schaffen wir das zu zweit?“ „Glaub' schon“ Nachdem Lilian sich bereits aufgerichtet hatte, stand Emil vorsichtig vom Bett auf, um nicht in eine der Scherben zu treten oder zu greifen. Lilian nahm seine Hand und führte sie hinunter zum Boden. „Nicht erschrecken“, sagte sie, bevor Emils Hände etwas Kaltes und seiner Meinung nach arg Schleimiges berührten. Der Geruch von Verfaultem drang in seine Nase und er musste stark gegen den Drang ankämpfen nicht zurück zu zucken. „Du musst hier anpacken“, wies Lilian ihn an und Emil schloss seine Hand. „Jetzt anheben.“ Emil hatte gerade erst angesetzt, das unsichtbare Etwas aufzuheben, da hatte Lilian ihre Seite bereits auf Brusthöhe und die Leiche rutschte erst einmal in Emils Richtung. Mit dem vollen Gewicht drückte sie seinen Magen ein. Er stöhnte auf und Lilian ließ die Hände schnell ein Stück tiefer sinken, während sie sich mehrmals bei Emil dafür entschuldigte. Es dauerte, bis sie den Ghul die Treppe hinuntergetragen hatten, weil Emil die Gliedmaßen immer wieder nach unten weg rutschten und er nicht wusste wohin er greifen sollte, um sie wieder zu fassen zu kriegen. „Habt ihr eine direkte Tür zur Garage?“, fragte Lilian, als sie auf dem Treppenabsatz angekommen war. „Ja, rechts 'rum. Nein, das andere rechts.“ Etwas unbeholfen bugsierten sie die Leiche um die Ecke und schließlich durch die schmale Tür in die Garage hinein. Der Ghul war doch massiger, als Emil ihn sich nach Lilians Beschreibung vorgestellt hatte. Er hatte damit gerechnet, dass er filigraner wäre. Als er endlich die unsichtbare Last fallen lassen konnte, war es wie ein Segen. Er konnte wieder frei atmen, nur seine Hände fühlten sich ekelig nass an. „Hast du ein Taschentuch?“, fragte er Lilian und fuhr erschrocken herum, als das Garagentor plötzlich aufging und ihm Martins Stimme antwortete: „Ich hab eins!“ „Was machst du hier?“, fragte Emil verwirrt und beobachtete wie sein bester Freund gelassen das Garagentor hinter sich schloss und auf sie zukam. „Sorry. Ich bin wohl etwas zu spät.“ Martin grinste und besah sich dann den Boden vor Emils Füßen. „Meine Vorhersagen sind nicht mehr so zielsicher, seit ich nicht mehr primär für dich zuständig bin. Ich hatte gehofft euch wenigstens beim Entsorgen der Leiche zu helfen.“ „Wie? Du hast davon gewusst?“, platze es aus Emil heraus, doch noch während er sprach, wurde ihm schon klar, dass diese Frage unnötig war. Martin war ein Seher. Er wusste immer, was passieren würde. Nur nicht immer sofort, wenn er selbst nicht dabei war. Daran hatte Emil sich in den letzten Wochen immer noch nicht gewöhnt. Besonders da Martin jetzt manchmal vergaß so zu tun, als wüsste er nicht wissen, was als nächstes passierte. Emil seufzte. „Schon gut.“ „Den hast du ganz schön zugerichtet, Lilian“, bemerkte Martin und Lilian verdrehte daraufhin nur die Augen. „Aber viel wichtiger ist: Was wollte er eigentlich hier?“ „Keine Ahnung“, seufzte Lilian schulterzuckend. „Sag du es mir.“ „Wenn ich es wüsste, würde ich nicht fragen“, erwiderte Martin kalt. Emil bemerkte die angespannte Stimmung zwischen den beiden. Martin und Lilian konnten sich noch nie leiden. Zumindest solange Emil Martin kannte. Das hatte er zwar auch erst letztens heraus gefunden, aber es war wohl etwas, das vor langer Zeit zwischen den beiden vorgefallen war, dass zumindest Martin Lilian immer noch nicht verziehen hatte. Emil glaubte sich daran zu erinnern, dass Ina oder Sonia gesagt hatte, dass es mit Lilians Succubuskräften zusammen hing. „Aber ...“, fügte Martin hinzu. „Es gibt nicht so viele registrierte Nekromanten, die in Frage kämen.“ „Ein bekannter Nekromant würde nicht riskieren mit einem fremdgesteurten Ghul zu töten. Er würde sofort verdächtig sein.“ „Vielleicht war es nicht einmal ein Nekromant.“ Emils Blick wanderte zu dem leeren Fleck am Boden. „Ghuls verirren sich aber nicht alleine von Friedhöfen in anderer Leute Schlafzimmer“, konterte Lilian verärgert. „Es könnte genauso gut ein dunkler Magier gewesen sein. Die sind genauso unberechenbar. Vielleicht ...“ Martin hielt im Satz inne und wandte sich Emil zu. „Dich beschäftigt der Ghul, oder?“ „Naja, ich kann ihn ja nicht einmal sehen“, erwiderte Emil mit trockener Stimme. Es war ein dummes Gefühl, dass Lilian und Martin beide viel mehr wussten und dann auch noch das Ding sehen konnten. Nur er war dafür blind. „Ein Bier auf Ex und du siehst ihn auch!“ Martin hielt Emil eine Flasche Bier hin. „Alternativ auch andere alkoholische Getränke.“ Martin klang ermutigend, doch Emil starrte immer noch misstrauisch die Bierflasche an. „Wo kommt die denn jetzt her?“, fragte er mit zusammen gekniffenden Augen. „Ich dachte, dich würde der Anblick des Ghuls vielleicht interessieren.“ „Ach egal. Gib her.“ Emil fischte die Flasche aus Martins Händen und öffnete sie an einer Regalkante. „Na dann mal Prost.“ Er leerte die Flasche so schnell es möglich war. Schon während des Trinkens merkte er, wie sein Kopf leicht schummrig wurde. Doch das konnte genauso gut der Placeboeffekt sein. Mehrmals musste er absetzen, bevor der letzte Schluck getrunken war. Dann gab er sie Martin zurück mit der Erklärung: „Hier bitte. 8 Cent Pfand.“ Danach passierte erst einmal überhaupt nichts mehr. „Wie lange dauert das jetzt?“, fragte Emil, der auf den Boden vor sich sah. „So lange wie es dauert.“ Martin las gerade den Flaschenrücken. „Oh. Da steht drauf du sollst das Bier bewusst genießen.“ „Habe ich das nicht getan? Bewusst zum Selbstzweck genossen.“ Emil hörte Lilian glucksen und sah zu ihr auf. Ihre versteifte Miene hatte sich gelöst und jetzt lächelte sie. Es war das Lächeln, was Emil an ihr so schön fand und dass leider immer dann auf ihrem Gesicht auftauchte, wenn sie eigentlich über ihn lachte. „Jetzt will ich auch ein Bier!“ Lilian warf Martin einen Blick zu. „Du hast nicht zufällig noch mehr mitgebracht? Ich meine, das hier kann noch etwas länger dauern.“ „Nein. Aber dahinten steht eine Kiste.“ Es dauerte über 10 Minuten bis Emil anfing, etwas Verschwommenes auf dem Boden zu erkennen. Der Ghul sah, abgesehen von seiner deutlich größeren Masse, in etwas so aus, wie Emil ihn sich vorgestellt hatte, nur seine Haut war nicht fleischfarben, sondern grau und von einer bräunlichen Schicht überzogen. Den Kopf konnte Emil nicht richtig erkennen, da er aufgrund des Genickbruchs merkwürdig abstand. Dieser war im Verhältnis zum restlichen Körper sehr groß und schien überhaupt nicht zu den langen Gliedmaßen zu passen. Der Kiefer hing schlaff herunter und entblößte scharfe Reißzähne. „Und?“, fragte Lilian, die Emil interessiert über die Schulter sah. „Was siehst du?“ „Einen Ghul.“ Emil drehte sich zu ihr um und zuckte erschrocken zusammen. Statt ihrer dunkelblauen Augen, sahen ihn nun leuchtend grüne an. Er zuckte erschrocken zusammen. Auch wenn er eigentlich wusste, wie sie als Succubus aussah, war er in diesem Moment nicht darauf vorbereitet gewesen. Ihr Haar war pechschwarz geworden und sie sah in seinen Augen noch attraktiver aus als sonst. Auch wenn das ebenso am Bier liegen konnte. Genauso hatte sie an dem Abend ausgesehen, als er sie das erste Mal gesehen hatte. „Ekelig oder?“, sagte sie und nickte kurz zu dem Ghul hinüber. „Nein, sind sie wirklich nicht.“ Er konnte den Blick einfach nicht von ihren Augen abwenden. Sein Magen wurde flau und er merkte nicht, wie er sich zu ihr hinüber beugte. Es war genauso wie damals. Er spürte es, als sich ihre Lippen berührten, doch diesmal erwiderte sie seinen Kuss. „Bin schon weg!“, hörte Emil Martin plötzlich sagen. Emil beendet erschrocken den Kuss und ignorierte Lilians beleidigtes Gesicht. „Warte“, rief Emil. „Ist in Ordnung. Wir seh'n uns doch morgen wieder.“ Martin hatte bereits das Garagentor geöffnet „Denk dran. 13 Uhr bei mir.“ „Was? So früh?“, protestierte Emil. „Das schaffst du schon.“ „Schaffe ich nicht.“ „Doch! Ich weiß das!“, scherzte Martin und Emil gab klein bei: „Okay ... Bis morgen.“ „Bis morgen“, rief auch Lilian aus Reflex. „Nein, bis irgendwann ... mal ...“ Ihre Stimme verebbte, als Martin das Garagentor schloss. „Er hasst mich immer noch, oder?“, fragte Lilian an Emil gewandt und Enttäuschung schwang in ihrer Stimme mit. „Ach Unsinn. Er fühlt sich nur als fünftes Rad.“ „Er toleriert mich nur, weil ich mit dir zusammen bin.“ „Wir sind zusammen?“, fragte Emil in verblüfftem Ton. Woraufhin Lilian ihn entgeistert ansah, bevor sie Emils unterdrücktes Grinsen bemerkte. „Du ...“ Da ihr scheinbar kein passender Fluch einfiel, küsste sie ihn einfach. (Macht das mit dem Bierexen nicht Zuhause nach. Für die Autorin hatte der Selbstversuch schwere Auswirkungen auf den vorliegenden Text.) Kapitel 2: Beste Freunde ------------------------ „Wie ist das eigentlich?“, fragte Sonia, die vom Kleiderständer zu Lilian aufsah. „Abgestochen zu werden?“, erwiderte diese ungläubig. „Quatsch. Mit einem Jungen zusammen zu sein.“ Sonias braune Augen fixierten sie. Lilian wich unmerklich vor ihrem durchdringenden Blick zurück: „Was fragst du mich? Du bist die von uns beiden, die schon einmal mit einem Jungen zusammen war.“ „Ist es anders als mit einem Mädchen?“, bohrte Sonia weiter nach und machte sich auf, die weiteren Ständer zu begutachten. Lilian eilte ihr nach. „Schon...“ Mittlerweile hatte Sonia sich ein dunkelblaues T-Shirt von der Stange genommen und hielt es sich vor: „Wie findest du das?“ Während Lilian noch grübelte, was ihre beste Freundin mit der Fragerei erreichen wollte, sagten ihre Mädcheninstinkte, dass das Dunkelblau überhaupt nicht zu den blonden Haaren ihrer Freundin passen wollte. Lilian schüttelte den Kopf „Würde dir nicht stehen.“ Lächelnd ließ sie das T-Shirt sinken. „Manchmal denke ich, wenn ich nicht auf Kerle stehen würde, wärst du meine Traumfrau.“ Sie hielt Lilian das T-Shirt vor. „Deinen Körper hätte ich gerne.“ Lilian hüstelte. „Du hast wenigstens nicht so ein breites Becken.“ „Ich finde es gut so wie es ist. Und die langen Beine...“, schwärmte Sonia weiter. Lilian spürte wie sie rot wurde. Sie selbst war doch überhaupt nicht das Thema gewesen. „Wir hatten doch gerade noch darüber geredet, das etwas versucht hat Emil umzubringen.“ Lilian musste Sonia schon wieder folgen, die dabei war quer durch den Laden zu stapfen. „Gerade sagtest du nur, dass euch etwas angegriffen hat.“ „Ja, bevor du mich anfingst mich zu löchern...“ „Entschuldige.“ Sonia setzte ihr liebstes Lächeln auf. „Du weißt wie Frauen sind. Wir wollen immer alles wissen... Habt ihr schon miteinander geschlafen? Wie küsst er?“ Rot werden war nicht länger Lilians einziges Problem, bei Sonias Fragen drehte sich ihr Magen um. Allein der Gedanke daran machte Lilian verrückt. Und so beschloss sie Sonia lieber zu übergehen. Sie wollte nicht darüber reden. „Der Ghul hat versucht Emil umzubringen. Kaum an mir vorbei, hat er sich sofort auf ihn gestürzt. Wäre ich das Ziel gewesen hätte er sichergestellt, dass ich sterbe.“ „Und wenn er euch einfach so angegriffen hat?“, fragte Sonia, die ihre Fragen scheinbar schon wieder vergessen hatte. „Ghule verlassen nicht einfach ihr Territorium. Dieser wurde geschickt.“ „Du weißt was das bedeutet, oder?“ „Ja. Ein Nekromant hat es auf Emil abgesehen. Und das heißt ich muss noch besser auf ihn aufpassen.“ „Aber du hast trotzdem noch Zeit mit mir Shoppen zu gehen!“, bemerkte Sonia. „Ja, er ist gerade bei deinem Cousin Martin. Der sollte eigentlich auch aufpassen können, aber er nimmt das irgendwie nicht mehr besonders ernst, seit er suspendiert wurde.“ „Vielleicht brauch er auch mal eine Auszeit.“ Lilian seufzte. „Warum kann er mir das eigentlich nicht verzeihen?“ „Den Vorfall damals?“ „Erstens war das keine Absicht, dass ich ihm die Lebenskraft entzogen hatte und zweitens ist das Jahre her! Ich kann nicht mal mehr sagen, wie alt ich war!“ „Dreizehn“, ergänzte Sonia. „Aber ja. Er sollte froh sein, dass du ihm den Hickhack von letztens verzeihst.“ „Ja! Sollte er!“ „Martin ist ein Idiot“, sagte Sonia. „Aber gar kein so übler Kerl. Er will sich nur nicht eingestehen, dass du total nett bist.“ Sonia lächelte und Lilian fiel es schwer, ihrem Optimismus nicht zu verfallen. Sie war sich sicher, dass Sonia das nur sagte, um sie aufzuheitern. Diesmal griff Sonia die Ghulproblematik wieder auf: „Bist du schon alle bekannten Nekromanten durchgegangen?“ „Nein, aber ich glaube auch nicht, dass ich etwas finden werde. Kein Bekannter würde die Spuren so leicht zu sich führen lassen.“ „Vielleicht ist es genau das, was er uns glauben machen möchte?“ „Welches Motiv sollte er überhaupt haben, Emil umbringen zu wollen?“ Sonia zuckte die Schultern: „Seine Quelle? Die eignet sich nicht nur für Maries Schulprojekt.“ „Tod nützt seine Quelle niemanden was. Dann wäre ich das Ziel gewesen. Die Quelle ist wegen mir versiegelt worden. Ich bin der Schlüssel.“ Sonias Miene wurde plötzlich ernst. „Hast du darüber nachgedacht, was ich dir gesagt habe?“ „Dass Martin meinte, das Siegel könnte brechen, wenn Emil meiner Präsenz zu lange ausgesetzt ist?“ Ungläubigkeit schwang Lilians Stimme mit. „Ich weiß, dass das von diesem Idioten kommt. Es hat aber einen wahren Kern. Ich hoffe für dich, dass es Unfug ist. Ihr seid so süß zusammen.“ Lilian erröte bei Sonias Lächeln erneut. So viele Komplimente auf einmal von ihrer Freundin, vertrug sie nicht. „Wo wir dabei sind. Weißt du eigentlich, was aus Richard und Ina geworden ist?“ „Keine Ahnung. Ich weiß auch nicht ob seine Familie eine Beziehung zu einer Normalen überhaupt erlauben würde.“ „Glaubst du? Mittlerweile ist es doch ziemlich egal, wer mit wem.“ „Maries Eltern bekleiden beide sehr hohe Ämter. Ich hatte gedacht, dass Marie deshalb keinen Freund hat.“ „Vielleicht ist sie einfach wählerisch. Ihr Freund muss sicher hohe Standards erfüllen.“ „Kann ich mir sehr gut vorstellen...“ Der Sarkasmus in Lilians Stimme war nicht zu überhören. „Aus welcher Familie stammt Richard eigentlich?“ „Du meinst welche Kräfte er hat?“, hakte Lilian nach. „Ja, genau. Ich hab's vergessen. Es war irgendwas...“ „Da überfragst du mich...“ „Ach verdammt.“ Sonia ballte die Faust. „Ich krieg das noch raus!“ Emil nickte auf Martins Frage. „Natürlich habe ich von Crysis gehört. Das Spiel soll irgendwann dieses Jahr rauskommen und es sieht richtig geil aus!“ „Meinst du dein Rechner schafft das?“ „Ich hoffe doch, schließlich...“ Emil verstummte, als die Tür zur Küche aufging und eine junge Frau herein kam. Sie bemerkte die beiden Jungen und lächelte: „Hallo Emil, wusste gar nicht, dass du hier bist.“ Emil erkannte sie erst auf den zweiten Blick: es war Isabel, Martins ältere Schwester. Sie war älter geworden, seitdem Emil sie das letzte Mal gesehen hatte. Er hätte gesagt, dass es eine Ewigkeit gewesen war, vielleicht war es aber nur ein knappes halbes Jahr. Ihre rotbraunen Haare hatte sie locker zu einem Dutt hochgesteckt. Kaum hatte Emil sie zurück begrüßt, war sie bereits hinter der Kühlschranktür verschwunden. „Ich wusste auch nicht, dass deine Schwester hier ist“, sagte Emil verwirrt zu Martin. „Sie hat Semesterferien und macht deshalb mal wieder das Haus unsicher...“ „Gar nicht wahr!“, hörte man es vom Kühlschrank aus rufen. „Wohl wahr!“, rief Martin zurück. Die Kühlschranktür fiel klatschend wieder zu. „Na dann will ich euch nicht länger stören“, trällerte Isabel, als sie mit leeren Händen wieder auf dem Weg zur Tür war. „Ach und Emil, grüß Lilian von mir!“ Sie winkte kurz, bevor sie schon wieder draußen war. Emil sah Martin an. „Du hast ihr erzählt, dass ich mit Lilian zusammen bin?“ „Nein...“, sagte Martin langsam. „Woher- ?“ „Muss einer ihrer Anfälle sein“, tat Martin die Sache ab. Er konnte jedoch Emils Unverständnis in dessen Gesicht ablesen; dafür musste er nicht hellsehen können und so fuhr er fort: „Isabel hat wie ich hellseherische Fähigkeiten. Allerdings sind diese bei ihr viel schwächer, weshalb sie es nicht bewusst wahrnimmt. Wahrscheinlich dachte sie, ich hätte ihr davon erzählt.“ Emil nickte bedächtig. „Kommt das von deiner Mutter oder deinem Vater?“ „Vater. Er ist auch als Seher tätig. Meine Mutter ist eine Normale.“ „Und wie bist du dann mit Sonia verwandt?“ „Der Bruder meiner Mutter hat Sonias Mutter geheiratet. Er war auch ein Normaler. Er hat sie durch meinen Vater kennengelernt.“ Emil nickte immer noch. Aber eins verstand er nicht: „Und woher kennt Isabel Lilian?“ Martin hielt für einen Moment inne. „Die beiden waren mal befreundet. Aber sie haben sich zerstritten und danach lange nicht mehr miteinander geredet. Dann ist Isabel ja auch noch zum Studieren weggegangen.“ „Was studiert sie nochmal?“ „Jura.“ „Das ist sicher schwierig“, bemerkte Emil. „Wenn sie einen ihrer Anfälle hat sicher gar nicht so sehr.“ „Wird das nicht zum Problem, wenn sie später arbeitet? So als Anwalt?“ Martin zuckte mit den Schultern. „Weiß nicht, kann da nicht einschätzen, wie das ist nur halb Hellsehen zu können.“ „Darf sie das überhaupt als Anwältin? Darfst du das überhaupt in deinem späteren Job?“ „Wenn ich doch noch ausgebildeter Seher werde, arbeite ich ohnehin für den Rat und brauche keinen normalen Job.“ „Wirst du denn wieder Seher?“ „Ja, ich wurde wegen letztens nur zurück gestuft. Vielleicht muss ich aber auch etwas länger warten. Dann könnten wir erst einmal zusammen studieren gehen“, schlug Martin vor. „Das wäre cool!“ „Wolltest du nicht Informatik studieren?“ Das hatte Emil vor Jahren mal überlegt. Bevor er gemerkt hatte, dass Mathe ihm überhaupt nicht lag. „Ich mag Computer, aber für Info ist auch Mathe wichtig und das packe ich niemals. Vielleicht würde ich eher Medizin, Chemie oder Spielentwicklung studieren wollen.“ „Okay, mir egal, ich studiere das dann einfach auch. Es ist ohnehin egal, was ich studiere.“ Ein Grinsen breitete sich auf Martins Gesicht aus. „Vielleicht könnten wir dann eine WG gründen und -“ „Dann zocken wir den ganzen Tag!“, unterbrach Emil ihn. „Genau, aber nicht den ganzen Tag. Muss auch zwischendurch Zeit für ein Bier sein.“ „Und du darfst mich auch ab und an auf die ein oder andere Party schleppen...“ „Ich wäre für ein 1:1 Verhältnis von Raiden und Rausgehen.“ „Da komme ich momentan eh nicht mehr oft zu...“ „Lilian lenkt dich zu sehr ab, was?“, feigste Martin. „Ja und dieses ganze magische Zeugs und so. Ich war bestimmt 2 Wochen nicht mehr online.“ „Vermissen die dich nicht?“ „Doch schon, aber als ich die SMS bekommen habe, war ich gerade mit Marie unterwegs und habe geschrieben, dass ich keine Zeit habe... und Lilian spielt ja auch nicht mehr.“ „Herzlichen Glückwunsch und Willkommen zurück in der Realität!“ „Hey, es macht wirklich Spaß zu spielen.“ „Aber dein Leben macht momentan mehr Spaß.“ „Ich weiß nicht, ob ein Ghul in meinem Zimmer unter meine Definition von Spaß fällt.“ Emil zog eine Grimasse. „War schon schwierig genug, meinen Eltern beizubringen, dass schon wieder, irgendein Greifvogel durch die Scheibe geschlagen ist.“ „Wieso, was haben sie denn gesagt?“ „Sie haben gefragt, ob es diesmal der Gleiche gewesen war.“ Martin lachte auf. „Und was hast du gesagt?“ „Dass das möglich wäre... Mir gehen einfach langsam die Ausreden aus.“ „Du bist doch erst bei Ausrede Nr. 1.“ Emil sah ihn ungläubig an. „Na super... ich bin einfach nicht dafür gemacht.“ „Keiner ist dafür gemacht“, sagte Martin ernst, doch als er weiter sprach klang seine Stimme amüsiert. „Du hättest dir nicht Lilian aussuchen sollen. Dann hätten wir das Problem nicht.“ Emil überging seine Bemerkung. „Was ist eigentlich mit Nicki? Weiß sie von deinen Fähigkeiten?“ „Nein.“ Martin schwieg für einen Moment. „Sie muss es auch nicht wissen. Das ist sicherer für sie.“ „Wie geht es ihr eigentlich?“ „Gut. Ihr gefällt's im Ausland.“ „Vermisst du sie?“ „Schon. Aber ich weiß ja, immer wie es ihr geht und wir telefonieren auch öfter.“ Emil hatte Martin seit langem nicht mehr nach Nicki gefragt und die ehrlichen Antworten überraschten ihn. „Sie kommt doch schon in weniger als drei Monaten wieder. Das sind kaum mehr 10 Wochen.“ „Wie sollen wir ihr dann das Ganze hier beibringen?“ „Gar nicht“, sagte Martin bestimmt. „Sie muss es nicht wissen. Ich habe dich durch diese dummen Machenschaften, in die ich mich eingemischt habe, in Gefahr gebracht. Das wird mir bei Nicole nicht passieren.“ Emil schwieg daraufhin. Er wusste nicht wie schwierig es war eine Beziehung mit einer Normalen zu führen. Er war selbst der Normale und wusste durch die Begebenheiten bereits einiges über die magische Welt. Eigentlich wollte er sich überhaupt nicht vorstellen, wie es sein mochte, wenn Lilian ihm nichts sagen würde, nichts sagen dürfte um ihn zu schützen. Verschwieg sie ihm nicht vielleicht sogar schon einiges? „Wo waren wir stehen geblieben?“, sagte Martin in die Stille hinein. „Genau, wann soll „Crysises“ noch einmal erscheinen?“ „Crysis“, verbesserte Emil ihn. „irgendwann diese Jahr.“ Mit diesem Satz hatte er seine zweifelnden Gedanken schon wieder verworfen. Kapitel 3: Gefährliches Pflaster -------------------------------- Die Autos rauschten über den Stadtring, während Sonia und Lilian an der Ampel warteten. Wind pfiff ihnen um die Ohren, bis die Ampel umsprang und die Autos hielten. „Ich bin so fertig“, stöhnte Sonia, als sie über die Straße schlenderten. „Ja, du hättest vielleicht nicht auch noch in den zwanzigsten Schuhladen -“ Lilian schrie vor Schreck auf, als silbernes Blech knapp an ihr vorbei rauschte und stolperte rückwärts. Ihre Füße verhedderten sich und sie wäre beinahe rücklings auf die Straße gefallen, hätte Sonia sie nicht aufgefangen. Das Auto hingegen rauschte weiter um die Kurve und beschleunigte mit röhrendem Motor auf der Geraden. Sonia stellte Lilian rasch zurück auf die Füße, bevor sie dem Auto noch beleidigende Worte hinterher rief: „Idiot! Nur weil du einen scheiß BMW fährst, glaubst du die Straße gehört dir?“ „Lass gut sein, Sonia.“ Lilian, die sich wieder gefangen hatte, zog Sonias Arm hinunter und schleifte sie über die Straße. „Mir ist nichts passiert.“ „Aber das war knapp!“, protestierte Sonia. „Ist egal. Ich war einfach in Gedanken und habe nicht aufgepasst.“ „Er ist bei Rot gefahren!“ „Ja. Ein richtiges Arschloch. Aber dadurch lassen wir uns doch nicht den Tag verderben.“ Lilian sah Sonia durchdringend an, die sich dadurch schnell erweichen ließ. Sie trotteten weiter. „Ich möchte jetzt ein Eis!“ Lilian streckte sich. Im Gegensatz zu Sonia musste sie keine Tüten tragen, hatte sie doch nur eine Kette gekauft, die auch in ihre Umhängetasche passte. Sonias schlechte Laune war wie weggeblasen. Sie brummte entzückt „Eis klingt gut!“ „Eis klingt sogar sehr gut!“, ergänzte Lilian sie grinsend. „In Ordnung. Die übliche Eisdiele am Brüggchenpark?“ „Au ja. Wie früher immer nach der Schule.“ „Wie früher ... ich bin erst seit nicht einmal zwei Wochen weg. Und in der Zeit hatten wir ohnehin Ferien.“ „Das ist schon eine Ewigkeit! Besonders wenn ich bedenke, dass wir nie wieder zusammen auf eine Schule gehen werden“, klagte Sonia wehmütig. „Ach, hör auf.“ Sie bogen in die Straße ein und Sonia überkam plötzlich ein merkwürdiges Gefühl. „Lilian?“, fragte sie aus dem Nichts heraus. „Warum bist du gestolpert?“ „Wieso?“ „Du landest immer auf deinen Füßen. Egal was passiert.“ Lilian lachte leicht. „Unsinn. Ich kann genauso stolpern wir jeder Andere. Jeden Morgen stolpere ich aus dem Bett!“ „Aber nicht in solchen Situationen. Da meldet sich sonst immer dein Überlebensdrang an.“ „Ich bin einfach müde.“ „In wie fern müde?“ „Wie meinst du das?“, fragte Lilian verwirrt. „Brauchst du Lebensenergie?“ Sonias Stimme klang besorgt. „Es muss deinen Körper kaputt machen, so lange Emil ausgesetzt zu sein, ohne ihm die Kraft entziehen zu können.“ „Es ist in Ordnung“, erwiderte Lilian zögernd. Sonia blieb plötzlich stehen und packte Lilian am Arm. Lilian wandte sich erstaunt zu ihr. „Wenn du irgendetwas brauchst ...“, fing Sonia vorsichtig an, doch Lilian war schneller. „Alles in Ordnung“, wiederholte Lilian lächelnd. „Ich brauche einfach etwas zu essen. Zum Beispiel ein Eis!“ Sonia ließ nur widerwillig von Lilian ab. „Okay. Dann musst du aber einen großen Eisbecher essen!“ „Kein Problem. Mindestens 6 Kugeln“, versuchte Lilian zu überzeugen, doch Sonias Miene blieb ernst. Da Lilian auch nicht mehr wusste, was sie sagen sollte, gingen sie einige Zeit schweigend nebeneinander her, bis sie die Eisdiele erreichten. Der Anblick von Eis ließ Sonias Laune schlagartig besser werden. Es war als hätte sie das alles schon wieder vergessen. Während Sonia sich auf die Theke stürzte und in einem Monolog versank, welche Sorten sie nun wollte, fiel Lilians Blick auf das Mädchen, das schräg vor ihnen in der Schlange stand. Sie hatte den Kopf weggedreht, doch Lilian musste ihr Gesicht nicht sehen, um zu erkennen, wer sie war. Ihr rotblondes Haar war mit Schleifen und Blumen im Haar hochgesteckt und sie trug ein weißes knielanges Kleid, darunter weiße Kniestrümpfe und Schuhe. Auf den ersten Blick wirkte sie fast wie eine zu Mensch gewordene Schneeflocke. Ihr Name war Hanna und sie und Lilian hatten als sie klein waren viel zusammen unternommen; war Hanna doch auch verflucht, ein magisches Wesen zu sein. Genaugenommen eine Banshee. Das Mädchen bemerkte scheinbar, dass Lilian sie beobachtete und als sie sich umwandte, trafen sich ihr und Lilians Blick. Lilian lächelte: „Hey.“ „Lilian?“, fragte Hanna überrascht und erwiderte ihr Lächeln. „Das ist ja mal ein Zufall. Was machst du?“ „Eis essen.“ „Cool. Ich auch!“ „Echt?“ „Echt.“ Hanna lachte leicht. „Auch wenn ich mit dem Fruchteis immer höllisch aufpassen muss!“ „Kann ich mir vorstellen. Hübsch siehst du aus.“ Lilian musterte Hannas Kleid, dessen Rüschen ihre Beine umspielten. „Danke. Oh.“ Hanna wandte sich um als sie an der Reihe war und bestellte. Danach wandte sie sich wieder Lilian zu: „Wie läuft's bei dir momentan?“ „Gut, gut“, erwiderte Lilian nickend. „Ich mache endlich mein Abitur und dann mal schaun.“ Hanna lächelte. „Ich bin jetzt auf der höheren Handelsschule und deshalb endlich wieder zurück in der Stadt.“ Sie wandte sich wieder der Theke zu, als ihr Eis fertig war und zahlte. „So“, sagte sie als sie das Eis in den Händen hielt. „Ich hoffe, wir sehen uns mal wieder. Einen schönen Tag wünsche ich euch.“ „Ja, ich dir auch“, sagte Lilian zum Abschied und Hanna verschwand mit dem Eis zwischen den Tischen, wo sie sich weiter an einem niederließ an dem 3 andere Mädchen saßen, die ebenfalls sehr schick aussahen in ihren Kleider. „Sie war süß“, bemerkte Sonia, nachdem Lilian zwei große Spagettieisbecher bestellt hatte. „Wer ist sie? Eine alte Freundin, von der ich nichts weiß?“ Sie stieß Lilian sanft in die Seite. „Oder doch eine Verflossene?“ „Sonia“, fuhr Lilian sie entgeistert an. „Du weißt genau, dass ich ...“ „Schon gut, schon gut!“ Sonia hatte sich bereits mit erhobenen Händen ergeben. „Also wer ist sie?“ „Wir waren befreundet als wir Kinder waren. Sieben oder Acht vielleicht. Dann musste sie wegziehen. Ich weiß nicht mehr warum, aber danach habe ich sie nur einmal wiedergesehen und das ist jetzt auch schon drei Jahre her.“ Sie nahmen das Eis mit zu einem kleinen Tisch etwas weiter am Rand der Stuhllandschaft. „Dass du sie überhaupt erkannt hast. Ich hab ein Gedächtnis wie ein Sieb“, staunte Sonia. „Ja, das hat mich auch erstaunt“, bemerkte Lilian und setzte sich. „Besonders sie mich. Meinst du es gibt so etwas wie eine Art Vorhersehung zwischen magischen Wesen?“ „Nicht das ich wüsste. Es sei denn sie oder du, ihr wärt Hexen. Aber das seid ihr beide nicht.“ Lilian nickte nachdenklich. „Warum können dunkle Wesen keine Hexen werden?“ Dann sah sie zu Sonia auf, die nicht genau wusste, wie sie darauf antworten sollte. Normalerweise wusste sie viel mehr als Lilian, gerade was die Regeln und Sachverhalte der magischen Welt anging. Aber diesmal war sie wirklich überfragt. „Keine Ahnung“, gab sie zu. „Ich meine, du kannst als Nixe auch Magie wirken. Nixen gehörten auch einst zu den dunklen Wesen.“ „Ihr Ursprung war aber immer noch ein anderer. Sie waren eine Abspaltung von den Wassergeistern und keine direkten Wesen der Dunkelheit.“ Lilian seufzte. „Du darfst mir das Geheimnis nicht verraten, weil es gegen das Gesetz ist, oder?“ „Das Geheimnis würde dir nichts helfen. Wirklich nicht.“ Sonia sah sie traurig an. „Deine Kräfte sind viel stärker als einfache Magie. Du bist viel stärker, als ich es jemals sein werde.“ Lilian sah erst sie an und dann ihr Eis, das bereits dabei war an den Seiten weg zu schmelzen. „Das Eis!“, rief sie entsetzt aus. „Das Eis!“, stimmte Sonia mit ein, stopfte sich schnell einen Löffel in den Mund und zuckte zusammen. Lilian beobachtete wie ihre Gesichtszüge sich schmerzlich verzogen. Sie schluckte hastig. „Kalt!“ „Ich glaube, das hat Eis so an sich“, bemerkte Lilian, während sie darauf achtete, dass ihr Bissen nicht so groß sein würde, wie der von Sonia. Diese hielt den Kopf immer noch in den Händen und sah dann erstaunt auf. „Ist das nicht Ina?“ Lilian sah zur Seite und erkannte Ina, die mit einem anderen Mädchen vielleicht drei Tische von ihnen entfernt saß. Es war eine der Sekunden in denen plötzlich alle anderen Gespräche um einen herum in einem Atemzug verstummten und nur ein kurzer Gesprächsfetzen, der von Ina kam, klar und deutlich zu hören war. „... gut aus und seine Haut schimmert in der Sonne, wie ...“ „Golem!“, rief Sonia plötzlich aus und übertönte damit alles, was Ina vielleicht noch gesagt hätte. „Was?“, fragte Lilian verwirrt, die so vertieft gewesen war Ina zu lauschen, dass Sonia sie nun vollständig aus dem Konzept gebracht hatte. „Richards Herkunft“, sagte Sonia aufgeregt. „Er ist ein Vampir?“, fragte Lilian, die das Bild aus diesem Roman vor sich hatte. „Nein! Wie kommst du darauf?“ „Ach nur so ...“ „Jemand in seiner Familie war ein Erdgeist, ein Golem. Das erklärt seine Kraft und die schimmernde Haut. Sie kann hart wie Stein werden und damit nahezu unzerstörbar.“ „Deshalb konnte er es mit mir aufnehmen ...“, murmelte Lilian. „Und da er sonst kaum magische Eigenschaften aufweist und zudem zu Maries sonst ziemlich reinblütigen Magierfamilie gehört, denke ich, dass es mindestens eine Weitergabe der zweiten Generation ist, also von seinen Großeltern oder Urgroßeltern.“ „Gut kombiniert, Watson“, entgegnete Lilian grinsend. „Lass das nur nicht Ina hören.“ „Warum?“ „Liest du keine Bücher?“, fragte Lilian. „Ich schaue lieber Fernsehen ...“, gab Sonia zu. Das Seufzen war kaum zu überhören. Es wurde Zeit, dass Lilian Sonia endlich zum Lesen zwang. So konnte das doch nicht weiter gehen. „Na egal“, fuhr Lilian schließlich fort. „Ina glaubt sicher, dass Richard ein Vampir ist und wir sollten ihre Illusion nicht unbedingt mutwillig zerstören. Bis er es ihr selbst sagt.“ „In Ordnung.“ Sonia zuckte mit den Schultern und löffelte ihr Eis weiter. Lilian lächelte erleichtert. „Danke.“ „Warum jetzt eigentlich?“, bohrte Sonia nach und Lilian erklärte ihr nur widerwillig die Umstände. Lilian war es unangenehm, dass Sonia lachte, als sie ihre Erklärungen hörte und so schweiften ihre Gedanken ab, während Sonia es noch urkomisch fand, wie man mit den Vermutungen über die magische Welt so falsch liegen konnte. Dabei war Sonia eher diejenige, die Liebesgeschichten zu schätzen wusste. Erst als Sonia plötzlich ihren Namen rief, horchte Lilian wieder auf. Sie spürte den Zug nahe an ihrem Ohr und etwas Weißes. Ihr Arm schnellte zur Seite hoch und sie bekam die schwere, metallene Schirmstange gerade noch zu packen, sodass sie ihren Kopf knapp verfehlte. Das Gewicht der Stange war allerdings so groß, dass es sie seitlich vom Stuhl zu Boden riss und sie sehr unsanft auf den Asphalt schlug. Der Schirm knallte auf ihre Schulter und hinterließ einen dumpfen Schmerz, der bereits nachließ, als Sonia sich hektisch über sie beugte: „Alles okay?“ Lilian rollte den Schirm zur Seite und sah nach oben, wo sie neben Sonia noch Ina sah und auch Hanna war aufgesprungen und hinüber geeilt. In ihren Augen war der ganze Trubel um sie herum übertrieben, tat ihr doch bereits überhaupt nichts mehr weh. Die ganze Aufmerksamkeit war ihr mehr als unangenehm. Ein Mitarbeiter des Eiscafes half ihr auf die Beine, fragte, ob ihr nichts passiert war und entschuldigte sich mehrmals für den umgefallenen Schirm. Lilian war froh, dass die schaulustigen Leute sich langsam wieder ihrem Eis zuwandten, als Lilian dem Mitarbeiter beinahe genauso oft, wie er er sich entschuldigte, erklärt hatte, dass es ihr gut ginge und ihr rein gar nichts fehlte. „Ich glaube, ich habe heute einfach einen schlechten Tag ...“, murmelte Lilian, die sich den umgefallenen Schirm besah, der eine dicke Beule im leeren Nachbartisch hinterlassen hatte. „Das ist sicher meine Schuld“, sagte Hanna, die immer noch bei ihnen stand und sah Lilian besorgt an. „Was sollst du denn dafür können?“, fragte Lilian ohne darüber nachzudenken, doch als sie Hannas Blick auffing, fiel es ihr wieder ein. „Nein, damit hat es nichts zu tun! Ich bin auch vorher schon fast von einem Auto platt gefahren wurden. Ist einfach nicht mein Tag.“ Hanna nickte. „Okay, man wird nur mit der Zeit vorsichtig.“ Sie lächelte wieder. „Es ist unglaublich, wie schnell du wieder fit bist.“ Lilian wollte ihr gerade antworten, als Ina schneller als sie war. „War das Magie?“, fragte sie neugierig. „Was? Dass meine Wunden schnell heilen? Du weißt doch, dass meine Kräfte dafür verantwortlich sind.“ „Nein, das mit dem Schirm. Ich meine es war vorher fast windstill. Und plötzlich fällt der Schirm auf dich! Das ist doch nicht normal.“ Ihre Augen glänzten. Ihr gefiel es, dass ihrer Meinung nach wieder etwas magisches am Werk war. „Sicher nur eine Böe. Nicht alles ist Magie musst du wissen“, antwortete Lilian ihr. „Okay ...“, grummelte Ina, die von ihrer Idee zwar immer noch überzeugt war, aber keine Diskussion anfangen wollte, von der sie keine Ahnung hatte. Lilian fiel auf, wie Hanna etwas geschockt dreinblickte, da Ina etwas von Magie wusste. „Es ist in Ordnung, Hanna. Sie ist letztens aus Versehen zwischen die Fronten geraten. Jetzt weiß sie über uns Bescheid. Aber das ist in Ordnung. Alles abgesegnet.“ Hanna nickte leicht. „Woher kennt ihr euch eigentlich?“, fragte Ina und ihr Blick wanderte von Lilian zu Hanna und zurück. „Wir?“, fragten Lilian und Hanna gleichzeitig und sahen sich an. Da sie beide gleichzeitig mit einer Erklärung anfangen wollten, ließ Lilian Hanna mit einer Handbewegung den Vortritt. „Lilian ist eine alte Freundin von mir.“ „Bist du auch magisch?“, fragte Ina und sah Hanna misstrauisch an. Der Eindruck der Schneeprinzessin schien auch bei ihr haften zu bleiben. „Ja“, antwortete Hanna höflich, ohne näher darauf einzugehen, was Ina auch nicht besonders störte. „Du siehst übrigens total hübsch aus!“, stieß sie entzückt aus. „Dein Kleid ist der Wahnsinn!“ „Danke“, erwiderte Hanna deutlich geschmeichelt, das heute schon mindestens zum zweiten Mal zu hören. „Euer Eis schmilzt übrigens“, erinnerte Sonia, die hinter ihnen stand. Ihren Eisbecher hatte sie in die Hand genommen und da dieser jetzt endgültig leer war, hatte sie das Interesse daran verloren, den Anderen bei ihrem Gespräch zuzuhören. Ina sprang ziemlich schnell darauf an und kehrte nach einer kurzen Verabschiedung zu ihren Freundinnen zurück. „Pass auf Emil auf“, mahnte sie Lilian noch. Und auch Hanna verabschiedete sich mit den Worten, dass sie hoffte Lilian nochmal zu treffen, sodass Lilian wieder in Ruhe nur mit Sonia ihr Eis austrinken konnte. Kapitel 4: Mädchen und andere Ungeheuer --------------------------------------- „Die mit Sourcream sind die besten!“ Mit glänzenden Augen liebäugelte sie mit der Chipstüte in ihren Händen und griff dann genüsslich hinein. Sie saß im Schneidersitz auf Emils Bett, während er vor seinem DVD-Regal stand und grübelte, welchen Film sie schauen sollten. Lilian gab einen Laut der Erkenntnis von sich, und schluckte schnell die Chips herunter: „Dead or Alive.“ Emil sah sie fragend an. „Der Film nach dem Spiel?“ „Genau den!“ „Den hab ich nicht.“ „Ich sag ja, wir sollten mal bei mir gucken!“ Lilian wedelte mit dem Chip durch die Luft die sie gerade in den Fingern hielt, bemerkte, dass er krümelte und aß ihn schnell. Nachdem sie aufgekaut hatte, sprach sie weiter: „Warum warst du bis jetzt eigentlich noch nie bei mir?“ „Du hast mich bis jetzt nie zu dir eingeladen.“ „Dann lade ich dich jetzt offiziell ein, morgen zu mir zu kommen. Oder noch besser: Du kommst heute Abend zu mir und übernachtest da.“ Es dauerte etwas bis diese Information in Emils Kopf eingetroffen war. Er hatte sich eigentlich schon wieder dem DVD-Regal zugewandt, als er sich schlagartig wieder umdrehte. „Bei dir übernachten?“ Er musste so ungläubig geklungen haben, dass Lilian ihn mit sehr langsamer Stimme antwortete: „Ja. Praktisch bei mir eine Nacht verbringen.“ „Klar.“ Emils merkte wie seine Stimme schwächelte. Warum schlug sein Herz ihm gerade jetzt bis zum Hals? Es war nichts dabei. Ob er nun am Tag oder in der Nacht bei ihr war würde nichts ändern. Es war egal. Es bedeutete rein gar nichts. Das war ein Abend wie jeder andere. „Oh man, langsam nervt es...“, wechselte Lilian urplötzlich das Thema und erlöste Emil aus seiner Starre. „Was meinst du?“ Emil war sich noch unsicher, ob sie wirklich das Thema gewechselt hatte. Das konnte man nie so genau wissen, aber sie neigte dazu. „Marie. Der Bund mit ihr. Immer diese leise Ahnung zu haben, was sie gerade tut.“ „Kannst du den Bund nicht auch wieder auflösen?“ „Das ist etwas komplizierter. Außerdem brauche ich diesen Bund, damit ich dich beschützen kann.“ Sie legte die Chipstüte zur Seite und sah Emil eindringlich an. Auch ihre Stimme wurde ruhiger und nahm einen ernsten Tonfall an. „Solange ich mit ihr verbunden bin, kann ich nicht durch eine Dämonenwaffe eines anderen getötet werden, noch durch andere Mittel. Dennoch hat sie eine gewisse Macht über mich, was mir absolut nicht gefällt.“ Emil nickte nur, da er nicht wusste, was er darauf erwidern sollte. Er verstand nicht, denn er konnte sich nicht im entferntesten vorstellen, was dieser Bund für Lilian bedeutete. „Alles in Ordnung?“, fragte Lilian vorsichtig und riss ihn damit aus seinen Gedanken. Sie musste seinen betrübten Blick aufgefangen haben. „Ja, alles in Ordnung“, wiederholte Emil und versuchte zu lächeln. „Danke, dass du mich beschützen möchtest, aber ich glaube nicht, dass ich Schutz brauchen. Du solltest lieber auf dich selbst aufpassen.“ „Das werde ich. Aber...“ Sie hielt für einen Moment inne, bevor sie weitersprach. „du bist möglicherweise bedeutender für die magische Welt, als du denkst. Deine Quelle ist stark. Unglaublich stark sogar.“ Ihre tiefblauen Augen ruhten durchdringend auf ihm. „Vielleicht sollte ich dann lieber selbst ein Magier werden“, schlug Emil vor. Lilian sah ihn für eine Sekunde entgeistert an. „Ich dachte nur...“, stammelte Emil die ersten Worte die ihm einfielen, doch Lilian begann zu kichern. „Nein, Emil, entschuldige. Dein Gedankengang hat mich nur überrascht. Wenn das gehen würde, wäre die Idee gar nicht so dumm.“ „Aber es geht nicht?“, brachte Emil enttäuscht hervor. „Leider nein.“ Lilian rutschte vom Bett und kniete sich vor ihn. „Du wärst aber ein toller Magier!“ Vorsichtig beugte sie sich zu ihm vor und berührte seine Lippen mit ihren. Ihre Lippen waren so unglaublich weich, dass ein Schauer Emils Körper durchfuhr. Kurz berührte ihre Zunge seine. Dann sah sie ihn wieder an und grinste. Emil sah in ihre Augen, die ihn liebevoll ansahen. Sie war unglaublich hübsch. Lilians Blick wanderte mit einem Mal zur Seite und blieb am Regal hängen. „Warum sagst du mir nicht, dass du 'The Punisher' hast?“, rief sie aus, rutschte über ihn und griff nach der DVD im Regal. Dabei kam ihr Körper ihm so nahe, dass er ihre Wärme spüren konnte. Nachdem sie sich die DVD erangelt hatte ließ sie sich auf seinem Schoß nieder. Ihre linke Hand ruhte auf seiner Schulter. Alles an ihr schien zu passen. Emil konnte sich nicht vorstellen, wie sie noch schöner sein könnte. Ihre Hand wanderte vorsichtig seine Schulter zum Hals hinauf und fasste vorsichtig seinen Kopf. Mit leichtem Druck schob sie seinen Kopf zu ihrem hinüber und er folgte. Emil schloss die Augen, als sie ihn küsste. Ihre Arme schlangen sich um seinen Hals und er merkte, wie sie sich reckte, um noch näher an seinen Lippen zu sein, ihn noch intensiver zu küssen. Sie ließ ihm kaum Luft zum atmen, doch das hatte Emil schon fast vergessen. Ihr ganzer Körper lag nahe an seinem und ihre Finger fuhren durch sein Haar. Als Lilian den Kuss langsam beendet, merkte Emil erst wie sehr sein Herz raste und sein Atem zitterte. Sie sah ihm für einen kurzen Moment in die Augen, bevor sie ihn sanft nach hinten drückte. Emil gehorchte und sie beugte sich über ihm. Bevor er sich noch darüber Gedanken machen konnte, was sie da tat, hatte sie ihn schon wieder geküsst. Ihre Hand fuhr seine Seite hinauf unter sein T-Shirt. Vielleicht hatte er sich geirrt. Es brauchte nicht Nacht zu sein, um mit ihr zu schlafen. Es konnte genauso gut jetzt passieren. „Emil?“, fragte Lilian, als sie und Emil die Straße hinunter liefen, auf dem Weg zu ihr. Ihre Hand umfasste seine, was ein schönes Gefühl war, aber so wenig zu ihr zu passen schien. Lilian schien immer noch müde zu sein und gähnte einmal ausgiebig, obwohl sie gerade noch zwei Stunden tief geschlafen hatte. „Tust du mir einen Gefallen?“ „Was für einen Gefallen?“, hakte Emil vorsichtshalber nach. „Ich würde gerne noch an der Bibliothek vorbei und es wäre lieb, wenn du Martin davon nichts erzählst.“ „Warum denn?“ Emil konnte sich nicht vorstellen, was so schlimm an einem Besuch in einer Bibliothek sein sollte. „Ich habe als Dämon eigentlich keinen Zutritt zu den magischen Bibliotheken, deshalb wäre es besser, wenn wir das für uns behalten könnten.“ „Wir gehen in die Winkelgasse?“, fragte Emil entzückt. „Unsinn!“ Lilian war plötzlich hellwach und drückte sein Hand, wahrscheinlich für sie leicht, doch für Emil so stark, dass er sie unter Schmerzen loslassen musste. „Tut mir Leid! Tut mir Leid!“ Sie fasst vorsichtig seine Hand und pustetet. Auch wenn es dadurch nicht besser wurde, machte es Emil doch deutlich ruhiger. „Was brauchst du denn aus der Bibliothek?“ „Ich hoffe, dass ich dort herausfinde, wie ich den Bund wieder löse, den ich mir eingebrockt habe. Oder zumindest lockere.“ „Martin erfährt nichts von mir. Zumindest nicht bewusst.“ Lilian lächelte dankend. „Du wirst es nicht bereuen. Als Normaler die Bibliothek gesehen zu haben; das können nicht viele von sich behaupten. Genau genommen: Keiner.“ Emil lachte, als ihm im selben Moment etwas einfiel. „Ich sollte dir übrigens noch Grüße von Isabel ausrichten.“ „Von Martins Schwester?“, fragte Lilian erstaunt. „Ja, sie ist momentan zu Hause und ich hab sie getroffen, als ich bei Martin war.“ „Oh“ Lilian schien sich nicht wie erwartet über die Grüße zu freuen. „Dann grüß sie zurück, wenn du sie siehst.“ „Werdet ihr euch nicht sehen?“ „Hat Martin irgendwas gesagt, woher wir uns kennen?“ Die Frage hätte Emil schon misstrauisch werden lassen müssen. „Er sagte ihr wart befreundet gewesen und der Kontakt hätte sich verlaufen.“ Lilian seufzte. Emil bemerkte wie sie anfing nervös mit ihren Lippen zu spielen. „Es ist vielleicht nicht der beste Zeitpunkt...“, fing sie vorsichtig an. Ihre Stimme war schwach, sie druckste. Es war wie damals, als sie ihm gesagt hatte, dass sie eine Succubus war. Es schien eine ähnlich wichtige Bedeutung für sie zu haben. Doch dieses Mal war Emil nicht abgelenkt, was die Zeit bis sie ihren Satz endlich beendete unendlich lang erschienen ließ. Was konnte so wichtig sein, dass sie so Schwierigkeiten hatte es endlich auszusprechen? Noch schlimmer, als dass sie eine Succubus war? „Sie ist meine Exfreundin.“ Damit hatte Emil nicht gerechnet. „Du? Und Isabel?“, kam es ihm über die Lippen und erst danach war ihm bewusst, sie plump das geklungen haben musste. Lilian lief rot an. „Ja, du wusstest doch, dass ich mit Mädchen zusammen war.“ „Schon...“ Das Bild wollte nicht mehr aus Emils Kopf: „Das ist aber jetzt auch schon fast 3 Jahre her“, fügte sie rasch hinzu und hielt dann inne. „Du scheinst das ziemlich locker aufzunehmen.“ Emil nickte geistesabwesend. „Oder denkst du gerade an etwas anderes...?“ „Was?“ Emil horchte auf und sah sie an. Sie sauer aus. Ihre Stirn lag in Falten. Doch kaum fing sie Emils Blick auf, konnte sie ihm nicht mehr böse sein. Lachend schloss sie ihn in ihre Arme und drückte ihn an sich. Sanft küsste sie seinen Hals und vergrub dann das Gesicht an seiner Schulter. „Danke, dass du das so locker nimmst“, murmelte sie. Emil schloss die Arme um sie. „Warum denn auch nicht?“, fragte er irritiert. So hielten sie für einige Zeit inne, bis Lilian sich ruckartig wieder aufrichtete. Sie sah erschrocken in die Richtung die in Emils Rücken lag. Mit einer schnellen Bewegung war sie aus Emils Umarmung und bereits an ihm vorbei. Sie hielt wieder inne und sah in alle Richtungen. Ihre Haltung verriet, dass sie etwas suchte, aber nicht fand. „Was ist los?“ Sie sah sich zu ihm um und in ihrem Blick war noch immer die Verwirrung zu erkennen. „Ich dachte, ich hätte etwas gesehen.“ Sie rieb sich die Augen. Ihre Haltung wurde entspannter. „Ich bin wohl doch noch sehr müde.“ Das Lächeln auf ihrem Gesicht war ehrlich dann gähnte sie erneut. „Wir müssen nur noch zwei Straßen weiter“, sagte sie und setzte sich mit diesen Worten wieder in Bewegung. Emil folgte ihr und warf dennoch einen Blick zurück, auf den Ort, an dem sie gerade gestanden hatte. Die Straße lag still da, doch wenn er sich vorstellte, dass Lilian gerade wirklich etwas gesehen hatte, dann schien etwas in der Luft zu liegen, das man mit den Augen nicht sehen konnte. Sie stiegen die Stufen zu der schweren Haustür eines Altbaus hinauf. Lilian klopfte zweimal kurz an die Glasscheibe in der Tür, bevor sie sich nach einiger Zeit einen Spalt weit öffnete und das Gesicht eines Mädchens in etwa seinem Alter im Zwischenraum erschien. Ihre Miene erhellte sich sofort, als sie Lilian erblickte, doch dann fiel ihr Blick auf Emil. „Es ist in Ordnung. Er ist mein Freund“, sagte Lilian und zeigte dabei auf ihn. „Okay“ Die Stimme des Mädchens war merkwürdig rau und öffnete die Türe. Erst jetzt konnte Emil erkennen, das das Mädchen blondes Haar hatte, dass sie fest zu einem Zopf zusammengebunden hatte. Sie trug einen kariertes Hemd, T-Shirt und eine lockere Jeans. Keines ihrer Kleidungsstücke schien ihr richtig zu passen. Sie ging in den dunklen Raum hinein, in dem Emil zunächst nichts erkennen konnte. „Ich mache das Licht an“, sagte das Mädchen. Ihre Stimme war merkwürdig. Sie wollte einfach nicht zu dem schmalen Mädchen passen, zu der sie gehörte. Flackernd ging die Deckenbeleuchtung an und tauchte den großen Raum in dem sie standen in warmes gelbes Licht. Das Licht offenbarte mehreren Gänge mit hohen Buchregalen aus dunklem Holz. Genau so hatte Emil sich eine magische Bibliothek vorgestellt. Lilian folgte dem Mädchen zum Pult auf dem ein uralter Rechner stand und jede Menge Ordner ausgebreitet waren. Eine Tischlampe brannte. Es war scheinbar der Platz an dem das Mädchen bis gerade eben noch gearbeitet hatte. „Was brauchst du?“, fragte sie an Lilian gewandt. „Namensmagie. Deine Idee mit dem Bund war zwar für den Moment wirklich gut gewesen, aber...“ Ihr Blick schweifte ab und blieb auf Emil hängen. „Ach, ich hab euch noch überhaupt nicht vorgestellt. Cornelius, das ist Emil -“ „Cornelius?“ Emil unterbrach sie ohne darüber nach zu denken. „Ja, Cornelius.“ Das Mädchen lächelte und plötzlich fuhr etwas über ihr Gesicht, dass es für Emil nicht mehr scharf erkennbar machte und nahm deutlich männlichere Züge an. Auch wenn die blauen Augen gleich blieben, blickte Emil in das Gesicht einer völlig anderen Person. Sekunden später sah ihn wieder das Mädchen an. Emil blickte verwirrt zu Lilian. Er hatte doch dieses mal überhaupt nichts getrunken. „Cornelius ist ein Gestaltwandler“, erklärte Lilian leicht amüsiert. „Er nimmt diese Form immer an, wenn ich da bin, um sich vor meinen Kräften zu schützen. Klappt auch ganz gut.“ Emil nickte verdattert. „Wie sieht er dann aus, wenn ich getrunken hätte?“ „Normal“, beantwortete Cornelius seine Frage und jetzt wo er Cornelius' richtiges Gesicht gesehen hatte, passte die Stimme deutlich besser zu ihm. Vollständig daran gewöhnt hatte Emil sich jedoch noch lange nicht. „Meine Kräfte funktionieren leider nicht bei betrunkenen Menschen. Sie lassen sich nicht mehr so leicht täuschen.“ „Kannst du jede Gestalt annehmen?“ „Jede menschliche zumindest. Andere können auch tierische Gestalten annehmen.“ „Nimm meine an!“ „Wenn Lilian zu den Büchern geht.“ Cornelius hielt inne und sah sich nach Lilian um, die bereits auf ein Regal am hinteren Ende zusteuerte. „Lasst euch nicht stören!“, rief sie ihnen zu. „Ich melde mich schon, wenn ich etwas nicht finde.“ Cornelius zuckte die Schultern und wieder verschwamm sein Gesicht und dann sah Emil sein eigenes. Zwar war Cornelius etwas kleiner als er, aber es war wie in einen Spiegel zu Blicken, nur dass die Mimik nicht ganz passen wollte. Es war das beeindruckendste magische Kunststück, das Emil bis jetzt gesehen hatte. Es dauerte nur einen Moment, dann stand ein Junge vor ihm, den Emil zwar nicht kannte, von dem er aber wusste, dass es Cornelius richtiges Äußeres war. Er musste etwas älter als Emil selbst sein. „Und woher kennst du Lilian?“, fragte Cornelius. Emil überlegte, wie er das erklären sollte. „Wir sind uns praktisch über den Weg gelaufen.“ „Weiter?“ „Sie war plötzlich da und hat mich vor Marie gerettet, die mich um den Finger wickeln wollte.“ „Dann haben wir etwas gemeinsam. Lilian hat auch mein Leben gerettet.“ Emil kam nicht dazu nachzufragen, wie die genauen Umstände waren, denn in dem Moment kam Lilian unerwartet früh mit einem Stapel Bücher zurück und Cornelius wechselte augenblicklich sein Äußeres. „Funktioniert dieser Übersetzungskopierer wieder?“, fragte Lilian. „Der Entkrypter?“, antwortet Cornelius ihr. „Genau das Ding.“ „Ja, nimm meine Karte.“ Cornelius zog eine Chipkarte aus der Tasche und legte sie oben auf den Bücherstapel in Lilians Armen. „Soll ich dir vielleicht helfen?“, fragte Emil mit dem Blick auf die dicken Bände. „Ne, ne, geht schon.“ Mit den Worten wankte sie in Richtung Kopierer. „Warum Entkrypter?“, fragte Emil verwundert. „Die Bücher sind zum größten Teil in Runen geschrieben, die nur wenige lesen können. Deshalb der Übersetzer. Es gibt in größeren Bibliotheken auch Lesegeräte für so etwas.“ „Wie ist das technisch möglich?“ „Gar nicht. Die funktionieren magisch.“ Sich das vorzustellen überstieg in diesem Moment Emils Vorstellungskraft. Er hatte sich gefreut langsam die physikalischen Zusammenhänge von Elektrizität zu begreifen, aber dass das auch noch magisch gehen sollte, wollte nicht in seinen Kopf. Die ganze Magie war etwas, das er nicht verstand und immer noch manchmal für einen dummen Scherz hielt. Außer wenn sie ihm direkt ins Gesicht sprang, wie im Falle von Cornelius. „Und du hast überhaupt keine magischen Fähigkeiten?“, fragte Cornelius. Emil stockte. Das er seine verschlossene Quelle erwähnte war sicherlich keine gute Idee, nicht einmal vor einem von Lilians Bekannten. „Nein leider nicht. Total normal.“ „Hast du ein Glück.“ „Wieso? Du kannst dich in eine Frau verwandeln!“ Cornelius lachte. „Ja, das hat schon Vorteile.“ „Ich würde das so sehr ausnutzen.“ „Ich auch.“ Es folgte eine kurze Stille, die beide nicht lange aushielten und sich angrinsten. „Was mich interessieren würde. Wie funktioniert das eigentlich mit dir und Lilian? Wie kannst du dich in ihrer nähe Aufhalten ohne tot umzufallen?“, fragte Cornelius schließlich. „Ich scheine irgendwie dagegen immun zu sein“, log Emil, auch wenn es ihm schwer fiel. „Keine Ahnung warum.“ „Gilt das auch für andere magische Kräfte?“ „Das habe ich jetzt nicht ausprobiert und möchte das eigentlich auch nicht tun.“ „Kann ich nachvollziehen.“ „Gegen Zukunftsvorhersagen bin ich es auf jeden Fall nicht“, scherzte Emil und dachte an Martin, der ihm immer häufiger bereits antwortete, wenn Emil es überhaupt noch nicht angesprochen hatte. „Dem kannst du dich ja auch nicht entziehen, denke ich. Das heißt du kennst Seher?“ Emil nickte. „War Martin nicht für deinen Bereich zuständig?“ Emil nickte erneut. „Dann richte ihm bitte aus, dass er endlich das Buch zurück bringen soll, dass er sich vor sechs Wochen ausgeliehen hat.“ „Was für ein Buch?“, fragte Emil erstaunt, während sich eine Erinnerung in ihm regte und er Cornelius Antwort überhaupt nicht hören musste. „Ein Lexikon für moderne magische Geschichte, 14. Auflage, Druckjahr 2004“, ratterte Cornelius die Daten runter. Es war das Buch, dass Martin Emil in der Schulbibliothek gezeigt hatte, um ihn auf die Idee mit den Sehern zu bringen. Er musste es dorthin geschafft haben, um keinen Verdacht zu erregen. Eine clevere Idee. Und Emil war natürlich darauf herein gefallen. „Wieso kannst du das einfach so auswendig?“ „Ich lerne viel für mein Studium, wenn ich hier arbeite. Da bleiben automatisch auch die Buchtitel hängen.“ „Was studierst du denn?“ „Geschichte, normale und magische.“ „Gefällt's dir?“ „Ja, es ist total interessant. Und das ist eigentlich der perfekte Nebenjob dafür.“ „Stimmt.“ Lilian kam vom Kopierer zurück und hielt Cornelius ein Buch vor die Nase. Auf dem dunkelgrünen Band konnte Emil Runen erkennen. „Ich blicke da überhaupt nicht durch. Kannst du das Buch kurz anlesen und mir sagen, ob es relevante Stellen beinhaltet?“ „Bezüglich was?“, fragte Cornelius. „Es geht in dem ganzen Buch nur um Namensmagie.“ „Ob man einen einmal geschlossener Bund mit Namensmagie wieder lösen kann...“, murmelte Lilian, sodass man sie kaum verstehen konnte. Ihr Blick wanderte unsicher zur Seite. „Das könnte etwas länger dauern.“ Cornelius warf ihr einen nichtssagenden Blick zu, während er ihr das Buch aus der Hand nahm. „Am besten ihr wartet kurz und schaut euch die Bücher an. Kaffee?“ „Nein, danke“, antworteten Lilian und Emil, wie aus einem Mund. „In Ordnung.“ Kapitel 5: Ernste Angelegenheiten --------------------------------- Die letzte halbe Stunde hatten Emil und Lilian damit herumgebracht in neuerer Literatur herumzublättern und sich Bilder anzusehen, weil sie beide zu faul waren den Text dazu zu lesen. Die Artikel thematisierten meist Strukturen, Regelen, allgemeine Magie, sowie magische Gegenstände und Vorgehensweisen, aber die Bilder reichten Emil vorerst auch erstmal. Zum einen oder anderen Bild erklärt Lilian ihm etwas mehr, wenn sie es selbst wusste, und meinte, dass es Emil interessieren würde. So erzählte sie Emil zum Beispiel, dass jeder Seher eine bestimmte Gruppe an magischen Wesen überwachen muss und sich mit Hilfe von magischen Amuletten auf bestimmte Personen spezialisieren konnte. Ohnehin gab es unglaublich viele magische Utensilien, von denen sie selbst nicht einmal ein Drittel kannte. Sie waren gerade bei einem Artikel über Kerzenrituale, als Cornelius sich ihrem Tisch näherte. Lilian richtete sich auf und sah das blonde Mädchen erwartungsvoll an: „Und? Hast du was gefunden?“ „Kommst du kurz mit rüber?“ Cornelius nickte zu den hinteren Reihen hinüber. Während sie gewartet hatten, hatte es zweimal an der Tür geklopft und nun geisterten drei weitere Personen in den Reihen herum. Sie waren nicht mehr allein. Die Geheimniskrämerei hinterließ ein unangenehmes Gefühl bei Lilian, doch als sie Emil einen Blick zuwarf versicherte er ihr lächelnd: „Ich kann warten.“ Das bestärkte sie und sie folgte Cornelius zurück zu seinem Pult. Darauf lagen nur noch seine Lernutensilien, das Buch hatte er bereits verschwinden lassen. „Also, ich habe eine gute und eine schlechte Nachricht für dich“, begann Cornelius mit ruhiger Stimme. „Jetzt rück endlich mit der Sprache raus“, entfuhr es Lilian vielleicht etwas zu laut, sodass Cornelius ihr einen erschrockenen Blick zu warf. Lilian atmete tief durch und fuhr mit gesenkter Stimme fort: „Bitte die Gute zuerst.“ Cornelius lächelte. „Es ist einfach den Bund zu lösen. Da du ihn initiiert hast, kannst du ihn auch jeder Zeit wieder aufheben. Das ist überhaupt kein Problem.“ „Aber...?“ „Es wird dich sehr viel Kraft kosten; und mit sehr viel meine ich wirklich viel. Praktisch deine ganze angesammelte Lebensenergie.“ Lilian hatte das Gefühl, dass in seinen Augen der gleiche Ausdruck lag, wie in Sonias vor einigen Tagen. „Das heißt ich wäre in diesem Moment extrem verwundbar...“, sprach Lilian langsam ihren Gedanken aus. Sie hatte schlimmeres erwartet. „Aber wenn ich Marie loswerden will...“ „Ich wusste, dass du das sagen würdest. Aber das kannst du dir einfach nicht leisten!“ „Warum?“ „Du hast dich in zu viele Angelegenheiten eingemischt, die dich nichts angingen.“ „Es war jedes Mal richtig sich einzumischen!“ Lilian hatte überhaupt nicht gemerkt, dass ihre Stimme wieder zu laut geworden war. Erst als sie Cornelius' Blick auffing, verstummte sie augenblicklich. „Ich werde einen Weg finden“, fügte sie flüsternd hinzu. „Und dann hast du auch noch ihn.“ Cornelius nickte nach rechts und Lilian folgte seinem Blick. In der Richtung saß Emil immer noch am Tisch saß und starrte Löcher in die Gegend; vielleicht war er einfach nur gelangweilt war oder viel zu fasziniert. „Er ist genauso sterblich wie ich“, fuhr Cornelius leise fort. „Dazu noch ohne magische Fähigkeiten. Du lieferst ihn ans Messer, wenn du schwächelst. Wir sind sterblicher als du es jemals sein wirst. Wenn du dich einmischt, kommst du heil davon, weil du auf deine Kräfte vertraust. Aber die hast du dann nicht mehr.“ „Das weiß ich selbst.“ Lilian merkte wie ihr ein Seufzer entfuhr. Emil hatte es nicht verdient da mit herein gezogen zu werden, aber genau das tat sie gerade. Sie hätte vielleicht doch auf Martin hören sollen. „Ich muss diesen blöden Bund aufrecht erhalten. Gerade jetzt...“ „Er könnte dir das Leben retten.“ „Verdammt!“, brach es schließlich aus Lilian heraus. „Warum ist das nur so kompliziert?“ Diesmal hatte sie beinahe geschrieben, sodass sogar Emil zu den beiden hinüber sah. Lilian zuckte sofort zusammen und sah zu Cornelius hinüber der ihr zum Glück diesmal keinen bösen Blick zu warf. Das beruhigte sie. „Danke für Übersetzen“, flüsterte Lilian. „Ich werde deinen Rat berücksichtigen.“ Sie versuchte zu lächeln, doch sie glaubte Cornelius würde merken, dass es nicht echt war. „Gibst du mir jetzt die Übersetzung?“ „Nein.“ „Warum nicht?“ Cornelius lachte auf. „Ich weiß, was du tust, wenn ich sie dir gebe.“ Wie Recht er doch hatte. Sie würde es trotzdem versuchen den Bund zu lösen, im Zweifel wäre es ihr egal, was mit ihr dabei passierte. „Kann ich sonst irgendetwas für dich tun?“, unterbrach Cornelius ihre Gedanken. Sie musste es aufgeben. Heute würde sie nichts aus ihm heraus bekommen. Lilian schüttelte den Kopf. „Sonia bitte nichts davon erzählen. Auf keinen Fall!“ „Kein Problem. Wer bist du?“ Das lies Lilian diesmal wirklich lachen. „Danke nochmal und viel Erfolg beim Lernen.“ „Bitte und mach keine Dummheiten.“ „Wie dich zu retten?“, feixte Lilian. „Wie mich zu retten.“ Als Lilian zurück kam erwartete sie Emil bereits erwartungsvoll: „Was hat er gesagt?“ „Dass es möglich ist... sogar recht einfach, aber das ich es nicht machen soll.“ „Warum nicht?“ Lilian lächelte. Die Reaktion von Emil hatte sie erwartet. „Weil es recht gefährlich für mich sein könnte und ich damit deinen Schutz aufs Spiel setze.“ „Du kannst aber doch nicht dein Leben nach mir richten.“ „Ist schon in Ordnung. Außerdem fühlt es sich schon ziemlich gut an, unbesiegbar zu sein.“ Sie setzte sich auf einen Stuhl und streckte sich. „Ich weiß gar nicht warum du das überhaupt loswerden willst?“ „Weil Marie alles über mich weiß. Sie weiß theoretisch auch, dass wir gerade hier sind.“ „Meinst du sie wird das weitererzählen?“ Emil sah sie besorgt an. Lilian schüttelte lächelnd den Kopf. Emil lernte doch schneller, als sie dachte. „Ihre magischen Fähigkeiten sind nicht stark genug, um genau lokalisieren zu können. Sie könnte es ahnen, aber nicht beweisen. Aber sie weiß dass wir momentan zusammen sind und dass ich vielleicht etwas im Schilde führe.“ Erst jetzt fiel ihr auf, wo sie beide saßen und schlagartig stand sie auf. „Wir sollten uns hier nicht länger als nötig aufhalten.“ Sie versuchte ihren plötzlichen Sinneswandel mit einem Lächeln bei Emil wieder gut zu machen. „Gehen wir lieber zu mir.“ Er nickte und stand ebenfalls auf. Zunächst konnte er seinen Blick nicht von der Einrichtung lösen, doch schl