Beyond Wonderland von Winterblume ================================================================================ Kapitel 1: ----------- Die Frühjahrsluft war erfrischend, wenn auch unerwartet warm. Zwar hatte es, wie so oft in den letzten Jahren, keinen besonders schönen Winter gegeben, doch war ich mittlerweile auch in der Lage mich über die Wärme der ersten Sonnenstrahlen des Frühjahrs zu freuen. Ich hatte mich damit abgefunden, dass der Winter, den ich in Erinnerung bewahrt hatte, eine Fiktion war, ein Trugbild zusammen gepuzzelt aus Filmen, Liedern, Geschichten und den vereinzelten schneereichen Wintertagen, die ich wirklich erleben durfte, erstellt von mein Gehirn, um mich vor der traurigen Wahrheit zu schützen, dass nicht jeder, sogar recht wenige meiner Winter Schnee im Dezember und vor allem an Weihnachten beinhalteten. Namikas „Wenn sie kommen“ dröhnte durch meine Kopfhörer als ich durch die müden Gassen schlenderte. Zwar war der Frühling auf dem Weg, doch schien es noch eine Weile zu dauern, bis die Anwohner aus dem Winterschlaf erwachen würden. Gut für mich. Überquellende Straßen und Gedrängel machte mich eh meist nervös. So konnte ich ruhig vor mich her laufen ohne das mich auch nur ein Mensch anrempelte oder etwas von mir wollte. Ich zog meine viel zu warmen Handschuhe aus und lies sie in meinen Rucksack gleiten, entschied mich aber den Schal nur zu lockern. Ich hatte kein besonderes Ziel, nur ein Vorhaben: Mehr aus dem Haus kommen. Die Zeit, die ich zu Hause an meinem Laptop verbrachte war eindeutig zu viel. Das wusste ich. Es war ungesund, beeinträchtigte meinen Schlafrhythmus, meine Denkkapazitäten und war wahrscheinlich auch der Grund für meine chronologischen Rückenschmerzen. Und auch wenn ich, rein theoretisch, in der Lage war mein Leben als Einsiedler zu führen, wusste ich, dass mich das nicht glücklich machte. Und Papa auch nicht. Also ein Stadtbummel. Da konnte man nicht viel falsch machen. Besonders viel Geld hatte ich auch nicht dabei, wodurch ich mir keine Sorgen machen brauchte in die Versuchung zu kommen mir spontan alles mögliche zu kaufen. Kein Stress, kein Anliegen. Alles war super. Doch nach zirka fünf Minuten war mir langweilig. Ja, ja, Besitztum ist nicht alles. Aber was soll ich in der Stadt, wenn ich nichts kaufen kann? Es würde mich ja eh nur ärgern, wenn ich was finde, was ich dann doch kaufen will. Und mich irgendwo hinzusetzen war langweilig. Zumindest solang ich allein war. Und da meine Freunde alle abgesagt hatten, weil sie „Besseres zu tun hatten“, stand ich nun alleine auf dem Marktplatz und schaute dumm. Super. Hast du dir ja echt gut überlegt mit deinem Rausgehen. Der Gedanke einfach wieder nach Hause zu gehen kam mir in den Kopf, gefolgt von frühzeitigen Schuldgefühlen. Nie Neujahrsvorsätze machen, aber sobald man dann einen hat ihn nicht durchsetzen. So kannte ich mich. Es war eher Zufall, dass mir der Farbenfrohe Flyer ins Auge stach. Er lag vereinsamt auf dem Kopfsteinpflaster, etwas dreckig und feucht vom frisch getauten Boden. Als Motiv ein Foto, vermutlich vom Park selbst, geschossen bei Nacht, sodass die Lichter der Attraktionen das Bild erleuchteten. In einer aufgerollten Schriftrolle stand groß in Weiß 'Neueröffnung'. Er war schön anzusehen. Im unteren rechten Eck standen die Öffnungszeiten, der Ort und, zu meiner Überraschung, dass der Eintritt kostenlos sei. Ich war mir nicht ganz sicher, was ich mir darunter vorstellen durfte. Bei Erlebnispark dachte ich ja eher an so etwas wie den Heidepark, aber wenn es keinen Eintritt kostete, war es wohl eher ein Rummel. Wahrscheinlich war der kostenlose Eintritt nur Marketing und man musste man für jedes Fahrgeschäft einzeln zahlen. Na ja, aber gucken kostete in diesem Fall wenigstens wirklich nichts. Und da es sonst für mich nichts zu tun gab, machte ich mich auf den Weg, um mir diesen "Erlebnispark" mal anzuschauen. Tatsächlich ließ man mich ohne Umstände auf das Gelände. Eine Vielzahl von Fahrgeschäft und Buden waren aufgebaut. Ich sah auf Anhieb einen "Breakdancer" und eine Glücksspielhalle. Erneut ließ ich meinen Blick schweifen. Durch die Aufstellung der Stände waren drei klare Gänge ausgewiesen, die sich mit Sicherheit im Verlauf in weitere Gänge aufteilen würden. Ich folgte dem mittleren, unbeeindruckt von den Attraktionen um mich herum. Sie waren nicht generell unspannend, doch sie waren auch nichts, was mich überraschte. Erst als sich der Gang das erste Mal teilte, fiel mir ein Bunker ähnliches Gebäude auf, das mein Interesse weckte. Die rote Aufschrift "Wonderland" zierte das große Tor, welches selbst mit Schnörkeln und Figuren verziert war. Als Märchenliebhaberin zog mich das Gebäude sofort in seinen Bann. Gut, es sah von außen nicht sonderlich hochwertig aus, aber das hieß noch lange nichts. Doch schon vom ersten Schritt ins Wunderland war mir klar, dass es nicht sonderlich spannend seien würde. Die Halle war zwar groß, doch auch recht karg eingerichtet. Die Wände waren nur dürftig bemalt, gefüllt mit verschiedenen Grüntönen, die wohl Gras darstellen sollten und nur sehr spärlich Figuren versteckte, die man mit viel Fantasie und zusammengekniffenen Augen als Alice im Wunderland Charaktere interpretieren konnte. Hier und da standen Büsche herum, die ich nicht einmal näher betrachten musste, um sie als Plastik zu identifizieren. Die "Hauptattraktionen" sollten aber wohl die vielen Figuren sein, die wahllos im Raum verteilt waren. Sie waren nicht sonderlich gut verarbeitet und noch schlechter bemalt. Zwar erkannte man, dass sie Spielkarten darstellen sollten, jedoch war das auch nicht eine sonderliche Leistung. Es war fast schon faszinieren, wie wenig Mühe man sich gemacht hatte. Ich trat ein und ließ mich durch die chaotische Anordnung der Figuren durch den Raum leiten. Meine Augen blieben meist nur ein paar Sekunden auf den einzelnen Figuren. Schließlich sah man auf den ersten Blick, wie schlecht sie gemacht waren. Plötzlich schlug mein Herz höher. In einer der hinteren Ecken des Raumes war eine einzige Figur, die perfekter nicht hätte aussehen können. Es hab keine offensichtlichen Materialfehler, die Farbe war sauber aufgetragen, das Design detailgetreu übernommen. Und sie war unglaublich fehl am Platz. Es war ein eins A Replika des Charakters Hisoka. Ich schaute mich um, um zu sehen, ob noch jemandem die Figur aufgefallen war, doch ich sah niemanden in meiner näheren Umgebung. Mein Blick glitt wieder zu der Figur. Es war mir nicht ganz klar, warum gerade ihr so viel Sorgfalt zugeteilt worden war. Sie stach aus der Masse heraus, selbst wenn man nicht wusste, wen sie darstellte. Die elfenbeinweiße Haut strahlte trotz künstlicher Beleuchtung und sein gesamtes Design passte einfach nicht in die so lieblos gestaltete Umgebung. Wie zum Teufel war diese Figur hier her gekommen? Hatte sie jemand gekauft, ohne zu wissen, wer es ist und sie hier rein gestellt, um das "Wonderland" etwas aufzuwerten? Dann hätten sie sie zum Mittelpunkt machen sollen. Schließlich war sie das Beste, was die Attraktion zu bieten hatte. Oder hatte sich ein Angestellter einen Spaß erlaubt und sie rein geschmuggelt? Den Menschen hätte ich ja gerne getroffen, der eine, mit Sicherheit sehr teure Figur, einfach so in eine billige Jahrmarktattraktion stellte Plötzlich merkte ich, dass ich in ein paar goldene Augen starrte. Ich zuckte zurück. Mir war gar nicht aufgefallen, dass ich genau in Hisokas Blicklinie stand. Fasziniert schaute ich mir sein expressives Gesicht an. Seine Mundwinkel waren zu seinem typischen Grinsen hochgezogen und seine schmalen Augen waren in meine Richtung gerichtet. Für einen Moment war mir, als würde sich sein Lächeln noch ein Stück weiter ziehen. Doch es war ja nur- Ich hätte fast geschrien, als Hisoka einen Schritt nach Vorne machte. Was zum Teufel? Verwirrt schaute ich mich um, doch es hatte sich niemand uns genähert. Als ich wieder zu ihm sah, lag sein Blick immer noch fest auf mir. Mein Herz raste. Ich hielt die Luft an. Da wandte Hisoka sich von mir ab. Immer noch geschockt, aber auch ein wenig erleichtert sackte ich etwas zusammen. Oh man, beruhig dich. Es war nicht jede Kleinigkeit immer eine Horrorgestalt, die dich umbringen wollte. Es war ein Mitarbeiter. Oder einfach ein Cosplayer. Vielleicht wollte er ja Fotos machen oder so. Nichts, wovor du Angst haben musstest. Also reg dich ab. Ich sah den Mann in einen anschließenden Raum verschwinden, der mir vorher nicht aufgefallen war. Mein Herz schlug weiterhin schnell, doch ließ der Schreck langsam nach. Das war genug Abenteuer für einen Tag. Es würde wohl das Beste sein, wenn ich jetzt einfach nach Hause ging. Und ich wollte auch gehen. Ich hatte es wirklich vor. Doch aus einem mir unerfindlichen Grund schaffte ich es einfach nicht. Ich konnte nicht gehen. Wieso lief dieser Mann hier im Hisokakostüm rum? Und sah dabei so perfekt aus. Wurde er dafür bezahlt? Es stellte sich ja wohl keiner freiwillig alleine im Cosplay auf einen Rummel. Oder? Vielleicht machte es ihm ja einfach Spaß andere zu erschrecken. Meine Neugierde überkam mich und ließ mich nicht mehr los. Na komm, jetzt folg ihm halt. Du musst ja nicht bei jeder Begegnung immer gleich Angst haben. Außerdem hat sich bisher jeder Cosplayer gefreut, wenn du ihn angesprochen hast. Was ist also dein Problem? Mein Problem eröffnete sich mir erst, als ich ihm schon tief in den Nebenraum gefolgt war. Ein Spiegelkabinett. Na super. Gruseliger ging es nicht, oder? Spiegel und Puppen, das war das Rezept für meine Albträume. So wichtig war das ja auch gar nicht. Ich musste jetzt nicht wirklich einen Cosplayer stalken. Vor allem nicht in ein Spiegelkabinett. Ich drehte also wieder um. Das war es jetzt wirklich. Es reichte. Also den gleichen Weg wieder zurück wie ich gegangen war, die gleichen Abbiegungen, keine Umwege oder Abkürzungen. Und dann war ich wieder beim Ausgang. Jedenfalls hätte ich dort stehen müssen. Doch alles was ich sah, war meine Reflexion in den Spiegeln, die mich umgaben. Kein Ausgang. Auch keine Wegweiser. Nur Spiegel. Und ich. Das Geräusch von langsamen Schritten hallte durch den Raum. Erst sah ich ihn nur in einem Spiegel. Dann in zweien. Plötzlich war ich umringt von der Person, der ich in meiner Dummheit gefolgt war. Hisoka schien sichtlich amüsiert. Ein kalter Schauer lief mir den Rücken herunter. Ich merkte, dass ich zitterte. Es fühlte sich so an, als wollte mein Herz aus meiner Brust brechen, so schnell schlug es. Das hier war falsch. „Keine Angst.“ Seine Stimme schnitt durch die Stille. Meine Atemzüge wurden kürzer. Ich versuchte meinen Körper unter Kontrolle zu bringen, doch Instinkte war nun mal stärker als Gedanken. Egal wie sehr ich mir sagte, dass sich da jemand mit mir einen makaberen Spaß erlaubte, war es dennoch klar, dass ich nicht weg kam. Dass es keinen Ausgang gab. Das ich komplett alleine war mit jemandem, von dem ich hoffte, dass er nicht ansatzweise das war, was er darstellte. „Ich werde dich noch nicht umbringen.“ Mein Magen rebellierte. Alle Haare stellten sich mir auf. Das konnte nicht wahr sein. Das musste ein Scherz sein. Ein übler, gemeiner, unfairer Witz. Und ich musste einfach aufhören Angst zu haben.  „Dieser Ort scheint interessanter als gedacht. Ich bin gespannt, was in Menschen wie dir steckt.“ Etwas flog an mir vorbei. Das Klirren der Scheibe explodierte in meinem Körper, ließ mich aufschrecken. Plötzlich war es, als wäre mir der Boden unter den Füßen weggerissen worden. Die Umgebung verschwamm als ich fiel und fiel, zusammen mit meinem gellenden Schrei und den Gefühlen in meinem Kopf und meiner Brust, bis es alles nur noch eine schwarze, besinnungsraubende Masse war. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)