Wie man es noch sagen kann von Yosephia ([Romance OS-Sammlung/ Prompt-Liste]) ================================================================================ 101. "Kannst du mir helfen?" (RogueStina) ----------------------------------------- „Kannst du mir helfen?“ Überrascht blickte Rogue von seinem Buch auf und direkt in ein paar tiefblauer, von langen, blonden Wimpern umkränzter Augen. Vor seinem Lieblingsplatz unter der alten Eiche, deren herausragende Wurzeln ihm einen wunderbaren Sichtschutz nach links und rechts boten, hatte sich eine junge Frau aufgebaut, die er noch nie gesehen hatte. Ihre Bermudahosen und das Tanktop hätten auch einem Mann gepasst – tatsächlich wirkte letzteres an ihr beinahe wie ein nur etwas zu knapp geratenes Kleid, was den Verdacht erhärtete, dass es aus der Männerabteilung stammte. An den Füßen trug sie Flipflops und die blonden Haare hatte sie zu einem anscheinend gezielt unordentlichen Zopf geflochten, der bis zu ihrer Hüfte reichte. Soweit hätte man sie auf dem ersten Blick tatsächlich für einen Jungen halten können, aber der feine Schwung der Hüften und die Brüste waren selbst unter den lässigen Klamotten gut genug zu sehen. Und so burschikos ihr Auftritt auch war, ihr Gesicht war doch eindeutig das einer Frau. Sie hatte große, ausdrucksstarke Augen, eine gerade, schmale Nase mit vielen Sommersprossen – neben den unter den Tanktopträgern hervorblitzenden Bräunungsstreifen und den gebleichten Strähnen im Haare der beste Beleg dafür, wie viel Zeit sie an der Sonne verbrachte – und ein spitzes Kinn, das sich immer herausfordernd vorzurecken schien. Eine feine Narbe spaltete die rechte Augenbraue und am linken Ohr baumelte ein einzelner Ohrring in Kristallform, die Ponypartie fiel ihr wild in die Stirn. Und auf ihren ungeschminkten Lippen lag das breiteste Grinsen, das Rogue jemals bei überhaupt irgendeinem Menschen gesehen hatte. Erst als das Grinsen sogar noch etwas breiter wurde – wie auch immer das mit einem normalen Mund noch möglich sein sollte –, wurde Rogue bewusst, das er die Fremde in der letzten Minute, seit sie ihn angesprochen hatte, einfach nur angestarrt hatte. Mit einem Räuspern senkte er den Blick wieder auf sein Buch, fischte das Lesezeichen aus dem Gras neben ihm und legte es ins Buch, ehe er selbiges zuklappte und aufstand. Aus dieser Perspektive wurde ihm klar, dass die junge Frau ein gutes Stück kleiner und schmaler als er war, aber er erkannte an den Oberarmen fein definierte Muskeln. Ganz offensichtlich war sie Sportlerin. „Kennen wir uns?“, fragte er und zermaterte sich den Kopf, ob die Blondine in einer seiner Vorlesungen saß, aber so wenig er sich sonst für die zweihundert anderen Gestalten in den stickigen Sälen interessierte, er war sich ziemlich sicher, diese Frau hier wäre ihm nicht entgangen. Ganz zu schweigen davon, dass sie absolut nicht wie eine Jurastudentin auf ihn wirkte. „Noch nicht“, erwiderte die junge Frau und stemmte mit funkelnden Augen die Hände in die Hüften. So langsam fiel bei Rogue der Groschen, aber das stürzte ihn gleich in einen neuerlichen Fragenstrudel. Wie kam die Blondine ausgerechnet auf ihn? War das nicht ein bisschen arg direkt? Und… wie sollte er darauf antworten? Die letzte Frage löste sich in Wohlgefallen auf, als die junge Frau ihm eine Hand anbot. „Ich bin Stina, Erstsemester, Musik.“ Dann war sie zwei Jahre jünger als Rogue und tatsächlich keine Jurastudentin. Dabei wäre der Gedanke von ihr als Anwältin oder Richterin definitiv mal eine Abwechslung, aber Musik passte eindeutig besser zu ihr. Mit einem Anflug von Neugierde fragte Rogue sich, was für Instrumente sie wohl spielte. „Ich bin Rogue“, stellte er sich langsam vor und erwiderte die Geste. Stinas Händedruck war überraschend fest, ihre Fingerkuppen rau, aber ihre Hand war und blieb die einer Frau, winzig, zierlich, weich – Rogue ertappte sich bei dem Gedanken, dass er diese Hand gerne länger halten würde. Belämmert ließ er Stina gewähren, als sie seine Hand enthusiastisch schüttelte. „Also, da wir einander nun kennen…“ Taten sie? Rogue kam es so vor, als hätte er jetzt noch viel mehr Fragen im Kopf, die um Stina kreisten. Zum Beispiel, warum er es bedauerte, als Stina seine Hand los ließ. „Kannst du mir nun helfen?“ „Wobei denn?“, fragte er vorsichtig. „Ich suche das Studierenden-Service-Center. Eigentlich wollte meine Schwester mir das zeigen, aber sie musste spontan bei ihrem Job eine Schicht übernehmen, weil jemand krank geworden ist. Mann, war die sauer. Ich wette, das liegt daran, weil ihr Kollege sie immer anbaggert.“ Rogue hatte Mühe, aus diesem hemmungslosen Redeschwall das heraus zu filtern, was für ihn relevant war. „Das SSC ist im Verwaltungstrakt“, erklärte er und deutete zur anderen Seite des Campus, der jetzt, so kurz vor Beginn des neuen Semesters, noch verhältnismäßig leer war. Ein Segen für Rogue und der Grund, warum er sein Buch ausnahmsweise mal nicht in der Bibliothek las, sondern hier draußen. „Und wo da genau?“, fragte Stina prompt und blickte unter ihren langen Wimpern beinahe herausfordernd zu ihm hoch. Mittlerweile war selbst für Rogue offensichtlich, dass Stina mit ihm flirtete und es darauf anlegte, Zeit mit ihm zu verbringen. Subtilität schien nicht unbedingt ihre Stärke zu sein, aber ihre schonungslose Offenheit hatte etwas Entwaffnendes – und gleichzeitig Provozierendes. Dabei ließ es Rogue normalerweise vollkommen kalt, wenn eine Frau ihm schöne Augen machte, wenn er es denn überhaupt mitbekam – seiner besten Freundin zufolge hatte er diesbezüglich eine lausige Aufmerksamkeitsspanne. Aber Stina war eindeutig anders als die Frauen, mit denen Rogue bisher zu tun gehabt hatte. „Ich könnte es dir zeigen?“, schlug er vor. Was könnte dabei schon schief gehen? Im schlimmsten Fall stellte es sich als Flop heraus und dann gingen sie einfach wieder getrennter Wege, aber vielleicht wurde es sogar ganz angenehm? So angenehm, wie ein Gang zum Studierenden-Service-Center eben werden konnte. Das strahlende Lächeln, das sich auf Stinas Gesichtszügen ausbreitete, machte etwas Merkwürdiges mit Rogues Körperfunktionen. Sein Magen schlug einen Salto und sein Herz klopfte auf einmal heftig gegen seine Brust. Er war wirklich kein Kunstmensch, aber hier und jetzt ertappte er sich bei dem Gedanken, dass er dieses Lächeln gerne für die Ewigkeit festhalten würde. „Das wäre super!“, jubelte Stina und stieß übermütig eine Faust in die Luft. „Dafür lade ich dich auf Kaffee und Kuchen ein! Nicht hier in der Cafeteria, davor hat meine Schwester mich schon gewarnt, ich habe auf dem Weg hierher ein Café gesehen. Du magst doch Kuchen, oder? Ach, natürlich, jeder mag Kuchen!“ Es war, als hätte Rogue es mit einer Naturgewalt zu tun. In einem Moment hatte er noch geglaubt, endlich aufgeholt zu haben, aber jetzt machte Stina aus der ganzen Sache schon ein Date! Aber als Rogue sich umdrehte, um seine Tasche vom Boden aufzuheben, während Stina hinter ihm aufgeregt auf der Stelle herumhibbelte, konnte er nicht anders, als zu lächeln. Diese Frau war eindeutig etwas Besonderes. Sie war in mehr als nur einer Hinsicht anziehend. Warum es also nicht auf ein Date ankommen lassen? Was sollte schon passieren…? 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