Spielzeug von BloodyRubin ================================================================================ Prolog: Jonah ------------- Es ist so kalt… Dieser Raum...diese meine Welt… Sie ist immer kalt...und immer dunkel… Sie wird beherrscht von Angst… Von Schmerzen… Von Blut...meinem Blut… Ich will nicht mehr… Ständig erfahre ich neue Schmerzen… neue Angst… Meine Seele ist schon lange gebrochen… Warum hilft mir niemand?… Ich bin nicht mehr ich… Fühle nichts...höre nichts...sehe nichts… mein Leben hat keinen Wert mehr für mich… Dieser beschmutzte...verunreinigte Körper… Ich will ihn nicht mehr… So viele Schmerzen… Ich wünschte… Ich wünschte...ich wäre nie geboren worden… Kapitel 1: Der Einsatz ---------------------- „Was für ein Wetter.“ schimpfte der junge Polizist und betrachtete den Regen, der gegen die Windschutzscheibe prasselte. „Da kann man halt nichts machen.“ entgegnete sein Kollege ruhig und lenkte den Wagen um eine Kurve. „Außerdem wolltest du doch unbedingt Streife fahren, Akira.“ Angesprochener runzelte die Stirn. „Ja, aber da hat die Sonne noch geschienen.“ „Oh, du Armer. Seit zwei Jahren bei der Polizei, schon so ziemlich alles erlebt, aber wehe, es regnet.“ „Kann es sein, dass du dich über mich lustig machst, Nishiko?“ „Würde mir nie einfallen.“ Das Grinsen, dass der andere dabei im Gesicht trug, strafte seine Worte allerdings Lügen. Seufzend drehte Akira den Kopf weg und sah aus dem Fenster. Doch wegen des Regens sah er nur sein eigenes Spiegelbild. Seine dunkelbraunen Haare, die ebenfalls braunen Augen und die leicht schiefe Nase, die seinem Gesicht etwas Unheimliches verlieh. „Bei dem Wetter ist doch sowieso nichts los.“ beschwerte er sich weiter. „Ich könnte jetzt im warmen Büro sitzen und meine Berichte schreiben.“ „Ja, klar. Du willst doch nur wieder Sakai-san anschmachten.“ „Das vielleicht auch.“ „Ach, Akira. Was muss er denn noch tun, bis du merkst, dass er überhaupt kein Interesse an dir hat? Ich dachte, direkt vor deinen Augen mit seiner Verlobten zu knutschen, würde ausreichen.“ „Er wird schon merken, dass er mir nicht entkommen kann. Außerdem liebe ich Herausforderungen.“ „Du klingst wie ein Serienkiller. Und ich darf dich daran erinnern, dass die Hochzeit in drei Monaten ist. Und dass Sakai-sans Verlobte schwanger ist.“ „Nur eine größere Herausforderung.“ Nishiko hob die rechte Hand und stieß Akira kurz gegen die Schulter. „Idiot. Du lernst es wohl nie.“ Der Braunhaarige musste lachen und vergaß seine schlechte Laune. Mit Nishiko hatte er wirklich einen großartigen Partner erhalten. Der andere war bereits in den Vierzigern und hatte die ersten grauen Strähnen in seinen kurzen, schwarzen Haaren. Als er erfahren hatte, dass sein Kollege homosexuell war, hatte er nur mit den Schultern gezuckt und gemeint, dass sie immer noch Partner waren, egal, worauf Akira stand. Das rechnete dieser Nishiko hoch an. „Wie geht es eigentlich deiner Familie?“ fragte er nun. „Ach, das Übliche. Meine Frau dreht jetzt schon durch, weil meine Tochter uns mit der Kleinen besuchen will und natürlich ist sie momentan damit beschäftigt, das Haus in einen keimfreien Raum zu verwandeln. Das wird bestimmt ein super entspanntes Wochenende.“ „Klingt ja schaurig. Aber sie ist wahrscheinlich froh, wenn sie in Ruhe aufräumen kann.“ „Ja, wahrscheinlich.“ seufzte Nishiko zustimmend. „Zentrale an den 14-34.“ ertönte auf einmal eine Stimme aus dem Funkgerät. „Es gibt Arbeit.“ meinte Nishiko, während Akira das Funkgerät abnahm. „14-34 hört.“ „Fahrt zum >Sweet Apple< in der Konoristraße. Ein anonymer Anrufer meldet Streitigkeiten.“ „Ja, verstanden. Sind auf dem Weg.“ Der Braunhaarige hängte das Funkgerät wieder ein. „Sweet Apple...ist das nicht dieses Nobel-Bordell?“ fragte er nachdenklich. „Ja. Merkwürdig. Da hat es doch noch nie Schwierigkeiten gegeben.“ „Wahrscheinlich nur ein neuer Anwohner, dem das Gebäude nicht in den Kram passt.“ vermutete Akira. Sie kamen bei dem Bordell an und sahen dort bereits zwei Männer, die sich anscheinend gerade körperlich angingen. Hastig stiegen sie aus und liefen auf die beiden Streithähne zu. „Hey, auseinander. Auseinander!“ rief Nishiko und gemeinsam mit Akira gelang es ihm, die Männer zu trennen. „Was ist das Problem?“ Einer der beiden, ein Typ im Anzug und mit blutiger Nase, schnaubte verächtlich. „Es ist alles in Ordnung. Nur eine kleine Meinungsverschiedenheit.“ „Meinungsverschiedenheit?“ brauste der andere auf. „Das ist menschenverachtend, was hier abgeht. Dass du bei so was mitmachst...“ „Halts Maul, verdammt!“ brüllte der Erste. „Sonst was?“ „Das reicht jetzt.“ ging Akira dazwischen. Er blickte den Mann im Anzug an. „Sie bleiben hier und ich unterhalte mich mal in Ruhe mit…?“ „Seitoshi Masaru.“ „In Ordnung, dann folgen Sie mir bitte.“ „Pass bloß auf, was du sagst.“ fauchte der Anzug-Typ noch. Akira ging einige Meter zur Seite und wartete, bis der andere ihn eingeholt hatte. „Also, klären Sie mich auf. Worum ging es in dem Streit?“ „In diesem Gebäude hier wird ein junger Mann festgehalten.“ erwiderte der Gefragte wütend und entsetzt zugleich. „ Okay...und woher wollen Sie wissen, dass es gegen den Willen des besagten Mannes ist? Manche Leute stehen ja auf solche Rollenspiele.“ „Er ist nackt an einer Wand festgekettet und hat überall blaue Flecken. Wer würde sich so etwas freiwillig gefallen lassen?“ „Sind Sie ganz sicher?“ „Absolut. Bitte, Sie müssen etwas tun.“ „Ich rufe mal Verstärkung.“ Akira wusste nicht, wieso, aber er glaubte dem Mann vor sich. „14-34 an Zentrale.“ „Zentrale hört.“ „Wir brauchen hier mal Verstärkung. Verdacht auf Freiheitsberaubung.“ „Verstanden. Zwei Kollegen sind auf dem Weg.“ Der Braunhaarige steckt das Funkgerät ein und wandte sich wieder an seinen Zeugen. „Also, Herr Seitoshi, erzählen Sie mal von Anfang an.“ „Nun...Eigentlich sind Kazuki und ich seit Jahren befreundet. Heute ist mein Geburtstag und er meinte, er will mir etwas Besonderes schenken. Deswegen wollte er unbedingt mit mir hierherkommen. Am Anfang fand ich das ja noch in Ordnung, aber dann wurde Kazuki gefragt, ob er wieder den >Spezial-Gast< besuchen möchte. Ich hatte so ein komisches Gefühl bei der Sache und besonders, als Kazuki auch noch zugestimmt hat. Er sagte nur, es würde mir bestimmt auch gefallen. Also bin ich ihm in den Keller gefolgt und dort...war dieser...Gefangene. Ich dachte zuerst, das wäre ein schlechter Scherz, aber...ich habe kurz die Augen von dem jungen Mann gesehen. Und ich schwöre Ihnen: Solche toten Augen hat niemand, der auf Rollenspiele steht.“ „Nun gut, wir sehen uns das mal an. Ich brauche noch Ihren Personalausweis.“ Während Akira sich alles notierte, traf auch die Verstärkung ein und Nishiko trat an den Braunhaarigen heran. „Ich habe Herrn Samura in den Wagen gesetzt. Er war aggressiv und nicht sehr gesprächsfreudig. Vielleicht erzählt er uns auf der Wache noch etwas.“ „Alles klar.“ Auch Akira erzählte kurz, was er von Herrn Seitoshi erfahren hatte. Nishiko nickte und wandte sich an die beiden Kollegen. „Also, angeblich wird hier eine Person festgehalten. Wir gehen zusammen rein. Sollte irgendetwas passieren, helft euch gegenseitig. Vergesst auch den Eigenschutz nicht.“ „Verstanden.“ Sie betraten das Gebäude und gelangten in einen geschmackvoll eingerichteten Vorraum. Dort führte ein breiter Flur in das Innere des Bordells. Am Ende des Flurs stand ein unheimlich charismatisch wirkender Mann um die dreißig, der die Polizisten höflich anlächelte. „Guten Tag, meine Herren. Was kann ich für Sie tun?“ „Sind Sie der Eigentümer dieses Etablissements?“ erkundigte sich Nishiko. „Allerdings.“ „Wir würden uns gerne etwas bei Ihnen umsehen.“ „Dann hätte ich jetzt gerne einen Durchsuchungsbefehl.“ „Das wird nicht nötig sein. Wir gehen hier einem begründeten Verdacht nach. Und wenn Sie nichts zu verbergen haben, haben Sie ja auch nichts zu befürchten, richtig?“ Darauf erwiderte der Bordellbetreiber nichts. Allerdings sah Akira, wie sein Lächeln einfror und seine Augen einen harten Ausdruck bekamen. „Gut. Ich sehe mich hier um, ihr beiden geht nach oben und du, Akira, überprüfst die Keller.“ Der Braunhaarige nickte und stieg die Treppen an der Seite hinunter. Auch hier unten gab es einen breiten Flur, von dem einige Türen abgingen. Vorsichtig öffnete er diese der Reihe nach, wobei ihm das Herz bis zum Hals schlug und er jederzeit einen Angriff befürchtete. Schließlich war nur noch eine Tür übrig, die mit einem Schlüssel verschlossen war. Inzwischen war Akira unsicher geworden. War diese Behauptung von dem Zeugen doch nur erfunden worden? Er griff nach dem Schlüssel, drehte ihn und atmete noch einmal tief durch. Dann öffnete er die Tür, betrat den Raum und...hatte auf einmal das Gefühl, jemand hätte ihm den Boden unter den Füßen weggerissen. Fassungslos starrte er in den Raum und spürte, dass er kurz davor stand, zu hyperventilieren. Irgendwie schaffte er es, sein Funkgerät hervorzuholen. „Nishiko...nimm den Bordellbetreiber sofort fest und dann komm mit den anderen hier runter. Das müsst ihr euch ansehen, sonst glaubt ihr es nicht.“ Kapitel 2: Halb tot ------------------- Der Raum war mittelgroß und ganz offensichtlich schalldicht eingerichtet. Hinter der Tür stand auf einem Tisch eine zierliche Glasschüssel, die bis oben hin voll mit Kondompackungen war und auf dem Boden darunter ein Mülleimer. Fenster waren nicht vorhanden. An der Wand und auf dem Boden waren jeweils zwei starke Eisenringe befestigt, durch die wiederum zwei lange Ketten liefen. An den Enden der Ketten waren Handschellen angebracht. In den Handschellen hing der junge Mann, von dem Herr Seitoshi berichtet hatte. Er hatte hellblonde Haare, die ihm bis zu den Schultern reichten. Sein Körper war nackt und so mit Hämatomen und halb verheilten Schnittwunden übersät, dass kaum etwas von seiner blassen Haut zu erkennen war. Sein Gesicht lag auf der Seite, so dass seine Augen von seinen Haaren verdeckt wurden. Im Raum roch es durchdringend nach Reinigungsmitteln, doch das reichte nicht, um den schwachen Geruch nach Blut zu überdecken. Langsam trat Akira näher. Als hätte der Gefangene seine Schritte gehört, wandte er ihm das Gesicht zu. Ein eiskalter Schauer lief dem Polizisten über den Rücken. Diese Augen...sie waren so leer und emotionslos. Der junge Mann hatte zwei verschiedene Augenfarben. Das linke war braun wie das von Akira, das rechte war dunkelgrün. Kurz blickten sich die beiden an, dann drehte sich der Gefangene auf den Rücken, spreizte die Beine und hob das Becken an. Akira hätte sich beinahe übergeben, als ihm klar wurde, was der andere da tat. Er bot sich dem Braunhaarigen an, gewährte ihm einen Blick auf seinen Intimbereich und schien darauf zu warten, dass Akira sich entkleiden und dann über ihn herfallen würde. Das Gesicht hatte er wieder abgewendet und starrte nun teilnahmslos an die Wand. Der Braunhaarige spürte, wie sich der Raum um ihn zu drehen begann. „Oh, mein Gott.“ hörte er hinter sich jemanden stöhnen. Doch er schaffte es nicht, sich von dieser bemitleidenswerten, komplett gebrochenen Gestalt abzuwenden. „Akira!“ rief ihn jemand und der Braunhaarige spürte, wie er an der Schulter gepackt wurde. An der Stimme erkannte er Nishiko. „Akira, beruhige dich. Wir müssen ihn befreien.“ Der Braunhaarige konnte sich jedoch nicht beruhigen. Wie hypnotisiert stand er da und starrte den jungen Mann an. Dann spürte er einen scharfen Schmerz in der Wange. Nishiko hatte ihn geohrfeigt und schüttelte ihn heftig. „Akira Ito, jetzt reiß dich gefälligst zusammen!“ Mühsam kriegte der Braunhaarige sich wieder in den Griff. „Danke, Nishiko.“murmelte er erschöpft. Dann ließ er sich auf die Knie nieder und näherte sich langsam dem Gefangenen. „Kannst du mich verstehen?“ fragte er, zwar mit zitternder Stimme, aber dennoch verständlich. Die leeren Augen sahen ihn nicht einmal an. Es kam keine Antwort. „Mein Name ist Akira. Wie heißt du?“ Nichts. Der junge Mann regte sich nicht. „Ich werde dich jetzt losmachen, okay?“ Mit bebenden Händen versuchte der Braunhaarige, die Handschellen mit seinem eigenen Schlüssel zu öffnen. Nach einer Weile klickte es zweimal und die Arme des Gefangenen fielen zu Boden. Dieser schien nicht einmal realisiert zu haben, dass er frei war. „Ich brauche eine Decke oder eine lange Jacke.“ brachte Akira heraus und einer der anderen Polizisten begann, seine Jacke aufzuknöpfen. Diese reichte er an den Braunhaarigen weiter, der versuchte, so beruhigend wie möglich mit dem jungen Mann zu sprechen. „Ich werde dir jetzt diese Jacke anziehen, ja?“ Ganz sanft fasste er den Fremden an den Armen und zog ihm die Jacke an. Dieser reagierte immer noch nicht. Genauso gut hätte Akira eine Schaufensterpuppe anziehen können. „Nishiko, hilf mir mal eben.“ Der ältere Polizist trat an ihn heran und zusammen hoben sie den federleichten Körper hoch genug, damit der Gefangene auf den Füßen stand. Schwankend stand dieser da, den Blick gesenkt. „Nishiko, hast du deine Sonnenbrille dabei?“ fragte Akira seinen Kollegen. „Ja, aber wieso brauchst du sie?“ „Hier gibt es keine Fenster und wir können nicht sagen, wie lange er schon hier ist. Wenn die Sonne wieder herauskommt, wird sie seinen Augen schaden.“ Als der junge Mann auch die Sonnenbrille trug, fassten Akira und Nishiko ihn ganz vorsichtig an den Armen und geleiteten ihn nach oben in die Eingangshalle. Das dauerte lange, denn der Fremde hatte Probleme mit den Stufen. Offenbar war er seit Ewigkeiten nicht mehr auf den Beinen gewesen. Als sie ins Freie kamen, wo immer noch der Regen fiel, erwartete Akira halb, dass der junge Mann nun irgendetwas tun würde. Aber er lag falsch. „Wir sollten einen Rettungswagen rufen.“ hörte sich der Braunhaarige zu Nishiko sagen. „Du hast Recht.“ antwortete dieser. „14-34 an Zentrale. Wir brauchen dringend einen Rettungswagen und einen Durchsuchungsbefehl für das Sweet Apple...“ „Ihr habt bitte was gefunden?“ Akira und Nishiko waren zurück in der Wache und dort ohne Umschweife zu ihrer Chefin gegangen, um ihr alles zu berichten. „Einen jungen Mann, der dort gefangen gehalten wurde.“ antwortete der alte Polizist ruhig zum wiederholten Mal. Akira sagte gar nichts. Er war völlig erschöpft, wusste jedoch, dass er in der nächsten Zeit kein Auge zumachen würde. „Im Sweet Apple?“ „Im Sweet Apple.“ Die Leiterin der Polizeiwache lief wie ein gefangenes Raubtier in dem Raum hin und her. „Was wissen wir über ihn?“ „Nichts. Er hat kein Wort gesprochen, seit wir ihn befreit haben. Es liegen keinerlei Papiere zu ihm vor. Momentan ist er im Krankenhaus und wird dort psychologisch betreut. Sie wollen uns Bescheid sagen, sobald es ihm gut genug geht, dass wir mit ihm reden können.“ „Ich möchte, dass dieser junge Mann in das Zeugenschutzprogramm kommt. Sobald er wieder spricht, muss er dafür sorgen, dass wir alle, die etwas mit diesem Fall zu tun haben, ins Gefängnis verfrachten können.“ „Ein netter Plan. Er hat nur einen Haken, Minami-san. Er hat bisher nicht gesprochen. Warum sollte er es dann überhaupt tun?“ Minami-san blieb stehen und begann, eine ihrer langen Haarsträhnen zwischen den Fingern zu zwirbeln. Akira wusste, dass sie das immer tat, wenn sie über etwas nachdachte. „Jemand muss es schaffen, das Vertrauen des Zeugen zu gewinnen. Wie alt würden sie ihn schätzen, Nishiko-san?“ „Hmmm...ich würde sagen, höchstens 20 oder 21 Jahre.“ „Verstehe...nun, offenbar gibt es nur eine Möglichkeit. Ito-san.“ „Ja?“ schreckte Akira aus seinen Gedanken hoch. „Haben Sie überhaupt ein Wort von unserer Unterhaltung mitbekommen?“ „Nein, nicht genau. Es tut mir leid, Minami-san.“ „Ich muss ihn in Schutz nehmen.“ warf Nishiko sehr ernst ein. „Er war es, der den Gefangenen gefunden hat. Wahrscheinlich ist er immer noch sehr durcheinander.“ „Nun, verständlich. Sie sind noch nicht lange bei uns, richtig?“ „Seit zwei Jahren.“ „Ein Küken also.“ lächelte die Leiterin der Polizeiwache. Doch fast sofort wurde sie wieder ernst. „Trauen Sie sich zu, unseren Zeugen zum Reden zu bringen?“ „I-ich?“ „Sie waren es, der ihn gefunden und befreit hat. Außerdem sind Sie ungefähr in seinem Alter. Es ist wahrscheinlich, dass er sich eher Ihnen anvertraut als einem anderen Ihrer Kollegen.“ Verunsichert blickte der Braunhaarige zwischen seiner Chefin und seinem Kollegen hin und her. „Pass auf, ich mache dir einen Vorschlag.“ sagte Nishiko und lächelte ihn kurz an. „Wenn du es hinbekommst, werde ich meine Frau so lange bestechen, bis sie für dich die Marzipankekse macht, die du so gerne hast.“ „Das ist eine gute Gelegenheit, sich zu beweisen.“ ergänzte Minami-san. „Wenn Sie es schaffen, diesen Fall zu einem erfolgreichen Abschluss zu bringen, werde ich Sie beim Polizeipräsidenten lobend erwähnen. Sie könnten der Erste in dieser Wache sein, der nach nur zwei Jahren zum Kommissar befördert wird.“ „Nun, ich werde sehen, was ich tun kann.“ gab sich Akira geschlagen. „Gut, dann wäre das geklärt. Für heute reicht es auch, würde ich sagen. Gehen Sie nach Hause und ruhen Sie sich aus. Morgen werden Sie wiederkommen und einen vorläufigen Bericht schreiben. Danach fahren Sie in das Krankenhaus. Unser Zeuge ist in Zimmer 112.“ Akira und Nishiko erhoben sich. „Ich verlasse mich auf Sie, Ito-san. Informieren Sie mich über alles, verstanden?“ „Verstanden.“ „Viel Glück, Akira. Wenn du mich brauchst, kannst du mich jederzeit anrufen, in Ordnung?“ „Ja. Danke, Nishiko.“ Der Braunhaarige verließ das Gebäude und fuhr zu seiner Wohnung. Dort ließ er sich auf die Couch fallen und überlegte, wie er es schaffen sollte, seine Aufgabe zu erfüllen. Er hatte keine Ahnung, was er zu dem Fremden sagen sollte. Seufzend vergrub er das Gesicht in dem Stoff der Couch. Das würde bestimmt ein Fiasko werden. Kapitel 3: Im Krankenhaus ------------------------- „Hey, Ito-kun. Stimmt es, dass du den Sweet Apple Fall bekommen hast?“ „Mmmh-hmm...“ brummte Akira nur undeutlich. Er war völlig auf seinen Bericht konzentriert und bekam überhaupt nicht mit, wer da mit ihm sprach oder worum es ging. „Nicht schlecht. Und, bist du schon aufgeregt?“ „Ja...sicher...“ „Hey, Ito-kun? Soll ich dir ein Geheimnis verraten?“ „Okay...“ „Ich würde dich jetzt am liebsten von diesem Stuhl zerren, dich in das nächste Hotel schleppen und dich dort in allen Stellungen vögeln, die uns einfallen.“ „Aha...“ „Du hörst mir ja echt nicht zu. Na warte...“ Stille trat ein, in der der Braunhaarige seine Bericht weiter schrieb. Bis er etwas Eisiges an seiner Wange spürte. Er erschrak so sehr, dass er fast von seinem Stuhl gefallen wäre und sah endlich hoch. „Was soll denn das, Sakai-san?“ Angesprochener lachte nur und hielt Akira eine Dose mit Limonade hin. „Selber schuld, wenn man nur an seine Arbeit denken kann.“ „Das hier ist wichtig.“ erwiderte der Braunhaarige, nahm aber dennoch die Dose entgegen. „Für ein kurzes Gespräch wirst du bestimmt Zeit haben.“ Akira antwortete nicht, sondern trank einen Schluck von der Limonade und betrachtete dabei Sakai-san. Ernsthaft, warum musste der Kerl aussehen wie ein Unterwäsche-Model? Er hatte tiefrot gefärbte, lange Haare, die er locker zusammengebunden hatte und die ihm unverschämt gut standen, eisblaue Augen und einen Körper, der schlank und muskulös zugleich war. Und da wunderte Nishiko sich, warum Akira diesen Polizisten anschmachtete. Sakai-san fiel sein Blick natürlich auf und er gluckste. „Wenn du damit fertig bist, mich in Gedanken auszuziehen, würde ich gerne deine Version von dem Fall hören.“ Der Braunhaarige spürte, wie er knallrot anlief. „Ich hätte nicht gedacht, dass ausgerechnet im Sweet Apple jemand gefangen gehalten wird.“ sagte er, um seine Verlegenheit zu überspielen. „Am Anfang sind wir ja noch von einer normalen Streitigkeit ausgegangen, aber...“ Akira berichtete dem anderen alles, was sich bisher zugetragen hatte. Danach wirkte Sakai-san sehr nachdenklich. „Verstehe...der arme Kerl. Aber ich bin sicher, dass Minami-chans Entscheidung richtig war. Wenn jemand dieser Person etwas entlocken kann, dann du, Ito-kun.“ „Könnten Sie bitte aufhören, mich ständig Ito-kun zu nennen? Ich komme mir vor wie ein Neunjähriger.“ Sakai-san blickte sich in dem leeren, kleinen Büro um, grinste und beugte sich dann vor. Er kam dichter an Akira heran, dem immer wärmer wurde. Sakai-san war ihm so nahe...Er konnte den warmen Atem des anderen in seinem Gesicht spüren und eine lose Haarsträhne, die ihn an der Wange kitzelte… „S-sakai-san...“ hauchte er verwirrt und völlig überfordert von der Situation. Deutlich roch er Pfefferminze und ein unwiderstehliches Parfüm. Natürlich, Sakai-san sah nicht nur perfekt aus, er roch auch so. „Dann werde ich dich ab sofort anders nennen...“ wisperte dieser in einem anzüglichen Tonfall. Doch kurz bevor sich die Lippen der beiden berührten, holte Sakai-san plötzlich Luft und pustete gegen Akiras Lippen, ehe er sich wieder zurückzog. „W-was..?“ „Du siehst wirklich hübsch aus, wenn du so rot wirst.“ „Sakai-san...“ „Naoto.“ „Wie bitte?“ „Das ist mein Vorname. Und lass das Siezen. Damit fühle ich mich wie ein Großvater.“ Der Rothaarige ging auf die Tür zu, hielt aber noch einmal inne. „Ich bin sehr gespannt, was bei deinem Fall noch alles herauskommen wird. Bis bald, Akira-kun.“ Er verließ das Büro und ließ den Braunhaarigen ziemlich aufgewühlt zurück. Das Krankenhaus sah ziemlich einladend aus, fand Akira, als er etwas später davor stand. Immerhin etwas Gutes. Er reihte sich in die Schlange vor dem Empfangsschalter ein und wartete, bis er vor der völlig lustlosen Empfangsdame stand. „Guten Tag. Ich möchte in Zimmer 112.“ „Kein Zutritt für Unbefugte.“ antwortete die Frau, ohne ihn anzusehen. „Ich bin von der Polizei.“ Nun ließ sich die Empfangsdame doch dazu herab, zu ihm zu sehen und den Ausweis zu begutachten, den der Braunhaarige ihr hinhielt. „Hier links, dann geradeaus zum Aufzug, dritter Stock, wieder links, das vierte Zimmer auf der rechten Seite.“ ratterte sie gelangweilt hinunter. Akira folgte den Anweisungen und fand das Zimmer auf Anhieb. Zwei Polizisten standen davor Wache und nickten ihm kurz zu. Er erwiderte den Gruß und betrat das Zimmer. Es war weiß gestrichen und wurde von der Sonne in warmes Licht getaucht. Der unbekannte Mann lag halb aufgerichtet in der Nähe des Fensters. Er blickte nur kurz zur Tür, ehe er wieder auf seine Hände starrte. Seine Augen waren immer noch leer und abwesend. „Hallo. Kannst du dich an mich erinnern?“ Keine Antwort. Das hätte Akira sich ja denken können. Langsam trat er näher und setzte sich auf einen Stuhl, der neben dem Bett stand. Erst jetzt musterte er den anderen genauer. Der Fremde trug nun einen einfachen weißen Schlafanzug. Darunter war sehr gut zu erkennen, wie zerbrechlich sein Körper wirkte. Sein Gesicht war fein geschnitten und seine Haare leuchteten im Licht der Sonne. Ja, er hatte eindeutig etwas leicht Androgynes an sich. Der Braunhaarige konzentrierte sich wieder auf seine Aufgabe und beschloss, einfach mit dem anderen zu reden. „Ich habe Krankenhäuser noch nie gemocht.“ sagte er deshalb und beobachtete die Wände. „Sie sind mir einfach zu steril. Ich habe mir mal mit neun Jahren das Bein gebrochen und musste fast zwei Wochen bleiben. Seitdem kann ich Krankenhäuser nicht mehr ab.“ Wieder keinerlei Reaktion. Nun, Akira war geduldig. Er erzählte dem anderen einige Geschichten aus seiner Kindheit, an die er sich erinnern konnte. Das tat er so lange, bis ein Arzt hereinkam und ihn bat, kurz hinaus zu gehen,damit er seinen Patienten untersuchen konnte. „Und, hat er etwas gesagt?“ erkundigte sich einer der Polizisten, als der Braunhaarige in den Flur trat. „Keinen Pieps hat er gemacht.“ entgegnete Akira leicht entmutigt. Die drei schwiegen, bis der Arzt wieder aus dem Raum trat. „Wie geht es ihm?“ fragte Akira. „Sind Sie ein Bekannter?“ „Nein, ich habe ihn gefunden und wurde mit seinem Fall betraut.“ Der Arzt nickte kurz und rieb sich dann mit Daumen und Zeigefinger über die Augen. „Er hat ein schweres seelisches Trauma erlitten. Die Verletzungen am Körper sind oberflächlich und werden keine bleibenden Schäden verursachen. Darüber hinaus wurden deutliche Vergewaltigungsspuren festgestellt. Die ersten Ärzte, die ihn untersuchen wollten, haben berichtet, dass er sich ihnen zwecks sexueller Handlungen regelrecht angeboten hätte. Also haben wir eine Ärztin mit dieser Untersuchung beauftragt.“ „Denken Sie, dass er irgendwann wieder reden wird?“ „Nun, da bin ich überfragt. Natürlich hoffen wir es, aber offenbar braucht er noch mehr Zeit.“ Kaum war der Arzt im Flur verschwunden, betrat Akira das Zimmer wieder. Der andere hatte sich kein Stück bewegt. Immer noch starrte er auf seine Hände. „Bevor ich es vergesse...“ begann der Braunhaarige und griff in seine Umhängetasche. „...ich habe dir etwas mitgebracht.“ Er zog ein Buch aus der Tasche und legte es auf den Nachttisch neben dem Bett. „Das Buch habe ich selber mindestens schon dreimal gelesen. Es ist wirklich spannend.“ Akira zögerte, als die toten Augen ihn nun direkt ansahen. „Ähm...wenn du es nicht haben möchtest, kann ich es wieder mitnehmen.“ Ganz langsam schüttelte der junge Mann den Kopf. Er hatte reagiert! „In Ordnung.“ sagte der Braunhaarige. „Ich hoffe nur, es trifft deinen Geschmack.“ Ein Blick auf die Uhr verriet dem Polizisten, dass er nun schon seit vier Stunden hier war. Wo war nur die Zeit geblieben? „Ich sollte mich allmählich auf den Weg machen. Aber ich komme bald zurück.“ Akira erhob sich und hängte sich seine Umhängetasche über die Schulter. „Bis zum nächsten Mal dann.“ Er wollte gerade nach der Türklinke greifen, als er etwas hörte. „...nah...“ Er wirbelte so schnell herum, dass er beinahe gefallen wäre. Hatte der andere gerade...geredet? „Was...hast du gesagt…?“ erkundigte er sich leicht stockend. Der Fremde sah ihn nun nicht mehr an, öffnete aber erneut den Mund. „Ich...bin...Jonah...“ Er hatte so eine weiche, helle Stimme… Akira stockte kurz, fing sich aber dann wieder und lächelte Jonah an. „Das ist ein sehr schöner Name. Bis zum nächsten Mal, Jonah.“ Etwas wackelig auf den Beinen verließ er den Raum. „Ito-san? Ist alles in Ordnung?“ „Sein Name ist Jonah...“ „Er hat gesprochen?“ „Ja...Entschuldigt mich, ich muss zurück zur Wache. Minami-san muss davon erfahren.“ Kapitel 4: Mordversuch und Schutzmaßnahmen ------------------------------------------ So schnell wie möglich fuhr Akira zurück zur Wache. Dort stellte er den Wagen ab und raste die Treppen hoch, wobei er fast mit Sakai-san zusammenstieß. „Akira-kun. Ist alles in Ordnung?“ sagte dieser völlig überrascht. „Tut mir leid, Sakai-san. Ich habe es eilig.“ „Du sollst mich doch Naoto nennen.“ rief der Rothaarige ihm hinterher. „In Ordnung, Naoto-san.“ Schon war der Braunhaarige durch die Türen geeilt und lief zum Büro seiner Chefin. Dort klopfte er an und wartete, bis sie „Herein.“ rief. „Ito- san. Geht es Ihnen gut?“ fragte Minami-san verwirrt. „Er heißt Jonah.“ Kurz wirkte die Leiterin der Polizeiwache noch verwirrter, doch dann begann sie zu strahlen. „Das sind ja großartige Neuigkeiten. Was haben Sie noch erfahren?“ „Das war alles, was er gesagt hat.“ erwiderte Akira kleinlaut. Minami-san schien sich davon nur wenig unterkriegen zu lassen. „Nun, immerhin hat er mit Ihnen gesprochen. Wirklich sehr gut gemacht.“ Dann entglitt ihr das Strahlen und sie bekam einen todernsten Gesichtsausdruck. „Herr Seitoshi ist tot.“ „Was?“ keuchte der Polizist entsetzt und ließ sich auf einem der Stühle vor dem Schreibtisch nieder. „Anscheinend hat jemand herausgefunden, dass er geredet hat. Herr Seitoshi wurde erschossen. Eine Kugel ging in den Kopf, eine ins Herz. Wahrscheinlich war er sofort tot. Seine Schwester hat ihn vor einer Stunde identifiziert.“ Akira dachte sofort an Herrn Samura. „Könnte Herr Samura etwas damit zu tun haben?“ „Möglich ist es. Aber ich glaube es eher weniger. Wer auch immer Herrn Setoshi umgebracht hat, war ein Profi. Die Schüsse kamen aus großer Distanz. Dabei so akkurat zu treffen...nein, das war niemand, der noch nie eine Waffe in der Hand hatte.“ Sie seufzte tief, ehe sie weitersprach. „Jonah...klingt nach einem Ausländer. Vielleicht Amerika oder England. Ich werde mich mit den dortigen Behörden kurzschließen.“ Die Leiterin der Polizeiwache trat auf Akira zu und packte ihn kurz an der Schulter. „Was immer Sie gesagt haben, es hat gewirkt. Versuchen Sie, mehr aus diesem Jungen herauszubekommen. Ich möchte, dass Sie ihn so bald wie möglich wieder besuchen.“ „Verstanden. In drei Tagen habe ich nicht so lange Dienst. Dann werde ich noch einmal bei ihm vorbeischauen.“ „Kommen Sie vorher noch einmal bei mir vorbei. Vielleicht habe ich dann bereits Informationen, was Jonahs Herkunftsland angeht. Eine Vermisstenanzeige oder so etwas.“ Akira nickte und erhob sich. „Dann bis morgen, Minami-san.“ „Bis morgen.“ Der Braunhaarige verließ das Büro seiner Chefin und kehrte nach Hause zurück. Dort wollte er eigentlich etwas fernsehen, doch die Ereignisse der letzten Tage geisterten ihm zu sehr im Kopf herum. Vielleicht sollte er etwas spazieren gehen. Während er im Park umherwanderte, schaffte er es, den Kopf etwas frei zu bekommen. Er lehnte sich an den Stamm eines Baumes, der auf der weitläufigen Grünfläche stand und ließ sich von der Sonne wärmen. Darüber nickte er ein und wachte erst wieder auf, als er eine Stimme hörte, die mit ihm zu reden schien. „Na so etwas. Hallo, Akira. Bei so einem Wetter solltest du aber nicht draußen schlafen.“ Der Polizist öffnete die Augen und blinzelte einige Male, um die Müdigkeit loszuwerden. „Nishiko. Schon Feierabend?“ „Ja, seit etwa einer halben Stunde.“ „Dann ist es ja schon fast sechs Uhr. Kein Wunder, dass ich müde bin.“ „Du hast doch eben erst geschlafen.“ antwortete Nishiko schmunzelnd und hielt ihm die Hand hin. Akira ergriff sie und stand auf. „Und wo willst du jetzt noch hin?“ fragte er dann und ließ seinen Kollegen wieder los. „Morgen kommt doch meine Tochter mit meiner Enkelin. Und natürlich ist meiner Frau jetzt noch eingefallen, was ihr alles fehlt.“ „Oh Mann, du tust mir leid.“ „Hör sofort auf, so dreckig zu grinsen.“ „Du schaffst das schon. Wir sehen uns dann morgen.“ „Ja, bis dann.“ Doch als der Braunhaarige endlich in seinem Bett lag, konnte er keinen Schlaf finden. Mit der Dunkelheit kehrten alle Bilder zurück, die er zuvor erfolgreich verdrängt hatte. Als die Sonne wieder aufging, hatte er kein bisschen geschlafen. Übermüdet schlurfte er unter die Dusche und schaute danach in den Kühlschrank. Ein schnelles Frühstück später war er unterwegs zur Arbeit. Dort verlief sein Tag dankenswerterweise friedlich, ebenso wie das Wochenende. Als er am Sonntag Feierabend hatte, ging er wie besprochen zu seiner Chefin. Diese erklärte ihm, dass sie bisher noch keinen Erfolg hatte, aber weiter dranbleiben würde. Akira verließ die Wache und fuhr zum Krankenhaus. Vor Zimmer 112 standen nun zwei andere Kollegen von ihm. „Hallo. Ist der Arzt gerade drin?“ „Nein, nur jemand vom Reinigungspersonal.“ Der Braunhaarige nickte und öffnete die Tür, ohne anzuklopfen. Was er sah, ließ ihn wie angewurzelt stehenbleiben. Jonah lag in seinem Bett. Über ihm stand ein Mann, der dem Patienten gerade ein Kissen auf das Gesicht drückte. Jonah regte sich nicht. War er bewusstlos oder etwa schon…? Akira handelte rein instinktiv, stürmte auf den fremden Mann zu und gab ihm einen so heftigen Stoß, dass dieser gegen die Wand prallte. Nun zog der Unbekannte eine Waffe, doch der Braunhaarige tat dasselbe. Auch die beiden Kollegen, die gerade in das Zimmer kamen, hielten ihre Pistolen auf den Eindringling gerichtet. „Ergeben Sie sich.“ verlangte Akira ruhig. „Hier kommen Sie sowieso nicht mehr raus.“ Das schien auch der Mann zu begreifen, denn er legte seine Waffe auf dem Nachttisch ab und ließ es widerstandslos zu, dass ihm Handschellen angelegt wurden. „Bringt ihn zur Wache.“ wies der Braunhaarige seine Kollegen an. „Ich bleibe hier, bis eure Ablösung da ist.“ „In Ordnung. Was ist mit ihm?“ fragte einer der Polizisten und wies auf Jonah. „Darum werde ich mich kümmern.“ Die beiden gingen, den Attentäter in der Mitte, hinaus und Akira zog dem jungen Mann das Kissen vom Gesicht. Jonah blickte ihn emotionslos an, während Tränen begannen, seine Wangen hinabzufließen. Zuerst war der Braunhaarige verwirrt, doch dann verstand er, warum Jonah weinte und er fröstelte. Ihm wurde klar, dass der andere so reagierte, weil er nicht gestorben war. „Jonah?“ fragte er behutsam. Nichts. Der andere schien ihn überhaupt nicht wahrzunehmen. Akira zögerte, dann legte er Jonah die Hand auf die Schulter. Die Reaktion darauf kam sofort und völlig überraschend. Der Blondschopf hörte schlagartig auf zu weinen, seine Augen weiteten sich, er hob abwehrend die Arme vor sein Gesicht und rollte sich zu einer Kugel zusammen. Er schien mit Gewalt zu rechnen. Leises Wimmern kam aus seinem Mund. Hastig zog Akira seine Hand zurück und betätigte den Knopf, der die Schwestern rufen würde. Jonah wimmerte immer noch und begann nun auch noch, vor und zurück zu wippen, was das Bett mit protestierendem Knarren quittierte. Als wenig später nicht nur eine Schwester, sondern auch der behandelnde Arzt hereinkamen, verließ der Braunhaarige das Zimmer. Dort wartete er ungeduldig, bis die beiden ebenfalls wieder aus dem Raum traten. Der Doktor wirkte besorgt, aber auch ärgerlich. „Er hatte einen Panikanfall. Ich habe ihm ein Beruhigungsmittel gegeben. Er schläft jetzt.“ informierte er Akira, ehe dieser den Mund aufmachen konnte. „Haben Sie irgendetwas mit ihm gemacht, während Sie bei ihm waren?“ Der Braunhaarige seufzte, dann berichtete er dem Arzt alles, was geschehen war. Danach schien der Mann etwas milder gestimmt. „Ich verstehe. Nun, dank Ihnen ist der Junge noch am Leben. Dennoch muss ich Sie warnen: Sollten Sie noch einmal einen Anfall bei ihm auslösen, werde ich dafür sorgen, dass Sie dauerhaft des Hauses verwiesen werden.“ „Verstanden.“ antwortete Akira etwas kleinlaut. Die Schwester und der Doktor verschwanden und zwei Polizisten kamen den Flur entlang. Es handelte sich um Sakai-san und seinen Kollegen Isamu. „Ach, hallo, Akira-kun.“ „Hallo, Sakai-san. Isamu-san.“ „Naoto.“ verbesserte der Rothaarige und drehte das Gesicht zur Tür. „Ist er da drin?“ „Ja. Er schläft gerade.“ Unbeeindruckt öffnete Sakai-san leise die Tür, steckte kurz den Kopf hinein und schloss die Tür dann wieder. „Er ist echt niedlich.“ Sakai-san lächelte kurz, dann wurde er ernst. „Du sollst zurück zur Wache. Minami-chan hat Informationen für dich.“ „Du nennst sie wirklich immer noch Minami-chan? Wenn sie das jemals herausfindet, schlachtet sie dich.“ kam es von Isamu, der das Gespräch bisher stumm mit angehört hatte. „Das wäre es wert.“ „Heißt das, sie hat etwas über Jonah herausgefunden?“ fragte Akira aufgeregt. „Ist das sein Name? Interessant.“ „Ich mache mich besser gleich auf den Weg. Ich muss sowieso mit ihr reden. Jonah muss in das Zeugenschutzprogramm. So schnell wie möglich.“ Kapitel 5: Endlich Fortschritte ------------------------------- Die Leiterin der Polizeiwache wirke leicht erschöpft, aber auch zufrieden, als Akira ihr Büro betrat. „Ah, Ito-san. Bitte, setzen Sie sich.“ Der Braunhaarige gehorchte und Minami-san begann, auf ihrem Schreibtisch nach etwas zu suchen. „Wie ich gehört habe, haben Sie heute unserem Zeugen das Leben gerettet.“ „Oh...ja, scheint wohl so.“ Kurz erklärte Akira, was im Krankenhaus passiert war. „Verstehe...nun, anscheinend sind Jonahs Informationen unheimlich wertvoll.“ „Darf ich meine Meinung dazu sagen?“ „Natürlich.“ „Ich denke, es ist von größter Dringlichkeit, dass Jonah in das Zeugenschutzprogramm und aus dem Krankenhaus kommt. Momentan können wir ihn offenbar nicht gut genug beschützen. Und das nächste Mal ist vielleicht niemand da, um Jonah zu retten.“ „Da könnten Sie Recht haben. Allerdings muss ich das zuerst mit der Krankenhausleitung absprechen. Vielleicht kann sich auch ein Hausarzt um Jonah kümmern. Aber zunächst einmal...hier, das sollten Sie lesen.“ Minami-san hielt dem Braunhaarigen einen Zettel hin. Er griff danach und sah, dass es eine Vermisstenanzeige war. „Wir vermissen unseren Enkel Jonah Graves. Zuletzt wurde er gesehen, als er einen Freund besuchen wollte. Jonah hat hellblonde Haare, ein braunes und ein grünes Auge, ist dreizehn Jahre alt und von schlanker und zierlicher Statur. Am Tag seines Verschwindens trug er ein dunkelblaues T-Shirt, eine dunkle Jeans und schwarze Schuhe. Falls Sie Jonah gesehen haben oder wissen, wo er sich aufhält, melden Sie sich bitte unter folgender Nummer...“ Akira blickte auf. „Wo haben Sie das gefunden?“ fragte er. „In unserem Archiv. Offenbar hat Jonah bei seinen Großeltern gelebt. Und diese wiederum waren Japaner. Sehen Sie sich mal das Datum an.“ Der Polizist tat es und ein Schaudern erfasste ihn. „Die Anzeige ist...vor acht Jahren aufgegeben worden.“ Nun sah er seiner Chefin direkt in die Augen. „Haben Sie unter der Nummer jemanden erreicht?“ „Nein.“ gab sie die Antwort, die Akira halb erwartet hatte. „Seine Großeltern sind tot. Sein Großvater starb vor zweieinhalb Jahren an einem Herzanfall und seine Großmutter ist vor einem Monat friedlich im Schlaf verstorben.“ „Erst vor einem Monat...“ wiederholte Akira erschüttert. „Seine Eltern hat er wohl bereits mit neun Jahren verloren. Autounfall. Jonah selber hat wie durch ein Wunder überlebt.“ „Heißt das, er ist jetzt ganz alleine?“ Minami-san seufzte traurig. „Ja. Seine Eltern waren Einzelkinder und Jonah hatte ebenfalls keine Geschwister.“ Eine Pause entstand, in der beide ihren Gedanken nachhingen. „Ich werde ihn übermorgen noch einmal besuchen.“ sagte der Braunhaarige entschieden. „Tun Sie das. Aber...sagen Sie ihm noch nichts über seine Großeltern.“ „Selbstverständlich nicht.“ „Ich werde versuchen, noch mehr herauszufinden und mich auch um Jonahs Schutz kümmern. Bitte kommen Sie in zwei Stunden noch einmal in mein Büro.“ „In Ordnung. Dann bis später, Minami-san.“ „Bis dann.“ Nachdenklich verließ Akira das Büro und trat an den Kaffeeautomaten heran. Er brauchte erst einmal etwas Ruhe, um alles überdenken zu können. Leider führten seine Überlegungen ihn nur zu heftigen Kopfschmerzen. Gefrustet gab er auf, ging in sein eigenes Büro und schrieb seinen Bericht weiter. Mit den Informationen, die er von Minami-san bekommen hatte, konnte er auf jeden Fall arbeiten. Nur gab es da etwas, woran seine Chefin nicht gedacht hatte und was Akira selbst erst seit kurzem beschäftigte. Selbst wenn Jonah später als Kronzeuge aussagen würde, hätten weder er noch jemand von der Polizei irgendwelche handfesten Beweise. Dann würde es Aussage gegen Aussage stehen oder, wie man so schön sagte: >Im Zweifel für den Angeklagten<. Er warf einen Blick auf die Uhr. Noch fünfzehn Minuten, bis er wieder im Büro seiner Chefin sein musste. Leise seufzend fuhr er sich mit der Hand durch die Haare. Er musste es unbedingt schaffen, Jonahs Vertrauen zu erlangen. Dieser Fall war ohne Zweifel der verzwickteste und fordernste, den er bisher bekommen hatte. Ein 21-jähriger Mann, der mit dreizehn entführt und acht Jahre lang in einem Bordell gefangen gehalten wurde, um dort mit den abartigsten Dingen konfrontiert zu werden...Nein, das war garantiert auch den erfahrensten Kollegen noch nicht untergekommen. Noch einmal seufzte der Braunhaarige, dann stand er auf und machte sich auf den Weg zu Minami-san. Diese war offenbar noch am Telefonieren, denn er konnte ihre Stimme durch die Tür hören. „Schön, ganz wie Sie wünschen. Ja, natürlich soll der Junge sämtliche Unterstützung bekommen, die wir ihm geben können. Gut, dann machen wir es so. Auf Wiederhören.“ Akira klopfte und betrat den Raum. Minami-san saß auf ihrem Stuhl und war wieder einmal damit beschäftigt, ihre Haare zu malträtieren. „Ich bin mir fast sicher, dass man davon schneller Haarausfall bekommt.“ meinte Akira lächelnd. Die Leiterin der Polizeiwache schreckte hoch und wirkte kurz durcheinander, ehe sie das Lächeln erwiderte. „Wenn es tatsächlich so wäre, würde ich schon mit Halbglatze herumlaufen.“ Dann wurde sie wieder ernst. „Ich habe gerade mit dem Krankenhaus gesprochen. Besser gesagt mit dem Arzt, der für Mr. Graves zuständig ist.“ Der Polizist setzte sich ihr gegenüber. „Und, was hat er gesagt?“ „Zuerst war er überhaupt nicht begeistert, dass Jonah aus dem Krankenhaus raus soll. Um ehrlich zu sein, hat er mich als unverantwortlich bezeichnet. Wir sind schließlich übereingekommen, dass er sich um Jonah kümmert. Seinen Worten nach hat er sowieso genügend Überstunden angesammelt, um mindestens zweimal die Woche nach Mr. Graves sehen zu können.“ „Ist das nicht ziemlich risikoreich, Minami-san?“ warf Akira ein. „Was, wenn er Jonahs neuen Aufenthaltsort versehentlich an Dritte weitergibt?“ „So schätze ich ihn nicht ein. Aber sagen Sie es mir. Sie kennen den Mann ja ebenfalls. Glauben Sie, er wird Jonah verraten?“ Ein Satz des Arztes hallte im Kopf des Braunhaarigen. `Sollten Sie noch einmal einen Anfall bei ihm auslösen, werde ich dafür sorgen, dass Sie dauerhaft des Hauses verwiesen werden...´ „Nein. Ihm schien Jonahs Wohlergehen wirklich am Herzen zu liegen.“ „Gut, dann ist es entschieden. Sobald ich eine geeignete Unterkunft gefunden habe, gebe ich Ihnen Bescheid. Verbringen Sie so viel Zeit mit ihm wie möglich.“ „Verstanden. Allerdings gibt es da noch eine Sache...“ Akira berichtete seiner Chefin von seinen Überlegungen. Danach schien sie sehr nachdenklich. „Natürlich...wie konnte mir etwas so Wichtiges entfallen? Warten Sie...ich müsste noch welche hier rumliegen haben...“ Verwirrt beobachtete der Braunhaarige, wie sie hektisch etwas suchte. „Ah, da ist es ja. Hier, nehmen Sie das.“ Akira streckte die Hand aus und Minami-san ließ zwei kleine, schwarze Dinge hineinfallen. „Eine Wanze und eine Minikamera?“ fragte der Polizist. „Richtig. Ich möchte, dass Sie sie immer tragen, wenn Sie mit Mr. Graves sprechen.“ „Ist das nicht ein ziemlicher Einschnitt in die Privatsphäre?“ „Nicht in diesem Fall. Ich werde mir auch noch eine Sondergenehmigung vom Polizeipräsidenten holen.“ Behutsam befestigte Akira die Dinge an seiner Uniform und Minami tippte etwas in Ihren Computer ein. „Gut, ich habe ein Bild.“ sagte sie, wobei Ihre Worte sich seltsam befremdlich anhörten, da sie nun auch aus dem Computer drangen. „Scheint alles zu funktionieren. Ich schreibe Ihnen noch meine Handynummer auf. Ich möchte, dass Sie mich per SMS unterrichten, ehe Sie sich mit Jonah unterhalten.“ „Sehr wohl.“ erwiderte der Braunhaarige, ehe er die beiden Geräte ausschaltete. Ihm war nicht sehr wohl bei der Sache. Zu versuchen, Jonahs Vertrauen zu gewinnen, war das eine, aber ihn auszuspionieren… Nun, anscheinend hatte er keine andere Wahl. Vor Gericht würde es nichts bringen, wenn Jonah einfach irgendwelche Leute der Vergewaltigung, Körperverletzung und Freiheitsberaubung bezichtigte, ohne irgendeinen Beweis zu haben. Dieser Gedanke besserte seine Laune etwas und er schaffte es, sein schlechtes Gewissen zurückzudrängen. Das war schließlich nicht seine Idee gewesen. Und es war ja auch in Jonahs Interesse, wenn seine Peiniger das bekamen, was sie verdienten. Sich selbst beruhigend, trat Akira in den sonnigen Nachmittag. Er würde ja sehen, was sein nächster Besuch bei Jonah bringen würde. Kapitel 6: Traurige Wahrheit ---------------------------- „Akira, du tust es schon wieder.“ Nishikos sanfter Spott riss den Braunhaarigen aus seinen Träumereien. „Was tue ich?“ fragte er zurück, ohne seinen Kollegen anzusehen. „Du starrst. Pass auf, dass du nicht zu sabbern anfängst.“ „Ha-ha.“ gab der Braunhaarige trocken zurück, ehe er mit aller Willensstärke, die er aufbringen konnte, die Augen von Sakai-san löste. Der Rothaarige saß in seinem Büro am Schreibtisch, augenscheinlich völlig damit beschäftigt, einen Bericht zu Ende zu bringen. „Ist es etwa meine Schuld, wenn Naoto-san da sitzt wie auf einem Präsentierteller? Gib der Person die Schuld, die das Fenster ausgerechnet so platziert hat, dass man in das Büro sehen kann.“ Nishiko trat neben den Braunhaarigen und schnipste ihm gegen die Stirn. „Hey!“ beschwerte Akira sich und rieb sich kurz die Stelle, wo der andere ihn getroffen hatte. „Hör auf zu träumen und lass uns lieber etwas essen.“ „Jawohl...“ Schweren Herzens folgte Akira seinem Kollegen in die kleine, aber helle Kantine und suchte sich etwas zum Essen heraus. Nachdem er sich mit Nishiko an einen freien Tisch gesetzt hatte, musterte dieser ihn halb ernst, halb besorgt. „Ehrlich, es wäre besser für dich, wenn du dir Sakai-san aus dem Kopf schlägst. Du machst dich doch nur selber unglücklich, wenn du ihn weiterhin so anhimmelst.“ „Ich weiß, ich weiß. Aber es ist halt nicht so einfach für mich, meine Gefühle zu ihm zu ändern.“ „Sag mal, Akira...weiß Sakai-san eigentlich, dass du in ihn verliebt bist?“ „Natürlich nicht. Er weiß ja nicht einmal, dass ich schwul bin.“ Der Braunhaarige seufzte schwer. „Mir ist klar, dass sich etwas ändern muss. Und auch, dass ich mich wahrscheinlich wie ein zwölfjähriges Mädchen aufführe. Aber ich werde versuchen, mich zu bessern.“ „Braver Junge. Und jetzt erzähl mir von deinem Fall. Hast du etwas Neues herausgefunden?“ Während der Polizist von allem berichtete, hörte Nishiko aufmerksam zu. „Da hast du dir ja was aufgehalst. Hoffentlich bringt es auch etwas.“ „Ja, das hoffe ich auch. Jonah wird wahrscheinlich in drei Tagen in seine neue Unterkunft verbracht. Jedenfalls hat Minami-san das vorhin gesagt. Vielleicht bekomme ich mehr aus ihm heraus, wenn er nicht mehr von Ärzten und anderen Polizisten belagert wird.“ „Na, dann viel Glück. Ich muss leider wieder los. Du bist wahrscheinlich gleich im Krankenhaus, richtig?“ „Ja. Ich halte dich auf dem Laufenden.“ Nishiko verließ die Kantine und Akira folgte kurz darauf, nachdem er ihre Tabletts weggeräumt hatte. Während er in Richtung Krankenhaus fuhr, überlegte er, was er zu Jonah sagen sollte. Ob dieser wohl wieder nicht reagieren würde? Der Braunhaarige befürchtete es. Seufzend parkte er in der Nähe des Gebäudes und schrieb wie verabredet eine kurze Nachricht an seine Chefin. Als er vor Jonahs Zimmer stand, schaltete er die kleine Kamera und die Wanze ein, ehe er seinen Kollegen kurz zunickte und dann das Zimmer betrat. Der junge Mann saß in seinem Bett und las in dem Buch, das Akira ihm das letzte Mal geschenkt hatte. Als er den Polizisten bemerkte, hörte er auf zu lesen und blickte ausdruckslos zu ihm. „Hallo, Jonah. Erinnerst du dich an mich?“ Jonah nickte knapp, sagte aber nichts. „Gefällt dir das Buch?“ Wieder ein Nicken. „Das freut mich. Hör mal, ich möchte dir einige Fragen stellen. Du brauchst nicht mit mir reden. Es reicht, wenn du nickst oder den Kopf schüttelst. Ist das in Ordnung für dich?“ Jonah nickte und zum ersten Mal erschien eine Emotion in seinen so unterschiedlichen Augen. Ein vages Interesse tauchte in ihnen auf. Akira setzte sich neben das Bett und räusperte sich kurz. „Also dann: Dein Name ist Jonah Graves und du bist jetzt 21 Jahre alt, richtig?“ Ein Nicken und der Braunhaarige atmete innerlich auf. Immerhin hatte Minami-san die richtige Vermisstenanzeige gefunden. „Geboren bist du in Amerika. Du hast mit neun deine Eltern durch einen Autounfall verloren und lebst seitdem bei deinen Großeltern hier in Japan.“ Jonah wirkte, als wollte er etwas sagen, doch dann nickte er nur wieder. „Du warst dreizehn, als du entführt wurdest. Eigentlich wolltest du einen Freund besuchen.“ Das Interesse verschwand aus Jonahs Blick und die Leere kehrte in seine Augen zurück. Trotzdem bestätigte er Akiras Worte. „Gut, das war alles. Vielen Dank, Jonah. Du hast mir sehr weitergeholfen. Übrigens wirst du in drei Tagen in eine neue Unterkunft kommen. Hier ist es ja ganz offensichtlich zu unsicher für dich.“ Akira beobachtete Jonah und wartete kurz auf irgendeine Reaktion. Doch er wurde enttäuscht. Also begann er wieder, dem anderen Geschichten aus seiner Jugendzeit zu erzählen. Allerdings spürte er tief in seinem Inneren, dass seine Versuche, den anderen zum Sprechen zu bringen, wohl bald erschöpft sein würden. Ob man ihm den Fall wohl wieder entziehen würde, wenn er bei dem jungen Mann weiterhin auf Granit biss? Daran wollte Akira lieber nicht denken. Nach drei Stunden gab er auf. Heute würde er wohl wieder keinen Erfolg haben. Etwas frustriert erhob er sich. „Also dann, ich muss los. Bis zum nächsten Mal.“ Doch ehe er einen Schritt machen konnte, packte Jonah ihn am Handgelenk. „Warte...“ Überrascht sah der Braunhaarige zu dem anderen, der seinen Blick eindringlich erwiderte. „Sie sind tot, oder?“ „Wer?“ „Meine Großeltern.“ Jonahs Griff wurde fester und ein leichter Schmerz breitete sich in Akiras Hand aus. „Habe ich Recht?“ Sofort fielen Akira Minami-sans Worte ein. `Sagen Sie ihm noch nichts über seine Großeltern...´ Was sollte er tun? Er konnte den anderen doch nicht anlügen. Jonah schien sein nachdenkliches Schweigen richtig zu deuten, denn er ließ den Braunhaarigen los und senkte den Blick. „Das hätte ich mir eigentlich denken können. Wären sie noch am Leben, würden sie jetzt hier sein...“ „Es tut mir sehr leid.“ murmelte Akira. Jonah antwortete nicht, doch der Polizist konnte deutlich sehen, dass der Körper des jungen Mannes zu beben begonnen hatte. Akira wusste, dass es Zeit war, zu gehen. Er wollte Jonah nicht beim Trauern stören. Leise verließ er den Raum und seufzte draußen leise auf. So hatte er sich sein erstes richtiges Gespräch mit dem anderen nicht vorgestellt. „Ist alles in Ordnung, Ito-san?“ hörte er einen seiner Kollegen fragen. „Ich habe den Armen zum Weinen gebracht, also nein. Eher nicht.“ Der Braunhaarige schaltete die Kamera und das Abhörgerät aus. „Ich brauche erst einmal was zu trinken. Man sieht sich.“ „Schönen Feierabend.“ Akira verließ das Krankenhaus und fuhr zu seiner Lieblingskneipe. Er brauchte jetzt dringend etwas, um den Kopf frei zu kriegen. Und das >Sangria< war dafür noch am ehesten geeignet. Es war ein kleines, gemütliches Lokal, das von Pablo, einem sehr freundlichen Mann aus Spanien geleitet wurde. Der Braunhaarige mochte Pablo. Der Spanier schien immer gut drauf zu sein und behandelte alle Gäste wie seine Freunde. Kaum war Akira in die Kneipe getreten, wurde er von einem strahlenden Lächeln begrüßt. Pablo war groß, aber auch sehr füllig. Seine braune Hautfarbe bildete einen ziemlichen Kontrast zu seinen perlweißen Zähnen und den schwarzen Haaren, die langsam einer Glatze wichen. „Akira. Wie schön, dich zu sehen, Amigo.“ „Hey, Pablo. Wie läuft das Geschäft?“ „Wunderbar, wunderbar. Aber ihr Japaner seid wirklich viel zu steif. Einer meiner letzten Gäste schien von meiner Offenherzigkeit geradezu abgeschreckt zu sein.“ erwiderte der Mann in flüssigem Japanisch, dem nur ein leichter spanischer Akzent anhaftete. „Du wolltest den Gast aber nicht umarmen, oder?“ „Por Dios, nein! Die arme Frau hätte sicher einen Herzanfall bekommen. Wie geht es dir? Bist du immer noch damit beschäftigt, die bösen Jungs zu verhaften?“ „Momentan nicht. Ich habe einen besonderen Fall bekommen. Kann ich ein Bier haben?“ „Natürlich, Amigo. Und warum hast du dir immer noch keinen Amante angelacht? Ich sage dir, du wirst irgendwann noch mit fünf Katzen leben und einsam und alleine sterben.“ „Katzen wären aber nicht so anstrengend wie ein Kerl, nicht wahr?“ lachte der Braunhaarige, der seine gedrückte Stimmung vergessen hatte. „Du bist wirklich eine Somnifero, Akira.“ „He! Ich weiß zwar nicht, was das heißt, aber es war sicher nichts Nettes.“ Pablo grinste nur. „Wer weiß, wer weiß.“ sagte er nur. Der Polizist musste lachen und blieb noch lange in der Kneipe. Wenigstens für eine Weile wollte er seinen Fall vergessen und mal ein wenig Spaß haben. Es würde bestimmt für lange Zeit sein letzter fröhlicher Moment sein... Kapitel 7: Ein guter Rat ------------------------ Leise stöhnend hielt Akira einen Beutel mit Eis an seine Stirn. Vielleicht hätte er gestern nicht ganz so viel trinken sollen. Und natürlich war in der Wache ein Kollege krank geworden und der Braunhaarige hatte einspringen müssen, obwohl heute sein freier Tag war. „Hat da jemand übertrieben?“ fragte eine amüsierte Stimme und er blickte zu Isamu-san hoch, der ihm ein Glas Wasser und eine Tablette hinhielt. „Musst du so laut sein?“ fragte Akira säuerlich.“Nimm die Aspirin, dann geht es dir besser.“ erwiderte der andere, ohne sich im Geringsten von der schlechten Stimmung seines Kollegen stören zu lassen. „Danke.“ sagte der Braunhaarige leicht sarkastisch, ehe er die Tablette einwarf und sie mit dem Wasser hinunterspülte. Kurz darauf verschwanden die dröhnenden Kopfschmerzen und Akira legte den Eisbeutel weg. „Viel besser. Bist du ganz alleine? Wo ist denn Naoto-san?“ „Zum Geburtsvorbereitungskurs. Er könnte mir fast leid tun, wenn ich es nicht so komisch finden würde. Danach wollte er mit seiner Verlobten noch zum Frauenarzt. Offenbar werden die beiden endlich erfahren, welches Geschlecht das Kind haben wird.“ „Ach so...“ „Ist alles in Ordnung? Du wirkst auf einmal so bedrückt.“ „Ja, alles gut.“ wiegelte Akira hastig ab und stand so überstürzt auf, dass er fast den Tisch, an dem er saß, umgeworfen hätte. „Ich sollte jetzt lieber gehen. Ich muss Minami-san noch berichten, was gestern im Krankenhaus passiert ist.“ Eilig wollte er sich entfernen, doch Isamu-san packte ihn am Oberarm und hielt ihn zurück. „Ito-san, was ist los? Ich habe bisher immer gedacht, du wärst einfach ein ruhiger und zurückgezogener Mensch, aber wir kennen uns inzwischen seit zwei Jahren. Ich dachte, wir würden einander vertrauen. Schließlich kann es ja auch passieren, dass wir mal zusammen arbeiten müssen. Du musst dir keine Sorgen machen, ich werde alles, was du mir sagst, für mich behalten, wenn du das willst. Ich möchte nur, dass du anfängst, mich als Freund zu sehen. Du scheinst nämlich echt in Ordnung zu sein und ich würde dich gerne näher kennenlernen. Also, gibt es etwas, worüber du reden willst?“ Lange blieb es still zwischen den beiden Polizisten, während Akira nach einem Zeichen der Unehrlichkeit im Gesicht des anderen suchte. „Und du wirst es wirklich niemandem sagen? Auch nicht...Naoto-san?“ „Nicht mal ihm.“ versprach Isamu-san mit ernster Miene. Akira atmete tief durch, ehe er sich anspannte und seinem Kollegen direkt in die Augen sah. „Ich...ich bin schwul.“ gestand er dann mit leicht zitternder Stimme. Eine Sekunde lang wirkte Isamu-san überrascht, dann zuckte er mit den Achseln. „Mein Bruder auch. Und weiter?“ „Und...ich bin in Naoto-san verliebt, seit ich ihn das erste Mal gesehen habe. Ich weiß nicht, ob du dich an die Neulingsfeier erinnerst, aber…“ „Moment, Moment.“ unterbrach der andere ihn, der nun äußerst überrascht wirkte. „Meinst du die vor zwei Jahren?“ Zögerlich und mit hochroten Wangen nickte Akira. „Und Naoto hat keine Ahnung?“ „Bist du verrückt geworden? Natürlich nicht. Ich meine, er ist verlobt und wird bald Vater!“ „Ach du Scheiße.“ fluchte Isamu-san fast ehrfürchtig. „Gut, ich hatte mir so etwas schon fast gedacht, aber...verdammt, Naoto denkt, dass du ihn nur anziehend findest. Das du so tiefe Gefühle für ihn hast...“ Er brach ab und schüttelte mehrmals den Kopf. „Fuck. Was hast du denn jetzt vor?“ „Dasselbe, was ich schon die ganze Zeit tue: ihn weiterhin aus der Ferne anschmachten und darauf warten, dass er endlich heiratet, damit ich ihn aus dem Kopf kriege. Ich meine, wenn er erst einen Ehering trägt, ist er sowieso tabu.“ Akira lächelte gequält und blickte seinen Kollegen mit immer noch geröteten Wangen an. „Ziemlich erbärmlich, oder? Ich meine, es laufen bestimmt tausende süße Typen da draußen rum, die auch schwul sind, aber ich muss mich natürlich in den einzigen Hetero verlieben, nur weil er heiß aussieht.“ „Erbärmlich würde ich jetzt nicht sagen. Höchstens oberflächlich. Ich meine, was weißt du denn sonst so über ihn? Hast du irgendeinen Plan, wie er gefühlsmäßig ist?“ „Nicht wirklich.“ „Aber ich schon. Glaub mir, er liebt seine Verlobte über alles und platzt jetzt schon vor Stolz darüber, dass er bald Vater wird. Das ist ein Kampf gegen Windmühlen, Akira.“ „Ja, das hat Nishiko mir auch schon gesagt. Aber ich kann es nun einmal nicht ändern.“ „Ich mache dir einen Vorschlag. Wenn wir mal zusammen frei haben, können wir Naoto ja mal besuchen. Wenn du ihn erst einmal in der Gegenwart seiner Verlobten gesehen hast, wirst du auch wollen, dass die beiden zusammen glücklich werden. Und du willst doch, dass er glücklich ist, oder?“ „Ja, natürlich.“ erwiderte der Braunhaarige leicht geknickt. Isamu-san gab ihm einen Klaps auf die Schulter und lächelte dann herzlich. „Das wird schon. Oh, und falls er dich ärgern sollte, sag mir Bescheid. Ich bin es inzwischen gewohnt, ihm die Meinung zu geigen.“ Dann kicherte er kurz auf. „Ich würde dich ja glatt mit meinem Bruder verkuppeln, aber der ist ein richtiger Casanova und dermaßen versaut, dass du vor Verlegenheit wahrscheinlich im Boden versinken würdest.“ Akira lachte kurz auf, ehe er wieder ernst wurde. „Danke, Isamu-san.“ „Kein Problem. Gib mir einfach Bescheid, wann du das nächste Mal frei hast. Ich werde Minami-san dann bitten, mir an dem Tag auch frei zu geben.“ „Nicht nötig.“ erklang die Stimme der Leiterin der Polizeiwache von der Tür her und beide Polizisten zuckten zusammen. Ihre Chefin stand in der Tür zu Akiras Büro, ein sanftes Lächeln im Gesicht. „Das lässt sich ohne Probleme einrichten. Ach, und Ito-san...falls Sakai-san Sie wirklich in irgendeiner Weise verletzen sollte und ich bekomme das mit, darf er bis zu seiner Hochzeit Akten sortieren.“ Am liebsten wäre der Braunhaarige jetzt schon im Boden versunken. „Sie haben alles mitbekommen, richtig?“ fragte er schließlich mit krächzender Stimme. „Es tut mir leid. Ich hatte geklopft, aber Sie haben mich wohl nicht gehört. Ich wollte Sie eigentlich nur bitten, zu mir ins Büro zu kommen, damit wir uns Ihrem Fall widmen können.“ „Ja...richtig...ich komme.“ murmelte Akira leise und Isamu-san schenkte ihm noch einen mitleidigen Blick, ehe der Braunhaarige Minami-san in ihr Büro folgte und sich dort vor dem Schreibtisch niederließ. „Also...in zwei Tagen wird Mr. Graves in seine neue Unterkunft gebracht.“ sagte seine Chefin, kaum dass sich die Tür hinter den beiden geschlossen hatte. „Ich möchte, dass Sie dabei sind. Das bedeutet allerdings auch, dass Sie niemandem etwas über den Fall sagen werden, wenn ich es nicht vorher genehmige. Dazu ist diese Sache zu wichtig.“ „Natürlich. Ich hoffe nur, dass ich jetzt noch Fortschritte mit Jonah machen werde, nach dem, was das letzte Mal passiert ist.“ Minami-san seufzte kurz auf und pustete nachdenklich gegen ihren Pony. „Tja, ich muss gestehen, dass es mich auch überrascht hat, dass Mr. Graves die Sachlage so schnell erkannt hat. Aber ich denke, er wird sich wieder einigermaßen beruhigt haben, wenn Sie ihn das nächste Mal besuchen.“ Erneut huschte ein Lächeln über ihre Züge. „Und Sie hatten wirklich einmal Angst vor Kaninchen?“ Wieder einmal wurde der Braunhaarige knallrot. Als er die Geschichten aus seiner Jugend erzählt hatte, war ihm völlig entfallen, dass Minami-san ja auch mitgehört hatte. „Ich weiß, die meisten finden sie süß. Aber mir waren sie damals einfach nur unheimlich. Inzwischen ist diese Angst aber vollkommen verschwunden.“ „Ich habe eine schreckliche Angst vor Hunden.“ gestand die Leiterin der Polizeiwache todernst. „Dabei ist es egal, ob sie groß oder klein sind. Meine Nachbarin hatte einmal einen Welpen. Als sie mir das Tier gezeigt hat und wollte, dass ich es einmal streichele, bin ich weinend und schreiend zu meiner Mutter gerannt. Selbst heute noch werde ich panisch, sobald ich Hunde sehe.“ Überrascht blickte Akira Minami-san an, Diese grinste und deutete auf ihren Computer. „Sie waren einverstanden, Ihre Gespräche mit Jonah aufzuzeichnen. Wenn ich dabei etwas so Persönliches erfahre, ist es nur gerecht, wenn ich dafür etwas zurückgebe, nicht wahr?“ „Vielleicht...aber das hätten Sie mir nicht anvertrauen müssen. Und mit den Geschichten bin ich ja eh nicht weitergekommen.“ „Ich gebe Ihnen einen Rat.“ meinte seine Chefin, die wie er wieder ernst geworden war. „Wenn Sie wirklich Mr. Graves Vertrauen gewinnen wollen, unternehmen Sie etwas mit ihm.“ „Aber...draußen wäre er nur in Gefahr.“ „Nicht, wenn Sie ihn verkleiden. Eine Perücke, Kontaktlinsen und schon wird niemand ihn wiedererkennen. Es ist aber nun einmal so, dass wir ihn nicht die ganze Zeit drinnen einsperren können. Und Ihnen fällt bestimmt etwas ein, Ito-san.“ Der Braunhaarige nickte. Der Rat war eigentlich nicht schlecht. Vielleicht würde es sogar klappen. Kapitel 8: Annäherung --------------------- „Ich bin mir nicht sicher, ob das so eine gute Idee ist.“ Die Stimme des Arztes wirkte zweifelnd. „Jonahs Zustand ist immer noch sehr bedenklich. Das, was er durchmachen musste, hat seinen Geist schwer beschädigt und es kann gut sein, dass er in einer Menschenmenge einen erneuten Panikanfall bekommt.“ „Das verstehe ich, aber wir können ihn doch nicht ewig hier drinnen lassen.“ antwortete Akira leise und warf einen Blick auf die geschlossene Tür, die in Jonahs Zimmer führte. Es war der erste Tag, seit der junge Mann in seiner neuen Unterkunft angekommen war. Da der Braunhaarige immer noch den Auftrag hatte, mehr Informationen aus Jonah herauszubekommen, hatte auch er sich dort einquartiert. Momentan saß er mit dem Doktor, der sich auch im Krankenhaus um den Kronzeugen gekümmert hatte, im Wohnzimmer und versuchte, den Mann von der Idee mit dem Ausflug zu überzeugen. „Er hat acht Jahre lang in einem winzigen Raum gelebt. Meinen Sie nicht, er sollte mal etwas anderes sehen als Wände, die ihn einsperren?“ „Schon, aber ist es nicht etwas zu früh? Wir wissen noch nicht, wie Jonah sich in der Öffentlichkeit verhält.“ Kurz dachte der Braunhaarige darüber nach, dann fasste er einen Entschluss. „Dann machen wir es so: am Samstag ist doch das Frühlingsfest. Können Sie sich da freinehmen?“ „Könnte klappen. Ich ahne, was Sie vorhaben, Ito-san.“ „Na ja, falls Jonah wirklich einen Panikanfall bekommen sollte, könnten Sie dafür sorgen, dass er sich wieder beruhigt. Und ich kann ihn beschützen, falls jemand ihn doch wiedererkennen sollte.“ Der Arzt nickte bedächtig und seufzte. „Ich hoffe nur, dass ich ihm nicht wieder ein Beruhigungsmittel geben muss. Schön, von mir aus. Bis Samstag sollte er sich auch an seine neue Umgebung gewöhnt haben.“ Die beiden Männer erhoben sich und Akira neigte kurz den Kopf. „Dann rufen Sie mich bitte bis Donnerstag an.“ „Das werde ich. Bis dahin, Ito-san.“ „Bis dann.“ Der Mediziner ging und Akira lief den Flur zu Jonahs Zimmer hinunter. Er klopfte und betrat den Raum, wo der junge Mann auf der Fensterbank saß und in den wolkenverhangenen Himmel starrte. „Kann ich kurz mit dir reden?“ erkundigte der Braunhaarige sich behutsam. Jonah warf ihm einen emotionslosen Blick zu, nickte aber. „Am Samstag wird in der Stadt ein Fest veranstaltet. Würdest du gerne dorthin?“ Lange blieb es still, ehe Jonah ganz leicht lächelte und ein weiteres Mal nickte. Das Lächeln ließ ihn viel lebendiger erscheinen und Akira bedauerte es, dass es nicht lange anhielt. „Allerdings müssen wir dich verkleiden. Ich hoffe, das stört dich nicht.“ Jonah schüttelte den Kopf, ehe er sich wieder auf der Fensterbank niederließ und weiter nach draußen sah. Tatsächlich hatte er die Nachricht vom Tod seiner Großeltern einigermaßen verkraftet. Vielleicht konnten sie ja auch in der nächsten Zeit beim Friedhof vorbeischauen, damit Jonah sich richtig von den beiden verabschieden konnte. Während er in das Wohnzimmer zurückkehrte, musste Akira an den Betreiber des >Sweet Apple< denken. Der Kerl hatte sich natürlich direkt nach seiner Festnahme einen Anwalt genommen, welcher ihm geraten hatte, nichts zu den Vorwürfen zu sagen. Diesen Rat hatte der Mann befolgt und so konnte man nicht viel mehr tun, als ihn bis zur Anhörung in Untersuchungshaft zu stecken. Immerhin hatte die Presse noch nichts von der ganzen Sache erfahren. Der Braunhaarige wollte gar nicht daran denken, zu was diese Leute die Geschichte aufgebauscht hätten. Seufzend plumpste er auf die Couch und beschloss, etwas fernzusehen, bevor er sich an das Abendessen machte. Bei einer Comedy-Serie blieb er hängen, konnte sich allerdings nur schwer auf das Programm konzentrieren. Schlussendlich nickte er vor dem Fernseher ein und wurde erst wach, als es plötzlich still im Zimmer wurde. Verschlafen öffnete er die Augen, nur um Jonahs Blick direkt auf sich gerichtet zu sehen. „Jonah...Ist alles in Ordnung?“ Zur Antwort deutete der andere nur zu einer großen Uhr, die an der Wand hing. Akira folgte der Bewegung und erschrak. „Mist, schon so spät? Entschuldige, ich bin wohl eingedöst. Du hast sicher Hunger, oder?“ „Soll ich dir helfen?“ fragte Jonah unvermittelt. „Ähm...sicher. Wenn du möchtest.“ Gemeinsam bereiteten sie das Abendessen zu. Auch hier zeigte sich Jonah wenig gesprächig und schien völlig auf seine Arbeit vertieft zu sein. Als sie fertig waren und der Braunhaarige probierte, war er überrascht. Der andere konnte richtig gut kochen. „Das schmeckt toll.“ entfuhr es ihm und Jonah lächelte ein weiteres Mal. „Meine Großmutter hat mir viel beigebracht.“ sagte er nur, bevor sich sein Blick verdunkelte und er den Rest des Essens schweigend verbrachte. Kaum war er fertig, stand er auf und verschwand in seinem Zimmer. Der Polizist räumte noch den Tisch ab und erledigte den Abwasch, ehe er sich in seinen eigenen Raum zurückzog und sich mit gemischten Gefühlen ins Bett legte. Zwar freute er sich, dass Jonah wieder mit ihm gesprochen hatte, doch er war immer noch so stark in sich gekehrt, dass es Akira schwer fiel, mehr als ein paar Worte mit ihm zu wechseln. Immerhin schien es so, als würde Jonah allmählich anfangen, ihm zu vertrauen. Mit etwas Geduld würde er sicher irgendwann preisgeben, was ihm in dem Nobel-Bordell widerfahren war. Schließlich kam der Samstag und damit der erste Tag, den Jonah draußen verbringen würde. Der junge Mann schien sichtlich aufgeregt. Als Akira am frühen Morgen das Wohnzimmer betrat, saß der andere bereits in seiner Verkleidung am Esstisch und warf ständig Blicke zur Uhr. Mit der schwarzen Perücke und nun zwei grünen Augen war er tatsächlich nicht wiederzuerkennen. „Morgen.“ gähnte der Braunhaarige und sorgte dafür, dass er erst einmal einen Kaffee bekam. So früh war mit ihm sonst nichts anzufangen. „Du bist ganz schön früh dran.“ meinte Akira und nahm eine Tasse aus dem Küchenschrank. „Das Fest beginnt doch erst heute Nachmittag.“ Er schenkte Jonah ein kurzes Lächeln. „Wie wäre es mit Frühstück? Möchtest du auch einen Kaffee?“ Der junge Mann schüttelte den Kopf und sah wieder zur Uhr. „Gut, dann einen Tee.“ bestimmte Akira und füllte den Wasserkocher. „Du scheinst dich ja wirklich auf das Fest zu freuen.“ „Ich war mit zwölf Jahren das letzte Mal auf einem Fest.“ erwiderte die weiche, helle Stimme hinter ihm traurig. „Ich weiß nicht einmal mehr, wie ich mich damals gefühlt habe.“ Akira drehte sich zu Jonah um und musterte ihn. Auch wenn der andere inzwischen ein Erwachsener war, schien er Probleme zu haben, sich seinem Alter entsprechend zu verhalten. Ob ihn sein Trauma so sehr gebrochen hatte? Der Polizist konnte es ihm nicht wirklich verübeln. Er hatte schließlich keinerlei Vorstellung davon, wie sich Jonah in all der Zeit gefühlt haben mochte. Allerdings, dachte er sich, konnte er auf diese Art von Gefühlen auch gut verzichten. Wäre der andere nicht entführt worden, hätte er sicher eine erfüllte Kindheit und Jugend haben können und wäre zu einem unversehrten Erwachsenen geworden. Stattdessen war er wie ein Tier in Ketten gelegt und ständig von wildfremden Männern vergewaltigt worden. Kein Wunder, wenn er sich da so verhielt, wie er es tat. Ohne etwas zu antworten, kümmerte sich Akira um das Frühstück und wieder aßen sie schweigend. Nach dem Frühstück machte der Braunhaarige den Abwasch und warf dabei Jonah einen verstohlenen Blick zu. Dieser saß immer noch am Esstisch und hatte seine Augen auf die nun leere Teetasse geheftet. Nun schien er wieder niedergeschlagen zu sein, weshalb Akira beschloss, ihn ein wenig aufzumuntern. „Was willst du denn auf dem Fest alles machen?“ fragte er in bemüht fröhlichem Ton. Der andere hob den Blick und sah dem Polizisten nun direkt in die Augen. „Du bist seltsam, weißt du das?“ „Seltsam?“ wiederholte Akira verwundert. „Warum bist du so nett zu mir? Niemand war jemals nett zu mir. Jeder hat ständig nur genommen und genommen. Du bist da anders. Nicht nur, weil du mir das Buch geschenkt hast, sondern auch wegen allem, was du mir erzählt und gesagt hast. Ich verstehe es nicht. Warum bist du so?“ „Weil ich dir helfen will, dich an denen zu rächen, die dir so viel angetan haben. Damit du irgendwann ein richtiges Leben führen kannst. Ohne Angst und ohne Gewalt.“ „Ein richtiges Leben...ja, das wäre schön...“ Jonah lächelte bei diesen Worten so aufrichtig, dass Akira sich unterbewusst ein Versprechen gab. Er würde nicht ruhen, bis dieser Fall abgeschlossen war und Jonah das Leben führen durfte, was er sich immer ersehnt hatte. Kapitel 9: Das Fest ------------------- In der Stadt war bereits einiges los, als Akira, Jonah und der Arzt dort eintrafen. Die Luft war erfüllt von den unterschiedlichsten Gerüchen und Geräuschen. Fasziniert blickte Jonah sich um. Akira konnte nicht anders, als bei diesem Anblick zu schmunzeln. Es tat auch ihm gut, mal ein wenig unter Leute zu kommen. Selbst der Doktor, der neben dem Braunhaarigen ging, schien gute Laune zu haben. „Es ist wirklich großartig, dass Sie sich für heute freinehmen konnten, Fujima-sensei.“ „Natürlich. Schließlich habe ich es versprochen.“ „Er scheint auf jeden Fall seinen Spaß zu haben.“ meinte Akira und musterte Jonah, der etwas vor ihnen ging. „Das freut mich auch. Allerdings müssen wir heute Abend auf ihn achten, wenn alle sich das Feuerwerk ansehen werden. Ich weiß nicht, wie er sich in einer Menschengruppe verhält.“ „Ich bin ja auch noch da. Notfalls gehen wir, bevor etwas passieren kann.“ Unvermittelt war Jonah vor einem der Stände stehengeblieben. Mit sehnsüchtigem Blick betrachtete er die Manju, die dort fein säuberlich aufgereiht waren. „Möchtest du einen?“ erkundigte sich Akira. „Ist das denn in Ordnung?“ „Sicher. Möchten Sie auch, Fujima-sensei?“ „Nein danke.“ „Dann zwei Stück, bitte.“ Die Frau am Stand nickte und kurz darauf gingen sie weiter, wobei Jonah sichtlich zufrieden an seinem Manju knabberte. „Seit wann spricht er mit Ihnen?“ fragte Fujima-sensei plötzlich. „Seit meinem zweiten Besuch im Krankenhaus.“ „Verstehe. Ich wünschte, Sie hätten es mir gesagt. Redet er nur mit Ihnen?“ „Scheinbar schon. Aber ich denke, sobald er etwas mehr aus sich herauskommt, wird er auch anfangen, sich mit anderen Personen zu unterhalten.“ „Ich hoffe nur, Sie behalten Recht.“ Auch Akira nahm einen Bissen von seinem Manju und eine Weile gingen die drei schweigend weiter. „Akiira-kuun!“ ertönte es da auf einmal von vorne und ehe der Braunhaarige irgendetwas tun konnte, fand er sich schon in einer erdrückenden Umarmung wieder. Während er nach Luft schnappte, nahm er einen vertrauten Geruch wahr und erhaschte einen Blick auf etwas Rotes. Rote Haare… „N-naoto-san...ich kriege keine Luft mehr...“ röchelte er, während sein Herz wie wahnsinnig gegen seine Brust schlug. Naoto-sans Körperwärme umhüllte ihn, machte es ihm unmöglich, ordentlich zu denken… „Au!“ rief Naoto-san plötzlich und ließ den Braunhaarigen los. „Kann man dich keine fünf Sekunden aus den Augen lassen, Naoto?“ Das war Isamu-sans Stimme. „Aber ich wollte doch nur Akira-kun Hallo sagen.“ beschwerte sich der Rothaarige und rieb sich den Kopf. Erst dann schien er Fujima-sensei und Jonah zu bemerken, die die beiden Neuankömmlinge verwundert anblickten. Er verneigte sich elegant. „Wenn ich mich vorstellen darf: Sakai Naoto. Ich bin ein Arbeitskollege von Akira-kun.“ „Fujima Hikaru. Ich bin der Arzt von Mr. Graves.“ stellte auch der Mediziner sich vor. Akira spürte deutlich, dass es Fujima-sensei nicht schätzte, so viel Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. „Ich muss mich für meinen Kollegen entschuldigen.“ kam es von Isamu-san, der den Rothaarigen strafend anblickte. „Manchmal führt er sich auf wie ein Kleinkind.“ „Du bist wirklich nicht nett zu mir, Kamui.“ „Ich bin vielleicht netter, wenn du dich mal ordentlich verhältst.“ „Streitet ihr euch schon wieder?“ sagte eine weibliche Stimme leicht lachend. „Da bist du ja, Hanako.“ strahlte Naoto-san und stellte sich zu seiner Verlobten, die eine Hand auf ihrem ziemlich runden Bauch ruhen hatte. „Ich bin nun einmal nicht mehr so schnell. Und deiner Tochter scheint das Fest auch zu gefallen. Sie tritt wie verrückt.“ Gerade, als Naoto-san antworten wollte, hatte sich Jonah vor die beiden gestellt und streckte eine Hand nach Hanakos Bauch aus, wobei er diese fragend ansah. „Mach ruhig.“ sagte die Frau und Jonah legte eine Hand auf ihren Bauch. Kurz geschah nichts, doch dann lächelte der junge Mann. „Wann ist es denn so weit?“ erkundigte sich Fujima-sensei. „In vier Monaten.“ antwortete Hanako strahlend. „Habt ihr schon einen Namen?“ fragte Akira interessiert. „Akemi.“ „Schöner Name.“ „Ich freue mich jetzt schon auf die Kleine.“ meinte der Rothaarige mit deutlichem Stolz in der Stimme. Kurz spürte Akira einen Stich in seiner Brust, dennoch zwang er sich zu einem Lächeln. „Habt ihr nicht Lust, mit uns weiterzugehen?“ kam es von Isamu-san. „Ja, warum nicht. Wie lange werdet ihr denn bleiben?“ „Wir wollen uns auf jeden Fall noch das Feuerwerk ansehen.“ „Dann passt das ja. Länger wollten wir auch nicht bleiben.“ Also schlenderten sie nun zusammen an den Ständen entlang. Während der Tag verstrich, probierten sie sich an den unterschiedlichsten Attraktionen. Es zeigte sich, dass Fujima-sensei beim Koikarpfen angeln ein fast schon unheimliches Talent hatte, während Akira beim Schießstand ganz knapp gegen Isamu-san verlor. Alles in allem war es ein sehr lustiger und unterhaltsamer Tag. Allmählich ging es auf den Abend zu und die Gruppe versammelte sich in der Mitte des Festgeländes, um einen guten Blick auf das Feuerwerk zu haben. Akira hatte sich neben Jonah gestellt, um im Notfall sofort eingreifen zu können. Fujima-sensei stand an der anderen Seite des jungen Mannes und seine Augen wanderten von dem dunkler werdenden Himmel und Jonah hin und her. Dann war es endlich so weit und das Feuerwerk begann. Erfreulicherweise verlief dieses ohne weitere Zwischenfälle. Jonah schien völlig fasziniert von den bunten Lichtern zu sein und auch dem Braunhaarigen fiel es schwer, sich zu sehr um ihn zu sorgen. Mit einem lauten Krachen wurden die restlichen Raketen gezündet und für einen Moment wurde es taghell um die Gruppe. Dann senkte sich die Dunkelheit wieder über das Gelände und Hanako gähnte herzhaft. „Zeit, nach Hause zu fahren. Es war nett, Sie wiederzusehen, Ito-san. Und Ihnen noch einen schönen Abend, Fujima-sensei.“ „Ebenso. Soll ich Sie noch nach Hause begleiten, Ito-san?“ „Das wird nicht nötig sein. Vielen Dank noch einmal, dass Sie dabei waren. Lass uns gehe- Jonah?“ Erschrocken brach Akira ab. Stumme Tränen liefen über die Wangen des anderen. „Was ist denn los, Jonah?“ fragte der Braunhaarige besorgt. Auch der Rest der Gruppe wirkte verwirrt und etwas beunruhigt. „Danke...vielen Dank euch allen...“ schluchzte Jonah mit bebendem Körper. „Hey...ist ja schon gut...“ versuchte Akira den jungen Mann zu beruhigen. Als das nichts half, trat er an Jonah heran und umarmte ihn vorsichtig. Dieser krallte sich am Oberteil des Polizisten fest und ließ es ohne Widerstand zu, dass Akira ihm unbeholfen über den Rücken strich. „Wir werden so bald wie möglich wieder etwas zusammen unternehmen.“ meinte Naoto-san mit ernster Miene. „Und du darfst dir dann etwas aussuchen, in Ordnung?“ Jonah löste sich von dem Braunhaarigen und rieb sich mit einem Ärmel über die Augen, ehe er einen strahlenden Blick in die Runde warf. „Das würdet ihr tun?“ „Ja, natürlich. Also fang schon mal an, dir etwas Gutes auszudenken.“ antwortete Isamu-san lächelnd. „In Ordnung.“ „Ich muss später unbedingt mit Ihnen sprechen, Ito-san.“ wisperte Fujima-sensei ernst. „Können Sie mich anrufen, sobald Mr. Graves schläft?“ Akira nickte und der Arzt überreichte ihm unauffällig seine Karte. Nachdem sich die Wege der Gruppe getrennt hatten, liefen Akira und Jonah gemeinsam zu der Wohnung, wo der Braunhaarige dem anderen eine gute Nacht wünschte und dann selber auf sein Zimmer ging. Dort griff er nach dem Telefon und rief wie verabredet Fujima-sensei an. „Ich bin es, Ito. Worum geht es?“ „Mir ist etwas aufgefallen. Ich wollte sichergehen, ehe ich es Ihnen sage. Es scheint so, als wäre es bei Mr. Graves zu einer leichten geistigen Störung gekommen. Wahrscheinlich durch die Tatsache, dass er mit so jungen Jahren ertragen musste. Vom Äußeren ist er erwachsen, doch sein Geist scheint sich nicht richtig entwickelt zu haben.“ „Und...was bedeutet das?“ „Das bedeutet, dass er in seinem Inneren noch ein Jugendlicher ist. Seine Psyche ist die eines vielleicht 15-jährigen Jungen. Wenn wir Pech haben, wird sich dieser Zustand nicht mehr beheben lassen.“ „Und wenn wir Glück haben?“ „Entwickelt sich sein Geist mit der Zeit weiter. Aber vorerst sollten Sie das in ihrem Umgang mit Mr. Graves berücksichtigen.“ „Ich verstehe. Vielen Dank, Fujima-sensei.“ Akira legte auf und ließ sich nachdenklich in sein Bett sinken. Nun konnte er nur hoffen, dass die Störung von Jonah wieder vergehen würde. Seufzend schloss er die Augen und versuchte, etwas Ruhe zu finden. Morgen würde er vielleicht auf andere Gedanken kommen. Kapitel 10: Ein Schritt zu weit ------------------------------- „Stehenbleiben!“ rief Akira laut, während er dem Mann hinterherrannte. Seine Lungen brannten, doch er wurde nicht langsamer. Warum mussten die Leute nur immer wegrennen? Eine besorgte Mutter hatte den Braunhaarigen und seinen Kollegen angerufen. Verdacht auf Drogenhandel. Kaum hatte der Typ Akira und Nishiko gesehen, war er abgehauen. Gerade bog er um eine Ecke, als der Polizist ihn erreichte und zu Boden warf. Gemeinsam fielen die beiden auf den schlammigen Boden und Akira schaffte es nach einem kurzen, aber heftigen Kampf, den Mann in Handschellen zu legen. Außer Atem erreichte auch Nishiko die beiden. „Alles in Ordnung?“ fragte er keuchend. „Geht schon.“ „Lass mich los, du blöder Drecksbulle!“ brüllte der vermeintliche Dealer und warf sich wild hin und her. Unbeeindruckt zerrte der Braunhaarige den Mann hoch und brachte ihn zusammen mit seinem Kollegen zum Polizeiwagen. „Schau mal, was unser Freund hier auf seiner Flucht verloren hat.“ grinste Nishiko und hielt einen Rucksack in die Höhe. Darin waren verschiedene Gegenstände und mehrere Beutel, in denen sich ein weißes Pulver befand. „Warum nur glaube ich nicht, dass das Traubenzucker ist?“ „Leckt mich doch.“ „Bringen wir ihn zur Wache.“ seufzte Akira. „Ich muss unter die Dusche.“ Die Polizeiwache verfügte über zwei Duschen und zwei Umkleideräume. Fast jeder war begeistert davon, in der Pause notfalls kurz duschen zu können. In den Umkleidekabinen waren mit Namen versehene Spinde, in denen sich frische Uniformen befanden. Zwar musste jeder seine Sachen selber waschen und durfte nicht vergessen, die saubere Ersatzuniform mitzubringen, doch ansonsten gab es nichts, worüber man sich beschweren konnte. „Mach das. So kannst du auf jeden Fall nicht mehr rumlaufen.“ Kaum hatten sie die Wache erreicht, ließ Akira seinen Kollegen mit dem Verdächtigen alleine und ging in die Umkleidekabine. Er schaute in seinen Spind und stellte erleichtert fest, dass er an seine Ersatzuniform gedacht hatte. Der Braunhaarige zog sich aus und stellte sich unter das heiße Wasser. Sofort fühlte er sich besser und legte genussvoll den Kopf in den Nacken. Er blieb noch einige Minuten unter der Dusche, ehe er leicht widerwillig den Hahn abdrehte und in die Umkleide zurückkehrte, um sich abzutrocknen und anzuziehen. Er war gerade dabei, seine Hose zuzuknöpfen, als er hörte, wie sich die Tür hinter ihm öffnete. Zunächst achtete er nicht darauf, doch dann legte sich ihm eine Hand auf die Schulter und er schrak zusammen. „Hey, Akira-kun. Wie geht es dem Kleinen?“ Der Braunhaarige wandte sich um, nur um in eisblaue Augen zu sehen. „G-g-gut...“ stotterte er mit leicht zitternder Stimme. Naoto-san stand vor ihm, das Oberteil seiner Uniform aufgeknöpft, so dass Akira einen sehr guten Blick auf seinen Oberkörper hatte. Hitze stieg ihm in das Gesicht und er wusste, dass er nun ganz offensichtlich starrte. Trotzdem konnte der Braunhaarige seine Augen nicht abwenden. Ein Schnippen brachte ihn wieder zur Besinnung. „Akira-kun. Akira-kun!“ Mühsam riss sich der Polizist von dem Anblick los. „T-tut mir leid.“ Naoto-san lachte kurz auf. „Schon gut. Ich wollte nur verhindern, dass du vor Begeisterung in Ohnmacht fällst.“ „Ich wäre nicht...“ begann Akira, unterbrach sich aber, als nun der Rothaarige ihn musterte. „Du bist gar nicht so dürr, wie ich erwartet hatte.“ meinte Naoto-san, streckte eine Hand aus und fuhr mit den Fingern über die linke Seite des Braunhaarigen. Seine Berührung schien flammende Spuren auf Akiras Haut zu hinterlassen. Erschrocken wich dieser zurück, bis er mit dem Rücken gegen die Wand stieß. „Naoto...san...“ Sein Herz wummerte und sein Blut begann allmählich, sich an einer bestimmten Stelle zu stauen. Der Rothaarige bemerkte Akiras Misere nicht und trat wieder dicht an den Braunhaarigen heran. „Du wirst ja schon wieder rot.“ kicherte Naoto-san. „Findest du mich wirklich so anziehend?“ Erneut streckte er die Hand aus und fuhr nun mit der Handfläche über den Brustkorb des Braunhaarigen. Ein heftiges Kribbeln überlief Akiras Rücken. Der andere war ihm viel zu nahe… „Nao...to...“ Das Gesicht des Rothaarigen kam ihm näher...nur noch ein paar Zentimeter, dann würden sich ihre Lippen berühren… Die eisblauen Augen bohrten sich in seine, schienen in seine Seele zu blicken… Inzwischen war das surrende Gefühl der Erregung in ihm kaum noch auszuhalten. Er wollte den anderen küssen, wollte, dass die Hand, die über seinen Brustkorb strich, weiter an seinem Körper hinunter wanderte… Seine Atmung war zu einem Keuchen geworden, mit verhangenen Augen blickte er Naoto-san an. Dieser schmunzelte leicht. „Du bist wirklich niedlich. Wäre ich nicht verlobt, würde ich sofort über dich herfallen.“ Wie durch Watte drangen die Worte an Akiras Ohren und langsam, ganz langsam setzte sich etwas in seinem vernebelten Verstand fest. Naoto-san war in einer Beziehung. Mit einer Frau, die ein Kind von ihm erwartete. Er wusste nicht, dass der Braunhaarige ihn liebte. Für ihn war das Ganze nichts Ernstes. Unbewusst versuchte Akira, noch weiter zurückzuweichen und Tränen sammelten sich in seinen Augen. Dann entfernte sich die Wärme von ihm und er hörte ein lautes Klatschen. „Was fällt dir ein, Naoto?“ zischte Nishikos Stimme in einem derart hasserfüllten Ton, dass selbst der Braunhaarige zusammenzuckte. Endlich klärten sich seine Gedanken und er sah seinen Kollegen, der Naoto-san gegenüberstand. Dieser hielt sich mit einer Miene aus Überraschung, Schmerz und Wut die Wange. „Was sollte das denn, Nishiko-san?“ fauchte er, als er sich von seinem ersten Schrecken erholt hatte. „Wie kannst du nur? Bist du wirklich so blind, wie du blöd bist?“ Die Augen des Rothaarigen weiteten sich, ehe er sich wieder fing. „Ich habe keine Ahnung, was du von mir willst. Ich habe Akira-kun nur etwas aufgezogen.“ Schon schallte das nächste Klatschen durch den Raum und Naoto-sans Kopf ruckte zur Seite. „Bist du bescheuert?“ rief der Rothaarige, inzwischen auch wütend. „Kannst du mal aufhören, mich zu schlagen?“ „Du bist so ein verdammter Dreckssack. Wie kannst du es wagen, so mit Akira zu spielen?“ „Er weiß doch, wie ich es meine. Nicht wahr, Akira-kun?“ Endlich sahen die beiden Männer wieder zu dem Braunhaarigen, dem inzwischen stumme Tränen über die Wangen liefen. Er hasste sich dafür, dass er so eine Schwäche zeigte, doch seine Gefühle überschlugen sich gerade und machten es ihm unmöglich, etwas Anderes als Trauer zu empfinden. „Akira-kun? Warum weinst du denn?“ „Das kann ich dir sagen, du dämlicher Trottel. Akira ist schwul, verflucht noch mal. Und er ist in dich verliebt, du Idiot!“ „Blödsinn. Wie kommst du auf so was? Wir sind nur Freunde. Richtig, Akira-kun?“ Wieder spürte dieser, wie eisblaue Augen ihn musterten. Doch er schaffte es nicht, irgendetwas zu sagen. Er wollte nur noch weg. Weg von seinen Gefühlen und vor allem weg von Naoto-san. „Akira...kun?...Hey, sag etwas...“ Der Blick des Rothaarigen glitt über Akiras Körper, ehe ein geschockter Ausdruck in seine hübschen Züge trat und er knallrot anlief. „Aber...ich...ich schwöre, ich hatte keine Ahnung...warum hast du nie etwas gesagt…?“ „Weil er wusste, dass du verlobt bist. Er hat genau gewusst, dass seine Liebe ihn nirgendwohin führt. Und du hast nichts Besseres zu tun, als so eine Scheiße mit ihm abzuziehen. Herzlichen Glückwunsch, Naoto. Du hast gerade nicht nur Akiras, sondern auch meine Achtung verloren.“ Der Braunhaarige löste sich von der Wand und stürmte aus der Umkleidekabine. Er hörte, wie Naoto-san ihm etwas hinterher rief, doch er machte sich nicht die Mühe, zuzuhören. Immer noch mit freiem Oberkörper rannte er durch die Polizeiwache, hörte noch mehr Stimmen, darunter eine, die stark nach Isamu-san klang...Er blendete alles aus, lief in sein Büro, schloss die Tür ab, wobei er den Schlüssel von innen stecken ließ, ließ sich auf seinen Bürostuhl fallen und vergrub das Gesicht in den Händen. Er fühlte sich furchtbar. Natürlich hatte er gewusst, dass Naoto-san seine Gefühle nicht erwiderte und auch niemals tun würde, aber trotzdem fühlte er sich, als wäre ihm gerade das Herz herausgerissen worden. Dieses Mal war der Rothaarige zu weit gegangen. Er war nur froh, dass sein Büro im zweiten Stock lag und niemand sehen konnte, wie er völlig fertig dasaß und seinen Tränen freien Lauf ließ. Wie hatte er nur so dumm sein können? Kapitel 11: Ablenkung --------------------- Akira blieb sehr lange in seinem Büro. Zuerst hatten sowohl Nishiko als auch Isamu-san versucht, mit ihm zu reden, doch er hatte nicht geantwortet. Schließlich war es still geworden. Als der Braunhaarige endlich zur Uhr schaute, zeigte diese an, dass es fast neun Uhr abends war. Sofort bekam er ein schlechtes Gewissen. Jonah und die Kollegen, die sich momentan um ihn kümmerten, fragten sich sicher, wo der Polizist blieb. Er öffnete die Tür zu seinem Büro, blickte in den menschenleeren Flur und ging zu den Umkleidekabinen, wo er sich endlich sein Oberteil anzog. Als er die Polizeiwache verließ, umfingen ihn Kälte und Dunkelheit und er beeilte sich, um zu seinem Wagen zu kommen. Als er die Tür öffnete, kamen ihm seine Kollegen und Jonah entgegen. „Tut mir leid, Kollegen. Ich hatte etwas Ärger auf der Arbeit.“ „Wie unüblich für dich, Ito-san. Aber kein Problem. Wir mussten ja nicht lange warten. Also, einen schönen Abend noch.“ Akiras Kollegen verschwanden und Jonah trat näher an den Braunhaarigen heran. „Du hast geweint.“ sagte er und Besorgnis tauchte in seinem Gesicht auf. „Kann sein.“ Dann kam Akira eine Idee. „Ich habe die nächsten zwei Tage frei und brauche jetzt ganz dringend eine Ablenkung. Du kannst dir schon einmal deine Verkleidung anziehen.“ Jonah wirkte verwirrt, nickte dann aber nur und ging auf sein Zimmer. Als er wieder herauskam, hielt der Polizist ihm eine Jacke entgegen. Sie verließen die Wohnung und Akira führte den jungen Mann zum >Sangria<. Jonah warf ihm von der Seite her einen fragenden Blick zu. „Das ist der perfekte Ort, wenn man abschalten will.“ erklärte der Braunhaarige, ehe er dem anderen die Tür zur Kneipe aufhielt. „Akira. Wie schön, dass du mich mal wieder besuchst. Wer ist denn dein Compañero?“ „Ach...das ist Reiji. Er ist mein neuer Nachbar und ich wollte ihm doch nicht deine Kneipe vorenthalten.“ „Du alter Rastreador. Nun, Reiji, willkommen im Sangria. Was kann ich dir bringen?“ Sichtlich verdutzt von Pablos Verhalten, sah Jonah hilfesuchend zu Akira, der ihm aufmunternd zunickte und sich dann wieder an Pablo wandte. „Er ist etwas schüchtern. Kannst du ihm eine Karte geben?“ „Selbstverständlich.“ Akira und Jonah ließen sich an der Theke nieder und Pablo legte eine Getränkekarte zwischen die beiden. „Ich glaube, ich nehme einen Tequila Sunrise. Was möchtest du haben, Reiji?“ „Einen...einen Mai Tai, bitte.“ „Kommt sofort.“ Während Pablo sich den Getränken widmete, beugte sich Jonah leicht zu Akira „Reiji?“ fragte er leise und der Braunhaarige zuckte mit den Achseln. „Ich darf deinen richtigen Namen nicht nennen.“ „Verstehe...“ Kurze Zeit später stellte der Besitzer der Kneipe den beiden ihre Getränke hin und Akira nahm einen großzügigen Schluck, der das Glas halb leerte. „Wie immer perfekt, Pablo.“ „Gracias. Aber sag mal, Amigo: Das ist das erste Mal, dass du deinen Drink so runter schüttest. Ist etwas vorgefallen?“ „Hatte nur Probleme mit einem Typen.“ Pablo grinste und zeigte seine strahlenden Zähne. „Was denn? Mal de Amores? Und das von dir? Dass ich den Tag noch erleben darf...“ „Lach du nur. Ich fand es nicht ganz so witzig.“ „Lo siento. Ich wollte dich nicht beleidigen.“ „Schon gut. Du kannst ja nichts dafür.“ Jonahs Blick wanderte zwischen dem Polizisten und Pablo hin und her, während er ebenfalls an seinem Getränk nippte. „Und, gefällst es dir hier?“ erkundigte sich Akira. Der junge Mann nickte, was Pablo erneut zum Strahlen brachte. Die beiden blieben bis halb zwei Uhr morgens im >Sangria<. Akira schaffte es dank Pablos unverwechselbarem Humor und drei weiteren Drinks, den Vorfall mit Naoto-san in seinen Hinterkopf zu verdrängen. Ziemlich angeheitert stand er schließlich von seinem Stuhl auf. „Für heute habe ich wirklich genug. Bis zum nächsten mal, Pablo.“ Er warf einen Blick zu Jonah, der mit gesenktem Blick auf die Theke starrte. „Kommst du?“ Der andere hob den Kopf. Erst jetzt fielen dem Braunhaarigen der verschleierte Blick und die geröteten Wangen des jungen Mannes auf. „Ist alles in Ordnung?“ fragte er besorgt. „Klar doch. Es ging mir nie besser.“ lallte Jonah mit breitem Lächeln zurück. Sofort verflog die Wirkung des Alkohols bei Akira und er drehte sich zu dem Spanier um. „Wie viel hat er getrunken?“ „Einen Mai Tai und einen Long Island Iced Tea.“ antwortete Pablo. „Er scheint nicht besonders viel zu vertragen.“ „Nicht viel zu vertragen?“ wiederholte der Braunhaarige leicht panisch. „Er ist ja völlig betrunken. Was mache ich denn jetzt?“ „Nun, ich würde vorschlagen, du bringst ihn zu dir nach Hause und da soll er sich erst mal ausschlafen. Und stell ihm lieber einen Eimer oder so was neben das Bett.“ „Okay.“ seufzte Akira, fasste Jonah unter der Achsel und half ihm, vom Stuhl aufzustehen. Sofort packte dieser den Braunhaarigen am Arm und kicherte leise. „Hui, der Raum dreht sich ja...“ „Ist schon gut, Reiji. Komm, ich bringe dich nach Hause. Also dann Pablo, man sieht sich.“ „Adiós, Amigos. Und gute Besserung, Reiji.“ Akira verließ die Kneipe, wobei er Jonah stützte, der neben ihm wankte. Er schimpfte sich selbst einen Idioten. Natürlich vertrug Jonah keinen Alkohol. „Kann ich jetzt aus dem Karussell raus?“ erklang auch schon dessen Stimme neben ihm. „Denkst du, du schaffst es noch nach Hause? Es ist nicht mehr weit.“ „Klar.“ erwiderte der andere und ging schwankend weiter, ein seliges Lächeln im Gesicht. Tatsächlich schaffte der Braunhaarige es, Jonah zur Wohnung zu bringen, wo dieser sich kichernd auf das Sofa setzte. „Ich fühle mich ganz seltsam, Akira...“ „Kein Wunder. Soll ich dich ins Bett bringen?“ „Ja, okay.“ Torkelnd stand der junge Mann auf und Akira loste ihn in sein Zimmer. Wie auf Kommando begann Jonah, seine Verkleidung abzulegen, wobei er mehrere Versuche brauchte, um die Kontaktlinse zu entfernen. Als er sich, ohne sich im Geringsten von der Anwesenheit des Polizisten stören zu lassen, das T-shirt vom Körper zog, drehte dieser sich etwas verlegen zur Seite. „Du bist echt völlig anders, wenn du getrunken hast.“ Eine Hand berührte Akira am Arm und dieser wandte sich nun doch wieder Jonah zu. „Ich wollte mich unbedingt noch bei dir bedanken. Weil du immer so nett zu mir bist.“ „Kein Problem...“ sagte der Braunhaarige peinlich berührt, als er den anderen nur in seiner Hose dastehen sah. Zumindest fiel ihm nun auf, dass die Hämatome und Schnittverletzungen fast vollständig verheilt waren. „Du kannst im Bett schlafen, ich lege mich dann auf den Boden.“ „Ich wollte dir noch etwas geben.“ „Gehst du danach endlich schlafen?“ „Versprochen.“ „Schön, von mir aus.“ Jonah lächelte wieder und kam näher an Akira heran. Noch ehe dieser etwas tun konnte, hatte der andere ihm eine Hand auf die Schulter gelegt und nur eine Sekunde später verkrampfte sich der Körper des Braunhaarigen. Das passierte doch gerade nicht wirklich, oder? Wurde er tatsächlich gerade von Jonah...geküsst? Es dauerte einige Sekunden, ehe sein überfordertes Gehirn wieder arbeitete und er den jungen Mann sacht, aber bestimmt von sich schob. „W-was machst du denn da?“ stotterte er. „Du schmeckst nach Orange.“ kicherte Jonah und ließ sich auf das Bett fallen. Darauf hatte Akira keine vernünftige Antwort parat. Vollkommen verdattert blickte er zu Jonah, ehe er beschloss, die Sache einfach auf sich beruhen zu lassen. „Ich mache jetzt das Licht aus. Versuch, dich etwas zu erholen. Gute Nacht.“ „Nacht, Akira...“ Immer noch durcheinander, legte der Polizist sich auf die weiche Wolldecke, die er auf dem Boden ausgebreitet hatte. Doch selbst als Jonahs Atemzüge tief und gleichmäßig geworden waren, wollte sich bei Akira der Schlaf einfach nicht einstellen. Der heutige Tag hatte so unvorhersehbar begonnen, wie der gestrige aufgehört hatte. War denn die ganze Welt verrückt geworden? Immerhin wusste er, dass er Jonah wohl kaum einen Vorwurf würde machen können. Immerhin war dieser betrunken. Bei Naoto-san hingegen...Der Braunhaarige wusste einfach nicht, wie er sich dem Rothaarigen gegenüber nun verhalten sollte. Ihn zu ignorieren, würde kaum etwas bringen. Schließlich würden sie sich irgendwann sowieso wieder über den Weg laufen. Mit Naoto-san zu reden, war da eindeutig der bessere Weg. Es war ja nicht so, als wäre nur der Rothaarige schuld an dieser Sache gewesen. Sobald er dem anderen wieder begegnete, würde er ihn um ein persönliches Gespräch bitten. Vielleicht schaffte er es dann, auch diesen Vorfall auf sich beruhen zu lassen. Endlich holte die Müdigkeit ihn ein und er schloss die Augen, wobei er nur kurz noch darüber nachsann, wie es Jonah morgen wohl ging und an wie viel er sich würde erinnern können. Kapitel 12: Gespräch mit Folgen ------------------------------- Der Sonnenaufgang weckte Akira am nächsten Morgen. Während er gähnte, sich aufsetzte und sich den Schlaf aus den Augen rieb, erklang ein schmerzerfülltes Stöhnen vom Bett her. „Au, mein Kopf...“ Schnell stand der Braunhaarige auf und trat an Jonah heran, der sich mit zusammengekniffenen Augen den Kopf hielt. „Jonah. Wie geht es dir?“ „Nicht so toll. Mein Schädel brummt...“ „Warte, ich bringe dir eine Schmerztablette.“ Als Akira mit einer Packung Aspirin und einem Glas Wasser wieder ins Zimmer kam, lag der andere immer noch im Bett, das Kissen über seinen Kopf gezogen. „Du scheinst einen ziemlichen Kater zu haben, was?“ scherzte der Polizist, woraufhin ein Brummen ertönte. Akira setzte sich zu dem jungen Mann und fasste ihn an der Schulter. „Es tut mir leid, Jonah. Ich hätte ahnen müssen, dass du keine Erfahrungen mit dem Trinken hast.“ Jonah zog sich das Kissen vom Kopf und sah Akira mit geröteten Augen an. Er war ziemlich blass, wirkte aber sonst recht fit. Er nahm die Tablette und spülte sie mit dem Wasser hinunter. Dann lehnte er sich seufzend zurück. „Was ist gestern passiert? Ich kann mich nur noch an wenig erinnern.“ „Nicht sehr viel.“ wiegelte der Braunhaarige ab. Jonah wirkte nachdenklich, ehe sich eine zarte Rötung über seine Wangen legte. „Kann es sein, dass ich dich gestern geküsst habe?“ „Mach dir deswegen keine Gedanken. Ruh dich lieber noch etwas aus.“ „Ist gut...“ nuschelte Jonah, ohne Akira anzusehen und immer noch etwas rot im Gesicht. Dann kuschelte er sich erneut in die Kissen und schloss die Augen. Akira verließ das Zimmer leise und brachte das leere Glas in die Küche. Das unerwartete Klingeln an der Tür ließ ihn zusammenzucken. Als er öffnete, stand Naoto-san vor ihm. „Sakai-san...“ „Wir müssen reden. Kann ich reinkommen?“ sagte der Rothaarige ernst und der Braunhaarige ließ ihn herein. „Gehen wir in mein Zimmer. Falls Jonah wach wird, werden wir wenigstens nicht unterbrochen.“ Naoto-san folgte ihm schweigend. Kaum waren sie durch die Tür, schloss Akira diese und wies dem anderen einen Sessel gegenüber vom Bett. Er selber ließ sich auf dem Bett nieder und blickte dem Rothaarigen in die Augen. „Zuerst muss ich mich bei dir entschuldigen. Mein Verhalten gestern war schändlich und falsch. Es tut mir leid.“ Naoto-san verneigte sich tief und Akira schüttelte den Kopf. „Ich muss mich auch entschuldigen.“ erwiderte er hastig. „Es wäre nie so gekommen, wenn ich es geschafft hätte, ehrlich zu dir zu sein.“ „Dennoch hätte ich nicht so weit gehen dürfen. Nishiko-san, Kamui und Hanako haben mir schon ordentlich die Leviten gelesen.“ „Hanako-san weiß davon?“ „Ja. Ich hatte gestern ein ziemlich schlechtes Gewissen und habe ihr alles gebeichtet. Sie ist ganz schön sauer geworden. Sie arbeitet ja als Seelsorgerin bei einer Telefonagentur und hat da wohl häufiger mit homosexuellen Personen zu tun, die sich nicht trauen, sich zu outen. Ein Mädchen wollte deswegen sogar Selbstmord begehen, weil sie Angst vor der Reaktion ihrer Eltern hatte. Und ich bin sowohl von Kamui als auch von Hanako bestraft worden.“ Verwundert musterte der Braunhaarige Naoto-san. „Kamui hat angekündigt, seinen Bruder mit zum Junggesellenabschied zu bringen. Und Hanako..sie hat gesagt, dass du einen Kuss bei mir gut hast. Damit ich mal merken würde, wie das ist.“ Der Rothaarige wandte den Blick ab und kratzte sich verlegen am Hinterkopf. Auch Akira merkte, wie Wärme in seine Wangen kroch. „Könnten...könnten wir die Sache mit dem Kuss gleich hinter uns bringen?“ fragte Naoto-san und auf der Stelle schien sich ein Kloß im Hals des Braunhaarigen zu bilden. Zögernd nickte er und der andere erhob sich vom Stuhl und setzte sich zu ihm. Unsicher sahen die beiden sich in die Augen, ehe der Rothaarige Akira eine Hand in den Nacken legte und ihn näher an sich zog. Als sich ihre Lippen berührten, konnte der Braunhaarige deutlich spüren, dass Naoto-san seinen Mund fest zusammengepresst hatte. Erst nach einigen Sekunden entspannte er sich und der Kuss wurde etwas angenehmer. Schon war alles vorbei und Naoto-san löste sich von ihm. Seine Wangen hatten fast dieselbe Färbung angenommen wie seine Haare und er schien etwas neben sich zu stehen. „Naoto-san? Ist alles in Ordu-...“ Weiter kam Akira nicht. Der andere hatte ihn erneut zu sich gezogen und dieses Mal war der darauffolgende Kuss sehr viel fordernder. Als der Braunhaarige eine Zunge bemerkte, die sich zwischen seine Lippen drängte, versteifte sich sein Körper. Was sollte das denn wieder bedeuten? Unbewusst legte er seine Hände auf Naoto-sans Schultern und erwiderte den Kuss. Als der Rothaarige jedoch mit seiner freien Hand unter Akiras Oberteil fuhr und begann, an seinem Körper entlang zu streichen, unterbrach der Braunhaarige die Berührung ihrer Lippen. „Naoto-san...was tust du…?“ Naoto-sans Augen waren verschleiert, sein Mund leicht geöffnet und er atmete schwer. „Akira-kun...“ Mehr sagte der andere nicht, sondern beugte sich nur vor, nahm wieder Akiras Lippen in Beschlag und drängte den Braunhaarigen nach hinten, bis dieser rücklings auf dem Bett lag. Immer noch fuhr Naoto-san mit einer Hand über Akiras Oberkörper. Die andere Hand hatte er neben dem Kopf des Braunhaarigen abgestützt. Akira glaubte, zu träumen. Das konnte doch nicht real sein, oder? Was war nur mit seinem Kollegen los? Tief nahm er den bekannten Geruch Naoto-sans in sich auf und fuhr mit seinen Fingern durch die langen, roten Haare. Wenn das wirklich ein Traum war, sollte er nie mehr aufhören. Doch dieser Gedanke verflog, als ein leichter Schmerz den Braunhaarigen durchfuhr. Naoto-sans Hand hatte seine Brust erreicht und er hatte etwas zu fest an Akiras Brustwarze gezogen. Hunderte Schauer liefen dem Braunhaarigen über den Rücken. Naoto-san zog seine Hand zurück und kurz atmete Akira innerlich auf. Allerdings nur, bis er bemerkte, wie die langen, schlanken Finger des anderen den Saum seines Oberteils ergriffen und es ihm auszogen. „Naoto...“ Angesprochener reagierte nicht, sondern machte sich daran, weiter die freigelegte Haut des Braunhaarigen zu erkunden. Akira entfuhr ein leises Stöhnen. Sein Körper schien überempfindlich auf die Berührungen des Rothaarigen zu reagieren. Er schlang seine Arme um Naoto-sans Rücken und zog ihn noch etwas näher an sich. Dieser hauchte gefühlt Millionen leichter Küsse auf Akiras gesamten Brustkorb, wobei er ab und an leicht am Hals des Braunhaarigen saugte. Obwohl er es versucht hatte, konnte sich Akira nicht länger zurückhalten und machte sich nun selber daran, den anderen von seinem Hemd zu befreien. Es folgte ein langer, tiefer Kuss, bei dem der Braunhaarige es irgendwie schaffte, Naoto-sans Haarband zu fassen zu kriegen und es diesem abzuziehen. Sofort umhüllten die roten Haare die beiden wie einen Vorhang. Naoto-san keuchte auf, als Akira ebenfalls begann, den muskulösen Körper zu streicheln. Immer und immer wieder fanden sich ihre Lippen und der Braunhaarige fühlte sich inzwischen, als würde er fliegen. Erst als Naoto-sans Hand anfing, immer tiefer zu gehen und allmählich gefährliche Bereiche erreichte, kam Akira wieder zu sich. Das hier war falsch, so falsch… „Naoto-san...warte...ich...“ Schon wieder reagierte der andere nicht, sondern öffnete die Hose des Braunhaarigen und umfasste dessen Männlichkeit, was Akira nun lauter stöhnen ließ. Nein, das konnten sie nicht tun… Heftig stieß er Naoto-san von sich, was diesen beinahe vom Bett warf. „Akira-kun...“ „Was soll das werden, Naoto-san?“ fragte der Braunhaarige keuchend. „Hast du deine Verlobte vergessen? Die ein Kind von dir erwartet?“ „Hanako...“ Die Augen des Rothaarigen klärten sich allmählich wieder und er schien endlich zu realisieren, was beinahe zwischen ihnen vorgefallen wäre. „Ich...so wollte ich nicht reagieren...bitte verzeih mir, Akira-kun...warum...warum habe ich es nur so genossen...Ich konnte nicht mehr klar denken...“ Obwohl sein ganzer Körper dagegen protestierte, schloss Akira seine Hose und näherte sich dann Naoto-san, der aussah, als hätte er einen Schlag mit einer Keule bekommen. „Naoto-san...kann es sein, dass du bisexuell bist?“ „Bisexuell? Ich...ich weiß es nicht...bisher war ich nur mit Frauen zusammen...was mache ich denn jetzt...Hanako wird mich bestimmt verlassen, wenn sie davon erfährt...“ Akira legte Naoto-san eine Hand auf die Schulter und dieser warf ihm einen verzweifelten Blick zu. „Du musst es ihr sagen. Das ist nur fair. Sie kann dir bestimmt helfen. Das ist doch ihr Job, richtig? Und ich glaube nicht, dass sie dich sofort verlassen wird. Zusammen werdet ihr eine Lösung finden. Ganz sicher.“ Naoto-san lächelte kurz und hoffnungsvoll, ehe er nickte. „Du hast Recht. Ich danke dir, Akira...“ Kapitel 13: Jonahs Geschichte (Part 1) -------------------------------------- Ein Monat war seit jenem Tag vergangen. In dieser Zeit hatte sich einiges getan. Naoto-san schien sich an Akiras Rat gehalten und seiner Verlobten alles erzählt zu haben. Tatsächlich hatte diese den Rothaarigen nicht verlassen, sondern ihm ganz im Gegenteil angeboten, gemeinsam zu einer Beratungsstelle zu gehen, damit sie eine Lösung finden konnten. Auch bei Jonah war der Braunhaarige weitergekommen. Inzwischen redeten sie sehr viel miteinander und laut Fujima-sensei war dies ein sehr guter Schritt. Auch mit den anderen Polizisten schien sich der junge Mann inzwischen besser zu verstehen. Minami-san war ebenfalls begeistert von diesen Neuigkeiten gewesen. Dennoch war Akira in seinem Fall kaum weitergekommen. Auch wenn er wusste, dass Jonah einfach noch Zeit brauchen würde, ehe er seine Erlebnisse wiedergeben konnte, ärgerte es ihn, dass er so wenig ausrichten konnte. Da halfen selbst die Aufmunterungsversuche der Anderen nicht viel. Das Gefühl, der ganzen Sache nicht gewachsen zu sein, schwelte immer mehr in dem Braunhaarigen. Als er schließlich gemerkt hatte, dass ihm alles über den Kopf wuchs, hatte er kurzerhand zwei Wochen Urlaub genommen, um auf andere Gedanken zu kommen. Und so kam es, dass er nun in der Küche stand und das Mittagessen vorbereitete, während das Radio den Raum mit ruhiger Musik erfüllte. Gerade, als er fertig geworden war, kam Jonah in die Küche. „Es riecht so gut hier. Was machst du denn?“ „Curry. Du kannst den Tisch decken, ich bin gerade fertig geworden.“ Kurz danach saßen sie am Esstisch und verzehrten schweigend ihre Mahlzeit. „Willst du nachher etwas unternehmen?“ erkundigte sich Akira schließlich, als er die angespannte Ruhe nicht mehr aushielt. „Woran hattest du gedacht?“ „Hmm...was hältst du von Bowlen?“ „Von mir aus gerne. Aber ich sollte dich warnen. Ich bin ganz furchtbar darin.“ „Ich auch. Aber dann kommen wir wenigstens mal wieder etwas raus.“ Jonah lächelte kurz, dann nickte er. Also bereiteten sie sich vor und machten sich auf den Weg. In der Bowlinghalle war glücklicherweise nicht viel los und die nächsten Stunden waren sie vollauf beschäftigt. Als es langsam spät wurde, beendeten sie das Spiel und fuhren wieder zurück. „Wir waren echt schlecht, oder?“ fragte Akira lachend. „Ganz schrecklich. Davon sollten wir lieber niemandem erzählen.“ antwortete Jonah grinsend und zog sich die Perücke vom Kopf. Dann, ganz plötzlich, nahm sein Gesicht einen düsteren Ausdruck an. „An dem Tag, als ich entführt wurde, wollte ich mit meinem Bekannten eigentlich auch zum Bowlen.“ „Oh...“ brachte der Braunhaarige nur heraus. Damit hatte er nun wirklich nicht gerechnet. „Ja...er hatte mich eingeladen. Hätte ich geahnt, was mich erwartet, wäre ich wahrscheinlich nie aus dem Haus gegangen.“ Niedergeschlagen setzte Jonah sich auf das Sofa und Akira folgte seinem Beispiel. Unbemerkt von dem anderen schaltete der Braunhaarige die Minikamera und die Wanze ein, die er gewohnheitsmäßig ständig bei sich trug. „Ich war ein völlig willkürliches Opfer, weißt du.“ fuhr Jonah fort, wobei er aus leeren Augen auf den Boden starrte. „Es hätte jeden treffen können. Leider ist die Wahl durch mein ausländisches Aussehen auf mich gefallen.“ Der junge Mann hielt kurz inne und als er weitersprach, klang seine Stimme belegt. „Ich bin so dumm gewesen. Als dieser Transporter neben mir langsamer geworden ist, bin ich überhaupt nicht misstrauisch geworden. Ich habe mich sogar wie ein Idiot von dem Beifahrer ablenken lassen. Er hat mich nach der Uhrzeit gefragt, während zwei andere Männer die Seitentür geöffnet und sich an mich herangeschlichen haben. Es war furchtbar heiß an jenem Tag, weshalb die Straßen wie ausgestorben waren. Die meisten Menschen waren wahrscheinlich im Schwimmbad oder haben sich in ihren Häusern verkrochen. Jedenfalls hat niemand meine Schreie gehört, als mir einer der Männer ein Tuch mit Chloroform unter die Nase gehalten hat. Dann wurde ich den Wagen gezerrt und zum Sweet Apple gebracht. Ich bin erst wieder wach geworden, als ich bereits nackt, geknebelt und festgekettet in diesem Kellerraum lag. Um mich herum standen fünf Männer. Einer davon war der Besitzer des Bordells. Die anderen waren wohl ziemlich gut verdienende Personen, die alle Anzüge trugen. Sie schienen eine Auktion abzuhalten, jedenfalls haben sie verschiedene Geldsummen genannt, die immer höher wurden. Schließlich hat einer 7504,80 Yen geboten und der Rest ist ausgestiegen.“ „Sag nicht, sie haben...“ sagte der Braunhaarige entsetzt. „Doch, genau das. Sie haben auf meine Unschuld geboten. Der mit dem höchsten Gebot wurde mit mir alleine gelassen. Was dann passiert ist, kannst du dir sicher denken.“ Wieder brach Jonah ab und Akira sah, wie er um Worte kämpfte. „Das Schlimmste kam aber erst, als der Kerl mit mir fertig war. Nachdem er abgehauen ist, hat der mit dem zweithöchsten Gebot das Zimmer betreten und ist über mich hergefallen. Und so ist es dann weitergegangen, bis alle, die an der Versteigerung teilgenommen haben, auf ihre Kosten gekommen sind.“ Nach diesen Worten blieb Jonah still und Akira verspürte das Verlangen, den anderen in die Arme zu nehmen. „Würdest du die Männer wieder erkennen?“ fragte er stattdessen vorsichtig. „Ja, würde ich. Sie sind in den folgenden Jahren oft wiedergekommen und ich habe gelernt, mir bestimmte Auffälligkeiten einzuprägen.“ Der junge Mann schüttelte geistesabwesend den Kopf und sein Blick wurde wieder etwas lebendiger. „Jedenfalls wäre das kein Thema. Ich bin mir nur nicht sicher, ob mir jemand meine Geschichte glauben wird.“ „Das wird schon werden.“ „Hoffentlich behältst du Recht. Ich glaube, ich werde mich hinlegen. Gute Nacht, Akira.“ „Schlaf gut.“ Jonah verschwand in sein Zimmer und auch Akira beschloss, schlafen zu gehen. Doch seine Gedanken wirbelten wild durcheinander. Was er gehört hatte, hinterließ ein schlechtes Gefühl in ihm. Und er hatte die ungute Vorahnung, dass der andere ihm noch nicht alles erzählt hatte. Ob er wohl jemals verarbeiten konnte, was ihm passiert war? Würde er es schaffen, ein normales, unbeschwertes Leben zu führen? Der Braunhaarige wünschte es Jonah aus ganzem Herzen. Er sah den jungen Mann inzwischen als guten Freund, nicht mehr nur als einen Kronzeugen. Seit er mit Jonah in einer Wohnung lebte, war dieser ihm immer wichtiger geworden. Er wollte und würde den anderen so lange beschützen, bis dieser das Glück erfahren durfte, das er mehr als verdient hatte. Kapitel 14: Eine Frage des Vertrauens ------------------------------------- Regen trommelte gegen das Wohnzimmerfenster und der Himmel war grau und wolkenverhangen. Mit einer Tasse Kaffee in der Hand saß Akira am frühen Morgen auf dem Sofa und tippte gelangweilt auf seinem Handy herum. Eigentlich hätte er schon mit dem Frühstück anfangen sollen, doch irgendwie fehlte ihm die Motivation. Auf seinem Handy stapelten sich Nachrichten, hauptsächlich von seinem älteren Bruder. Momentan war er damit beschäftigt, diese ungelesen zu löschen. Er hatte seit Jahren keinen Kontakt mehr zu seiner Familie und auch nicht die Intention, etwas daran zu ändern. Eigentlich hatte er schon lange vorgehabt, seine Nummer zu ändern, doch sein verdammtes Pflichtgefühl hatte ihn daran gehindert. Dabei wusste er doch genau, dass sich nichts am Inhalt der Nachrichten ändern würde. Probeweise öffnete er eine der Nachrichten, besser gesagt, die neueste, die er von seinem Bruder bekommen hatte. `Du verdammte Schwuchtel. Es ist dir wohl wichtiger, dir etwas in den Arsch schieben zu lassen, als deinem eigenen Bruder zu helfen. Ich hätte dir damals nicht die Nase, sondern dein dämliches Genick brechen sollen.´ Mit einem wütenden Schrei warf der Braunhaarige das Handy gegen die Wand und versuchte, sich wieder zu beruhigen. Er hätte es besser wissen müssen. „Akira...“ sprach ihn eine weiche, helle Stimme verunsichert an und er hob den Blick. Jonah stand an der Tür und blickte mit besorgtem Blick zwischen ihm und dem zerstörten Handy hin und her. Akira sah den anderen an und dieser wich etwas zurück, ehe sich seine Hände zu Fäusten ballten und er ohne zu zögern auf den Braunhaarigen zuging. Direkt vor ihm blieb er stehen, ging in die Knie und umarmte Akira. „Akira...was ist passiert?“ Der Körper des Braunhaarigen verkrampfte sich. Er hatte nicht gewollt, dass Jonah ihn so sah, doch diese Nähe konnte er gerade nicht ertragen. Bilder, die er längst verdrängt hatte, stiegen in ihm hoch und er musste gegen den Impuls ankämpfen, den jungen Mann von sich zu stoßen. Stattdessen legte er ihm eine Hand auf den Kopf und streichelte kurz über die hellblonden Haare, ehe er die Umarmung löste und Jonah anblickte. „Entschuldige. Ich wollte dir keine Angst machen. Ist es in Ordnung für dich, wenn ich dich eine Weile alleine lasse? Ich brauche etwas Zeit für mich.“ Der andere stand auf und wirkte nun noch besorgter. Dennoch nickte er. „Ist okay. Ich werde uns was kochen, während du weg bist.“ So wanderte der Polizist etwas später durch den strömenden Regen und drängte die Erinnerung an seine Familie wieder in seinen Hinterkopf zurück. Nun würde er wohl keine andere Wahl haben, als sich ein neues Handy anzuschaffen. Vielleicht war es besser so. Dann hätte er wenigstens seine Ruhe vor seinem Bruder. Auch seine Eltern würden sich wohl kaum bei ihm melden. Nicht, seit sie von seiner sexuellen Ausrichtung wussten. Entschieden schüttelte Akira den Kopf und machte sich auf den Weg zum Elektromarkt. Dort besorgte er sich ein neues Handy und ließ sich das Gerät auch gleich erklären, bevor er beschloss, noch ein wenig in ein Café zu gehen und einen Kaffee zu trinken. Doch gerade, als er einen nett aussehenden Laden gefunden hatte, hörte er, wie jemand seinen Namen rief. Er wandte den Kopf und erkannte Hanako-san und Naoto-san, die seinen Blick ziemlich ernst erwiderten. „Warum bist du ohne Regenschirm unterwegs? Du bist ja völlig durchnässt.“ „Nicht so wichtig. Wie geht es euch?“ „Einigermaßen.“ antwortete der Rothaarige. „Die Beratung hilft uns wirklich, alles zu verarbeiten. Und inzwischen habe ich angefangen, meine Bisexualität zu akzeptieren.“ „Das ist gut. Was ist mit Ihnen, Hanako-san?“ „Am Anfang war es wirklich schwer für mich. Ich hatte große Schwierigkeiten, mit der Neuigkeit umzugehen, dass mein Verlobter auch Männer sexuell anziehend findet. Aber ich liebe ihn immer noch und weiß, dass auch er mich liebt. Es ist nur...unser Berater hatte eine ziemlich...sagen wir unorthodoxe Idee. Er meinte, es wäre ein wichtiger Schritt für Naoto, einmal mit einem Mann zu schlafen.“ „Was? Warum schlägt er denn so etwas vor?“ „Nun, laut seinen Worten könnte es sonst später durchaus sein, dass ich irgendwann depressiv werde. Er sagte, es wäre ein Wunder, dass es bisher nicht so weit gekommen ist.“ Verwirrt fuhr Akira sich durch die Haare. „Das ist mal wirklich ein unorthodoxer Vorschlag. Es tut mir wirklich leid. Ich habe das Gefühl, dass das alles meine Schuld ist.“ „Bitte, machen Sie sich deswegen keine Vorwürfe, Ito-san.“ sagte Hanako-san schnell und wedelte abwehrend mit den Händen. „Wenn überhaupt, ist es meine Schuld. Schließlich war ich es, die alles ins Rollen gebracht hat.“ „Ihr werdet das schon schaffen. Wenn ich irgendwie helfen kann, sagt Bescheid.“ „Tatsächlich kannst du das, Akira-kun. Wir haben uns nach diesem Gespräch sehr lange unterhalten und sind zu dem Ergebnis gekommen, dass ich mein erstes Mal mit einem Mann nicht mit einem Wildfremden haben sollte. Nachher bekomme ich noch eine Geschlechtskrankheit oder werde gefühlsmäßig kaputtgemacht. Deswegen haben wir entschieden, dass es jemand sein sollte, dem ich vertraue.“ „Das wird schwierig werden. Es ist schon kompliziert, das Vertrauen einer Frau zu gewinnen. Aber die meisten Männer, mit denen ich im Laufe der Zeit geflirtet habe, sind in dem Punkt noch schlimmer. Die wollen einen nur für eine Nacht, um sich dann nie wieder zu melden.“ „Deswegen ist meine Wahl auch auf dich gefallen.“ antwortete Naoto-san todernst. Völlige Stille herrschte nach diesen Worten. Ungläubig wanderte Akiras Blick zwischen den beiden hin und her, in der Hoffnung, dass sich alles gleich als Scherz herausstellen würde. „W-was? Warum auf mich?“ stotterte er schließlich vollkommen überfordert. „Wie gesagt, weil es jemand sein sollte, dem ich vertraue.“ „Aber…das geht nicht…mir auf einmal so etwas vorzuschlagen...und auch noch im Beisein deiner Verlobten...ich...“ „Ich war mit dieser Wahl einverstanden.“ unterbrach Hanako-san ihn. „Ich...nein, das geht nicht...ich meine, wir sind Kollegen...außerdem weißt du doch, wie ich dir gegenüber fühle, Naoto-san...ich kann das wirklich nicht...“ Der Rothaarige trat an Akira heran und umfasste dessen Gesicht mit seinen Händen, wobei er ihm direkt in die Augen sah. Diesem gelang es nicht, sich abzuwenden. „Ich liebe dich nicht auf diese Weise, Akira-kun. Das musst du verstehen. Du bist ein wirklich guter Freund für mich, besonders, weil du mich letztes Mal zur Vernunft gebracht hast. Du hättest die Situation ausnutzen können, doch es war dir wichtiger, dass ich Hanako nicht betrüge. Dafür bin ich dir unendlich dankbar. Aber ich kann dich nicht so lieben, wie du mich liebst.“ Nun wandte der Braunhaarige doch den Blick ab. „Warum willst du dann dein erstes Mal mit mir verbringen? Wofür hältst du mich? Wie kannst du von mir erwarten, dass ich so einem Vorschlag zustimme, ohne dabei auf meine Gefühle zu achten? Ich bin keine Sexpuppe, Naoto. Und ich habe sicher nicht vor, mich ausnutzen zu lassen.“ „Nein...du verstehst das falsch...“ Der Rothaarige ließ Akira los und warf seiner Verlobten einen hilfesuchenden Blick zu, die nun selber an den Braunhaarigen herantrat und Akiras Hand mit ihrer eigenen umschloss. „Wir haben dich nicht aus solchen Gründen ausgewählt. Es ging uns um Vertrauen. Naoto vertraut dir so sehr, dass er dich ausgesucht hat, anstatt einfach irgendjemanden zu fragen. Und ich vertraue dir genug, dass ich dem Vorschlag zugestimmt habe. Ja, es wäre schwer für dich, weil du in Naoto verliebt bist, aber Akira...fühlst du wirklich noch derart stark für ihn?“ Darüber musste der Braunhaarige nachdenken. Hatte er tatsächlich noch solche starken Gefühle für den anderen? Nach allem, was passiert war, war seine Liebe für den Rothaarigen wirklich abgeflaut. Dennoch… „Ich will nicht verletzt werden. Und wenn ich zustimme, werde ich verletzt. Es würde mir das Herz brechen, Naoto-san in mein Bett zu lassen, nur um zu wissen, dass es für ihn nur eine einmalige Sache war und er es nur getan hat, um sein Verlangen nach einem Mann zu stillen. Also, danke für euer Vertrauen, aber meine Antwort ist nein.“ Akira zog seine Hand zurück, wandte sich ab und ließ die beiden stehen. Seine Gedanken rasten in seinem Kopf umher und seine Hände zitterten. Niemals hätte er damit gerechnet, dass Naoto-san ihm einen solchen Vorschlag machen und Hanako auch noch damit einverstanden sein würde. Doch seine Entscheidung stand fest. Er würde es nicht tun. Die beiden schienen ihn für einen einfachen Stricher zu halten, der sofort mit Naoto-san ins Bett sprang, nur weil dieser sich für ihn entschieden hatte. Was war sein Wort schon wert? Schließlich wollte er nur mit jemandem schlafen, den er liebte und der ihn auch liebte. Und bei dem Rothaarigen war es nun mal so, dass dieser nichts für ihn empfand. Auf so etwas konnte er getrost verzichten. Sollte Naoto-san doch seine Bisexualität mit einem anderen erkunden. Er würde dabei sicher nicht mitmachen, selbst wenn er wirklich dankbar für das Vertrauen war, dass die beiden in ihn hatten. Mit diesen Gedanken machte er sich auf den Weg nach Hause. Es wurde Zeit, dem ganzen Wahnsinn um ihn herum zu entkommen und zu seinem normalen Leben zurückzukehren. Kapitel 15: Ungewollt --------------------- Als Akira zurückkehrte, schlug ihm ein wundervoller Geruch entgegen. Jonah hatte nicht nur wie versprochen gekocht, sondern auch die Überreste vom alten Handy des Braunhaarigen entfernt. „Ich bin wieder da.“ „Willkommen zurück. Setz dich, ich bin gerade fertig geworden. Der Tisch ist schon gedeckt.“ Akira warf einen Blick zum Esstisch und fand dort einen seiner Kollegen vor, der ihm leicht verlegen zulächelte. „Er hat mir beim Kochen geholfen. Dafür habe ich ihn eingeladen, mitzuessen.“ „Wohl eher bestimmt. Ich wollte das gar nicht, aber es hat so herrlich gerochen. Außerdem hat er mich zum Helfen genötigt.“ Akira musste lächeln, als er das hörte und noch mehr, als er sah, wie Jonah rot anlief. „Tut mir leid. Als ich einmal meine Großeltern überraschen wollte, habe ich auch für sie gekocht und dabei ist ein Freund von mir vorbeigekommen. Er sagte später, ich hätte ihn durch die halbe Küche gejagt, aber das wäre es wert gewesen.“ Der Polizist am Tisch lachte auf. „Das mit dem Jagen kann ich bestätigen.“ Jonah drehte sich um und stellte den Topf mit dem Essen auf den Tisch, immer noch leicht rosa um die Nase. „Gemeinheit. So schlimm war es gar nicht.“ Dann warf er dem Braunhaarigen einen Blick zu und ein erschrockener Ausdruck trat in sein Gesicht. „Du bist ja klatschnass. Warte, ich hole dir ein Handtuch.“ „Das musst du nicht, ich...“ begann Akira, doch schon war Jonah davon gestürmt. „...wollte sowieso später noch duschen.“ beendete der Polizist den Satz seufzend. Sein Kollege lachte erneut auf. „Versuchen Sie es lieber gar nicht erst, Ito-san. Es hat sowieso keinen Sinn.“ „Das habe ich gehört.“ meinte der junge Mann vorwurfsvoll, der gerade wieder zurückkehrte und Akira ein Handtuch zuwarf, der es auffing und begann, sich wenigstens die Haare abzutrocknen. „Wenn Sie mich weiter so ärgern, werde ich mir das mit dem Essen noch einmal überlegen.“ „Alles, nur das nicht. Ich verspreche, ich benehme mich.“ Tatsächlich verlief das Essen recht unterhaltsam. Akiras Kollege, der sich als Nagisa Kyoya vorstellte, war ein sympathischer und lustiger Mensch, der es nicht nur schaffte, Akira zum Lachen zu bringen, sondern auch so sehr von Jonahs Essen schwärmte, dass dieser wieder knallrot anlief. Schließlich waren sie fertig und Nagisa verabschiedete sich, versprach aber, gerne wieder vorbeizukommen. Kaum war er gegangen, wandte sich Jonah Akira zu. „Geh unter die Dusche. Das Aufräumen bekomme ich selber hin. Schließlich musst du übermorgen wieder arbeiten.“ „Sehr wohl.“ gab sich der Braunhaarige geschlagen. Insgeheim freute er sich, dass der andere so sehr aus sich herausgekommen war. Außerdem musste Akira tatsächlich bald wieder los und er bezweifelte, dass jemand es besonders toll finden würde, wenn er erkältet zum Dienst erschien. Der nächste Tag verlief aber, ohne dass bei dem Polizisten ein Zeichen einer Erkältung auftauchte und schon saß er wieder in seinem Büro, damit beschäftigt, den Bericht von Jonahs Fall weiter zu schreiben. Nur gab es dort nicht wirklich viel zu tun. Der Bordellbesitzer und der Mann, der versucht hatte, Jonah zu töten, schwiegen immer noch entschieden. Da noch kein Termin für die Gerichtsverhandlung feststand, würden sie so lange in Untersuchungshaft bleiben, bis ihnen der Prozess gemacht wurde. Ein lauter Ruf erregte seine Aufmerksamkeit und er trat in den Flur, um nachzusehen, was los war. Als er die Person erkannte, die dort für Aufruhr sorgte, blieb er wie angefroren stehen. Sein Innerstes schien sich in einen eisigen Block aus Angst zu verwandeln. Das konnte nicht sein...das durfte nicht sein...warum...warum war sie hier… Ohne es zu bemerken, wich er an die Tür zurück, doch da hatte sie sich bereits umgedreht und ihn entdeckt. Sie war alt geworden, abgemagert, doch sie hatte nichts von ihrer schrecklichen Präsenz verloren. Ihre Augen bohrten sich in seine, nagelten ihn förmlich am Boden fest. Der Braunhaarige spürte, wie er unkontrolliert zu zittern begann. Sie sollte nicht hier sein...wie hatte sie ihn gefunden….nach all diesen Jahren… Durch den Lärm angelockt, traten auch Minami-san, Naoto-san, Isamu-san und Kyoya-san in den Flur. Ihre Blicke wandelten sich von fragend zu verunsichert, als sie zwischen den beiden Personen im Flur hin und her sahen. All das bekam Akira überhaupt nicht mit. Er stand nur da und blickte in die hasserfüllten Augen seiner Mutter. „Du wertloses Nichts!“ schrie diese sofort los und alle im Flur zuckten zusammen. „Wie kannst du es wagen, deinem Bruder die Hilfe zu verweigern? Ich wünschte, du wärst nie geboren worden, du dreckige Tucke! Wer will schon etwas mit dir zu tun haben? Du bist nichts weiter als unnormaler Abschaum! Ich verachte dich, du hässliches Stück Müll!“ Akira schlug die Hände vor das Gesicht und sackte an der Tür entlang zu Boden. Wieder stiegen die Bilder in ihm auf...seine Mutter, die ihn mit einem Gürtel verprügelte, während sein Bruder zusah und lachte...sein Vater, der nie etwas getan hatte, um Akira zu helfen...er war schwach gewesen...zu schwach… Seine Mutter schwankte, offensichtlich war sie mal wieder betrunken. Doch der Braunhaarige spürte, wie ihre Augen ihn weiter fixierten. Diese Augen, die den seinen so ähnlich waren… „Du wirst deinem Bruder gefälligst helfen, verstanden? Im Gegensatz zu dir ist er nämlich gewollt und hat noch die Chance, es zu etwas zu bringen.“ „Kyoya-san, Isamu-san.“ Die eiskalte Stimme Minami-sans erfüllte deutlich und klar den Flur. „Schaffen sie diese schreckliche Person hier raus. Sofort.“ Ohne ein Wort traten die beiden an Akiras Mutter heran und ergriffen sie an den Oberarmen. Während sie sie in Richtung Ausgang zogen, schrie die Frau weiter. „Glaub ja nicht, dass du dich vor mir verstecken kannst, abartiger Pisser! Ich werde dich immer finden, hörst du? Immer!!“ Der Braunhaarige fing an, leicht vor und zurück zu wippen. „Wertlos...dreckig...unnormal...hässlich...abartig...“ wiederholte er die Worte seiner Mutter. „Ito-san...“ Die Leiterin der Polizeiwache klang besorgt und erschüttert. „Wertlos...dreckig...unnormal…hässlich...“ „Akira-kun.“ Eisiges Blau tauchte vor Akiras Augen auf. Naoto-san hatte sich vor ihn gekniet und ihm behutsam die Hände vom Gesicht gezogen. „Wertlos...dreckig...“ murmelte der Braunhaarige weiter. Er war wie in Trance. „Akira...“ Wärme umfing ihn und er hörte schnellen Herzschlag. „Bitte beruhige dich, Akira-kun. Sie ist weg. Diese furchtbare Frau kann dir nichts mehr anhaben. Es ist alles in Ordnung.“ Akira krallte seine Finger in das Oberteil des Rothaarigen und lehnte sein Gesicht an dessen Brust. Seine Gefühle überschlugen sich und abgehacktes Schluchzen kam aus seinem Mund. „Ich werde ihn nach Hause bringen. Er soll sich erst einmal wieder fangen.“ „Bitte tun Sie das, Sakai-san. Ich werde sie beide für heute vom Dienst freistellen.“ „Danke, Minami-san. Komm, Akira-kun. Kannst du aufstehen?“ Mit der Hilfe von Naoto-san kam der Braunhaarige wieder auf die Beine und ließ sich von ihm aus dem Gebäude führen. Dabei hielt er Blick gesenkt. Er wollte nicht, dass jeder ihn in diesem Zustand sah. Die beiden Polizisten stiegen in ein nahestehendes Auto und der Rothaarige fuhr los. Akira war derart durcheinander, dass ihm gar nicht auffiel, dass sie nicht zu der Unterkunft fuhren, in der er mit Jonah wohnte, sondern zu seiner eigenen Wohnung. Apathisch stieg er aus und ging zur Tür. „Hast du den Schlüssel, Akira-kun?“ Der Braunhaarige zog seinen Schlüsselbund aus der Tasche und öffnete die Tür. „Ich hoffe, es ist für dich in Ordnung, dass ich dich hierher gebracht habe. Ich dachte mir nur, dass der Kleine dich lieber nicht so sehen sollte.“ Naoto-san schloss die Tür und Akira lief durch den Flur zu seinem Schlafzimmer, wo er sich auf dem Bett zusammenkauerte. „Akira-kun...“ „Es ist schon okay, Naoto-san.“ sagte der Braunhaarige emotionslos. Inzwischen waren die Tränen versiegt und einer völligen Gefühllosigkeit gewichen. „Du kannst gerne nach Hause fahren, wenn du das möchtest. Es wird mir bald besser gehen, wenn ich einfach hier liegenbleibe. Das ist immer schon so gewesen.“ „Du spinnst wohl.“ antwortete Naoto-san und setzte sich zu ihm. „Als ob ich dich alleine lassen würde.“ Akira bekam am Rand mit, wie der Rothaarige ihm eine Hand auf die Wange legte. „Deine Kindheit muss die Hölle gewesen sein.“ sagte er und der Braunhaarige drehte sich auf den Rücken und blickte den anderen an. „Das war sie.“ erwiderte er nur und der Rothaarige sah ihn mitfühlend an, bevor er sich nach vorne beugte. Kurz war Akira verwirrt, bis er Naoto-sans Lippen auf seinen spürte. Es war ein kurzer, sanfter Kuss, dennoch war Akira für diese Berührung dankbar. Dass es jemanden gab, der ihn nicht hasste, war gerade jetzt für ihn sehr viel wert. Seine Gedanken schienen sich auf seinem Gesicht abzuzeichnen, denn Naoto-san küsste ihn gleich noch einmal, dieses Mal jedoch tiefer und länger. Der Braunhaarige erwiderte den Kuss. Die Lippen des Rothaarigen waren so warm...so weich… Er schloss die Augen und erlaubte sich, für diesen Moment in der Wärme aufzugehen. Nur für diesen Moment... Kapitel 16: Nur noch vergessen... --------------------------------- Der Kuss wurde gelöst und Akiras Blick traf den von Naoto-san. Der Rothaarige schien nicht wirklich zu wissen, was er sagen sollte. Akira richtete sich auf und schlang seine Arme um den Rücken des anderen. „Akira-kun...“ „Nichts sagen, nicht bewegen. Nur noch ein bisschen...“ Naoto-san zog den Braunhaarigen dicht an sich und fuhr ihm behutsam über den Rücken. Nach einer Weile fühlte Akira sich etwas besser und ließ Naoto-san los, der ihn sanft anlächelte. „Du bist viel zu niedlich, weißt du das?“ „Nenn mich nicht immer niedlich. Ich bin doch keine Katze.“ „Akira-kun...“ Als Naoto-san ihn erneut küsste, festigte der Braunhaarige ihre Umarmung und vergrub seine Finger in den langen, roten Haaren des anderen. Naoto-san zog sich etwas zurück und gluckste. „Bist du sicher, dass du keine Katze bist?“ „Blödmann.“ Der Rothaarige streichelte kurz seine Wange, ehe er behutsam an Akiras Hals knabberte. Dieser konnte sich ein Kichern nicht verkneifen. „Lass das...ich bin kitzlig...“ „Tatsächlich? Gut zu wissen.“ antwortete Naoto-san und fing wieder an, den Braunhaarigen zu necken, bis dieser ihn lachend von sich schob. „Auf-...aufhören...bitte...das ist unfair…“ Der andere löste sich von ihm und wieder sah Akira in diese eisblauen Augen. Ein weiteres Mal nahm Naoto-san seine Lippen in Beschlag. Während ihres Kusses merkte der Braunhaarige, wie sich ihm eine warme Hand auf die Schulter legte, unter sein Oberteil glitt und sacht seinen Nacken kraulte. Sein Herzschlag wurde etwas schneller, ebenso wie seine Atmung. Ohne Widerstand ließ er es zu, dass der Rothaarige sich über ihn beugte und ihn damit auf das Bett drückte. Ohne die Berührung ihrer Lippen zu unterbrechen, nahm Naoto-san die Hand vom Nacken des Braunhaarigen, allerdings nur, um sich seinem Brustkorb und Bauch zu widmen. Akira keuchte leicht in den Kuss hinein, während seine Gefühle sich auf Achterbahnfahrt begaben. Warum musste Naoto-san nur so eine Wirkung auf ihn haben? Sehr langsam begann der Rothaarige, mit seiner freien Hand Akiras Hemd aufzuknöpfen, anscheinend bereit, sich sofort zurückzuziehen, falls der Braunhaarige etwas sagen sollte. Akira konnte nicht mehr klar denken. Die Wärme des anderen machte ihn fast wahnsinnig und seine Berührungen sorgten dafür, dass sein Körper immer wieder erschauerte. Er bekam kaum mit, wie ihm sein Oberteil gänzlich ausgezogen wurde und zu Boden segelte. Naoto-san strich ihm behutsam über die Seiten und küsste sich an seinem Hals entlang zu seinem Brustbein, über seine Brust bis zum Bauchnabel und wieder zu seinem Hals hinauf. Der Braunhaarige keuchte wieder auf und genoss die Zärtlichkeiten des anderen. Dieser richtete sich etwas auf und entfernte sein eigenes Oberteil. Kurz bewunderte Akira den Anblick, der sich ihm bot, ehe Naoto-san seine Hand ergriff und sie auf den muskulösen Bauch legte. Akira verstand und ging nun selber daran, sich der freigelegten Haut zu widmen. Eine Weile ging es so weiter, bis Naoto-san mit seinen Fingerspitzen über den Bund von Akiras Hose fuhr. Der Braunhaarige merkte, wie sich das Kleidungsstück von ihm verabschiedete und leichte Wärme stieg in seine Wangen, als ihm klar wurde, dass er nun halbnackt unter dem anderen lag und seine Erregung sich ziemlich eindeutig unter seinen Shorts abzeichnete. „Wenn du rot wirst, bist du sogar noch niedlicher.“ wisperte Naoto-san ihm mit dunkler Stimme zu und Akira wurde in einen heftigen, fordernden Kuss verwickelt. Es schien Ewigkeiten zu dauern, bis der Rothaarige ihn vollständig ausgezogen hatte und sich nun selbst seiner restlichen Kleidung entledigte. Akira war viel zu heiß. Sein Körper schrie förmlich nach mehr und sein logisches Denken hatte ihn bereits vor einer Weile verlassen. Als er spürte, wie sich Naoto-sans Hand um sein Glied schloss und anfing, es in einem langsamen, gleichmäßigen Rhythmus zu stimulieren, löste er den Kuss und stöhnte auf. Auch der Rothaarige keuchte inzwischen und seine Augen waren derart verdunkelt, dass sie nun nicht mehr Eis, sondern eher funkelnden Diamanten ähnelten. Er erhöhte das Tempo und der Braunhaarige streckte sich unbewusst dem anderen entgegen. „Akira-kun...“ hörte er Naoto-sans Stimme und dieser schaffte es, den Rothaarigen direkt anzusehen. „Hast du etwas zum Schutz da?“ „ Im...Nachtschrank...Mitt...mittlere Schublade...“ brachte Akira hervor und schon hörte er, wie Naoto-san in dem besagten Fach herumkramte, bis er gefunden hatte, was er suchte. Der Rothaarige nahm seine Hand weg und das Reißen von Plastik drang in Akiras Ohren. Seine Nerven waren zum Zerreißen gespannt. Naoto-san schien dies aufzufallen, denn er küsste den Braunhaarigen sacht und beruhigend auf die Stirn. „Ist schon gut, Akira-kun.“ hauchte er. „Ich verspreche, ich bin vorsichtig.“ Akira wollte antworten, doch der andere hatte bereits angefangen, in ihn einzudringen. Schmerz durchzuckte den Braunhaarigen und er verspannte sich etwas. Sein letztes Mal lag einige Zeit zurück, wodurch es sich für ihn gerade alles andere als angenehm anfühlte. Dann schoss ihm durch den Kopf, dass dies für Naoto-san das erste Mal war und er nicht wusste, dass er Akira hätte vorbereiten sollen. Als dieser sich allerdings vollständig in ihm versenkt hatte und schon anfangen wollte, zuzustoßen, hielt der Braunhaarige ihn zurück. „Naoto-san...warte...es...es ist unangenehm...“ Der Rothaarige blickte ihn an und Besorgnis trat in sein Gesicht. „Akira-kun?“ „Beweg dich einfach eine Weile nicht. Und sei so umsichtig, deinen nächsten Partner vorzubereiten.“ „Entschuldige...“ Es dauerte etwas, bis sich Akira so weit entspannt hatte, dass der Schmerz ein wenig verblasste. „Du kannst dich bewegen.“ Naoto-san tat wie geheißen und stöhnte nun selbst auf. Wieder fanden sich ihre Lippen und Akira legte seine Hände auf die Schulterblätter des anderen. Inzwischen spürte er keinerlei Schmerz mehr, nur noch Lust. Wie oft hatte er sich genau diese Situation vorgestellt. Doch nun tatsächlich auf diese Weise mit Naoto-san verbunden zu sein, übertraf seine Vorstellungen bei weitem. Der Rothaarige wurde etwas schneller und ihrer beider Stöhnen verband sich, während Akira leicht den Kopf in den Nacken legte. Naoto-san schien das als Einladung zu nehmen, denn er begann, federleichte Küsse auf der Haut des Braunhaarigen zu verteilen. Unter seinen Berührungen gelang es Akira, die Erinnerung an die Nachricht seines Bruders und das Treffen mit seiner Mutter zu verdrängen. Leicht strich er Naoto-san über den Rücken und seine Seite entlang, was dieser mit einem weiteren Kuss honorierte. Dann traf er unvermittelt Akiras Lustpunkt und dieser bäumte sich unter der heftigen Empfindung ein wenig auf. Der Rothaarige unterbrach ihren Kuss und sah Akira kurz besorgt an, ehe er ein gemeines Lächeln sehen ließ und erneut gegen den Lustpunkt des Braunhaarigen stieß. Akira merkte, wie er dem Orgasmus immer näher kam und hielt sich noch stärker an dem anderen fest. „Naoto-san...“ Weiter kam Akira nicht, denn Naoto-san hatte zum dritten Mal diesen magischen Punkt getroffen. Dem Braunhaarigen gelang es noch, seinen Kopf wegzudrehen und seinen Schrei im Kissen zu ersticken, als er über den Abgrund katapultiert wurde. Der Rothaarige folgte etwas später und ließ sich erschöpft auf Akira sinken. Dieser spürte Naoto-sans erhitzen Körper, seinen warmen Atem auf seiner Haut und seinen deutlich erhöhten Herzschlag. Selbst ziemlich erledigt, streichelte er träge durch die langen, roten Haare des anderen. Vorsichtig zog Naoto-san sich zurück und legte sich neben Akira und dieser bettete seinen Kopf auf der Schulter des Rothaarigen. Sie sprachen nicht, doch das war dem Braunhaarigen momentan auch völlig egal. Von ihm aus könnte er ewig hier liegen. Er hatte die leise Vorahnung, dass die Realität ihn schon sehr bald aus dieser Traumwelt herausreißen würde, doch gerade jetzt wollte er nur hier liegen und Naoto-sans Herzschlag zuhören. Die Ruhe um ihn herum war so unheimlich beruhigend… Er bemerkte, wie ihm eine Hand durch die Haare strich und fing an, mit seinen Fingern den Oberkörper des anderen zu kraulen. Er schloss die Augen und verfiel in einen leichten Dämmerzustand. Die Konsequenzen dessen, was gerade geschehen war, konnten später kommen. Nur noch ein wenig...wollte er diesen tiefen Frieden genießen. Kapitel 17: Das erste Date -------------------------- Gleichmäßiger Herzschlag, der an seine Ohren drang. Angenehme Wärme, die ihn zu umhüllen schien. Eine sehr gut gebaute Brust, an die er sich gekuschelt hatte. Lange, schlanke Finger, die seine Wange streichelten. Es war so unendlich angenehm… „Akira-kun…Ist alles in Ordnung?“ Der Braunhaarige kannte nur eine Person, die ihn auf diese Weise ansprach. Er hob den Kopf und allmählich drang die Erkenntnis bei ihm durch, als er eisiges Blau erkannte. Er hatte tatsächlich mit Naoto-san geschlafen. Und das kaum eine Woche, nachdem er genau das rigoros abgelehnt hatte. Verdammter Mist. Der Braunhaarige löste sich langsam von Naoto-san und setzte sich auf. „Es geht schon. Normalerweise habe ich zwar keine One-Night-Stands mit Kollegen, aber auch darüber werde ich hinwegkommen.“ Dem Rothaarigen schien die Bitterkeit in seiner Stimme aufgefallen zu sein, denn er stützte sich auf die Ellbogen und sah Akira ernst an. „Akira-kun, ich…“ „Jetzt ist es sowieso zu spät. Ich werde erst einmal unter der Dusche verschwinden.“ Naoto-san packte ihn am Arm und zog ihn zurück auf das Bett. Ehe der Braunhaarige etwas sagen konnte, lag er unter dem anderen, der ihn an den Handgelenken festhielt. „Könntest du mir vielleicht einmal zuhören?“ Akiras Augen weiteten sich etwas, als er den gereizten Unterton in der Stimme des Rothaarigen hörte. „Das mit dir war für mich mehr als ein einfacher One-Night-Stand.“ fuhr dieser dann so leise fort, dass Akira erst glaubte, ihn nicht richtig verstanden zu haben. „Du hast es geschafft, meine Gefühle völlig durcheinander zu bringen. Würdest du mir glauben, wenn ich dir sage, dass ich dich liebe? Nicht auf die gleiche Art wie Hanako, aber trotzdem genug, um mir mehr von deinen Berührungen zu wünschen.“ „Naoto-san...“ Akira spürte, wie sich ein Kloß in seinem Hals bildete. Hatte der andere ihm wirklich gerade gesagt, dass er ihn liebte? Er befreite sich von dem Griff Naoto-sans und zog diesen fest in seine Arme. Tief sog er diesen wundervollen Geruch ein, ehe er wieder etwas sagte. „Du bist schrecklich, weißt du das? Ich habe dich so lange geliebt und obwohl du es nicht gewusst hast, bist du mir immer wieder nahe gekommen. Und nun so etwas. Was hast du gedacht, wie ich auf diese Worte reagiere? Dir sollte klar sein, dass ich dich ebenfalls liebe. Aber bitte, beantworte mir eine Frage. Was ist das mit uns? Einfacher, bedeutungsloser Sex? Eine Art kruder Beziehung? Ich muss das wissen.“ Naoto-san löste sich von ihm und lächelte warm. „Krude Beziehung klingt gut. Denkst du, dass du damit leben kannst?“ Der Braunhaarige lächelte ebenfalls und nickte. „Es gibt sicher Schlimmeres, als mit dem heißesten Kerl der Gegend eine krude Beziehung zu führen.“ „Akira-kun...“ Der Rothaarige küsste ihn und eine Weile erwiderte Akira den Kuss, ehe er sich wieder aufrichtete. „Trotzdem werde ich jetzt duschen gehen. Falls du etwas trinken willst, ich habe noch einiges in der Küche. Du hast also freie Auswahl.“ Der Braunhaarige suchte sich noch neue Klamotten aus seinem Schrank heraus und verschwand dann im Badezimmer. Als er fertig war und in die Küche trat, schlug ihm der herrliche Duft nach frischem Kaffee entgegen. Naoto-san saß vollständig angezogen am Esstisch und schien tief in Gedanken versunken. „Geht es dir gut?“ erkundigte sich Akira und der andere schenkte ihm ein flüchtiges Lächeln. „Ja. Ich habe nur überlegt...hast du Lust, mit mir etwas Essen zu gehen, bevor du zu dem Kleinen zurückgehst?“ „Gerne.“ „Klasse. Ich kenne ein sehr nettes Restaurant in der Innenstadt.“ Die beiden tranken ihren Kaffee aus und etwas später waren sie auf dem Weg in die Innenstadt. Tatsächlich machte das Restaurant einen netten Eindruck und auch die Kellnerin, die sie bediente, war sehr höflich. „Es ist wirklich schön hier.“ meinte der Braunhaarige und Naoto-san strahlte. „Hier hatte ich meine erste Verabredung mit Hanako. Mein Vater hat es mir empfohlen, weil auch er dort sein erstes Date mit meiner Mutter hatte.“ „Ach so.“ „Akira-kun? Du wirkst so traurig. Ist alles in Ordnung?“ „Tut mir leid. Ich musste nur gerade wieder an meine Familie denken.“ Das Gesicht des Rothaarigen verdüsterte sich. „Du solltest sie einfach vergessen. So eine Familie braucht wirklich niemand.“ „Ja...vielleicht hast du Recht.“ Eine kurze Pause entstand zwischen ihnen, bevor Naoto-san sichtbar durchatmete und Akira direkt anblickte. „Darf ich dich etwas fragen?“ „Ähm...sicher.“ „Diese Frau hat deinen Bruder erwähnt. Was macht er denn beruflich, dass sie so eine hohe Meinung von ihm hat?“ Akira lachte humorlos auf. „Gar nichts. Er hat sich mit den falschen Leuten eingelassen und die verkehrte Frau kennengelernt. Nach allem, was ich weiß, bekommt er staatliche Unterstützung und versucht damit, die völlig übertriebenen Forderungen seiner Freundin zu erfüllen.“ Ungläubig sahen die eisblauen Augen ihn an, als er geendet hatte. „Aber...warum ist sie dann so?“ „Weil er nicht schwul ist. Ich habe bereits mit vierzehn gewusst, dass ich auf Männer stehe. Natürlich habe ich mich vor meiner Familie geoutet. Aber meine Familie hat nicht so reagiert, wie ich gedacht hatte. Mein Bruder hat mir an diesem Tag die Nase gebrochen und meine Mutter war der Meinung, dass sie mich schon noch >normal< bekommt. Sie war schon immer eine schwierige Person, doch als sie ihre Arbeit verloren hat, hat sie zu trinken begonnen. Immer, wenn sie zu tief ins Glas geschaut hatte, hat sie mich mit einem Gürtel verprügelt. Mit achtzehn habe ich es nicht mehr ausgehalten und bin abgehauen. In dieser Zeit habe ich dann Pablo kennengelernt. Ihm gehört eine Kneipe ganz in der Nähe. Er hat mich damals von der Straße aufgelesen und zu sich gebracht. Zusammen mit seiner Frau hat er sich um mich gekümmert und mich dazu ermutigt, mich als Polizist zu bewerben.“ Kurz unterbrach sich Akira, als die Kellnerin mit ihrem Essen kam. Erst als sie wieder weg war, fuhr er mit seiner Geschichte fort. „Ich habe seither kaum noch Kontakt zu meiner Familie. Mein Bruder hatte zwar noch meine Handynummer, doch er hat erst angefangen, sich zu melden, als ich mit meinem Job angefangen habe. Wie du dir sicher denken kannst, ist er grundsätzlich ab Mitte des Monats so gut wie pleite und ist auf die Idee gekommen, von mir Geld zu fordern. Ich habe ihm nie etwas gegeben. Die Nachrichten wurden immer aggressiver und schließlich habe ich die SMS einfach ungelesen gelöscht. Aber dass er meine Mutter auf mich hetzt...damit hätte ich nie gerechnet.“ „Und was ist mit deinem Vater?“ fragte der Rothaarige mit seltsam belegter Stimme. „Der? Er war ein schwacher Mensch. Er hat sich ständig unterdrücken lassen und nie etwas getan, wenn meine Mutter mal wieder ihre Aggressionen an mir ausgelassen hat. Ich habe mit der Zeit gelernt, ihn für diese Schwäche zu verachten.“ Kurz hing Akira seinen Gedanken nach, ehe er langsam den Kopf schüttelte. „Aber das liegt hinter mir. Ich habe gestern nur so heftig reagiert, weil ich meine Vergangenheit nie richtig verarbeiten konnte. Aber mit dir darüber zu reden, hat wirklich geholfen. Danke, Naoto-san, dass du mir zugehört hast.“ Kurz wirkte der Rothaarige erschüttert, ehe er sich wieder fasste und lächelte. „Das war doch selbstverständlich. Und du musst mir unbedingt einmal Pablo vorstellen.“ „Warte, fragst du mich gerade um ein Date?“ „Ich dachte, dass hier wäre schon eines.“ gab Naoto-san zurück und beide fingen an zu lachen. „Wir sind echt das seltsamste Paar, das jemals eine krude Beziehung hatte.“ kicherte Akira endlich, als er sich halbwegs wieder beruhigt hatte. „Wahre Worte.“ entgegnete Naoto-san und prostete ihm zu. Den Rest ihres Aufenthaltes widmeten sie fröhlicheren Themen und schon war es an der Zeit, sich zu verabschieden. „Ich rufe dich heute Abend noch einmal an.“ versprach Naoto-san und zerzauste dabei Akiras Haare. „Ich freue mich schon darauf. Wir sehen uns ja dann morgen wieder.“ „Oh, dann fehlt dir aber noch etwas.“ Mit diesen Worten beugte der andere sich vor und saugte sich an dem Hals des Braunhaarigen fest. „Was machst du denn da?“ Der Rothaarige richtete sich wieder auf und grinste. „Perfekt.“ „Hast du mir gerade echt einen Knutschfleck verpasst?“ „Und was für einen. Steht dir gut, Akira-kun.“ „Du bist unmöglich.“ sagte Akira schmunzelnd und beugte sich nun seinerseits vor, um Naoto-san noch einmal zu küssen. „Bis morgen.“ „Bis morgen. Und falls ich es nicht mehr schaffe, dich anzurufen, schicke ich dir auf jeden Fall noch eine versaute SMS.“ Bevor Akira etwas antworten konnte, hatte sich der andere bereits umgedreht und sich auf den Weg zu seinem Auto gemacht, wobei er noch einmal die Hand zum Abschied hob. Etwas überrumpelt berührte Akira den Knutschfleck und musste lächeln. Ja, es gab wirklich Schlimmeres, als mit diesem Mann eine krude Beziehung zu führen. Kapitel 18: Sorge und Eifersucht -------------------------------- Als Akira zur Unterkunft zurückkehrte, hatte er wieder beste Laune. Leise vor sich hinsummend öffnete er die Tür und schon hörte er Schritte nahen. Nur kurz darauf stand Jonah im Flur. Er wirkte mehr als überrascht, den Braunhaarigen zu sehen. „Akira. Was tust du denn hier?“ „Lange Geschichte. Bist du ganz alleine hier?“ „Nein, Kyoya-san ist gerade in der Küche, Zwiebeln schneiden.“ Kurz blieb der verwirrte Ausdruck auf dem Gesicht des jungen Mannes, bevor er plötzlich leicht errötete. „Was ist mit deinem Hals passiert?“ Der Polizist erinnerte sich schlagartig an den Knutschfleck und merkte, wie auch er rot wurde. „Nichts, nichts. Ich sollte Kyoya-san Bescheid geben, dass ich wieder zurück bin.“ „Ja...tu das...“ erwiderte der andere geistesabwesend. Wie seltsam. Warum reagierte er so komisch auf einen einfachen Knutschfleck? Akira beschloss, sich deswegen keine zu großen Gedanken zu machen und ging in die Küche, wo sein junger Kollege wohl gerade fertig geworden war und sich mit dem Ärmel die Augen abwischte. „Oh, Ito-san. So früh habe ich Sie gar nicht zurück erwartet. Ist etwas passiert?“ „Könnte man so sagen. War hier irgendetwas Ungewöhnliches los?“ „Nein, alles in Ordnung. Ich wurde nur wieder zum Helfen verdonnert und...“ Kyoya-san brach ab und ein schelmisches Grinsen legte sich auf seine Züge. „Was sehen meine Augen? Wirklich hübsch, der Knutschfleck. Wem haben Sie dieses nette Merkmal denn zu verdanken?“ „Das ist nicht weiter wichtig.“ wiegelte Akira ab, da genau in diesem Moment auch Jonah wieder in die Küche kam. Schließlich musste nicht jeder wissen, was passiert war. „Waas? Wie langweilig.“ protestierte Kyoya-san gespielt beleidigt. „Sie klingen, als wären wir hier auf einem Schulhof, Kyoya-san. Ich bevorzuge es nun einmal, mein Liebesleben privat zu halten.“ „Ganz wie Sie wollen. Falls es Sie interessiert, ich für meinen Teil habe ein Auge auf unseren knuddeligen Jonah hier geworfen und werde ihn schamlos anbaggern, sobald er seine Abwehrhaltung erst einmal abgelegt hat.“ Wie auf Kommando wurde dieser rot und ein halb verlegener, halb strafender Ausdruck trat in sein Gesicht. „Das ist nicht komisch, Nagisa. Ich mag dich, aber nicht so. Und das wird sich auch nicht ändern. Mir ist unsere Freundschaft viel zu wichtig, um sie durch eine Beziehung kaputt zu machen.“ Der junge Polizist griff sich theatralisch an die Brust und gab einen mehr als unglaubwürdigen Klagelaut von sich. „Oh, du grausames Schicksal. Was habe ich getan, um so eine Strafe zu verdienen?“ Jonah knuffte ihn gegen die Schulter und wirkte jetzt nur noch strafend. „Genug davon. Wenn du Zeit hast, um Unsinn zu veranstalten, wird es dir wohl kaum etwas ausmachen, sie sinnvoller zu nutzen und Kartoffeln zu schälen.“ „Jawohl...“ seufzte Kyoya-san und machte an die Arbeit. Akira hatte dem Gespräch mit wachsender Verwirrung gelauscht. Doch nun schien es ganz so, als müsste er dringend etwas klarstellen. „Kyoya-san, ich würde gerne kurz alleine mit Ihnen reden.“ sagte er dann und machte sich auf den Weg in den Flur. Er hörte, dass sein Kollege ihm folgte, machte sich aber nicht die Mühe, sich zu ihm umzudrehen, sondern lief schnurstracks in sein Zimmer. „Schließen Sie die Tür.“ wies er Kyoya-san an und dieser gehorchte. Als der Braunhaarige sich umdrehte, lag ein fragender Blick in den Augen des anderen. „Sie sollten sich mit Ihren Aussagen Jonah gegenüber etwas zurückhalten. Inzwischen sollten Sie wissen, was ihm widerfahren ist. Wir wollen nicht, dass sich sein Zustand wieder verschlechtert.“ „Das war auch niemals meine Absicht.“ Im Gegensatz zu eben wirkte Akiras Kollege sehr ernst. „Ich habe keine Gefühle für ihn und er weiß das auch genau. Wir sind nur befreundet, weiter nichts. Denken Sie nicht, dass er in seiner Lage Freunde brauchen kann?“ Dann lächelte er wieder. „Außerdem achte ich darauf, ihn nicht zu sehr zu bedrängen. Und es ist doch ein gutes Zeichen, dass Jonah anfängt, anderen Menschen wieder zu vertrauen.“ „Nun gut. Sie haben ja Recht.“ gab der Braunhaarige nach. „Trotzdem muss ich darauf bestehen, dass Sie ihn nicht überfordern.“ „Keine Sorge. Ich werde vorsichtig sein.“ Akira lächelte und klopfte seinem Kollegen auf die Schulter. „Gut. Tut mir leid, wenn ich zu forsch war.“ Kyoya-san schüttelte den Kopf. „Kein Problem. Es ist ganz normal, dass Sie sich Sorgen machen.“ „Nennt man wohl Beschützerinstinkt. Trotzdem danke, dass Sie mir zugehört haben. Und jetzt ab in die Küche. Soweit ich mich erinnere, warten da noch Kartoffeln darauf, geschält zu werden.“ „Ach ja, da war ja was.“ „Ich muss noch meinen Schreibkram erledigen. Falls etwas ist, ich lasse die Tür etwas offen.“ „Verstanden.“ Kyoya-san verließ das Zimmer und Akira ließ sich an seinem Schreibtisch nieder und begann seine Arbeit. Er hatte über die Hälfte fertig, als sein Handy klingelte. „Ito.“ „Was war das denn für eine Begrüßung, Akira-kun? Bist du immer so förmlich zu Personen, mit denen du was am Laufen hast?“ „Ach, du bist es, Naoto-san. Ich habe nicht auf die Nummer geachtet. Außerdem war ich gerade beschäftigt.“ „Wann bist du das denn mal nicht?“ erwiderte der andere amüsiert. „Soll ich noch mal anfangen?“ „Ich bitte darum.“ Der Braunhaarige grinste und versuchte, seiner Stimme einen verruchten Tonfall zu geben. „Hallo, meine rothaarige Schönheit. Endlich rufst du an. Ich habe es vor Sehnsucht kaum noch ausgehalten.“ Dieses Mal drang ein herzliches Lachen an Akiras Ohren. „Schon besser.“ Als Naoto-san weitersprach, hatte auch seine Stimme etwas Verruchtes angenommen. „Ich muss gestehen, ich freue mich schon sehr darauf, dich wieder nackt und stöhnend zu erleben, mein Kätzchen.“ Der Polizist merkte, wie er knallrot wurde. Trotzdem hatte dieser Dirty-Talk etwas durchaus Verführerisches an sich. „Wer sagt, dass ich das nächste Mal auch unten liegen werde?“ „Hmmm? Und wer sagt, dass ich dir kampflos das Feld überlassen werde?“ „Ich liebe Herausforderungen. Wenn es sein muss, werde ich dich ans Bett fesseln. Es wird bestimmt ein Erlebnis, dich so sehr anzuheizen, dass du nichts anderes mehr tun kannst, als nach mehr zu flehen.“ „Uuh, das Kätzchen zeigt seine Krallen. Für so durchtrieben hätte ich dich nie gehalten.“ „Es gibt einiges, was du nicht über mich weißt, Süßer.“ „Tatsächlich? Dann werde ich das wohl ändern müssen, nicht wahr?“ „Da bin ich ja mal gespannt.“ „Zu Recht. Sobald wir wieder unter uns sind, bist du fällig, Kätzchen.“ „Abwarten, mein Hübscher. Vorerst wirst du dich wohl noch etwas gedulden müssen. Wir haben erst nächsten Donnerstag zusammen frei. Wenn du dann immer noch Lust hast, ich habe die Schlüssel für meine Wohnung immer bei mir.“ „Ich freue mich schon darauf. Wir sehen uns dann morgen auf der Arbeit, mein Kätzchen.“ „Bis dann, meine rothaarige Schönheit.“ „Bis dann.“ Akira legte auf und atmete mehrere Male tief durch, um sich wieder unter Kontrolle zu bringen. Dann stand er auf, um sich ein Glas Wasser zu holen. Als er in den Flur trat, schlug ihm ein wundervoller Duft entgegen. Offenbar war das Essen fertig. Der Braunhaarige merkte, wie ihm das Wasser im Mund zusammenlief. Gerade, als er weiter in Richtung Küche gehen wollte, ging etwas weiter vorne die Tür auf und Jonah kam aus dem Badezimmer. Er vermied den Blickkontakt zu Akira, als er zu sprechen anfing. „Ah, da bist du ja schon. Ich wollte gerade Bescheid geben, dass das Essen fertig ist.“ Innerlich atmete Akira auf. Gut, dass das Essen etwas länger gebraucht hatte. Wahrscheinlich wäre er vor Verlegenheit gestorben, wenn der junge Mann etwas von seinem Telefonat mit Naoto-san mitbekommen hätte. „Ja, man riecht es. Wenn es nur halb so gut schmeckt, wie es duftet, wird es sicher ein Festmahl.“ Der Polizist trat näher an Jonah heran und erst jetzt fielen ihm die geröteten Augen des anderen auf. „Du siehst fertig aus. Hast du zu wenig geschlafen?“ Für eine Sekunde schien der junge Mann zu erstarren, ehe er sich abwandte. „Ich konnte nicht einschlafen.“ sagte er nur und ging dann in die Küche. Etwas verwundert folgte ihm Akira. „Sieh mal einer an, wer sich da von seinem Schreibtisch lösen konnte. Ihretwegen wird das Essen noch kalt, Ito-san.“ „Jetzt bin ich ja da, Kyoya-san.“ erwiderte der Braunhaarige und ließ sich am Tisch nieder. Während sie aßen, behielt Akira Jonah im Auge. Er wirkte tatsächlich ziemlich erschöpft. Zwar unterhielt er sich angeregt mit Kyoya-san, doch zwischendurch nahm seine Miene immer einen seltsamen Zug an. Hoffentlich würde er diese Nacht mehr Schlaf finden. Es schmerzte Akira, den anderen so zu sehen. Vielleicht sollte er ihm nachher noch einen Kamillentee machen. Ihm selbst hatte das immer geholfen, wenn er mal nicht schlafen konnte. Sicher würde es auch bei Jonah wirken. Und wenn er erst einmal ausgeschlafen war, war er bestimmt wieder besser drauf. Kapitel 19: Spiel mit dem Eis ----------------------------- Der nächste Tag war mehr als interessant. Akira machte seine Arbeit wie immer, doch jedes Mal, wenn er zufällig Naoto-san begegnete, schien sich die Luft mit knisternder Spannung aufzuladen. Die Blicke, die die beiden austauschten, waren mehr als eindeutig und der Braunhaarige fragte sich, wie seine Kollegen und Kolleginnen nichts mitbekommen konnten. Da er kein Interesse daran hatte, wegen des Knutschflecks ausgefragt zu werden, hatte er seine Krawatte so umgelegt, dass sie das verräterische Mal überdeckte. Während die Woche voranschritt, verblasste der Fleck allmählich, doch der Braunhaarige zweifelte nicht daran, dass Naoto-san das bald ändern würde. Schließlich war Mittwoch und die Schicht von Akira fast vorbei. Er war gerade dabei, mit ein paar Kollegen zu plaudern, als er eine SMS bekam. `Wir sehen uns morgen um eins vor deiner Wohnung. Sei pünktlich, Kätzchen. XXX.´ Der Braunhaarige musste grinsen und tippte eine Antwort. `Ich werde dich erwarten. Bis dann.´ Dann war es so weit. Akira war extra früher losgefahren, nachdem er sich von Jonah und dem Kollegen, der auf diesen aufpasste, verabschiedet hatte. Doch obwohl Jonah sehr viel besser ausgesehen hatte, war er dem Blick des Braunhaarigen ausgewichen und hatte auch nicht wirklich gesprochen. Akira hatte ihn in Ruhe gelassen. Was auch immer Jonah beschäftigte, er schien nicht darüber reden zu wollen. Kopfschüttelnd verdrängte der Polizist diese Gedanken und vertrieb sich die Zeit lieber damit, in die Stadt zu fahren und noch etwas für sein späteres Treffen zu besorgen. Danach machte er sich auf den Weg zu seiner Wohnung, schloss die Tür auf und verstaute seine bereits ausgepackten Einkäufe im Nachtschrank. Ein Blick auf die Uhr zeigte ihm, dass er noch zwanzig Minuten hatte, bevor Naoto-san auftauchen würde. Also legte er sich auf das Sofa und spielte auf seinem Handy herum, bis es klingelte. „Du bist zu früh, Naoto-san.“ begrüßte er den Rothaarigen und trat zur Seite, um seinen Gast hereinzulassen. „Auf den Straßen war nicht viel los. Außerdem könnte ich dasselbe über dich sagen.“ „Ich habe doch geschrieben, ich würde dich erwarten.“ gab Akira grinsend zurück und machte die Tür zu. Darauf gab der andere keine Antwort, sondern trat nur dicht an den Braunhaarigen heran und schenkte ihm einen langen Blick. „Richtig, ich erinnere mich. Nun, dann sollte ich dich wohl dafür belohnen, dass du dein Wort gehalten hast, nicht wahr, Kätzchen?“ Bevor Akira etwas sagen konnte, wurde er von Naoto-san gegen die Wand des Flurs gedrängt und in einen tiefen Kuss verwickelt. Es entstand ein wilder, leidenschaftlicher Kampf, den keiner der beiden aufgeben wollte. Erst, als Akira die Luft ausging, löste er die Berührung und versuchte keuchend, wieder zu Atem zu kommen. „Verloren.“ wisperte der Rothaarige ihm mit triumphierendem Unterton zu. „Du solltest lernen, beim Küssen durch die Nase zu atmen, Akira-kun.“ „Sehr witzig.“ „Habe ich da einen Nerv getroffen?“ kicherte Naoto-san und trat etwas zurück. Seine eisblauen Augen durchbohrten Akira und dieser vergaß völlig, was er hatte sagen wollen. „Willst du mich nur anstarren oder fängst du auch irgendwann mal an, mich auszuziehen?“ Der Braunhaarige erwachte aus seiner Starre und streckte seine Hände nach dem Oberteil des anderen aus. Doch kurz, bevor seine Fingerspitzen Naoto-san erreichten, drehte dieser sich um und begann, das Schlafzimmer anzusteuern, wobei er sich das Oberteil selbst auszog und es über die Schulter nach hinten warf. Akira blickte dem anderen verdattert nach. Was war das denn gewesen? „Kommst du?“ Langsam folgte er Naoto-san, welcher im Schlafzimmer vor dem Bett stand. „Du hast zu viel an, Akira-kun.“ Mit geschickten Bewegungen befreite er den Braunhaarigen von seinem Shirt und strich ihm über den Brustkorb. „Immer noch ein hübscher Anblick.“ Akira merkte, wie er wieder rot wurde, was bei dem anderen ein sachtes Lächeln hervorrief. Mit leichter Gewalt griff Naoto-san nach den Schultern des Braunhaarigen und drückte ihn auf das Bett. Während er begann, Akira von seiner restlichen Kleidung zu befreien, verteilte er gleichzeitig federleichte Küsse auf dessen Haut. Akira legte entspannt den Kopf in den Nacken und streichelte dem Rothaarigen über die Arme und den Rücken. Wieder gelang es ihm, seinem Kollegen das Haarband abzuziehen. Seine Finger fuhren durch die weichen Strähnen und er schloss für eine Weile die Augen. Dann, ohne jede Vorwarnung, griff er nach den Schultern des anderen und mit ein wenig Kraftaufwand gelang es ihm, sich zu drehen. Nun war er es, der über Naoto-san lag und diesen mit einer Hand an den Handgelenken festhielt. Der Rothaarige hatte sich noch nicht von seinem Schrecken erholt, als Akira auch schon ein Paar Plüschhandschellen aus seinem Nachtschrank holte und ihn damit fesselte. Dann nahm er ein zweites Paar Handschellen und befestigte das eine Ende am Bettpfosten und das andere an der Kette des ersten Paares. Sehr zufrieden, begutachtete er das Ergebnis. Naoto-san lag mit über dem Kopf gefesselten Händen auf dem Bett, seine langen, roten Haare lagen wirr auf dem weißen Laken. Probehalber zog er an den Handschellen und ein halb amüsierter, halb durchtriebener Ausdruck erschien in seinen eisblauen Augen. „Böses Kätzchen. Soweit ich weiß, waren die Handschellen letztes Mal nicht da.“ „Ich dachte, ich überrasche dich mal.“ „Das ist dir auf jeden Fall gelungen.“ Dann bekam seine Miene einen besorgten Ausdruck. „Akira-kun...bitte sei vorsichtig.“ „Du musst dir keine Sorgen machen. Du bist nicht der erste, bei dem ich den aktiven Part übernehme.“ Damit beugte er sich nach unten und leckte über Naoto-sans Brustwarze. Dieser keuchte auf und schloss die Augen. Insgesamt dauerte es nicht lange, bis sich das Keuchen des Rothaarigen in ein Stöhnen umgewandelt hatte und er sich unter den Berührungen von Akira wand. Ganz offensichtlich war er nun bereit für den nächsten Schritt. Also begann der Braunhaarige damit, den anderen vorzubereiten. Naoto-san schien davon kaum etwas mitzubekommen. Nur ein einziges Mal verzog er leicht das Gesicht und spannte sich an. Akira war so vorsichtig wie möglich und gab sich alle Mühe, seinen Kollegen abzulenken. Doch schließlich hielt er es selber nicht mehr aus und griff in seinen Nachtschrank. „Naoto-san...bist du bereit?“ „Ja...“ Nachdem er sich ein Kondom übergestreift hatte, drang er langsam in den Rothaarigen ein, welcher kurz gequält aufschrie und sich deutlich verkrampfte. Vorsichtig berührte Akira Naoto-sans Lippen mit den seinen. „Es ist alles gut, Naoto-san. Versuch, dich zu entspannen.“ „Leichter...gesagt als...getan...“ erwiderte dieser abgehackt. Geduldig verharrte Akira, um dem anderen die Zeit zu geben, sich an das Gefühl zu gewöhnen. Er wusste selbst noch, wie sich sein erstes Mal für ihn angefühlt hatte. Endlich entspannte sich Naoto-san und öffnete die Augen. „Alles in Ordnung?“ „Es...geht schon wieder...“ Ganz behutsam fing Akira an, sich zu bewegen und erntete dafür ein wimmerndes Stöhnen. Erst als er seine Hand um das Glied des Rothaarigen schloss und es stimulierte, nahm das Wimmern ab. Mehr und mehr steigerte Akira das Tempo, bis er einen guten Rhythmus gefunden hatte. Auch Naoto-san schien es inzwischen zu gefallen, wenn der Braunhaarige seine verhangenen Augen, seine geröteten Wangen und seinen leicht offen stehenden Mund richtig interpretierte. Schweiß bildete sich auf Akiras Haut und er verwickelte den anderen in einen leidenschaftlichen Kuss. Begierig streichelte er Naoto-sans Körper und lauschte den Geräuschen, die dieser von sich gab. „Akira...kun...“ Verwundert musterte der Braunhaarige seinen Kollegen. Hatte er etwas falsch gemacht? „Nimm...mir die Fesseln...ab...ich will...dich berühren können...“ Akira gehorchte und wurde sogleich in eine feste Umarmung gezogen. Sanft erwiderte er die Berührung und steigerte seine Geschwindigkeit noch etwas, bis der Rothaarige erneut unterdrückt aufschrie. „Entschuldige...“ wisperte der Braunhaarige, doch Naoto-san schüttelte den Kopf. „Das war gut...nochmal…“ Mit einem wissenden Grinsen stieß Akira wieder zu und der andere schaffte es gerade noch so, nicht wieder aufzuschreien. Akira bemühte sich, seine aufwallenden Gefühle zu unterdrücken. Ihm war klar, dass er nicht mehr sehr lange durchhalten würde. Doch er wollte sich wenigstens noch zurückhalten, bis er den Rothaarigen über den Abgrund gebracht hatte. Immer stärker und schneller bewegte er sich in dem anderen, bis dieser sich in vollkommener Ekstase zu befinden schien. Dann bäumte Naoto-san sich auf und kam zum Höhepunkt. Als sich seine Muskeln zusammenzogen, brachen auch bei dem Braunhaarigen alle Dämme. Er hielt inne und genoss die Schauer, die ihm über den Rücken liefen, bevor er den Rothaarigen einen kurzen Kuss auf die Stirn gab und sich zurückzog. Erschöpft, aber glücklich kuschelte er sich an Naoto-sans Brust und lauschte seinem rasenden Herzschlag. „Das...war wirklich...ein Erlebnis...“ keuchte dieser und legte Akira einen Arm um die Schulter. „War es denn wenigstens zufriedenstellend?“ erkundigte sich der Braunhaarige mit einem verschmitzten Grinsen. „Auf jeden Fall. Mir tut zwar jetzt alles weh und ich habe die leise Vorahnung, dass ich nachher nicht mehr richtig laufen kann, aber das war es wert.“ „Du wirst dich daran gewöhnen.“ Ein Klingeln unterbrach sie und widerwillig löste sich Akira von Naotosan und griff nach seinem Handy, welches sich in seiner Hosentasche befand. Erst als er es in der Hand hielt, legte er sich wieder zu dem Rothaarigen. Stirnrunzelnd las er die SMS, die er bekommen hatte. „Was ist los, Akira-kun? Dein Bruder schon wieder?“ „Nein...nein, das war Minami-san. Sie will morgen mit Jonah sprechen.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)