Spielzeug von BloodyRubin ================================================================================ Kapitel 8: Annäherung --------------------- „Ich bin mir nicht sicher, ob das so eine gute Idee ist.“ Die Stimme des Arztes wirkte zweifelnd. „Jonahs Zustand ist immer noch sehr bedenklich. Das, was er durchmachen musste, hat seinen Geist schwer beschädigt und es kann gut sein, dass er in einer Menschenmenge einen erneuten Panikanfall bekommt.“ „Das verstehe ich, aber wir können ihn doch nicht ewig hier drinnen lassen.“ antwortete Akira leise und warf einen Blick auf die geschlossene Tür, die in Jonahs Zimmer führte. Es war der erste Tag, seit der junge Mann in seiner neuen Unterkunft angekommen war. Da der Braunhaarige immer noch den Auftrag hatte, mehr Informationen aus Jonah herauszubekommen, hatte auch er sich dort einquartiert. Momentan saß er mit dem Doktor, der sich auch im Krankenhaus um den Kronzeugen gekümmert hatte, im Wohnzimmer und versuchte, den Mann von der Idee mit dem Ausflug zu überzeugen. „Er hat acht Jahre lang in einem winzigen Raum gelebt. Meinen Sie nicht, er sollte mal etwas anderes sehen als Wände, die ihn einsperren?“ „Schon, aber ist es nicht etwas zu früh? Wir wissen noch nicht, wie Jonah sich in der Öffentlichkeit verhält.“ Kurz dachte der Braunhaarige darüber nach, dann fasste er einen Entschluss. „Dann machen wir es so: am Samstag ist doch das Frühlingsfest. Können Sie sich da freinehmen?“ „Könnte klappen. Ich ahne, was Sie vorhaben, Ito-san.“ „Na ja, falls Jonah wirklich einen Panikanfall bekommen sollte, könnten Sie dafür sorgen, dass er sich wieder beruhigt. Und ich kann ihn beschützen, falls jemand ihn doch wiedererkennen sollte.“ Der Arzt nickte bedächtig und seufzte. „Ich hoffe nur, dass ich ihm nicht wieder ein Beruhigungsmittel geben muss. Schön, von mir aus. Bis Samstag sollte er sich auch an seine neue Umgebung gewöhnt haben.“ Die beiden Männer erhoben sich und Akira neigte kurz den Kopf. „Dann rufen Sie mich bitte bis Donnerstag an.“ „Das werde ich. Bis dahin, Ito-san.“ „Bis dann.“ Der Mediziner ging und Akira lief den Flur zu Jonahs Zimmer hinunter. Er klopfte und betrat den Raum, wo der junge Mann auf der Fensterbank saß und in den wolkenverhangenen Himmel starrte. „Kann ich kurz mit dir reden?“ erkundigte der Braunhaarige sich behutsam. Jonah warf ihm einen emotionslosen Blick zu, nickte aber. „Am Samstag wird in der Stadt ein Fest veranstaltet. Würdest du gerne dorthin?“ Lange blieb es still, ehe Jonah ganz leicht lächelte und ein weiteres Mal nickte. Das Lächeln ließ ihn viel lebendiger erscheinen und Akira bedauerte es, dass es nicht lange anhielt. „Allerdings müssen wir dich verkleiden. Ich hoffe, das stört dich nicht.“ Jonah schüttelte den Kopf, ehe er sich wieder auf der Fensterbank niederließ und weiter nach draußen sah. Tatsächlich hatte er die Nachricht vom Tod seiner Großeltern einigermaßen verkraftet. Vielleicht konnten sie ja auch in der nächsten Zeit beim Friedhof vorbeischauen, damit Jonah sich richtig von den beiden verabschieden konnte. Während er in das Wohnzimmer zurückkehrte, musste Akira an den Betreiber des >Sweet Apple< denken. Der Kerl hatte sich natürlich direkt nach seiner Festnahme einen Anwalt genommen, welcher ihm geraten hatte, nichts zu den Vorwürfen zu sagen. Diesen Rat hatte der Mann befolgt und so konnte man nicht viel mehr tun, als ihn bis zur Anhörung in Untersuchungshaft zu stecken. Immerhin hatte die Presse noch nichts von der ganzen Sache erfahren. Der Braunhaarige wollte gar nicht daran denken, zu was diese Leute die Geschichte aufgebauscht hätten. Seufzend plumpste er auf die Couch und beschloss, etwas fernzusehen, bevor er sich an das Abendessen machte. Bei einer Comedy-Serie blieb er hängen, konnte sich allerdings nur schwer auf das Programm konzentrieren. Schlussendlich nickte er vor dem Fernseher ein und wurde erst wach, als es plötzlich still im Zimmer wurde. Verschlafen öffnete er die Augen, nur um Jonahs Blick direkt auf sich gerichtet zu sehen. „Jonah...Ist alles in Ordnung?“ Zur Antwort deutete der andere nur zu einer großen Uhr, die an der Wand hing. Akira folgte der Bewegung und erschrak. „Mist, schon so spät? Entschuldige, ich bin wohl eingedöst. Du hast sicher Hunger, oder?“ „Soll ich dir helfen?“ fragte Jonah unvermittelt. „Ähm...sicher. Wenn du möchtest.“ Gemeinsam bereiteten sie das Abendessen zu. Auch hier zeigte sich Jonah wenig gesprächig und schien völlig auf seine Arbeit vertieft zu sein. Als sie fertig waren und der Braunhaarige probierte, war er überrascht. Der andere konnte richtig gut kochen. „Das schmeckt toll.“ entfuhr es ihm und Jonah lächelte ein weiteres Mal. „Meine Großmutter hat mir viel beigebracht.“ sagte er nur, bevor sich sein Blick verdunkelte und er den Rest des Essens schweigend verbrachte. Kaum war er fertig, stand er auf und verschwand in seinem Zimmer. Der Polizist räumte noch den Tisch ab und erledigte den Abwasch, ehe er sich in seinen eigenen Raum zurückzog und sich mit gemischten Gefühlen ins Bett legte. Zwar freute er sich, dass Jonah wieder mit ihm gesprochen hatte, doch er war immer noch so stark in sich gekehrt, dass es Akira schwer fiel, mehr als ein paar Worte mit ihm zu wechseln. Immerhin schien es so, als würde Jonah allmählich anfangen, ihm zu vertrauen. Mit etwas Geduld würde er sicher irgendwann preisgeben, was ihm in dem Nobel-Bordell widerfahren war. Schließlich kam der Samstag und damit der erste Tag, den Jonah draußen verbringen würde. Der junge Mann schien sichtlich aufgeregt. Als Akira am frühen Morgen das Wohnzimmer betrat, saß der andere bereits in seiner Verkleidung am Esstisch und warf ständig Blicke zur Uhr. Mit der schwarzen Perücke und nun zwei grünen Augen war er tatsächlich nicht wiederzuerkennen. „Morgen.“ gähnte der Braunhaarige und sorgte dafür, dass er erst einmal einen Kaffee bekam. So früh war mit ihm sonst nichts anzufangen. „Du bist ganz schön früh dran.“ meinte Akira und nahm eine Tasse aus dem Küchenschrank. „Das Fest beginnt doch erst heute Nachmittag.“ Er schenkte Jonah ein kurzes Lächeln. „Wie wäre es mit Frühstück? Möchtest du auch einen Kaffee?“ Der junge Mann schüttelte den Kopf und sah wieder zur Uhr. „Gut, dann einen Tee.“ bestimmte Akira und füllte den Wasserkocher. „Du scheinst dich ja wirklich auf das Fest zu freuen.“ „Ich war mit zwölf Jahren das letzte Mal auf einem Fest.“ erwiderte die weiche, helle Stimme hinter ihm traurig. „Ich weiß nicht einmal mehr, wie ich mich damals gefühlt habe.“ Akira drehte sich zu Jonah um und musterte ihn. Auch wenn der andere inzwischen ein Erwachsener war, schien er Probleme zu haben, sich seinem Alter entsprechend zu verhalten. Ob ihn sein Trauma so sehr gebrochen hatte? Der Polizist konnte es ihm nicht wirklich verübeln. Er hatte schließlich keinerlei Vorstellung davon, wie sich Jonah in all der Zeit gefühlt haben mochte. Allerdings, dachte er sich, konnte er auf diese Art von Gefühlen auch gut verzichten. Wäre der andere nicht entführt worden, hätte er sicher eine erfüllte Kindheit und Jugend haben können und wäre zu einem unversehrten Erwachsenen geworden. Stattdessen war er wie ein Tier in Ketten gelegt und ständig von wildfremden Männern vergewaltigt worden. Kein Wunder, wenn er sich da so verhielt, wie er es tat. Ohne etwas zu antworten, kümmerte sich Akira um das Frühstück und wieder aßen sie schweigend. Nach dem Frühstück machte der Braunhaarige den Abwasch und warf dabei Jonah einen verstohlenen Blick zu. Dieser saß immer noch am Esstisch und hatte seine Augen auf die nun leere Teetasse geheftet. Nun schien er wieder niedergeschlagen zu sein, weshalb Akira beschloss, ihn ein wenig aufzumuntern. „Was willst du denn auf dem Fest alles machen?“ fragte er in bemüht fröhlichem Ton. Der andere hob den Blick und sah dem Polizisten nun direkt in die Augen. „Du bist seltsam, weißt du das?“ „Seltsam?“ wiederholte Akira verwundert. „Warum bist du so nett zu mir? Niemand war jemals nett zu mir. Jeder hat ständig nur genommen und genommen. Du bist da anders. Nicht nur, weil du mir das Buch geschenkt hast, sondern auch wegen allem, was du mir erzählt und gesagt hast. Ich verstehe es nicht. Warum bist du so?“ „Weil ich dir helfen will, dich an denen zu rächen, die dir so viel angetan haben. Damit du irgendwann ein richtiges Leben führen kannst. Ohne Angst und ohne Gewalt.“ „Ein richtiges Leben...ja, das wäre schön...“ Jonah lächelte bei diesen Worten so aufrichtig, dass Akira sich unterbewusst ein Versprechen gab. Er würde nicht ruhen, bis dieser Fall abgeschlossen war und Jonah das Leben führen durfte, was er sich immer ersehnt hatte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)