Spielzeug von BloodyRubin ================================================================================ Kapitel 6: Traurige Wahrheit ---------------------------- „Akira, du tust es schon wieder.“ Nishikos sanfter Spott riss den Braunhaarigen aus seinen Träumereien. „Was tue ich?“ fragte er zurück, ohne seinen Kollegen anzusehen. „Du starrst. Pass auf, dass du nicht zu sabbern anfängst.“ „Ha-ha.“ gab der Braunhaarige trocken zurück, ehe er mit aller Willensstärke, die er aufbringen konnte, die Augen von Sakai-san löste. Der Rothaarige saß in seinem Büro am Schreibtisch, augenscheinlich völlig damit beschäftigt, einen Bericht zu Ende zu bringen. „Ist es etwa meine Schuld, wenn Naoto-san da sitzt wie auf einem Präsentierteller? Gib der Person die Schuld, die das Fenster ausgerechnet so platziert hat, dass man in das Büro sehen kann.“ Nishiko trat neben den Braunhaarigen und schnipste ihm gegen die Stirn. „Hey!“ beschwerte Akira sich und rieb sich kurz die Stelle, wo der andere ihn getroffen hatte. „Hör auf zu träumen und lass uns lieber etwas essen.“ „Jawohl...“ Schweren Herzens folgte Akira seinem Kollegen in die kleine, aber helle Kantine und suchte sich etwas zum Essen heraus. Nachdem er sich mit Nishiko an einen freien Tisch gesetzt hatte, musterte dieser ihn halb ernst, halb besorgt. „Ehrlich, es wäre besser für dich, wenn du dir Sakai-san aus dem Kopf schlägst. Du machst dich doch nur selber unglücklich, wenn du ihn weiterhin so anhimmelst.“ „Ich weiß, ich weiß. Aber es ist halt nicht so einfach für mich, meine Gefühle zu ihm zu ändern.“ „Sag mal, Akira...weiß Sakai-san eigentlich, dass du in ihn verliebt bist?“ „Natürlich nicht. Er weiß ja nicht einmal, dass ich schwul bin.“ Der Braunhaarige seufzte schwer. „Mir ist klar, dass sich etwas ändern muss. Und auch, dass ich mich wahrscheinlich wie ein zwölfjähriges Mädchen aufführe. Aber ich werde versuchen, mich zu bessern.“ „Braver Junge. Und jetzt erzähl mir von deinem Fall. Hast du etwas Neues herausgefunden?“ Während der Polizist von allem berichtete, hörte Nishiko aufmerksam zu. „Da hast du dir ja was aufgehalst. Hoffentlich bringt es auch etwas.“ „Ja, das hoffe ich auch. Jonah wird wahrscheinlich in drei Tagen in seine neue Unterkunft verbracht. Jedenfalls hat Minami-san das vorhin gesagt. Vielleicht bekomme ich mehr aus ihm heraus, wenn er nicht mehr von Ärzten und anderen Polizisten belagert wird.“ „Na, dann viel Glück. Ich muss leider wieder los. Du bist wahrscheinlich gleich im Krankenhaus, richtig?“ „Ja. Ich halte dich auf dem Laufenden.“ Nishiko verließ die Kantine und Akira folgte kurz darauf, nachdem er ihre Tabletts weggeräumt hatte. Während er in Richtung Krankenhaus fuhr, überlegte er, was er zu Jonah sagen sollte. Ob dieser wohl wieder nicht reagieren würde? Der Braunhaarige befürchtete es. Seufzend parkte er in der Nähe des Gebäudes und schrieb wie verabredet eine kurze Nachricht an seine Chefin. Als er vor Jonahs Zimmer stand, schaltete er die kleine Kamera und die Wanze ein, ehe er seinen Kollegen kurz zunickte und dann das Zimmer betrat. Der junge Mann saß in seinem Bett und las in dem Buch, das Akira ihm das letzte Mal geschenkt hatte. Als er den Polizisten bemerkte, hörte er auf zu lesen und blickte ausdruckslos zu ihm. „Hallo, Jonah. Erinnerst du dich an mich?“ Jonah nickte knapp, sagte aber nichts. „Gefällt dir das Buch?“ Wieder ein Nicken. „Das freut mich. Hör mal, ich möchte dir einige Fragen stellen. Du brauchst nicht mit mir reden. Es reicht, wenn du nickst oder den Kopf schüttelst. Ist das in Ordnung für dich?“ Jonah nickte und zum ersten Mal erschien eine Emotion in seinen so unterschiedlichen Augen. Ein vages Interesse tauchte in ihnen auf. Akira setzte sich neben das Bett und räusperte sich kurz. „Also dann: Dein Name ist Jonah Graves und du bist jetzt 21 Jahre alt, richtig?“ Ein Nicken und der Braunhaarige atmete innerlich auf. Immerhin hatte Minami-san die richtige Vermisstenanzeige gefunden. „Geboren bist du in Amerika. Du hast mit neun deine Eltern durch einen Autounfall verloren und lebst seitdem bei deinen Großeltern hier in Japan.“ Jonah wirkte, als wollte er etwas sagen, doch dann nickte er nur wieder. „Du warst dreizehn, als du entführt wurdest. Eigentlich wolltest du einen Freund besuchen.“ Das Interesse verschwand aus Jonahs Blick und die Leere kehrte in seine Augen zurück. Trotzdem bestätigte er Akiras Worte. „Gut, das war alles. Vielen Dank, Jonah. Du hast mir sehr weitergeholfen. Übrigens wirst du in drei Tagen in eine neue Unterkunft kommen. Hier ist es ja ganz offensichtlich zu unsicher für dich.“ Akira beobachtete Jonah und wartete kurz auf irgendeine Reaktion. Doch er wurde enttäuscht. Also begann er wieder, dem anderen Geschichten aus seiner Jugendzeit zu erzählen. Allerdings spürte er tief in seinem Inneren, dass seine Versuche, den anderen zum Sprechen zu bringen, wohl bald erschöpft sein würden. Ob man ihm den Fall wohl wieder entziehen würde, wenn er bei dem jungen Mann weiterhin auf Granit biss? Daran wollte Akira lieber nicht denken. Nach drei Stunden gab er auf. Heute würde er wohl wieder keinen Erfolg haben. Etwas frustriert erhob er sich. „Also dann, ich muss los. Bis zum nächsten Mal.“ Doch ehe er einen Schritt machen konnte, packte Jonah ihn am Handgelenk. „Warte...“ Überrascht sah der Braunhaarige zu dem anderen, der seinen Blick eindringlich erwiderte. „Sie sind tot, oder?“ „Wer?“ „Meine Großeltern.“ Jonahs Griff wurde fester und ein leichter Schmerz breitete sich in Akiras Hand aus. „Habe ich Recht?“ Sofort fielen Akira Minami-sans Worte ein. `Sagen Sie ihm noch nichts über seine Großeltern...´ Was sollte er tun? Er konnte den anderen doch nicht anlügen. Jonah schien sein nachdenkliches Schweigen richtig zu deuten, denn er ließ den Braunhaarigen los und senkte den Blick. „Das hätte ich mir eigentlich denken können. Wären sie noch am Leben, würden sie jetzt hier sein...“ „Es tut mir sehr leid.“ murmelte Akira. Jonah antwortete nicht, doch der Polizist konnte deutlich sehen, dass der Körper des jungen Mannes zu beben begonnen hatte. Akira wusste, dass es Zeit war, zu gehen. Er wollte Jonah nicht beim Trauern stören. Leise verließ er den Raum und seufzte draußen leise auf. So hatte er sich sein erstes richtiges Gespräch mit dem anderen nicht vorgestellt. „Ist alles in Ordnung, Ito-san?“ hörte er einen seiner Kollegen fragen. „Ich habe den Armen zum Weinen gebracht, also nein. Eher nicht.“ Der Braunhaarige schaltete die Kamera und das Abhörgerät aus. „Ich brauche erst einmal was zu trinken. Man sieht sich.“ „Schönen Feierabend.“ Akira verließ das Krankenhaus und fuhr zu seiner Lieblingskneipe. Er brauchte jetzt dringend etwas, um den Kopf frei zu kriegen. Und das >Sangria< war dafür noch am ehesten geeignet. Es war ein kleines, gemütliches Lokal, das von Pablo, einem sehr freundlichen Mann aus Spanien geleitet wurde. Der Braunhaarige mochte Pablo. Der Spanier schien immer gut drauf zu sein und behandelte alle Gäste wie seine Freunde. Kaum war Akira in die Kneipe getreten, wurde er von einem strahlenden Lächeln begrüßt. Pablo war groß, aber auch sehr füllig. Seine braune Hautfarbe bildete einen ziemlichen Kontrast zu seinen perlweißen Zähnen und den schwarzen Haaren, die langsam einer Glatze wichen. „Akira. Wie schön, dich zu sehen, Amigo.“ „Hey, Pablo. Wie läuft das Geschäft?“ „Wunderbar, wunderbar. Aber ihr Japaner seid wirklich viel zu steif. Einer meiner letzten Gäste schien von meiner Offenherzigkeit geradezu abgeschreckt zu sein.“ erwiderte der Mann in flüssigem Japanisch, dem nur ein leichter spanischer Akzent anhaftete. „Du wolltest den Gast aber nicht umarmen, oder?“ „Por Dios, nein! Die arme Frau hätte sicher einen Herzanfall bekommen. Wie geht es dir? Bist du immer noch damit beschäftigt, die bösen Jungs zu verhaften?“ „Momentan nicht. Ich habe einen besonderen Fall bekommen. Kann ich ein Bier haben?“ „Natürlich, Amigo. Und warum hast du dir immer noch keinen Amante angelacht? Ich sage dir, du wirst irgendwann noch mit fünf Katzen leben und einsam und alleine sterben.“ „Katzen wären aber nicht so anstrengend wie ein Kerl, nicht wahr?“ lachte der Braunhaarige, der seine gedrückte Stimmung vergessen hatte. „Du bist wirklich eine Somnifero, Akira.“ „He! Ich weiß zwar nicht, was das heißt, aber es war sicher nichts Nettes.“ Pablo grinste nur. „Wer weiß, wer weiß.“ sagte er nur. Der Polizist musste lachen und blieb noch lange in der Kneipe. Wenigstens für eine Weile wollte er seinen Fall vergessen und mal ein wenig Spaß haben. Es würde bestimmt für lange Zeit sein letzter fröhlicher Moment sein... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)