Schatten über Kemet von Moonprincess ================================================================================ 55. Kapitel ----------- Noch bevor Yugi die Augen aufschlug wurde er eines Brennens gewahr, das sich seine gesamte Kehle bis hinunter in seinen Bauch zog. Mühselig hoben sich seine Lider halb. Im Zwielicht, Ra glitt gerade erst wieder hinauf zu Nut, konnte Yugi genug des Raumes ausmachen, um Atems Schlafgemach zu erkennen. Er erinnerte sich langsam an gestern. An die Feier, die Glückwünsche, die neue Verantwortung… Das Abendessen war fröhlich gewesen, unbeschwert, eine Feier zu Manas und seinen Ehren. Und dann… Yugi faßte nach seiner Kehle, schluckte und bereute Letzteres sofort. Er glaubte, er müßte wahnsinnig werden. Er preßte eine Hand auf den Mund, wimmernd. Doch allein dieser Laut machte es noch schlimmer. Tränen liefen Yugi über die Wangen.   Da beugte sich Meister Mahaad über ihn. Sanft zog er die Hand von Yugis Mund und preßte ein Fläschchen gegen Yugis spannende Lippen. „Das lindert deine Schmerzen“, versprach er.   Yugi vertraute diesem Versprechen, öffnete den Mund und schluckte. Ihm kamen wieder die Tränen, Die Lider zusammenkneifend preßte Yugi seinen Kopf in die Kissen. Nach einigen Sekunden klang das Brennen ab. Yugi atmete auf.   „Du wirst wieder gesund“, versprach Meister Mahaad.   Yugi schlug die Augen auf. Er traute seiner Stimme nicht und er spürte einen enormen Widerwillen, den Mund zu öffnen. So versuchte er, mit Zeichen anzudeuten, daß er erleichtert war.   Meister Mahaad begriff zum Glück schnell, wieso Yugi schwieg und lächelte dann. „Schon in Ordnung. Schone nur deinen Hals. Du wurdest vergiftet, aber ich konnte das Gift lange genug aufhalten, bis Mana es identifiziert und Atem das Gegenmittel beschafft hatte. Du wirst eine Weile magisch ernährt, aber du wirst wieder gesund.“   Yugis Blick wanderte durch Atems Zimmer, zu den Bildern an den Wänden. Er deutete auf eines, das Atem zeigte, dann richtete er seinen fragenden Blick auf Meister Mahaad.   „Atem?“ Auf Yugis Nicken hin fuhr Mahaad fort: „Es geht ihm gut. Er wird bald hierher zurückkehren. Schlaf noch etwas, ich bleibe bei dir.“   Yugi hätte gerne noch mehr gewußt, über das wie, warum und wer, aber sein Körper fand den Vorschlag zu schlafen viel reizvoller. Als Yugi die Augen wieder aufschlug, war ihm warm und seine Kehle fühlte sich besser an. Ras Licht fiel durch das Fenster und hinterließ schmerzhaft helle Kringel auf dem Boden. Eine kühle Hand legte sich auf Yugis Stirn.   Er lächelte, als er seine Mutter sah. Sie zog ihn in ihre Arme, bebend und schluchzend. Sie sprach nicht, doch Yugi spürte ihre Erleichterung genauso wie ihre Wut. Wer auch immer ihm das angetan hatte, war eine gräßliche Person und gleichzeitig eine bemitleidenswerte.   Nach einer kleinen Ewigkeit ließ seine Mutter Yugi los und nun wurde er von Atem umarmt, der ihm ins Ohr flüsterte, wie glücklich er war, wie erleichtert. Yugi schenkte auch ihm ein Lächeln, bevor er wieder in die Kissen sank.   Nachdem sie alle drei sich wieder gefaßt hatten, beantwortete Atem Yugis stumme Fragen. Über die Täter, die Hintergründe, die Flucht… Yugi strich sich eine Strähne aus der Stirn, dann bedeckte er mit der Hand seine Augen. Die Probleme schienen ihnen zu folgen. Atem, er selbst, seine Mutter, Isis… Wie viele noch, die hineingezogen werden würden?   „Ich werde alles tun, um Marik und Otogi zu finden. Ich glaube nicht, daß sie einfach verschwinden werden.“   Yugi nickte. Nein, das hörte sich nach Rache an… Aber warum genau? Er konnte sich nicht vorstellen, daß ein Räuber vom Schlage Mariks tatsächlich in den Palast eindringen würde, nur weil ihn ein paar Bestienzähmer besiegt hatten. Oder? Wenn doch, müßte Marik wahnsinnig sein. Das war kein schöner Gedanke.   „Sieh nicht so niedergeschlagen drein. Du kannst bald wieder sprechen.“   Yugi lächelte seine Mutter an. Ja, das wäre auch sehr schön.   „Ich werde herausfinden, was unsere neuen Feinde vorhaben“, traf Atem näher das Ziel. „Zu diesem Zwecke muß ich dich leider noch einmal verlassen, aber ich werde die Nacht bei dir verbringen.“ Warme, weiche Lippen berührten kurz Yugis Stirn, dann erhob Atem sich. Yugi blickte ihm nach, dann wandte er sich an seine Mutter.   Diesmal hatte sie keine Mühe, in seinem Gesicht zu lesen. „Ja, er ist ein sehr lieber Mann. Ich bin froh, daß du in ihm einen guten Freund gefunden hast.“ Sie strich Yugi durchs Haar. „Und einen ebenso guten Liebsten.“   ***   „Nichts?“   „Nichts, mein Pharao“, antwortete Isis hinter diesem.   Atem mußte sie nicht ansehen, um zu wissen, daß sie zu Boden blickte. Er hätte ihr gerne gesagt, daß es nicht ihre Schuld war, aber geholfen hätte es kaum. Isis war strenger mit sich als mit jedem anderen. „Wir werden sie finden.“ Kam es ihm nur so vor oder hatte er das schon so oft gesagt, daß die Worte an Bedeutung verloren? Er schüttelte den Kopf. „Wir haben einige unserer besten Agenten darauf angesetzt.“ Er richtete den Blick wieder aus dem Fenster. Ra versank gerade in der Unterwelt.   „In der Tat. Aber wir haben noch immer das Problem, daß fünf schwarze Kreaturen irgendwo dort draußen sind. Da sie sich in Menschenherzen verstecken können, ist es schwierig, sie aufzuspüren.“   Atem drehte sich um, dann nickte er Mahaad zu. „Aber?“   Mahaad lächelte. „Aber dank des Drachen, den Yugi gereinigt hat, konnten wir Einblick in die Kräfte der Kreaturen bekommen.“ Seine Miene wurde ernst. „Leider beinhalten besagte Kräfte, daß sie sich eines Herzens bemächtigen können, das nicht mehr im Einklang mit sich selbst ist.“   „Also war Ryou besessen.“   „Ja. Wären wir nicht eingeschritten, hätte die Kreatur sich seiner bemächtigt.“   „Es gibt zu viele Menschen, deren Herzen nicht mehr ausgeglichen sind“, überlegte Aknadin laut, seinen Bart streichelnd. „Wir können diese Dunkelheit sehen und gegen sie vorgehen, aber bis wir die dunklen Kreaturen finden…“   „Wir brauchen eine schnellere Methode.“ Mahaad wandte den Blick von Aknadin zu Atem. „Mein Pharao, als Hüter des Millenniumsrings werde ich eine Möglichkeit finden, die Kreaturen schnellstens aufzuspüren. Ich habe schon eine Idee.“   „Dann überlasse ich das dir. Nimm dir die Unterstützung, die du dafür brauchst.“ Atem sah seine Priester der Reihe nach an, dann Mana, die schweigend zugehört hatte. Als Atem sie entließ eilte sie an Mahaads Seite hinaus. Atem war sich nicht sicher, was er davon halten sollte, aber er beschloß, Mana noch etwas Zeit zu geben. Er selbst war ja außerdem schon verplant. Später wollte er zu Yugi, doch zuerst führten ihn seine Schritte zu Tausret.   Seine Schwester saß an ihrem zierlichen Schreibtisch aus Flechtwerk, vor sich mehrere Rollen Papyrus, einige entrollt, andere geschlossen. Sie hob lächelnd den Kopf, als Atem zu ihr trat. „Gute Nachrichten?“   „Yugi ist auf dem Weg der Besserung, Mahaad glaubt, einen Weg gefunden zu haben, unsere Kreaturen aufzuspüren… Nur ich komme mir gerade nutzlos vor.“ Atem ließ sich seufzend auf den Kissen in der Mitte des Zimmers nieder. Seine ausgestreckten Füße berührten Tausrets.   „Du bist nicht nutzlos. Du hast heute morgen erst einen unschuldigen Mann vor der Hinrichtung bewahrt. Keiner kam auf die Idee, nachzufragen, woher dessen Nachbar so genau über die Todesursache der Ehefrau des Angeklagten Bescheid wußte.“   Atem lächelte müde. „Also schön. Nicht ganz nutzlos. Aber gerade will mir nichts einfallen, um unsere größten Probleme zu lösen. Was liest du da?“   „Sagen, Legenden, Geschichten… Ich hatte ganz vergessen, wie schön es sein kann, sich in Gedanken an einen anderen Ort zu begeben und andere Menschen zu erleben.“ Sie lächelte, dann stupste sie mit den Zehen Atems Füße an.   Atem kicherte. „Ja, früher war keine Schriftrolle vor dir sicher. Deine Mutter hat dich immer ermahnt, über dem Lesen nicht alles andere zu vergessen. Du hast selbst noch nachts heimlich gelesen.“   Tausret nickte, ihr Blick weit weg, als sie sich an damals erinnerte. „Ja, ich habe sie damit zum Wahnsinn getrieben. Nach Merenras Tod konnte ich aber kaum noch stillsitzen. Mich nicht mehr konzentrieren…“ Sie runzelte die Stirn. „Es war furchtbar.“   „Ich war dir keine Hilfe.“ Atem hatte betreten den Blick gesenkt. Die letzten Strahlen Ras zogen sich langsam über den Boden zurück.   „Ich war dir genauso wenig eine Hilfe. Mahaad sagte mal, daß es schwer ist, sich dem zu stellen, was man ist. Sich selbst in seiner Verletzlichkeit und Schwäche in jemand anderem zu erkennen. Damals habe ich ihn nicht verstanden.“ Tausret rieb ihre Füße über Atems, der daraufhin lachte.   „Ja, das ist wahr. Es war einfacher, davonzulaufen.“   „Einfacher, jemand anderen dafür zu verachten, was man an sich selbst verachtete.“   „Nichts davon hat uns weit gebracht.“   „Nein, aber wenigstens haben wir schließlich erkannt, wie närrisch wir gewesen waren.“   Atem stemmte sich hoch und trat zu Tausret. „Wir haben dennoch unsere Ehe zerstört.“   Sie lehnte sich zurück, den Kopf im Nacken, und sah zu ihm hinauf. „Selbst wenn Merenra gelebt hätte, hätte es keinen Garant dafür gegeben, daß unsere Liebe die Zeit überdauert hätte. Wir waren noch sehr jung und unerfahren bei unserer Heirat und du hast Yugi im wahrsten Sinne des Wortes immer in deinem Innern getragen. Du hättest dich wohl auch dann in ihn verliebt, wenn unser Leben anders verlaufen wäre. So aber… Wir sollten unseres Sohnes gedenken, im Guten und in Frieden, nicht uns gegenseitig zerfleischen.“   „Ja“, murmelte Atem. In Tausrets Augen lag ein Schimmer, so lange verloren geglaubt, ein Schimmer des Mädchens, das sie einst gewesen war, das davongelaufen war, um im Schlamm zu spielen, das nie hatte langweilig und streng hatte sein wollen, das von Abenteuern geträumt und gelesen hatte.   Der Schimmer des Knaben, der Atem einst gewesen war, leichtsinnig, immer alles meisternd und ohne Sorgen, drang an die Oberfläche. Atem beugte sich hinab, küßte sie, wie er sie einst geküßt hatte, als sie geglaubt hatten, sie wären schon erwachsen und wüßten alles. Zu seinem Erstaunen erwiderte Tausret den Kuß ohne Scheu, ihre Hand glitt über seine Wange.   Sein Schurz fiel, ebenso ihr leichtes Kleid. Hände und Münder glitten über bloße Haut. Sie taumelten, fielen auf die Kissen, ein Gewirr aus Gliedern. Sie beide kicherten wie damals in ihrer ersten Nacht als Gemahlin und Gemahl. Sie mußten aber diesmal nicht sprechen, sie kannten einander, trotzdem sie jahrelang kaum das Bett miteinander geteilt hatten. Es war kurz und süß, doch als sie sich lösten, hatten sie beide Tränen in den Augen. Keine verzehrende Trauer mehr, kein Zorn, einfach nur das Wissen, daß sie ihre Gelegenheit gehabt hatten. Atem küßte Tausret auf die verschwitzte Stirn. Eins ihrer langen Beine lag noch um seine Hüften. „Tausret? Geht es dir gut?“ erkundigte er sich, wobei seine Stimme ihm kurz wegkippte.   „Ja“, wisperte sie. Sie strich durch sein Haar. Sie lachte auf. „Das ist irgendwie…“   „Merkwürdig?“   Tausret nickte. „Ich hab mich nur an früher erinnert und…“   Atem rollte sich neben sie, blickte ihr dann tief in die Augen. „Ich ebenso. Wir waren wirklich sehr jung… und sehr naiv.“   „Aber es war schön damals. Und es wird wieder schön sein, nur… anders.“   Atem nickte. Für einen Moment schwiegen sie, das Zimmer war nun in Zwielicht getaucht.   „Du solltest dich waschen, Atem. Yugi wartet sicher schon.“   Atem richtete sich auf. „Du wirst immer meine Schwester sein und ich werde dich immer als solche lieben.“   „Ich weiß. Aber jetzt geh. Diese Nacht gehört Yugi und noch viele mehr.“   Ein letzter, freundschaftlicher Kuß, dann war Atem entlassen. Gewaschen und müde betrat er eine halbe Stunde später seine Gemächer. Tante Tuja hatte nur noch auf ihn gewartet und kaum hatten sie sich eine gute Nacht gewünscht, war sie auch schon fort. Atem gähnte und betrat sein Schlafgemach.   Yugi lag im Bett, gestützt von Kissen und Polstern. Er lächelte und schlug die Bettdecke zurück.   Atem streifte Schmuck und Schurz ab, dann nahm er die Einladung gerne an. Er schmiegte sich an Yugi, küßte diesen zärtlich und fragte dann, wie es Yugi nun ging. Der bedeutete, daß es ihm besser ginge. Atem nickte. „Du hast mir heute sehr gefehlt.“   Yugi legte beide Arme um Atem, lehnte den Kopf an dessen.   Atem zauste sanft Yugis Haar. „Ich weiß, ich dir auch.“   Sie schwiegen eine Weile, ihre Körper aneinandergeschmiegt im Schutze der Nacht. Atem wirbelten die Worte durch die Gedanken wie vom Wind getriebene Blätter.   Yugi mußte seine Nachdenklichkeit dennoch aufgefallen sein, denn der stupste Atem an.   „Es ist gerade etwas Unerwartetes geschehen“, erzählte Atem schließlich im Flüsterton. „Tausret und ich haben miteinander geschlafen.“ Er fühlte, wie Yugi sich aufrichtete und ihn wohl ansah. „Bist du eifersüchtig?“ Atem nahm wahr, wie Yugi daraufhin den Kopf schüttelte. „Es war kein Neuanfang, es war ein Ende“, fügte er dann hinzu und nahm Yugis Hand. „Erinnerungen sind schön, aber sie allein ändern nicht, was geschehen ist.“   Yugi schmiegte sich an Atem, küßte dessen Brust.   „Ich liebe dich auch, Yugi. Mehr als ich je zuvor jemanden geliebt habe. Ich bin der Deine, solange du mich haben willst.“ Atem mußte lächeln, als Yugi ihn daraufhin fest umarmte. Nein, Yugi würde ihn nicht gehen lassen, außer Atem wünschte es. Er hoffte, daß nur Anubis allein sie zu trennen vermochte und auch das würde nur eine Weile so sein. Atem gähnte leise, er streichelte Yugis Rücken. Er war fast schon eingeschlafen, als er mehrmals angestupst wurde. Grummelnd schlug er die Augen auf und blickte zu Yugi, der im Mondlicht saß. „Was ist? Hast du Schmerzen oder…“   Yugi schüttelte den Kopf. Dann deutete er auf seinen Hals, zeigte zwei Finger und formte dann die Finger der einen Hand zu einem Kreis. Er deutete mehrmals schnell darauf.   Atem errötete. „Aber Yugi! Du bist doch noch krank! Dann kann ich doch nicht mit dir schlafen.“   Yugi starrte Atem an, schüttelte erneut den Kopf und umkreiste mit einem Finger die Höhle, die seine Finger…   „Höhle?“ tippte Atem, Yugi nickte lächelnd. „Warte, du meinst, die zwei, die dir das angetan haben, könnten in der Höhle sein, in der ihr sie damals getroffen habt?“ Wieder ein Nicken. „Hm, die Spione sind schon ausgesandt, aber es kann nicht schaden, die Höhle im Besonderen zu durchforsten. Mai hat schon Leute zu dem Gasthaus geschickt, in dem er damals übernachtet hat, also…“ Atem lächelte. „Danke, Yugi, du bist selbst stumm noch ein sehr guter Berater.“ Damit zog er Yugi an sich und küßte diesen.   Yugi schmunzelte, dann nahm er ein bereits benutztes Stück Papyrus zur Hand und quetschte noch zwei Sätze in eine Ecke.   Atem las diese, dann grinste er. „Das könnte klappen.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)