Growing Apart Together von das_Diddy ================================================================================ Kapitel 2: Yūri - Vergangenheit II ---------------------------------- Sankt Petersburg war anders als Detroit und definitiv anders als Hasetsu. Das hatte Yūri schon in den ersten Tagen nach seiner Ankunft mitbekommen. Die Stadt war voller Menschen, laut und chaotisch, ein bisschen wie Tokyo. Nein, sicher nicht wie Tokyo. Yūri war sich ziemlich sicher, dass er noch nie einen Ort gesehen hatte, der dermaßen mit Leuten vollgestopft war wie Japans Hauptstadt. In Russland hingegen kam noch das Verkehrschaos hinzu. Yūri brauchte eine gewisse Zeit, um zu lernen wie er die Straße überqueren konnte, ohne überfahren zu werden. Es war eine ganz eigene Art von Training. Apropos Training: das fand jetzt in der Eishalle statt, in der Yakov auch Yurio trainierte. Unter den Augen des blonden Russen zu laufen war noch nervenaufreibender als wenn Viktor ihn mit kritischem Blick beobachtete. Yūri musste erst einiges lernen und das bedeutete in dem Fall die Anwesenheit der anderen auszublenden und sich nur auf Viktors Kommentare und Anweisungen zu konzentrieren. Hier zu trainieren bedeutete übrigens auch, dass Viktor viel häufiger mit ihm auf dem Eis stand als nur hinter der Bande auf ihn zu warten. Er gab nicht verbale nur Hinweise, sondern scheute sich nicht Yūri direkt am eigenen Leib zu demonstrieren wie es richtig ging. Auch wenn Yūri damit schneller lernte so zehrte es manchmal doch etwas an seiner Fassung. Viktor ganz nah bei sich zu haben, war etwas, woran er sich wohl nie gewöhnen würde.   Die Welt war groß und neu, genau wie Viktors Wohnung. Yūri hatte wirklich nicht schlecht gestaunt, als Viktor ihn zu sich eingeladen hatte. Seine Wohnung war schlicht, aber überraschend geräumig und befand sich in einer der besseren Straßen von Sankt Petersburg, wo man das Geld aufgebracht hatte die wundervollen alten Häuser zu renovieren. Yūri konnte es nur vermuten, aber es hätte ihn nicht gewundert, wenn Viktor ihm gestanden hätte, dass diese Wohnung teurer war als das komplette Yutopia. In Viktors Wohnung hatte er zwar sein eigenes Zimmer, doch morgens Viktor zu begegnen, der mit vom Schlaf zerzaustem Haar, bekleidet mit T-Shirt und Shorts Makkachins Futterschüssel auffüllte, war eine vollkommen neue Erfahrung. Bei Yūris Eltern hatte Viktor sich stets von seiner besten Seite gezeigt und auch, wenn er manchmal schamlos unverhüllt durch den Onsen gewandelt war, so war er stets adrett gekleidet zu Tisch erschienen. Diese neue Seite an Viktor trieb Yūri das eine oder andere Mal die Farbe ins Gesicht. Es war so... in Ermangelung eines besseren Wortes.... intim. Nichts, woran Yūri bisher gewöhnt war. Zumindest nicht mit Viktor. Es machte sein großes Idol menschlicher, wenn er sah wie Viktor abends auf der Couch neben ihm döste, während Yūri am Laptop mit Pichit oder seiner Schwester schrieb. Alles war wundervoll, selbst wenn sie wegen der immer näher rückenden Vier-Kontinente-Meisterschaft etwas angespannt waren. Yūri arbeite nun ernsthaft daran den vierfachen Flip zu perfektionieren und sich nicht darauf verlassen zu müssen, dass das Glück auf seiner Seite war. Sie wollten den Sprung fest in sein Programm aufnehmen, doch dafür musste alles sitzen.   Durch das tägliche Training bekam Yūri zu Anfang fast nichts von der Stadt zu sehen, in der er nun lebte, doch fast zwei Wochen bevor sie nach Taipeh fliegen sollten, gestattete Viktor ihnen beiden einen freien Nachmittag. Gemeinsam schlenderten sie durch die Straßen, als Yūris wundervolle Schneekugelwelt ihren ersten kleinen Knacks bekam.   "Sieh nur, Viktor! Der Laden hier verkauft diese kleinen Holzpuppen. Ich möchte welche für meine Familie kaufen. Denkst du, es könnte ihnen gefallen?" Viktor lachte ein wenig. "Diese Puppen heißen Matrjoschkas. Ich denke, es wäre ein gutes Souvenir. Hast du an ein bestimmtes Design gedacht?" Yūri sah ihn staunend an. "Maaturoshka?" Viktor lachte noch mehr und legte einen Arm um Yūris Taille, zog ihn ein wenig näher an sich, damit sie gemeinsam das Schaufenster des Geschäftes betrachten konnten. "Das mit dem russisch sprechen sollten wir noch etwas üben... Nun sag mir, welche es sein sollen." "Hm.... ich weiß nicht recht. Vielleicht die Roten hier mit dem Blumenmuster?" "минетчик!" An seiner Seite zuckte Viktor zusammen und sah mit ernstem Blick über seine Schulter. Hinter ihnen stand ein Mann, der in etwa Yūris Alter hatte und sie verächtlich ansah. "у тебя проблема?", fragte Viktor mit einem ziemlich genervten Ton in der Stimme. Die Spannung zwischen Viktor und dem Fremden war regelrecht fühlbar. Yūri sah verwirrt vom einen zum anderen. "извращенец..." "Кати́сь отсю́да!" Viktor richtete sich zu voller Größe auf, den Arm noch immer um Yūris Taille gelegt. Für einen Eisläufer war Viktor ziemlich groß und schon fast breitschultrig gebaut. Diesen physischen Vorteil nutzte er nun vollkommen gegenüber dem anderen Mann, der nur ungefähr so groß war wie Yūri und wesentlich schmächtiger. Yūri hatte das Gefühl, dass die Lage jeden Augenblick eskalieren konnte und er wusste nicht einmal warum. Er wollte Viktor beruhigen, mit ihm einfach nur woanders hingehen, doch die Worte blieben ihm im Hals stecken. Der Fremde strahlte unverhohlenen Hass aus. Nicht einmal Yurios Wutanfälle waren je so bedrohlich gewesen. Yūri fühlte sich als würde sich sein Magen zu einer kleinen eisigen Kugel zusammenziehen, während Viktor den anderen Mann noch immer kalt anstarrte. Die Leute um sie herum schienen nun auch die Situation zu bemerken und einige von ihnen erkannten scheinbar sogar Viktor, denn Yūri hörte hier und da Viktors Namen. Der Fremde schien es auch zu hören und auf seinem Gesicht machte sich so etwas wie peinlich berührte Erkenntnis breit. Mit einem knurrenden Laut auf den Lippen, wandte er sich abrupt um und verschwand in der Menge. Neben sich hörte Yūri wie Viktor seufzte. "Also.... wo waren wir stehen geblieben, Yūri? Es sollen die roten Puppen sein, hm?" Beinah so als wäre nie etwas geschehen, kehrte das Lächeln zurück auf Viktors Lippen und er drehte sich wieder zu der Auslage um, doch Yūri war die Lust nach Shopping vergangen. Was war nur gerade geschehen? "Ähm... i-ich....denke, ich kaufe ein anderes Mal Geschenke....Ich bin müde, Viktor....Lass und nach Hause gehen, okay?" Er wagte es nicht Viktor anzusehen. Seine Hände zitterten ein wenig und er wusste noch nicht einmal genau warum. Was hatte der Fremde zu Viktor gesagt? Woher kam nur diese Feindseligkeit? Kannte Viktor den Mann? Yūri verfluchte sich dafür, dass er nur so wenig Russisch verstand. Viktor hatte ihm Kleinigkeiten beigebrachte, aber über 'Hallo', 'Auf Wiedersehen', 'Bitte' und 'Danke' waren sie nicht wirklich hinausgekommen. Viktor fiel es nicht allzu schwer zu bemerken, dass etwas nicht mit Yūri stimmte. "Was ist los, Yūri? Liegt es an dem Kerl von gerade eben? Lass dir von so einem Spinner nicht die Laune verderben." Sanft legte er Yūri die Hand auf die Wange und lächelte ihn an. Yūri fühlte sich als müsse er innerlich bersten. "W-Was hat der Mann gesagt, Viktor? Kanntest du ihn?", platzte es aus ihm heraus. Viktor schloss für einen Moment die Augen und seufzte erneut. "Ich kenne den Mann nicht und was er sagte, war zwar nicht sonderlich nett, aber nichts, worüber du dir Sorgen machen müsstest." "Aber...!" "Kein aber. Es ist vorbei und ich will nicht länger darüber nachdenken. Heute möchte ich den Tag mit dir verbringen. Wir haben uns diese kleine Auszeit redlich verdient." In Viktors Stimme schwang seltene Ernsthaftigkeit mit, die Yūri deutlich mitteilte, dass das Thema beendet war. Doch das half nicht, Yūris gute Laune wieder herzustellen. Den Blick immer noch auf Viktors Schulter gerichtet, öffnete er erneut den Mund. "Ich möchte nach Hause...", sagte er leise. Stille folgte seiner sanften Bitte. "Okay."   Der Weg zurück war von bedrücktem Schweigen begleitet gewesen. Yūri hatte keinen Blick mehr für die schönen alten Häuser und die vielen neuen Dinge, die er noch nicht kannte. Er konnte den Fremden nicht vergessen und den Hass, den er ausgestrahlt hatte. Wenn er doch nur verstanden hätte, was der Mann gesagt hatte. Es hatte wie 'Minneschick' geklungen, doch so ganz sicher war sich Yūri nicht mehr. Als Japaner fiel es ihm sehr oft schwer fremde Worte richtig zu verstehen. Englisch war fast kein Problem mehr, aber Russisch war zu neu. Am Abend setzte sich die schlechte Stimmung fort, auch wenn Viktor sein Bestes versuchte, um so zu tun als wäre nie etwas passiert. Yūri sprach wenig und ging früh zu Bett. Die Kälte, die er am Nachmittag gespürt hatte, ließ ihn einfach nicht los und der Umstand, dass Viktor ihm nicht erklärte, was passiert war, machte es nur umso schlimmer. War es seine Schuld gewesen? Hatte er das Ganze ausgelöst? Aber wie nur? Yūri grübelte stundenlang bis der Schlaf ihn spät in der Nacht übermannte.   Am nächsten Tag gab er sein Bestes, um sich seine düsteren Gedanken nicht anmerken zu lassen, doch so richtig wurde er sie nicht los. Selbst beim Training war er unkonzentriert und stürzte so oft bis Viktor ihm sichtlich genervt eine halbe Stunde Pause befahl. Während Viktor sich einen Kaffee holte, saß Yūri wie ein Häufchen Elend auf der Bank und hing seinen Gedanken nach. "He, Schweinchen. Was ist heute mit dir los? Hast du deine Schuhe verkehrt herum angezogen?" Yūri sah auf und blickte in Yurios mürrisches Gesicht, der sich von der anderen Seite auf die Bande lehnte. "E-Es ist nichts! Ich hab nur...." Er beendete den Satz nicht, als ihm eine Idee durch den Kopf schoss. "Yurio?" "Hm?" "Ich... hab ein russisches Wort gehört und weiß nicht, was es bedeutet." "Bin ich dein Dolmetscher, oder was? Schlag doch in 'nem Wörterbuch nach!" Yūris Ohren färbten sich leicht rot. "Ich weiß nicht, wie es geschrieben wird." Yurio seufzte. "Warum fragst du nicht Viktor?" Verlegenes Schweigen war die Antwort auf diese Frage. Yurio zog eine Augenbraue nach oben. "Ärger im Paradies? Naja, ich will es gar nicht hören! Spuck's aus. Was willst du wissen?" "Danke. Ähm... ich bin mir nicht sicher, ob ich es richtig ausspreche...es.... es war so etwas ähnliches wie....Minneschick?" "минетчик?!" "Ja, genau. Das war es. War bedeutet es?" Zu Yūris Verwunderung starrte Yurio ihm mit offenem Mund an. Auf einmal wurde der Teenager sehr ernst. "Hat dich jemand so genannt?" "Eh? ....nein....ich... Was bedeutet dieses Wort?" Yurio sah mit ernstem Blick zur Seite. "....Schwanzlutscher..." Yūri brauchte eine Sekunde bis sein Hirn diese Info verarbeitet hatte. "Eeeeeeh?" Das Rot breitete sich über sein gesamtes Gesicht aus. Yurio sah ihn erneut ernst an. "So könnte man es frei übersetzen. Eine Beleidigung für Schwule. Hat dich jemand so genannt? War es Viktor?" "N-Nein! Natürlich nicht!" "Gut." Yurio wirkte auf einmal viel erwachsener als sonst. "Hör mal. Hier.... Die Leute sind anders als in Amerika und Japan. Wenn dich jemand so nennt, dann solltest du möglichst schnell das Weite suchen. Renn nicht, aber bleib auch nicht da. Das mit Viktor und dir... manche Leute... könnten auf Ideen kommen.... und wiederum andere sind nicht unbedingt... nett. Was ich sagen will, ist... pass auf dich auf, okay?" Damit stieß er sich von der Bande ab und glitt zurück dahin, wo Yakov fluchend auf ihn wartete. Yūri blieb verwirrt zurück. Was war gerade geschehen? Yurio hatte ihn gewarnt. Er hatte besorgt geklungen... Wieder erinnerte Yūri sich an den Hass in der Stimme des Mannes. Hatte er Viktor und ihn für ein homosexuelles Paar gehalten? Yūris Herz klopfte ein wenig lauter, doch war es hauptsächlich vor Angst. War es schlimm für schwul gehalten zu werden? In Japan ignorierten die Leute einfach alles, was anders war und Viktor hatte als Ausländer eh stets einen Sonderstatus gehabt. Daher hatte sich nie jemand gewundert, wenn er Yūris Hand gehalten oder den Arm um ihn gelegt hatte. In Russland war das doch normal, oder? ...oder etwa nicht? Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)