Ress von Lyndis (Mein neuer Diener) ================================================================================ Kapitel 1: Prolog -----------------  Es war ein ganz normaler Tag, nichts besonderes. Ich war gerade dabei mich für die Arbeit fertig zu machen, als es an der Tür klingelte. Dieser ganz normale Tag, wurde urplötzlich sehr merkwürdig, als ich meinen Besuchern öffnete. Zuerst sah ich einen etwas älteren Mann, mit vorsichtiger, aber ernster Miene. Er kam mir seltsam vor, aber nicht sonderlich außergewöhnlich. "Sind Sie Shiroto-san?", fragte er höflich und ich nickte verwirrt. "Ja, was kann ich für Sie tun?" Er zögerte kurz, fuhr dann aber fort: "Es tut mir leid Ihnen mitteilen zu müssen, dass Ihr Onkel kürzlich verstorben ist." "Mein Onkel?" Ich hatte einen Onkel? Das war mir vollkommen neu. Meine Eltern hatten nie über einen Verwandten gesprochen. Noch heute empfinde ich es als schade, dass ich ihn niemals hatte kennenlernen können. Er muss ein unglaublich interessanter Mensch gewesen sein. "Sie kannten Ihren Onkel nicht? Nun, es gibt keine anderen Verwandten als Sie. Ich bin hier, um Ihnen seinen Nachlass zu bringen." Er trat beiseite und mein Blick fiel auf den zweiten Besucher. Der Anblick raubte mir schier den Atem. Er blickte mich kühl an, mit tiefen, grauen Augen. Ich hatte solch eine Farbe noch nie gesehen. Er musste etwas älter sein als ich, vielleicht 30? Schwer zu sagen. Er war komplett in schwarz gekleidet, trug einen bodenlangen Mantel und Haare, die ihm locker bis zu den Kniekehlen reichten. Er war so sehr mein Typ, dass es nahezu  unfassbar war. Ein attraktiver Testamentsverleser. Ich dachte zu diesem Zeitpunkt zumindest, dass er derjenige war, der sich um die Angelegenheiten meines Onkels kümmerte. Mein erster Besucher belehrte mich allerdings eines Besseren: "Sein Name ist Ress. Zusammen mit dem Vermögen Ihres Onkels, übergeht er nun in Ihren Besitz." "Vermögen? Welches Vermögen?" Ich bin nicht geldgierig, wirklich nicht, aber dieses Wort hatte mich hellhörig gemacht. Erst danach bemerkte ich die volle Tragweite seiner Worte. "Moment Mal..." Einige Sekunden starrte ich Ress einfach an. "Wa... waaas?" Mein Blick sprang zurück zu dem wirklichen Testamentsvollstrecker. "Was soll das heißen 'er geht in meinen Besitz über'? Das ist ein Mensch!" Etwas nervös zupfte der Vollstrecker an seinem Oberteil und wich meinem Blick aus. Das schien auch für ihn neu zu sein: "Nun ja..." Ganz offensichtlich versuchte er sich um eine Antwort zu drücken. "Ich habe dem zugestimmt." Die tiefe Stimme von Ress jagte eine ganze Ladung Schauer durch meinen Körper. Dieser Kerl war wirklich nicht von dieser Welt. "Machen Sie sich bitte keine Sorgen um mich. Ich wünsche es nicht anders." Ich hatte das Gefühl, dass er log. Natürlich dachte ich das! Welcher Mensch ließ sich auch freiwillig verkaufen? Oder.. in jemandes Besitz transferieren. Die Kälte in seinen Augen sprach ebenfalls Bände. Der meinte das ganz sicher nicht ernst. Ganz sicher nicht... Doch Moment. Hieß das nicht, dass... "Mein Onkel hat dich vorher.. besessen?", fragte ich schockiert. "Mein Onkel hat sich Sklaven gehalten?" "Nun eh...", stotterte der Vollstrecker. "Wenn Sie... wenn Sie einfach hier unterschreiben könnten?" Er hielt mir ein Klemmbrett mit einem Zettel hin, als würde es um eine Waschmaschine gehen. "Das... das können Sie doch nicht ernst meinen! Ist das ein schlechter Scherz?" "Nein.. ehm... sehen Sie... Sie können das Erbe nur antreten, wenn Sie auch Ress übernehmen. Und ich habe strikte Anweisung nicht eher zu gehen, bis Sie das hier unterzeichnet haben." Er warf einen Blick hinter sich, sah dann wieder zu mir. "Und es sieht so aus, als würde er auch nicht mehr gehen. Es ist wirklich alles rechtlich abgesichert. Sie müssen sich keine Sorgen machen." Wie konnte so etwas rechtlich abgesichert sein? Ich warf noch einen Blick zu Ress, den das Ganze hier gar nicht zu interessieren schien. Was wohl mit ihm passieren würde, wenn ich nicht unterzeichnete? Würde man ihn dann weiter verkaufen? Mir wurde schlecht bei dem Gedanken, weshalb ich letztendlich auch den Stift annahm, und nach lesen der Übergabeverhandlung unterschrieb. Ich wurde noch darüber informiert, dass mir weitere Unterlagen zukommen würden und ich mich ansonsten um nichts mehr Sorgen müsse. Dann ging der Mann. Das war der Tag, an dem ich einen Diener bekam.   Kapitel 2: Ress --------------- Ich bin ehrlich: Ich weiß nicht, was ich getan hätte, wenn er nicht so unsagbar gut ausgesehen hätte. Menschen sind oberflächliche Wesen, zumindest in der ersten Zeit. Das ist kein Geheimnis und ich stehe dazu. Rückblickend gesehen, war es kein Fehler gewesen, ihn in mein Haus zu lassen. Ich hatte damals angst um ihn. Angst davor, was mit ihm passieren würde, wenn ich ihn ablehnen würde. Ich empfand das nicht für ihn, weil ich ihn kannte oder mochte. Ich tat es, weil es kein Mensch verdient hatte zu leiden. Wenn er so sehr darauf bestand jemandes Besitz zu sein, dann wollte ich es ihm wenigstens ermöglichen, ein angenehmes Leben zu führen. Das gestaltete sich allerdings nicht gerade einfach. Das Zusammenleben mit Ress begann an jenem morgen vor meiner Haustür, an einem Tag, der nicht so normal war, wie er schien. Doch Normalität, und das lernte ich sehr schnell, war ein sehr fluides Konzept. Zuerst einmal gab es da ein kleines Problem. Denn 'ich muss mich um meinen neuen Diener kümmern' war leider keine Ausrede, die ein Chef für einen ausfallenden Arbeitstag akzeptieren würde. Es war schlimm genug, dass ich zu spät kommen würde. "Ehm... Ress. Ich.. eh.. ich..." Ich war überfordert und hatte beim besten Willen keine Ahnung, was ich tun sollte. "Mach dir keine Sorgen um mich." Seine Stimme klang weiterhin so herrlich dunkel, wenn auch kalt. "Ich komme zurecht. Du musst sicherlich arbeiten." "Ah, ja! Ich bin schon viel zu spät dran!" Aber die Höflichkeit verbot es mir, jetzt einfach abzuhauen. Stattdessen wandte ich mich zur Seite und deutete nach drinnen. "Komm aber erst mal rein, okay?" Irgendwie hatte ich Angst, dass er sonst den ganzen Tag draußen herum stehen würde. Er tat wie ihm geheißen und trat ein. "Du solltest wirklich gehen. Es ist nicht notwendig wegen mir noch später zu kommen." "Aber..." "Ich sagte doch, mach dir keine Sorgen um mich. Geh schon. Ich komme zurecht." Ich seufzte ergeben, griff Jacke, Tasche und Schlüssel und.. stoppte dann wieder. Unschlüssig starrte ich auf meinen Haustürschlüssel und wusste nicht recht, was ich tun sollte. Konnte ich ihm tatsächlich meinen Schlüssel anvertrauen? Er war ein vollkommen Fremder. Alles in mir sträubte sich dagegen jemandem, den ich nicht kannte, derartigen Zugang zu meinem Haus zu überlassen, aber ich sträubte mich noch viel mehr davor, ihn im Haus einzusperren und von ihm verlangen zu müssen, dort zu bleiben. Es blieb mir keine Wahl. Ich entfernte den Schlüssel aus dem Ring und sah auf. "Ress?" Aufmerksam sah er mich an. Wenn er nicht so selbstsicher und kühl gewirkt hätte, hätte er mich an einen Hund erinnert. Ich streckte meinen Arm aus und ließ den Schlüssel in seine offene Hand fallen. "Der Haustürschlüssel. Ich bin gegen 18 Uhr wieder da. Die Tür kann nicht ohne Schlüssel von außen geöffnet werden, also wäre es schön, wenn du zu Hause wärst, wenn ich heim komme. Ansonsten musst du nicht hier sein oder hier bleiben. Ich hoffe das weißt du. Uhm... sieh dich einfach in Ruhe um und tu was du willst." Seine Hand schloss sich um das Stück Metall und er ließ den Arm wieder sinken. "Es gibt keinen Grund besorgt zu sein. Ich werde dich nicht enttäuschen, Shiroto-san." "Oh, ja. Das. Nenn mich einfach Yuri, ja? Wir wohnen jetzt immerhin zusammen. Alles andere wäre merkwürdig." "Wie du willst, Yuri." Ich lächelte ihm vorsichtig zu, erhaschte dann aber einen Blick auf die Uhr. "Bis heute Abend!", sprach ich noch schnell. Dann machte ich mich auf den Weg. Der Arbeitstag verlief schwierig. Ich war die ganze Zeit mit meinen Gedanken bei meinem neuen Gast. Ein Gast, der sich nicht als solcher sah und sich merkwürdig benahm. Ich fragte mich, wie er das freiwillig mit sich machen lassen konnte. Er wirkte so unglaublich stolz und so distanziert. Sein Wille war nicht gebrochen, er war nicht traumatisiert, dann benahm man sich anders. Aber was wusste ich schon? Er war ein Sklave.. oder wie auch immer man das bezeichnete. Ich begann ihn als 'Diener' zu bezeichnen, weil das Wort 'Sklave' nur Übelkeit in mir hervorrief. Eigentlich, versuchte ich im Allgemeinen nicht daran zu denken. Er war ein Gast, ein Mitbewohner, mehr nicht. Allerdings dachte wohl nur ich so. Als ich nach einem ewig langen Arbeitstag wieder heim kehrte, traf mich schier der Schlag. Ich bin mir ziemlich sicher, dass meine Wohnung zu diesem Zeitpunkt noch nie so ordentlich und sauber gewesen war. Außerdem konnte ich frisch gekochtes Essen riechen, was eigentlich nicht möglich war. Mein Kühlschrank war seit ein paar Tagen leer. Derzeit war der Lieferservice mein bester Freund. "Ress?", fragte ich mit Grauen in der Stimme und schlich langsam Richtung Küche. Er hatte die Tür einen Spalt für mich offen gelassen. Wahrscheinlich, damit ich nicht klingeln musste. "Willkommen zu Hause, Yuri. Was kann ich für dich tun?" "Hast du.. eingekauft?" "Ja." "Und.. aufgeräumt?" "Ja." "Und gekocht?" "Ja. Ist etwas nicht in Ordnung? Du siehst blass aus." Natürlich war etwas nicht in Ordnung! "Ress... du.. du weißt, dass du das nicht machen musst, oder? Ich hab den Vertrag nicht unterschrieben, damit du mein... Diener oder so was bist. Wenn dich die Unordnung gestört hat, was mir wirklich äußerst unangenehm ist, dann sag mir das und ich räume auf. Du musst dich um so etwas nicht kümmern." "Hör bitte auf dir Sorgen um mich zu machen. Du hattest sicherlich einen anstrengenden Tag, ich habe mich lediglich etwas nützlich gemacht." "Aber du musst wirklich nicht..." "Ich weiß. Wenn es anders wäre, wäre ich nicht hier. Aber ich will hier sein und ich möchte dir helfen." Das war doch alles gelogen. Ich konnte ihm das nicht glauben. Nicht, solange er diesen Gesichtsausdruck drauf hatte. Egal, was er sagte, er sah dabei immer vollkommen kalt und emotionslos aus. Vollkommen desinteressiert. So benahm sich niemand, dem es ein Bedürfnis war, anderen zu helfen. "Du musst das nicht sagen.", versuchte ich es verzweifelt. Doch es brachte nichts. Stattdessen drehte er sich einfach um und widmete sich dem Abendessen, das, nebenbei, einfach nur unglaublich lecker roch. Eine Weile lang starrte ich ihn einfach nur an. Jede seiner Bewegungen schien so unglaublich perfekt. Er hatte seinen Mantel mittlerweile abgelegt. Darunter trug er eine Art Weste. Ebenfalls schwarz, mit einem silbernen Reißverschluss in der Mitte. Schwarze Halbhandschuhe gaben langgliedrige Finger frei die elegant das Kochgeschirr umgriffen. Er hielt in seinen Bewegungen nicht inne und drehte seinen Kopf nur leicht, so dass seine grauen Augen mich dunkel fixieren konnten. Seine Lippen zierte ein kühles Lächeln. "Ich neige dazu, so etwas auszulösen." Verwirrt hob ich eine Augenbraue: "Was auszulösen?" Nun ja, irgendwie konnte ich mir denken, was jetzt kam, schließlich war er sich seiner Attraktivität sicherlich bewusst. Obwohl, andererseits stand nun wirklich nicht jeder auf dermaßen viel schwarz. Doch er schüttelte einfach nur den Kopf und wandte sich wieder den Töpfen zu. "Setz dich, Yuri. Das Essen ist fertig." Damit war das Thema für ihn wohl abgeschlossen. Ob ich versuchen sollte, mehr aus ihm heraus zu bekommen? Ich beschloss es nicht zu tun. Es war ein langer Tag für uns beide gewesen und er war sicherlich auch müde. Müde... "Ah verdammt! Ich habe noch gar nicht darüber nachgedacht, wo du schläfst." Das Haus, das ich noch einige Jahre abbezahlten würde, war klein. Ich hatte kein Gästezimmer. Einen Keller, ja, aber der war nicht ausgebaut. Mein Wohnzimmer war recht groß, aber da stand kein Bett. "Mach dir keine Sorgen um mich." "Das sagst du jedes Mal. Aber du bist mein Gast hier. Du solltest ein Zimmer haben." "Das stimmt nicht. Ich bin nicht dein Gast. Ich bin für dich hier. Du hattest einen langen Tag. Iss erst einmal. Wenn es dich so sehr stört, können wir danach darüber reden." Ich gab mich geschlagen, weil ich nicht streiten wollte und weil das Essen wirklich lecker roch. Mein Magen stimmte mir da leise knurrend zu. Also nahm ich mir einen Teller und schaute über die verschiedenen Töpfe. Ress ließ mir den Platz den ich brauchte und beschäftigte sich, in dem er den Tisch deckte. Es war mir etwas unangenehm, aber wenigstens ließ er mich selbst mein Essen nehmen. Kurze Zeit später saßen wir dann beide am Tisch, doch nur ich hatte einen Teller vor mir. "Isst du nichts?" Ich machte mir ein wenig Sorgen darum, dass er vielleicht dachte, dass er keine Erlaubnis dazu hatte oder so etwas. Ich konnte einfach nicht einschätzen, wie er bisher behandelt worden war. "Ich habe keinen Hunger." Ob er sich doch Sorgen um die neuen Verhältnisse machte und ihm deshalb der Appetit fehlte? Plötzlich hatte ich selbst keinen Hunger mehr. Etwas mutlos ließ ich meine Stäbchen sinken und starrte auf das wundervoll duftende Essen. "Was ist los, Yuri?" Ich wusste nicht, wie ich das loswerden sollte, was mir auf der Seele lag, aber ich musste es wissen, damit ich einigermaßen im Reinen mit mir selbst sein konnte. Damit ich wusste, wie ich ihn behandeln sollte und damit ich erahnen konnte, was er dachte und empfand. Aber so etwas fragte man nicht. Eigentlich sollte ich warten, bis er es von sich aus erzählte, ihn nicht dazu drängen. Aber es zerfraß mich innerlich, es nicht zu wissen. "Ress.... ich... darf ich dich etwas fragen?" "Alles, was du willst." Die Antwort versetzte mir einen unangenehmen Stich in meinem Herzen. Solch eine Antwort war so unglaublich unnatürlich. Das sagte man nicht zu einem Fremden. "Wie... wie hat mein Onkel dich behandelt?" Ich hörte meine eigene Stimme kaum und eigentlich wollte ich die Antwort auch nicht hören. Ich hatte Angst vor ihr. Ich hatte Angst, dass ein Familienmitglied einen anderen Menschen misshandelt haben könnte. Mir stiegen Tränen in die Augen. Tränen der Angst, des Ekels und des Mitleids. Ich hörte wie Ress aufstand und um den Tisch herum kam. Als ich aus den Augenwinkeln sah, wie er sich neben mich kniete, wandte ich mich verwundert zu ihm. Er umschloss vorsichtig meine Hände, eine Geste, die ich nicht erwartet hatte und die so warm und mitfühlend wirkte, dass sie den Damm brach und die ersten Tränen aus meinen Augen tropften. Ob Ress schon immer so kalte, verschlossene Augen gehabt hatte? Oder ob sie einst voller Leben gewesen waren? Hatte mein Onkel dafür gesorgt, dass er nichts anderes mehr als Kälte empfand? Zärtlich wischte er mir die Tränen von den Wangen. "Du weinst um mich, Yuri? Um mich, einen vollkommen Fremden?" Ich brachte nichts weiter heraus als ein leises Glucksen. Ich wollte meine Augen von ihm abwenden, aus Scham, weil ich so weich war und weil ich die Wahrheit, die ich meinte, hinter seinem Blick zu erkennen, nicht ertrug. Aber ich konnte nicht. Irgendwas hielt meinen Blick gefangen. "Ich werde aus Respekt nicht über ihn reden, aber ich versichere dir, dass er mir kein Leid zugefügt hat. Ich war gerne bei ihm. Ich habe ihm gerne mein Leben gewidmet. Ich sehe, dass es dir schwer fällt das zu glauben und ich weiß, in dieser Welt ist meine Einstellung nicht normal. Aber bitte vertraue mir, wenn ich dir sage, dass ich nirgendwo lieber wäre, als hier an deiner Seite. Die Tränen die du für mich weinst, sind mir Grund genug dafür." Er zog mich an sich, dass ich vom Stuhl rutschte, und schloss mich in seine Arme. Trotz seiner so wundervollen Worte fühlte ich mich schlecht, denn ich konnte spüren, dass etwas furchtbares dahinter lag. Ich spürte es tief in meinem Herzen, aber für den Moment war ich erleichtert, dass es nicht die Schuld meines Onkels war. "Mach dir keine Sorgen um mich, Yuri. Es ist alles in Ordnung." Und zum ersten Mal, seit er heute angekommen war, hatte ich das Gefühl, dass er die Wahrheit sprach. Kapitel 3: Schlafgelegenheit ---------------------------- Damit das gute Essen nicht kalt wurde, setzte ich mich kurze Zeit später wieder an den Tisch. Wirklich Appetit hatte ich immer noch nicht, aber ich wollte nicht, dass Ress umsonst gekocht hatte. Gekocht... mein leerer Kühlschrank... Moment. "Ress?", ich sah auf und sah in seine aufmerksamen Augen. Irgendwie war es unangenehm beim Essen derart beobachtet zu werden, aber darum ging es jetzt nicht. "Womit hast du den Einkauf bezahlt?" Ich bekam etwas Panik, wenn ich daran dachte, dass er beim Aufräumen meine Barrücklagen gefunden hatte und sich einfach davon genommen hatte. Wirklich vorstellen konnte ich mir das nicht, aber es war das erste, was mir einfiel. Das Zweite war, dass er das Zeug geklaut hatte, was noch schlimmer gewesen wäre. "Von meinem Haushaltsgeld.", antwortete er schlicht, was mich hellhörig machte. Ich traute Ress durchaus zu, dass er intelligent war, aber antrainierte Gewohnheiten, wurden Menschen schwer wieder los. Wenn er mein Geld nun für 'Haushaltsgeld' gehalten hatte? "Welches Haushaltsgeld?", fragte ich ein wenig aufgebracht. Wenn er sich wirklich von meinem Geld genommen hatte, hatte er eine Grenze überschritten. "Dein Onkel hat mir monatlich Haushaltsgeld gegeben. Ich habe ein eigenes Konto und diesem Monat ist noch einiges übrig." Erleichtert atmete ich aus, in der Hoffnung, dass er nicht bemerkt hatte, was ich vermutet hatte. Haushaltsgeld also... ob er dann auch Taschengeld bekommen hatte? Wenigstens hätte mein Onkel ihn dann bezahlt. Warum nur schoss mir ständig das Bild durch den Kopf, wie Ress angekettet auf einer schmutzigen Matratze in einem kleinen, kalten, fensterlosen Raum lag? Ich erschauderte. "Du schläfst in meinem Bett.", nuschelte ich zwischen zwei Bissen, ohne wirklich über das nachzudenken, was ich da von mir gegeben hatte. "Oh? Das ging schnell, wie schmeichelhaft." Ich hatte eine vollkommen andere Reaktion erwartet und sah deshalb wieder von meinem Essen auf und ihm in die Augen. Er schien tatsächlich zumindest ein wenig glücklich zu sein. Seine Augen funkelten ein bisschen. Was hatte ich denn gesagt, dass ihn so reagieren ließ und wie bekam ich seine Antwort damit zusammen? Was ging schnell? Dass ich ihn in mein... Bett... einlud... ? Geradezu geschockt starrte ich ihn an. Oh Kami! "Nein!", rief ich aus und stoppte im gleichen Moment wieder, weil ich nicht wusste, was ich sonst sagen sollte. Und dann wurde mir wieder schlecht, weil mir klar wurde, was seine Antwort bedeutete. Er hatte erwartet, dass das irgendwann passierte und war nur erstaunt, dass es so schnell ging. Wenn es 'schnell ging', hieß das, dass er das Prozedere so schon einmal durch gemacht hatte und es da langsamer vonstatten gegangen war. Was unweigerlich zu dem Schluss führte, dass... dass... er und mein Onkel... Das war doch ein Alptraum! Oh, versteht mich bitte nicht falsch. Es geht mir nicht darum, dass zwei Männer involviert waren. Wenn ihr aufgepasst habt, wisst ihr, dass ich selbst auf das gleiche Geschlecht stehe. Nein, es ging mir um etwas anderes...   "Habe ich dich verärgert?", kam es etwas verwirrt von Ress. Schon wieder erinnerte er mich eher an einen Hund. Seine sonstige Ausstrahlung sagte nur mal wieder das totale Gegenteil. Wie ging das? Ich hatte noch keinen Menschen gesehen, der so was konnte. Hatte das was mit meinem Onkel zu tun? Hatte der ihn so verkorkst? Aber Ress hatte so ehrlich geklungen, als er mir gesagt hatte, dass er ihn gut behandelt hatte, dass ich nicht wusste, wie ich das einordnen sollte. Das war alles so kompliziert! "Ehm.. nein, nein. Keine Sorge. Es ist nur.. ich hab das anders gemeint. Du sollst nicht 'bei mir' im Bett schlafen, sondern einfach nur 'in' meinem Bett. Ich werde erst mal auf der Couch im Wohnzimmer schlafen." Irgendwie erschien mir Ress enttäuscht oder bildete ich mir das nur ein? Ich war mir nicht sicher und der Ausdruck auf seinem Gesicht verschwand zu schnell, als dass ich ihn wirklich analysieren konnte. "Das musst du nicht tun. Die Couch ist sicherlich nicht so bequem wie dein Bett." "Ist sie auch nicht, aber darum geht es ja. Bis wir dir ein eigenes Zimmer eingerichtet haben - wo auch immer das sein wird, darüber muss ich noch nachdenken - wirst du in meinem Bett schlafen und ich auf der Couch. Da gibt es für mich keine Diskussion." Ress seufzte und lehnte sich im Stuhl zurück: "Warum willst du nicht mit mir in einem Bett schlafen? Ich habe sicherlich nichts dagegen." Aber ich schüttelte direkt den Kopf: "Das kommt für mich nicht in Frage. Du bist für mich ein Gast hier, also behandle ich dich auch so und als Gast hast du ein Anrecht auf Privatsphäre." Ress schien wirklich nicht zufrieden mit dieser Antwort, aber er sagte nicht direkt etwas. Das veranlasste mich dazu, endlich fertig zu essen. "Warum ein Gast?", fragte er dann plötzlich, womit ich gar nicht gerechnet hatte. Das war eine merkwürdige Frage. "Ein Gast ist nun einmal jemand der hier ist, ohne hier zu wohnen." Ich war mir nicht ganz sicher, aber ich hatte in dem Moment das Gefühl, Ress irgendwie verletzt zu haben. Eigentlich änderte sich nichts an seiner Haltung oder seinem Ausdruck, aber irgendetwas sagte mir, dass ich gerade etwas falsches gesagt hatte. "Ich verstehe." Und diese Aussage bestätigte mir, dass meine Vermutung stimmte. Sie klang kalt und abweisend und irgendwie... getroffen. Aber ich wusste nicht, was passiert war, deshalb konnte ich ihm nicht helfen. Ich wollte nicht, dass er unglücklich war, er sollte sich hier wohlfühlen, aber ich war auch nicht dazu in der Lage Gedanken zu lesen und damit musste er zurecht kommen. "Wenn dich etwas stört, musst du mir das sagen.", bat ich ihm deshalb an, aber er lehnte ab: "Nein, es ist alles in Ordnung." Die nächsten Tage würden sicherlich nicht weniger anstrengend werden...   Nach dem Abendessen war ich so fertig, dass ich mir meine neue Schlafstätte bereit machte. Ich zog mein eigenes Bett ab und verfrachtete alles ins Wohnzimmer. Ress indes kümmerte sich um das Aufräumen der Küche. Wenn er nicht auf diese Diener Sache bestehen würde, wäre es wirklich angenehm, dass er so viel im Haushalt half, aber da er es tat, war es mir einfach nur unangenehm. Aus meiner Sicht tat er das aus den falschen Gründen und mir wäre wirklich wohler dabei gewesen, wenn er sich ein wenig hätte bedienen lassen. Nachdem ich die Couch vorbereitet hatte, suchte ich neues Bettzeug für Ress heraus und bezog das Bett neu. Er sollte sich wohl fühlen, das war mir wirklich wichtig. Wahrscheinlich hatte er in seinem Leben schon genug gelitten.   Ress redete den Rest des abends nicht mehr mit mir, was mir nur weiter bestätigte, dass etwas nicht stimmte. Ich war aber zu müde um mich darum zu kümmern. Bald schon war es ruhig im Haus und alle Lichter waren aus. Ich hatte lange nicht mehr auf irgendeiner Couch übernachtet und war auch - aber nicht nur - deshalb hellwach. Ress Begeisterung, als er mich missverstanden hatte, ging mir nicht mehr aus dem Kopf. In mir drängte sich wirklich die Frage auf, was er gedacht hatte. Ob er wirklich dachte, ich wolle mit ihm schlafen? Wie absurd. Das war wirklich absurd, nicht wahr? Ich fragte mich, ob er das getan hätte. Wir kannten uns erst seit heute. Ob er das wirklich mit sich hätte machen lassen? Ob er, wenn ich nur den Wunsch geäußert hätte, darauf eingegangen wäre? Wahrscheinlich hätte ich nicht einmal etwas äußern müssen. Wahrscheinlich hätte es gereicht, wenn ich die Anfang gemacht hätte. Wenn ich ihn einfach auf das Bett gedrückt hätte. Sicherlich hätte er nicht protestiert, wäre sofort darauf eingegangen. Er war anscheinend ja so trainiert. Ich hätte mich nur über ihn beugen und ihn küssen müssen, dann wäre alles klar gewesen und er hätte sich mir hingegeben. Meine Gedanken stoppten abrupt, nur im Nachhinein gesehen, leider aus den falschen Gründen. An diesem Bild war etwas falsch. Das war nicht richtig so. Ress war nicht der Typ um unten zu liegen und ich ehrlich gesagt auch nicht, um den Ton anzugeben. Stattdessen formte sich in meinem Kopf ganz automatisch ein anderes Bild. Ress drückte mich gegen eine Wand und legte etwas grob und verlangend seine Lippen auf meine. Die Hand, die noch auf meiner Brust geruht hatte, um mich in Position zu halten, schloss sich leicht um meinen Hals, ich mochte das Gefühl. Mir wurde heiß und wie von selbst wanderte meine Hand zu meiner Mitte. Ich stehe auf dominante Männer und auf etwas rauere Umgangsweisen und Ress erschien mir wirklich der Typ dafür, trotz seiner eher submissiven Aussagen. Seine Augen und seine Haltung verrieten Stolz und Dominanz und ergaben zusammen mit meiner Fantasie Sinn. Ich half mir letztendlich selbst dabei einzuschlafen. Kapitel 4: Pakt --------------- Die Wärme die von meiner Schulter ausging, war angenehm, genau wie der Geruch, der in der Luft hing. Nur langsam erwachte ich aus einem tiefen Schlaf. „Yuri!“ Die leicht alarmierte Stimme ließ mich allerdings sofort meine Augen aufreißen. Ich starrte in graue Augen, die mich mit leichter Besorgnis bedachten. „Du verspätest dich.“ Ress deutete auf die Uhr am Fernseher und ich schoss blitzartig nach oben, ehe ich inne hielt und leicht seufzend wieder zurücksank. „Ich hab Urlaub genommen… ich muss nicht arbeiten.“ Das erschien mir bei weitem als das Beste. So konnte ich mich etwas um Ress kümmern und alle nötigen Angelegenheiten in Ruhe erledigen. Zum Beispiel einen Ersatzschlüssel anfertigen lassen. „Verzeihung.“ Etwas verwirrt blickte ich zu Ress auf, der nun ein wenig da stand wie ein begossener Pudel. „Nein, nein!“, versuchte ich ihn sofort zu beruhigen und setzte mich auf. Ich wäre wahrscheinlich aufgestanden, wenn mir nicht prompt wieder in den Sinn gekommen wäre, was ich gestern Abend getan hatte, um besser einschlafen zu können. Wahrscheinlich waren davon Flecken übrig geblieben. Plötzlich fiel es mir schwer, Ress noch in die Augen zu sehen, weshalb ich mich etwas beschämt abwandte. „Du hast es nur gut gemeint. Ich hab gestern vergessen, dir Bescheid zu geben, deshalb. Mir sollte es leid tun. Ich hoffe du bist nicht extra wegen mir so früh aufgestanden.“ „Ich benötige nicht viel Schlaf.“ Schon wieder klingelten bei mir die Alarmglocken. War das natürlich für ihn oder antrainiert? „Möchtest du noch weiter schlafen?“ Aus meinen Gedanken gerissen, sah ich wieder zu ihm auf, nur um abermals verschämt meinen Blick abzuwenden. Verdammt nochmal, ich war doch auch nicht besser als mein Onkel! Kaum war Ress mal einen Tag bei mir, fantasierte ich schon von ihm. Das war doch krank. Aber mein Magen begann nur wieder zu kribbeln, als ich mir vorstellte, wie er mich gegen eine Wand presste und… woah, ging das schon wieder los! Was war nur los mit mir? „Yuri?“ „Was?“ „Geht es dir nicht gut?“ Eine Hand legte sich sacht auf meine Stirn, was erneute Schauer durch meinen Körper fahren ließ. Erschrocken schlug ich die Hand weg, was Ress Blick dazu brachte, sich vollkommen zu verschließen. Daraufhin drehte er sich einfach um und ging in die Küche. Schnell sprang ich aus dem Bett, zog mir meine Hose über und ging ihm nach, weil ich das Gefühl hatte ihn beleidigt zu haben. „Ress, ich...“, doch ich kam gar nicht so weit mich zu entschuldigen. Er winkte nur ab und warf mir einen kurzen Blick zu: „Es tut mir leid. Ich habe mich noch nicht an die neuen Umstände gewöhnt. Ich wollte dir nicht zu nahe treten. Das war unprofessionell von mir.“ Er hatte nur meine Stirn befühlt, um zu sehen, ob ich krank war und er tat so, als hätte er versucht mich zu küssen. Nun, bei meiner Reaktion hätte ich mich an seiner Stelle wohl auch entschuldigt. „Du hast meinen Onkel sehr gemocht, oder?“ Es war mir bisher noch gar nicht in den Sinn gekommen, dass das der Fall sein könnte. Ich war immer nur davon ausgegangen, dass Ress gegen seinen Willen bei ihm gewesen war. Aber wenn man alles zusammen nahm, was er bisher so gesagt hatte, dann war es nur logisch, dass er ihn irgendwie gemocht hatte. Selbst wenn es vielleicht eher ein Stockholm Syndrom gewesen war, änderte das nichts an seinen Empfindungen. „Selbstverständlich.“ Ich legte etwas irritiert die Stirn in die Falten: „Ich werde dich nicht bestrafen oder so, wenn du mir sagst, dass du ihn nicht mochtest.“ Jetzt war er es, der mich etwas verwirrt, aber dann ernst ansah: „Ich lüge meinen Herrn nicht an. Das käme mir gar nicht in den Sinn.“ Ich hätte am liebsten meinen Kopf gegen eine Wand geschlagen, so sehr frustrierten mich seine Aussagen. Es klang alles so gestelzt und verdreht und falsch. Noch nie in meinem Leben hatte mich jemand als ‚Herr‘ bezeichnet und niemand sonst würde es jemals tun. Nur Ress… und am Anfang machte mich das wirklich fertig. „Was möchtest du frühstücken?“, wechselte er abrupt das Thema, was mich wie so oft aus meinen Gedanken riss. „Du brauchst mir kein Frühstück machen! Ehrlich. Kümmer dich lieber um dich selbst. Wann hast du das letzte mal gegessen?“ Doch Ress ging gar nicht auf meine Frage ein, sondern drehte sich jetzt ganz zu mir um und vergrub seine Hände in seinen Hosentaschen. Damals hätte ich anfangen können zu sabbern, weil diese Position aussah, als wäre er direkt einem Modemagazin entsprungen, später lernte ich, dass das seine Art war Unsicherheit auszudrücken. Nur wenn beide Hände in der Hose waren, wenn nur eine, spielte er mit seinem Sexappeal, der ihm definitiv bewusst war. „Yuri… bin ich dir nicht gut genug?“ Er sagte das mit einem leicht aggressiven Unterton, als wäre er beleidigt. Ich wusste nicht, dass das nur ein Schutzmechanismus war, weshalb ich etwas erschrocken zusammen zuckte. „Was?“, fragte ich verwirrt und mit leicht erstickter Stimme. Es ist vielleicht schwer zu verstehen, aber die Überlegenheit die Ress in diesem Moment ausstrahlte, schüchterte mich gehörig ein. Er kam etwas auf mich zu und normalerweise wäre ich rückwärts gegangen, doch er hielt mich allein mit seinem Blick gefangen. Ich konnte mich nicht rühren. „Du hast mich schon verstanden.“ In seiner Stimme lag jetzt ein dunkles Grollen, was mich kalt erschauern ließ. „Hey, hör mal… es tut mir leid, ok? Ich will doch nur, dass du dich hier wohl fühlst. Das hat nichts mit dir zu tun.“ Er blieb nah vor mir stehen und musterte mich kritisch. „Darf ein ‚Gast‘ dir etwa kein Frühstück machen, wenn es ihm gefällt?“ Das Wort ‚Gast‘ sprach er so bissig aus, dass mir schlagartig bewusst wurde, was ich gestern falsch gemacht hatte. Ich hatte ihn tatsächlich verletzt. „Hey, ich….“, setzte ich mit sanfter, entschuldigender Stimme an, doch er schüttelte nur den Kopf, was mich wieder stocken ließ. Er nutzte den Moment um wieder einzusetzen: „Hättest du lieber, dass ich gehe?“ Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Ich wollte, dass er ging, ja, aber nicht, weil ich ihn loswerden wollte, sondern weil ich hoffte, dass er ein eigenes Leben führen konnte. Weg von der Sklaverei und einfach frei sein. „Ich will nicht weg von dir.“ Plötzlich klang seine Stimme nicht mehr so aggressiv, sondern tatsächlich einen Hauch unsicher und irgendwie traurig. Es lag eine Bitte darin, ein leises Flehen. Es war nur Nuancen, aber ich konnte sie erkennen. Es tat mir im Herzen weh, das so zu hören. „Ress….“ Er hatte offenbar solche Angst davor, dass ich ihn wegschickte, dass er mir sogar ins Wort fiel: „Was muss ich tun, Yuri? Sag es mir. Wie soll ich sein, dass du meine Anwesenheit erträgst und ich mich um dich kümmern darf?“ Ich konnte nicht mehr anders. Mit einem Mal zog ich ihn zu mir und nahm ihn in den Arm. Das war wirklich nicht mehr mit anzusehen. Wie konnte ihm das nur so wichtig sein? Ich verstand es nicht, aber was ich verstehen konnte war, dass es ihm weh tat, wenn er nicht für mich da sein durfte. „Ress, hör mir doch zu.“, begann ich wieder sanft und hielt ihn weiter fest. „Für mich bist du ein freier Mensch. Du musst nicht hier bleiben, wenn du das nicht möchtest, aber ich werde dich auch nicht zwingen zu gehen. Ich will nur, dass du glücklich bist. Was nutzt es mir, wenn du mich bedienst, aber ich das Gefühl habe, dass du dich dazu gezwungen siehst?“ Vorsichtig legte er seine Arme um ich und zog mich seinerseits an sich. Es war ein merkwürdiges Gefühl. Seine Arme schienen so stark um mich und hielten mich doch so sanft. Ich erschauerte wieder und löste mich abermals von ihm. „Tut mir leid“, sagte ich sofort, damit er es nicht falsch verstand. „Das liegt nicht daran, dass ich nicht will, dass du mich berührst.“ Es war ja exakt das Gegenteil und mir unendlich peinlich. Da ich aber schon immer ein eher offener Mensch war, der wusste, dass Kommunikation wichtig war um Probleme aus dem Weg zu räumen und ihnen vorzubeugen, beschloss ich es ihm zu erklären: „Es ist eher so, dass… dass….“ Na ja, das war eben etwas schwieriger gesagt als getan. Dennoch gab ich nicht auf und Ress ließ mir glücklicherweise die Zeit, die ich brauchte. „Ich finde dich ziemlich attraktiv… und ehrlich gesagt ist das die Untertreibung des Jahrhunderts. Ich fantasiere von dir… von uns. Ich will nicht, dass du das missverstehst, wenn mein Körper anfängt zu reagieren. Verstehst du? Ich will nicht, dass du denkst ich wolle mit dir schlafen.“ „Ist das denn nicht so?“ „Ehm.. doch schon….“, rutschte es mir eher unbeabsichtigt raus. Na ja… wenn wir schon bei Ehrlichkeit waren. „Wo ist dann das Problem?“ „Was? Das Problem ist, dass...“ Und ich brach ab, weil ich nicht weiter wusste. Was genau war das Problem? „Wäre es jemand anderes, den du unter anderen Umständen kennengelernt hättest, würdest du dann zögern?“ Würde ich? Die Antwort war schnell gefunden – nein. Aber bei Ress war das etwas anderes. Er war nicht jeder andere und ich hatte das Gefühl mich strafbar damit zu machen, wenn ich seinen seelischen Zustand ausnutzte. Ress veränderte seine Position etwas, ließ einen Arm locker nach unten hängen, während die andere in seiner Hosentasche verbleib und verlagerte sein Gewicht locker auf ein Bein. Ich schluckte trocken und versuchte nicht zu starren. Der Kerl wusste, wie man seinen Körper einsetzte. „Ich mache dir einen Vorschlag...“, begann er dann und ich war mir plötzlich nicht mehr sicher, ob er nicht gerade seinen Körper benutzte um mich abzulenken. „Lass dich während deines Urlaubs auf das ein, was ich tue. Lass mich dir zu Diensten sein. Wenn es dir nicht gefällt und ich dich nicht davon überzeugen kann, dass mich das erfüllt und es mir Spaß macht, werde ich zwar hier wohnen bleiben, aber ich werde mir einen normalen Beruf suchen und ein ganz normaler Mitbewohner.“ Das war erstaunlich durchdachte und fair, wie ich zugeben musste. Aber er schoss sich damit ins eigene Knie. Selbst wenn ich mich darauf einlassen würde, würde ich mich unwohl dabei fühlen. „Okay“ Und so schloss ich den Pakt meines Lebens. Kapitel 5: Sex -------------- Da standen wir nun mitten in der Küche und starrten uns an. Oder ich starrte eher. Ress war die Ruhe selbst und schien auf etwas zu warten, ich hatte nur wirklich keine Ahnung auf was. Als nichts von mir kam, schien ihm das Warten irgendwann zu dumm zu werden, weshalb er den Abstand zwischen uns schloss und ich plötzlich seine Lippen auf meinen hatte. Ich war so überrascht, dass ich einen Moment lang dieses Gefühl einfach genoss. Dieses Gefühl von Vertrautheit und Wohlsein. Von Geborgenheit und Verlangen. Ein Verlangen das so schnell zunahm, dass ich mich von Ress stieß als hätte ich mich verbrannt. Ich musste kurz durchatmen um wieder zu Verstand zu kommen. "Habe ich etwas falsch gemacht?" Ress Stimme klang ein wenig verspielt. Ein bisschen wie eine Katze, die eine Maus gefangen hatte und sich jetzt über das neue Spielzeug freute. Ich erschauerte heftig. Sollte er bei der Wortwahl nicht eigentlich unterwürfig und unsicher klingen? "Wir sollten das nicht tun", versuchte ich mich zu erklären, auch wenn es mir schwer fiel, mich derart zurück zu halten. Ich trat noch einen Schritt zurück. "Ich kann das so nicht." Doch Ress gab mir keine Möglichkeit zu entkommen. Stattdessen schloss er gleich wieder zu mir auf, bis er mich fast an die Wand gedrängt hatte. "Willst du den Pakt etwa jetzt schon brechen?" "Nein! Aber... aber das geht doch nicht! Wenn du das wegen dem Pakt machst, dann ist das... dann ist das..." Ja, was war es dann? Von seiner Seite aus Prostitution? Von meiner Seite aus Vergewaltigung? "Es ist egal was es ist!", entschied ich dann aber. "Es ist egal, weil ich nicht will, dass jemand wegen so etwas mit mir schläft!" Ress hob nur skeptisch eine seiner schlanken Augenbrauen. "Und weshalb sollte ich dann mit dir schlafen? Aus tiefen Gefühlen heraus, etwa?" "Das ist... ja nicht unbedingt notwendig." Ich stotterte etwas, weil ich mich so gefangen fühlte, obwohl ich einfach nur hätte einen Schritt zur Seite gehen müssen. Aber es schien nur vor und zurück zu geben. Zu Ress oder zur Wand, rechts und links gab es nicht mehr. "Sondern?" "Aus Lust! Weil du mich attraktiv findest... oder heiß oder was weiß ich. Einfach, weil du es willst. Nicht, weil du denkst, dass du mir zu Diensten sein musst, wenn ich gerade will." "Aber das ist meine Aufgabe." Und er klang dabei wieder nicht unterwürfig. Noch immer lag dieser gefährliche Unterton in seiner Stimme. "Das ist Prostitution!" Ich schüttelte heftig den Kopf. "Nein, eigentlich ist es noch viel schlimmer, weil du nicht einmal dafür bezahlt wirst. Das ist Sklaventum und das kann ich nicht." "Yuri", sprach er leise, aber mit deutlichem Nachdruck in der Stimme und kam auf mich zu, dass ich doch noch gegen die Wand stieß. Ich schluckte trocken, meine Knie fühlten sich weich an. Ich konnte seine Körperwärme spüren, so dicht stand er jetzt bei mir. Sachte, aber bestimmt nahm er meine rechte Hand und führte sie ungeniert in seinen Schritt, wo ich eine deutliche Erektion spüren konnte. Mein ganzer Körper erzitterte kurz vor Aufregung. "Fühlt sich das an, als wolle ich nicht mit dir schlafen?" Ich zog meine Hand zurück. Nein... nein. Das ging viel zu schnell, viel zu einfach. War das antrainiert? Konnte man einem Menschen das antrainieren? Man konnte einem Menschen so gut wie alles antrainieren, warum also nicht auch das? Ress sollte so nicht sein. Es machte mich fertig. Was hatte mein Onkel mit ihm gemacht, dass er so war? Das war alles so furchtbar, ich wollte gar nicht daran denken. Was für ein Scheusal musste mein Onkel gewesen sein? Wie konnte so jemand je mit mir verwandt gewesen sein? "Yuri?" Ress drückte mein Kinn etwas nach oben, damit ich ihn ansehen musste. "Ich will mit dir schlafen, seit ich dich das erste Mal gesehen habe." Ich schluckte hart. Noch nie hatte jemand so um mich geworben. Ich war jetzt niemand, der jede Woche seinen One Night Stand brauchte, aber ich war auch kein Kind von Traurigkeit. Wenn ich abends unterwegs war und mir jemand gefiel, nahm ich ihn durchaus auch mal mit nach Hause. Aber noch niemals hatte jemand so um mich geworben. Ress war beharrlich und eine angenehme Art von aufdringlich. "Für mich bist du das schönste Wesen, das mir je begegnet ist." Er drehte mein Kinn noch etwas weiter, damit er sich hinunter beugen und sanft an meinem Hals knabbern konnte. Ich glaubte ihm. Ich konnte ihm nicht vorwerfen, dass das gelogen wäre, denn ich hatte die Blicke gesehen. Manchmal sah er mich an, als wäre ich der Mittelpunkt seines Universums. Und das war so krank. "Hast du meinem Onkel das alles auch gesagt?", würgte ich fast hervor, während ich versuchte die Vernunft aufzubringen, ihn von mir zu schieben. "Natürlich." Natürlich... Natürlich... Natürlich. Wie konnte er das so einfach sagen? Dieses eine Wort schnürte mir die Kehle zu. Ich wollte nichts anderes als mich in seine Berührungen fallen und mich von ihm führen zu lassen, aber wie sollte ich? Wie sollte ich das, wenn er so etwas sagte? "Würdest du das deinem nächsten Herrn auch sagen?" "Ja." Er küsste sich seinen Weg nach oben, zu meiner Wange und stoppte dort. Ich wusste warum. Er konnte das Salz meiner Tränen schmecken. Sofort richtete er sich auf und sah mich verwirrt an. Ich konnte ihm nur eine Sekunde in die Augen sehen. "Yuri?" Seine Stimme klang ein wenig panisch. "Yuri, warum weinst du? Habe ich dir weh getan?" Aus einem Tränen verschleierten Gesicht sah ich wieder zu ihm und schluchzte leise. Ich konnte es einfach nicht fassen. Konnte nicht fassen, was man mit Ress gemacht haben musste, dass er so etwas sagte und auch ernst meinte. Es tat mir so unendlich weh zu wissen, dass man ihn gebrochen hatte. Diesen stolzen Mann, diesen Menschen. "Nein... Aber dir hat man weh getan." Meine Stimme brach immer wieder fast weg. Ich wollte nichts weiter als ihn halten und ihm den Schmerz nehmen, den er empfinden musste. Ich wollte ihm die Erinnerungen nehmen, die ihn zu dem gemacht hatten, was er nun war. Ich wollte ihn halten und nicht mehr los lassen, bis er wieder ganz war. Bis er wieder der war, der er sein sollte. Aber so konnte ich nur hier stehen und Tränen für ihn vergießen. Ich konnte nur weinen um den Mann, der er hätte sein können. "Es tut mir so leid", flüsterte ich, denn meine Stimme gab nicht mehr her. "Es tut mir so unendlich leid. Das hätte dir nicht passieren dürfen. Aber du musst jetzt nicht mehr so sein. Hörst du? Bitte Ress, glaub mir, es wird nichts geschehen, wenn du dich davon löst. Du musst das nicht mehr tun. Du musst das nicht mehr fühlen. Ich werde dich zu so etwas nicht zwingen. Hörst du, Ress? Ich meine das ernst. Du musst mich nicht so sehen. Du kannst andere Männer hübscher finden... oder Frauen, was auch immer. Ich verlange das nicht von dir. Es tut mir so leid. Aber ich werde es wieder richtig machen. Lass es mich wieder richtig machen. Ich kann dich nicht wieder ganz machen, aber ich kann es dir zeigen. Das Leben wie es sein könnte. Und das ist gar nichts Schlimmes. Du darfst ein normales Leben haben. Verstehst du? Du darfst dich verlieben und dich von mir lösen und selbstständig sein. Ich bin nicht mein Onkel. Ich tue dir nichts. Was auch immer er dir angetan hat, ich werde das nicht auch tun. Hörst du? Lass mich dir helfen. Ich flehe dich an, lass mich dir helfen!" Doch Ress schien vollkommen unbeeindruckt. Er nahm nur mein Gesicht in seine Hände und wischte mir sanft die Tränen weg, die gleich wieder nach kamen. "Du weinst schon wieder um mich?", fragte er sanft und bekam von mir nur ein verzweifeltes Schluchzen. "Was musst du nur von deinem Onkel denken, wenn du mir so etwas sagst? Yuri... er war dir so ähnlich. Er war so ein großartiger Mann. Ich habe dir schon einmal gesagt, dass er mir nichts getan hat. Du musst nichts wieder reparieren oder mir etwas zeigen. Wenn ich nicht bei dir sein wollte, wäre ich nicht hier. Verstehst du? Ich habe dich als meinen Herrn akzeptiert, nicht, weil ich es muss. Sondern weil ich von Anfang an gesehen habe, was für ein wunderbares Wesen du bist. Und dass du es verdient hast, dass man sich um dich kümmert. Denkst du wirklich du seist der einzige Verwandte, an den das Erbe hätte gehen können? Bevor dein Onkel starb, haben wir nach einem Erben gesucht und wir haben dich von allen, die in Frage kamen, ausgesucht. Ich bin freiwillig hier. Ich tue nichts gegen meinen Willen und ich bin auch nicht kaputt. Bitte versuch das zu verstehen. Ich will dich nicht mit meiner bloßen Anwesenheit ständig derart traurig machen." Nach diesen Worten, bei denen ich mir nicht sicher war, was ich davon hielt, zog er mich an sich, bettete meinen Kopf an seiner Brust und strich mir beruhigend durch das Haar.   "Wusstest du, dass es Menschen gibt, die sich in Gegenstände verlieben? Dass sich Menschen Puppen als Partner halten oder Kissen?", fragte Ress nach einer Weile, in der ich mich ein wenig beruhigt hatte. Ich nickte schwach, weil ich nicht recht wusste, was ich dazu sagen sollte. "Und kannst du so etwas akzeptieren?" Ich zuckte leicht die Schultern. Ja, natürlich hörte man von so etwas. Ich hatte es noch nie wirklich erlebt, aber ich wusste, dass es das gab. "Es ist deren Sache. Solange sie niemandem weh tun, sollen sie lieben wen sie wollen." Ress strich mir sanft durch mein Haar und ich ließ mich von seinem stetigen Herzschlag einlullen. "Wenn du deren Art zu leben akzeptieren kannst, warum dann nicht meine?" "Ress, das ist nicht das..." "Doch Yuri. Es ist das selbe. Bei mir ist es keine Liebe zu Puppen oder Maschinen oder Gebäuden oder was es sonst noch alles gibt. Ich mag diese Art von Leben. Ich mag es bei jemandem wie dir zu sein und dir gutes zu tun. Ich mag es, einem Herrn zu Diensten zu sein, den ich genauso respektiere wie er mich. Und ich bin ihm mit meinem Körper und meinem Geist zu Diensten. Ist das denn so schlimm? Ich tue doch auch niemandem damit weh." War es denn so einfach? War es ein Fetisch? Ich konnte mir das nicht vorstellen. Das überstieg meinen Horizont bei weitem. Gab es so etwas wirklich? "Du bist dir sicher, dass du dir selbst damit nicht weh tust?" "Ja, ganz sicher. Das schwöre ich dir." Würde Ress lügen, nur, damit es mir besser ging? Würde er überhaupt wissen, wenn er sich selbst weh täte? "Versprichst du mir etwas?" "Ja, alles was du willst." Das trieb mir fast wieder die Tränen in die Augen. Wie konnte man nur so... es nutzte ja doch nichts, sich darüber aufzuregen. "Wenn du jemand anderen findest, der dir gefällt, dann nimm keine Rücksicht auf mich, ja? Ich will, dass du glücklich bist. Wenn dieses ... Diener Ding dich glücklich macht, dann... dann kriegen wir das schon irgendwie hin. Ich kann noch nicht mit dir schlafen, aber den Rest kriegen wir hin. Nur... wenn du jemanden findest der dir besser gefällt, will ich, dass du versuchst ihn dir zu schnappen, ja? Versprich mir, dass du tust, was dich glücklich macht." "Yuri, ich werde nie..." "Ress! Versprich es mir einfach, bitte." Er seufzte nur und fuhr mir noch einmal durchs Haar. "Ich verspreche es." Das beruhigte mich etwas und ließ mich aufatmen. Insgeheim fragte ich mich, wie viele Verwandte ich sonst noch nicht kannte, wenn es wohl eine Auswahl gegeben hatte und warum die Wahl gerade auf mich gefallen war. Aber im Prinzip war es doch vollkommen egal. Sie hatten mich ausgewählt und damit mussten wir beide jetzt klar kommen. Irgendwie würde es schon gehen. "Darf ich dir jetzt endlich Frühstück machen?" "Ress... du musst nicht..." "Yuri...", warf er ermahnend dazwischen und ich seufzte. "Ja, gern. Ich mache in der Zwischenzeit die Betten oder so was..." "Nein. Du wirst dich gemütlich in eine Ecke setzen oder legen und irgendetwas tun, was dir Freude bereitet und wozu du sonst nicht kommst. Ich mache die Hausarbeit und wenn du etwas möchtest, egal was, dann kümmere ich mich darum." Das klang... furchtbar. Ich war mir sicher, dass viele Menschen sich darüber gefreut hätten, aber mir war es zuwider. Ich war fähig meinen Haushalt allein zu bewältigen und ich hatte Angst faul zu werden, wenn ich das nicht mehr musste. Ress löste sich wieder von mir und musterte mich. "Du siehst nicht gerade glücklich aus." Der missbilligende Tonfall ließ mich leicht die Augen verdrehen. "Muss ich dir etwas erst noch beibringen, wie man Spaß am Leben hat? Hast du keine Hobbies?" Hobbies? Puh... ich las gerne, traf mich gerne mit Freunden in der Stadt - ich musste mir unbedingt noch überlegen, wie ich denen meinen neuen Mitbewohner erklärte - und ich arbeitete. Das war es eigentlich. Ich war eben ein durch und durch langweiliger Mensch. Deshalb zuckte ich zur Antwort auch nur etwas hilflos mit den Schultern. Ress seufzte. "Du bist ein wirklich schwerer Fall. Aber das bekomme ich schon hin." Er packte mich an den Schultern und schon mich in Richtung Wohnzimmer. "Beginne mit duschen, bis dahin habe ich alles vorbereitet. Und nach dem Frühstück räume ich deine Schlafsachen aus dem Wohnzimmer wieder weg. Wenn du nicht mit mir in einem Bett liegen möchtest, dann nehme ich von jetzt an das Sofa. Ich kann nicht ruhig schlafen, wenn ich weiß, dass du dich mit so etwas zweitklassigem abgeben musst." Ja, da war noch was. Ress brauchte ein Schlafzimmer. Das wäre doch ein gutes Projekt für die nächsten zwei Wochen. Dann konnte ich mich auch beschäftigen, während Ress den Rest machte. So herumkommandiert zu werden, ließ mich allerdings schmunzeln. Auch wenn Ress gerade eher wie eine aufgescheuchte Hausfrau wirkte - natürlich in seinem Maßstab gemessen, er fuchtelte nicht wild mit den Händen herum oder klang besonders aufgeregt - beruhigte es mich doch sehr, dass er seinen Biss wohl nicht verloren hatte. Hoffentlich behielt er das bei, denn so vermittelte er nicht den Eindruck, ein Diener zu sein. Was für ein überaus merkwürdiger Morgen... schon wieder.   Kapitel 6: Freizeit ------------------- Das Frühstück war merkwürdig. Es war tatsächlich fertig, als ich aus der Dusche kam, die kurzen Haare noch feucht und in frischer Kleidung. Ress hatt einen so kritisch Blick auf die nassen Haare geworfen, dass ich mir sicher war, dass er mich darauf hinweisen wollte, dass man krank würde, wenn man das nicht ordentlich trocknete, aber er sagte kein Wort. Stattdessen hatte er mich zum Esstisch geführt, wo sich japanisches Allerlei fand. "Wer soll das denn essen?", fragte ich etwas schockiert. Doch Ress blieb ganz gelassen. "Mach dir darum keine Gedanken. Fast alles lässt sich einfrieren und der Rest ist morgen auch noch gut." Hm. Es war dennoch irgendwie eigenartig. Die ganze Situation war komisch und so richtig wohl fühlte ich mich nicht. Wenigstens nahm sich diesmal auch Ress etwas zu essen, das beruhigte mich ein wenig. "Wie geht es denn jetzt weiter?", fragte ich nach einer Weile. Das Frühstück schmeckte himmlisch, aber leider lag mir die ganze Thematik ziemlich schwer im Magen. "Du wirst die Dokumente wegen des Erbes durchgehen müssen. Die waren heute im Briefkasten. Ansonsten kannst du dich entspannen und tun, wonach dir ist." Mir war nach Einkaufen und Putzen, wenn ich ehrlich war. Nach Haushalt eben, aber das würde mich Ress nicht machen lassen. Was sollte ich denn den ganzen Tag tun? Das machte mich wirklich nervös, denn was brachte Vergnügen schon ohne Anstrengung? Im schlimmsten Fall ließ genau das den Geist und den Körper lahm werden. Mir war ja jetzt schon langweilig, dabei hatte der Tag kaum begonnen. Ich war wirklich nicht der Typ, der einfach rumliegen konnte. "Ich weiß nicht, was ich tun will", gestand ich dann, weil Ress es spätestens nach dem Frühstück sowieso mitbekommen hätte. "Du bist Freizeit zu wenig gewohnt. Mach dir keine Sorgen, wir finden schon irgend etwas." Wenn das mal wirklich stimmte. Noch glaubte ich nicht wirklich daran. Ich hatte noch nicht begriffen, was es wirklich bedeutete, zu tun was man wollte, ohne sich um Profanes Gedanken machen zu müssen. Ich verstand erst später, dass es ein ganz besonderes Geschenk war, ein sehr wertvolles, wenn man es denn richtig nutzte. Wir beendeten das Frühstück kurz darauf und Ress brachte mir ohne Aufforderung die Unterlagen. Zumindest würde mich das ein paar Minuten beschäftigen. ... Oder auch etwas länger. "Wenn du Hilfe brauchst, zögere nicht, nach mir zu rufen. Ich kenne mich mit diesen Dingen aus." Damit ließ er mich mit dem Stapel an Papieren alleine und ich begann, mich dort durch zu wühlen. Es dauerte letztendlich Stunden. Ungelogen. Und eigentlich stand da nichts drin. Es war nur ziemlich furchtbares Bürokraten Bla Bla, dafür, dass ich der rechtmäßige Erbe war. Das Geld musste ich irgendwie noch mit einer Organisation teilen, vermutlich irgendwas Spendenmäßiges und das Haus bekam ich auch nicht. Aber das war mir herzlich egal. Mir war dieses ganze Erbe vollkommen egal, ich hatte es nur wegen Ress angenommen. Der mir übrigens tatsächlich mit Rat und Tat zur Seite stand und ich musste ihn weit mehr als nur ein Mal rufen. Ich sprach eben nicht Bürokratisch. Allerdings... wäre ich fast vom Stuhl gefallen, als ich gesehen habe, wie viel ich denn Erbe. Selbst mit dem Anteil, der an die Organisation ging, konnte ich allein von den Zinsen leben. "Wofür braucht man so viel Geld!?", stieß ich aus und Ress war sofort wieder an meiner Seite. "Du musst es ja nicht anrühren. Aber manchmal ist es ganz nützlich, nicht jeden Yen umdrehen zu müssen." Ich wollte dieses Geld nicht. Das war zu viel. Ich war so stolz auf mein Haus, weil ich es mir selbst verdient hatte. Weil ich hart dafür gearbeitet hatte. Ich wollte nicht einfach Geld bekommen, das ich nicht verdiente. Ich war nur zufällig Erbe, war von den beiden zufällig ausgewählt worden. Das war doch kein Verdienst. Ress schien meinen Unwillen zu bemerken, denn er sprach weiter: "Ich helfe dir es anzulegen, dann siehst du das Geld nicht mehr. Aber sollte eine Notsituation entstehen, kannst du darauf zugreifen. Wenn nicht, musst du es wirklich nicht anrühren." Ich konnte das Erbe ja nicht ablehnen, dann wäre auch Ress weg und wer wusste schon, wo der dann landen würde. Das wollte ich nicht. Da war dieser Vorschlag doch gar nicht so schlecht. "Ich will die Zinsen gerne spenden." Ich stockte dann aber. Moment... hatte Ress gerade gesagt, er würde mir helfen, es anzulegen? "Was kannst du eigentlich nicht?" Er sprach fließend Bürokratisch und verstand etwas von Anlagen? Er konnte kochen, schmiss den Haushalt und hatte es sich zum Ziel gesetzt, mich glücklich zu machen. Was war er? Mary Poppins? "Ich habe auch eine ganze Menge Freizeit und die nutze ich gerne, um mich fort zu bilden. Ich weiß und kann sehr viel." Aber wann hatte er das denn alles gelernt? Das war vollkommen unlogisch. Ress konnte kaum älter sein als ich. Langsam wurde mir das alles etwas zu viel. Mein Kopf schmerzte sowieso schon. Was ein Mist... Ich ackerte mich weiter durch die Dokumente und fand irgendwann heraus, dass ich auch einige Immobilien besaß, die von einer fremden Firma verwaltet wurde. Ich musste mich laut Ress da um nichts kümmern. Hoffentlich hatte er recht. Die Einnahmen wurden automatisch auf das Konto zugefügt, auf dem das Geld lag. Vielleicht sollte ich davon auch die Hälfte oder so spenden. Oder vielleicht alles... wer brauchte so viel Geld? Ress versprach mir, dass er ein paar Organisationen heraussuchen würde. Der konnte echt alles... Stunden später war ich endlich fertig, lehnte es ab, dass Ress Mittagessen kochte, auch wenn den das etwas besorgte, und legte mich erst einmal auf das Sofa. Mein Bettzeug war längst davon verschwunden, genauso wie jedes Staubkorn. Meine Wohnung war noch nie so sauber gewesen. Als würde Ress wissen, dass ich Kopfschmerzen hatte, brachte er mir ein Mittel dagegen und setzte sich dann ans Fußende des Sofas. "Hast du schon eine Idee, was du machen möchtest, wenn du dich etwas ausgeruht hast?", fragte er ruhig. Ich schüttelte den Kopf. "Wie wäre es mit eine Spaziergang? Ich könnte dich begleiten." Ich war mir nicht sicher, ob ich gerade in der Stimmung dazu war, über meine Freizeitgestaltung nachzudenken. "Ich weiß nicht", murmelte ich und legte einen Arm über meine Augen, weil die Dunkelheit die Schmerzen dämpfte. "Mir ist gerade nicht danach, überhaupt irgendetwas zu tun." Mitfühlend strich Ress über eines meiner Beine. Ich erschauerte leicht. Eigentlich müsste ich mich um ihn kümmern. Er hatte fast genauso viel Zeit mit den Dokumenten verbracht, wie ich und er hatte nebenher noch den Haushalt erledigt. Ich kam mir vor wie der letzte Jammerlappen. "Das ist nur allzu verständlich.", sagte er da und ich seufzte innerlich. "Du musst dich auch erst an die Situation gewöhnen. Das kann anstrengend sein." Als müsste er das nicht. "Warum lädst du dir für heute Abend nicht ein paar Freunde ein? Ich könnte Kleinigkeiten zum Essen vorbereiten. Das würde dir sicherlich gut tun." Freunde? Hierher einladen? Wie erklärte ich denen denn Ress? Was würden sie dazu sagen, dass ich mir einen Diener hielt? Das war so absurd. Aber ich konnte das nicht ewig vor ihnen verheimlichen und der ein oder andere wäre sicher sauer, wenn ich das täte. Verzwickte Situation. "Vielleicht einen...", murmelte ich. Vielleicht würde ich meinen besten Freund anrufen und ihm die Situation erklären. Vielleicht war es gut, wenn ich jemanden zum Reden hatte. Aber wie sollte das gehen, wenn Ress da war? "Möchtest du, dass ich für die Zeit seines Aufenthaltes hier verschwinde?" "Nein!", sagte ich sofort und fuhr auf, was mich gleich wieder zurücksinken ließ. Ich war echt fertig. Mein Kopf dröhnte unglaublich. "Nein, bleib hier. Das ist immerhin auch dein zu Hause." Ich sagte das extra, damit wir dieses Gastthema endgültig vom Tisch hatten. "Ich will nicht, dass du dann gehst. Wir müssen das ja auch die Reihe kriegen. Es ist nur..." Ich seufzte, weil es mir unangenehm war, das anzusprechen. Dennoch musste es raus, denn Ress da ins offene Messer laufen zu lassen, wäre unfair. "Ich habe keine Ahnung, wie meine Freunde auf dich reagieren. Du wirst wahrscheinlich sehr lange und intensiv Thema sein." "Das ist mir vollkommen bewusst. Und ich dachte, es wäre dir vielleicht unangenehm, wenn ich dann hier bin." Er machte sich sorgen darum, dass es mir unangenehm wäre? Dieser Kerl war echt unglaublich. "Ress... ich mache mir da eher sorgen um dich. Es ist furchtbar unhöflich und wirklich nicht in Ordnung, so über jemanden zu reden." Wobei ich nicht genau wusste, was 'so' war. Ich hatte keine Ahnung ob mein Kumpel positiv oder negativ oder neutral darauf reagierte. Wahrscheinlich würde er mir die Geschichte nicht einmal glauben. Ich konnte ihm nicht einmal Papiere zeigen, die meine Geschichte bestätigten, denn Ress wurde in den Dokumenten nicht erwähnt. Natürlich nicht, er war ja kein Gegenstand. "Vielleicht denkt er auch einfach, du wärst mein neuer Freund." Gerade Hayato wusste genau, dass ich auf Typen wie Ress stand. Die fand man in Japan nur meist nicht, es sei denn, sie waren Mitglieder einer Band. Wenn ich so darüber nachdachte, würde Ress wirklich gut in eine Band passen. So optisch... "Würde dich das stören?" "Es wäre nicht die Wahrheit." Und er würde Hayato sicherlich nicht anlügen. "Möchtest du, dass ich ihm die Situation erkläre?" Wollte ich das? Irgendwie schon, ja. Weil es von Ress glaubwürdiger klang, als von mir. Aber das war nicht richtig. Es war meine Aufgabe, meinen besten Freund aufzuklären. Das konnte ich nicht abschieben. Ich seufzte wieder. "Nein, ich mach das. Auch wenn ich nicht will." Aber ich musste. Denn Ress zu verstecken war ihm gegenüber unfair. Er sollte als normaler Mitbewohner hier leben. Und ich wollte nicht erst die zwei Wochen Testphase abwarten, ehe ich es Hayato und den anderen erzählte. Denn ich hatte das dumme Gefühl, dass Ress eine sehr lange Zeit hier bleiben würde, auch wenn ich die Wette gewann. Er war nun ein Teil meines Lebens, da kam ich nicht mehr drum herum. "Schlaf ein wenig, damit deine Kopfschmerzen besser werden. Ich bringe in der Zeit die Dokumente zur Post. Soll ich auf dem Rückweg etwas für heute Abend einkaufen?" Ich wollte ihn nicht auf so einen Botengang schicken, aber wir hatten nun einmal eine Abmachung. Also dachte ich darüber nach. "Bring bitte etwas Sake mit, ja? Aber ansonsten denke ich nicht, dass wir was spezielles brauchen." "Verstanden." Ress griff über die Couch und breitete kurz darauf eine Decke über mir aus. Diese Behandlung wäre echt angenehm, wenn ich nicht ständig das Gefühl hätte, dass er denkt, er müsse das machen. Kapitel 7: (Special) Erbensuche ------------------------------- "Die Blutlinie ist einfach zu weit verbreitet", seufzte Kotarou und ich verstand seine Frustration nur zu gut. Jedes Mal wurde es schwerer jemanden zu finden, denn jede neue Generation war größer als die davor und normalerweise lebte ich zwei Generationen bei ein und demselben Meister. Kotarous Leben neigte sich dem Ende und wir mussten einen Erben aus der Blutlinie finden, so verlangte es mein Vertrag. Mittlerweile hatten wir gut 100 mögliche Erben, die meisten davon männlich, denn was auch immer die Charakterzüge bildete, die ich suchte, wurde meist unter den männlichen Nachkommen vererbt. Aber auch nicht immer, ich hatte auch schon eine Frau als Herrin. Es war nicht so, als wären Frauen generell irgendwie schlimmer als Männer, es war nur diese Genkombination, die sich so fortsetzte. In anderen Blutlinien sähe das ganz anders aus. Wir suchten jemanden der aufopferungsvoll und bescheiden war, Eigenschaften die man nicht gerade in Akten fand. Wir hatten aber nicht mehr. Es wurde auch nicht einfacher, wenn jemand regelmäßig spendete oder Hilfsorganisationen angehörte. Es war vielleicht ein Indiz, aber kein Beweis. Meist wurde eine engere Auswahl von mir noch näher beobachtet und selbst dann war nicht garantiert, dass ich die richtige Entscheidung getroffen hatte. Anfangs, als ich noch nicht genug Erfahrung gehabt hatte, waren mir öfter Fehler unterlaufen. Gute Taten aus den falschen Motiven machten eben auch keinen guten Menschen. Ich war einmal der Illusion eines Mannes unterlegen, der groß im Spenden und Anlegen und Helfen gewesen war. Er schien perfekt zu sein. Erst ein halbes Jahr später hatte ich dann feststellen können, dass er all das nur Tat, um andere damit in der Hand zu haben. Um danach Gefallen einholen zu können, um in Testamenten erwähnt zu werden, deren Besitzer eine unbestimmte Zeit später an Unfällen verstarben und um aus Dankbarkeit Töchter geschenkt zu bekommen, die er nur sammelte und die ihn eigentlich nicht interessierten. Unwichtig zu erwähnen, dass dieser Mann kurz darauf selbst einem tragischen Unfall erlag. Ich war nur dem gutmütigen Teil der Familie verschrieben, alle anderen waren mir so egal, wie der Rest der Menschheit. Kotarou hingegen war eine sehr gute Wahl gewesen. In seiner Generation hatte es noch drei weitere gegeben, die in Frage gekommen wären, aber ich bin sicher, mit ihm die richtige Entscheidung getroffen zu haben. Als er erfahren hatte, was der Hintergrund meines Vertrages war, hatte er das Erbe aufgeteilt und den anderen drei anonym zukommen lassen. Es wäre nur fair, hatte er gesagt, wenn es mehr ein Bauchgefühl gewesen war, das mich zu ihm geführt hatte, dann sollten die anderen genauso davon profitieren. Den Rest des Vermögens hatte er dazu genutzt, eine Hilfsorganisation zu gründen und verschiedene Einnahmequellen zu schaffen, um es wieder zu dem alten Wert aufzustocken. Ich hatte ein wenig darauf achten müssen, dass er nicht zu großzügig wurde, denn ich musste auch immer an meinen folgenden Herrn denken, der natürlich die gleichen Vorzüge genießen können sollte. Ich half Kotarou dabei, eine Struktur aufzubauen, die Gewinn brachte, aber der Welt dennoch etwas brachte. Wir finanzierten unzählige Sozialwohnungen mit den Mieten aus normalen Mietshäusern, kauften uns in Produktionen ein, die biologisch sinnvoll anbauten und deren Produkte wir gewinnbringend verkaufen konnten und so weiter. Es war ein solides Netzwerk entstanden, das nun einen neuen Besitzer suchte. Nun, zumindest offiziell, denn die meiste Arbeit machte ich. Es machte mir Spaß mich in neue Gegebenheiten einzuarbeiten, neue Geschäftsentwürfe zu machen und mich immer und immer wieder neu in die Gesellschaft zu fügen. Es war mein liebstes Hobby neben dem Dienen für meinen Herrn. Kotarou hatte ich in den Vierzigern kennengelernt. Da hatte die Wirtschaft noch ganz anders ausgesehen, als zu dem Zeitpunkt, zu dem ich einen nächsten Erben gesucht hatte. Es würde eine neue Herausforderung werden, ein neuer Herr mit neuen Vorstellungen und es war wieder ein ganz neuer Schritt in der wirtschaftlichen Evolution. Die Technik hatte ihren Einzug gefunden und damit ein ganz neues Feld, in das man sich einarbeiten konnte. Es kribbelte mir schon in den Fingern, auch wenn ich den Verlust von Kotarou sehr bedauerte. Doch so sehr ich ihn auch liebte, nach so vielen Herrn, die ich bereits überlebt hatte, war das Gefühl des Abschieds nichts anderes als ein dumpfer Widerhall in meiner Brust. Kotarou wusste das und mein neuer Herr würde es auch irgendwann wissen. Nicht zu Anfang natürlich. Es gefiel mir nicht, dass ich lügen musste oder zumindest die Wahrheit verschleiern, aber es ging nicht anders. Jeder normale Mensch würde mich einweisen lassen, wenn ich ihm von Anfang an berichten würde, was Sache war. Das war eine delikate Angelegenheit, die nur Stück für Stück gelüftet werden durfte, damit es zu möglichst wenigen Problemen kam. Es dauerte Wochen, bis wir eine Auswahl von fünf Personen zusammen hatten und einen weiteren Monat, bis wir diese Auswahl auf drei herunter gebrochen hatten. Es war tatsächlich eine Frau dabei doch es fiel mir schwer, mich nach so vielen Männern noch für sie zu erwärmen. Zudem suchte ich alleinstehende Erben oder solche in unglücklichen Lebensverhältnissen und Rika, die Frau, hatte ein sehr erfülltes Leben, ohne große Sorgen. Ich suchte jemanden, dem ich bei seiner Selbstverwirklichung helfen konnte, aber Rika hatte das schon selbst geschafft. Das waren zwei Ausschlusskriterien, die nicht zu überwinden waren. Ich musste meinen neuen Meister mögen, nein, sogar lieben können, das war Teil des Vertrags. Dabei war es egal, ob mein Meister auch mich lieben konnte. Ich hatte nicht immer das Glück, eine solch enge Beziehung mit jemandem aufbauen zu können, wie mit Kotarou. Solange es gesellschaftlich vertretbar gewesen war, waren wir ein Paar gewesen, danach hatte sich alles nur noch hinter verschlossenen Türen abgespielt und war immer seltener geworden, weil Kotarou nicht verstehen konnte, dass sein körperlicher Zerfall, sein Altern, für mich keine Rolle spielte. Aber ich ließ ihm seinen Willen, war von seinem Partner zu seinem Sohn geworden und schließlich zu seinem Enkel. Mittlerweile ließ er mich kaum seine Hand halten, aber ich war noch immer sein bester Freund. Vielen meiner Meister hatte ich ihren idealen Lebenspartner gesucht. Für Kotarou und einigen, wenigen anderen, war ich das gewesen, auch wenn ich an manchen Tagen das bedauern in seinen Augen sehen konnte, dass er niemanden an seiner Seite hatte, mit dem er gemeinsam alt werden konnte. Dennoch hatte er all die Jahre nie daran gedacht, sich jemand anderen zu suchen, obwohl ich ihn oft versucht hatte, von etwas anderem zu überzeugen. Ich war ihm sehr dankbar für seine Loyalität. Kotarou war definitiv einer der Herren, die ich besonders in Erinnerung behalten würde. Wir diskutierten lange über die Auswahl zwischen den verbliebenen beiden und letztendlich war es mein persönlicher Geschmack, der die Auswahl traf. Die Wahl fiel auf Yuri. Einen Mann Mitte zwanzig. Er hatte nie etwas besonderes geleistet oder war sonst groß aufgefallen, aber genau das faszinierte mich sehr. Er war ein stiller Helfer, ein unglaublich guter Mensch, der in der Masse und vor sich selbst vollkommen unterging. Er war durch und durch normal, ging täglich zur Arbeit, traf sich abends mit Freunden und das war es im Großen und Ganzen. Seine Gutmütigkeit zeigte sich in kleinen Dingen, nicht in großen Gesten und ich mochte diese Unaufdringlichkeit. Ich hatte ihn erlebt, wie er wildfremden Menschen zugehört hatte, während er in seiner Mittagspause mit einem Kaffee nach draußen gegangen war, um sich ein wenig von dem Bürostress zu erholen. Er hatte geduldig zugehört, hatte Ratschläge gegeben, ohne, dass es dem Mann, dem er zuhörte, wirklich schlecht gegangen wäre. Es waren Nichtigkeiten gewesen, über die er sich beklagt hatte, aber Yuri hatte ihm trotzdem helfen wollen und das obwohl er offensichtlich Müde und abgeschlagen gewesen war. So jemanden suchte ich. Einen guten Menschen, der seine eigenen Bedürfnisse hinter die von anderen stellte. Es war keine besonders förderliche Eigenschaft für einen Menschen. Sich so für andere aufzuopfern laugte aus, war anstrengend und verkürzte deshalb die Lebenserwartung. Egoismus - zu einem gewissen Grad - war für Menschen wichtig, um mental gesund zu bleiben. Aber dafür war ich ja dann da. Ich würde für Yuri die eine Person werden, für die er und seine Bedürfnisse am wichtigsten waren. "Yuri also, hm?" Kotarou hustete gequält. Es würde nicht mehr lange dauern. "Er ist hübsch." Ich warf noch einmal einen Blick auf sein Bild, studierte es eingehender. Ja, hübsch war er wirklich. Ein angenehmer Bonus, aber nichts ausschlaggebendes. Sein Charakter war mir wesentlich wichtiger. Kotarous zittrige Finger fuhren das Bild nach. "Freust du dich auf einen neuen Liebhaber?" Ich trat an ihn her und legte ihm sanft eine Hand auf die Schulter, drückte ganz leicht zu. "Ich freue mich auf einen neuen Herrn, wie ich mich auf dich gefreut habe und auf jemanden, der mich von deinem Verlust ablenkt." "Als würde es dich so sehr betreffen." Ich neigte mich zu ihm herunter und gab ihm einen sanften Kuss auf sein schütteres Haar. "Es mag mich nicht so schmerzen, wie es vielleicht sollte, aber das bedeutet nicht, dass ich deinen Verlust nicht betrauere. Ich liebe dich, Kotarou, das solltest du doch wissen." Doch mein Liebster seufzte nur und ich wusste, dass er mir nicht glaubte. Er wusste, dass ich ihn liebte, aber er glaubte mir nicht, dass ich ihn vermissen würde. Aber das würde ich. Ich hatte mehr als siebzig Jahre mit ihm verbracht, natürlich würde sein Tod nicht spurlos an mir vorbei gehen. Es schmerzte mich ein wenig, dass ich ihm das nicht begreiflich machen konnte. "Ich freue mich für dich, Ress. Ich denke, er ist eine gute Wahl. Er wird sich gut um dich kümmern. Und er ist Jung, nicht ganz so jung wie ich damals, aber jung." Kotarou war damals fünfzehn gewesen. "Er passt gut zu dir" Ich konnte die Eifersucht aus seiner Stimme hören, aber es gab nichts, was ich dagegen tun konnte. So waren die Regeln, Kotarou hatte das immer gewusst. Und wäre ich mit ihm gealtert, wäre es eine ganz andere Sache. Kotarou hatte wirklich ein Problem damit, dass sein Körper so viel schneller zerfiel als meiner. Er war eifersüchtig auf die Jugend von Yuri, nicht darauf, dass ich ihn ersetzen würde. "Er wird vielleicht gar nicht mein Partner. Mach dir darum nicht solche Gedanken. So lange du lebst, liebe ich nur dich. Niemand anderen. Yuri mag hübsch sein, aber in meinen Augen bist du die einzige, nennenswerte Person und ich werde dich vermissen. Bitte glaube mir das." Doch er konnte nicht. Es überstieg seinen Horizont und das war nicht zu ändern. Alter war für mich kein Problem. Es ging mir nicht um einen Körper. Er mochte sich jetzt anders anfühlen, aber er war doch nur eine Hülle. Ich liebte Kotarou, ob nun mit oder ohne Falten. Wir mussten das Gespräch aber an dieser Stelle beenden, denn er war müde und ich half ihm ins Bett. Zwei Monate noch, dann hörte sein Herz auf zu schlagen und er starb mit Liebeskummer. Ich hatte es nicht geschafft, ihm noch zu beweisen, dass meine Gefühle für ihn aufrichtig waren. Es tat mir weh, das mit anzusehen und nicht zum ersten Mal wünschte ich, dass mein Herr spüren konnte, wie es in mir aussah. Denn auch wenn meine Liebe vertraglich gebunden war, war sie genauso aufrichtig und echt, wie die Liebe eines Menschen. Ich riss mich selbst aus meinen Erinnerungen, als ich wieder vor der Tür meines neuen Zuhauses ankam. Ich schloss auf und nachdem ich die Einkäufe verstaut hatte, warf ich einen Blick ins Wohnzimmer. Yuri schlief tief und fest, vollkommen fertig vom Durchgehen der Papiere und darauf vertrauend, dass ich mich um alles kümmerte. Es würde noch lange dauern, bis er mich akzeptieren könnte, aber ich war geduldig und diese neue Herausforderung war genau das, was ich brauchte, um über den Tod meines letzten Meisters hinweg zu kommen. Es würde der Tag kommen, an dem ich Yuri all meine Liebe schenken konnte und ich hoffte, dass er meine Gefühle erwidern würde. Mit einem sachten Schmunzeln auf meinen Lippen trat ich zu ihm, zupfte die Decke wieder zurecht und verweilte kurz, um ihn zu betrachten. Tiefe Zuneigung kribbelte durch meinen Körper. Ich freue mich auf den Tag, an dem wir ein Team sein werden. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)